Mit dem Jubiläum ‚60 Jahre Kriegsende’ und deren mediale Aufbereitung rücken die Ereignisse von 1945 wieder in nähere Gedächtnis. Gleichzeitig werden immer mehr Stimmen laut, die die Opfer-Seite Deutschlands verstärkt betrachten wollen. Hitler verliert in „Der Untergang“ das Bestialische und entwickelt sich auf der Leinwand zur bemitleidenswerten Kreatur. Das NS-Grauen darf durch Hitler-Sensibilisierung nicht verwaschen werden.
Der Opferstatus ist lukrativ geworden. Kämpfer und Sieger wie die USA werden für ihr Vorgehen im Irak gerügt. Die Opferrolle ermöglicht das Verständnis der Umwelt und Aufmerksamkeit ohne eigene Schuld. Auch die deutschen Vertriebenen fordern für sich den Opferstatus ein. Nur die Zugehörigkeit zu einem Staat oder einer hitlerschen Rasse kann sie nicht zu Tätern deklarieren.
Das Recht, sich Opfer zu nennen wird begründet durch das Verhalten Polens gegenüber der deutschen Minderheit. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg wurden deutsche Opfer polnischen Nationalismus. Mit der Niederlage Hitler-Deutschlands wurden die Zustände nicht nur revidiert, sondern darüber hinaus zu polnischen Gunsten ausgeweitet.
Die gegenwärtigen Forderungen und Opferdiskussionen erscheinen erst in den letzten drei Jahren ausgebrochen zu sein. Jedoch litten die Deutschen darunter, 45 Jahre lang sich durch die Systemgrenzen nicht aktiv mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen zu können. Mit den jetzigen politischen Verhältnissen blüht die Erinnerung neu auf und formt auch unsere kollektives Bewusstsein.
Der Umgang mit Erinnerung muss gelenkt und gehütete werden. Der Weg sollte nicht in Wiedergutmachungsforderungen sondern in einer gemeinsamen Erinnerungspolitik im europäischen Raum münden.
INHALT
1. Opfer-Sein - ein Status-Symbol?
2. Deutsche als Opfer
2.1 Der Deutsche als Mensch
2.2 Die Vertreibung der Deutschen aus Polen
2.2.1 Vorgeschichte
2.2.2 Vorgehensweise
2.2.3 Die polnische Sicht der Vertreibung
3. Verspätete Erinnerung
3.1 45 Jahre missgönnte Aufarbeitung
3.2 Kollektive Erinnerung
4. Erinnerungspolitik
4.1 Gedanken zum Umgang mit der neuen Erinnerungsflut
4.2 Der Ruf nach Entschädigung
4.3 Zentrum gegen Vertreibungen
ABSTRACT
Mit dem Jubiläum ‚60 Jahre Kriegsende’ und deren mediale Aufbereitung rücken die Ereignisse von 1945 wieder in nähere Gedächtnis. Gleichzeitig werden immer mehr Stimmen laut, die die Opfer-Seite Deutschlands verstärkt betrachten wollen. Hitler verliert in „Der Untergang“ das Bestialische und entwickelt sich auf der Leinwand zur bemitleidenswerten Kreatur. Das NS-Grauen darf durch Hitler-Sensibilisierung nicht verwaschen werden.
Der Opferstatus ist lukrativ geworden. Kämpfer und Sieger wie die USA werden für ihr Vorgehen im Irak gerügt. Die Opferrolle ermöglicht das Verständnis der Umwelt und Aufmerksamkeit ohne eigene Schuld. Auch die deutschen Vertriebenen fordern für sich den Opferstatus ein. Nur die Zugehörigkeit zu einem Staat oder einer hitlerschen Rasse kann sie nicht zu Tätern deklarieren.
Das Recht, sich Opfer zu nennen wird begründet durch das Verhalten Polens gegenüber der deutschen Minderheit. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg wurden deutsche Opfer polnischen Nationalismus. Mit der Niederlage Hitler-Deutschlands wurden die Zustände nicht nur revidiert, sondern darüber hinaus zu polnischen Gunsten ausgeweitet.
Die gegenwärtigen Forderungen und Opferdiskussionen erscheinen erst in den letzten drei Jahren ausgebrochen zu sein. Jedoch litten die Deutschen darunter, 45 Jahre lang sich durch die Systemgrenzen nicht aktiv mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen zu können. Mit den jetzigen politischen Verhältnissen blüht die Erinnerung neu auf und formt auch unsere kollektives Bewusstsein.
Der Umgang mit Erinnerung muss gelenkt und gehütete werden. Der Weg sollte nicht in Wiedergutmachungsforderungen sondern in einer gemeinsamen Erinnerungspolitik im europäischen Raum münden.
1. Opfer-Sein – ein Status-Symbol?
Das Ausland ist entrüstet: Die deutsche Bevölkerung fordert für sich den Status eines Opfers ein. Immer mehr Kriegsveteranen sehen ihr Mitwirken am Zweiten Weltkrieg als Befehl von Oben, dem man gehorchte und immer weniger als enthusiastischer Einsatz für Vaterland und Würde. Sie möchten sich nicht länger als Nazis verdächtigen lassen, sondern öffentliche Anerkennung für ihre Aufopferung fürs Vaterland und tröstende Worte für Enttäuschung und Leid. Aber steht es den Deutschen überhaupt zu, Opfer zu sein, wenn ihnen doch 1945 die alleinige Schuld am Krieg zugesprochen wurde? Das Recht, ein Opfer zu sein, muss dem Grundkonsens der historischen Bewertung der NS-Zeit nicht entgegenstehen. Dieser „[...] besagt, dass während des Dritten Reiches Verbrechen unerhörten Ausmaßes in staatlichem Auftrag und ‚im Namen des deutschen Volkes’ begangen worden sind“[1].
