In Bezug auf das Verständnis von Religion knüpft die Reformpädagogik an die Romantik an. Das Thema „Religion in der Reformpädagogik“ findet in der Literatur nur wenig Beachtung. In Bezug auf die Fülle von Werken zur Reformpädagogik ist dies verwunderlich, denn es existieren durchaus pädagogische Konzeptionen verschiedener Reformpädagogen, welche religiöse Dimensionen aufweisen und verschiedene Impulse der Auseinandersetzung mit Religion, Religiosität und damit verbundener Erziehung beinhalten.
Nicht nur reformpädagogische Konzepte, sondern auch die Reformpädagogen selbst waren oftmals aktiv an Debatten um Religion und Religiosität beteiligt, vor allem in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Schon Ellen Key beschäftigt sich in ihrem Werk "Das Jahrhundert des Kindes" (1900) mit der Frage nach dem schulischen Religionsunterricht. Ihr Denken war sowohl vom Christentum, als auch von Religion und Religiosität geprägt. Diese Arbeit wird sich mit der Pädagogik Maria Montessoris und Peter Petersens beschäftigen. Die Lebenswerke dieser beiden Reformpädagogen zeichnen sich durch eine hohe internationale Resonanz aus. Beiden Konzeptionen wird nachgesagt, dass sie ohne Berücksichtigung des religiösen Hintergrundes nicht verstanden werden könnten. Hier stellt sich die Frage, welche Rolle Religion im Denken von Maria Montessori und Peter Petersen sowie in deren pädagogischen Konzeptionen spielt. Ebenfalls gilt es herauszuarbeiten, welche Vorstellungen die beiden Reformpädagogen in Bezug auf die Praxis religiöser Erziehung hatten. In der Literatur existieren durchaus Vergleiche der Pädagogik Maria Montessoris und Peter Petersens. Diese befassen sich jedoch nicht mit dem Themenkomplex „Religion und Religiosität“, sondern arbeiten allgemeine Aspekte heraus. Diese Arbeit jedoch widmet sich in besonderem Maße dem religiösen Aspekt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: Religion in reformpädagogische Konzepten - ein unerforschtes Thema?
2. Reformpädagogik - eine Übersicht..
3. Die Pädagogik Maria Montessoris
3.1 Maria Montessori...
3.2 Grundzüge der Pädagogik Maria Montessoris
3.2.1 Die Rolle des Erziehers
3.2.2 Die vorbereitete Umgebung
3.2.3 Sensible Phasen.
3.3 Religion in der Pädagogik Maria Montessoris
3.3.1 Religiosität im Leben von Maria Montessori
3.3.2 Die Bedeutung von Religion in der Pädagogik Maria Montessoris
3.3.3 Religiöse Erziehung nach Maria Montessori
4. Die Pädagogik Peter Petersens.
4.1 Peter Petersen
4.2 Grundzüge der Pädagogik Peter Petersens
4.2.1 Stammgruppen statt Jahrgangsklassen
4.2.2 Rhythmischer Wochenplan statt Stundenplan
4.2.3 Charakteristik statt Zensuren- und Notenzeugnis
4.2.4 Schulwohnstube statt Klassenzimmer
4.3 Religion in der Pädagogik Peter Petersens
4.3.1 Religiosität im Leben von Peter Petersen..
4.3.2 Die Bedeutung von Religion in der Pädagogik Peter Petersen.
4.3.3 Religiöse Erziehung nach Peter Petersen..
5. Zusammenführung: Ein Vergleich der Pädagogik Maria Montessoris und Peter Petersens hinsichtlich des Themenkomplexes „Religion und Religiosität“
5.1 Einflüsse durch die Biografie
5.2 Pädagogische Ansichten in Bezug auf Religiosität und religiöse Erziehung
5.3 Praxis der religiösen Erziehung.
6. Schluss: Ein Resümee meiner Recherche zu einem hoch interessanten und dennoch unerforschten Thema
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung : Religion in reformpädagogischen Konzepten - ein unerforschtes Thema?
