Die vorliegende Hausarbeit widmet sich der Funktion der Gruppe der Acht großen Wirtschaftsnationen (G8) bei der Herausbildung der Weltgesellschaft. Zunächst werden die Weltgesellschaftsansätze von Niklas Luhmann und Helmut Willke diskutiert. Dabei wird festgestellt, dass Luhmanns nur auf das Vorhandensein von Kommunikation beschränkte Steuerungsansatz nicht ausreichend ist und in der Dimension der Gesellschaftssteuerung ergänzungsbedürftig ist.
Da aus diesem Grund die Weltgesellschaft noch nicht angenommen werden kann, wird das Konzept lateraler Weltsysteme diskutiert. Die G8 wird hier als informelle Organisation eines sich in der Herausbildung befindlichen lateralen Weltsystems der Politik identifiziert. In einer abschließenden Diskussion über Legitimität und Demokratie kann herausgearbeitet werden, dass die aus dem Kontext des Nationalstaats bekannten Legitimationsmechanismen für die untersuchten Bereiche globaler Politik fehlen. Für die globale Ebene werden jedoch neue Mechanismen statt einer Anwendung nationaler Muster befürwortet.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
1.Einleitung
2.Die Weltgesellschaft
2.1.Luhmann
2.1.1.Gesellschaftsbegriff
2.1.2.Herausbildung der Weltgesellschaft
2.1.3.Der Staat in der Weltgesellschaft
2.2.Willke
2.2.1.Herausbildung der Weltgesellschaft
2.2.2.Willkes Weltgesellschaftsbegriff
2.3.Zusammenfassung und Diskussion
3.aterale Weltsysteme
3.1.Darstellung laterale Weltsysteme
3.2.Rolle der G8 bei der Bildung eines lateralen Weltsystems der Politik
3.2.1.Darstellung
3.2.2.Steuerungsfunktion der G8
3.3.Zusammenfassung
4. Ausblick
4.1. Durch G8 zur Weltgesellschaft?
4.1.1. Globale Steuerungsinstanzen bei der Bildung der Weltgesellschaft
4.2. Die Rolle von Demokratie und Legitimität
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
Abstract
Die vorliegende Hausarbeit widmet sich der Funktion der Gruppe der Acht großen Wirtschaftsnationen (G8) bei der Herausbildung der Weltgesellschaft. Zunächst werden die Weltgesellschaftsansätze von Niklas Luhmann und Helmut Willke diskutiert. Dabei wird festgestellt, dass Luhmanns nur auf das Vorhandensein von Kommunikation beschränkte Steuerungsansatz nicht ausreichend ist und in der Dimension der Gesellschaftssteuerung ergänzungsbedürftig ist.
Da aus diesem Grund die Weltgesellschaft noch nicht angenommen werden kann, wird das Konzept lateraler Weltsysteme diskutiert. Die G8 wird hier als informelle Organisation eines sich in der Herausbildung befindlichen lateralen Weltsystems der Politik identifiziert. In einer abschließenden Diskussion über Legitimität und Demokratie kann herausgearbeitet werden, dass die aus dem Kontext des Nationalstaats bekannten Legitimationsmechanismen für die untersuchten Bereiche globaler Politik fehlen. Für die globale Ebene werden jedoch neue Mechanismen statt einer Anwendung nationaler Muster befürwortet.
1. Einleitung
G8 und Weltgesellschaft – ein Widerspruch in sich, nimmt man sich das zu Herzen, was im Vorfeld des Gipfeltreffens der sieben größten Wirtschaftsnationen und Russlands aus dem politisch linken Spektrum zu hören ist. Die G8 ist mit der WTO ein Lieblingsfeindbild der Kritikerinnen und Kritiker einer – wie auch immer gearteten – „neoliberalen“ Globalisierung; eine Weltgesellschaft im Sinne von „one world“ wird dieser als Idealtypus einer gerechten Weltordnung entgegengehalten.
Die vorliegende Arbeit versucht, diesen Vorbehalten mit Sachlichkeit zu begegnen. Was Weltgesellschaft wirklich bedeutet, soll statt in einer idealisierten Weise lieber realistisch durch systemisches Denken erarbeitet werden. Zunächst soll eine begriffliche Annäherung an den Weltgesellschaftsbegriff bei Niklas Luhmann erfolgen. Bekanntermaßen nimmt in Luhmanns weit gefasstem Gesellschaftsbegriff die Kommunikation die tragende Rolle ein, Gleiches wird entsprechend auch für die Weltgesellschaft angenommen. Bei der Klärung der Frage der Rolle der Nationalstaaten in der Weltgesellschaft kommt die Frage der Legitimität staatlicher Herrschaftsgewalt auf, welche die später zu führende Diskussion um die Rolle der Demokratie auf der internationalen Ebene bereits einleitet. Luhmann nimmt aufgrund der globalen kommunikativen Erreichbarkeit die Weltgesellschaft an.
Während Luhmann also von der Weltgesellschaft als Realität ausgeht, meldet Helmut Willke Zweifel an. Die Weltgesellschaft sei nicht nur dadurch anzunehmen, dass die gesamte Menschheit kommunikativ erreichbar ist; um dem globalen sozialen Zusammenhang das Prädikat Gesellschaft anheften zu können, müsse es zunächst zur Ausbildung globaler Steuerungsinstanzen kommen. Hierauf wird im Folgenden in Gestalt des Konzepts der lateralen Weltsysteme eingegangen.
An dieser Stelle kommt die G8 ins Spiel: Nach einer allgemeinen Einführung in das Konzept lateraler Weltsysteme soll untersucht werden, ob die G8 ein solches Steuerungsregime darstellt. Dabei soll beobachtet werden, wie sich ihre eventuelle Steuerungsrolle in der Realität manifestiert. Hier fällt der Blick auf die Organisationsform. Es soll geklärt werden, ob die G8 als informelles Gremium größeres Potenzial hat, eine tatsächliche globale Steuerungsfunktion zu übernehmen.
In einem Ausblick stellt sich schließlich die Frage von Demokratie und Legitimität. Bei der G8 handelt es sich – soviel kann vorweg genommen werden, auch wenn dies in der Arbeit noch detaillierter nachzuweisen ist – um eine Institution, die weder völkerrechtlich noch in sonst einer Weise verfasst ist, und der nicht zu Unrecht aus dem Spektrum ihrer Kritiker ein Mangel oder gar die vollständige Abwesenheit von Demokratie und Legitimität vorgeworfen wird, und die dennoch ihrem Selbstverständnis nach eine politische Steuerungsfunktion wahrnimmt. Es stellt sich hierbei natürlich die Frage, warum eine solche Institution dennoch so ernst genommen wird, warum ihre Gestaltungsmacht abgesehen von einem kleinen Teil des politischen Systems kaum hinterfragt wird. Schließlich soll dieser Komplex auf die Frage zugespitzt werden, welche Rolle der Demokratie bei der Herausbildung eines lateralen Weltsystems des politischen Systems zukommt.
