In der vorliegenden Arbeit möchte ich Form der Partnerschaft ohne gemeinsamen Haushalt näher
untersuchen. Dafür werde ich zunächst im zweiten Kapitel eine Begriffsbestimmung
vornehmen. Im dritten Kapitel soll auf den geschichtlichen Hintergrund der Ehe und
die Situation der modernen Frau eingegangen werden. Daraufhin wird ein
theoretisches Modell entwickelt, dass von der „individualisierten“ berufstätigen Frau
ausgeht und ihre Wahlmöglichkeiten bezüglich verschiedener Partnerschafts- und
Haushaltsmodelle zeigt. Im vierten Kapitel wird der Familiensurvey, die
Datengrundlage der vorliegenden Untersuchung, beschrieben. Anschließend folgt
eine zunächst deskriptive Analyse der Daten, die die Entwicklung von
Partnerschaftsformen in den letzten 20 Jahren beschreiben und einen ersten Einblick
in Partnerschaften ohne gemeinsamen Haushalt geben soll. Auf diese wird im
folgenden Kapitel durch Häufigkeitsauszählungen und Mittelwertvergleiche noch
näher eingegangen. Anschließend wird eine logistische Regression durchgeführt, um
zu untersuchen, ob es einen bestimmten Typ Frau gibt, die mit hoher
Wahrscheinlichkeit in dieser Partnerschaftsform anzutreffen ist.
Inhaltsverzeichnis:
I.) Einleitung
II.) Begriffsbestimmung und Forschungsstand
III.) Historische und theoretische Überlegungen
a. Ehe, Liebe und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
b. Bildungsexpansion und „neue Autonomie“ der Frau
c. Theoretisches Modell
IV.) Die Datengrundlage: Der Familiensurvey
V.) Datenanalyse
a. Verteilung partnerschaftlicher Lebensformen
b. Partnerschaften in kalenderzeitlicher Entwicklung
c. Partnerschaften mit getrennten Haushalten
d. Frauen in Partnerschaften mit getrennten Haushalten
VI.) Diskussion
Anhang:
Literatur
Syntax
... und sie lebten glücklich und gemeinsam bis an ihr Lebensende.
I. Einleitung
Wer kennt sie nicht, die unglückliche Liebesgeschichte von Romeo und Julia aus dem gleichnamigen Drama von William Shakespeare. Ihre Liebe ist von einer derartigen Intensität, dass sie sich weder von Feindschaft noch Familienfehde aufhalten lässt und sogar den Tod nicht scheut.
Was aber wäre aus dem berühmtesten Liebespaar der Welt geworden, wenn sie nicht gestorben wären? Was, wenn sie ihre Ehe hätten leben können - jeden Tag und bis in alle Ewigkeit? Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim malen ein düsteres Bild: „Die Köstlichkeit, die Symbolkraft, das Verführerische, erlösende der Liebe wächst mit ihrer Unmöglichkeit. [...] Im Binnenverhältnis von Männern und Frauen dagegen verkehrt die Haushaltsgemeinschaft der Gegensätze alles ins Persönlich-Ätzende.“1 Armer Romeo, arme Julia.
Ein Lösungsmodell, das u.a. von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir gelebt wurde, war die Partnerschaft mit getrennten Haushalten, in der sie die angenehmen Seiten ihrer Partnerschaft genießen konnten ohne dabei ihre unangenehmen Seiten ertragen zu müssen. Doch bis in die 70er Jahre hinein wurde diese Form der Partnerschaft moralisch geahndet. Erst seitdem die Ehe ihre Monopolstellung als Partnerschaftsform verloren hatte und Alternativformen als „normal“ angesehen wurden, nahm die Partnerschaft mit getrennten Haushalten in der Diskussion um die Individualisierung und Pluralisierung der Lebensformen eine besondere Stellung als mögliches Zukunftsmodell unter den alternativen Lebensformen ein. Sie „entlehnt ihre Werte dem romantischen Liebesideal“2, und erlaubt es, „das Bedürfnis nach persönlicher Autonomie und Selbstentfaltung mit dem Bedürfnis nach emotionaler Erfüllung und Absicherung in einer festen Paarbeziehung zu vereinbaren, ohne die emotionalen Beziehungen übermäßig zu strapazieren“3. Sie „ermöglicht ein Lebensgefühl, das zwischen der Autonomie des Singles und der emotionalen Nähe und Verbundenheit einer Paarbeziehung oszilliert“4 und erscheint am „relativ besten den Bedingungen der Moderne (oder Post-Moderne) angepasst“5.