Die Reformpädagogik beschäftigt sich mit einem Problem, welches nicht erst in jüngster Zeit entstanden ist, sondern schon in vergangenen Tagen thematisiert wurde: Das Leiden in und an der Schule. Schon in der griechischen Antike als auch im frühen Mittelalter war dieses Problem aktuell. Zur Zeit des Humanismus wurden jene Themen erstmals intensiv behandelt. Zu Beginn der Neuzeit legte Comenius (1592- 1670) ein Konzept vor, in welchem die Schule als Ort freudigen Lernens und als Stätte der Freundlichkeit bestimmt wird.1 In Bezug auf das Verständnis von Religion knüpft die Reformpädagogik an die Romantik an. Demnach sei Religion eine Sache des Herzens und des Gefühls.2
Das Thema „Religion in der Reformpädagogik“ findet in der Literatur nur wenig Beachtung. In Bezug auf die Fülle von Werken zur Reformpädagogik ist dies verwunderlich, denn es existieren durchaus pädagogische Konzeptionen verschiedener Reformpädagogen3, welche religiöse Dimensionen aufweisen und verschiedene Impulse der Auseinandersetzung mit Religion, Religiosität und damit verbundener Erziehung beinhalten.4
Nicht nur reformpädagogische Konzepte, sondern auch die Reformpädagogen selbst waren oftmals aktiv an Debatten um Religion und Religiosität beteiligt, vor allem in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg.5
Schon Ellen Key beschäftigt sich in ihrem Werk Das Jahrhundert des Kindes (1900) mit der Frage nach dem schulischen Religionsunterricht.6 Ihr Denken war sowohl vom Christentum, als auch von Religion und Religiosität geprägt. In ihrem Werk propagiert sie eine „Religion der Liebe“7 sowie ein Leben „im Lichte der Religion der Entwicklung“8. Sie plädiert für einen Unterricht in Religionsgeschichte, den siein drei altersgebundene Phasen einteilt:9
1) Mythen und Sagen
2) Lehren großer Religionsstifter
3) Darlegung der Entwicklung der großen Religionen
Die Erziehungsaufgabe der Zukunft hat Key in folgender Maxime zusammengefasst: „Ruhig und langsam die Natur selbst helfen lassen und nur sehen, dass die umgebenden Verhältnisse die Arbeit der Natur unterstützen, das ist Erziehung“10.
In dieser Arbeit werde ich mich mit der Pädagogik Maria Montessoris und Peter Petersens beschäftigen. Die Lebenswerke dieser beiden Reformpädagogen zeichnen sich durch eine hohe internationale Resonanz aus. Jenaplanschulen arbeiten mit Montessori-Materialien ebenso, wie die Praxis in Montessori-Schulen mit Bausteinen der Pädagogik Petersens durchzogen ist. Sowohl Montessori als auch Petersen klagen über das traditionelle Schulwesen. Sie kritisieren vor allem die Unterdrückung kindlicher Individualität.
Beiden Konzeptionen wird nachgesagt, dass sie ohne Berücksichtigung des religiösen Hintergrundes nicht verstanden werden könnten.11 Hier stellt sich mir die Frage, welche Rolle Religion im Denken von Maria Montessori und Peter Petersen sowie in deren pädagogischen Konzeptionen spielt. Ebenfalls ist es interessant herauszuarbeiten, welche Vorstellungen die beiden Reformpädagogen in Bezug auf die Praxis religiöser Erziehung hatten.
Aus diesem Grunde habe ich mich dazu entschlossen, diesen vergleichsweise wenig beachteten Themenbereich zu untersuchen, dem innerhalb einzelner Konzeptionen, in diesem Falle Montessoris und Petersens, große Bedeutung zukommt. Ich werde mich mit der Pädagogik Maria Montessoris und Peter Petersens auseinandersetzen. Hinsichtlich ihrer religiösen Dimensionen, der schulischen Praxis religiöser Erziehung sowie der Religiosität der Gründerpersönlichkeiten selbst werde ich Untersuchungen und Vergleiche anstellen.
In der Literatur existieren durchaus Vergleiche der Pädagogik Maria Montessoris und Peter Petersens. Diese befassen sich jedoch nicht mit dem Themenkomplex „Religion und Religiosität“, sondern arbeiten allgemeine Aspekte heraus. Dass meine Wahl auf die Pädagogik Maria Montessoris und Peter Petersens gefallen ist, lässt sich wie folgt begründen.
