Die Gesellschaft befindet sich in einer stetigen Veränderung. Die Lebenserwartung in westlichen Industriestaaten steigt durchschnittlich pro Jahr um drei Monate. Zugleich geht die Geburtenrate in Deutschland zurück. Auf Grund von geänderten Rollenverständnissen von Frauen und Männern und die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte sind negative Auswirkungen auf die Familienplanung und den Kinderwunsch bemerkbar. Brauchen wir dann zusätzliche Kinderbetreuungsplätze? Zudem gibt es nicht mehr nur ein mögliches Modell des zukünftigen Lebens, sondern eine Vielzahl verschiedener Konstellationen. Wie sollen die Frauen arbeiten, gleichzeitig aber auch Kinder gebären und diese im Kleinstkindalter möglichst selbst betreuen? Wenn Mütter alleinerziehend sind, müssen sie erwerbstätig sein, um die Familie zu ernähren. Dadurch steigt der Druck auch auf die politisch Verantwortlichen, für eine adäquate Betreuung zu sorgen. Es muß also etwas getan werden. Nur was? Welche Rolle spielen Familienmitglieder bei der Fürsorge? Sind wir auf dem Weg zur Verstaatlichung von Kinderbetreuung?
Im Folgenden wird zunächst der gesellschaftliche Wandel beschrieben. Die Aus- und Wechselwirkungen auf das Ehe- und Familienmodell und das Rollenverständnis von Mann und Frau werden untersucht. In dem Zusammenhang stehen auch die geänderten Anforderungen des Arbeitsmarktes. Diese Faktoren schlagen sich nieder in den Lebensphasen-Modellen, und wirken auf die Geburtenrate und daraus resultierende Kinderbetreuungsbedarfe.
Nachdem die Rahmenbedingungen erläutert wurden, wird die Kinderbetreuung in Deutschland einer Bestandsaufnahme unterzogen. Es wird aufgezeigt, wo heute die Diskrepanzen liegen und welche Handlungsfelder sich ergeben.
Durch den Vergleich mit dem Dänischen Betreuungssystem wird die Zielvorgabe deutlich, wohin sich die Kinderbetreuung und die Gesellschaft in den nächsten Jahren entwickeln muß. Was sind die Vorteile dieses Systems? Wie ist es organisiert und wer trägt die Kosten? Schaffen wir die Aufholjagd?
INHALTSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 GESELLSCHAFTLICHER WANDEL
2.1 Ehe und Familienmodell
2.2 Rollenverständnis
2.3 Arbeitsmarkt
2.4 Lebensphasen-Modell
2.5 Demografie vs. Kinderbetreuung
3 KINDERBETREUUNG IN DEUTSCHLAND
3.1 Kinderbetreuung für unter 3-jährige
3.2 Kinderbetreuung von 3 bis 6 Jahren
3.3 Ganztagsbetreuung in öffentlichen KiTas
3.4 Betrieblich geförderte Betreuung
3.5 Alternative Betreuungsformen
3.5.1 Interfamiliär
3.5.2 Tagespflege
4 VERGLEICH MIT DEM DÄNISCHEN SYSTEM
4.1 Staatliche Unterstützung der Familien
4.2 Betreuungseinrichtungen
4.3 Betreuungszeit
4.4 Kosten
5 FAZIT UND HANDLUNGSEMPFEHLUNG
6 ANLAGENVERZEICHNIS
7 ANLAGEN
8 LITERATURVERZEICHNIS
Abbildungsverzeichnis
ABBILDUNG 1: KITA INANSPRUCHNAHME UNTER 3-JÄHRIGE (EIG.DARST.)
ABBILDUNG 2: KITA INANSPRUCHNAHME 3 BIS 6 JÄHRIGE (EIG.DARST.)
ABBILDUNG 3: GANZTAGSPLÄTZE FÜR UNTER 3-JÄHRIGE (EIG.DARST.)
