Diese Arbeit soll im Folgenden den Aufbau beider Geschichten untersuchen und vergleichen, die fantastischen Elemente herausarbeiten und die Beschreibung des Raumes und der Natur als erzählerisches Mittel untersuchen. Bezüglich der beiden Ausarbeitungen des Textes steht natürlich auch die Frage im Raum, warum zwei Variationen existieren? Ist das Thema zu komplex für einen einzigen Text, oder zwangen neue Erkenntnisse bezüglich des Themas zu einer „Aktualisierung“, oder erschien Maupassant die perfekte Geschichte mit der ersten Variation noch nicht erreicht?
Inhalt
1. Einleitung
2. Das Fantastische
2.1 Definition des Fantastischen
2.2 Untersuchung der Texte : Aufbau der beiden Contes
2.2.1 «La Peur 1»
2.2.2. «La Peur 2»
2.3 Sprachliche Mittel
2.4. Darstellung des Raumes
2.5 Vergleich des Aufbaus beider Contes
2.6 Die Fantastischen Elemente in Peur 1 und 2 und die Umsetzung der Prämissen Todorovs
3. Schlussworte
4. Literaturverzeichnis
Quellen
Sekundärliteratur
„Die Angst hat viele Gesichter“
1. Einleitung
„La Peur“, die Angst, ein Urinstinkt oder ein Urmotor zur Entrinnung gefährlicher Situationen, steckt in jedem Lebewesen. Gleichzeitig ist es vielen Menschen unangenehm dieses Gefühl zuzugeben, zu empfinden oder darüber nachdenken zu müssen. Man hat ein ambivalentes Gefühl.
La Peur ist auch der Titel zweier „Contes fantastiques“ von Guy de Maupassant, die in den Jahren 1882 und 1884 erschienen sind. Die «Contes fantastiques» gehören einer literarische Gattung an, die im 19. Jahrhundert in Frankreich entstand. Vorbilder waren Novellen von E.T.A. Hoffmann und die Erzählungen Edgar Allen Poes über das psychologisch Unheimliche. Hauptvertreter in Frankreich waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Théophile Gaultier, dessen Texte die fantastischen Erlebnisse in biologischen Dämmerzuständen beschreiben. In der zweiten Hälfte war es der hier behandelte Guy de Maupassant. Er beschäftigt sich mit den Emotionen und Phantasiegebilden, die sich im Unterbewussten des Menschen entwickeln und ist damit den Themen der zu dieser Zeit jungen Wissenschaft der Psychologie sehr nahe. Auch die beiden «Contes», die Betrachtungsgegenstand dieser Arbeit sind, fallen in diese „psychologisch-fantastische“ Erlebniswelt.
Beide Texte gehören dem Themenkomplex der „Contes d´angoisses“ an, die Maupassant in den 70er bis 90er Jahren des 19. Jahrhunderts geschaffen hat. Allein aus diesem Komplex gibt es mehrere, gleichnamige Geschichten, die Maupassant in zwei verschiedenen Variationen zu Papier gebracht hat, z.B. „La Main“, „Le Horla“.
Diese Arbeit soll im Folgenden den Aufbau beider Geschichten untersuchen und vergleichen, die fantastischen Elemente herausarbeiten und die Beschreibung des Raumes und der Natur als erzählerisches Mittel untersuchen. Bezüglich der beiden Ausarbeitungen des Textes steht natürlich auch die Frage im Raum, warum zwei Variationen existieren? Ist das Thema zu komplex für einen einzigen Text, oder zwangen neue Erkenntnisse bezüglich des Themas zu einer „Aktualisierung“, oder erschien Maupassant die perfekte Geschichte mit der ersten Variation noch nicht erreicht? Aufgrund des Umfanges kann auf diese Fragen nicht tiefer eingegangen werden. Zur Vereinfachung wird im Folgenden die ältere Version von „La Peur“ als Peur 1 und die jüngere als Peur 2 bezeichnet.
2. Das Fantastische
Welche pragmatischen und inhaltlichen Vorraussetzungen müssen gegeben sein, um einer «conte» die Eigenschaft «fantastique» beizufügen? Hierzu soll zunächst anhand Todorov der Begriff des „Fantastischen“ sowie die Prämissen des Fantastischen geklärt werden.
2.1 Definition des Fantastischen
Tvetan Todorov führt in seiner « Introduction à la littérature fantastique» folgende Definition des Fantastischen an:
«Le fantastique…se caractérise…par une intrusion brutale dans le cadre de la vie réelle.» (Pierre Castex)[1]
«Le récit fantastique… aime nous présenter, habitant le monde réel où nous sommes, des hommes comme nous, placés soudainement en présence de l´inexplicable.» (Louis Vax)[2]
«Tout le fantastique est rupture de l´ordre reconnu, irruption de l´admissible au sein de inaltérable légalité quotidienne.» (Roger Caillous)[3]
Die Gemeinsamkeit der Definitionen liegt im Einbruch des Unerklärlichen in das tägliche Leben. Neben einer eigenen Definition:
«Le conte fantastique, c´est l´hésitation éprouvée par un être qui ne connaît que les lois naturelles, face à un événement en apparence surnaturel.»[4] führt er vier weitere Bedingungen an, die eine «Conte» beinhaltet, um als fantastisch zu gelten.
