Die Arbeit behandelt mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Priestertum aller Gläubigen und dem geistlichen Amt einen Teilbereich der Ekklesiologie. Mit der Reformation hat das Lehrmotiv des Allgemeinen Priestertums eine kirchenpolitisch brisante Stellung eingenommen.
Das Allgemeine Priestertum und das ordinierte Pfarramt wird in heutiger Zeit wieder als Problem empfunden. Die Gemeinde sieht sich innerhalb der parochialen Kirchenstruktur und in einem Gegenüber zum Pfarramt. Die Gestaltung des öffentlichen Lebens in der Gemeinde wird gerne dem Pfarrer übertragen. Wenn von Kirche die Rede ist, dann wird zuerst nach der Amtskirche bzw. nach den Pfarrern gefragt. Diskutiert wird primär das Amtsverständnis, jedoch weniger das Allgemeine Priestertum oder die Gemeinschaft der Heiligen.
Die Auslegungsgeschichte des Allgemeinen Priestertums hat dabei bis heute verschiedenste Ausprägungen erhalten. Martin Schian stellte treffend fest: "Es ist dem Gedanken des allgemeinen Priestertums gegangen wie das so reichlich benutzten, so vielfach hin und her gewendeten Gedanken meist zu gehen pflegt. Jeder Benützer hat ihn in seiner Weise verstanden, nach seiner Richtung hin ausgewertet."1 Die jeweiligen Akteure kirchlicher Geschichte haben dabei mit dem Motiv des Allgemeinen Priestertums ihre jeweilige ekklesiologische Intention vermittelt. Das begründet eine Analyse nach der theologischen Qualität des Allgemeinen Priestertums.
Die begriffliche Abgrenzung des geistlichen Leitungsamtes vom Allgemeinen Priestertum wird im strengen rechtlichen Sinn vorgenommen: "Einsetzung, Kontinuität und geregelte Nachfolge bilden das Wesen des Amtes."2 D.h., Amtsträger werden durch kirchliche Instanzen eingesetzt, dazu ordiniert und nehmen eine Dauerfunktion wahr, in der sie Nachfolger haben können. In diesem Sinne wird das Amt als Institution verstanden.
Zur Bezeichnung des institutionalisierten kirchlichen Predigt- bzw. Pfarramtes wird in dieser Arbeit dem Begriff des "ordinierten Amtes" der Vorzug gegeben. Der Begriff "geistliches Amt" ist abzulehnen. Genau wie dem Begriff des "besonderen Amtes" wird beiden Begriffen eine geistliche Höherwertigkeit zugeschrieben, die nach Luther eben nicht besonderes Merkmal des Amtsträgers ist.3 Der Begriff des "kirchlichen Amtes" erscheint ungeeignet, weil er die anderen Ämter in der Kirche neben dem Pfarramt nicht im Blick hat.
Der Begriff "Laie" ist problematisch, trotzdem wird er Verwendung finden.
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Historische Analyse
1.1 Martin Luther
1.1.1 Das Allgemeine Priestertum in der Anthropologie Luthers
1.1.1.1 Der innere Mensch
1.1.1.2 Das allgemeine Priestertum
1.1.1.3 Der äußere Mensch
1.1.2 Luthers Lehre von den Ämtern
1.1.2.1 Amt und Dienst
1.1.2.2. Amt und Beruf
1.1.2.3. Amt und Gehorsam
1.1.2.4. Amt und mortificatio
1.1.3 Allgemeines Priestertum und Weltperson
1.1.3.1 Die Ämter des Allgemeinen Priestertums
1.1.3.2 Das ministerium verbi
1.1.3.3 Die Beschränkung zum ministerium verbi
1.1.4 Das ordinierte Amt
1.1.4.1 Das ordinierte Amt als Amt der Welt
1.1.4.2 Die Bedeutung der Ordination
1.1.5 Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt
1.2 Das Allgemeine Priestertum in der Theologie der Reformation
1.2.1 Melanchthons Confessio Augustana
1.2.1.1 Artikel V – Vom Predigtamt
1.2.1.2 Artikel XIV – Die kirchliche Ordination
1.2.1.3 Das Allgemeine Priestertum bei Melanchthon
1.2.1.4 Wortverkündigung und Allgemeines Priestertum
1.2.1.5 Artikel VII (und VIII) – Congregatio Sanctorum
1.3 Amtskritische Ansätze im Pietismus – P. J. Spener
1.4 Amt und Allgemeines Priestertum im 19. Jahrhundert
1.4.1 Friedrich Julius Stahl – Stiftungstheorie
1.4.2 Johann Wilhelm Friedrich Höfling – Übertragungstheorie
1.4.3 Friedrich Schleiermacher
1.4.4 Carl Immanuel Nitzsch
1.5 Amt und Allgemeines Priestertum im 20. Jahrhundert
1.5.1 Das Allgemeine Priestertum in der Kirchenverfassungsdebatte
1.5.1.1 Martin Schian
1.5.1.2 Martin Rade
1.5.2 Lutherforschung im 20. Jahrhundert
1.5.2.1 Werner Elert
1.5.2.2 Hans Storck
1.5.3 Befreiungstheologische Ekklesiologie als Konzept des Allgemeinen Priestertums
1.5.3.1 Das Modell der Basisgemeinde
1.5.3.2 Die Gemeinde als ganze ist priesterlich
1.5.3.3 Die Einbeziehung der Charismen
1.5.4 Das Konzept von Hans-Martin Barth
1.5.4.1 Das allgemeine, gegenseitige und gemeinsame Priestertum aller Glaubenden
1.5.4.2 Das ordinierte Amt und das Allgemeine Priestertum
1.5.4.3 Aufgaben des Amtes
1.5.4.4 Die charismatische Begründung des Allgemeinen Priestertums
1.5.4.5 Problemfelder und Herausforderungen
1.6 Zwischenbilanz
2 Praktisch-theologische Aspekte unserer Zeit
2.1 „Die Einführung in das Leben“ von Manfred Josuttis
2.2 Das Amtsverständnis in der Ordination
2.3 Selbstdarstellung der Kirche in ihren Handlungsfeldern
2.3.1 Das Spannungsfeld zwischen Experten und Laien
2.3.2 Der Gottesdienst
2.3.3 Die Praxis der Taufe
2.3.4 Verpflichtung aller zum seelsorgerlichen Handeln
3 Zusammenfassung und Stellungnahme
4 Anhang: Ordinationsvorhalt der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg
5 Literaturliste
Einleitung
Die Arbeit behandelt mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Priestertum aller Gläubigen und dem geistlichen Amt einen Teilbereich der Ekklesiologie. Mit der Reformation hat das Lehrmotiv des Allgemeinen Priestertums eine kirchenpolitisch brisante Stellung eingenommen.