Wohl kein anderes pädagogisches Konzept ist international so weit verbreitet wie das von Maria Montessori. Dass das Konzept Maria Montessoris eines der erfolgreichsten Konzepte der Reformpädagogik war und auch heute noch ist, zeigen die zahlreich gegründeten Montessori-Einrichtungen. So gibt es seit ca. 2002 etwa 950 vorschulische- und schulische Einrichtungen. Ca. die Hälfte von diesen sind Vorschuleinrichtungen; wiederum etwa 135 von den Vorschuleinrichtungen arbeiten integrativ mit behinderten Kindern.12 Es bestehen zudem Montessori-Hauptschulen, Montessori-Sonderschulen, Montessori-Gymnasien, Montessori-Realschulen sowie Montessori-Gesamtschulen.13
Ebenfalls existieren ca. 270 Jenaplanschulen, von denen die meisten in den Niederlanden gegründet wurden. Einige Elemente aus dem Jenaplan, wie der Kreis am Montagmorgen, die Wochenplanarbeit oder die Auflösung von Jahrgangsklassen zu Lerngruppen, werden heute in staatlichen Schulen umgesetzt, indem sie in den “normalen“ Unterricht integriert werden.
Das pädagogische Konzept Maria Montessoris ist in besonderem Maße von Religion geprägt und soll deshalb in dieser Arbeit Beachtung finden. Ebenfalls ist der persönliche Bezug Maria Montessoris zur Religion besonders ausgeprägt. Die religiöse Erziehung nimmt sowohl im Denken Montessoris als auch in der pädagogischen Praxis eine zentrale Stellung ein. Die Basis dafür findet Maria Montessori sowohl in ihrer Anthropologie, wie auch in ihrem Verständnis von der Welt. Für Montessori ist Religion eine Grundgegebenheit des Menschen und existiert damit, wie die Sprache, seit Beginn der Welt.14
Religion und Sprache sind demnach Kennzeichen jeder Menschengruppe. Montessori äußert sich dazu wie folgt: „[…] Wenn uns Religion fehlt, so fehlt uns etwas Fundamentales für die Entwicklung des Menschen“15.
Auch Peter Petersen hat einen besonderen Bezug zur Religion, was sich in seinen Schriften, wie auch der pädagogischen Arbeit in der Schule zeigt. Petersen hat sich in seiner pädagogischen Arbeit von Anfang an mit religiösen Fragen und der Reform des bestehenden Religionsunterrichtes in der Schule, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, auseinandergesetzt.
Barbara Kluge hat 1992 eine Biographie zu Peter Petersens mit dem Titel Peter Petersen: Lebenslauf und Lebensgeschichte; auf dem Weg zu einer Biographie veröffentlicht.16 In dieser hat sie sich zu der Bedeutung von Religion und Werk Peter Petersens wie folgt geäußert: „Eine Zustimmung zu Petersens Werk erfordert in letzter Konsequenz die Zustimmung zu einer Ethik, die die Wurzeln im Religiösen hat“17.
In dieser Arbeit werde ich einen Überblick über die Reformpädagogik, ihre Kritik an der bestehenden Schule, ihre Ziele, Intentionen und Merkmale geben. Im Anschluss sollen zunächst die pädagogischen Konzeptionen Maria Montessoris und Peter Petersens, wie auch die beiden Gründerpersönlichkeiten getrennt von einander dargestellt werden. Bei der Darstellung der pädagogischen Konzeptionen werde ich einige Aspekte auswählen, die für das allgemeine Verständnis der Pädagogik sowie in Bezug auf die religiöse Erziehung von besonderer Bedeutung sind. Hinsichtlich des Themas dieser Arbeit werden die Aspekte Religion und Religiosität im Leben und in Werken Maria Montessoris und Peter Petersens gesondert hervorgehoben. Hier werde ich zunächst auf die Religiosität der Gründerpersönlichkeiten eingehen, da diese für das Verständnis und die Praxis religiöser Erziehung von Relevanz sind. Neben einer Darstellung von Religion in den Konzeptionen der beiden Reformpädagogen stelle ich die Praxis der religiösen Erziehung dar.
