„Aber immer wuchsen die Märkte, immer stieg der Bedarf.“ Selbst wenn einige der Schlussfolgerungen von Karl Marx und Friedrich Engels hinsichtlich der von ihnen erwarteten Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse als durchaus anfechtbar gelten, birgt die Gesellschaftsanalyse der Philosophen aus objektiv wissenschaftlichem Blickwinkel doch eine Vielzahl grundsätzlicher Wahr- und Gegebenheiten. Besonders vor dem Hintergrund einer zunehmend globalisierten Wirtschaft und Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts wandeln sich die getroffenen Prognosen zur unübersehbaren Realität. Und wenngleich das akademische Gewissen die negative Überspitzung ihrer Formulierung anprangern muss, so erscheint die Aussage, dass die aus dem Untergang der feudalen Gesellschaft hervorgegangene moderne bürgerliche Gesellschaft die Klassengegensätze nicht aufgehoben, sondern lediglich neue Klassen, neue Bedingungen der Unterdrückung und neue Gestaltungen des Kampfes an die Stelle der alten gesetzt hat , mit Blick auf die aktuellen internationalen Probleme als treffender den je. Diesbezüglich äußerte sich der Yale Professor Paul Kennedy speziell hinsichtlich globaler Migrationsbewegungen 1994 in der Zeitschrift Atlantic Monthly wie folgt: “Many members of the more prosperous economies are beginning to agree with Raspail’s vision of a world of two ‘camps’, separated and unequal, in which the rich will have to fight and the poor will have to die if mass migration is not to overwhelm us.” Vor diesem Hintergrund soll diese Arbeit zwei Aspekte näher beleuchten. Zum einen stellt sich die Frage, inwiefern derzeit bestehende Theorien hinreichende Erklärungsmodelle für globale Migrationsbewegungen sind. Mit Blick auf den begrenzten Umfang der Analyse wird dabei speziell auf die Arbeitsmigration eingegangen werden. Auf der Basis der theoretischen Ansätze gilt es darüber hinaus herauszufinden, ob die Theorien einer praktischen Untersuchung standhalten. Zu diesem Zweck wird das aktuell sehr kontrovers diskutierte und mit Sicherheit für die Zukunft der Europäischen Union brisante Beispiel der Ost-West-Migration herangezogen, wobei speziell auf Migrationsbewegungen zwischen der Ukraine und den Staaten der Europäischen Union untersucht werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Internationale Migration
2.1. Differenzierung internationaler Migrationsbewegungen
2.2. Theorien internationaler Arbeitsmigration
2.2.1. Ansätze aus der Ökonomie
2.2.2. Ansätze aus der Soziologie
2.2.3. Ansätze aus der Politikwissenschaft
2.2.4. Der migrationstheoretische Systemansatz
2.3. Trends globaler Arbeitsmigration
3. Untersuchung zur Arbeitsmigration am Beispiel Ukraine - EU
3.1. Auswahl der Untersuchungsgebietes
3.2. Methodische Vorgehensweise
3.3. Auswertung
3.3.1. Persönliche Daten
3.3.2. Der Migrationswunsch und dessen Hintergründe
3.3.3. Aufenthaltsdauer und Zielländer
3.3.4. Perzeption hinsichtlich Visa Regulierungen
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
6. Anhang
Fragebogen (Englisch)
Fragebogen (Russisch)
1. Einleitung
„Aber immer wuchsen die Märkte, immer stieg der Bedarf.“[1] Selbst wenn einige der Schlussfolgerungen von Karl Marx und Friedrich Engels hinsichtlich der von ihnen erwarteten Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse als durchaus anfechtbar gelten, birgt die Gesellschaftsanalyse der Philosophen aus objektiv wissenschaftlichem Blickwinkel doch eine Vielzahl grundsätzlicher Wahr- und Gegebenheiten. Besonders vor dem Hintergrund einer zunehmend globalisierten Wirtschaft und Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts wandeln sich die getroffenen Prognosen zur unübersehbaren Realität. Und wenngleich das akademische Gewissen die negative Überspitzung ihrer Formulierung anprangern muss, so erscheint die Aussage, dass die aus dem Untergang der feudalen Gesellschaft hervorgegangene moderne bürgerliche Gesellschaft die Klassengegensätze nicht aufgehoben, sondern lediglich neue Klassen, neue Bedingungen der Unterdrückung und neue Gestaltungen des Kampfes an die Stelle der alten gesetzt hat[2], mit Blick auf die aktuellen internationalen Probleme als treffender den je.