2. Weltgesellschaft
In diesem Abschnitt soll eine Annäherung an den Begriff der Weltgesellschaft erfolgen. Im Mittelpunkt steht eine Diskussion der Ansätze von Niklas Luhmann und Helmut Willke. Zentral ist hierbei die Frage, welches Kriterium die Verwirklichung der Weltgesellschaft ausmacht und ob auf dieser Basis die Weltgesellschaft bereits erreicht ist.
2.1. Luhmann
2.1.1. Gesellschaftsbegriff
In der Systemtheorie Niklas Luhmanns ist der Weltgesellschaftsbegriff eng verbunden mit dem Luhmann eigenen Gesellschaftsbegriff. Luhmann distanziert sich zunächst von der Semantik nationaler oder regionaler Gesellschaften, indem er seine Vorstellung von Gesellschaft auf den einfachen wie genialen Nenner, bringt, „dass die Angelegenheiten aller Menschen irgendwie zusammenhängen“ (1975/2005: 63). Ordnet man diese grundsätzliche These nun in den Kontext von Luhmanns Werk ein, muss man den Begriff von „Gesellschaft als Gesamtheit der Berücksichtigung aller möglichen Kontakte“ (Luhmann 1984: 33) zugrunde legen. Somit ist auch für das Zustandekommen der Weltgesellschaft zumindest die Möglichkeit der allgemeinen kommunikativen Erreichbarkeit notwendig.
Luhmann leitet seine Erkenntnisse über die Zusammenhänge der modernen Gesellschaft historisch her. Für die Antike erkennt er die natürliche Gleichheit der Menschen als tragendes Moment ihrer Einheit als Gesellschaft. Die Menschen werden in ihrer Gesamtheit als Gattung begriffen, die sich qua ihrer Vernunft von allen anderen Gattungen unterscheidet (vgl. Luhmann 1975/2005: 63f.). Dieses alteuropäische Gesellschaftsmodell scheitert aber an mangelnder Erfassung von Komplexität (vgl. ebd.: 65). Durch diese Gesellschaftstheorie könne somit die vormoderne Gesellschaft nicht beschrieben werden und erst recht nicht die Weltgesellschaft.
Für die moderne Gesellschaftstheorie führt Luhmann an, dass sie noch immer von mehreren Gesellschaften ausgehe, aber an der Ziehung deren Grenzen regelmäßig scheitere (vgl. ebd. 66). Er kritisiert dies und entwickelt daher bereits in seinem Frühwerk die Grundzüge seines Konzepts der Weltgesellschaft, das wie bereits erwähnt auf der globalen kommunikativen Erreichbarkeit fußt: „Die Bestimmung der Gesellschaft als das umfassende Sozialsystem hat zur Konsequenz, dass es für alle anschlussfähige Kommunikation nur ein einziges Gesellschaftssystem geben kann“ (1984: 145). Für die moderne Gesellschaft sieht Luhmann die globale kommunikative Erreichbarkeit als gegeben an. Dabei ist die tatsächlich stattfindende Kommunikation von nicht so zentraler Bedeutung, wichtig ist lediglich, dass globale Kommunikation und Interaktion zwischen allen Menschen möglich ist und die Menschen sich dessen auch bewusst sind (vgl. Luhmann 1975/2005: 66). Ausschlaggebend hierfür sind neben der „Vermehrung und Verdichtung des Kommunikationsnetzes der Gesellschaft“ (Luhmann 1997: 151) seit Erfindung des Buchdrucks vor allem die Beschleunigung durch den Ausbau von Verkehrswegen und der Ausbau der Kommunikationstechnologien, im 19. Jahrhundert durch Telegrafie und Telephon, im 20. und 21. Jahrhundert durch das Internet und andere computergestützte Kommunikationswege (vgl. Wobbe 2000: 50). All diese technischen Fortschritte gewährleisten mehr und effizientere Verbreitungsmedien. In der Folge wird „der Ort, an dem man sich befindet, ... informationstechnologisch bagatellisiert“ (Luhmann 2000: 220).
2.1.2. Herausbildung der Weltgesellschaft
In einer solchen Situation der allgemeinen kommunikativen Erreichbarkeit und der damit einhergehenden Komplexitätssteigerung lässt sich eine weltweite Operations- und Strukturbildung in allen Funktionssystemen erkennen. Dies wird zunächst dadurch ausgelöst, dass die Funktionssysteme nicht mehr über lokal gebundene Grenzen verfügen. Funktionen wie Politik, Recht oder Wirtschaft sind überall gleich in ihrer Funktionserfüllung. Dennoch kann es regionale Grenzen geben, z.B. im Rechtssystem, wenn es die Funktion erforderlich macht. Systeme, in denen es offensichtlich abwegig ist, regionale Funktionssystemgrenzen anzunehmen, wie beispielsweise das Wissenschaftssystem, kommunizieren in jedem Fall weltgesellschaftlich (vgl. Luhmann 2005: 68f.).
Diese globale funktionale Differenzierung befördert bei Luhmann die Herausbildung eines Weltgesellschaftssystems als umfassende Sozialordnung für den ganzen Erdball. Territoriale Grenzen spielen dann keine Rolle mehr, weil neben globalem Kommunizieren, dem „Sich-ereignen von Welt in der Kommunikation“ (Luhmann 1997: 150), auch ein globales Operieren der Funktionssysteme und der Verlust von deren territorialstaatsfixierter Sichtweise möglich wird (vgl. Berghaus 2003: 284).