Das Allgemeine Priestertum und das ordinierte Pfarramt wird in heutiger Zeit wieder als Problem empfunden. Die Gemeinde sieht sich innerhalb der parochialen Kirchenstruktur und in einem Gegenüber zum Pfarramt. Die Gestaltung des öffentlichen Lebens in der Gemeinde wird gerne dem Pfarrer übertragen. Wenn von Kirche die Rede ist, dann wird zuerst nach der Amtskirche bzw. nach den Pfarrern gefragt. Diskutiert wird primär das Amtsverständnis, jedoch weniger das Allgemeine Priestertum oder die Gemeinschaft der Heiligen.
Die Auslegungsgeschichte des Allgemeinen Priestertums hat dabei bis heute verschiedenste Ausprägungen erhalten. Martin Schian stellte treffend fest: „Es ist dem Gedanken des allgemeinen Priestertums gegangen wie das so reichlich benutzten, so vielfach hin und her gewendeten Gedanken meist zu gehen pflegt. Jeder Benützer hat ihn in seiner Weise verstanden, nach seiner Richtung hin ausgewertet.“[1] Die jeweiligen Akteure kirchlicher Geschichte haben dabei mit dem Motiv des Allgemeinen Priestertums ihre jeweilige ekklesiologische Intention vermittelt. Das begründet eine Analyse nach der theologischen Qualität des Allgemeinen Priestertums.
Die begriffliche Abgrenzung des geistlichen Leitungsamtes vom Allgemeinen Priestertum wird im strengen rechtlichen Sinn vorgenommen: „Einsetzung, Kontinuität und geregelte Nachfolge bilden das Wesen des Amtes.“[2] D.h., Amtsträger werden durch kirchliche Instanzen eingesetzt, dazu ordiniert und nehmen eine Dauerfunktion wahr, in der sie Nachfolger haben können. In diesem Sinne wird das Amt als Institution verstanden.
Zur Bezeichnung des institutionalisierten kirchlichen Predigt- bzw. Pfarramtes wird in dieser Arbeit dem Begriff des „ordinierten Amtes“ der Vorzug gegeben. Der Begriff „geistliches Amt“ ist abzulehnen. Genau wie dem Begriff des „besonderen Amtes“ wird beiden Begriffen eine geistliche Höherwertigkeit zugeschrieben, die nach Luther eben nicht besonderes Merkmal des Amtsträgers ist.[3] Der Begriff des „kirchlichen Amtes“ erscheint ungeeignet, weil er die anderen Ämter in der Kirche neben dem Pfarramt nicht im Blick hat.
Der Begriff „Laie“ ist problematisch, trotzdem wird er Verwendung finden. Hier soll er verstanden werden als „Nicht-Theologe“ im Gegensatz zum ausgebildeten. Der Aspekt der fachlichen Kompetenz bzw. Inkompetenz auch für nicht theologische Sachverhalte, die den Unterschied zwischen Experten und fachlich Unkundigen verdeutlicht, schließt die Definition mit ein.
Einer religionsphänomenologischen Analyse der Gestalt des Priesters wird nicht nachgegangen. Die Fragestellungen, die sich in einem Priester-Opfer-Schema begründen, würden über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. Ebenso gilt dies auch für den wichtigen Bereich der feministischen Theologie, die eine Nähe zum Motiv des Allgemeinen Priestertums innehat.[4] Die Arbeit schließt in allen Fragen zum Allgemeinen Priestertum und ordinierten Amt die Frauen mit ein, jedoch ohne die damit einhergehende Problematik mit aufzunehmen.
Dogmatische Entwürfe haben immer eine ekklesiologische Dimension. Deshalb können Dogmatiken hier nur exemplarisch untersucht werden. Dies näher zu analysieren wäre sinnvoll, kann aber nur umfangreich in einer systematischen Arbeit erfolgen.
Sucht man in neuerer Zeit nach umfassenden Beiträgen zum Allgemeinen Priestertum, dann finden sich lediglich die vor einiger Zeit erschienenen Arbeiten von Barth, Voß und die Untersuchungen zu Luther von Freiwald und Goertz.[5] Weitere Arbeiten finden sich dann erst in den sechziger und siebziger Jahren.[6] Im praktisch-theologischen Bereich sind die Diskussionsbeiträge noch seltener. Lediglich auf die umfangreichere Habilitationsschrift von Herlyn in neuerer Zeit kann verwiesen werden, die unter anderem Allgemeines Priestertum behandelt.[7] Obwohl das Motiv vom Allgemeinen Priestertum bekannt ist, scheint dessen Aktualität nicht bewußt zu sein.[8]
Das Verhältnis zwischen Allgemeinem Priestertum und ordiniertem Amt wurde zumeist in ekklesiologischen Reformen wie in der Reformation oder im Pietismus immer als Problem empfunden. Hier zeigt sich, daß das Thema immer wieder eingebettet ist in eine Erneuerung kirchlicher Strukturen. Hinter der Diskussion nach der Begründung des Amtes steht das Problem, ob das Amt einen göttlichen und damit heilsnotwendigen Charakter hat. Als Gegenmodell zu dem „von oben“ gibt es das „von unten“, das die Begründung in der Gemeinde sucht.