ABBILDUNG 4: BETREUUNG DURCH GROSSELTERN NACH ORT (EIG.DARST.)
ABBILDUNG 5: FAMILIENBEZOGENE AUSGABEN LÄNDERVERGLEICH (EIG.DARST.)
ABBILDUNG 6: LÄNDERVERGLEICH BETREUUNGSEINRICHTUNGEN (EIG.DARST.)
Tabellenverzeichnis
TABELLE 1: KINDERBETREUUNG KOSTEN DÄNEMARK (EIG.DARST.)
1 Einleitung
Die Gesellschaft befindet sich in einer stetigen Veränderung. Die Lebenserwartung in westlichen Industriestaaten steigt durchschnittlich pro Jahr um drei Monate. Zugleich geht die Geburtenrate in Deutschland zurück. Auf Grund von geänderten Rollenverständnissen von Frauen und Männern und die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte sind negative Auswirkungen auf die Familienplanung und den Kinderwunsch bemerkbar. Brauchen wir dann zusätzliche Kinderbetreuungsplätze? Zudem gibt es nicht mehr nur ein mögliches Modell des zukünftigen Lebens, sondern eine Vielzahl verschiedener Konstellationen. Wie sollen die Frauen arbeiten, gleichzeitig aber auch Kinder gebären und diese im Kleinstkindalter möglichst selbst betreuen? Wenn Mütter alleinerziehend sind, müssen sie erwerbstätig sein, um die Familie zu ernähren. Dadurch steigt der Druck auch auf die politisch Verantwortlichen, für eine adäquate Betreuung zu sorgen. Es muß also etwas getan werden. Nur was? Welche Rolle spielen Familienmitglieder bei der Fürsorge? Sind wir auf dem Weg zur Verstaatlichung von Kinderbetreuung?
Im Folgenden wird zunächst der gesellschaftliche Wandel beschrieben. Die Aus- und Wechselwirkungen auf das Ehe- und Familienmodell und das Rollenverständnis von Mann und Frau werden untersucht. In dem Zusammenhang stehen auch die geänderten Anforderungen des Arbeitsmarktes. Diese Faktoren schlagen sich nieder in den Lebensphasen-Modellen, und wirken auf die Geburtenrate und daraus resultierende Kinderbetreuungsbedarfe.
Nachdem die Rahmenbedingungen erläutert wurden, wird die Kinderbetreuung in Deutschland einer Bestandsaufnahme unterzogen. Es wird aufgezeigt, wo heute die Diskrepanzen liegen und welche Handlungsfelder sich ergeben.
Durch den Vergleich mit dem Dänischen Betreuungssystem wird die Zielvorgabe deutlich, wohin sich die Kinderbetreuung und die Gesellschaft in den nächsten Jahren entwickeln muß. Was sind die Vorteile dieses Systems? Wie ist es organisiert und wer trägt die Kosten? Schaffen wir die Aufholjagd?
2 Gesellschaftlicher Wandel
Bereits das Grundgesetz schreibt in Artikel 3, Absatz 2 vor, daß Männer und Frauen gleichberechtigt sind und dass der Staat auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirken wolle (o.V., 1995:S.2). Bereits im Jahr 1977 wurde mit der ersten Reform des Ehe- und Familienrechts die Rollenfixierung der Frau auf die Führung des Haushaltes verändert (Schäfers, 1998:S.137). Die politischen Rahmenbedingungen sind zwar notwendig, jedoch nicht determinierend für eine gesellschaftliche Entwicklung. Wie im Folgenden beschrieben, wird durch die geschlechtsspezifische Sozialisierung ein rollenkonformes Verhalten vorgeprägt.
