Bei der vorliegenden Arbeit handelt sich um einen Unterrichtsentwurf, den die Autorin im Rahmen des Referendariats vorzubereiten hatte. Zielgruppe ist eine 7. Klasse eines Gymnasiums. Entwurf, Lehrprobe und Auswertung wurden mit 13 Punkten bewertet.
Inhalt
1. Pädagogische Situation der Klasse – Unterrichtsvoraussetzungen
2. Auswahl und Begründung der Stundenziele
3. Didaktisch – methodische Überlegungen
3.1. Textauswahl
3.2. Einordnung der Unterrichtsstunde in die Unterrichtseinheit
3.3. Begründung der didaktisch-methodischen Entscheidungen
4. Geplanter Stundenverlauf
5. Anhang
5.1. Sitzplan
5.2. Fragen zur Auswertung der Fortsetzungen (Folie)
5.3. Wortschlangentext für die Schüler
5.4. Kopie der Folie zum Vergleich des Wortschlangentextes
5.5. Geplantes Tafelbild
5.6. Beispiele für konstruierte Sprachen (Anschauungsmaterial)
5.7. Verschlüsselte Überschriften mit Code
5.8. Text: Peter Bichsel „Ein Tisch ist ein Tisch“
6. Literaturverzeichnis
1. Pädagogische Situation der Klasse – Unterrichtsvoraussetzungen
Die Klasse 71 besteht seit dem Schuljahr 2003/2004 in dieser Zusammensetzung. Ich selbst kenne die Klasse seit dem Beginn des Schuljahres 2005/2006 und unterrichte seit November 2005 von den insgesamt vier Wochenstunden Deutsch mindestens drei, gelegentlich auch vier. In der Klasse lernen zur Zeit 18 Schüler[1], d.h. die Klasse ist relativ klein, was ein intensives Arbeiten ermöglicht. Auffällig ist, dass der körperliche Entwicklungsstand zwischen den einzelnen Schülern innerhalb der Klasse sehr stark variiert. Wie es für diese Altersstufe typisch ist, haben einige Schüler den Schritt vom Kind zum Jugendlichen gewissermaßen „stärker“ vollzogen als andere. Im Vergleich zur Parallelklasse 72 fällt des Weiteren auf, dass die Schüler der Klasse 71 insgesamt betrachtet verspielter und kindlicher erscheinen.
Zwischen den Schülern der Klasse herrschen aus meiner Sicht nur wenige verlässliche soziale Bindungen. Zum einen besteht die Klasse aus sehr vielen dominanten Einzelpersönlichkeiten, die sich gegeneinander durchsetzen wollen. Dies ist zum Teil sicherlich altersbedingt, da mit dem Eintritt in die Pubertät ein stärkeres Bewusstsein der eigenen Persönlichkeit einhergeht. Eng verbunden damit ist das Bestreben, sich von anderen abzugrenzen und einen eigenen Standpunkt zu vertreten. Stellt man als Lehrer geeignete Themen bereit, so lässt sich dieses Verhalten im Unterricht sehr gut für Diskussionen in gelenkter oder weniger stark gelenkter Form nutzen. Auffällig ist auch, dass in der Klasse eine sehr starke Gruppenbildung vorliegt, wobei die Zugehörigkeit einzelner Schüler zu einer bestimmten Gruppe gelegentlich wechselt. Die Klasse tritt dem Lehrer eher selten als geschlossener Klassenverbund gegenüber, immer wieder sind es einzelne Schüler, die sich hervortun und dabei von den jeweiligen Gruppen unterstützt werden.
Insgesamt würde ich die Klasse als eine arbeits- und leistungsbereite beurteilen. Schüler mit einem außerordentlich hohen Allgemeinwissen sind C.[2], S., N., M., L. und X.. C. und M. haben zuweilen Schwierigkeiten ihr nahezu überschäumendes Wissen im Unterricht an der richtigen Stelle einzubringen und auch anderen, zurückhaltenderen Schülern die Möglichkeit zum Antworten zu geben. N. und St. sind ebenfalls sehr leistungsstark und bringen sich sehr gut in den Unterricht ein, wohingegen X. und N. etwas zurückhaltender sind. I. und Y. arbeiten vor allem im schriftlichen Bereich sehr gewissenhaft. Leistungsschwächere, aber dennoch motivierte Schüler sind S., V., D. und M.. Sie können sich über erbrachte gute Leistungen freuen, ärgern sich aber auch dementsprechend, wenn die Leistungen unter ihren Erwartungen liegen.