Weiter vergleiche ich in einem zusammenfassenden Punkt die Pädagogik Maria Montessoris mit der von Peter Petersen hinsichtlich des Themas „Religion und Religiosität“, wie auch die Praxis der religiösen Erziehung. Hier werde ich sowohl Gemeinsamkeiten, als auch Unterschiede herausarbeiten und diese an genannter Stelle erläutern. Ein Vergleich der beiden pädagogischen Konzeptionen lässt sich nur anstellen, wenn im Vorfeld eine intensive Auseinandersetzung mit den jeweiligen
Konzeptionen getrennt voneinander stattgefunden hat, da diese für das Verständnis
der Vergleichsaspekte von Bedeutung sind. Deshalb werde ich in dieser Arbeit Schwerpunkte auf die Darstellung von ausgewählten Aspekten pädagogischer Inhalte sowohl allgemein als auch hinsichtlich des Themenkomplexes „Religion und Religiosität“ legen.
Da der Themenkomplex „Religion, Religiosität und religiöse Erziehung“ in der Pädagogik Maria Montessoris und Peter Petersens in der Literatur bislang nicht vergleichend aufgezeigt wurde, stellt diese Arbeit für mich eine große Herausforderung dar.
Meine Aussagen werden sich hierbei sowohl auf Primärquellen, d.h. direkte Zitate Maria Montessoris und Peter Petersen, wie auch auf eine Reihe von Sekundärquellen beziehen. Zu letzteren ist jedoch anzumerken, dass ich mich auf die Aussagen von Autoren dieser Werke stütze. Diese sind oftmals auf subjektive Weise entstanden und beziehen sich auf Primärquellen.
2. Reformpädagogik - eine Übersicht
Unter den Begriffen „Reformpädagogik“ oder „reformpädagogische Bewegung“ werden eine Vielzahl unterschiedlicher Strömungen zusammengefasst, die in Deutschland zwischen 1890 und 1933 auf die Erneuerung von Schule und Erziehung ausgerichtet waren. Der Anfang der Reformpädagogik wurde durch das Erscheinen des Werkes Das Jahrhundert des Kindes von Ellen Key im Jahr 1900 gemacht. Die Wurzeln der deutschen Reformpädagogik liegen in der Aufklärung sowie den darauf folgenden Epochen Klassik und Romantik.
Als Vorreiter der pädagogischen Strömung gelten repräsentativ Jean Jaques Rousseau (1712-1778), Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) und Friedrich Fröbl (1782- 1852).18 Der Entstehungs- und Entwicklungszeitraum der Reformpädagogik liegt zwischen der Gründung der „New School Abbotsholme“, der Mutterschule der europäischen Landerziehungsheimbewegung (1889) und 1924/25 mit der Gründung der Jenaplanschule Peter Petersens sowie der sozialistisch orientierten Arbeitsschule Célestin Freinets´ (Education du travail).19
1928 arbeitete Wilhelm Flitner die drei Phasen der pädagogischen Reformbewegung heraus.20 Das Modell wird als dreifach, chronologisch, dynamisch und strukturell beschrieben.21 Zu der ersten Phase, die in Deutschland 1890 begann, zählte Flitner verschiedene Strömungen und Initiativen, wie die Kunsterziehungs- und Arbeitsschulbewegung, die Landerziehungsheime, die Wandervogelbewegung sowie die Ideen Berthold Ottos. Die zweite Phase der Reformpädagogik begann kurz vor dem Ersten Weltkrieg mit der „Freideutschen Jugend“ von 1913 und entwickelte sich zu einer politischen, radikalen Schulkritik. Zu den wichtigsten Erkenntnissen gehörten die Notwendigkeit zur Selbstbildung eines neuen Menschentums sowie eine neue Lebensreform. 1924 trat die dritte Phase der reformpädagogischen Bewegung hervor. Flitner nannte hier als Ereignis den 1. pädagogischen Kongress in München. Mit diesem habe zugleich die Revisionsphase der Reformpädagogik eingesetzt.