2.1.3. Der Staat in der Weltgesellschaft
Luhmanns Gesellschaftstheorie lässt sich vor dem Hintergrund des Nationalstaates relativ einfach nachvollziehen, da die meisten ausdifferenzierten Funktionssysteme über ein umfassendes und weitgehend bekanntes Netzwerk von Institutionen verfügen, die sie plastisch erscheinen und oftmals bis in den Lebensalltag der Bürgerinnen und Bürger hineinwirken lassen. Für die Ebene der Weltgesellschaft ist dies schwieriger nachzuvollziehen, da es an diesen erkennbaren Institutionen oftmals mangelt. Zudem zieht Luhmann für die Weltgesellschaft eine weitere Differenzierungsebene in seine Theorie ein: „Das weltpolitische System ist ausdifferenziert als ein Subsystem der Weltgesellschaft auf der Basis einer funktionalen Differenzierung des Gesellschaftssystems und unterscheidet sich insofern von Weltwirtschaft ... usw. Und es ist intern differenziert in das, was wir Territorialstaaten nennen“ (2000: 222). Es ist bemerkenswert, dass Luhmann für das weltpolitische System eine zusätzliche segmentäre Differenzierung annimmt, während für ihn alle anderen Funktionssysteme ganz und gar auf der globalen Ebene verankert sind. Diese Ausnahme in Luhmanns Theorie bleibt insgesamt auf das politische System begrenzt, da sich staatliche Grenzen letztlich nur durch politisches Handeln ergeben (vgl. Nahessi 2003: 194). Schließlich ist es ganz im Sinne von Luhmanns Gesellschaftsbegriff, die Herausbildung von Weltgesellschaft durch funktionale Differenzierung zu erklären, weshalb die zusätzliche Dimension der Differenzierung widersprüchlich erscheint. In einer funktional differenzierten Gesellschaft zählen für Luhmann nicht mehr räumliche Differenzen, vielmehr könnten Unterschiede „insgesamt nicht mehr durch einheitliche territoriale Grenzen auf dem Erdball symbolisiert werden (...). Damit ist die Einheit einer alle Funktionen umfassenden Gesellschaft nur noch in der Form der Weltgesellschaft möglich“ (Luhmann 1971: 60)[1].
Die Sonderrolle der Politik begründet Luhmann durch die demokratische Praxis. In einem Weltstaat könnte es kein demokratisches Bewusstsein geben, die Findung eines Konsenses wäre nahezu unmöglich und in dem demokratischen Schema von Mehrheit und Minderheit wären zahlreiche Nationen von der Mitbestimmung aufgrund ihrer geringen Bevölkerungsgröße ausgeschlossen. Demokratie kann in einzelnen Staaten unterschiedlich ausgeprägt und vorhanden sein. Der Vorteil der segmentären Differenzierung bestehe aber gerade darin, dass interne Politikziele in der Praxis nur so erreichbar seien (vgl. Luhmann 2000: 223).
2.2. Willke
Willke unterscheidet mit Luhmann die Systemform der Gesellschaft und das Soziale als Sammelbegriff für alle Interaktionen und Kommunikationen. Laut Willke reicht es, um von Weltgesellschaft zu sprechen „weder aus, dass sie aus allen Kommunikationen oder Individuen der Welt besteht ..., noch dass sie über globale Institutionen verfügt ..., noch dass sie eine Realität jenseits der Realität der Nationalstaaten darstellt“ (Willke 2006: 34).
2.2.1. Herausbildung der Weltgesellschaft
Willke zufolge gibt es in vielen Bereichen zwar aufeinander bezogene Kommunikationen, die auch füreinander erreichbar seien. Auch ein Rückgang der territorial gebundenen Definition von Gesellschaft sei feststellbar. Es seien somit Tendenzen zur Herausbildung der Weltgesellschaft erkennbar (vgl. Willke 2005: 40). Sie sei jedoch noch nicht verwirklicht, „solange das, was in einem Diskurs als Weltgesellschaft bezeichnet wird, nichts anderes ist als eine Ansammlung von Individuen, Nationalstaaten, spezifischen Institutionen der Moderne oder was immer (Willke 2006: 34). Dabei sei die Rede sicherlich zu Recht von einem sozialen Kontext, zu Unrecht aber von einer Gesellschaft.
Auf dem Weg zur Weltgesellschaftsbildung ist deren Ordnungsprinzip von zentraler Bedeutung. Frühe, nicht- säkularisierte Gesellschaften konnten ihre soziale Ordnung über Einheit absichern. In der Folge der Säkularisierung und der gesellschaftlichen Modernisierung stieg dann die Diversität und mit ihr die Kontingenz. Der damit einhergehenden Komplexitätssteigerung wurde mit der Manifestierung des staatlichen Rechts- und Gewaltmonopols begegnet (vgl. Willke 1983: 49f.). In der modernen Gesellschaft zählt nicht mehr die Schaffung von Einheit durch den Staat (diese ist auch gar nicht mehr möglich), sondern nur noch die Fähigkeit der Politik, Steuerungsinstanzen zu bilden, um „mit organisierter Komplexität und verschachtelten Mischungslagen von Ordnung und Unordnung, Homogenität und Heterogenität umzugehen“ (Willke 2006: 36). Mögliche Prinzipien, um dies zu erreichen, sind die Strukturprinzipien Subsidiarität und Föderalität, wobei selbstverständlich Föderalität die Subsidiarität im Aufbau des Staates oder des Staatenbundes[2] notwendig nach sich zieht. In Willkes Steuerungslogik wird daher primär auf Selbststeuerung, wie sie durch Subsidiarität erreicht werden kann, gesetzt und nur in den begründeten Fällen auf Kontextsteuerung durch die Zentralinstanz (vgl. Willke 2003: 15).
2.2.2. Willkes Weltgesellschaftsbegriff
Natürlich hängt auch Willkes Interpretation von Weltgesellschaft von seinem Gesellschaftsbegriff ab. Für die moderne Gesellschaft, auf deren funktional differenziertem Aufbau eine Steigerung der Komplexität folgt, führt Willke sowohl eine stärkere Autonomisierung der Teilsysteme, aber auch eine immer größere Zahl von Interdependenzen an (vgl. Willke 2006b: 192). Systeme bilden ein „collective mind“ (Weick/Roberts 1993)[3] und grenzen sich durch ihre Geschichte, Regelwerke und gebundenes Wissen von ihrer Umwelt ab, wodurch sie ihre Identität und Einheit festlegen (vgl. Willke 2007: 13).
Neben dem Sozialen, also der Bildung einer politischen und ökonomischen Einheit besteht für Willke die Notwendigkeit einer kulturellen Einbettung. Die Fähigkeit der Selbststeuerung und Selbstversorgung sei notwendig, um den sozialen und kulturellen Kontext der Selbstbestimmung zu erzeugen (vgl. Willke 2001: 73). Dieser Erkenntnis zugrunde liegt das Modell der Kontextsteuerung. Ihm zufolge ist es Aufgabe der Politik, einerseits die Autonomie der Funktionssysteme der – nationalstaatlich gebundenen – Gesellschaft zu gewährleisten. Darüber hinaus hat das politische System aber auch eine aktive Gestaltungsrolle, indem sie durch ihr garantiertes Macht- und Gesetzgebungsmonopol den Handlungskontext der Akteure einzelner Teilsysteme genauer bestimmt. Bedingung hierfür ist die Achtung und Gewährleistung der innersystemischen Funktionsbedingungen und Operationslogiken (vgl. Kaufmann 2005: 204).