Bei traditionell patriarchalisch strukturierten Familien hat der Mann die Ernährerfunktion. Das heißt er geht einer Erwerbstätigkeit nach und versorgt die Familie, wobei dessen Interessen, also Karriereambitionen etc., langfristig im Vordergrund stehen (Schmidt, 1989:S.103). Schäfers ergänzt hierzu aus der Frauenperspektive, daß diese für „Erziehung, Spiel und Geselligkeit“ zuständig sei und somit weder Freizeit im heutigen Wortsinn, noch Zeit für die eigene Karriere hatte. Diese Möglichkeiten ergaben sich erst durch die Industrialisierung und damit einhergehende Veränderung der (häuslichen) Aufgaben (Schäfers, 1998:S.131).
Der Beginn des auch als „Wertewandel“ bezeichneten Phänomens der gesellschaftlichen Veränderung kann auf die 1960er Jahr datiert werden (Schmidt, 1989:S.55). Die ursprünglichen Wertausprägungen werden als „Pflicht- und Akzeptanzwerte“ bezeichnet, die neuzeitlichen als „Selbstentfaltungswerte“ (Schmidt, 1989:S.57). Die Ausrichtung der Frauen an neuen Werten kann als Emanzipation zusammengefasst werden. Diese Entwicklung bezieht sich jedoch nicht nur auf die Frauen. Auch die Männer haben im Laufe der Zeit „altruistische Lebensentwürfe“ zu Gunsten von „hedonistischen Zielen“ in den Hintergrund treten lassen. In dem Zusammenhang traten auch Ehe und Familie ins Hintertreffen (Schmidt, 1989:S.59).
Gaschke bringt es auf den Punkt und zeigt mit dem Finger auf die “Mittelalten” und “Jungen”, die heute zeugungsfähig sind. Nicht die jetzigen Rentner sind potentielle Sündenböcke für die Probleme einer alternden Gesellschaft: “Was wir heute nicht an Zeit, Geld und Liebe in Kinder investieren, zahlen diese Ungeborenen uns später auch nicht als Rente zurück.” (Gaschke, 2005:S.46).
Die gesellschaftliche Veränderung in Bezug auf die Kindeserziehung läßt sich durch die nähere Betrachtung der Kernfunktionen darstellen. Die Familie oder Ehe war und ist die anerkannte und geförderte Umgebung, um Kinder zu sozialisieren. Daher werden im Folgenden die Auswirkungen der gesellschaftlichen Änderungen auf das Ehe- und Familienmodell beschrieben.
2.1 Ehe und Familienmodell
Durch die Ehe werden nach traditioneller Auffassung zwei Funktionen erfüllt. Zum einen wird der Geschlechtsverkehr legalisiert. Zum anderen wird die Rechtslage für möglicherweise daraus hervorgehende Kinder geregelt und mit Verpflichtungen belegt. Die Eheschließung gilt gemeinhin als Grundlage für die Gründung einer neuen Familie, die nach Geburt eines Kindes eigenständig ist. Denn die Familie im engeren Sinn wird soziologisch als „Lebensgemeinschaft und Sozialgruppe“ verstanden, in der Erwachsene die Sozialisation oder auch Erziehung der Kinder übernehmen (Schäfers, 1998:S.127). Diese bezeichnet Schäfer als „Kernfamilie“. Eine Kernfamilie besteht also aus mindestens drei Mitliedern. Dem Vater, der Mutter und dem Kind. Es wird in der Regel davon ausgegangen, daß es sich um die leiblichen Eltern des Kindes handelt (Schäfers, 1998:S.129). Die Familie im weiteren Sinn schließt die Verwandtschaft mit ein und zwar auch die so genannten „Herkunfts-Familien“ (Schäfers, 1998:S.128), welche die Kinder und Kindeskinder beinhaltet.