Zu Beginn des Schuljahres 2005/2006 sind einige Veränderungen in der Zusammensetzung der Klasse vorgenommen worden. Eine Schülerin hat die Klasse aus persönlichen Gründen verlassen und besucht jetzt die Parallelklasse 72. F. M. und J. R. sind als neue Schüler in die Klasse hinzugekommen. Trotz stetiger Integrationsbemühungen der Klassenleiterin und mir nehmen beide noch immer eine Außenseiterstellung ein. F. M. müsste vom Alter her eigentlich eine 9. Klasse besuchen, ist jedoch auf Grund der Diagnose eI. Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms zwei Jahre zurückgestuft worden. Das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom geht bei ihm mit einer Hochbegabung einher, die sich vor allem auf naturwissenschaftlichen Gebiet zeigt. Im Deutschunterricht fällt auf, dass er eine außerordentlich hoch entwickelte Reflexionsfähigkeit besitzt, die insbesondere dann zum Vorschein kommt, wenn es um das Einfühlen in Menschen und Situationen geht. Auch J. ist ein sehr intelligenter und vor allem phantasiereicher Schüler, verhält sich jedoch gelegentlich wie ein „zerstreuter Professor“, was von seinen Mitschülern nicht unbedingt positiv bewertet wird. Besondere Beachtung muss auch dem Schüler M. gewidmet werden, bei dem eine Lese-Rechtschreibschwäche festgestellt wurde. Er ist jedoch im Gegensatz zu F. und J. sehr gut in die Klasse integriert und bei den meisten Mitschülern beliebt.
Im Verlauf dieses Schuljahres habe ich mit den Schülern verschiedene Themen bearbeitet. Als besonders gewinnbringend habe ich die Arbeit an dem Film „Wer küsst schon einen Leguan“ (2003) und an dem Jugendroman „Nicht Chicago. Nicht hier“ (1999) von Kirsten Boie erlebt. Dabei habe ich festgestellt, dass in der Klasse ein unheimlich hoher Rede- und Äußerungsbedarf zu sozial- und gesellschaftskritischen Themen besteht. Die Mehrzahl der Schüler ist in der Lage, eine eigene Meinung zu vertreten. Defizite bestehen vor allem darin, die Diskussion nach Diskussionsregeln zu führen und anderen Schülern nicht ins Wort zu fallen. Freiere Arbeitsformen (z.B. Gruppenarbeit) lösen zunächst Unruhe aus, vor allem, wenn die Schüler mit Klassenkameraden zusammenarbeiten sollen, die sie nicht mögen. Die Gruppenbildung nimmt daher immer einige Zeit in Anspruch, sobald die Schüler jedoch in die Arbeit vertieft sind, arbeiten sie meistens sehr zielorientiert. Man kann die Klasse sehr gut durch Rätsel- und Wettbewerbsformen, also durch einen spielerischen Umgang mit Sprache motivieren, wobei man allerdings aufpassen muss, dass die hierbei aufkommende Begeisterung den unterrichtsfördernden Rahmen nicht sprengt.
Da ich in der Klasse auch oft in anderen Fächern hospitiert und zum Teil auch selbst unterrichtet habe (Einzelstunden in Englisch, fächerübergreifendes Arbeiten zum Thema „Mobbing“ mit Medienkunde) und gemeinsam mit der Klasse an außerunterrichtlichen Veranstaltungen teilgenommen habe (Ausstellungsbesuche, Projektwoche, Exkursion ins Heinz-Nixdorf-Museumsforum/Paderborn, Schüler-Elterngespräche) kenne ich die meisten Schüler recht gut. Es hat sich ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, das sich im Unterricht vor allem dadurch zeigt, dass die Schüler bereit sind, Themen anzusprechen, welche die Klasse selbst betreffen (z.B. der Bezug zur Klassensituation nach dem Lesen von „Nicht Chicago. Nicht hier“) oder auch dadurch, dass sie – natürlich in unterschiedlichem Ausmaß – persönliche Erfahrungen in den Unterricht einbringen.