Der angestrebte Status als Opfer des Krieges dient dazu, trotz der politisierten gesamtdeutschen Schuld und Grauenhaftigkeit eigene Erfahrungen und persönliches Leid mit einzuflechten. Hinzukommt, dass über die Epoche des Zweiten Weltkriegs nicht mehr geschwiegen und die Zeitzeugen bemitleidet werden – nein, das Thema schreit nach Vermarktung. Immer grauenvollere Bilder und Geschichten über die Machenschaften der internationalen Kriegsteilnehmer werden bekannt und schocken die Unterhalt-mich-Gesellschaft. Der historische Stoff des Nationalsozialismus scheint der einzige zu sein, der stark genug ist, abgestumpfte Emotionen zu wecken. Mit dieser Macht der Emotion wird gehandelt, sichert er doch hohe Einschaltquoten und das Interesse der Enkel.
Es scheint, dass der alte Ruhm auf einer neuen Ebene vergeben wird. In der Gefahr, als alter Nationalsozialist verunglimpft zu werden, werden nicht mehr die Sieger gefeiert sondern die Verlierer – die Toten, Verwundeten und Vertriebenen. Vielen Auschwitz-Überlebenden ist es ungeheuerlich, dass ein ‚Tätervolk’ sich nun selbst zum Opfer macht. Soll ihre Schuld damit verrechnet werden? Als könnten 6 Millionen ermordete Juden abgewertet werden. Doch die gegenwärtige Stimmung in Deutschland ist Resultat einer 60-jährigen Entwicklung, welche es zu ergründen gilt. Für die Nachbarstaaten kommt diese Diskussion immer noch zu früh und zeigt, dass die Ereignisse der Naziherrschaft unterschiedlich (schnell) verarbeitet wurden.
2. Deutsche als Opfer
2.1 Der Deutsche als Mensch
Der Zweite Weltkrieg entwickelte sich nicht nur für die hitlerschen Objekte der Begierde verheerend. Seit der gescheiterten Schlacht bei Stalingrad wendete sich das ruhmvolle Blatt deutscher Kriegserfolge und die Jäger wurden zu Gejagten. Aber sieht man von der speziellen Rolle Deutschlands als kraftvoller Kriegs-Initiator ab, so passte sich die Situation der durchschnittlichen Bevölkerung mit zunehmender Kriegsdauer den Verhältnissen in den eroberten Ländern an. Wie auch die Nachbarstaaten, so litt bald auch die deutsche Bevölkerung unter Hunger und Güterknappheit. Beinahe jede deutsche Familie hatte Tote oder Verletzte an der Front zu betrauern. Der ab 1940 geführte Bombenkrieg auf deutsche Städte zerstörte die Infrastruktur gänzlich, und erschwerte wiederum die klägliche Versorgung mit Produkten des Grundbedarfs. Tausende erstickten oder verbrannten in Schutzkellern und einstürzenden Häusern. Mit Sieg der Alliierten waren die Leiden des Krieges nicht vorbei. 3.155.000[2] deutsche Soldaten wurden von Seiten der sowjetischen Siegermacht als Kriegsgefangene in die Sowjetunion oder als Zwangsarbeiter für mehrere Jahre nach Sibirien, in den Ural oder ins Donezk-Becken/Ostukraine verschleppt. Erst 1956 kamen die letzten Deutschen aus Gefangenschaft zurück. Bei aller Grauenhaftigkeit der deutschen Armee übersah man leicht, dass deren ausführende Organe einfache Menschen sind – sterblich, verletzbar, zweifelnd, ängstlich.
2.2 Die Vertreibung der Deutschen aus Polen
2.2.1 Vorgeschichte
Kämpfe zwischen Völkern um den Platz des Stärkeren verbunden mit der Ausrottung oder Vertreibung des Schwächeren ist ein roter Faden in der Menschheitsgeschichte. Bisher bezog ein Reich seine Legitimation durch die Solidarität und Ergebenheit seiner Untertanen und nicht aus deren Volksangehörigkeit. Im 19. und 20. Jahrhundert änderte sich die Betrachtungsebene durch die Entstehung des Nationalismus. Nunmehr wurden diese bevorzugt, welche der staatsspezifischen Volksgesinnung angehörten. Die europäische Landkarte ist jedoch in Ethnologien zerstückelt, so dass kein Staat Homogenität erreicht werden kann und Benachteiligung der Minderheit droht. Mit Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker entstanden immer neue Minderheiten und Konflikte mehrten sich. „ Versailles hatte sechzig Millionen Menschen eigene Staaten gegeben, dafür aber weitere fünfundzwanzig Millionen zu Minderheiten gemacht.“[3] So auch in Polen. In den ersten zwei Jahrzehnten lebten in Polen 1,1 Millionen Deutsche – eine Minderheit bei 27 Millionen polnischen Staatsbürgern. Mit Gesetzen zur Staatsbürgerschaft, der Besetzung von Beamtenstellen und eingeschränktem Muttersprachenunterricht sollten Deutsche von Polen abgegrenzt werden. Zwischen 1918 und 1931 wanderten als Reaktion auf Polens Verdrängungshaltung mehrere Hunderttausend Deutsche aus.
[...]
[1] Ute Frevert. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft B40-41/2003, Bonn 2003, S. 6.
[2] Karl-Heinz Frieser: Krieg hinter Stacheldraht. Die deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion und das Nationalkomitee Freies Deutschland, Mainz 1981, S.35.
[3] Mark Mazower: Der dunkle Kontinent. Europa im 20. Jahrhundert, Berlin 2000, S.70.
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- Anne Kaiser (Autor), 2005, Das Recht, ein Opfer zu sein, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76342
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