Diese traditionellen Definitionen von Familie werden auch heute noch als Basis angenommen, auf der sich die Gesellschaft entwickeln kann. So sieht Schäfers die Funktion von Ehe und Familie als Stütze der soziokulturellen Normen, Werte und Rechtsvorschriften und somit „Grundbestandteil der Ethik und Kultur“ (Schäfers, 1998:S.134). In der Vergangenheit lebten die Familien vielfach in Großfamilien unter einem Dach zusammen. Wo dies nicht gegeben war, lebte die junge Kernfamilie in räumlicher Nähe zu ihren Herkunftsfamilien. Hierdurch war die gegenseitige Hilfe bei Kinderbetreuung und später der Altenpflege interfamiliär gewährleistet.
Die „Trennung von Wohn- und Arbeitsbereich“ begann im Zeitalter der Industrialisierung. Diese Tendenz wurde durch die zunehmende Flexibilisierung der Gesellschaft noch verstärkt. Dadurch entstanden auch immer mehr Kernfamilien, die losgelöst - und das meint auch häufig räumlich getrennt - von der Herkunftsfamilie sind (Schäfers, 1998:S.129). Initiiert durch die Veränderung der Arbeitswelt wurden auch Familienstrukturen und Wertmuster aufgelöst oder zumindest aufgeweicht (Schäfers, 1998:S132). Schäfers spricht in dem Zusammenhang von einem „universalen Trend zur unabhängigen Kernfamilie“‘, der sich von Kontinent zu Kontinent ausbreitet (Schäfers, 1998:S.131). Daraus erwachsen im Hinblick auf die Kinderbetreuung folgende Nachteile, welche Schäfers auch als „Funktionsverlust“ bzw. „Funktionswandel“ der Kernfamilie bezeichnet:
- Verlust der Leistung der Alten (der Großeltern) für Kindererziehung und - beaufsichtigung
- Verlust der Erziehungs- und Ausbildungsfunktionen (an Kindergarten, Schule und Betrieb)
- Verlust an familienzentrierter Geselligkeit (an die „Freizeit-Industrie“) (ebd., S.130)
- Problem der Frauenarbeit bei Kleinkindern (ebd., S.132)
In Zusammenhang mit der sich verändernden Gesellschaft sind im Deutschland der 1950er Jahre strukturelle Veränderungen nicht umgesetzt worden. So konstatiert Burgess, daß sich die Ehe und Familie durch die Gleichberechtigung zu einer „partnerschaftlichen Intimgruppe“ entwickelt hat (zit. nach (Schäfers, 1998:S.136). Diese Tatsache nicht berücksichtigend hielt die deutsche Politik an dem Leitbild der häuslichen Frau und Mutter fest, obgleich diese als Arbeitskraft für eine weitere Steigerung des Lebensstandards am Arbeitsmarkt gebraucht wurde. Äußerlich prägende Faktoren waren damals Konsumstandards und Wohnungsstandards (Schäfers, 1998:S.136)
Schäfers bemängelt hier, daß die außerhäusliche Arbeit stillschweigend gefordert wurde, jedoch die entsprechend nötigen Maßnahmen und Einrichtungen -etwa die der Kinderbetreuung- nicht gegeben waren (Schäfers, 1998:S.136).
Die Veränderungen im Hinblick auf die Familienformen ist ein Phänomen der sich ändernden Gesellschaft. Neben den gruppendynamischen Prozessen haben sich auch interpersonelle Einstellungen angepaßt. Die beiden (Ehe-)partner, also in der Regel
Mann und Frau, leben bewußt oder unbewußt nach dem anerzogenen bzw. durch das Umfeld verstärkten Rollenprofil „männlich“ oder „weiblich“. In der Familie werden zwei Rollenprofile über das Metaziel der gemeinsamen Lebensführung und Kindeserziehung vereint. Ein gewisses Maß an Altruismus ist hierfür nötig, um persönliche Ziele nicht über die gemeinsamen zu stellen. Die im Folgenden beschriebenen Verschiebungen in den Rollen der Frauen und Männer scheinen dies implizit zu erschweren.