Während Marx und Engels als Quintessenz besagter Entwicklung den Aufstand des Proletariats gefolgt von der Herstellung einer klassenlosen Gesellschaft prophezeiten, ergibt sich bei zynischer Wertung etwa 150 Jahre später eine globale Klassenteilung ähnlicher Couleur. Analog zu Marx’ und Engels’ Analyse spaltet sich die Welt in die Gesellschaften der Industrienationen und die der Entwicklungsländer, ein internationalisiertes Wirtschaftssystem schafft die Bedingungen der Unterdrückung und die Gestaltung des Kampfes drückt sich beispielsweise in einer Zunahme bewaffneter Konflikte, internationalem Terrorismus und ansteigender internationaler Migration aus. Diesbezüglich äußerte sich der Yale Professor Paul Kennedy speziell hinsichtlich globaler Migrationsbewegungen 1994 in der Zeitschrift Atlantic Monthly wie folgt: “Many members of the more prosperous economies are beginning to agree with Raspail’s vision of a world of two ‘camps’, separated and unequal, in which the rich will have to fight and the poor will have to die if mass migration is not to overwhelm us.”[3]
Abgesehen von derart negativ akzentuierten Zukunftsvisionen, darf die zunehmende Wichtigkeit globaler Migration nicht missachtet werden. Dabei wird deutlich, dass sowohl in der Theorie als auch in der Praxis ein großer Erklärungs- bzw. Handlungsbedarf besteht, da zweifelsohne der weit verbreitete Konsens existiert, dass increased migration is inevitable in an integrating world economy[4], vor allem begünstigt durch die effizientere und schnellere Mobilität im Zuge der Globalisierung.
Vor diesem Hintergrund soll diese Arbeit zwei Aspekte näher beleuchten. Zum einen stellt sich die Frage, inwiefern derzeit bestehende Theorien hinreichende Erklärungsmodelle für globale Migrationsbewegungen sind. Mit Blick auf den begrenzten Umfang der Analyse wird dabei speziell auf die Arbeitsmigration eingegangen werden. Auf der Basis der theoretischen Ansätze gilt es darüber hinaus herauszufinden, ob die Theorien einer praktischen Untersuchung standhalten. Zu diesem Zweck wird das aktuell sehr kontrovers diskutierte und mit Sicherheit für die Zukunft der Europäischen Union brisante Beispiel der Ost-West-Migration herangezogen, wobei speziell auf Migrationsbewegungen zwischen der Ukraine und den Staaten der Europäischen Union untersucht werden.
Der erste Teil der Analyse beschäftigt sich demgemäß mit der grundsätzlichen Differenzierung internationaler Migrationsbewegungen, den Theorien internationaler Arbeitmigration sowie prognostizierten Trends hinsichtlich globaler Migration von Arbeitskräften. Im zweiten Teil werden die theoretischen Überlegungen mittels einer selbst durchgeführten Datenerhebung untersucht und bewertet.
