Als Stanley Kubrick 1999 starb, hatte er gerade die Arbeit an einem seiner umstrittensten Filme beendet. Eyes Wide Shut beruht auf der Traumnovelle Arthur Schnitzlers und doch ist der Film keine plumpe Kopie, sondern eine Literaturadaption der besonderen Art.
1 Inhaltsverzeichnis
2 Prolog
3 Eyes Wide Shut
3.1 Regisseur – Stanley Kubrick
3.2 Plot, Storyline und Narration
3.3 Figuren
3.3.1 Darstellung
3.2.2 Interpretative Charakterisierung
3.4 Gestaltung
3.4.1 Kamera
3.4.2 Montage
3.4.3 Licht
3.4.4 Originalton, Off-Ton und Musik
3.5 Zusammenführende Betrachtung
4 Traumnovelle
4.1 Autor – Arthur Schnitzler
4.2 Darstellung des Handlungsbeginns
4.3 Deutung
5 Vergleichende Analyse
6 Finale Kommentierung
7 Literaturverzeichnis
7.1 Quellen
7.2 Filmverzeichnis
7.3 Sekundärliteratur
7.4 Internetquellen
Das Drehbuch ist die Raupe, aus der im Prozess der Filmerstellung ein Schmetterling wird.
Jean-Claude Carrière
2 Prolog
Als Stanley Kubrick 1999 starb, hatte er gerade die Arbeit an einem seiner umstrittensten Filme beendet. Eyes Wide Shut beruht auf der Traumnovelle Arthur Schnitzlers und doch ist der Film keine plumpe Kopie, sondern eine Literaturadaption der besonderen Art.
Das Ziel dieser Seminararbeit wird nicht nur sein, die inhaltliche Übertragung zwischen den beiden Medien Film und Literatur zu untersuchen, sondern auch die Komponenten heraus zu filtern, deren Transformation bei diesem Übergang unumgänglich sind. Anhand dieser Konstellation befasst sich die Analyse beispielhaft mit den beiden Anfängen. Bei Eyes Wide Shut wird diese Behandlung bis Minute 19:02, also einschließlich Szene 19, stattfinden und zum anderen die Traumnovelle bis Seite 12, Zeile 23[1] einschließen.
Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der filmischen Umsetzung von Eyes Wide Shut und den handlungstechnischen Differenzen zwischen beiden Werken. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den verschiedenen Faktoren der Filmtechnik und ihre Wirkung auf den Zuschauer sowie auf der Untersuchung der Dramaturgie der Handlung. Dies wird anhand der detaillierten Betrachtung der einzelnen Funktionen des Plots und der Storyline, der Figurendarstellung und der Anordnung der gestalterischen Mittel, mit ihren Bestandteilen der Kameraführung, der Montage, des Lichts und des Sounds, geschehen.
In diesem Rahmen wird die Art der Literaturverfilmung genau in betracht gezogen, die Kubrick hier geschaffen hat.
Dabei können aufgrund der Ausgangslage und Gründen des Umfangs weder eine Aufführung der Einflüsse der Studien Sigmund Freuds auf die literarischen Schriften Schnitzlers angestellt werden, noch nimmt diese Arbeit eine inhaltliche Gesamtinterpretation vor, sondern befasst sich ausschließlich mit den beiden Anfängen.
Des Weitern können aus besagten Gründen keine Vergleiche zu Kubricks vorangegangenen Filmen und Schnitzlers Ansichten zur filmischen Umsetzung unternommen werden.
3 Eyes Wide Shut
3.1 Regisseur – Stanley Kubrick
Stanley Kubrick wurde am 26.07.1928 in New York geboren. Sein Vater war ein jüdischer Arzt, dessen familiäre Herkunft in Österreich-Ungarn anzusiedeln ist. Kubrick brach bereits früh die Schule ab, um sich als Fotograf zu versuchen, was kurzfristig dazu führte, dass er bereits im Alter von 18 Jahren als freier Mitarbeiter des Fotoressorts für das Magazin Look arbeitete.
Bereits 1950 drehte Kubrick mit Day of the fight seinen ersten Kurzfilm. Die nächsten drei Jahre verbrachte er mit dem Anfertigen einiger Dokumentarfilme, bis er im Jahr 1953 seinen ersten Spielfilm Fear and Desire inszenierte.
Schon zu dieser Zeit wurde er als exzentrisch bezeichnet, ließ er doch Fear and Desire und alle vorangegangenen Werke für jede öffentliche Vorführung sperren, da er sie als Übungen betrachtete, die nicht unter optimalen Bedingungen stattgefunden hatten und er somit Kompromisse bei der Produktion hatte eingehen müssen. Je länger seine Laufbahn andauern sollte, je erfolgreich er wurde und je größer die Budgets für seine Film wurden, desto mehr verfiel er in einen Rausch des Perfektionismus. Über manche seiner Filme wurde von Anwesenden berichtet, Kubrick habe vereinzelte Einstellungen mehrere hundert mal drehen lassen, bis sie exakt seinen Vorstellungen entsprachen[2].