2.2 Rollenverständnis
Die Prägung auf die Rolle, welche eines Menschen in der Gesellschaft spielt, wird durch den Sozialisations- oder Erziehungsprozeß der Kernfamilie maßgeblich festgelegt. Gewünschte Eigenschaften werden verstärkt, unerwünschte dagegen unterdrückt oder „abtrainiert“. Dabei muß jedoch berücksichtigt werden, dass auch das Umfeld, etwa Freunde, Familie, Bekannte oder auch Massenmedien eine Sozialisationsfunktion übernehmen. Daher ist der Einfluß der Eltern insbesondere im Kleinkindalter groß und nimmt mit zunehmendem Alter des Kindes ab (Schmidt, 1989:S.31). Typisch jungenhafte Spiele sind Kriegs- und Abenteuerspiele, die sich häufig mit technischen oder wissenschaftlichen Inhalten beschäftigt und meist in der freien Natur stattfinden. Hier wird bereits ein hierarchisch geprägter Stil eingeübt wird. Typisch für Mädchen sind hingegen lokal begrenzte Spiele wie Gummitwist, Puppenstube, o.ä., die leise und brav sind (Schmidt, 1989:S.31ff.).
Jungen sind also eher auf Konkurrenzdenken geprägt und streben häufig danach, Anführer einer Gruppe zu sein. So schreibt Schmidt, dass „Eine Belohnung ganz besonderer Art (...) ein hoher Rang in der Gruppe [ist]“ (Schmidt, 1989:S.33). Weiterhin sei, hier im Kontext des absinkenden IQs bei intelligenten Mädchen, keine biologische, sondern eher eine soziale Konditionierung als Grund zu identifizieren. Es seien sogar Fälle bekannt, in denen Mädchen in einem Gespräch mit Jungen geistige Unterlegenheit vortäuschten. Je weniger autonom eine Person sei, desto wichtiger sei die Bewertung persönlicher Leistungen durch die Gruppe (Schmidt, 1989:S.33f.). Im Gegensatz zum auf Rivalität getrimmten Jungen würden Frauen „Verbindungen mit anderen Menschen eine ganz besondere Bedeutung beimessen“, was später in Anhänglichkeit und Fürsorglichkeit weiter ausgebildet würde (Schmidt, 1989:S.34).
Welche Auswirkungen hat nun diese frühkindheitliche Prägung auf das Rollenverständnis von Erwachsenen? Einer DDR-Studie von Dannhauer aus dem Jahr 1971 zufolge wünschten sich fast drei viertel der männlichen Studenten eine „geistig ebenbürtige“, 23% eine „geistig etwas unterlegene“ und lediglich 3,6% eine „geistig etwas überlegene“ Partnerin (Schmidt, 1989:S.48). Selbst in den 1980er Jahren war das Idealbild amerikanischer Männer eine Frau, die zuhause bleibt während sie sich als Ernährer der Familie etablieren (Schmidt, 1989:S.49).
Weiterhin werde in der Gesellschaft „Erfolg“ mit männlichen Stereotypen belegt und die größte Hürde welche Frauen auf dem Karrierepfad zu nehmen haben sei „deren Begabung, emotional damit fertig zu werden, dass sie vom herkömmlichen Frauenbild abweichen“ (Schmidt, 1989:S.51). Damit beleuchtet Schmidt die weibliche Sichtweise. Denn ebenso unvereinbar mit den traditionellen Rollenbildern scheint die Vorstellung zu sein, dass ein Mann zuhause bleibt und sich um die Kindererziehung kümmert.