2. Internationale Migration
2.1. Differenzierung internationaler Migrationsbewegungen
Migration leitet sich von dem lateinischen Wort migratio ab, welches ganz allgemein für Wanderung steht. Diesbezüglich generieren verschiedene Wissenschaftsbereiche unterschiedliche Bedeutungsansätze. Vor dem Hintergrund dieser Arbeit soll die soziologische Definition verwendet werden, die mit dem Begriff im weitesten Sinne jeden längerfristigen Wohnortwechsel eines Menschen assoziiert[5]. Internationale Migration stellt dabei eine spezifische Form räumlicher Mobilität dar, wobei Herkunft und Ziel der Migranten in verschiedenen Ländern liegen und die betroffenen Personen ihren Wohnsitz für eine bestimmte Zeit bzw. unbestimmte Zeit – eventuell für immer – ins Ausland verlegen[6]. Eine genaue Angabe hinsichtlich des Zeitraumes ist insofern nicht möglich, als dass die Aufenthaltsdauer, ab der eine Person als Migrant bezeichnet wird, von Land zu Land unterschiedlich definiert wird. So erfassen Statistiken in der BRD bereits Personen als Migranten, die sich lediglich 3 Monate in Deutschland aufhalten, während Arbeitskräfte oder Studierende mehrere Jahre in den USA verbringen können, ohne offiziell als Einwanderer zu gelten.
In 2000, there were 175 million international migrants in the world, that is, one out of every 35 persons in the world was an international migrant.[7] Selbst wenn Migrationsbewegungen keinesfalls als neuartiges Phänomen gelten, so ist doch davon auszugehen, dass vor im 20 Jahrhundert ein signifikanter Anstieg von Migranten auf internationalen Ebene zu verzeichnen ist. Dabei blieb der prozentuale Anteil der wandernden Weltbevölkerung zwar nahezu konstant, aber aufgrund des rasanten Bevölkerungswachstums nahm die absolute Anzahl deutlich zu. Die nachfolgende Abbildung soll den besagten Trend verdeutlichen, wobei dazu ein Vergleich zwischen den Jahren 1960, 2000 sowie 2005 dienen soll. Diesbezüglich muss allerdings erwähnt werden, dass die hier abgebildete Statistik lediglich die offiziell registrierten Migranten beinhaltet und dementsprechend eine weitaus höhere Anzahl, so genannter Papierloser, anzunehmen ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Vergleich Anzahl der weltweiten Migranten
Quelle: International Organisation for Migration (IOM)[8]
Aufgrund der hohen Anzahl potentieller Gründe sowie der Komplexität der Einflussfaktoren, welche Migrationsentscheidungen beeinflussen können, ist eine klare und eindeutige Differenzierung internationaler Migranten und deren Wanderungsgründe nahezu unmöglich. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit, sind persönliche Faktoren, wie beispielsweise Alter, Geschlecht oder Bildungshintergrund, ebenso relevant wie äußere Ursachen, die sich in der ökonomischen Situation eines Landes oder einer Region bzw. den ökologischen Rahmenbedingungen widerspiegeln können[9]. Daher unterscheiden Lucassen und Lucassen ganz grundsätzlich zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Migration[10]. Dieser Argumentation folgend, spezifiziert Peter J. Opitz drei Migrantengruppen, nämlich politische Flüchtlinge, Arbeits- und Umweltflüchlinge, wobei auch er eine methodisch saubere Trennung für unmöglich hält[11].
Da sich, wie zuvor illustriert wurde, bereits die Unterscheidung verschiedener Migrantentypen als äußerst komplex und nicht eindeutig klassifizierbar herausstellt, gilt dies hinsichtlich der Erklärungsansätze internationaler Migrationstheorien gleichermaßen. Selbst wenn diesbezüglich eine Vielzahl von Versuchen unternommen wurde, existiert bis dato noch keine allgemein gültige Migrationstheorie. Vielmehr näherten sich die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen der Problematik aus unterschiedlichen Gesichtspunkten, wobei eine Zusammenführung theoretischer Erkenntnisse als schwierig gilt[12]. Während ökonomische Theorien hauptsächlich die Ursachen von Migrationsentscheidungen untersuchen, versuchen die Sozialwissenschaften eher Auswirkungen und Konsistenz von Wanderungsbewegungen zu theoretisieren. Auffallend ist, dass die Politikwissenschaft bis zum jetzigen Zeitpunkt kaum zu besagter Theoriebildung beigetragen hat, obgleich die Thematik zweifelsohne einen hohen Stellenwert in der nationalen wie internationalen Politik besitzt.