In der vorliegenden Arbeit möchte ich diese Form der Partnerschaft näher untersuchen. Dafür werde ich zunächst im zweiten Kapitel eine Begriffsbestimmung vornehmen. Im dritten Kapitel soll auf den geschichtlichen Hintergrund der Ehe und die Situation der modernen Frau eingegangen werden. Daraufhin wird ein theoretisches Modell entwickelt, dass von der „individualisierten“ berufstätigen Frau ausgeht und ihre Wahlmöglichkeiten bezüglich verschiedener Partnerschafts- und Haushaltsmodelle zeigt. Im vierten Kapitel wird der Familiensurvey, die Datengrundlage der vorliegenden Untersuchung, beschrieben. Anschließend folgt eine zunächst deskriptive Analyse der Daten, die die Entwicklung von Partnerschaftsformen in den letzten 20 Jahren beschreiben und einen ersten Einblick in Partnerschaften ohne gemeinsamen Haushalt geben soll. Auf diese wird im folgenden Kapitel durch Häufigkeitsauszählungen und Mittelwertvergleiche noch näher eingegangen. Anschließend wird eine logistische Regression durchgeführt, um zu untersuchen, ob es einen bestimmten Typ Frau gibt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in dieser Partnerschaftsform anzutreffen ist.
Leider muss gesagt werden, dass allein die geschichtlichen, institutionellen, politischen, sozialen und psychosozialen Hintergründe dieser Partnerschaftsform, nebst ihrer Typisierung und der Charakterisierung den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen würden, so dass die hier vorgenommene Analyse anhand von soziodemographischen Daten notwendigerweise schemenhaft bleiben muss. Dennoch soll versucht werden, einige Merkmale dieser Lebensform, herauszukristallisieren.
II. Begriffsbestimmung und Forschungsstand
Eine einheitliche Definition für die Partnerschaftsform des getrennten Zusammenlebens gibt es nicht. Die einzelnen Definitionsversuche unterscheiden sich anhand beruflicher Zwänge, an Distanzkilometern, am ehelichen Status der Partnerschaft, anhand der Haushaltsführung oder an einer mehr oder weniger individuellen Lebensgestaltung der Partner.
Elisabeth Schlemmer bezeichnet diese Partnerschaftsform unter Bezugnahme auf die Niederländerin Cees J. Straver als living apart together. Schlemmers Definition nach ist living apart together „eine Lebensform, in der nichteheliche Partner, ohne einen gemeinsamen Haushalt zu führen, leben.“6 Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny hingegen meint, wenn er vom living apart together spricht, nicht zwangsläufig eine getrennte Haushaltführung Unverheirateter, sondern es geht ihm „um die weitgehende Verselbständigung der Lebensstile und Aktivitäten, die nur minimal koordiniert werden.“7 In gewisser Weise sei daher das bürgerliche Familienmodell ebenfalls eine Form des living apart together gewesen, da die Lebens- und Arbeitssphären von Frau und Mann relativ scharf voneinander abgegrenzt waren. Neu an der modernen Form des living apart together sei jedoch, dass „die gleichen Funktionen doppelt wahrgenommen [werden]. Damit werden nicht - wie bei der traditionalen Familie - zwei Subsysteme eines größeren sozialen Systems geschaffen, sondern zwei separate Systeme.“8 Francois de Singly spricht vom Übergang des aufgabenorientierten Fusionspaars zum beziehungsorientierten Assoziationspaar.9
Hoffmann-Nowotny zufolge ist das living apart together am besten den Bedingungen der (Post-)Moderne angepasst. Zwar wird dieser Familientyp, dessen erwachsene Mitglieder eine Partnerschaft führen, jedoch in verschiedenen Haushalten leben, kaum eine starke Institution werden, aber er könnte stabiler sein, als die tradierten Formen, da er der „gesellschaftlichen Ideologie von Individualismus und Gleichheit entspricht.“10 Diese Form der Partnerschaft trage in sich den Kitt der emotionalen Erfüllung, ohne die Selbstaufgabe einer der beiden Parteien zu fordern. Die Lebenssphären der beteiligten Partner können jeweils relativ autonom geregelt werden.
