Auf den folgenden Seiten soll eine Annäherung an die Pädagogik Célestin Freinets stattfinden. Nach einer kurzen biographischen Hinführung, sollen die Grundidee seiner Konzeption überblicksweise vorgestellt und politische wie sozialgeschichtliche Hintergründe durchleuchtet werden. In einem zweiten Teil wird das pädagogische Konzept Freinets auf seinen Utopie- und Wirklichkeitsgehalt überprüft und abschließend kommentiert.
Aufgrund von einschlägiger Sekundärliteratur und eigenen Schlussfolgerungen, soll dem interessierten Leser ein breiter Zugang zur Freinet-Pädagogik und deren Konzeptionsgeschichte verschafft werden. Auf detaillierte Beschreibungen seiner Arbeitstechniken und seiner aktuellen Bedeutung, wird auf Grund einer vereinfachten und überblickartigen Darstellung verzichtet.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Anliegen und Grundprinzipien der Freinet-Pädagogik
a) Die Persönlichkeit Freinets
b) Grundidee und Lebensphilosophie Freinets
c) Politisch-sozialgeschichtlicher Kontext
Zwischen Utopie und Wirklichkeit
a) Schule als konkrete Utopie?
b) Freinet-Pädagogik und die Gegenwart
Abschließende Gedanken
Literaturverzeichnis
Einleitung
Versucht man eine wissenschaftliche Diagnose des Gedankengutes Célestin Freinets zu erstellen, fällt es einem nicht leicht, aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive, eine genaue Standortbestimmung seiner Anliegen vorzunehmen. Zwar verhalfen seine Errungenschaften der Reform- und Befreiungspädagogik zu neuen Impulsen und prägen bis heute durch diverse Lehr- und Lerntechniken den Alltag an manchen Schulen, doch mangelt es an einem gehaltvollen Diskurs über seine wissenschaftliche Theorie, da diese schlichtweg nicht existiert[1]. So lassen sich lediglich Signaturen seiner Pädagogik kennzeichnen, eine genaue Lokalisierung seiner Rezeptions- und Ideengeschichte scheint aber schwierig. Die Grundzüge seiner Pädagogik sind von solcher Vielgestaltigkeit geprägt, dass sie ohne ein ingeniöses erziehungswissenschaftliches Dogma auskommen. Eine, leider häufig, verzerrte ideologiegeschichtliche Perspektive, gibt nur teilweise Einblicke in das Denken und Handeln des südfranzösischen Reformpädagogen. Sie kommt genauso kurz, wie eine poltisch-idealistische Stigmatisierung seines Schaffens. Vielmehr scheint der Zugang zum Vermächtnis der Freinetschen Pädagogikansätze in seinem genuinen Praxis- und Freiheitsverständnis verborgen zu liegen. Dieses steht unmittelbar im Vordergrund seiner Ansätze und liefert den Quasi-Beweis für seine eklektische und autodidaktische Arbeitsweise.
Auf den folgenden Seiten soll eine Annäherung an die Pädagogik Célestin Freinets stattfinden. Nach einer kurzen biographischen Hinführung, sollen die Grundidee seiner Konzeption überblicksweise vorgestellt und politische wie sozialgeschichtliche Hintergründe durchleuchtet werden.
In einem zweiten Teil wird das pädagogische Konzept Freinets auf seinen Utopie- und Wirklichkeitsgehalt überprüft und abschließend kommentiert.
Aufgrund von einschlägiger Sekundärliteratur und eigenen Schlussfolgerungen, soll dem interessierten Leser ein breiter Zugang zur Freinet-Pädagogik und deren Konzeptionsgeschichte verschafft werden. Auf detaillierte Beschreibungen seiner Arbeitstechniken und seiner aktuellen Bedeutung, wird auf Grund einer vereinfachten und überblickartigen Darstellung verzichtet.