2.2. Theorien internationaler Arbeitsmigration
2.2.1. Ansätze aus der Ökonomie
Da wirtschaftliche Motive scheinbar die Hauptursache für Migrationsentscheidungen sind und waren, stellen aus ökonomischer Sicht formulierte Theorien internationaler Arbeitmigration den fortgeschrittensten, und möglicherweise plausibelsten, Erklärungsansatz dar. Die Grundlagen dafür legte der schottische Ökonom und Philosoph Adam Smith bereits im 18. Jahrhundert. Mit Blick auf die tief greifenden Veränderungen im Zuge der industriellen Revolution, beschrieb er die Ursache der Wanderung von Arbeitskräften als Zusammenhang von Arbeitsangebot und –nachfrage an verschiedenen Orten[13].
In der Annahme, dass die individuelle Freiheit des Menschen nach persönlichem Glück, was aus ökonomischer Sicht die Maximierung des persönlichen Wohlstandes meint, letztendlich zur „automatischen“ Maximierung des gesellschaftlichen Glücks (also des gesellschaftlichen Wohlstandes) führt, sprach er dem Staat lediglich die Rolle des Regulators gesellschaftlicher Rahmenbedingungen in Form von 3 zentralen Aufgaben zu. Eine dieser Aufgaben, nämlich den Schutz jedes Mitgliedes der Gesellschaft vor Ungerechtigkeit und/oder Unterdrückung zu gewährleisten, sah Smith in England durch jene Gesetze verletzt, welche die Armen davon abhielten, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen, sowie jene, welche es den Menschen verboten ihr Gewerbe zu wechseln[14]. Aufgrund dessen befürwortete er den uneingeschränkten Fluss von Kapital, Waren und Arbeit, was seines Erachtens zum wirtschaftlichen Fortschritt sowohl im Ziel- als auch Abwanderungsgebiet sowie letztendlich zur Bekämpfung von Armut führen würde.
Diesen, allgemein gültigen Beobachtungen von Adam Smith folgend, generierten Wirtschaftswissenschaftler bis dato vier moderne, ökonomisch geprägte Theorien internationaler Arbeitsmigration. Dabei betrachten diese Ansätze nicht nur unterschiedliche Bezugsebenen (mikroökonomische und makroökonomische Ebene), sondern bauen auch aufeinander auf, sodass sie zum Teil als Weiterentwicklungen voneinander verstanden werden müssen.
Die neoklassische Theorie, welche in den 70’er Jahren hauptsächlich durch Harris und Torado entwickelt wurde, bezieht sich grundlegend auf ökonomische Unterschiede zwischen Herkunfts- und Zielländern von Migranten. Die besagten Unterschiede drücken sich in Einkommensunterschieden aus, was laut dieser Theorie die Motivation für Arbeitskräfte aus Niedriglohnländern darstellt, in Hochlohnländer abzuwandern[15]. Entsprechend nehmen die Theoretiker an, dass aus der Abwanderung eine Angleichung der Lohnstruktur zwischen Herkunfts- und Zielländern resultiert, wodurch letztendlich die ökonomische Motivation für internationale Migration sinkt. Dieser Betrachtungsweise der makroökonomischen Ebene werden innerhalb der neoklassischen Theorie mikroökonomische Tatsachen hinzugefügt. Diesbezüglich werden Migranten als rationale Wesen angenommen, die ihre Wanderungsabsichten von einer individuellen Kosten-Nutzen Rechnung hinsichtlich des persönlichen Mirgationsgewinns abhängig machen. Demzufolge werden neben reinen Lohnunterschieden weitere Faktoren, wie Arbeitslosigkeitsraten oder direkte und indirekte Migrationskosten[16], für die Wahrscheinlichkeit der Abwanderung einbezogen. Die Grundannahme des Aussetzens internationaler Migrationsbewegungen, insofern eine Angleichung zwischen Herkunfts- und Zielländern erfolgt, bleibt aber bestehen.