In einer Brigitte-Studie aus 1982 gaben Mädchen und Frauen zwischen 15 und 19 Jahren an erster Stelle der Wunschliste an, ihren Berufswunsch realisieren zu wollen. Die Nichterwerbstätigkeit von Frauen ist heutzutage nicht mehr die Regel, sondern wird durch Erwerbstätigkeit ersetzt, welche durch die Erziehung kleiner Kinder unterbrochen werden kann (Schmidt, 1989:S.64). Dieser Wunsch wird durch einen klar erkennbaren Trend unterstützt, daß immer mehr Frauen einen mittleren bis höheren Bildungsstand besitzen und somit „gegen“ die Männer am Arbeitsmarkt konkurrieren wollten. Golsch hat in Ihrer Studie aus 2004 dargestellt, daß in Deutschland in den 1950er Jahren knapp über 40%, in den 1990er Jahren bereits etwa 60% und um das Jahr 2000 fast 80% einen mittleren bis hohen Ausbildungsgrad hatten (Golsch, 2004:S.19). Dadurch ergebe sich eine Tendenz von der traditionellen, männlichen Ernährerrolle zum Doppelverdienerhaushalt ohne Kinder (Golsch, 2004:S.22f.).
Schmidt zitiert zum Rollenverständnis der Frauen Beck-Gernsheim, die den Übergang der Frau zwischen altem und neuen Rollenprofil als unvollendet bezeichnet: „Frauen [sind in der ] Übergangsphase zwischen ,nicht-mehr‘ und ,noch-nicht‘“ (Schmidt, 1989:S.63). Da sich die Gesellschaft jedoch permanent ändert, beispielsweise durch die Globalisierung, Öffnung der (Arbeits-)märkte und Verlagerung der Arbeitsplätze ist die Frage zu stellen, ob der von Beck-Gernsheim verlangte Zielzustand nicht eher ein stufenweiser Anpassungsprozeß an die Umwelt darstellt. Zwar besteht die statistisch nachweisbare Tendenz zu mehr Einpersonenhaushalten (1950:20%, 1987:31%) und auch die Scheidungsrate hat sich zwischen den 1960er und 1970er Jahren verdoppelt (Schmidt, 1989:S.60). Aber dies unikausal an dem veränderten Rollenmodell der Frauen (und Männer) festzumachen, halte ich für wenig zielführend. Daher ist im folgenden Abschnitt die durch die Arbeitsmarktsituation vorgegebene Mobilität und Flexibilität und mögliche Auswirkungen auf die Kinderbetreuung beschrieben.
2.3 Arbeitsmarkt
Die Rollen von Männern und Frauen in der Gesellschaft scheinen neu definiert zu werden, beziehungsweise sich neu zu definieren und dadurch die Gesellschaft zu verändern. Ein zentraler Faktor bei der Entscheidung für oder gegen Kinder ist die gestiegene und stetig steigende Forderung des Arbeitsmarktes nach mobilen und flexiblen Arbeitnehmern.
In diesem Zusammenhang schreibt Gaschke in ihrem Buch „Die Emanzipationsfalle“, daß das langfristige Ziel der Eltern darin bestehe, Kinder partnerschaftlich großzuziehen. Und dies ginge nur, wenn der Arbeitsmarkt nicht durch „Einkommensoder Karrierestrafen“ die Luft zum Atmen nehme (Gaschke, 2005:S.35). Einer Studie der Sozialwissenschaftler Kröhnert/van Olst/Klingholz vom Berlin-Institut für Weltbevölkerung zufolge sind derzeit in Deutschland folgende Trends erkennbar (Gaschke, 2005:S.43):
- Großstädte entwickeln sich zu kinderfreien Zonen
- Junge Frauen verlassen massenhaft den Osten Deutschlands. Zurück bleiben arbeitslose, schlecht ausgebildete und sozial unterpriviligierte Männer. Ein Großteil der lokal verbleibenden Männer (zum Teil mehr als 50% Hauptschulabbrecher) werden selten bis nie Familien gründen.