Anliegen und Grundprinzipien der Freinet-Pädagogik
a) Die Persönlichkeit Freinets
Célestin Jean-Baptiste Freinet wurde am 15. Oktober 1896 als fünftes von sechs Kindern in Gars, in Südfrankreich, geboren. Im bäuerlichen Betrieb seiner Eltern lernte er das harte aber fruchtbare Landleben in der Provinz kennen und schätzte das Natürliche und Ursprüngliche seiner Dorfgemeinschaft Zeit seines Lebens[2]. Als Freinets eindrücklichstes Erlebnis seiner Jugend- und Früherwachsenenzeit, gilt der Erste Weltkrieg, der seine Ausbildung am Lehrerseminar unterbrach und durch den er eine Schussverletzung davon trug[3], die sein Schaffen beeinträchtigte aber nicht aufhielt. 1920 trat Freinet eine erste Lehrerstelle in Bar-sur-Loup, in der Verwaltungseinheit Grasse, an. In der darauf folgenden Zeit arbeitete Freinet akribisch und praxisorientiert an seinem pädagogischen Konzept und engagierte sich in Kongressen, Gewerkschaften und Zeitschriften für die Anliegen einer Schulreform. Immer mehr neue Techniken wurden von ihm an seiner Schule eingeführt; vor allem seine Schuldruckerei (1924) sorgte für großes Aufsehen. 1926 heiratete er Élise Lagier-Bruno, eine politisch und künstlerisch aktive Sozialistin. Freinet trat noch im selben Jahr der kommunistischen Partei Frankreichs bei. Aus der inzwischen etablierten Schuldruckerbewegung wurde eine Kooperative geschaffen, in der Célestin und Élise Freinet sehr aktiv waren.
1929 nahm Freinet eine Stelle in Saint-Paul, ebenfalls im Verwaltungsbezirk Grasse, an. Hier kam der reformpädagogische Eifer Freinets in Konflikt mit den alten Strukturen. Er versuchte die ärmliche Bevölkerung politisch zu organisieren und kritisierte den miserablen Zustand der Schule. Sein Kampf für die Anliegen der sozial schwächeren Schichten und sein schulisches Engagement riefen nationales Interesse hervor. Vor allem durch seine Beanstandungen gegenüber der Schulverwaltung kam es zur Eskalation, wodurch er 1933 zurück nach Bar-sur-Loup versetzt wurde. Wegen seiner Tuberkulose, die Folge der Kriegsverletzung, hatte sich Freinet 1931 zwei Jahre lang krankschreiben lassen. 1934 errichtete Freinet mit seiner Frau eine (Internats-) Schule in Vence und eröffnete diese in koedukativem Unterricht mit einem guten dutzend Schülern. Die Schriften seiner Lehrerkooperative und seine Schulzeitungen wurden 1939 zensiert. Freinet wurde ein Jahr darauf wegen kommunistischer Agitation und Subversion verhaftet und musste unter dem Vichy-Regime in mehreren Internierungslagern verweilen, wo er seine Hauptschriften abfasste. Erst 1946 eröffnete er seine Schule in Vence erneut, lebte aber mit seiner Frau in Cannes, wo sie sich ausschließlich der Organisation und dem Aufbau der Kooperative der pädagogischen Bewegung widmeten. 1947 kam es zur Gründung der Pädagogik-Kooperative I.C.E.M. („Institut Coopératif de l’École Moderne“). Nach ideologischen Differenzen schieden die Freinets ein Jahr später aus der kommunistischen Partei aus, was in den folgenden Jahren zu öffentlichen Spannungen und Auseinandersetzungen führte. 1957 wurde eine internationale Freinet-Vereinigung gegründet. 1959 erschien eine neue interne pädagogische Zeitschrift als Diskussionplattform. Am 8. Oktober 1966 starb Freinet[4].
b) Grundidee und Lebensphilosophie Freinets
Das pädagogische Konzept Freinets war von Anfang an ein offenes Gebilde, ein „unvollendetes Kunstwerk“[5], das sich dynamisch weiterentwickelte und sich aus vielen Mustern zusammenfügte. Systemtheoretisch gesprochen[6], könnte man sagen, seine Pädagogik glich einem selbstreferenziellen, kognitiv offenen System, das seine Umwelt genau beobachtete und seine innere Struktur stets neu zu ordnen versuchte. Freinet erarbeitete nicht zielstrebig eine Pädagogik nach rotem Faden; seine Konzeption glich eher einem Konglomerat, das sich langsam aus verschiedenen reformpädagogischen Ideen, Visionen und Wünschen herauskristallisierte. Dabei stand der pragmatische Aspekt stets im Mittelpunkt seines Schaffens.
[...]