Während die neoklassische Theorie sowohl auf makro- als auch auf mikroökonomische Faktoren Bezug nimmt, konzentriert sich die „neue Migrationsökonomie“ hauptsächlich auf die Mikroebene. Als faktische Erweiterung des neoklassischen Ansatzes, wird nicht nur die individuelle Einkommensmaximierung als ausschlaggebende Migrationsmotivation herausgestellt, sondern auch auf den Menschen als Teil seiner familiären Umgebung eingegangen. Die Abwanderung einzelner Familienmitglieder ist vor diesem Hintergrund vielmehr der Versuch von Haushalten, die Risiken für ihren wirtschaftlichen Wohlstand zu minimieren[17]. Vor allem im Bezug auf Migranten aus sog. Entwicklungsländern wird dieser Sachverhalt als besonders wichtig erachtet, weil die Rücküberweisungen der im Ausland arbeitenden Familienmitglieder entscheidend zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit der ganzen Familie beitragen, unabhängig von den lokalen ökonomischen Gegebenheiten im Herkunftsland. Demzufolge muss die neue Migrationsökonomie ausschließen, dass internationale Migration zum Stillstand kommt, selbst wenn es zu Angleichungen im Lohngefälle kommt, da unterschiedliche Faktoren im Herkunftsland, wie beispielsweise hohe Inflation, das Nichtvorhandensein von Ernteausfall- oder Arbeitslosenversicherung bzw. instabile Kapitalmärkte[18], die Abwanderung von Arbeitkräften nicht zwangsläufig unterbinden.
Im Gegensatz zu den zuvor behandelten Theorien, leiten sowohl die duale Arbeitsmarkttheorie als auch die Weltsystemtheorie internationale Migration grundsätzlich von makroökonomischen Gegebenheiten ab. So basiert die duale Arbeitsmarkttheorie auf der Annahme, dass vor allem hoch entwickelte kapitalistische Wirtschaftssysteme eine permanente Nachfrage nach Arbeitskräften hervorrufen. Diesbezüglich wird hauptsächlich auf die Segmentierung im Arbeitsmarkt eingegangen, wobei der kontinuierliche Bedarf an Migranten im Niedriglohnsegment mit unterschiedlichen Faktoren, beispielsweise die fehlende Motivation einheimischer Arbeitskräfte hinsichtlich schlecht bezahlter oder gesellschaftlich wenig geachteter Arbeit, in Zusammenhang gebracht wird.
Die letzte ökonomische Theorie generiert sich aus der grundsätzlichen Funktionsweise des internationalen Kapitalismus. Vor allem mit Blick auf die Wandlungsprozesse im Zuge der Globalisierung hebt Saskia Sassen hervor, dass mit der Durchsetzung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und der Zunahme internationaler Arbeitsteilung Migranten/innen den Kapital- und Wirtschaftströmen in die kapitalistischen Zentren folgen[19]. Dieser, als Weltsystemtheorie bezeichnete Ansatz, geht darüber hinaus von quantitativ höheren Migratenzahlen zwischen ehemaligen Kolonialmächten und deren Kolonien aufgrund ihrer traditionellen kulturellen, sprachlichen sowie administrativen Verbindungen[20] aus.
Die folgende Grafik soll die zuvor behandelten Theorien im Rahmen eines Schemas nochmals abbilden, wobei sich deren Stellung innerhalb des Schemas auf die makro- bzw. mikroökonomische Ausrichtung der jeweiligen Theorie bezieht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Erklärungsansätze moderner ökonomischer Migrationstheorien
Quelle: Wüst 2002[21]
2.2.2. Ansätze aus der Soziologie
Da Migrationstheorien mit ökonomischem Hintergrund Wanderungsentscheidungen meist ausschließlich auf wirtschaftliche Faktoren zurückführen, liegt genau in diesem Punkt oftmals auch die Schwachstelle besagter Ansätze, was den Vorwurf der einseitigen Betrachtung dieser scheinbar viel komplexeren Sachverhalte rechtfertigt. Aufgrund dessen lieferten Soziologen Modelle, welche die ökonomischen Migrationsansätze in bedeutendem Maße erweitern, wobei jedoch nicht der Versuch, Erkenntnisse beider Wissenschaftsbereiche zu integrieren, im Vordergrund stand sondern vielmehr von unterschiedlichen Sichtweisen hinsichtlich der Problematik als Ansatzpunkt für soziologische Theorien ausgegangen wurde.
