Die vorliegende Arbeit fokussiert die Beobachtung als qualitatives Erhebungsverfahren und deren Einsatzmöglichkeit im Rahmen des individuellen Handlungsverstehens.
Besonderer Schwerpunkt gilt hierbei der teilnehmenden (unstrukturierten) Beobachtung, da dieses Verfahren vornehmlich geeignet erscheint, das soziale oder direkte Handeln von Menschen zu erfassen und aus der Perspektive des Partizipienten heraus, dem den Handeln zugrundeliegenden subjektiven Sinn eine objektive Bedeutung beizumessen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemaufriss: quantitative vs. qualitative Forschung
1.1.1 Forschungsperspektiven qualitativer Forschung
1.1.2 Einsatz unterschiedlicher Verfahren
1.2 Zusammenfassung
1.3 Ziel und Aufbau der Arbeit
2 Die Beobachtung als subjektbezogener Ansatz
2.1 Beobachtungstypen
2.2 Die teilnehmende Beobachtung
2.3 Verhalten vs. Handeln als Gegenstand der Beobachtung
2.4 Zusammenfassung
3 Diskussion
3.1 Die Beobachtung: Möglichkeiten zur Handlungserfassung und zum Handlungsverstehen
3.2 Interpretation von Daten und deren Aussagekraft
4 Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Gründe gegen eine naturwissenschaftlich ausgerichtete Soziologie und Ethnologie
Abb. 2: Grundlegende Sinnkonzepte qualitativer Sozialforschung
Abb. 3: Quantitative und qualitative Forschung
Abb. 4: Klassifikation von Beobachtungsverfahren
Abb. 5: Kennzeichen der teilnehmenden Beobachtung
Abb. 6: Beobachtungstypen und deren Merkmale
Abb. 7: Entwurfs-Handlungs-Struktur nach Schütz
Abb. 8: Dimensionen des Erkenntnisstils nach Schütz
1 Einleitung
1.1 Problemaufriss: quantitative vs. qualitative Forschung
In der sozialwissenschaftlichen Forschung wird seit vielen Jahren darüber debattiert, was wohl unter dem Aspekt der Wissenschaftlichkeit der „bessere“ Ansatz wäre, um „härtere“, d.h. aussagekräftigere, Daten zu erheben. Diese Debatten um eine quantitative vs. qualitative Orientierung haben die Entwicklung der Sozialwissenschaften seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder begleitet. Gebracht haben diese allerdings nichts, sonder eher ein Durcheinander gefördert (vgl. Mruck & Mey, 2005).
Nach Vidich & Lyman (1994, in Morse & Field, 1998) ist die quantitative Forschung mit dem Ziel verbunden, nach Ursachen und Fakten aus der Sicht „von außen zu suchen oder zu versuchen, die Welt objektiv zu sehen. Durch die Wahl der Stichprobe soll eine bestimmte Zielgruppe repräsentiert werden (vgl. Witt, 2001). Treumann (1986) sieht beispielsweise den Vorteil des Einsatzes quantitativer Methoden darin begründet und erachtet dies als sinnvoll, „[...] wenn das zu analysierende soziale Phänomen deutlich strukturiert ist und der Untersucher selbst ein klares Bild von dieser Struktur besitzt, die es ihm ermöglicht, Objektbereiche festzulegen, Hypothesen zu bilden und hinreichend angemessene Operationalisierungen vorzunehmen“ (Treumann, 1986, 199 in Wolf, 1995, 317). Girtler (1984) spricht sich jedoch an dieser Stelle gegen eine naturwissenschaftlich ausgerichtete, „positivistische“ Soziologie und Ethnologie aus und begründet dies folgendermaßen:
„Die sozialen Phänomene (‚Tatsachen’) existieren nicht außerhalb des Individuums [...], sondern sie beruhen auf den Interpretationen der Individuen einer sozialen Gruppe.
Soziale Phänomene sind nicht so ohne weiteres ‚objektiv’ zu identifizieren. Viel eher sind sie als soziale Handlungen von ihrem Bedeutungsgehalt her bzw. je nach Situation anders zu interpretieren.
Quantitative Messungen u.ä. Techniken können soziales Handeln nicht ‘wirklich’ festhalten, sie beschönigen höchstens die diversen Fragestellungen. Tatsächlich führen sie sehr häufig dazu, dass dem Handelnden unterschoben wird, seine Handlung hätte eine bestimmte Bedeutung, die jedoch viel eher die des Soziologen ist als die des Handelnden.
Es ist problematisch, wie es allgemein in den Naturwissenschaften gefordert wird, vor der Untersuchung Hypothesen aufzustellen, um diese dann zu testen. Denn dies würde bedeuten, den Handelnden etwas aufzuzwingen, was sie vielleicht gar nicht ihrem Handeln zugrundegelegt haben“.
Abb. 1: Gründe gegen eine naturwissenschaftlich ausgerichtete Soziologie und Ethnologie
(nach Girtler, 1984, 26)
Im Unterschied zur quantitativen Forschungsperspektive bezeichnet qualitative Forschung ein recht breites Spektrum an Orientierungen und Verfahren, mit dem jeweils „sehr unterschiedliche theoretische, methodologische und methodische Zugänge zur sozialen Wirklichkeit“ (von Kardorff, 1991, 3 in Mruck & Mey, 2005, 6) verbunden sind. Wie Vidich & Lyman (1994, in Morse & Field, 1998) ausführen, ist die Verwendung qualitativer Methoden dann sinnvoll, wenn ein Phänomen aus der subjektiven Perspektive, also von einem „naiven“ Standpunkt aus angegangen wird. Ziel hierbei ist es, „ein Problemfeld durch die Auswahl der Befragungspersonen zu repräsentieren“ (Witt, 2001, 7).