[1] Freinet dokumentierte zwar zahlreiche pädagogische und psychologische Techniken und Grundgedanken, lehnte aber eine akademische Interpretation seiner Arbeit stets ab und reduzierte die Erziehungswissenschaft auf ihren Praxisgehalt. Seine Schriften zielten darum nicht auf den Anspruch ab, eine eigene Pädagogik theoretisch zu etablieren oder zu begründen, sondern legten vielmehr die alltägliche Praxiserfahrung und Übung dar, die er im Laufe der Jahrzehnte sammelte. Seine eklektische Arbeitsweise erinnert dabei an andere Reformpädagogen seiner Zeit. Vgl. dazu: Schlemminger, Gerald: Zur Biographie Célestin Freinets und zur Entwicklung der Grundzüge und Prinzipien seiner Pädagogik, in: Inge Hansen-Schaberg und Bruno Schonig (Hrsg.): Freinet-Pädagogik. Basiswissen Pädagogik. Reformpädagogische Schulkonzepte, Band 5. Hohengehren, 2002, S. 25-27.
[2] Durch seine Liebe zur Natur und dessen Gesetzmäßigkeiten steht Freinet in langer Tradition pädagogischer Eiferer, die die ländliche Umgebung als Hort der Erziehung preisen; allen voran Jean-Jaques Rousseau, dessen fiktiver Emile, aufgrund seiner unvollkommenen Selbstständigkeit, mit dem jungen Freinet allerdings wohl schlecht zu vergleichen ist. Vgl. auch Jörg, Hans: Célestin Freinet, die Bewegung “Moderne Schule” und das französische Schulwesen heute, in: Célestin Freinet: Die moderne französische Schule. Paderborn 1979, S. 151.
[3] Die Lungensteckschuss-Verletzung wurde in der Vergangenheit häufig als Argument für sein schulpädagogisches Engagement angeführt und man schlussfolgerte daraus auch seine pazifistische und sozialistische Lebenseinstellung. Vgl. dazu: Dietrich, Ingrid/Zaun, Roland (Hrsg.): Politische Ziele der Freinet-Pädagogik. Weinheim, Basel, 1982, S. 47. Man könnte aber die pazifistische Einstellung Freinets auch mit der Friedfertigkeit und Harmonie seiner kindlichen Umwelt erklären. Und sein antiautoritäres, auf Menschlichkeit und Selbstständigkeit ausgerichtetes Bildungsbewusstsein, kann man wohl eher auf die einschlägige Lektüre namhafter Reformpädagogen und Philosophen zurückführen, als auf die Kriegserfahrungen des erst knapp zwanzig Jährigen. Bekanntlich las Freinet im Lazarett Rousseau, Pestalozzi, Montaigne und Decroly und studierte die Schriften von Marx und Lenin. Vgl.: Jörg, Hans: Meine Begegnung mit Freinet und der Freinet-Pädagogik, in: Achim Hellmich und Peter Teigeler (Hrsg.): Montessori-, Freinet-, Waldorfpädagogik. Konzeption und aktuelle Praxis. Weinheim, Basel, 1992, S. 93 f.
[4] Vgl. Schlemminger, Gerald: Zu Biographie Célestin Freinets und zur Entwicklung der Grundzüge und Prinzipien seiner Pädagogik, in: Achim Hellmich und Peter Teigeler (Hrsg.): Montessori-, Freinet-, Waldorfpädagogik. Konzeption und aktuelle Praxis. Weinheim, Basel 1992, S. 35-43.
[5] Freinets Konzept lässt einen „offenen Schluss“ erkennen und ist keine abgeschlossene Lehrsammlung. So interpretiert beispielsweise jeder Freinet-Pädagoge das Konzept etwas anders. Außerdem werden neue Techniken, nach einer ausgiebigen Testzeit, in die Lehrmethoden aufgenommen. Die „Pädagogik“ Freinets ähnelt somit der „Poetik eines offenen Kunstwerks“, die Umberto Eco trefflich beschrieben hat.
[6] Ich denke hier an die Systemtheorie Niklas Luhmanns.
- Citation du texte
- Tobias Deppler (Auteur), 2007, Utopie & Wirklichkeit. Ein Annäherungsversuch an das pädagogische Konzept Célestin Freinets, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76889
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