Diesem problematischen Verhältnis wird im ersten Teil der Arbeit historisch-systematisch nachgegangen, indem in den theologiegeschichtlich wichtigen Epochen nach den Vorstellungen von Amt und Allgemeinem Priestertum und ihrer Verhältnisbestimmung gefragt wird.
Zunächst wird Luthers Entwurf des Allgemeinen Priestertums im Zusammenhang seiner Theologie betrachtet. Dem folgt mit den Bekenntnisschriften eine Darstellung der Auslegungsgeschichte bezogen auf das Allgemeine Priestertum, das ordinierte Amt und ihr Verhältnis zueinander. Anschließend werden wichtige Reformbewegungen wie die des Pietismus, der Verfassungsbestrebungen im 19. Jahrhundert oder der Befreiungstheologie aufgenommen. Analysiert wird hier schwerpunktmäßig das Allgemeine Priestertum.
Die Arbeit wird im zweiten Teil in Beispielen das Verhältnis von Allgemeinem Priestertum und ordiniertem Amt aus praktisch-theologischer Sicht in neuerer evangelischer Zeit analysieren. Dazu werden Beiträge für das ordinierte Amt herangezogen, die die Gestalt des ordinierten Amtes definieren. Eine Analyse des Allgemeinen Priestertums wird anhand von kirchlichen Handlungsfeldern erarbeitet, um für Amt und Gemeinde eine glaubwürdige Position für das Allgemeine Priestertum und auch für das ordinierten Amt zu erhalten. Die Zuständigkeiten und Grenzen des ordinierten Amtes und die Verwirklichung des Allgemeinen Priestertums in der christlichen Gemeinde im Gegenüber gilt es aus praktisch-theologischer Sicht zu analysieren.
1 Historische Analyse
1.1 Martin Luther
Martin Luther hat in seinen reformatorischen Hauptschriften von 1520-1523 die Lehre vom Allgemeinen Priestertum der Christen dargelegt.[9] Eine eigene Schrift für das Allgemeine Priestertum gibt es jedoch nicht, weshalb konstruierend vorgegangen werden muß.
Nicht die Entwicklung der Lehre Luthers, sondern die Kontinuität seiner Aussagen im Verlauf seiner Wirkung sind dabei von Interesse. Im folgenden können natürlich nur Grundzüge dieses Verhältnisses betrachtet werden, die für die Herleitung des Allgemeinen Priestertums und des ordinierten Amtes wichtig sind.
Zunächst wird versucht, das Allgemeine Priestertum und das ordinierte Amt in Luthers Lehre vom Menschen in seinem Verhältnis zu Gott und zu der Welt einzuordnen.
1.1.1 Das Allgemeine Priestertum in der Anthropologie Luthers
In dem Verhältnis des Menschen zur Welt ist der Mensch ganz äußerlich, in seinem Verhältnis zu Gott ganz innerlich. Damit beschreibt Luther seine grundlegende Anthropologie. Luther bezieht diese Unterscheidung auf den ganzen Menschen und nicht auf einzelne Körperteile. Er trennt nicht Geist und Fleisch, Geist im Verhältnis zu Gott und Fleisch zur Welt: Es sind Totalaspekte.
In seinem Gottesverhältnis ist der Mensch als Gerechtfertigter ganz innerlich gemeint, als äußerer Mensch steht er als Sünder in der Welt: simul iustus et peccator. Innen und außen stehen nicht für verschiedene Orte, sondern für jeweils eine der beiden Relationen.[10]
Daß der Mensch als geistlicher, neuer Mensch der Welt begegnet und umgekehrt der Sünder vor Gott steht, sollte nicht verwirren. Luther wollte nicht die Wirklichkeit als Ganzes abbilden, sondern diese Gegensatzpaare wollen nur engumgrenzte Sachverhalte illustrieren. Hier zeigt sich bereits die Rechtfertigungslehre Luthers als Ableitung von Röm 3, 28: „Hominem iustificari fide“[11]. der den Aspekt des Glaubens mit den Werken verbindet, den Bezug zur Welt.[12]
1.1.1.1 Der innere Mensch
Luther verknüpft diese zwei Lebensbezüge „innerer“ und „äußerer“ Mensch mit dem Begriff der Freiheit. Durch die Zuordnung von Freiheit und Gottesverhältnis bzw. Gebundenheit und Weltverhältnis gewinnt Luther eine Antithese, auf deren Hintergrund auch das Allgemeine Priestertum zu verstehen ist.[13] Danach sind alle Christen in völliger Freiheit und völliger Unfreiheit bzw. Gebundenheit. Der Christ sei durch den Glauben von den Zeremonien frei, durch die Liebe aber an sie gebunden.
Diese Freiheit bedeutet Freiheit von allen menschlichen Geboten in bezug auf die Heilsfrage.[14] Hier zeigt sich die antipäpstliche Seite Luthers.
Der Christ ist frei von allen Werken, doch er vollbringt sie aus Rücksicht zu seinen Mitmenschen. Indem Luther auf die Neuwerdung des Menschen durch den rechtfertigenden Glauben als die eigentliche Bedingung christlicher Freiheit hinweist, wehrt er zugleich der Anschauung, die Freiheit von äußeren Dingen könne dem geistlichen Menschen aufgrund seiner Geistlichkeit zukommen. Die Freiheit des inneren Menschen besteht nur aufgrund der Neuheit des Gottesverhältnisses.
Die Freiheit des Christen ist eine Folge des Glaubens und somit eine von Christus geschenkte Freiheit. Der Glaubende erhält diese Freiheit, indem er durch den Glauben mit Christus vereinigt wird.
Diese Verbindung bezeichnet Luther als „unio cum christo“[15]. Diese Einheit bedeutet Seinsgemeinschaft und auch Güteraustausch.