1.1.1 Forschungsperspektiven qualitativer Forschung
Das qualitative Forschungsfeld ist gekennzeichnet durch die Einnahme verschiedener Perspektiven, die abhängig vom jeweiligen Interesse des Forschers und der damit verbundenen Zielsetzung sind. Zur allgemeinen Unterscheidung lassen sich folgende drei Zielsetzungen konstatieren (vgl. Lüders & Reicherts (1986, in Lamnek, 2005): a) der Nachvollzug des subjektiv gemeinten Sinns, b) die Deskription sozialen Handelns und sozialer Milieus sowie c) die Rekonstruktion von Strukturen (vgl. Abb. 2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Grundlegende Sinnkonzepte qualitativer Sozialforschung
(nach Lamnek, 2005, 30)
Die beiden ersten Ansätze sind einer eher deskriptiv orientierten Forschungspraxis zuzuordnen, während die letzte Forschungsperspektive eine in erster Linie grundlagentheoretische Orientierung einnimmt. „Dementsprechend setzten die beiden ersten Ansätze das Schwergewicht auf die Datengewinnung und auf die Ausbildung adäquater Erhebungsverfahren, während die explanativ-rekonstruktiven Ansätze der dritten Forschungsperspektive eher am Auswertungsprozess und an geeigneten Interpretatationsverfahren interessiert sind“ (Lamnek, 2005, 29).
Im Vergleich der oben genannten Perspektiven erscheinen die beiden ersten Bereiche, der Nachvollzug des subjektiv gemeinten Sinns und die Deskription sozialen Handeln thematisch relevant, da hierbei zum einen die Dokumentation und Archivierung subjektiver Äußerungen und zum anderen die Rekonstruktion der Regeln sozialen Handelns im Mittelpunkt stehen (vgl. Lamnek, 2005). In methodischer Hinsicht haben in diesem Zusammenhang der Einsatz des qualitativen Interviews und die teilnehmende Beobachtung Vorrang.
1.1.2 Einsatz unterschiedlicher Verfahren
Im Rahmen der qualitativen Forschung nimmt die Beobachtungsmethode als Erhebungsverfahren eine besondere Stellung ein. Der Einsatz der Beobachtung als „Abbildungsmethode der Realität“ (Faßnacht, 1979, 45) dient dem besseren Verstehen menschlichen Handelns und erfreut sich zunehmender Beliebtheit, z.B. in der ethnografisch-soziologischen Forschung (vgl. Kalthoff, 2003)[1]. Vor allen Dingen in qualitativen Studien im Bereich der Pflegewissenschaft findet diese Methode eine breite Anwendung, gerade wenn es darum gehen soll, einen Einblick in die natürliche Lebenswelt von Personen zu bekommen (vgl. Beyer, 2002, Mergen, 2001, Bosch, 1998, Wilhelm, 1998, Koch-Straube, 1997). Für die Datenerhebung hat besonders die teilnehmende Beobachtung eine breite Resonanz erfahren und stellt diesbezüglich die zweithäufigste Technik dar (vgl. Morse & Field, 1998).
Im methodischen Zusammenhang allgemein betrachtet, äußert Grümer (1974, in Girtler, 1984), dass ein Unterschied zu anderen Methoden, wie etwa dem Experiment oder Interview, festgestellt werden kann. So besteht beispielsweise – im Gegensatz zur Beobachtung – das Grundprinzip des Experiments in der bewussten Manipulierung des Untersuchungsgegenstandes. Auch im Vergleich zum Interview, dass, wie Grümer weiter konstatiert, oftmals die beiden Eingriffe der Beobachtung und des Interviews verwechselt, existiert ein vehementer Unterschied: „Während der Beobachter darauf achten soll, nicht auf den zu Beobachtenden einzuwirken, ist der Interviewer immer ein Übermittler eines Stimulus, auf den die Befragten reagieren sollen.“ (Grümer, 1974, in Girtler, 1984, 44).
1.2 Zusammenfassung
Wolf (1995) führt im Rahmen der Positionsabgrenzung zwischen qualitativer vs. quantitativer Forschung aus, „[...] dass von dem qualitativen oder von dem quantitativen Paradigma schwerlich gesprochen werden kann“ (Wolf, 1995, 312). Auch Lamnek (1988) betont, [...] dass es eine verbindliche oder auch nur einheitliche Methodologie qualitativer Sozialforschung nicht gibt, sondern das Etikett ‚qualitativ’ vielmehr als eine Art Sammelbegriff fungiert, dem sich oft recht unterschiedliche grundlagentheoretische Positionen und Verfahren der empirischen Forschung zuordnen lassen“ (Lamnek, 1988, 30 in Wolf, 1995, 312). Gleiches gilt daher für die quantitative Position (vgl. Wolf, 1995). Beide Methoden sind in der folgenden Übersicht in wichtigen Merkmalen noch einmal zusammenfassend dargestellt (Abb. 3):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
[1] „Die Beobachtung gilt als das ethnographische Basisverhalten schlechthin. Sie dient dazu, Sinneseindrücke zu gewinnen, Erfahrungen zu machen und Phänomene zu registrieren – nach dem Prinzip ‚Nichts ist a priori unwichtig, um das Feld kennenzulernen’. Fokussierungen der Beobachtung ergeben sich idealerweise theoriebildungsgeleitet während des Forschungsprozesses – und zwar tendenziell zunehmend (mit gelegentlichen gegenläufigen Entwicklungen).“ (Hitzler & Honer, 1997, 13)
- Citation du texte
- Dipl.-Pflegewirt (FH) Gerrit Beyer (Auteur), 2007, Die Beobachtung als Methode zur Erfassung von sinnlich wahrnehmbarem Handeln, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77582
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