Bezieht man dieses Steuerungskonzept nun auf die Mechanismen der Weltgesellschaft, ergeben sich Probleme. Die Herauslösung bestimmter Funktionssysteme aus dem territorial gebundenen Kontext der Selbststeuerung erschüttert die nationalstaatlich verfassten Gesellschaften in ihren Grundfesten. Neue, der Entwicklung angemessene Formen der Restabilisierung sind jedoch andererseits nicht erkennbar (vgl. Willke 2006: 38). Unter dem Druck der Auflösung von Territorialität wirken neben der nationalstaatlichen Komponente auch regionale und/oder globale Komponenten mit in die Realisierung globaler Steuerungsregimes ein. Erstere bringt vor allem liberale Bürgerrechte und Grundregeln wirtschaftlicher Zusammenhänge (z.B. Monopolverbot) mit sich, während die globale/regionale Perspektive vor allem globalökonomische Aspekte einbringt (vgl. Willke 1997: 271). Nach wie vor ist es notwendig, „viable politökonomische Einheiten im Spannungsfeld von Lokalität und Globalität zu konstituieren“ (ebd.), also Staatlichkeit aufrechtzuerhalten. Dennoch lässt sich eine fundamentale Transformation feststellen: Der Staat wird zum „semisouveränen Akteur“ (Willke 2006b: 236), teilweise ist der Staat in seinen Kernaufgaben noch beteiligt, nie aber als „Monopolist“ (Willke 1997: 273).
2.3. Zusammenfassung und Diskussion
Willke und Luhmann haben gemeinsam, dass für sie Weltgesellschaft tatsächlich eine Gesellschaft im soziologischen Sinne sein muss, d.h. sie muss alle Kriterien aufweisen, die auch sonst ein Gesellschaftssystem erfüllen muss. Willke geht wie Luhmann davon aus, „dass Gesellschaft der umfassende Zusammenhang der aufeinander bezogenen und füreinander relevanten sozialen Kommunikationen ist“ (Willke 2005: 40). Während Luhmann die Verwirklichung der Weltgesellschaft annimmt, geht Willke davon aus, dass lediglich einige Funktionssysteme aus dem nationalen Kontext herausgelöst und auf globale Ebene verlagert sind. Bemerkenswert ist, dass Willke mit seiner Interpretation von Weltgesellschaft näher am Luhmannschen Gesellschaftsbegriff ist als es dieser selbst schafft: Luhmann konstruiert die segmentäre Differenzierung der Weltgesellschaft in Nationalstaaten mit ein, und auch wenn diese Zusatzannahme nur auf das politische System begrenzt ist, stellt sie eine besonders hervorstechende Ausnahme dar. Dagegen geht Willke davon aus, dass eine wirkliche funktionale Differenzierung von Nöten ist. Da dieses Kennzeichen einer modernen Gesellschaft für die globale Ebene noch nicht erfüllt ist, könne also nicht von einer Weltgesellschaft die Rede sein. Damit genügt Willke dem Anspruch, eine Gesellschaftstheorie für die globale Ebene zu entwickeln eher als Luhmann.
Notwendig ist auch eine kritische Würdigung des Steuerungspessimismus, der Luhmanns Weltgesellschaftsbegriff zugrunde liegt. Es erscheint widersprüchlich, dass Luhmann zwar für alle Funktionssysteme eine weitgehende funktionale Differenzierung auf globaler Ebene annimmt, der Politik jedoch hier die Sonderrolle zubilligt, die er für die nationale Ebene immer verneint[4]. Willke ist sich sowohl für die nationale wie auch für die globale Ebene der Notwendigkeit zentraler Steuerungsinstanzen bewusst. Wie bereits festgestellt, müssen diese Instanzen nicht die nationale oder internationale Politik sein, aber es muss auch auf der globalen Ebene Kapazitäten zur Ermöglichung von Selbststeuerung und Selbstorganisation geben.
Diese Gründe bewegen dazu, der von Helmut Willke vorgebrachten Kritik an Luhmanns Weltgesellschaftskonzept zu folgen und sich im nächsten Abschnitt dieser Arbeit näher mit seinem Angebot eines dritten Weges, dem Konzept lateraler Weltsysteme, zu beschäftigen.
3. Laterale Weltsysteme
Das Konzept lateraler Weltsysteme ist in Vorschlag von Helmut Willke, der es vor dem Hintergrund der Debatte um das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der Weltgesellschaft als „drittes Modell zwischen Nationalgesellschaften und Weltgesellschaft“ (2001: 73) vorgeschlagen hat. Dieser Abschnitt stellt zunächst das Konzept und die G8 als zentralen Untersuchungsgegenstand der Arbeit dar und wendet es anschließend auf die Steuerungsfunktion der G8 an.
3.1. Darstellung laterale Weltsysteme
Die Herausbildung lateraler Weltsysteme bezeichnet den Vorgang, „dass die großen Funktionssysteme moderner nationalstaatlich organisierter Gesellschaften (insbesondere Ökonomie, Finanzen, Wissenschaft, Massenmedien, Erziehung, Gesundheit etc.) aus den territorialen Bindungen des Nationalstaates ausbrechen und sich zu globalen Kontexten vernetzen“ (Willke 2006: 37). Diese globalen Systeme entstehen zwar im nationalstaatlichen Kontext, sie sind jedoch nicht auf eine Existenz im Nationalstaat angewiesen, sodass eine Einbindung des Funktionssystems in die globale Systemdynamik möglich ist, wodurch seine Herauslösung aus dem nationalen Kontext bewirkt wird. Laterale Weltsysteme haben die gleichen Eigenschaften wie die sozialen Systeme nationaler Gesellschaften: die operative Geschlossenheit bewirkt, dass sie nur noch ihrer eigenen Logik folgen, während die Anbindung an die ‚Muttergesellschaften’ immer stärker wegfällt. Diese Entwicklung betrifft praktisch alle vormals nationalstaatlich gebundenen Funktionssysteme. Die Systembildung erfolgt nach „unterschiedlichsten Absichten von ‚global players’, den nicht-intendierten Folgen und Folgenbeseitigungsfolgen dieser Abschichten, den Systemdynamiken der betroffenen Funktionssysteme, dem regulierenden Eingreifen von Nationalstaaten in den Globalisierungsprozess und vielen anderen bekannten und unbekannten Steuerungseffekten“ (Willke 2001: 137). Die Autonomisierung des Systems gelingt auf Grundlage selbstreferentieller Operationsweisen und durch die Abgrenzung von der Systemumwelt. Mit den von allen Systemen eigens herausgebildeten Kommunikationsweisen entwickeln sich auch in den lateralen Weltsystemen symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien und mit ihnen eine eigene Ordnung (vgl. Willke 2001b: 30). So verfügt zum Beispiel die globale Ökonomie über das Medium Geld und eine damit verbundene Ordnung des Geldes, drastischer formuliert: des Profites. Da die lateralen Weltsysteme sich dieser Ordnung unterwerfen und nicht mehr der Ordnung, die nationale politische Systeme vorgeben, geraten die Ordnungsvorstellungen der staatsgebundenen Politik und mit ihnen die Staatengesellschaft in Bedrängnis (vgl. Willke 2006: 38).