Diese Phase zeichnet sich demnach besonders durch reformpädagogische Selbstkritik aus.
Das Dreiphasenmodell Flitners von 1928 wurde von Hermann Röhrs um drei weitere Phasen erweitert. Nach Röhrs begann demnach die vierte Phase in den faschistisch gewordenen Ländern um 1934, in der übrigen Welt zu Beginn des Zweiten Weltkrieges. Die fünfte Phase ordnet Röhrs dem amerikanischen und englischen Raum zu. Reformpädagogische Tendenzen sieht er in den sechziger Jahren u.a. in der Dewey-Renaissance, der Gründung von „Free Schools“, „Open Schools“ und „Comprehensive Schools“ sowie der Wiederentdeckung von Neill´s “Summerhill“. Die sechste Phase der Reformpädagogik, die in Deutschland in den siebziger Jahren einsetzte, zeichnete sich durch den Anfang der Gesamtschulbewegung sowie der Gründung von freien Alternativschulen aus.22
In Bezug auf Flitners Einteilung der Reformpädagogik in Phasen schlägt Röhrs die Einteilung in zwei Perioden vor. Die erste Periode umfasst hiernach die Phasen 1 - 4, die zweite Periode umfasst die Phasen 5 und 6.23
Die Einteilung in weitere drei Phasen durch Herman Röhrs ist jedoch umstritten. Schon das Dreiphasenmodell war laut Flitner als ein „abgeschlossenes Ganzes“ zu betrachten. Kritik wird an der Phasenerweiterung in dem Sinne geübt, dass vorgeworfen wird, durch die Erweiterung entstünden lediglich Wiederholungen und Überschneidungen.24
Diese beiden verschiedenen Ansichten bezüglich der zeitlichen Einteilung reformpädagogischer Strömungen verdeutlichen, dass eine genaue Einteilung schwierig ist. Im Hinblick auf diese Problematik äußerte sich Skiera (2003, S. 463) wie folgt: „Reformpädagogik lässt sich offenbar nicht als eigenständige Epoche der Erziehungsgeschichte begründen, wohl aber als ein vielstimmiger, recht lose miteinander verbundener pädagogischer Diskurs und als eine gewisse Anzahl darauf bezogener Praxisfelder in der Erziehungswirklichkeit.“
Ebenfalls herrscht Uneinigkeit darüber, ob die reformpädagogische Strömung als eine historische Epoche zu bezeichnen sei. Damit von einer historischen Epoche in der Pädagogik wie auch in der Geschichte gesprochen werden kann, müssen mindestens drei Bedingungen erfüllt sein: Anfang und Ende einer historischen Epoche müssen genau festgelegt sein. Sie muss abgeschlossen sein und darf sich nicht wiederholen. Auch zeichnet sich eine historische Epoche dadurch aus, dass neue theoretische Innovationen, Themen, Stile und Forderungen auftreten, die es bis zu dem jeweiligen Zeitpunkt nicht gegeben hat. Ebenfalls müssen genannte neue Aspekte Personen zugeordnet werden können.25
Laut Oelkers ist die Reformpädagogik „eher ein prinzipiell unabschließbares Projekt, bei dem Anfang und Ende offen bleiben müssen“26. Das Projekt Reformpädagogik müsse immer weitergeführt werden. Auch die Pädagogik der Gegenwart schließt sich dem an, denn pädagogische Arbeit setzt noch immer bei Defiziten an und bringt neue Innovationen hervor.27
Die Reformpädagogik war von Anfang an eine internationale Bewegung, die sich an einem gemeinsamen Ziel orientierte. Ziel der Reformpädagogik ist eine Revolutionierung der Gesellschaft durch die Schule. Es soll eine Individualisierung und Humanisierung des Schullebens, eine Wechselwirkung zwischen Theorie und Praxis, stattfinden.28