2. Auswahl und Begründung der Stundenziele
Übergeordnete Ziele der Unterrichtseinheit:
- Die Schüler setzen sich mit der Situation alter Menschen in unserer Gesellschaft auseinander und fühlen sich in diese ein.
- Die Schüler bestimmen Sprache als Kommunikationsmittel und Voraussetzung zwischenmenschlicher Interaktion.
Stundenziele:
- Die Schüler beurteilen und bewerten die Fortsetzungen ihrer Mitschüler unter der Einhaltung von Diskussionsregeln.
- Die Schüler entwickeln am Beispiel der Kurzgeschichte „Ein Tisch ist ein Tisch“ von Peter Bichsel ihre Fähigkeiten im Erschließen von literarischen Texten weiter.
- Die Schüler entdecken verschiedenen Möglichkeiten des spielerischen Umgangs mit Sprache (Wortschlangentext, Vertauschen von Wörtern im Text, Codierung der Überschrift) und finden daran Freude.
Bei der Auswahl der Ziele war es mir wichtig, die drei Lernbereiche des Faches Deutsch (1) „Mündlicher und schriftlicher Sprachgebrauch“, (2) „Umgang mit Texten“ und (3) „Reflexion über Sprache“ in einen engen Zusammenhang zu stellen. Die Kurzgeschichte „Ein Tisch ist ein Tisch“ von Peter Bichsel ist dafür besonders geeignet, da hier ein literarischer Text vorliegt, dessen zentrales Thema menschliche Sprache als Mittel der Kommunikation ist. Laut Thüringer Lehrplan für das Gymnasium Deutsch erfährt die Lernkompetenz der Schüler in der Klassenstufe 7 im Lernbereich 2 „[...] Zuwachs durch die Qualifizierung der Fähigkeiten im Umgang mit Texten“.[3] Das übergeordnete Ziel von Lernbereich 3 besteht darin, dass die Schüler über „[...] Aspekte der Kommunikation [...]“ reflektieren.[4] Anhand des von mir gewählten Textes lassen sich einerseits die Fähigkeiten beim Erschließen von literarischen Texten weiterentwickeln, andererseits stellt er aber auch einen geeigneten Anlass dar, die Merkmale der menschlichen Kommunikation herauszuarbeiten und zu reflektieren, Lernbereich 2 und Lernbereich 3 können auf diese Weise eng miteinander verknüpft werden. Dies kommt der Forderung nach einem integrativen Deutschunterricht nach.[5] Ein Hauptziel der Unterrichtseinheit besteht darin, dass die Schüler Sprache als Kommunikationsmittel und Voraussetzung zwischenmenschlicher Interaktion erkennen. Die Lehrprobenstunde soll auf dieses übergeordnete Ziel hinarbeiten. In vollem Umfang kann es jedoch erst nach Abschluss der gesamten Unterrichtseinheit erreicht werden.
Wie unter Punkt 1 beschrieben, treten in der Klasse des Öfteren Schwierigkeiten auf, eine Diskussion nach Diskussionsregeln zu führen. Daher sehe ich ein wichtiges prozessuales Ziel darin, dass die Schüler in allen Unterrichtssequenzen, die Diskussionscharakter haben, verschiedene Meinungen zulassen bzw. in der Diskussion selbst auf die Meinung ihrer Vorredner eingehen, an diese anknüpfen oder sie begründet widerlegen. Dadurch soll insbesondere ein Beitrag zur Weiterentwicklung der Sozialkompetenz geleistet werden, da die Schüler über das Reflektieren über die eigene Sprachhandlung zu einem angemessenen Verhalten gegenüber ihren Mitschülern angehalten werden. Sie entwickeln somit ihre interaktiven und sozial-kommunikativen Fähigkeiten und Fertigkeiten weiter und lernen –entsprechend den Lehrplanzielen aus Lernbereich 1 – „[...] ihre Sprachhandlungen zunehmend differenziert nach Anlass und Adressaten [zu planen und zu realisieren]“.[6]
3. Didaktisch – methodische Überlegungen
3.1. Textauswahl
Im Mittelpunkt des Umgangs sowohl mit literarischen als auch mit pragmatischen Texten steht laut Thüringer Lehrplan in der Klassenstufe 7 die „[...] Weiterentwicklung des Lesenkönnens und die Erschließung von Texten“.[7] Die Begriffe „Lesenkönnen“ und „Erschließen von Texten“ zielen an dieser Stelle jedoch nicht allein auf die Fähigkeit zum Entziffern geschriebener Sprache im Sinne der Beherrschung einer Kulturtechnik oder auf das Erfassen eI. vermeintlich textimmanenten Sinnes ab. Es geht vielmehr um die Förderung von Lesekompetenz, d.h. um die aktive Auseinandersetzung des Lesenden mit dem Text, wobei der Prozess des Textverstehens auf einer selbsttätigen Konstruktionsleistung des Individuums beruht. Laut Günter Waldmann wird Gelesenes nur dann verstanden, wenn es vom Lesenden in sein persönliches, bereits bestehendes Sinnsystem eingeordnet werden kann. Lesen als „aktives Tun des Lesenden“ intensiviert sich laut Waldmann bei literarischen Texten, da die Sinnkonstitution auf Grund der Mehrdeutigkeit verlangsamt abläuft.[8]