Das Konzept lateraler Weltsysteme stützt sich auf die oben herausgearbeitete Erkenntnis, dass Weltgesellschaft im Sinne einer tatsächlichen Gesellschaftsbildung noch nicht existiert, wohl aber die deutlich erkennbare Herauslösung nationaler Funktionssysteme. Im Mittelpunkt der Weltsystemanalyse stehen Politik und Ökonomie, die in der nationalstaatlich verfassten Gesellschaft noch die zentralen Steuerungssysteme darstellten (vgl. Rogowski 2004: 5). Die lateralen Weltsysteme bewegen sich nicht, wie Willke anführt, in einem gesetzlosen Raum globaler Anarchie, sondern lediglich außerhalb des Wirkungsraumes der nationalen Gesetzgeber, also der nationalen politischen Systeme[5]. Laterale Weltsysteme kennen einen gesetzlichen Maßstab, nämlich ihre Eigengesetzlichkeit, die sie mit zum Teil hohen Kosten als Leitlinie zu verfolgen versuchen (vgl. Willke 2003: 46).
Laterale Weltsysteme fordern die territorial gebundenen Nationalstaaten heraus, indem ihre Herausbildung Konsequenzen für die Souveränität der Selbststeuerung der Nationalstaaten hat. Während Funktionssysteme wie Ökonomie und Wissenschaft sich längst auf den globalen Kontext eingestellt haben, wobei zweifelsfrei zahlreiche Akteure den globalen Kontext bereits mitbestimmen, tun sich andere Funktionssysteme schwerer im Umgang mit dem Verlust ihrer Steuerungsmöglichkeiten, allen voran natürlich die Politik. Diese sieht sich unvermittelt in einer Situation der Konkurrenz mit globalen Steuerungsregimes, von denen Märkte und Netzwerke sicherlich die prototypischsten sind (vgl. Willke 2001: 139). Der Vorteil dieser Formen ist, dass sie – im Gegensatz zur nationalstaatlich verfassten Politik – nicht mehr an territoriale Grenzen gebunden sind. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang sicherlich, dass sich zahlreiche Akteure der globalen Funktionssysteme bereits so gut mit den globalen Kontexten umgehen können, dass sie nicht nur aufgrund ihrer größeren Expertise nicht mehr bereit sind, Interventionen der Politik zu folgen und politische Steuerung zu akzeptieren (vgl. Willke 2006: 39).
3.2. Rolle der G8 bei der Bildung eines lateralen Weltsystems der Politik
3.2.1. Darstellung
Die Gruppe der Acht (G8) war ursprünglich die Gruppe der größten sieben Wirtschaftsmächte der Erde, bestehend aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland, Japan, Italien und Kanada[6], die seit 1975 regelmäßig zusammentreffen. Seit 1998 ist Russland regelmäßig bei den politischen Entscheidungen der G8 beteiligt, allerdings ist es erst seit 2006 mit vollen, also auch ökonomischen Beteiligungsrechten ausgestattet (Gstöhl 2007: 1).
Die G 8 ist nicht völkerrechtlich verfasst, sie ist überhaupt keine Organisation, sondern ein „informelles Forum der Staats- und Regierungschefs“ (Bundesregierung 2006). Ebenso verfügt sie nicht über einen eigenen Verwaltungsapparat oder eine ständige Vertretung der Mitglieder. Genau diese informelle Struktur wird von Kritikern oft moniert, die G 8 wird charakterisiert als „informell, elitär, exklusiv, undemokratisch“ (Wahl 2006: 20).
Zentraler Kritikpunkt ist die Ausweitung der Themenpalette. Neben Fragen der Weltwirtschaft und der globalen Kapitalmärkte umfasst das Themenspektrum der Weltwirtschaftsgipfel inzwischen das gesamte Spektrum globaler Politik, beispielsweise neben außen- und sicherheitspolitischen Themen auch Entwicklungspolitik (vgl. Bundesregierung 2006). Beispielhaft hierfür sind die Themen der vergangenen G 8 – Gipfel: in Gleneagles 2005 Hilfen für Afrika und 2006 in St. Petersburg Bildung und Energie (vgl. BMWT 2007). Mit Maßnahmen in einer solchen Vielfalt von Politikfeldern übernehme die G 8 sukzessive Aufgaben der Nationalstaaten; in diesen jedoch sind die politisch handelnden allgemein durch eine ununterbrochene demokratische Legitimationskette durch das Volk zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben befugt. Der G8 fehlt ein solches legitimiertes Verfahren zur Willensbildung.
3.2.2.Steuerungsfunktion der Gruppe der Acht
Insbesondere aus den Reihen ihrer Kritiker bekommt die G8 eine relativ umfassende globale Steuerungsfunktion zugeschrieben. Die Staaten der G8 können durch ihre wirtschaftliche Stärke, den militärischen Einfluss und die starke Vertretung in den anderen internationalen Organisationen eine solche Rolle wahrnehmen, was durch die gegenseitige Vernetzung natürlich noch bestärkt wird. Dadurch lassen sich Titulierungen wie die der „Weltregierung G8“ (Gehrke 2006: 54) erklären. Der Anspruch politischer Steuerung und seine weitgehende Umsetzung lassen sich an folgenden Stellen detailliert nachvollziehen:
a.Thematische Ausweitung
Die Ausweitung der durch die G8 geregelten Politikfelder ist bereits oben erwähnt worden. Im Gegensatz beispielsweise zur Europäischen Union, bei der ein Enumerationsprinzip der Zuständigkeiten gilt, ist die G8 nicht eingeschränkt in Themen, über die die Nationalstaaten gemeinsame politische Linien vereinbaren.
b.Politische Hegemonie
Der G8 gehören mit den USA, Frankreich, Großbritannien und Russland vier der fünf Veto-Mächte des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen an. Darin manifestiert sich insbesondere die politische Macht der in der G8 organisierten Nationalstaaten. Neben den USA als verbliebener Supermacht gehören ihr die führenden Nationen der Europäischen Union an. Beobachtet man nun die Bedeutung der führenden politischen Staaten für andere Staaten, kann man eine Steuerungsfunktion für deutlich mehr Staaten annehmen als diejenigen, die tatsächlich an den Weltwirtschaftsgipfeln beteiligt werden. Abhängigkeiten der Länder des Südens von Staaten der ‚ersten Welt’ sind zahlreich und in vielen Dimensionen vorhanden.