Die Erziehung zum Frieden ist ein weiteres Ziel der meisten pädagogischen Konzeptionen. Das Leitmotiv einer Erziehung zum Frieden ist der Friedensgedanke, der die gesamte Reformpädagogik durchzieht.29 Die Friedenserziehung, die sich im Schulalltag vollziehen soll, ist zugleich Prozess der Humanisierung.30 Kritik richtete sich gegen die „alte Schule“, die den Charakter einer reinen Stoff- und Bildungsschule besaß, die Charaktere nicht erziehen, sondern verderben würde und ausschließlich auf Methode und Disziplin ausgerichtet war. Damit war Schule weit entfernt von einer Institution, die den Bedürfnissen und Möglichkeiten kindgerechten Lernens entspricht. Charakteristisch war zudem eine ausgeprägte Lehrerorientierung.31
Die „alte Schule“ sollte reformiert werden. Dieser Vorstellung nach sollte die Schule sich nach kindorientierten Bildungsidealen richten; eine lebendige Schulgemeinschaft war das Ziel. Diese Hinwendung zum Kind ist zugleich eine Eigenschaft, die die gesamte Reformpädagogik charakterisiert.32
Das traditionelle Autoritätsverständnis zwischen Lehrer und Schüler sollte abgebaut werden und sich zu einem wechselseitigen Vertrauen und einer lebendigen zwischenmenschlichen Beziehung entwickeln.33
Innerhalb der Reformpädagogik existieren verschiedene Reformlinien; dennoch bestehen gemeinsame pädagogische Grundmotive:
„Orientierung an den kindlichen Bedürfnissen und Interessen;
Ein Lernen, das die einseitige intellektuelle Orientierung überwindet und die Aspekte der Aktivität, Kreativität und Lebensnähe einschließt; Schule als Lebensgemeinschaft, als ein Ort kooperativen, selbst- und mitverantwortlichen Lernens und Lebens; Erziehung des „ganzen Menschen“34.
Ebenfalls bestehen laut Skiera (2003, S. 23) in fast allen reformpädagogischen Schulen in Bezug auf didaktisch-methodische und organisatorische Momente folgende Merkmale:
-„Gestaltung eines ästhetisch und intellektuell anregenden Lernmilieus; Aufnahme fächerübergreifender Lernbereiche und Unterrichtsprojekte; Möglichkeit der Mitbestimmung des Kindes bei der Wahl von Lernaktivitäten;
-Selbstbildungsmittel zur individuellen Arbeit, Partner- und
-Gruppenarbeit;
-sprachlich differenzierte und informell-persönliche Leistungsberatung und -beurteilung;
-Bildung von Lerngruppen nach anderen Gesichtspunkten als Leistungsund Altershomogenität;
-Öffnung der Schule gegenüber dem räumlichen und sozialen Umfeld als wichtigem Lern- und Erfahrungsraum;
-Betonung der kindlichen Eigenaktivität.“35
-Hinsichtlich einer Bildungsreform fordern die Reformpädagogen u.a.:
-„Überwindung der Schule als „Zwangsanstalt“ durch ein natürliches und organisches Lernen im Rahmen eines Gesprächskreises (Berthold Otto), Das natürliche Lernen im Umkreis einer Lebens - Schule (Ovide Decroly), Die Gestaltung des kindlichen Lebensraumes zu einem kindgemäßen Lernfeld (Maria Montessori),
-Das eigenständige Lernen in der Kinder - Universität (Helen Parkhurst),
-Das Lernen im Rahmen des gruppenunterrichtlichen Verfahrens (Peter Petersen),
-Es soll nach der Übertragbarkeit der reformpädagogischen Methoden gefragt werden“36.
3. Die Pädagogik Maria Montessoris
In diesem Kapitel werde ich die Pädagogik Maria Montessoris darstellen, wobei ich einige Aspekte in Bezug auf Montessoris pädagogische Arbeit aus ihrem Leben skizzieren werde. Ich lasse dabei eine Chronologie ihrer Schriften aus, da diese das Ergebnis ihrer pädagogischen Arbeit sind und in Bezug auf den Weg hin zu ihrem pädagogischen Konzept, der Montessori-Pädagogik, nicht von Relevanz sind. In einem zweiten Punkt werde ich die Grundzüge der Montessori-Pädagogik erläutern, wobei ich mich auf wesentliche Aspekte beschränken werde. Gesondert vorgehoben werden sollen jene Aspekte, die für das Verständnis der Pädagogik sowie die Übertragung auf den Themenbereich Religion in der Pädagogik Montessoris eine besondere Stellung einnehmen.
