Durch seinen skandalösen Auftritt bei dem Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt, bei der er sich 1983 die Stirn aufschnitt, wurde Rainald Maria Goetz berühmt. Die Fernsehkameras im Raum dokumentierten seine „Blut-Performance“, wodurch Goetz’ geplante Vermarktungsstrategie aufging und die Medien nach der Veranstaltung über den bis dato unbekannten Rainald Goetz geradezu ungebremst berichteten.
Das Grundprinzip der Grenzüberschreitung stellt die Brücke von Rainald Goetz’ Text „Subito“ und seinem multimedialen Skandal zu der Bewegung der Pop-Kultur her.
Neben einer Unterrichtsreihe zur Pop-Kultur kann „Subito“ im Sinne einer produktiven Lektüre im Deutschunterricht eingesetzt werden.
Inhalt
1. Einleitung
2. Der „Sensationsbluter“ von Klagenfurt
2.1 Der Ingeborg-Bachmann-Preis
2.2 Sommer 1983: Goetz betritt die Klagenfurter-Bühne
2.3 „Subito“: Ein kalkulierter Skandal
3. Die Bewegung der Popkultur
3.1 Pop: Transformation, Gesellschaftsbezug, Geheimcode
3.2 Zur historischen Entwicklung der Popkultur
3.3 Pop im Literaturbetrieb
4. „Subito“ als Pop-Ästhetik
4.1 Inhaltliche Aspekte
4.2 Sprachliche Aspekte
4.3 Komposition von Text und Aktion
5. „Subito“ im Unterricht: Das Sprachspiel beim kreativen Schreiben
6. Schlussbemerkung
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
1983 in Klagenfurt: Der Ingeborg-Bachmann-Preis geht in die sechste Runde. Heute, 24 Jahre später, fragt man sich, wer an diesem Tage den Preis für seine literarische Kunst erhalten hat. Diese Frage kann zum Beispiel durch das Archiv des Ingeborg-Bachmann-Preises beantwortet werden, doch die Erinnerung des Publikums oder auch derjenigen, die es erzählt bekamen oder in den Medien vernehmen konnten, gehört allein Rainald Maria Goetz. Durch seinen skandalösen Auftritt bei der Klagenfurter Veranstaltung, bei der er sich die Stirn aufschnitt, wurde er berühmt. Die Fernsehkameras im Raum dokumentierten seine „Blut-Performance“, wodurch Goetz’ geplante Vermarktungs-strategie aufging und die Medien nach der Veranstaltung über den bis dato unbekannten Rainald Goetz geradezu ungebremst berichteten. Goetz zog nicht nur die Aufmerk-samkeit seiner Gönner auf sich, sondern schaffte es auch, seine Kontrahenten an die Kombination von Bühnenaktion und seinem Text „Subito“ zu fesseln. Ähnlich wie Goetz verwenden auch heutzutage Autoren Mittel, um ihren Erfolg zu beschleunigen und sich einen Namen verschaffen zu können. Benjamin von Stuckrad-Barre benutzt zum Beispiel bei seinen Lesungen multimediale Technik auf der Bühne. Bei seiner Lesung dürfen Laptop, Beamer und riesige Lautsprecherboxen nicht fehlen, damit er seine Texte zum Teil mit Musik unterlegen oder durch Bilder an der Wand repräsentieren kann. Das Prinzip der Grenzüberschreitung zeigt sich in solchen Performances als Erfolgsrezept.[1]
Das Grundprinzip der Grenzüberschreitung stellt die Brücke von Rainald Goetz’ Text „Subito“ und seinem multimedialen Skandal zu der Bewegung der Pop-Kultur her. Klassengrenzen, gesellschaftliche und kulturelle Grenzen werden überschritten, um die Pop-Phänomene Innovation, Simultaneität und Spontaneität als Programme der Pop-Kultur[2] offensichtlich werden zu lassen. „Subito“ weist viele pop-ästhetische Aspekte auf, die neben der genaueren und hintergründigen Darstellung Goetz’ Klagenfurter Auftritts, sowie der Beschreibung der pop-kulturellen Bewegung in der vorliegenden Arbeit aufgezeigt werden sollen.
Neben einer Unterrichtsreihe zur Pop-Kultur kann „Subito“ im Sinne einer produktiven Lektüre im Deutschunterricht eingesetzt werden. Indem die Schüler durch Goetz’ Text angeregt werden, eigene Texte zu verfassen, die mit der Pop-Literatur, mit Grenzüberschreitungen und neuen Sprachformen und -spielen einhergehen, kann das didaktische Prinzip des kreativen Schreibens, was in dieser Arbeit ebenfalls vorgestellt wird, in den Unterricht eingebaut werden.