- Ländliche, wirtschaftsschwache Regionen verlieren Einwohner an die Städte, hier vermehrt an deren „Speckgürtel“
- Vergreisung ganzer Regionen (Ostthüringen, Südwestsachsen und das Saarland werden 2020 mehr als 1/3 über Sechzigjährige haben)
- Die Mitte Deutschlands wird entvölkert und es kommt zur vermehrten Konkurrenz um junge, qualifizierte Mitarbeiter
Die Forderungen des Arbeitsmarktes zollen einen hohen Tribut an der Volkswirtschaft. Einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2005 zufolge bekamen 40% der Kinderlosen und 45% der Eltern keine oder keine weiteren Kinder, weil sie Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes hatten (Gaschke, 2005:S.45). Diese Entscheidung trägt maßgeblich dazu bei, daß die deutsche Bevölkerung schrumpft. Somit stellt sich die Frage, ob bei einer zurückgehenden Kinderzahl überhaupt weitere Betreuungsplätze angeboten werden müssen.
2.4 Lebensphasen-Modell
Das Thema der Unsicherheit des Arbeitsmarktes untersucht Golsch in ihrer Studie von 2004 intensiv auch im Hinblick auf die Auswirkungen und auf relevante Lebensentscheidungen. So werden verschiedene „life course decisions“ beschrieben, die zugleich einen Rollen- und Statuswechsel beinhalten. So würden Schritt für Schritt verschiedene Phasen des Lebens erreicht. Von der Jugend bis zur Elternschaft sind diese mit starken Veränderungen verbunden. So müßte der Zeitpunkt des Auszugs aus dem Elternhaus bestimmt, die Schul- und Berufswahl geklärt und schließlich die Partnerwahl und die bewußte Entscheidung für Kinder getroffen werden. Diese Entscheidungen hingen voneinander ab und implizierten lebenslange Tragweite. Daher sind solche das Leben prägende Entscheidungen auch von äußeren Umständen, etwa Gesellschafts-, und Arbeitsmarktentwicklung, oder auch von geschlechtsspezifischen Rollenmodellen abhängig. In modernen Gesellschaften spiele das stabile Beschäftigungsverhältnis und die damit verbundene, finanzielle Unabhängigkeit eine zentrale Voraussetzung für die Partnerschaftsbildung und den Kinderwunsch (Golsch, 2004:S.15f). Rauschenbach ergänzt dazu, daß die Betreuungsaufgaben der Kinder nicht mehr familienintern zu bewältigen seien. Ein zentraler Faktor dabei sei der sich flexibilisierende und prekärer werdende Arbeitsmarkt (Rauschenbach, 2006:S.13). Hierdurch wird implizit auch eine den Entwicklungen angepaßte Kinderbetreuung gefordert.
Zusammenfassend ist das „normative model“, also die Norm, im Hinblick auf die Lebensplanung nicht mehr gegeben. Früher sah diese zuerst den Schulabschluß, dann die Berufsausbildung bzw. den Eintritt in das Berufsleben nach einem Studium, dann die Eheschließung und zuletzt die Elternschaft vor. Es sei nachweisbar, daß heute viele dieser Lebensphasen später eintreten würden. Zudem bestünde keine eindeutige Trennung mehr in den einzelnen Phasen (Golsch, 2004:S.16). Dieses
Nichtvorhandensein einer vorhersagbaren Entwicklung der Gesellschaft bzw. der darin lebenden Personen sei europaweit erkennbar und wurde von Golsch für Deutschland, Großbritannien und Spanien verglichen. Es sei insgesamt eine große Herausforderung für Handelnde des Sozialsystems und beinhalte die Infragestellung der Zukunftsgestaltung, des Sozialstaates und sei eine große Last für die Politiker: „transitions to adulthood [is] less predictable. On that account, these trends also impose heretofore unknown challenges to social actors, question the future functioning of the welfare state and hence may become a significant burden to politicians“ (Golsch, 2004:S.17).
Die veränderten Lebenswandlungen haben auch Auswirkungen auf den Kinderwunsch und den damit in Zusammenhang stehenden demografischen Wandel. Hierauf fokussiert das folgende Kapitel.