Meine Textauswahl fiel auf die Kurzgeschichte „Ein Tisch ist ein Tisch“ von Peter Bichsel, da sie auf einer ersten Deutungsebene eine gewisse Einfachheit besitzt, die für die Sekundarstufe I angemessen ist, andererseits aber auch genügend Potenzial und Reibungsfläche für Diskussionen bietet. Wie unter Punkt 1 dieses Entwurfs beschrieben, besteht in der Klasse ein großer Diskussions- und Äußerungsbedarf zu sozial- und gesellschaftskritischen Themen. Die Situation alter Menschen in unserer Gesellschaft ist ein solches Thema, da viele alte Menschen heutzutage zunehmend von der Gesellschaft ausgeschlossen werden und in Isolation geraten. Ausgehend von dieser Themenstellung lässt sich auch auf das Verhältnis zwischen den Generationen, d.h. zwischen Jung und Alt, eingehen, so dass der Bezug zur Erfahrungswelt der Schüler hergestellt werden kann. Neben diesen inhaltlich-thematischen Aspekten war es mir wichtig, einen Text auszuwählen, der genügend Leerstellen aufweist, die von den Schülern in verschiedene Richtungen aufgefüllt werden können. Dieses „Auffüllen von Leerstellen“, das sich sehr gut durch produktive Verfahren, wie z.B. durch das „Fortführen des Anfangs eI. (den Schülern mit Sicherheit unbekannten) Erzähltextes“,[9] umsetzen lässt, stellt für die Schüler – insbesondere dieser Klasse – immer wieder eine Herausforderung dar, da es die Phantasie anregt und quasi zur Mitgestaltung des Textes auffordert.
Im Thüringer Lehrplan für das Gymnasium – Deutsch ist die Textsorte „Kurzgeschichte“ im Textsortenangebot für die Klassenstufe 7 nicht mit angegeben. Sie wird im Textsortenangebot erstmals für die Klasse 9 erwähnt.[10] Aus diesem Grund stehen die gattungsspezifischen Merkmale der Kurzgeschichte nicht im Mittelpunkt dieser Unterrichtsreihe, auch wenn bestimmte Gestaltungselemente, wie beispielsweise der unmittelbare Einstieg oder der Spannungsaufbau, am Rande mit angesprochen werden. Zentral sind für mich in dieser Unterrichtsreihe zum einen das Einfühlen in die Einsamkeit und Isolation des alten ML.s, welche durch das Erfinden einer eigenen Sprache noch auf die Spitze getrieben werden und zum anderen die Möglichkeit, die der Text an sich bietet, um über menschliche Sprache als Kommunikationsmittel zu reflektieren. Bildungstheoretisch lässt sich die Konzentration auf diese beiden Aspekte auch anhand des didaktischen Modells der „Kritisch-konstruktiven Didaktik“ von Wolfgang Klafki begründen, da beide Themen für die Schüler sowohl Gegenwarts- als auch Zukunftsbedeutung haben.[11] Empathie, im Sinne des Vermögens, sich in eine andere Person (die eben auch einer anderen Generation angehören kann) hineinversetzen zu können, ist eine Fähigkeit, welche die Schüler in ihrem gegenwärtigen und zukünftigen (Alltags)Leben beherrschen müssen, um erfolgreich mit anderen Menschen kooperieren zu können. Die Reflexion über Sprache und die damit verbundene Entwicklung eI. Sprachbewusstseins sollen schließlich zur Entwicklung „kommunikativer Handlungsfähigkeit und -fertigkeit“ beitragen, wie sie der Lehrplan als programmatischen Leitbegriff für den Deutschunterricht am Thüringer Gymnasium festschreibt.[12] Auch diese kommunikative Handlungsfähigkeit ist für das gegenwärtige und zukünftige Leben der Schüler von entscheidender Bedeutung, da die Schüler nur durch das Erlangen dieser Fähigkeit erfolgreich in Interaktion mit anderen Menschen treten können.