1. «L´ hésitation du lecteur»[5]
2. « s´identifier à aucun personnage»[6]:
3. «le lecteur refusera aussi bien l´interprétation allégorique et l´interprétation poétique»[7]:
Zu diesen Bedingungen, die sich auf der Ebene der Histoire und dem Lesevorgang bewegen, fügt Todorov eine weitere Bedingung auf der Ebene des Discours hinzu:
4. Bestimmter Textkonstituenten: «L´énoncé» („geflügelten“ Worte und Übertreibung)[8],«l´énonciation» (Darstellungsmodus)[9] und einem «aspect syntaxique »(eine bestimmte Kompositionsstruktur von Text und Satzbau).[10].
Inhaltlich liegt das gattungstypische Merkmal also in der „Ambiguierung der dargestellten Wirklichkeit zwischen realistischen und übernatürlichen Aspekten sowie der daraus resultierenden „Unschlüssigkeit“ des Lesers“[11] und einer speziellen sprachlichen Textgestaltung.
Im Folgenden soll der Aufbau, die sprachlichen Mittel und die Gestaltung des Raumes beider Texte untersucht werden um anschließend den Aspekt des Fantastischen herauszuarbeiten.
2.2 Untersuchung der Texte : Aufbau der beiden Contes
Beide Texte setzen sich aus zwei Ebenen zusammen:
Einer Rahmenhandlung, die die Unterhaltung einer Schicksalsgemeinschaft auf einer Reise beinhaltet, und Binnererzählungen, hier Episoden genannt, die infolge dieser Unterhaltung erzählt werden, und die eigentlichen „unerhörten Begebenheiten“[12] darstellen. Die Erzählstruktur der Rahmenhandlung ist linear, unterbrochen von den Episoden, in der sich Spannung, Zeit und Handlung ebenso geradlinig entwickeln.
2.2.1 «La Peur 1»
« Peur 1» beginnt in „medias res“ und kann in fünf Sinneinheiten aufgegliedert werden. In der Einleitung führt ein homodiegetischer Erzähler mit interner Fokalisation in die Geschichte ein. Die Rahmenhandlung spielt an Bord eines Schiffes, nach Abschluss des Diners unterhält sich eine Gesellschaft von 6-8 Personen auf der Brücke. Gesprächsinhalt ist, wie der Titel verrät, die Angst.
Im zweiten Teil tritt der Erzähler hinter einem der Reisenden «l´homme au teint bronzé»[13] zurück. Es folgt ein erster Definitionsversuch des Phänomens Angst:
«Cela a lieu dans certaines circonstances anormales, sous certaines influences mystérieux, en face de risques vagues. La vraie peur, c´est quelque chose comme une réminiscence des terreurs fantastiques d´autrefois.»[14]
Im dritten Teil wird diese Definition durch eine Episode in der Wüste bekräftigt. Scheinbar angekündigt durch ein Trommeln, «la mort est sur nous»[15] fällt der beste Freund des Erzählers tot vom Pferd[16]. Sprachliche Mittel werde bewusst eingesetzt:
a.) Zunächst wird durch stetige Wiederholung und Aneinanderreihung von gegensätzlichen Wortpaaren das gleichförmige Auf und Ab in der Wüste unterstrichen: «Il faut gravir ces lames de cendre d´or, redescendre, gravir encore, gravir sans cesse, sans repos et sans ombre.»[17]
b.) Die nächste Spannungsstufe wird durch eine parataktische Reihung beschrieben:
«Et voilà que tout à coup mon compagnon, mon ami, presque mon frère, tomba de cheval, la tête en avant, foudroyé par une insolation.»[18]
c.)Wiederholung von Wörter, Aneinanderreihung von Nebensätzen gipfeln in inhaltlichen Ausnahmesituationen:
«…Et je sentais se glisser dans mes os la peur, la vraie peur, la hideuse peur, en face de ce cadavre aimé, dans ce trou incendié par le soleil entre quatre monts de sable, tandis que l´écho inconnu nous jetait, à deux cents lieues de toute village français, le battement rapide du tambour.»[19]
[...]
[1] Todorov ( 1993:30)
[2] Ders. S. 30-31
[3] Ders. S. 31
[4] Ders S.30
[5] Ders. S 36
[6] Ders. S. 36
[7] Ders. S.38
[8] Vgl. Ders. S. 82-87
[9] Vgl. Ders. S. 87-91
[10] Vgl. Ders. S. 81,. S. 91-96
[11] Wehr (1997: 186)
[12] Johann Peter Eckermann
[13] Forestier (1974: 601 Z. 3)
[14] Ders. S.601 Z. 11-15
[15] Ders. 602 Z. 31
[16] Ders. 601, Z. 31-40, 602, 603, Z.1-2
[17] Ders. S. 602, Z.12-14
[18] Ders. S.602, Z.31-34
[19] Ders. S.602, Z.38-43
- Quote paper
- Anna Becker (Author), 2007, Aspekte des Phantastischen in Maupassants "La Peur", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77261
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