Rüdiger Peuckert nennt das getrennte Zusammenleben bis 1999 einen „Lebensstil zwischen Alleinleben und dem unverheirateten Zusammenleben als Paar.“11 Später präzisiert er das Spannungsfeld des getrennten Zusammenlebens als „Beziehungsideal oder Notlösung“12, um zwei idealtypische Grundformen zu unterscheiden: Jene, die diese Partnerschaftsform als ideal erachten und freiwillig leben, und jene, die sie unfreiwillig als Kompromisslösung leben, dazu zählen v.a. Jugendliche, die die Partnerschaft mit getrennten Haushalten eher als Übergangsphase zwischen Alleinleben und Zusammenleben sehen und jene, die aus beruflichen Gründen getrennt leben. Der anglo-amerikanische Raum prägte für diese Art der berufsbedingten Wochenend-, Monats- oder Pendlerbeziehungen den Begriff der Commuter-Ehen 13.
Der vorliegenden Arbeit möchte ich die relativ großzügige Definition vom Dorothee Schmitz-Köster zugrundelegen, die unter dem von ihr geprägten Ausdruck Liebe auf Distanz „verheiratete oder unverheiratete Paare, die freiwillig oder unfreiwillig, befristet oder unbefristet keine gemeinsame Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft praktizieren“14, meint. Einzige Bedingung für diese Lebensform ist demnach das Nichtvorhandensein eines gemeinsamen Haushalts, weshalb ich zukünftig der Bezeichnung Partnerschaft mit getrennten Haushalten der besseren Unterscheidbarkeit wegen den Vorzug vor living apart together einräumen werde und mit getrennt zusammenlebenden Personen jene meine, die in einer Partnerschaft ohne gemeinsamen Haushalt leben.
Diese Definition von Schmitz-Köster wird ebenfalls von Norbert F. Schneider und Kerstin Ruckdeschel zugrundegelegt, allerdings mit der zusätzlichen Bedingung, dass die Partnerschaft mindestens ein Jahr Bestand hat. Schneider und Ruckdeschel sehen in der Partnerschaft mit zwei Haushalten eine moderne Lebensform, deren Verbreitung sie mit zwei verschiedenen Entwicklungen in Verbindung bringen. Zum einen ist aus individualisierungstheoretischer Perspektive diese Lebensform im Zusammenhang mit einer gestiegenen Optionsvielfalt und einem Verbindlichkeitsverlust traditioneller Lebensmodelle zu sehen.15 Zum anderen müsse aber auch den gestiegenen Anforderungen des Arbeitsmarkts an Flexibilität und Mobilität der Beschäftigten Rechnung getragen werden. So erscheint zwar die Partnerschaft ohne gemeinsamen Haushalt auf der einen Seite als der an die individualisierte Gesellschaft am besten angepasste Typus, als „individualisierte Partnerschaft par excellence“16, doch das Individuum selbst ist in eine moderne Arbeitsmarktentwicklung verstrickt, die großen Einfluss auf seine individuelle Lebens- und Partnerschaftsgestaltung ausübt, denn ...