Der Wechsel ist einseitig, kann doch der gläubige Mensch nur seine Sündhaftigkeit Christus anvertrauen, und er erhält von Christus, was Luther Christi Gerechtigkeit nennt.[16] Er wird eingebunden in das Reich Gottes. Die Grundlage für die Rechtfertigung des Menschen und damit auch die Freiheit des Christen ist nur die „unio cum christo“.
Neben der Gerechtigkeit betrifft der Wechsel der Eigenschaften nun aber auch alle anderen Güter Christi. Luther zählt die anderen Gaben und Vollmachten auf, die in Hinsicht auf den Nächsten ihre Anwendung finden: Zum einen kann die Sünde vergeben werden, zum anderen bedeutet dies die Fähigkeit zur Ausübung des Priestertums Christi.[17]
Alle Güter haben ihre Bestimmung auf die Anwendung am Nächsten und somit auf die äußere Welt, d.h., daß sie auf den äußeren leiblichen Menschen bezogen sind. Die „unio cum christo“ hat somit eine statische und eine dynamische Dimension: Statisch auf der geistlichen Ebene „coram deo“ und dynamisch auf der leiblichen Ebene „coram hominibus“. Auf der dynamischen Ebene folgt die Übernahme karitativer Ämter mit der Aufforderung zum Dienst.
Die Wendung zum Nächsten ist konstitutiv für Luthers Verständnis von Rechtfertigung; sie geschieht unter Ausübung der in der Einheit mit Christus erworbenen Ämter des Priestertums Christi.
1.1.1.2 Das allgemeine Priestertum
Der Aspekt der „unio cum christo“ findet sich auch in der Taufe wieder. Die Taufe ist Ausdruck für die Gemeinschaft mit Gott. Luthers Auffassung vom neuen Sein der Glaubenden in der Gemeinschaft mit Christus hat ihren umfassenden Ausdruck in der Lehre vom Allgemeinen Priestertum. Es ist der Inbegriff des neuen Seins vor Gott. Luther faßt den Priesterbegriff als geistlichen, inneren Begriff auf, der unmittelbar an das Geschehen der Rechtfertigung anknüpft. Seine Wurzel liegt im inneren Vorgang.
Der Zusammenhang zwischen Allgemeinem Priestertum und Rechtfertigung ist durch den gemeinsamen Bezug zum Glauben gegeben. Sachlich besteht diese Verknüpfung für Luther in dem Priestertum Jesu und seiner das Priestertum der Menschen begründenden Heilstat.
Der Glaube an Christus impliziert den Glauben an das stellvertretende Priestertum. Der Glaube ist das Bindeglied zwischen dem Hohenpriester Christus und dem Priestertum der Menschen. „So ich nun glaub, so bin ich auch ein prister“[18].
Luthers Erkenntnis von der umfassenden Gemeinschaft zwischen Christus und den Glaubenden hängt eng mit dem Allgemeinen Priestertum zusammen: Es besteht fast eine Wesenseinheit mit Christus. Der Glaubende lebt in Christus und ist mit ihm eins[19], dadurch hat er nicht nur an der Gerechtigkeit teil, sondern auch an Christi Priestertum.[20] Die Gemeinschaft mit Christus ist geistlich gemeint, das Priestertum zunächst auch. Das Allgemeine Priestertum stellt im Kern ein neues Sein vor Gott dar.
Übertragen wird das Allgemeine Priestertum durch den Glauben. Grundlegend ist für Luther die Taufe und der Glaube. Taufe wird gleichgesetzt mit Priesterweihe und dem dazugehörigen Glauben. Demnach gibt es kein Allgemeines Priestertum außerhalb des Glaubens.[21]
Hinzu kommt, daß das Allgemeine Priestertum alle Glaubenden in christo vereinigt, denn sie haben alle geistlichen Güter gemeinsam, sind alle gleichen Standes. Auch hier steckt zeitgenössische Kritik Luthers an der institutionell verfaßten Kirche, deren sakrales Amtsverständnis an der Gleichheit aller versagt.
Hier ist ein deutlicher Widerspruch zur traditionellen römisch-katholischen Lehre zu finden, die den Begriff Priestersein auf ein leiblich sichtbares, von den übrigen Christen abgesondertes Meßopferpriestertum bezieht. Für Luther liegt in der Heilsmittlerschaft Christi die Grundlage, und damit argumentiert er gegen jegliche Mittlerschaft von Seiten römischer Priester.[22] Er bestreitet die Existenz eines leiblichen Priestertums und daher auch die Trennung in Klerus und Laien.
Der Begriff „Priestertum“ charakterisiert das neue Gottesverhältnis des Menschen als geistliche Qualität. Es gibt – wie man sich denken kann – aber auch eine Qualität, die das Weltverhältnis charakterisiert: Das Priestersein bedeutet auch die Befähigung zur Ausübung priesterlicher Ämter Christi.
1.1.1.3 Der äußere Mensch
Die Rechtfertigung aus Glauben ist die Freiheit vom Zwang, sich seine Gerechtigkeit vor Gott suchen zu müssen. Sie stellt den Menschen in ein neues Verhältnis nicht nur zu Gott, sondern auch zu seinem äußeren Menschsein, zu seinen Werken. Gute Werke sind Früchte des Glaubens[23]: Die innere Freiheit ist „der liebe und des nehisten diener“[24].
Christus fordert zur Nächstenliebe auf, so daß sich der Befreite freiwillig zum Knecht für den Nächsten machen kann. So ist der Glaubende als innerer Mensch wahrhaft frei, als äußerer Mensch dagegen ein dienstbarer Knecht aller Dinge. Die Rechtfertigung aus dem Glauben ist somit die Grundlage für Luthers Sozialethik. In seinem Handeln ist der Christ als äußerer Mensch angesprochen.