Auf der Suche nach, über wirtschaftliche Motive hinausgehende, Faktoren für Migrationsbewegungen, ging Everett S. Lee grundsätzlich von einer größeren Bandbreite entscheidender Variablen aus, die Wanderungsabsichten von Personen beeinflussen. Dieser Annahme folgend, bezieht sich seine, als Push-Pull Modell bezeichnete, Theorie sowohl auf eine Vielzahl negativer Faktoren im Herkunftsland als auch eine Reihe positiver Faktoren im Zielland, deren Gesamtheit letztlich die Ursachen für Migration ausmachen. Der interne Druck (push: decision to move from destination[22]) im Herkunftsland, der auf eine Person wirkt und somit zur Migration motiviert, kann beispielsweise durch ein unzureichendes Bildungssystem, einen Mangel an Grundversorgung oder einem instabilen politischen System hervorgerufen werden. Der externe Sog (pull: decision to move to destination[23]), also die für den Migranten erstrebenswerten Sicherheiten im Zielland, entsteht demzufolge im Umkehrschluss durch ein gutes Bildungssystem, eine gesicherte Grundversorgung oder ein stabiles politisches System. Dabei haben die hier aufgeführten Faktoren lediglich beispielhaften Charakter und können durch eine Vielzahl weitere bzw. abhängig von verschiedenen Regionen unterschiedliche Kriterien ergänzt werden.
Vor allem bei der Untersuchung über die Ursachen und Folgen internationaler Arbeitsmigration hinaus, erweitert das Modell der sog. „ethnischen Netzwerke“ die Sichtweise auf die hier behandelte Problematik immens. Durch die Frage, welche durch die mögliche Existenz besagter sozialer Netzwerke im Zielland aufgeworfen wird, entsteht ein völlig neuer Zusammenhang innerhalb der Migrationsforschung, nämlich was die Migrationsströme aufrecht hält und ihnen eine neue und eigene Qualität gibt[24]. Als ethnische Netzwerke werden bereits am Zielort befindliche Familienangehörige, Freunde oder Bekannte von Migranten bezeichnet, die der betroffenen Person aufgrund ihrer Erfahrungen oder Beziehungen materielle bzw. psychologische Unterstützung im Zielland geben können. Aufgrund dessen geht die Theorie davon aus, dass nicht nur Kosten und Risiken von Migration verringert werden, sondern der Migrationsimpuls sogar aufrechterhalten wird, selbst wenn die ursprünglichen Ursachen für Wanderungsbewegungen längst invalide sind[25]. Im Rahmen der Untersuchung von undokumentierter Migration in Deutschland und den Vereinigten Staaten ist Holk Stobbe in seinen Interviews mit Papierlosen immer wieder auf dieses Phänomen gestoßen. Beispielhaft sollen die folgenden zwei Ausschnitte aus Stobbes Interviews stehen.
[...]
[1] Engels, Friedrich, Marx, Karl: Das Manifest der Kommunistischen Partei, in: Dietz Verlag Berlin (Hrsg.): Marx/Engels: Ausgewählte Schriften, Berlin 1988, S. 39.
[2] Vgl. ebd.
[3] Vgl. Düvell, Frank: The Globalisation of migration control, in: Open Democracy Ltd. (Hrsg.): People Flow: Migration in Europe, http://www.opendemocracy.net/content/articles/PDF/1274.pdf, London 2003, S. 1.
[4] Nigel, Harris (Hrsg.): The new untouchables. Immigration and the new world order, London and New York 1995, S. 1.
[5] Vgl. Wikipedia (Hrsg.): Migration, in: http://de.wikipedia.org/wiki/Migration (23.09.2005).