... das Idealbild der arbeitsmarktkonformen Lebensführung ist der oder die vollmobile Einzelne, der ohne Rücksicht auf die sozialen Bindungen und Voraussetzungen seiner Existenz und Identität sich selbst zur fungiblen, flexiblen, leistungs- und konkurrenzbewussten Arbeitskraft macht, stylt, hin und her fliegt und zieht, wie es die Nachfrage und Nachfrager am Arbeitsmarkt wünschen.17
So entstehen Partnerschaften mit getrennten Haushalten teils auch als Notlösung, weil sich die Partner, um ihrer Berufsgestaltung nachgehen zu können, gezwungen sehen, getrennt zu leben.18
III. Historische und theoretische Überlegungen
Um die historische Bedeutsamkeit der Individualisierungsthese, als Zentralvorgang der heutigen Gesellschaft gegenüber früheren Individualisierungsschüben, deutlicher herauszuarbeiten, spezifiziert Ulrich Beck sie auch unter dem Begriff der Arbeitsmarkt-Individualisierung.
Die die Lebensführung der Menschen bisher ordnenden Gussformen (Zugehörigkeit zu Klasse bzw. Schicht, Familie und Konstellationen von Mann und Frau sowie Erwachsenen und Kindern, - bei den Männern - lebenslange Berufsarbeit usw.) verlieren an Ordnungskraft; absehbar werde eine dominant aufs Schicksal des Einzelnen zentrierte Lebensform.19
Nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch darüber hinaus in Primärgruppen wie Partnerschaft und Familie dominieren nun individuelle Interessenslagen in Abhängigkeit von institutionellen Vorgaben. Beck und Beck-Gernsheim sehen das Individuum in einem Dreieck aus sozialstrukturellen Faktoren, aus Bildung, beruflicher Mobilität und Arbeitsmarkt. „Individualisierung bezeichnet also ein zwiespältiges, mehrgesichtiges, schillerndes Phänomen, genauer: einen Gesellschaftswandel [...]. Von der einen Seite: Freiheit, Entscheidung, von der anderen: Zwang, Exekution verinnerlichter Marktanforderungen.“20 Es herrscht ein Widerspruch zwischen den Anforderungen des Arbeitsmarktes und den Anforderungen einer Partnerschaft. Dabei muss die Frau beide Seiten doppelt ausfechten, denn für die Frau ist die Freisetzung aus normativen Mustern und die nunmehr vorherrschende Obligation zu „Freiheit“ und „Entscheidung“ eine ungleich größere und fundamentalere als für den Mann.
III.a Ehe, Liebe und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
Wendepunkt in der Geschichte der Ehe in (West-)Deutschland sind die 50er Jahre. Nie wieder danach hat es so viele verheiratete Menschen gegeben. Aber auch nie zuvor21.
Im 17. und 18. Jahrhundert waren Partnerschaften und (Groß-)Familien in erster Linie Arbeits-, Sozial und Gütergemeinschaften, das von Otto Brunner so bezeichnete Ganze Haus. In den meisten deutschsprachigen Ländern wurde noch im Laufe des 18. Jahrhunderts der politische Ehekonsens eingeführt, der die Heirat Unselbständiger an die Zustimmung der politischen Behörden band. Voraussetzung zur Zustimmung war u.a. eine ausreichendes Vermögen, denn die Ehe war nicht nur eine Verbindung zwischen zwei Personen, sie beinhaltete auch die Aufrechterhaltung von Standesgrenzen, die Weitergabe von Besitz, die Wahrung der Wirtschaftskraft und die Knüpfung sozialer Netze. So war die Ausübung der Ehe den unterprivilegierten Schichten verwehrt, das Eheeintrittsalter im Allgemeinen hoch und Vernunftehen weit verbreitet. Liebe war im Mittelalter eine komplizierte und nur von einer Elite gepflegt Kunst („Minne“) und in der Frühen Neuzeit eine Art Verhaltenskodex zwischen den Eheleuten. Die heute geläufige Vorstellung der romantischen Liebe gewann erst langsam ab dem 18./ 19. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung. Die Liebesheirat mauserte sich zu einer von den Romantikern propagierten Ideologie, doch dauerte es noch lange, bis sie andere Partnerwahlkriterien wie Vermögen, Macht und Arbeitskraft ablöste und heute nicht nur als Maßstab sondern auch als Voraussetzung für eine „glückliche“ Beziehung und Partnerschaft gilt.