Luthers Auffassung von dem Handeln einer Christperson und einer Weltperson zielt auf Luthers Lehre von den zwei Reichen. Als Christ steht er allein unter Christus[25], unter dem geistlichen Regiment, das ein innerliches Regiment ist.[26] Indem der Mensch in der Welt handelt, nimmt er Ämter ein[27], die es im Gottesverhältnis an sich nicht gibt. Und umgekehrt ist das Priestertum in den Handlungen der Christen in der Welt, im gegenüber von Menschen, auch ein Amt. Die Totalsicht Luthers wird hier deutlich: Der Mensch ist zugleich Christ- und Weltperson.[28]
1.1.2 Luthers Lehre von den Ämtern
Wie der Christ sich in der Welt verhalten soll, beschreibt Luther mit den Begriffen „Stand“ und „Amt“. „Stand“ bezeichnet den Christen in seiner sozialen Position.[29] Das Amt befindet sich innerhalb des Standes. Es gilt zunächst genauer zu fragen, was Luther unter einem Amt versteht.
Eine direkte Lehre von den Ämtern gibt es nicht. Nur durch Situationen und Fragestellungen ergeben sich Äußerungen.
Das Leben der Menschen in der Welt läuft in Strukturen ab, denen er einen speziellen Charakter zuweist. Seine Erkenntnis ist, daß im Reich der Welt jeder Mensch Regeln befolgen muß. Denn als Weltperson ist der Mensch nicht frei, sondern in vielfältiger Weise an seine Umgebung gebunden.
Die sichtbare Welt ist der Ort der Ämter mit sämtlichen Äußerungen menschlichen Lebens. Die Fülle aller möglichen Lebensäußerungen gliedert Luther in drei Gruppen, für die er den Begriff der Ordnungen oder Stände gebraucht: die Dreiständelehre.[30] Der Stand eines Menschen, sei es oeconomia, politia oder ecclesia, stellt für Luther die Summe aller Lebensäußerungen dar, in der jeder Mensch steht. Jeder Stand gliedert sich in eine Vielzahl von Funktionen: den Ämtern. Die wichtigste Aufgabe eines Standes besteht darin, dem Menschen eine Orientierung zu bieten, in welchen Handlungsfeldern dieser das Liebesgebot in einen Dienst am Nächsten umsetzen kann.[31]
Den Ursprung aller Stände und Ämter entdeckt Luther im ordnenden Willen Gottes. Das Gesicht der Welt ist durch den ordnenden Willen Gottes gestaltet. Gott bedient sich bestimmter Ordnungen, in denen er Menschen als Amtsträger fungieren läßt.
Gottes Handeln an der Welt ist ordnendes Handeln. Die Dreiständelehre ist ein Versuch, dies zu verstehen und anschaulich zu machen.
Das Handeln Gottes, sein Regiment, vollzieht sich durch die Mithilfe der Menschen. Wer ein Amt innehat, kann sich zu den „intrumenta divinae maiestatis vel cooperatio“[32] zählen. Die Ämter stehen somit im Dienste des Regiments Gottes, freilich nur dann, wenn sie als Liebesdienst am Nächsten verstanden werden. Darin liegt die wahre Ausübung eines Amtes.
Jeder Stand ist als Dienst im Regiment Gottes gleichwertig. Mit den Ständen sind keine soziale Klassen gemeint, sondern Funktionen innerhalb der Gemeinschaft. Die Grenzen der Stände sind fließend, man kann gleichzeitig mehreren Ständen zugehörig sein.
An diesem Punkt steckt auch Kritik an den Klöstern seiner Zeit. Das Selbstverständnis der Mönche begründet sich nicht im Dienst am Nächsten, sondern es sieht seine Berechtigung nur aus sich selbst. und daher sind sie nichts besseres. Hier zeigen sich die immerwährenden Polemiken Luthers gegen die Papstkirche. Ebenso in der Kritik stehen natürlich andere religiöse Strukturen, die aus Luthers Sicht über die Werke Anteil am Heil erhalten wollen: fasten, an Wallfahrten teilnehmen, Altare bauen usw.[33]
Wie bereits erwähnt, bilden die Dreistände- und die Zweireichelehre die Grundlage für Luthers Amtsverständnis. Es gibt vier wichtige Aspekte zum weiteren Verständnis des Amtes bei Luther: Amt und Dienst, Amt und Beruf, Amt und Gehorsam, Amt und mortificatio.
1.1.2.1 Amt und Dienst
Alle Christen sollen dem Nächsten dienen, alles muß am Wohl des Menschen orientiert sein.[34] Dieses Amtsverständnis hat eine funktionale Intention. Zusätzlich wird von Luther der Amtsträger qualifiziert: Die Qualität eines Amtsträgers liegt nicht primär in seiner Person, sondern wird definiert durch sein Tun in Hinsicht auf den Nächsten. Nicht der verinnerlichte Glaube, sondern die Ebene der Werke ist hier von Bedeutung. Das Verhältnis, das der Glaubende zur Welt hat, ist der Dienst am Nächsten. Dieser Dienst wird innerhalb der Stände zum Amt.
1.1.2.2. Amt und Beruf
„Amt“ und „Beruf“ werden von Luther häufig synonym verwendet. Der Begriff des Amtes kommt vor allem von der Dimension des Dienstes her, der Begriff Beruf eher von der Dimension des „woher“. Für Luther steht hinter dem „Beruf“ immer eine „Berufung“ von Gott. Alle Werke, die im Rahmen eines Amtes geschehen, zu dem man berufen ist, stuft Luther als heilig ein. Es gibt auch falsche Berufe wie den der Mönche, weil dieser von Menschen erdacht wurde und kein göttliches Mandat beinhaltet.[35]
Wer ein Amt ausführt, zu dem er berufen ist, kann sicher sein, daß nicht er, sondern Gott selbst handelt.[36] Die Unzulänglichkeit des Menschen ist damit überwunden. Indem Gott handelt, ist die Person austauschbar. Was der Amtsträger tut, könnte auch ein anderer tun. So hat der Beruf zwei Seiten: verantwortliches Handeln aus und mit dem Liebesgebot und daß der Handelnde im Geschick der Welt steht. Christsein hat somit Amtscharakter, weil der Christ auch äußerlich, im weltlichen Regiment lebt und arbeitet.