2.5 Demografie vs. Kinderbetreuung
Der demografische Wandel in Deutschland bezeichnet die zunehmende Überalterung der Gesellschaft. Eine steigende Lebenserwartung sowie der Rückgang der Geburten sind für dieses Phänomen verantwortlich. Gaschke beschreibt, daß viele andere furchterregende Szenarien bildhaft dargestellt werden könnten. So seien verölte Vögel im Meer, ein brutal geschlachteter Wal oder auch die zunehmende Zahl von Leukämiefällen bei räumlicher Nähe zu einem Atomkraftwerk aussagekräftig. Doch die schleichende Alterung der Gesellschaft verfüge über keine solche medial verwertbare Triebfeder zur Verhaltensänderung. Somit hat Deutschland derzeit eine sehr niedrig Fertilisationsrate. Lediglich 1,3 Kinder gebären Frauen in Deutschland im Schnitt. Bei einer Zahl von 2,1 würde die Bevölkerungszahl konstant bleiben (Gaschke, 2005:S.38ff). Die Frauen des Jahrgangs 1935 waren die letzten, welche statistisch diesen Wert erreichten (Gaschke, 2005:S.46). Ein besonders negativer Umstand läßt sich in Zusammenhang mit der zunehmenden Mobilität und daraus erwachsender Unsicherheit über zukünftige Lebensverhältnisse bezeichnen. Gaschke erwähnt, daß die „Furcht vor unsicheren Verhältnissen” zu einem dramatischen Geburtenrückgang in Ostdeutschland nach der Wende geführt habe. So sei diese Ziffer von 1,6 auf 0,8 Geburten pro Frau gesunken (Gaschke, 2005:S.45). Diese niedrige Geburtenzahl resultiert in einem anhaltenden Rückgang der Bevölkerungszahlen für die Gruppe der Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren. Im Zeitraum von 2001 bis 2004 sank die Zahl von 2,84 Mio. auf 2,7 Mio. also um ca. 185.000. Laut Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes soll diese Ende 2006 noch 2,6 Mio. betragen (Fenrich/Pothmann, 2006:S.30).
Gaschke weist den Frauen eine klare Verantwortung an der Situation der Kinderlosigkeit zu. Am Beispiel der demografischen Entwicklung MecklenburgVorpommerns zeigt sie dies anschaulich. Seit der Wiedervereinigung in 1990 sind 220.000 Menschen weggezogen, um anderswo Arbeit zu finden. Der Geburtenrückgang mache sich schon in Kindergärten und Schulen bemerkbar. Dabei seien die Frauen “entschlußfreudiger” bei der Mobilitätsfrage und zudem oftmals besser ausgebildet als die Männer in der Region (Gaschke, 2005:S.36). Alt und Teubner ergänzen im Rahmen ihrer Untersuchung zu interfamiliärer Betreuung, daß eine Eier legende Wollmilchsau propagiert wird. Die Frauen sollten mobil und gleichgestellt sein, zudem einer Erwerbstätigkeit nachgehen und Kinder bekommen. Dafür sei eine ausreichende Kinderbetreuung unerläßlich (Alt/Teubner, 2006:S.165f.).
In Deutschland besteht durch geänderte Rollenprofile und die Tendenz von Frauen, ihre Karriere über den Familien- und Kinderwunsch zu stellen, ein nachweislicher Rückgang der Geburtenzahlen. Wenn also immer weniger Kinder geboren werden, die einen Betreuungsbedarf generieren, warum benötigen wir dann das von-der-Leyensche Programm der Bundesregierung zum Ausbau dieses Angebots? Wie ist die derzeitige Situation und wodurch entsteht ein ausreichendes Betreuungsangebot?
[...]
- Citar trabajo
- Jessica Scheffold (Autor), 2007, Kinderbetreuung in Deutschland - Analyse eines zukünftigen, bedarfsgerechten Ausbaus der Infrastruktur, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75228
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