Im Zuge der Industrialisierung wurde die Erwerbsarbeit zunehmend außer Haus verlegt und vom Mann übernommen. Es kristallisierte sich damit aus dem vorherigen einheitliche Wohn- und Wirtschaftsmodell ein Zwei-Raum-Modell, das Modell der Bürgerlichen Ehe, heraus mit einem öffentlichen, produktiven, erwerbstätigen und einem privaten, reproduktiven, finanziell abhängigen Bereich. Letzterer wurde der Arbeits- und Lebensraum der Frau22. Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die Chancen einer Frau zu sozialem Aufstieg durch einen eigenen beruflichen Aufstieg aufgrund der Geschlechtssegregation im Arbeitsmarkt praktisch unmöglich. Gunter Burkart fasst die damalige Situation zusammen: „Einfach ausgedrückt: Es war für die Frauen leichter, einen statushöheren Mann zu finden, als in männlich dominierte Berufsfelder einzudringen.“23 Und noch im Jahr 2002 veröffentlichte Rosemarie Nave-Herz eine Studie über Kontinuität und Wandel der Familie in Deutschland, worin sie feststellen muss: „Für die Mehrzahl der Frauen bleibt, dass sie die mit Haushalt und Erwerbstätigkeit am belastetsten sind und dass die innerfamiliale Arbeitsteilung nicht dem partnerschaftlichen Ideal (...) entspricht. Diese Ungleichzeitigkeiten und Veränderungsverläufe könnten aber zu einer Zunahme von Spannungen und Konflikten im Ehe- und Familiensystem führen.“24
III.b Bildungsexpansion und „ neue Autonomie “ der Frau
Die Bildungsexpansion gilt als eine der entscheidenden Antriebskräfte des familialen Wandels. Macht ist nach Foucault auch die Definitionsmacht, und damit wird auch Wissen zu Macht. Mit dem Anstieg des Bildungsniveaus von Frauen kam die Forderung nach egalitären Machtstrukturen und Anerkennung sowohl auf beruflicher als auch familialer Ebene, beispielsweise was innerfamiliale Arbeitsanerkennung und Arbeitsteilung betrifft.
Obwohl dieser Prozess weit fortgeschritten ist, und geschlechtliche Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt und in der Familie mittlerweile gesetzlich verankert ist und staatlich gefördert wird, haben sich die kulturellen Wertmuster nicht aufgelöst, sondern laut Burkart nur tradiert:
Regeln und Werte sind die kulturelle Basis der Paarbildung, teilweise mit langer historischer Tradition. Das gilt insbesondere für jene Regeln, nach denen Männer in Paarbeziehungen statushöher, körperlich größer und älter sein sollten. Diese Regeln können leichter durchgesetzt werden, wenn es entsprechende Institutionen und Gelegenheitsstrukturen gibt. Wir können annehmen, dass die soziale Steuerung der Paarbildung in der Moderne zunehmend innerpsychisch erfolgte, qua Sozialisation.25
Dabei spielen Burkarts Meinung zufolge Geschlechtsunterschiede unterschwellig immer noch eine bedeutende Rolle: „Der Geschlechtsunterschied sitzt (...) tief in unseren Körpern, aber nicht wegen der Biologie als solcher, sondern weil Körpererfahrung, Habitus und Identität ganz eng mit den Geschlechtsrollen verknüpft sind.“26 Tradierte Männlichkeit und Weiblichkeit nisten sich in den Beziehungsalltag ein. Damit hat sich die Konformität mit dem traditionalen Normenmodell nicht aufgehoben, sondern nur verlagert. Burkart stellt fest, dass die Chancen, geheiratet zu werden, sich für eine Frau nicht nur mit zunehmender Körpergröße und zunehmendem Alter sondern auch mit zunehmender Bildung verringern. Ausschlaggebend sei dabei aber nicht (mehr), ob die Frau Abitur hat oder nicht, ausschlaggebend sind heute die weiterführenden Ausbildungs- und Studienabschlüsse, Promotionen und berufliche Positionen. Dort würden die Relationen wieder „zurechtgerückt“27. Möglicherweise sind deshalb trotz des hohen Anteils an Abiturientinnen und Studentinnen so wenige Frauen auf dem Arbeitsmarkt in Führungspositionen anzutreffen, da es ihren Heiratswert und damit die Chancen auf Mutterschaft und eine Familie mindert. Denn „trotz aller Wandlungen im weiblichen Bewusstsein über die berufliche Zukunft bleibt der Wunsch nach Familie erhalten“28.