[6] Vgl. Münz, Reiner (Hrsg.): Internationale Migration, in: http://www.berlin-institut.org/pdfs/Muenz_Internationale%20Migration.pdf (23.09.2005), S. 1.
[7] International Organisation for Migration (Hrsg.): World Migration 2005: Costs and benefits of international migration, Genf 2005, S. 379.
[8] Vgl. ebd.
[9] Vgl. Krause, Christina Catherine (Hrsg.) Neue Zuwanderungspolitik? Entwicklungen in der 14. Legislaturperiode in Deutschland, Kiel 2004, in: http://e-diss.uni-kiel.de/diss_1288/d1288.pdf (12.09.05), S. 31.
[10] Vgl. ebd.
[11] Vgl. Opitz, Peter J.: Migration/Weltflüchtlingsproblematik, in: Woyke, Wichard (Hrsg.): Handbuch internationale Politik, Opladen 2000, S. 269 – 278, hier S. 272 ff.
[12] Vgl. Wüst, Andreas M. (Hrsg.): Vorbild USA? Deutsche Einwanderungspolitik auf dem Prüfstand, Heidelberg 1995, S. 9.
[13] Vgl. Lebhard, Gustav: Internationale Migration. Thesen, Perspektiven und Theorien, in: Institut für Sozialwissenschaften (Hrsg.): Demographie aktuell. Vorträge, Aufsatze, Forschungsberichte, Nr. 19, Berlin 2002, S. 7.
[14] Vgl. Lebhard, Gustav: Internationale Migration. Thesen, Perspektiven und Theorien, in: Institut für Sozialwissenschaften (Hrsg.): Demographie aktuell. Vorträge, Aufsatze, Forschungsberichte, Nr. 19, Berlin 2002, S. 7.
[15] Vgl. ebd., S. 8
[16] Vgl. Lebhard, Gustav: Internationale Migration. Thesen, Perspektiven und Theorien, in: Institut für Sozialwissenschaften (Hrsg.): Demographie aktuell. Vorträge, Aufsatze, Forschungsberichte, Nr. 19, Berlin 2002, S. 8.
[17] Vgl. ebd., S. 10.
[18] Vgl. ebd., S. 10 f.
[19] Stobbe, Holk (Hrsg.): Undokumentierte Migration in Deutschland und den vereinigten Staaten. Interne Migrationskontrollen und die Handlungsspielräume von Sans Papiers, Göttingen 2004, S. 13 f.
[20] Vgl. Lebhard, Gustav: Internationale Migration. Thesen, Perspektiven und Theorien, in: Institut für Sozialwissenschaften (Hrsg.): Demographie aktuell. Vorträge, Aufsatze, Forschungsberichte, Nr. 19, Berlin 2002, S. 18.
[21] Vgl. Wüst, Andreas M.(Hrsg.): Vorbild USA? Deutsche Einwanderungspolitik auf dem Prüfstand, Heidelberg 1995, S. 11.
[22] Krause, Christina Catherine (Hrsg.) Neue Zuwanderungspolitik? Entwicklungen in der 14. Legislaturperiode in Deutschland, Kiel 2004, in: http://e-diss.uni-kiel.de/diss_1288/d1288.pdf (12.09.05), S. 28.
[23] ebd.
[24] Vgl. Pries, Ludgar: Transnationalisierung der Migrationsforschung und Entnationalisierung der Migrationspolitik. Das Entstehen transnationaler Sozialräume durch Arbeitswanderung am Beispiel Mexiko – USA, in: Bommes, Michael (Hrsg.): Transnationalismus und Kulturvergleich, Osnabrück 2000, S. 55 – 77, hier S. 60.
[25] Vgl. Lebhard, Gustav: Internationale Migration. Thesen, Perspektiven und Theorien, in: Institut für Sozialwissenschaften (Hrsg.): Demographie aktuell. Vorträge, Aufsatze, Forschungsberichte, Nr. 19, Berlin 2002, S. 21.
- Quote paper
- Magister Christian Vogel (Author), 2005, Theorien internationaler Arbeitsmigration auf dem Prüfstand, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75148
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