3.2. Einordnung der Unterrichtsstunde in die Unterrichtseinheit
Die Unterrichtsstunde ist die zweite innerhalb einer von mir mit vier Stunden veranschlagten Unterrichtseinheit. Die Stunde, die der Lehrprobe vorausgeht, steht unter der Überschrift „Alte Menschen in unserer Gesellschaft“ und soll die Schüler emotional auf den zu lesenden Text einstimmen. Die Schüler diskutieren zunächst, wie sie sich das Leben alter Menschen in unserer heutigen Zeit vorstellen. Dabei können sie Erfahrungen aus ihrer näheren Lebenswelt einbringen, indem sie sich z.B. auf das Leben ihrer Großeltern oder Urgroßeltern beziehen. Daraufhin lesen die Schüler den Beginn der Kurzgeschichte „Ein Tisch ist ein Tisch“ von Peter Bichsel, ohne dass ihnen dabei der Titel bekannt gegeben wird. Die Schüler beschreiben den alten Mann mit Hilfe von Textaussagen als müden und unauffälligen Menschen mit eintönig grauer Kleidung. Dies geht mit dem Lehrplan einher, in welchem das „Beschreiben von Personen [...], [das] Erfassen und Benennen des Wesentlichen und Typischen [...]“[13] unter Lernbereich 1 „Mündlicher und schriftlicher Sprachgebrauch“ eingeordnet ist. In einem zweiten Arbeitsschritt rekonstruieren die Schüler den Tages- und Wochenablauf des alten ML.s. Ausgehend von diesen Informationen ziehen sie Rückschlüsse auf seine Lebenssituation und beurteilen diese als stagnierend. Sie stellen fest, dass der alte Mann sich von anderen Menschen zurückgezogen hat, gleichzeitig aber auch aus seinem monotonen, tristen Leben ausbrechen will. Auch dieser Arbeitsschritt entspricht den Forderungen des Lehrplans, in dem das „[...] Erfassen und Werten von Figuren, des Figurenverhaltens und der Motive und Absichten von Figuren in epischen und dramatischen Texten[...]“[14] unter Lernbereich 2 „Umgehen mit literarischen Texten“ verortet ist.[15]
Da ich die Schüler nicht von vornherein mit dem Gesamttext „erschlagen“ möchte und sie zudem zu einem aktiven und produktiven Lesen anregen will, sollen sie in der ganzen Unterrichtseinheit abschnittsweise mit dem Text vertraut gemacht werden. Von einzelnen „Gelenkstellen“ ausgehend sollen sie dann – in schriftlicher oder mündlicher Form – Vermutungen über den Fortgang der Geschichte anstellen. Dies entspricht dem von Günter Waldmann beschriebenem „antizipativen Lesen“, das einerseits die Phantasie anregt und zudem ein sehr intensives und bewusstes Lesen fördert.[16] Der Text bietet sich dazu an, da er immer wieder überraschende Wendungen nimmt. Nach der 1. Stunde ist den Schülern die Kurzgeschichte bis zu der Stelle „´Jetzt wird sich alles ändern´, dachte er. [...] Er kam in seine Straße, nickte den Kindern zu, ging vor sein Haus, stieg die Treppe hoch, nahm die Schlüssel aus der Tasche und schloss sein Zimmer auf.“ (siehe Anhang 5.8.- Teil I) bekannt. Ausgehend von dieser Textstelle sollen sich die Schüler in der Hausaufgabe produktiv mit dem bisher gelesenen Textausschnitt auseinandersetzen: Durch „literarisch-kreatives Schreiben“[17] sollen sie eine aus ihrer Sicht mögliche Fortsetzung der Geschichte erstellen, die 10 bis maximal 12 Zeilen umfasst. Die Begrenzung auf diese geringe Zeilenanzahl nehme ich vor, damit die Fortsetzungen nicht „ausufern“ und in der Folgestunde eine zügige Präsentation gewährleistet werden kann. Auch diese Aufgabe steht in enger Verbindung zum Lehrplan, der das „[e]rzählerisch[e] [E]xperimentieren z.B. durch [U]m- oder [W]eitererzählen [...]“ im Lernbereich 1 unter dem Punkt „Anwenden spezifischer Lern- und Arbeitstechniken“ als Möglichkeiten des schriftlichen Sprachgebrauchs benennt. Ich gebe diese Aufgabe als Einzelaufgabe auf, weil ich möchte, dass sich jeder Einzelne nochmals intensiv mit dem bisher besprochenen Textausschnitt auseinandersetzt und eine individuelle Erwartungshaltung auf den weiteren Verlauf der Geschichte entwickelt.[18]
[...]