Frauen sind demnach verstrickt in einem Netz aus Widersprüchen: Unter der gesellschaftlichen Obligation der Selbstverwirklichung geht der Wunsch nach Familie einerseits einher mit der tradierten Erwartung der Mutter-Hausfrau-Rolle und der Wunsch nach beruflichem Erfolg andererseits mit der Erwartung vollkommener Einsatzbereitschaft, Mobilität und Flexibilität. Die Unvereinbarkeit von Kind und Karriere liegt dabei - nicht zuletzt auch aufgrund mangelnder institutioneller Betreuungsmöglichkeiten v.a. für Klein- und Kleinstkinder - auf der Hand.
III.c Theoretisches Modell
Obigem Gedankengang folgend müsste daher geschlussfolgert werden, dass überdurchschnittlich viele hochgebildete, berufstätige und kinderlose Frauen - und damit Frauen, die nicht den traditionalen Rollenvorstellungen folgen - alleinlebend sind oder in einer Partnerschaft ohne gemeinsamen Haushalt leben. Zu dem Schluss, dass Alleinlebende im Vergleich zu übrigen Bevölkerung überdurchschnittlich hohe Bildungsgrade erworben haben, und dass dies insbesondere für Frauen gilt, kommt auch Burkart: „Die alleinlebenden Frauen weisen also auch gegenüber den alleinlebenden Männern einen Bildungsvorsprung auf.“29
Als Grundlage dieser Arbeit möchte ich mich daher zum einen auf die Individualisierungsthese berufen. Das traditionale Modell der zweigeschlechtlichen Ehe und Haushaltsgemeinschaft wird in differenziertere Modelle aufgespaltet, die ein adäquateres Deckungsvermögen mit der jeweiligen Lebensführung der Individuen haben. Grundlegende These ist, dass die traditionale Rollenvorstellung von Mann und Frau in der Partnerschaft ohne gemeinsamen Haushalt einen Wandel erfährt. Burkart sieht es allerdings als problematisch an, dass Probleme des Geschlechterverhältnisses umstandslos auf die Paarbeziehung übertragen werden, „so, als ob die beginnende Karriere-Orientierung von Frauen direkt implizieren würde, in welche Richtung sich das Verhältnis der Paar-Partner ändert.“30 Daher habe ich ebenfalls das rational-choice -Modell als Grundlage in Erwägung gezogen und das nachfolgende Modell (Abb. 1) beispielhaft aufgezeichnet. Burkart wirft sowohl der Individualisierungstheorie als auch dem RC-Ansatz Defizite vor, als deren Folge drei wesentliche Bereiche, die für das Paar konstitutiv sind, in der Forschung als weitgehend voneinander getrennt behandelt werden: Liebe, Paarbeziehung und Geschlechterverhältnis.31 Ulrich Beck selbst sah den Begriff „Individualisierung“ als problematisch an und nannte ihn einen „Antibegriff“. Zudem ist das „Liebespaar“32 eine soziologische Problemgröße. Was ist „Liebe“ aus soziologischer Sicht? Stichworte wie gegenseitige Bestätigung und Zuneigung, sexuelle Erfüllung und körperliche Extase, Wohlbehagen in Gemeinschaft, Plattform für Identitätsbildung und Selbstverwirklichungs- und Individuierungsbedürfnisse fallen wohl darunter. Doch ist Liebe v.a. auch ein historisch variables kulturelles Wertmuster.