Damit ist erkennbar, dass es bei der G8 vor allem um die Koordination und Akkumulation von Interessen geht. Ein Rückzug der Nationalstaaten ist nicht nachzuweisen, da die Mitgliedsstaaten selbst koordinierte Beschlüsse der G8 umsetzen müssen. Dennoch kann man aus der Interessenskoordination eine Verlagerung des nationalstaatlich gebundenen kollektiv verbindlichen Entscheidens auf eine über-nationale Ebene erkennen.
An dieser Stelle sollte die Frage gestellt werden, ob es sich bei der G8 eher um eine Steuerungsinstanz aus wirtschaftlichem oder aus politischem Systemzusammenhang handelt. Gerade die Entstehungsgeschichte der G8, die klar aus Interessen wirtschaftlicher Zusammenarbeit erfolgte, lässt den Schluss einer wirtschaftlichen Bindung der G8 naheliegend erscheinen. Andererseits ist die Rolle der G8 als politische Steuerungsinstanz eindeutig erkennbar. Insbesondere vor dem Hintergrund der oben nachgewiesenen, massiven Ausweitung der Beschlusskompetenzen der G8 kann wohl nicht abgestritten werden, dass es sich dabei um eine politische Instanz handelt. Trotz dieser erkennbaren Herausbildung einer Struktur der globalen politischen Steuerung kann nicht ohne Einwände von der Entwicklung eines lateralen Weltsystems der Politik durch die G8 als eine seiner Organisationen gesprochen werden. Ein laterales Weltsystem entsteht durch genau so einen Prozess, wie er von der G8, aber auch anderen Organisationen, vorangetrieben wird, nämlich durch die Erfüllung der Aufgaben eines nationalstaatlich gebundenen Funktionssystems durch einen globalen Zusammenhang. Dieser Prozess befindet sich für die Politik noch immer im Anfangsstadium.
3.3. Zusammenfassung
Laterale Weltsysteme entstehen als systemische Ebene zwischen Nationalstaatlichkeit und Weltgesellschaft. Sie stellen einen globalen Zusammenhang von Funktionssystemen dar, die sich durch Vernetzungsprozesse aus dem nationalstaatlichen Kontext herausgelöst und auf die Weltebene verlagert haben. Eine Organisation eines laterales Weltsystems stellt die G8 insoweit dar, als sie einen globalen politischen Steuerungsanspruch vertritt und teilweise auch in die Tat umsetzt.
Ein sich abzeichnendes laterales Weltsystem der Politik manifestiert sich in einer gewollten und auch umgesetzten Steuerungsfunktion der G8, die somit eine Konstellation nicht mehr nur wirtschaftlicher Art ist, sondern sich auf alle politischen Themenfelder ausgedehnt hat.
4. Ausblick
4.1. Durch G8 zur Weltgesellschaft?
Dieser Abschnitt führt die Erkenntnisse der theoretischen Grundlegung zusammen, um abschließend den Versuch einer Antwort auf die Leitfrage zu wagen. Zunächst steht dabei die Rolle von Organisationen lateraler Weltsysteme im Focus. Schließlich wird auch diskutiert, ob Steuerungsorganisationen über demokratische Legitimität verfügen müssen, um ihre globale Funktion wahrzunehmen.
4.1.1 Globale Steuerungsinstanzen bei der Bildung der Weltgesellschaft
Alle lateralen Weltsysteme haben zu ihrer Selbststeuerung Institutionen und Instanzen auf globaler Ebene ausgebildet. Prominente Beispiele sind die Welthandelsorganisation (WTO) für das Weltökonomiesystem, das Internationale Olympische Komitee (IOC) für das Weltsportsystem und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Dachinstitution des globalen Gesundheitssystems (vgl. Willke 2001: 137). Die meisten dieser Organisationen sind vor einem nationalstaatlichen Horizont durch zwischenstaatliche Abkommen entstanden, was die entstehungsgeschichtliche Bindung lateraler Weltsysteme an die Nationalstaaten nochmals verdeutlicht.
Die Herausbildung lateraler Weltsysteme geschieht also meistens im Zusammenhang mit der Bildung von Organisationen auf globaler Ebene. Für fast alle Bereiche lateraler Weltsysteme existieren auch bereits Organisationsstrukturen, nicht jedoch für die Politik, die weiterhin auf die nationale Ebene beschränkt bleibt. Die UNO scheint der Rolle einer globalen politischen Organisation kaum gewachsen zu sein (vgl. Willke 2006: 36), verfehlt sie diese doch in zahlreichen Fällen, wie beispielsweise im Bürgerkrieg in Ruanda, der friedlichen Lösung des Konflikts der Vereinigten Staaten mit dem Irak oder der humanitären Krise in Darfur. Möglicherweise könnten andere Konstellationen wie die G8 die der UNO zugedachte globale Steuerungsfunktion übernehmen. Bei der G8 handelt es sich aber – wie oben bereits festgestellt – nicht um eine völkerrechtlich verfasste Instanz, sondern eine informelle Konstellation, in der es kein festes Organisationsregelwerk gibt und auch keine festen Mitgliedschaftskriterien[7]. Es ist also zu fragen, ob diese informelle Verfasstheit Vorteile gegenüber formellen Organisationen beim Aufbau eines lateralen Weltsystems des politischen Systems bietet.
Allgemein betrachtet, sind Organisationen der Ausdruck einer Konsolidierung des Herausbildungsprozesses von Funktionssystemen. Organisationen besitzen eine funktionale Zugehörigkeit zu einem Funktionssystem und operieren in dessen Interesse (vgl. Braun 2000: 125). Die G8 könnte also durch ihre Einbettung in den politischen Kontext die Schaffung eines lateralen Weltsystems der Politik befördern. Die Eigenschaften und Wirkungsweisen von Organisationen gelten offensichtlich auch für den Herausbildungsprozess lateraler Weltsysteme, in denen durch den Aufbau von Organisationen die durch den globalen Bezugsrahmen massiv gesteigerte Komplexität in geregelte Bahnen zu lenken vermag; dafür gibt es auf der globalen Ebene verständlicherweise eine noch größere Notwendigkeit als in nationalstaatlich verfassten Gesellschaften. Um einen wirksamen Beitrag für den Aufbau eines lateralen Weltsystems der Politik zu leisten, könnte die G8 also durchaus hilfreich sein, sofern es sich bei ihr tatsächlich um eine Organisation handelt. Organisationssysteme haben als Grundkriterien zumindest klar erkennbare Strukturen, deutliche Mitgliedschaftsregeln, sowie bestimmbare Anforderungen für eine Mitgliedschaft. Durch den Beitritt zum Organisationssystem erkennen seine Mitglieder diese Grundregeln als Konsens der Organisation an (vgl. Luhmann 1975/2005b: 13f.).