1.1.2.3. Amt und Gehorsam
Indem der Glaubende in der Welt handelt, dadurch ein Amt einnimmt, in dem Gott wirkt, verbindet sich der Amtsbegriff mit dem Gehorsam. Denn er muß bestehen gegen Gott und gegen den Nächsten.[37]
1.1.2.4. Amt und mortificatio
Weiterhin ist das Amt bestimmt von dem Leben des äußeren Menschen: dem Sünder. Da sich alle Betätigung der Christen innerhalb der Grenzen von Stand, Ordnung und Beruf vollzieht, weist Luther folgerichtig dem Beruf eine Funktion innerhalb der mortificatio zu. „Darumb hat gott mancherley stend vorordenet, in wilchen man sich uben unnd leyden leren soll, ettlichenden eelichen, den andern den regierenden stand, und allen befolen, mühe und arbeiyt zu haben, das man das fleysch tödte und gewene zum todte.“[38] Luther meint damit den Kampf gegen die Sünde und das eigene Fleisch für das Wohl des anderen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß durch die Zurückführung eines jeden Standes und Amtes auf den ordnenden Willen Gottes, Luther jedem Christen seinen unverwechselbaren Ort im Heilshandeln Gottes zuweist.
Luthers Lehre von der Rechtfertigung allein aus Glauben beschränkt den Geltungsbereich der Ämter auf den äußeren Bereich der Werke, die Unterscheidung von geistlichem und weltlichem Stand wird relativ.
Luther legt den Grund für eine evangelische Berufsethik, die den gerechtfertigten Christen nicht von seinen Pflichten als Weltperson entbindet. Sie weist hin auf den Dienst am Nächsten.
Die äußere Ebene der Werke – und damit auch die Ämter – ist logisch getrennt vom Gottesverhältnis. Eine Vermischung beider Ebenen führt dazu, daß das Pfarramt als Heilsnotwendigkeit für andere Gläubige verstanden wird. Luther kann die Heilsnotwendigkeit des Pfarramtes jedoch nicht aus dem Evangelium herleiten.
1.1.3 Allgemeines Priestertum und Weltperson
1.1.3.1 Die Ämter des Allgemeinen Priestertums
Das Allgemeine Priestertum, das sich in der „unio cum christo“ gründet, besteht unabhängig von der Einhaltung weltlicher Ordnungen, weil es von innerer, geistlicher Qualität ist. Es äußert sich aber auf der Ebene der Weltperson, d.h. in der Gestalt von Ämtern. Es ist zu fragen, wie sich das Allgemeine Priestertum der Christen als Amt realisiert.
Das Allgemeine Priestertum kann nicht auf den Bereich „coram deo“ beschränkt werden. Man würde Luther mißverstehen, wenn man das Allgemeine Priestertum nur für den inneren Menschen zugrunde legen würde. Das Allgemeine Priestertum hat auch Auswirkungen auf das Verhältnis des Menschen zur Welt. Diese zeigen sich nach Luther in speziellen Werken: „Fragstu aber: Worin stehet denn nu das Priesterthumb der Christen, oder was sind jre Priester werck? Antwort: Eben die selbigen, davon droben gesagt ist, nemlich Leren, Opffern und Beten“[39]. Luther bezeichnet Lehren, Opfern und Beten auch als Ämter.[40] Die Funktionen, die Luther dem Allgemeinen Priestertum zuschreibt, entnimmt er dem traditionellen Amtsverständnis: „Sunt autem sacerdotalia officia haec: docere, praedicare annunciareque verbum dei, baptisare, consecrare seu Eucharistiam ministrare, ligare et solvere peccata, orare pro aliis, sacrificare et iudicare de omnium doctrinis et spiritibus.“[41] Diese Stelle ist in der Forschung durchaus problematisch. Brunotte relativiert diese Stelle, indem er sie als Bemerkung Luthers nur gegen das traditionelle priesterliche Verständnis versteht. Es sei eine „irrige Ansicht“, daß hier die Gewalten des Allgemeinen Priestertums angegeben seien.[42]
Diese Position von Brunotte erscheint nicht überzeugend, da Luther an dieser Stelle häufiger von der Vollmacht des Allgemeinen Priestertums redet und an dieser Stelle weniger polemisiert, wie er es sonst in sehr vielen seiner Aussagen zu tun pflegt.
Im folgenden werden die drei vorher genannten priesterlichen Ämter, Lehren, Opfern und Beten, näher unterschieden: Nicht sakramentale Opfer sind mit dem Opfern gemeint, sondern sich selbst zu opfern.[43] D.h., daß durch die „unio cum christo“ auf das ganze Leben bezogen die Leiden der anderen getragen werden. Mit Beten versteht Luther, daß wir wie Christus für den anderen beten sollen, also fürbitten.[44]
Das Amt des Lehrens kommt wie gesagt jedem Christen zu. Luther versteht darunter das Predigen.[45] Aus dem Amt des Lehrens wird das Amt des Wortes, weil die priesterlichen Dinge von Gott kommen und weitergegeben werden sollen.
Gefragt werden muß nun, wie das Predigtamt begründet wird.
1.1.3.2 Das ministerium verbi
Die Notwendigkeit eines Amtes ergibt sich aus der Qualität des verbi dei, in dem der Heiligen Geistes wirkt.[46] Das äußere Wort ist das Mittel, durch das der Geist den Glauben wirkt; es ist daher das einzige Gnadenmittel. Eine weitere Notwendigkeit ergibt sich für Luther aus der These, daß durch das Wort Christus weiter auf Erden wirkt.[47] Christus ist das fleischgewordene Wort Gottes. Das Wort hat den Platz Christi in der Welt übernommen. Die Wirkung des Wortes ist die Umwandlung vom alten zum neuen Menschen. Aus dem Charakter des Wortes schloß Luther auf das Predigtamt.