[1] Aus Gründen der Lesbarkeit wird in dieser Arbeit nur die männliche Variante verwendet. Dies bezieht die weibliche Variante jedoch ausdrücklich mit ein, so dass Personenbezeichnungen im Folgenden für beide Geschlechter gelten. In der Lehrprobenstunde werden mindestens drei Schüler fehlen, da sie in Vorbereitung auf die Projektwoche zum Thema „Drogen“ als Multiplikatoren ausgebildet werden.
[2] Um die Anonymität der Schüler zu wahren, wurden innerhalb dieses Entwurfs alle Namen abgeändert.
[3] Thüringer Kultusministerium (Hrsg.), Lehrplan für das Gymnasium – Deutsch, Saalfeld 1999, S. 30.
[4] Ebd., S. 32.
[5] „Die drei Lernbereiche sind weitgehend integrativ zu realisieren. [...] Der Forderung nach integrativer Anlage des Unterrichts entsprechen vielfältige Vernetzungen zwischen den Kompetenzen und den drei Lernbereichen.“ (Thüringer Lehrplan für das Gymnasium – Deutsch, S. 10.)
[6] Ebd., S. 28.
[7] Thüringer Lehrplan für das Gymnasium – Deutsch, S. 31.
[8] Vgl. dazu Günter Waldmann, Produktiver Umgang mit Literatur im Unterricht, Hohengehren 2004, S. 13-16.
[9] Günter Waldmann, Produktiver Umgang mit Literatur im Unterricht, S. 84.
[10] Thüringer Lehrplan für das Gymnasium – Deutsch, S. 44.
[11] Für Wolfgang Klafki ist die „didaktische Analyse“ der Kern der Unterrichtsvorbereitung. Die didaktische Analyse soll den Bildungsgehalt der vom Lehrplan schon vorgegebenen Bildungsinhalte freilegen. In der didaktischen Analyse fragt Klafki nach dem Gegenwartsbezug, dem Zukunftsbezug, der exemplarischen Bedeutung der Sachstruktur und der Zugänglichkeit eines zu vermittelnden Themas. Vgl. dazu Werner Jank und Hilbert Meyer, Didaktische Modelle, Berlin 2002, S. 217-240.
[12] Thüringer Lehrplan für das Gymnasium – Deutsch, S. 5.
[13] Thüringer Lehrplan für das Gymnasium – Deutsch, S. 28.
[14] Ebd., S. 30.
[15] Das Beschreiben des alten Mannes und das Rekonstruieren seines Tagesablaufs erfolgen in Anlehnung an einen Unterrichtsvorschlag aus dem Arbeitsheft „Arbeitsblätter Deutsch für SEK.I. Literatur, Lyrik, Texte“ von Rolf Esser (Mühlheim an der Ruhr, 1998).
[16] Vgl dazu: Günther Waldmann, Produktiver Umgang mit Literatur im Unterricht, S. 70.
[17] Vgl. dazu: Günther Waldmann, Produktiver Umgang mit Literatur im Unterricht, S. 2.
[18] Zur Funktion der Einzelarbeit vgl. auch: Wolfgang Matthes (Hrsg.), Methoden für den Unterricht. 75 kompakte Übersichten für Lehrende und Lernende, Paderborn 2002, S. 38.
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- Citar trabajo
- Hendrikje Schulze (Autor), 2006, Sprache als Kommunikationsmittel. Unterrichtseinheit zur Kurzgeschichte "Ein Tisch ist ein Tisch" von Peter Bichsel, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76857