Alle Vorformen der romantischen Liebe, diese aber ganz besonders, setzen [...] eine hoch entwickelte Individualität und eine differenzierte Subjektivität voraus. Ohne „Individualisierungsschub“ ist die Intensivierung der Liebesvorstellung kaum denkbar. [...] Das individualisierte Paar von heute entlässt seine beiden Teile stärker in ihre jeweilige Geschlechtersphäre. Das männliche Bürgertum hatte die Sphärentrennung zwischen Frauen und Männern erfolgreich mit der Trennung von Privatheit und Öffentlichkeit gekoppelt. Dies ist heute in Auflösung begriffen. Je stärker die zwei Geschlechtersphären öffentlich wirksam sind, desto größer ist die Individualität innerhalb der Paarbeziehung.33
Je mehr die Frau also mit herkömmlichen Rollenvorstellungen, privaten Hausarbeitsbereichen bricht, je mehr sie berufstätig und damit öffentlich wirksam ist, desto „individualisierter“ wird ihre Paarbeziehung.
[...]
1 Beck, Ulrich/ Beck-Gernsheim, Elisabeth: „Das ganz normale Chaos der Liebe.“ Frankfurt am Main 1990. S. 9f. (Hervorhebung aus Originaltext übernommen).
2 Schlemmer, Elisabeth „Living apart together - eine partnerschaftliche Lebensform von Singles?“ S. 365. In: Bertram, Hans (Hg.): „Das Individuum und seine Familie. Lebensformen, Familienbeziehungen und Lebensereignisse im Erwachsenenalter.“ DJI Familiensurvey Band 4. Opladen 1995. S. 363-398.
3 Peuckert, Rüdiger: „Familienformen im sozialen Wandel“. 5. Auflage. Opladen 2004. S. 103.
4 Schneider, Norbert F./ Limmer, Ruth/ Ruckdeschel, Kerstin: „Berufsmobilität und Lebensform. Sind berufliche Mobilitätserfordernisse in Zeiten der Globalisierung noch mit Familie vereinbar?“ Schriftenreihe des BMFSFJ. Band 208. Berlin 2002. S. 164.
5 Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim: „Die Zukunft der Familie - Die Familie der Zukunft“. S. 340 In: Gerhard, Uta/ Hradil, Stefan/ Lucke, Doris/ Nauck, Bernhard: „Familie der Zukunft“. Opladen 1995. S. 325-344.
6 Schlemmer 1995: S. 363.
7 Hoffmann-Nowotny 1995: S. 341.
8 Hoffmann-Nowotny 1995: S. 342. (Hervorhebungen aus dem Original übernommen).
9 De Singly, Francois: „Die Familie der Moderne.“ Kostanz 1994.
10 Hoffmann-Nowotny 1992: S. 340.
11 Peuckert, Rüdiger: „Familienformen im sozialen Wandel“. 3. Auflage. Opladen 1999. Kap. 2.4.
12 Peuckert 2004: Kap 3.4.
13 Der Unterschied in der Definition wird anhand der Distanz der Haushalte voneinander, der Pendlerfrequenz oder dem Beruf der Partner (z.B.: Flug- oder ReisebegleiterIn, Schiffsangestellte) festgemacht.
14 Schmitz-Köster, Dorothee: „Liebe auf Distanz. Getrennt zusammen leben.“ Reinbek 1990. Vergriffen. Daher zit. nach: Schlemmer 1995: S. 363.
15 Schneider, Norbert F./ Ruckdeschel, Kerstin: „Partnerschaften mit zwei Haushalten: Eine moderne Lebensform zwischen Partnerschaftsideal und beruflichen Erfordernissen.“ S. 246. In: Bien, Walter/ Marbach, Jan H. (Hg.): „Partnerschaft und Familiengründung. Ergebnisse der 3. Welle des FamilienSurvey.“ Reihe DJI : Familien-Survey 11. Opladen 2003. S. 245-258.