Der Mensch erfährt das Evangelium „coram deo“, also der innere Mensch ist gemeint, und er gibt es weiter an andere Menschen, als äußerer Mensch. Entscheidend ist, daß der Geist wirken kann. Das kann er, indem er sich des äußeren Wortes bedient. Die Verkündigung meint auch den äußeren Menschen. Dadurch fällt die Verkündigung auf die Ebene der weltlichen Ordnungen, so kann Verkündigung nur ein weltliches Amt sein.
1.1.3.3 Die Beschränkung zum ministerium verbi
Die Lehre vom gleichen Recht für alle am ministerium verbi ist verbunden mit einer Kritik gegen die falsch verstandene Priesteramtstheologie. Jeder soll das Wort weitergeben, da wo er steht.[48]
Das Amt des Wortes ist also nicht nur bezogen auf die öffentliche Predigt im Gottesdienst. In der Beschreibung von besonderem Amt und ministerium verbi wird dies jedoch häufig verwechselt.
Das ministerium verbi ist ein geistliches Amt, die Ausübung und Wirkung jedoch betrifft den äußeren, weltlichen Bereich. Und dort sieht Luther die Einschränkung. Die Einschränkung ist für Luther aber nur sekundär, ein zweiter Denkschritt. Was wäre, wenn jeder Sakramente austeilen würde, jeder predigen würde? Christen sollen nicht in Konflikt geraten mit dem System der Ämter. Das Schweigen im Gottesdienst – einer predigt die anderen hören zu – sei wirkungsvoller und nützlicher, als redeten alle durcheinander. Im öffentlichen Bereich soll nicht jeder, im privaten kann und soll jeder Christ das Evangelium verkünden.[49] Daraus pauschal eine Aussage über die Aktivitäten in der Gemeinde ableiten zu können, erscheint jedoch voreilig. Luther sieht das Problem, daß in ein Amt eingegriffen wird. Dies ist jedoch nicht erlaubt.[50] Aber das „Notamt“ kann verrichtet werden, wenn kein ordentlich berufener Amtsträger anwesend ist.
Die Grenze verläuft fließend zwischen öffentlichem und privatem Leben, schließlich sollen sich Christen nicht aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Aber es gibt ein berufenes Amt.
Indem die Gemeinde das ordinierte Amt besetzt, verzichtet sie gleichzeitig auf ihre Möglichkeit zur Ausübung des Amtes. Der Prediger handelt stellvertretend für die Gemeinde. „wer von dem hawffen oder dem, der des hawffen befehl und willen hat, berufft wirt, der thut denn solch werck an stat und person des hawffen und gemeyner gewallt.“[51] Es ist nicht so, daß die Gemeinde ihr Recht durch die Berufung verliert, es ist nur aus Ordnungsgründen wichtig für Luther. Der ordinierte Amtsträger hat der Gemeinde nichts voraus: „Also ist nur eyn unterscheyd euserlich des ampts halben, datzu eyner von der gemeyne beruffen wirtt. Aber fur Gott ist keyn unterscheyd, und werden nur darumb ettliche auss dem hauffen erfurtgezogen, das sie an statt der gemeyn das ampt füren und treyben, wilchs sie alle haben, nicht das eyner ehr gewallt habe denn der ander.“[52] Darin wird deutlich, daß Luther nicht davon ausgeht, daß nur einzelne Gemeindeglieder die Fähigkeit zur Ausübung des ministerium verbi hätten, das Gegenteil ist hier der Fall.[53] Alle haben die gleiche Vollmacht zu predigen., nur unberufen soll es keiner tun: „Darumb soll keyner von yhm selb auff tretten und ynn die gemeyn predigen, sondern man muss eynen auss dem hauffen furtzihen und auff setzen“[54].
In der Forschung wird die Verhältnisbestimmung Allgemeines Priestertum und Amt als ein Bruch gesehen. Die Auseinandersetzung mit den Schwärmern und die Unruhen durch den Bauernkrieg sollen Luther dazu veranlaßt haben, in der aufkommenden „Unordentlichkeit“ die Freiheit des Allgemeinen Priestertums einzuschränken. Das Problem besteht darin, daß auf der einen Seite eine Freiheit bzw. ein uneingeschränktes Recht aller am ministerium verbi besteht und auf der anderen Seite die Beschränkung an demselben auferlegt ist und daß Luther durchaus widersprüchliche Aussagen[55] dazu gemacht hat.
[...]
[1] Schian, Priestertum, 113.
[2] Hanson, Amt, 534.
[3] Ich greife hier vor, daß die Gleichheit der Christen coram deo entscheidend ist, siehe Abschnitt 1.1.3.3.
[4] Vgl. Meer, Priestertum; Siegele-Wenschkewitz, Priestertum.
[5] Vgl. Barth, Priester, 1990; Voß, Gedanke, 1990; Freiwald, Verhältnis, 1993; Goertz, Priestertum, 1997.
[6] Vgl. z.B. Lieberg, Amt.
[7] Vgl. Herlyn, Sache, 1997.
[8] Heintze redet vom „praktischen Vergessen des allgemeinen Priestertums“. Heintze, Priestertum, 640.
[9] Besonders: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung, WA 6, 404-469, bes. 407 ff; De captivitate Baylonica ecclesia praeludium, a.a.O. 6, 497-573, bes. 560 ff; Von der Freiheit eines Christenmenschen, a.a.O. 7, 20-38, bes. 26 ff.
[10] „Igitur spiritualis homo totus homo est, quantum sapit quae dei sunt, carnalis totus, quantum sapit quae sua sunt.“, a.a.O. 2, 589, 1-3.
[11] A.a.O. 39/1, 176, 34 f.
[12] Das Verhalten in der Welt zieht die ethischen Themen der Nächstenliebe und die Auslegung der Bergpredigt nach sich.