Für die G8 treffen diese Anforderungen nur teilweise zu. Es existieren anerkannte interne Verständigungen, beispielsweise dass die G8 eine globale Steuerungsrolle einzunehmen versucht, ihre Werte an denen der westlichen Demokratien orientiert sind, und dass sie eine weltweite Verbreitung des Kapitalismus nach der Prägung der führenden Industriestaaten vorantreiben möchte. Diese Verständigungen sind jedoch in keiner Weise verbindlich geregelt, erst recht nicht durch multilaterale Verträge. Die gemeinsam am Ende eines jeden Weltwirtschaftsgipfel verabschiedeten Erklärungen verfügen über keine bindende Wirkung, sondern sind allenfalls Absichtserklärungen, die durch die Nationalstaaten ausgeführt werden sollen. Wie bereits dargelegt, hat die G8 ihre grundsätzlich von der Wirtschaftskraft abhängige Aufnahmeregel mittlerweile verlassen. Hierin scheint sich eine verstärkte Bindung an den seit den 1980er Jahren eingeschlagenen Kurs der eher neoliberalen Wirtschaftsordnung und damit auch der in den G8-Staaten herrschenden politischen Ordnung zu manifestieren, wird doch China trotz seiner inzwischen immensen wirtschaftlichen Stärke offensichtlich wegen der politischen Ordnung einer „Sozialistischen Marktwirtschaft“ (Fischer 2006) nicht in die Gruppe aufgenommen. Nur eingeschränkt vorhanden sind organisationale Strukturen: der Weltwirtschaftsgipfel ist in seiner Bedeutung und seinem Ablauf insgesamt geregelt, auch die vorausgehenden Treffen der G8-Fachminister und die Verhandlungsrunden der ‚Sherpa’ sind anerkannt. All diese Vorgänge sind jedoch ebenfalls nicht durch vertragliche o.ä. Regelungen festgelegt. Trotz dieser zahlreichen Einwände gegen eine Struktur der G8 als Organisation erscheint es mir sinnvoll, von einem organisationsähnlichen Netzwerk, einer Art ‚informelle Organisation’, zu sprechen, da letztlich nur die vertragliche Fundierung der Gruppe fehlt und – abgesehen von den veränderten Mitgliedschaftskriterien – sowohl die Strukturen wie auch die Institutionen einer Organisation durch konsensuale Übereinkunft vorhanden sind.
4.2. Die Rolle von Demokratie und Legitimität
Einer der Lieblingsvorwürfe ihrer Kritiker gegen die G8 ist, dass sie undemokratisch und illegitim sei. In nationalstaatlich verfassten und territorial gebundenen Formen ist Demokratie ein Mechanismus moderner Gesellschaften, mit Komplexität umzugehen und ihre eigene Fortentwicklung zu kontrollieren und zu gewährleisten (vgl. Merkel 2003: 212f.). An dieser Stelle soll Demokratie ebenfalls nicht als normativ wünschenswerter Zustand staatlicher Ordnung sondern als Funktionsweise von politischen Institutionen verstanden werden.
Im Nationalstaat konkurriert die politische Demokratie mit einer großen Zahl von nach eigenen Logiken operierenden Funktionssystemen (vgl. Willke 2001b: 21). Diese Entwicklung wird durch die Herausbildung lateraler Weltsysteme für viele Politikfelder noch angeheizt. Die Rückbindung politischen Entscheidens an die Betroffenen kann im nationalen Kontext noch gelingen, und die maßgebliche Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger steht nicht nur als normative Größe, sondern als institutionelle Grundlage der Demokratie fest (vgl. Offe 1996: 144). Demokratie ist im Umgang mit den nationalen, bereits hochkomplexen Problemlagen ausgesprochen erfolgreich, wenn auch um den Preis sowohl der Kurzfristigkeit ihrer Wirkung als auch der Mängel an Nachhaltigkeit (vgl. Willke 1992: 326).
Für die internationale oder globale Ebene ist die Erzeugung von Demokratie deutlich schwieriger. Demokratie ist als Steuerungsmechanismus durchdrungen von Komplexität, Undurchschaubarkeit und Schwierigkeit (vgl. Willke 2001b: 27), bedingt vornehmlich durch einen Umgang mit Heterogenität, der beispielsweise im Fall der UNO dazu führt, dass die „Unterschiedlichkeit ... ihre Handlungsfähigkeit in Frage stellt“ (Willke 2006: 36). An dieser Stelle liegt ein Ansatz, der informelle Interaktionen wie im Fall der G8 in ein besseres Licht rückt, als es von der politischen Öffentlichkeit oftmals angenommen wird. Die G8 ist zwar intransparent und ihre Entscheidungen sind nicht über eine demokratische Legitimationskette mit den Betroffenen rückgekoppelt. Die große Anfälligkeit demokratisch überregulierter Politikzusammenhänge für die eigene Komplexität kann jedoch dazu zwingen, von der Demokratie Abschied zu nehmen und Interessensakkumulation auf einer anderen Basis als Demokratie zu betreiben. Dennoch muss deutlich sein, dass in Zeiten der Ausweitung globaler Konstellationen die Abhängigkeit der einzelnen Staaten von eben solchen Zusammenhängen, zu denen auch die G8 gehört, weiter zunimmt (Luhmann 2000: 221)[8].
Unter dem Stichwort „Legitimation durch Verfahren“ (Luhmann 1969) lässt sich ein den demokratietheoretischen Klassikern nahestehender Legitimitätsbegriff finden, der für ein politisches System Legitimität annimmt, wenn dieses Verfahren institutionalisiert hat (Lange 2003: 125). Als Organisation der Politik sollte also auch die G8 Verfahren institutionalisieren, wenn sie politische Legitimität in Anspruch nehmen möchte. Die G8 ist demnach tatsächlich nur bedingt legitimiert. Dennoch ist eine Tendenz erkennbar, dass sich die Bürgerinnen und Bürger insbesondere der G8-Staaten selbst immer stärker mit dieser informellen Organisation identifizieren und deren Steuerungsrolle anerkennen. Es ist insofern eher fraglich, ob nicht eher der Legitimitätsbegriff anzupassen ist.