16 Burkart, Gunter: „Lebensphasen - Liebesphasen. Vom Paar zur Ehe zum Single und zurück.“ Opladen 1997. S. 165.
17 Beck/ Beck-Gernsheim 1990: S. 15.
18 Schneider/Ruckdeschel 2003: S. 247.
19 Fuchs-Heinritz, Werner/ Lautmann, Rüdiger/ Rammstedt, Otthein/ Wienhold, Hanns: „Lesikon zur Soziologie.“ 3. Auflage. Opladen 1994. S. 293.
20 Beck/ Beck-Gernsheim 1990: S. 15.
21 Vgl.: Burkart 1997: S. 271.
22 Die getrennten Arbeitsbereiche sind sogar rechtlich zementiert: Im BGB vom 1.1. 1900 ist die Frau unter § 1356 „berechtigt und verpflichtet, das gemeinschaftliche Hauswesen zu leiten.“ Allerdings untersteht sie damit immer noch der Verfügungsgewalt ihres Ehegatten, denn diesem steht nach §1354 „die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu.“ Die Änderung des §1356 im BGB vom 18.6.1956 gesteht der Frau immerhin Haushaltsführung „in eigener Verantwortung“ zu. Sie ist sogar berechtigt erwerbstätig zu sein, „sofern dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist. Allerdings durfte nach §1358 der Ehemann ein bestehendes Arbeitsverhältnis der Frau kündigen. Dieser Paragraph wird allerdings 1957 gestrichen. Haus- und Erwerbsarbeit, die „in gegenseitigem Einvernehmen“ von den Ehepartnern geregelt wird, gibt es im BGB erst seit 1976.
23 Burkart 1997: S. 70.
24 Nave-Herz, Rosemarie: „Wandel und Kontinuität in der Bedeutung, in der Struktur und Stabilität von Ehe und Familie in Deutschland.“ S. 61. In: Dies. (Hg.): „Kontinuität und Wandel der Familie in Deutschland. Eine zeitgeschichtliche Analyse.“ Stuttgart 2002. S.45-66
25 Burkart 1997: S. 77.
26 Burkart 1997: S. 172.
27 Vgl.: Burkart 1997: S. 72.
28 Bertram, Hans/ Borrmann-Müller, Renate: „Von der Hausfrau zur Berufsfrau? Der Einfluss struktureller Wandlungen des Frauseins auf familiales Zusammenleben.“ S. 267. In: Gerhard, Uta/ Schütze, Yvonne (Hg.): „Frauensituationen. Veränderungen in den letzten 20 Jahren.“ Frankfurt am Main 1988. S.251-267. Bertram und Bormann-Müller sprechen hier von „einem „Modernisierungsrückstand im weiblichen Bewusstsein“, der allerdings in einigen Jahren aufgeholt sein wird und dann zu ganz neuen Formen der Familienorganisation führt.“ (ebd.). Ob der Wunsch nach Familie einem Modernisierungsrückstand gleichzusetzen ist, möchte ich dahingestellt lassen. Das größere Problem ist m.E. die Unvereinbarkeit von Kind und Karriere nicht nur auf familialer sondern auch auf institutioneller Ebene.
29 Burkart 1997: S. 157.
30 Burkart 1997: S. 37.
31 Vgl.: Burkart 1997: S. 39.
32 Hoffmann-Nowotny berichtet von der historischen Einmaligkeit unserer Zeit, die den Versuch unternimmt, soziale Systeme des Primärbereichs weitestgehend über Emotionen nicht nur zu begründen, sondern auch aufrecht zu erhalten. Er stellt fest, dass somit alle hier relevanten Typen von Primärgruppen dazu tendieren, unter starken Stress zu geraten, weil es ihnen an Struktur und Institutionalisierung mangelt, und deshalb Emotionen und emotionale Abhängigkeiten das vielleicht einzige Band sind, das sie zusammenhält. Hoffmann-Nowotny 1995: S. 325-344.
33 Burkart 1997: S. 50f.
- Arbeit zitieren
- Marion Lichti (Autor:in), 2006, Partnerschaften mit getrennten Haushalten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76639
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