Die Karriere des Stanley Kubrick in Hollywood begann mit der Übernahme der Regie des Films Spartacus (1960). Kurz nach dem Anfang der Dreharbeiten war der eigentliche Regisseur Anthony Mann entlassen worden. Kubrick sprang ein, war aber unglücklich darüber, dem Film nicht wie gewohnt seinen ganz eigenen Willen und seine Vorstellungen aufdrücken zu können. Er übernahm folgend nur noch Projekte, bei denen er von der Erstellung des Drehbuchs über die Produktion bis hin zum finalen Schnitt die vollkommene Kontrolle hatte.
Nach Beendigung der Dreharbeiten verlagerte Kubrick seinen Wohnort nach England. Es folgte der Film Dr. Strangelove, or How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb (1963). Des Weiteren wurde er in der Filmwissenschaft für seine Symbolik bekannt, die auch in seinen erfolgreichsten Filmen 2001: A Space Odyssey (1968), A Clockwork Orange (1971), The Shining (1980) und Full Metal Jacket (1987) reichlich Anwendung fand.
Zwei weitere geplante Filme konnte Kubrick jedoch nicht mehr realisieren. Da er der Meinung war, je länger man mit der Verwirklichung des Films A.I. – Künstliche Intelligenz warten würde, desto besser und realistischer wären die Umsetzungsmöglichkeiten, übertrug er dieses Konzept seinem langjährigen Freund Steven Spielberg, der den Film 2001 in die Tat umsetzte. Mit der Lebensgeschichte des französischen Kaisers Napoléon Bonaparte hatte sich Kubrick fast ein Leben lang befasst, eine komplette inhaltliche und produktionstechnische Organisationaufzeichnung fand man später in seinem Nachlass. Der Film war an enormen Produktionskosten gescheitert. Bis heute fand dieses Projekt keine Fortsetzung.
Wie jeder Regisseur hatte auch Kubrick Interesse und Ideen an einer Vielzahl von Filmstoffen gehabt, die jedoch aus unterschiedlichen Gründen nie – zumindest von ihm persönlich – verwirklicht wurden. Zu den interessantesten gehören sicherlich Tolkiens Lord of the rings, Süskinds Das Parfüm und Schindler's Ark.
Schon 1970 erwarb er die Rechte an Arthur Schnitzlers Traumnovelle, deren Umsetzung er aber erst 1998 in Angriff nahm. Nur fünf Tage nach der Fertigstellung des Director’s Cut von Eyes Wide Shut starb Stanley Kubrick am 7. März 1999 in England.
3.2 Plot, Storyline und Narration
Stanley Kubrick verlagerte die Story seines Films in das New York des 20. Jahrhunderts. Zum einen tat er dies wohl, um den gesellschaftlichen und räumlichen Kontext dem heutigen Publikum etwas näher zu bringen. Aber das New York der gegenwärtigen Zeit präsentiert vielleicht auch den Kosmos, den Wien zu Beginn desselben Jahrhunderts darstellte – eine Stadt, in der alles möglich ist, eine Stadt, bevölkert von einer Vielzahl an Menschen und in der man doch einsam sein kann, in der die Familie manchmal der einzige Zufluchtsort zu seien scheint. Die pulsierende Gesellschaft bekennt sich zwar nach außen zu einem liberalen Leben und doch werden Außenseiter kategorisch ausgegrenzt. Georg Seeßlen formuliert sogar noch etwas drastischer:
„Das Alte und das Neue, eine Lockerung der Sitten und ein innerer und äußerer Zwang zur Offenheit, stehen einer nach wie vor fundamentalen Organisation von Liebe und Familie gegenüber. Die Stadt selbst hat ihr eigenes, "neoklassisches" Leben, hat ihre eigenen Untergründe, ihre Labyrinthe, sie lässt auch den besten Bürger gefährliche Wege gehen. Die Projekte der Modernisierungen im Mikrokosmos der Gesellschaft sind gescheitert, die scheinhafte Liberalisierung erweist sich als Phantasma.“[3]
Christian Ruschel sieht in dieser sowohl zeitlichen wie auch örtlichen Verlegung der Handlung in eine Großstadt der heutigen Zeit ein Zeichen für die Aktualität und Kontextlosigkeit der zentralen Themen:
„Offenbar zielt Kubrick mit der zeitlichen und örtlichen Situierung des Geschehens ebenso wie Schnitzler auf dessen Allgemeingültigkeit ab hinsichtlich der Aussagen über die zwischenmenschlichen und persönlichen Dimensionen der thematisierten Motive von Ehe, Liebe, Sex, Eifersucht, Vertrauen, Lüge und Schuld. Gerade in Großstädten ist ein anonymes Miteinander unterschiedlichster Menschen anzutreffen, die von der Existenz des anderen nichts wissen. […]
Eine Aktualisierung der Geschichte wird als nicht nötig empfunden, sie wird lediglich in ein zeitgenössisches Gewand gekleidet.“[4]
Kubrick selbst scheint sich der Zeitlosigkeit der Themen Liebe, Eifersucht und Verlangen sehr wohl bewusst gewesen zu sein, anders ist der folgende Disput mit seinem Co-Autor wohl kaum zu deuten:
„Dass sich die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern doch erheblich geändert hätten seit Schnitzler und Freud, argumentierte der durch Kubricks konsequente Werktreue leidlich frustrierte Frederic Raphael. "Glaubst du? Ich nicht", war die lakonische Antwort des Regisseurs.“[5]
Ein weiterer Punkt Kubricks symbolisierender Darstellung ist die zeitliche Verlagerung in die Weihnachtszeit. Weihnachten als Fest der Liebe und Familie wird dem Zuschauer immer wieder auf dekorativem Weg ins Gedächtnis gerufen – egal ob als grell geschmückte Weihnachtsbäume oder Weihnachtssterne. Gerade zu Beginn des Films kann man bei diesem Aspekt einen gewissen Wiedererkennungswert nicht leugnen, besitzt doch der geschmückte Baum bei den Harfords das identische Aussehen wie die Bäume bei den Zieglers; und auch der Schmuck an den Sternen strahlt in den gleichen Farben.