Weiter soll der Aspekt „Montessori - Pädagogik und Religion“ Beachtung finden.
Hier findet eine erneute Darstellung der Biographie Montessoris hinsichtlich ihrer eigenen Religiosität, der Bedeutung von Religion in der Pädagogik Maria Montessoris wie auch eine Übersicht über die Praxis religiöser Erziehung statt.
3.1 Maria Montessori
Maria Montessori wurde am 31. August 1870 in Chiaraville bei Acona geboren.
Sie wuchs in einer normalbürgerlichen Familie auf. Ihr Vater arbeitete im Finanzministerium und leitete die staatliche Tabakmanufaktur. Er war stets um eine traditionelle Rollenverteilung bemüht. Die Mutter lebte in der Hoffnung der Frauenemanzipation. Montessori war eine der ersten Frauen Italiens, die eine Sekundarschule für Jungen besuchte, anstatt wie üblich eine Laufbahn zum Erzieherberuf einzuschlagen.
1890 schrieb sie sich für das Studienfach Medizin ein. In ihren letzten beiden Studienjahren arbeitete Montessori als Assistentin an einer psychiatrischen Klinik in Rom. Sie spezialisierte sich auf Kinderheilkunde und setzte diese Tätigkeit als Assistenzärztin in der Abteilung für Kinderpsychiatrie der römischen Universitätskinderklinik fort. Während des Medizinstudiums fand sie durch den Kontakt zu Kindern Interesse an der Pädagogik.37 Der Ausgangspunkt ihrer
pädagogischen Arbeit war der Umgang mit schwachsinnigen Kindern, die sie 1896 bei ihrer Arbeit in der psychiatrischen Klinik der Universität von Rom kennen lernte.38
Bei dem Umgang mit diesen Kindern kam Montessori zu der Erkenntnis, dass das Problem dieser geistig zurückgebliebenen Kinder mehr ein pädagogisches, als ein medizinisches sei. Auf dieser Gedankengrundlage fing sie an, über geeignete Erziehungsmöglichkeiten nachzudenken. Dabei stieß Montessori auf die medizinisch- heilpädagogischen Schriften der französischen Ärzte Jean-Marc Gespard Itards (1774-1838) und Edouard Séguins (1812-1880), dem Schüler Itards.39 Beide hatten bedeutende Arbeiten zur Erziehung geistig behinderter Kinder verfasst. Montessori wendete sich dem Material Séguins zur Sinnesschulung zu und entwickelte dieses weiter bis zu jener Form von didaktischen Materialien, wie sie auch heute noch in den Montessori-Kinderhäusern und Montessori-Schulen eingesetzt werden.40 Montessoris „Dreistufenlektion“ geht ebenfalls auf Séguin zurück. Es beinhaltet folgende Aspekte:
1) „Einer Sinneswahrnehmung einen Namen zuordnen;
2) Den entsprechenden Gegenstand wiederzuerkennen;
3) Die adjektivistische Bestimmung des Gegenstandes zu erinnern“41.
Auch in ihren Werken weist Montessori auf den Einfluss der Ärzte Jean-Marc Gaspard Itards sowie dessen Schüler Edouard Séguin hin.42 Die Idee der Erziehung schwachsinniger Kinder wollte Montessori wenig später ebenfalls bei normalen Kindern anwenden.
Am 6. Januar 1907 übernahm Montessori die Leitung eines in Rom gegründeten „Casa dei bambini“ (dt.: Kinderhaus) im römischen Arbeiterbezirk San Lorenzo.43 In diesem beobachtete sie zum ersten Mal jenes Phänomen, welches sie später “Polarisation der Aufmerksamkeit“ nannte, die tiefe und lang anhaltende Konzentration des Kindes auf eine Aufgabe.44 Das erste Werk Montessoris, welches den Titel Il methodo della pedagogica (dt. Die Methode der wissenschaftlichen
[...]