2. Der „Sensationsbluter“ von Klagenfurt
Rainald Goetz machte sich auf der Klagenfurter-Veranstaltung im Sommer 1983 seinem darauf folgenen Namen des „Sensationsbluters“ alle Ehre. Ihm genügte es nicht, seinen Text einfach nur vorzutragen. Er wollte sich mit einer anderen Bühnenperformance in Szene setzen und den Fokus der Nachrichtenmeldungen der darauf folgenden Tage auf seine Person richten. Rainald Goetz wusste zielsicher, wie er mit seinem Text, der verspottende Anspielungen gegenüber dem Klagenfurter-Wettbewerb beinhaltet, und mit seiner skandalösen Bühnenaktion provozieren und sich vor allem publik machen konnte. Denn sein Ziel war nicht, den begehrten Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt zu erhalten und somit eine Auszeichnung für seine dort erbrachte literarische Leistung zu erlangen. Er wollte einen multimedialen Skandal erzeugen, der ihm als „Sprungbrett“ für seine Karriere dienen sollte.
2.1 Der Ingeborg-Bachmann-Preis
Der Ingeborg-Bachmann-Preis findet jährlich in der Kärntner Landeshauptstadt Klagenfurt statt. Die erste Vergabe des Ingeborg-Bachmann-Preises fand 1977 im Rahmen der so genannten „Woche der Bewegung“ statt. Die von den Mit-Initiatoren Marcel Reich-Ranicki, Ernst Willner und Hubert Fink eingeladenen Teilnehmer und Teilnehmerinnen bekamen die Möglichkeit, dreißig Minuten lang ihre ausgewählten Texte vor der Jury und dem Publikum vorzutragen, um sich anschließend der Kritik zu stellen. Auch die Fachjury wurde von Reich-Ranicki, Willner und Fink zusammengestellt, wozu auch sie selbst viele Jahre gehörten. Die zusammengestellte Jury konnte geeignete Autoren und Autorinnen vorschlagen oder auch aus der Bewerberliste streichen. Nach der Lesung der Teilnehmer und Teilnehmerinnen wurden ihre Texte direkt öffentlich diskutiert. Die Jury musste sich nach den dreißig Minuten ad hoc zum Text äußern, um somit eine nachvollziehbare Kritik zu ermöglichen. Die ersten Preisträger der Preisvergabe 1977 waren Gert Jonke („Erster Entwurf zum Beginn einer sehr langen Erzählung“) und Hans F. Fröhlich („Einschüchterungsversuche“).
Die Herleitungsinstanz des Ingeborg-Bachmann-Preises beruht auf einer Idee des österreichischen Buchautor und Journalist Hubert Fink und des ehemaligen ORF-Intendant Ernst Willner. Sie hatten Mitte der siebziger Jahre die Idee, in Klagenfurt einen Literaturwettbewerb stattfinden zu lassen, der in Gedenken an die bedeutende österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (1926-1973) ihren Namen tragen sollte. Der Literaturwettbewerb sollte nach dem Vorbild der so genannten „Gruppe 47“ verlaufen, was eine Lesung literarischer Texte mit anschließender öffentlicher Diskussion implizierte. Die „Gruppe 47“ war eine wechselnde Gruppierung deutscher Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die von 1947 bis 1967 jährliche Tagungen veranstalteten, bei denen Lesungen stattfanden, Texte diskutiert wurden und Literaturpreise vergeben werden konnten. Die „Gruppe 47“ wollte junge Literatur sammeln und fördern, wodurch sie versuchten für ein neues demokratisches Deutschland zu wirken. Ihr verfolgtes Ziel war die Erziehung und Aufklärung zur Demokratie nach dem Hitlerregime. Nachkriegsdeutschland, das totalitäre Regime, und politische und gesellschaftliche Themen waren Lesungs- und Diskussionsmittelpunkt. Der Sprachzerstörung versuchte man entgegenzuwirken und ein Forum für literarische und gesellschaftliche Reflexion, Kommunikation und Diskussion sollte geschaffen werden. Zu der „Gruppe 47“ gehörten unter anderem Autoren wie Ingeborg Bachmann, Günther Grass und Heinrich Böll. Die Streit-, Diskussions- und Debattenkultur der „Gruppe 47“ hat sich im Ingeborg-Bachmann-Preis fortgesetzt und ist bis heute bei den jährlichen Lesungstagen in Kärnten wieder zu finden.[3] Das Ziel der Veranstaltung definiert der ORF-Intendant Ernst Willner als eine jährlich wiederholte öffentliche Betrachtung aktueller Literatur, um weitreichende Trends und Tendenzen feststellen zu können:
"Für den deutschsprachigen Raum, auf neutralem Boden, der Literatur, einmal im Jahr, für ein paar Tagen, eine Möglichkeit zu geben, zu sich selbst zu kommen, sich zu bestimmen, Tendenzen festzustellen, Trends zu eruieren, ihren ideellen und ihren Waren-Charakter aufzuweisen: dazu sollten die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, sollte das Vergeben des Ingeborg-Bachmann-Preises dienen, und wohl auch dazu, Probleme der gesamten deutschsprachigen Literatur zu erörtern".[4]
2.2 Sommer 1983: Goetz betritt die Klagenfurter-Bühne
Sechs Jahre nach der ersten Tagung des Ingeborg-Bachmann-Preises wird Rainald Goetz zu der Veranstaltung eingeladen. Er liest seinen Text „Subito“, der mit der Anfangspassage des ersten Kapitels des zweiten Teils seines Romans „Irre“ beginnt. Goetz will mit seiner Lesung einen polemischen Angriff gegenüber der gesamten Veranstaltung erheben. Die Polemik bezieht sich gegen die in Klagenfurt anwesenden Repräsentanten des Literaturbetriebes und soll die gesamte Aggression der Raspe-Figur und des Autors gegen die Klagenfurter Veranstaltung „ernst gemeint“ wirken lassen. Um dieses Ziel der Aggressionsvermittlung zu erreichen, schöpft Goetz aus dem „Auffallen-wollen-um-jeden-Preis“ die notwendige Motivation, eine skandalöse Performance vorzunehmen.[5]
Im Juni 1983 betritt der damals 29 jährige Goetz die Klagenfurter-Bühne um seinen Text „Subito“ vorzutragen. Der Lesungssaal ist mit hunderten von Menschen gefüllt, und alle erwarten gespannt die literarische Kreativität Rainald Goetz’. Bereits im Verlauf der Lesung seines Textes löst „Subito“ bei der Jury und dem Publikum aufgrund der Aggressivität gegenüber dem literarischen und kulturellen Leben sowie der Bachmann-Veranstaltung eine gereizte Verwirrung und Spannung aus.[6] „Das ist doch ein Krampf, denen was vorzulesen“[7] – mit diesen und ähnlichen Worten weiß Goetz gelungen zu provozieren. Als Goetz auf der letzten Seite seines zwölfseitigen Textes angekommen ist – die Kameras stehen bereit – schneidet er sich mit der Rasierklinge in seiner rechten Hand bei den Worten „Ihr könnts mein Hirn haben. Ich schneide ein Loch in meinen Kopf, in die Stirne schneide ich das Loch. Mit meinem Blut soll mir mein Hirn auslaufen“[8] die Haut quer über der Stirn auf. Das Blut tropft auf den Lesungstisch und auf sein Manuskript. Blutüberströmt trägt er die letzten Worte seines Textes vor. Im Saal herrscht Tumult und eine Frau ruft nach einem Arzt - man versichert ihr jedoch, dass Goetz selber Arzt sei und wissen müsse, was er tut.[9] Genau diese Performance macht Goetz zum medialen Sieger des 6. Ingeborg-Bachmann-Preises. Die Berichterstattungen in den Tagen nach dem skandalösen Auftritt sind kaum zu bremsen. Die Westfälische Rundschau veröffentlicht zum Beispiel einen Artikel mit dem Titel „Rainald Goetz und sein Wahnsinnsritt in die Literaturszene“[10]. In anderen Beiträgen rückt die ganze Person Rainald Goetz, inklusive seines äußeren Erscheinungsbildes – wie seine Kleidung und sein gefärbter Punk-Schopf – in den Fokus der medialen Betrachtungen. In der Spiegel-Ausgabe vom 26.09.1983 kann beispielsweise noch drei Monate nach dem Auftritt gelesen werden, dass sich Goetz „durch einen gewissen punkmäßigen Aufzug mit gefärbten Haarsträhnen, Turnschuhen und dem unerlässlichen Hundehalsband ums Handgelenk“ von den anderen Autorinnen und Autoren unterschied.[11] Jedoch sind sich alle printmedialen Berichterstattungen – egal ob Boulevardpresse oder die der seriösen und kritisch betrachtenden Artikel – darüber einig, dass der vorgetragene Text und der skandalöse Auftritt voneinander zu trennen sind. So hat es auch Marcel Reich-Ranicki direkt nach der Lesung gesehen, der sich mit seiner Kritik vordergründig auf den Text bezieht und ihn als literarische Leistung ansieht: „Haben wir es mit einer literarischen Leistung – frage ich – zu tun? Ich antworte: Ja. [...] Mich hat dieses provozierende Prosastück beeindruckt. Ich bin dafür.“[12]