Dieser Gedanke sollte auf die globalen politischen Zusammenhänge ausgedehnt werden. Es wird in Zukunft notwendig sein, über „Legitimität jenseits formaler Demokratie“ (Willke 2003: 100) nachzudenken, bzw. eine „Revision der Form der Demokratie als gesellschaftliches Steuerungsmodell“ (Willke 2001b: 34) voranzutreiben. Nicht verfasste Institutionen und Konstellationen scheinen diese Entwicklung wie auch ihre Notwendigkeit zu verstärken. Die G8 muss dabei nicht legitim im Sinne von nationalstaatlicher Legitimitätstheorie sein, da mit dem Wandel hin zu einer Gesellschaft im globalen Kontext die bisher gekannten Legitimitätsvorstellungen zwangsläufig obsolet werden.
5. Fazit
Im ersten Komplex dieser Arbeit konnte festgestellt werden, dass die Gesellschaftsform der Weltgesellschaft noch nicht erreicht ist. Niklas Luhmann begründet seine gegenteilige These mit der empirisch nachweisbaren globalen kommunikativen Erreichbarkeit. Es wurde aufgezeigt, dass für die globale Ebene eher der Sicht von Helmut Willke zu folgen ist, der neben der Summe der Interaktionen noch eine weitere Dimension des Sozialen, nämlich die Fähigkeit zu Selbststeuerung und Selbstorganisation fordert.
Da die Weltgesellschaft also nicht verwirklicht ist, wurde im Anschluss Willkes Modell lateraler Weltsysteme untersucht. In diesem Zusammenhang konnte festgestellt werden, dass die G8 der Herausbildung eines lateralen Weltsystems der Politik förderlich sein kann. Dafür ist eine globale Steuerungsfunktion notwendig, die für die G8 bereits in ihren Anfängen erkennbar ist. Man kann dennoch noch nicht von der vollständigen Verwirklichung eines politischen lateralen Weltsystems sprechen, da dafür die nachhaltige Verlagerung von Steuerungskompetenzen aus dem nationalen Zusammenhang auf die globale Ebene noch notwendig ist.
Die schließlich aufgeworfene Frage der Rolle von Demokratie und Legitimität konnte dahingehend beantwortet werden, dass die G8 eine informelle Organisation ist, die keine verbindlichen Verfahren ausgebildet hat. Legt man diese als Kriterium für Legitimität zugrunde, so muss die G8 als illegitim gelten. Es muss allerdings eingewendet werden, dass solche Legitimationsstrukturen, genauso wie das Steuerungsmodell Demokratie, nur aus der Entwicklung der nationalstaatlichen Ebene abgeleitet werden. Der tiefgreifende Wandel der Gesellschaft durch die Globalisierung verschiedenster Funktionsbereiche macht aber eher die Neubestimmung der Begriffe notwendig, anstatt – so wie es die Kritikerinnen und Kritiker der G8 und ähnlicher Instanzen tun – nur in nationalstaatlich geprägten Idealvorstellungen zu lamentieren.
Die G8 bildet an dieser Stelle ein interessantes Beispiel dafür, wie Organisationen institutionalisiert werden können, ohne als solche völkerrechtlich verfasst zu sein. Neue, dem globalen Kontext gerechte Mechanismen als Grundlage von weltumspannender Politik scheinen sich herauszubilden. So ist die große Akzeptanz, die der G8 durch die Bevölkerung ihrer Staaten entgegengebracht wird, bemerkenswert und könnte der Beginn eines neuartigen Legitimitätsmechanismus für die neue, globale Ebene sein.
Die G8 wird ihren Steuerungsanspruch auch in Zukunft aufrechterhalten und noch ausweiten. Sie ist dennoch nur ein Zwischenschritt bei der Schaffung eines globalen Funktionssystems der Politik. Es zeichnet sich bereits jetzt eine Entwicklung ab, dass künftig mehr Nationalstaaten auf der globalen Ebene eine wichtige Rolle einnehmen, China, Indien, Brasilien oder Südafrika sind nur wenige Beispiele für die in die Weltpolitik drängenden Schwellenländer, die das große Zeitalter der Nationalstaatlichkeit überspringen und in der Politik der globalen Ebene bereits ankommen, während ihr Entwicklungsgrad noch nicht dem der alten Ersten Welt entspricht. So ebnen die westlichen Industrienationen mit der G8 und der Verlagerung von Schlüsselsystemen dem endgültigen Durchbruch der globalen Ebene den Weg, vielleicht sogar schließlich einmal der Weltgesellschaft im umfassenden Sinne.
6. Literaturverzeichnis
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Braun Dietmar 2006. Teil B: Politische Gesellschaftssteuerung zwischen System und Akteur. In: Ders./Lange, Stefan: Politische Steuerung zwischen System und Akteur. Opladen: Leske und Budrich.
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Bundesregierung 2006. G 8 – Was ist das? URL: http://www.g-8.de/nn_90704/Content/DE/StatischeSeiten/G8/grundlagen.html (Stand: 15.03.07)
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Wobbe, Theresa 2000. Weltgesellschaft. Bielefeld: transcript Verlag.
[...]
[1] Zitiert nach: Wobbe 2000: 46.
[2] Prominent und vergleichsweise erfolgreich ist die Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips bereits bei der Europäischen Integration.
[3] Zitiert nach: Willke 2007: 13.
[4] Diese Ablehnung arbeitet unter anderem Esser (1998: 302) heraus.
[5] Zu ergänzen ist an dieser Stelle, dass die lateralen Weltsysteme nicht nur außerhalb des Regelungsbereichs nationaler Politik liegen. Für die Unfähigkeit auch internationaler Regulierungsinstanzen, laterale Weltsysteme zu steuern, siehe das unten mehrfach behandelte Beispiel der Vereinten Nationen.
[6] Kanada gehört der G 8 seit 1976 an.
[7] Die einzige frühe Regel, nämlich zu den sieben größten Wirtschaftsmächten zu gehören, ist sowohl durch die Aufnahme Russlands wie auch durch die Nichtaufnahme der neuen wirtschaftlichen Großmächte durchbrochen worden. Die Aufnahme Russlands demonstriert auch in eindrucksvoller Weise den politischen Gestaltungsanspruch der G8.
[8] Auch wenn Luhmann hier vom „politischen System der Weltgesellschaft“ schreibt, entfaltet diese Erkenntnis auch unter der Prämisse der Herausbildung eines lateralen Weltsystems der Politik ihre Wirkung.
- Citar trabajo
- Matthias Bolte (Autor), 2007, Durch G8 zur Weltgesellschaft? Globale Steuerung durch informelle Instanzen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75192
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