[13] Vgl. zu Luthers Begiff der Freiheit und der Gebundenheit seine Schrift „Von der Freiheit einen Christenmenschen“, a.a.O. 8, 138-204.
[14] „weyl wir alle gleich priester sein, musz sich niemant selb erfuhr thun und sich unterwinden, an unszer bewilligen und erwelen das zuthun, des wir alle gleychen gewalt haben, Den was gemeyne ist, mag niemandt on der gemeyne willen und befehle an sich nehmen“, WA 6, 408, 13-14.
[15] „fides facit ex te et Christo quasi unam personam, ut non segregeris a Christo, imo inherescas, quasi dicas te Christum, et econtra: ego sum ille peccator, quia inheret mihi et econtra“, a.a.O. 11/1, 285, 5 ff.
[16] Vgl. a.a.O. 7, 25, 32 - 26, 4.
[17] „Fragstu aber: Worin stehet denn nu das Priesterthumb der Christen, oder was sind jre Priester werck? Antwort: Eben die selbigen, davon droben gesagt ist, nemlich Leren, Opffern und Beten.“, a.a.O. 41, 210, 25-28; „Aber alle sind wyr priester fur Gott, so wyr Christen sind.“, a.a.O. 12, 317, 6 f.
[18] WA 10/3, 398, 24 f.
[19] A.a.O. 7, 38 ,6-15; 10/3, 100, 30 f.
[20] „Christus est sacerdos, ergo Christiani sunt sacerdotes“, a.a.O. 7, 57, 28.
[21] „Darumb muss folgen, das, wer da nicht glewbt, keyn priester ist.“, a.a.O. 12, 316, 26 f.
[22] Dies wird deutlich in dem Zitat: „Denn syntemal wyr alle gemeyn eyn Christum haben, eyn tauff, eyn glawben eyn schatz, so bynn ich nichts besser denn du, das du hast, hab ich auch, und bynn eben so reich als du.“, a.a.O. 12, 297, 2-6.
[23] Vgl. a.a.O. 8, 615, 28 f.
[24] A.a.O. 19, 72, 23.
[25] Vgl. a.a.O. 32, 390, 21 f.
[26] Vgl. a.a.O. 32, 393, 30-36.
[27] Vgl. a.a.O. 32, 439, 38 - 440, 6.
[28] Vgl. a.a.O. 32, 440, 33-37.
[29] Vgl. ebd.
[30] Vgl. a.a.O. 2, 734, 24-33; ebenfalls dazu Maurer, Lehre.
[31] Vgl. WA 32, 495, 29 - 496, 2; „Omnes status huc tendunt, ut aliis serviant“, a.a.O. 15, 625, 7.
[32] A.a.O. 40/3, 236, 9 f.
[33] Vgl. a.a.O. 32, 362, 7-12.
[34] „Ein schuster, ein schmid, ein bawr, ein yglicher seyns handtwerks ampt und werck hat, … unnd ein yglich sol mit seinem ampt odder werck denn andern nutzlich und dienstlich sein, … gleich wie die glidmaß des corpers alle eyns dem andern dienet.“, a.a.O. 6, 409, 5-10.
[35] Vgl. a.a.O. 8, 618, 5 f; 12, 133, 7-10.
[36] Vgl. a.a.O. 23, 514, 33 f; 2, 480, 4-6.
[37] Vgl. a.a.O. 6, 263, 5-9; 32, 324, 26-37; 43, 340, 22-24.
[38] A.a.O. 2, 734, 24-28.
[39] A.a.O. 41, 210, 25-28.
[40] Vgl. a.a.O. 12, 309, 24-27; Aarts, Lehre, 269-277.
[41] WA 12, 180, 1-4.
[42] Vgl. Brunotte, Amt, 83. 84 Anm. 61.
[43] Vgl. so auch Voß, Gedanke, 45: „Die geistlichen Opfer sind der tägliche Vollzug des Taufgeschehens.“.
[44] „Und nicht allein bittet er fur uns, sondern gibt auch uns, das wir thuren und konnen selbs zu Gott bitten“, WA 41, 191, 17-19.
[45] „Und hie sihestu, das Christus ein yeglichen Christen uffwirfft und eynsetzt das predig amt des eusserlichen worttis, denner ist selbs komen mit disem ampt und eusserlichen wort.“, a.a.O. 12, 521, 22-24.
[46] Vgl. a.a.O. 50, 245, 1-4.
[47] Vgl. a.a.O. 41, 196, 8-16.
[48] „ein jglicher nach seinem beruff und stand, Denn ob wir wol nicht alle im offentlichen Ampt und Beruff sind, so sol und mag doch ein jglicher Christ seinen nehesten Leren, unterrichten, vermanen, trosten, straffen durch Gottes wort, wenn und wo jemand das bedarff, Als Vater und Mutter jre Kinder und Gesinde, Ein Bruder, Nachbar, Burger oder Bawer den andern“, a.a.O. 41, 211, 17-22.
[49] Zur Unterscheidung zwischen erlaubter und unerlaubter Aktivität vgl. Lieberg, Amt, 70; Brunotte, Amt, 159.163.
[50] „Wenn die priesterliche gewalt allen Christen gemein ist, so folgt, daß niemand dieselbige ausüben dürfe, er sey denn von allen hierzu erwählet, obgleich ingeheim ein jeder seinen Bruder nach dem Evangelio erinnern kann.“, WA 10/3, 107, 18-22.
[51] A.a.O. 8, 253, 30-32.
[52] A.a.O. 12, 309, 3-7.
[53] Dagegen hält Stein – m.E. nicht überzeugend –, daß „nicht alle dieselben Geistesgaben haben“, Kirchliches Amt, 140; ebenfalls Lieberg, der darin sogar die Begründung für das ordinierte Amt sieht, Lieberg, Amt, 80.
[54] WA 12, 309, 7-9.
[55] Barth versucht, diese Widersprüchlichkeiten durch die Trennung des jüngeren von dem älteren Luther zu entschärfen, vgl. Barth, Priester, 49-53.
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