Die Verteilung der Geschlechterrollen stellt sich fast etwas klischeehaft dar. Bill ist als Arzt mit eigener Praxis der Ernährer der Familie, Alice, die studierte Kunstwissenschaftlerin, fühlt sich in ihrer Funktion als Hausfrau und Mutter unterfordert. Eine genauere Sezierung der beiden Figuren erfolgt in dem gleichnamigen Kapitel 3.3.
In das Zusammenleben und ihre Ehe hat sich Routine und Langeweile eingenistet. Die Leidenschaft füreinander, welche die beiden später in bestimmten Situationen oder aber ihren Träumen suchen, steht nicht mehr an oberster Stelle ihrer Beziehung. So sorgt Bill schon mal für den letzten Schliff an seinem Anzug vor dem Badezimmespiegel, während seine Frau hinter ihm auf der Toilette sitzt, oder fertigt seine Frau, nachdem diese wenigstens um ein bisschen bestätigende Aufmerksamkeit bittet, mit einer Floskel ab:
„ Alice: Ich weiß. Wie seh’ ich aus?
Bill: Perfekt.
Alice: Ist die Frisur okay?
Bill: Sieht toll aus.
Alice: Du hast ja nicht mal hingesehen.
Bill: Sie ist wunderschön, Du siehst immer schön aus.“[6]
Auf den Punkt gebracht: „Das, was uns Zuschauerinnen und Zuschauern hier als erotischer Blick serviert wird, ist für das Ehepaar eine völlig begierdelose Routine. Man nimmt den Körper des anderen teilnahmslos wahr.[7] "
Bill ist zu dieser Zeit noch die Person, die in der Hierarchie der beiden Figuren etwas höher, etwas dominanter einzuschätzen ist. Sein patriarchalisches Verhalten ändert sich zwar nicht nach Alices Schilderung von ihrem gemeinsamen Urlaub, Besitzdenken, Eifersucht, Angst vor dem Kontrollverlust und Rache verstärken sich bei Bill sogar noch, jedoch wandeln sich zwei entscheidende Faktoren: Zum einen nimmt er Alice wieder als sexuell freies Wesen dar, dessen er sich nicht mehr uneingeschränkt sicher sein kann. Zum anderen erfüllt Alice durch ihren gedanklichen Moralbruch nicht mehr länger die passive Rolle, sondern – dadurch das sie Bill in seinem innerlichen Bild der demütigen und treuen Ehefrau erschüttert hat und ihn so tief verletzt hat, durch ihren fiktiven, nicht praktizierten Seitensprung – nimmt ab diesem Moment die primäre Rangordnung in ihrer Beziehung ein.
[...]
[1] Eyes Wide Shut. Das Drehbuch. Hrsg. von Stanley Kubrick und Frederic Raphael. Frankfurt am Main: Fischer 1999.
[2] Vgl. „Eyes Wide Shut” – http://www.filmzentrale.com/rezis/eyeswideshutgs.htm und
„Vergleich von Arthur Schnitzlers Traumnovelle mit Stanley Kubricks Eyes Wide Shut im Hinblick auf Handlungsverlauf und Figurenkonstellationen“ – http://www.medienstudent.de/studi/eyeswideshut.htm
[3] Eyes Wide Shut
[4] Ruschel, Christian: Vom Innen und Außen der Blicke. Aus Arthur Schnitzlers Traumnovelle wird Stanley Kubricks Eyes wide shut. Phil. Diss., Mainz: 2002. S. 61.
[5] Eyes Wide Shut
[6] Eyes Wide Shut. Das Drehbuch. S. 100.
[7] Vergleich von Arthur Schnitzlers Traumnovelle mit Stanley Kubricks Eyes Wide Shut im Hinblick auf Handlungsverlauf und Figurenkonstellationen
- Quote paper
- Sascha Rudat (Author), 2007, Literaturverfilmung - Analyse der Umsetzung der einführenden Szenen des Films "Eyes Wide Shut" im Vergleich zum Anfang von Arthur Schnitzlers "Traumnovelle", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75242
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