2.3 „Subito“: Ein kalkulierter Skandal
Der Skandal, über den nicht nur im Sommer 1983 gesprochen wurde, wirkte wie eine provokative, zuvor kalkulierte Performance. Das Protokoll eines Telefongespräches zwischen Goetz und einem seiner Suhrkamp-Lektoren, welches der Autor Günther Walraff verkleidet als Reinigungskraft in den Frankfurter Verlagshäusern aufgezeichnet hat, zeigt die Vorüberlegung zu der Bühnen-Performance in Klagenfurt. Die Bedeutung einer skandalösen Darbietung des Textes „Subito“ liegt in der Tatsache der medialen Verbreitung der Lesung. „ACTION, mensch, Action... Nix LofeäntPieß undsoweiter, nee nee, das muß schon was Bombiges sein – das Fernsehn dreht mit, Mensch, die wolln doch auch was zu sehen kriegen!“[13] Die geplante Performance wird als Vermarktungsstrategie verwendet, um durch die mediale Übertragung einen notwendigen Bekanntheitsgrad zu erreichen und Goetz’ Roman „Irre“ leichter vermarkten zu können. Goetz war zu der Zeit der Klagenfurter-Veranstaltung bereits mit seinem Roman beim Suhrkamp-Verlag unter Vertrag und der Klagenfurter-Auftritt war mit dem Erscheinen des Romas auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst klar abgestimmt. Es ging also keineswegs darum die Auszeichnung des Wettbewerbes zu erhalten, sondern um den werbestrategischen Charakter der Veranstaltung. Die zum Literaturmarkt gehörenden Trägermedien erfassten den Rezipientenkreis, den Goetz für seine weitere Karriere ansprechen wollte.[14] Er nutze die Klagenfurter Veranstaltung um seine Aktion, seinen Text und seine eigene Identität publik machen zu können. Denn auch ihm war bekannt, dass dem Ingeborg-Bachmann-Preis der Ruf einer „Autorenwerkstatt“ nachgesagt wurde, bei der ein spezielles „Entdecker-Syndrom“ jungen Autoren zu einer durchaus erfolgreichen Karriere verhelfen konnte.[15]
„Ich hab da ja noch meine Rasierklingensammlung...“[16] – so teilte Goetz seine Idee des Rasierklingenschnittes seinem Lektor des Surkamp-Verlages mit, was das bereits zitierte Protokoll zeigt. Welche wörtliche Reaktion Goetz’ daraufhin entgegengebracht wurde, bleibt nur zu vermuten, da das Protokoll an dieser Stelle aus Unverständlichkeit des Telefonats abgebrochen wurde.
Dass „Subito“ speziell für die Klagenfurter-Veranstaltung verfasst wurde, lässt sich an zahlreichen Textstellen belegen. Vor allem das Kneipengespräch zwischen Goetz und einem den in Klagenfurt anwesenden Juroren und Verlagsvertretern gegenübergestellten subkulturellen Personenverband lässt den polemischen Angriff, um den es in „Subito“ geht, deutlich werden. Der Personenverband teilt Goetz verhöhnende Meinungen gegenüber der Klagenfurter Veranstaltung und trägt dazu bei, dass Goetz innerhalb des Kneipengespräches das gesamte Establishment des Literaturbetriebes angreifen kann.[17] Eine der Personen ist Neger Negersen, womit der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen angeführt wird, der u.a. der Herausgeber der Musikzeitschriften „Sound“ und „Spex“ war, wofür auch Goetz Artikel verfasste. Olaph-Dante Marx ist ein bekannter Popautor, und der im Text vorkommende Maler Albert Gagarin ist ein verklausulierter Name des russischen Astronauten Juri Alexejewitsch Gagarin, der 1961 der erste Mensch im Weltall war. Werner Andropov, im Text ebenfalls Maler, erinnert an den sowjetischen Generalsekretär Juri Andropow[18] und Nicky Rydenback ist ein New Yorker „Pop-Strukturalist“, der Goetz als Richtungsgenosse der Pop-Kultur im Text zur Seite stehen kann. Mit diesen Personen lässt Goetz in seinem Text in einer spöttischen Art und Weise seine ganze Wut der Klagenfurter-Veranstaltung gegenüber freien Lauf, wobei ungemein deutlich wird, was Goetz genau über den Klagenfurter-Wettbewerb denkt:
„Das Beste an Klagenfurt, außer der Scheiße, ist der Unterschied zwischen Null und Titan. Denn es geht dort ja nicht um die fade Literatur, sondern um die lustige Hüftenschußkritik. Vier Tage lang geht das, vier Tage lang kannst du es dir anschauen, vier Tage lang sabbeln die Nullenkritiker ihr gut abgewogenes gut abgehangenes Nullengesabbele daher [...] noch viel besser als die ganze Klagenfurter Branchenscheiße ist der viertagelange unübersehbare und von jeder zweiten Null immer wieder dumpf attackierte Triumph des Titans.“[19]
Warum Rainald Goetz aber trotz seiner negativ besetzten Einstellung der Veranstaltung gegenüber an der Lesung teilnimmt, zeigt das nächste Zitat, welches im Text von Neger Negersen stammt: „Mann, nichts wie hin nach Klagenfurt [...] zum Nullenanschauen und verhöhnen [...] vielleicht kann man auch beiläufig irgendeine Minderheit verunglimpfen oder ein paar Deppen sauber quälen.“[20] Und nicht nur die derzeitigen Juroren und Verleger werden von den Teilnehmern des Kneipengespräches verhöhnt. Der Spott bezieht sich auch auf die Klagenfurter Herleitungsinstanz: „Den sollen die Peinsackschriftsteller vertreten, die in der Peinsackparade, angeführt von den präsenilen Chefpeinsäcken Böll und Grass, von Friedenskongreß zu Friedenskongreß [...] ziehen und dabei den geistigen Schlamm und Schleim absondern [...]“.[21] Die, wie Goetz es hier nennt, „kurz vor dem Greisenalter stehenden“ Heinrich Böll und Günther Grass waren Mitglieder der „Gruppe 47“ und bemühten sich dem kulturellen Ziel dieses Zusammenschlusses, der Erziehung zur Demokratie, gerecht zu werden. Böll und Grass werden hier spöttisch als „präsenile Chefpeinsäcke“ betitelt, während aber auch das kulturelle Ziel der „Gruppe 47“ zynisch als „Friedenskongreß“ bezeichnet wird. Bei der Betrachtung der Textstellen, die Klagenfurt und seine Lesung thematisieren, kann innerhalb des Textes bereits schon früher angehalten werden:
„Das ist doch ein Schmarren, sagte Raspe, das ist doch ein Krampf, denen was vorzulesen, was eh in meinen Roman hinein gedruckt wird, eine tote Leiche wäre das, die ich mitbringen täte und hier voll tot auf den Tisch hin legen täte, ich bin doch kein Blödel nicht, ich lege denen doch keinen faulig totig stinkenden Kadaver da vor sie hin, von dem sie eine Schlafvergiftung kriegen müssen, es muß doch BLUTEN, ein lebendiges echtes rotes Blut muß fließen, sonst hat es keinen Sinn [...]“[22]
[...]
[1] http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/22/0,1872,2192790,00.html
[2] Doktor, Thomas; Spies, Carla: Gottfried Benn - Rainald Goetz: Medium Literatur zwischen Pathologie und Poetologie. Opladen, 1997. S. 117.
[3] http://bachmannpreis.orf.at/index25.htm
[4] Ebd.
[5] Doktor, Thomas; Spies, Carla: S. 97-101.
[6] Ebd.: S. 73.
[7] Goetz, Rainald: Subito. In: Goetz, Rainald: Hirn. Frankfurt am Main, 1987. S. 9.
[8] Ebd.: S. 20.
[9] http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/29.06.2003/629008.asp
[10] Doktor, Thomas; Spies, Carla: S. 73.
[11] Ebd.: S.95.
[12] Ebd.: S. 93.
[13] Ebd.: S. 92.
[14] Ebd.: S. 89/90.
[15] Doktor, Thomas; Spies, Carla: S. 78.
[16] Ebd.: S. 92.
[17] Ebd.: S. 106.
[18] http://www.weltchronik.de/ws/bio/main.htm
[19] Goetz, Rainald: S. 17.
[20] Goetz, Rainald: S. 18.
[21] Ebd.: S. 19.
[22] Ebd.: S. 9/10.
- Quote paper
- Inga Hemmerling (Author), 2007, „Pop und nochmal Pop". Der werbestrategische Text „Subito“ von Rainald Goetz als Beispiel der literarischen Popkultur mit möglichem Unterrichtseinbezug, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76697
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