1 Vgl. Skiera, E. (1996): Frühe Schulkritik und die Idee einer menschenfreundlichen Schule, S. 5.
2 Vgl. Baader, M. S. (2005): Erziehung als Erlösung, S. 281.
3 Diese Bezeichnung bezieht sich sowohl auf die weibliche, als auch die männliche Form
4 Vgl. Baader, M. S. (2005): Erziehung als Erlösung, S. 275.
5 Vgl. Ebd., S. 277.
6 Vgl. Ebd., S. 161.
7 Ebd., S. 143f.
8 Baader, M. S. (2005): Erziehung als Erlösung, S. 143f.
9 Vgl. Ebd., S. 163.
10 Benner, D.; Kemper, H. (2003): Theorie und Geschichte der Reformpädagogik, S. 58; Zitiert nach Key, E.: Das Jahrhundert des Kindes (1900), S. 77.
11 Vgl. Collmar, N.; Koerrenz, R. (Hrsg.) (1994): Die Religion der Reformpädagogen, S. 4. 6
12 Vgl. Raapke, H. D. (2003): Profil der Montessori-Pädagogik und ihrer Einrichtungen. S. 1.
13 Vgl. Ebd., S. 2.
14 Vgl. Kyung Sun, K. (1998): Kind und Religion bei Maria Montessori, S. 56.
15 Montessori, M. (1995): Gott und das Kind. Hrsg. von G. Schulz- Benesch, S. 97. 7
16 Vgl. Kluge, B. (1992): Peter Petersen: Lebenslauf und Lebensgeschichte, o.S.
17 Kliss, O. (2004): Religionsunterricht bei Peter Petersen, S. 14. zitiert aus: Kluge, B. (1992): Peter Petersen: Lebenslauf und Lebensgeschichte, o.S.
18 Vgl. Heiland, H. (1996): Wegbereiter der Reformpädagogik: Rousseau, Pestalozzi, Fröbel, S. 36.
19 Vgl. Skiera, E. (2003): Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart, S. 17.
20 Vgl. Ebd., S. 458f. Vgl. dazu auch: Flitner, Wilhelm (1928): Die drei Phasen der reformpädagogischen Reformbewegung, In: Neue Jahrbücher, Jg.1928 Heft 2, S. 242 - 249.
21 Vgl. Oelkers, J. (1996): Reformpädagogik. Eine kritische Dogmengeschichte, S. 23. 10
22 Vgl. Skiera, E. (2003): Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart, S. 461.
23 Vgl. Ebd., S. 17.
24 Vgl. Ebd., S. 462.
25 Vgl. Oelkers, J. (1996): Reformpädagogik. Eine kritische Dogmengeschichte, S. 14.
26 Ebd., S. 15.
27 Vgl. Ebd., S. 15.
28 Vgl. Röhrs, H. (1998): Die Reformpädagogik. Ursprung und Verlauf unter internationalem Aspekt, S. 40.
29 Vgl. Ebd., S. 96.
30 Vgl. Ebd., S. 447.
31 Vgl. Ebd., S. 12.
32 Vgl. Hedderich, I. (2001): Einführung in die Montessori- Pädagogik, S. 20.
33 Vgl. Bauer, W.; Grundmann, W. (1995): Der Religionsunterricht in der deutschen Schule, S. 161f.
34 Skiera, E. (2003): Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart, S. 22.
35 Ebd., S. 23.
36 Röhrs, H. (1998): Die Reformpädagogik. Ursprung und Verlauf unter internationalem Aspekt,
S. 356f.
37 Vgl. Montessori, M. (1994): Kinder lernen schöpferisch, S. 13.
38 Vgl. Kyung Sun, K. (1998): Kind und Religion bei Maria Montessori, S. 8.
39 Vgl. Ebd., S. 9.
40 Vgl. Hedderich, I. (2001): Einführung in die Montessori- Pädagogik, S. 14.
41 Skiera, E. (2003): Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart, S. 207. zitiert nach: Montessori (1969), S. 174ff.
42 Vgl. Ebd., S. 207.
43 Vgl. Ebd., S. 195.
44 Vgl. Ebd., S. 198.
- Arbeit zitieren
- Kim-Christin Janßen (Autor:in), 2006, Der Moment des Religiösen in der Pädagogik von Maria Montessori und Peter Petersen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76170
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