Im Rahmen des Seminars „Türkisches Schrifttum zur Rechtsquellenlehre“ an der Ruhr-Universität-Bochum haben wir uns mit den verschiedenen Quellen des islamischen Rechts befasst. Außer den zwei Primärquellen des islamischen Rechtssystems Koran und Sunna wurden auch seine Sekundärquellen behandelt. Während es, was die Primärquellen anbelangt, eine allgemeine Übereinstimmung unter den islamischen Gelehrten zu geben scheint, sieht es mit den Sekundärquellen etwas anders aus. Hier gehen die Meinungen weit auseinander. Besonders über die Anzahl der Rechtsquellen, also hinsichtlich der Frage, was dazu gezählt werden kann und was nicht, existieren viele Meinungen. Auch darüber, ob es sich bei den Sekundärquellen überhaupt um Quellen handelt oder nur um eine Methode, um Koran und Sunna besser auslegen zu können, wurde im Laufe des Seminars gesprochen. Eine dieser eher sekundären Quellen ist Gegenstand dieser Arbeit. Dabei handelt es sich um die gesetzlichen Umgehungen im islamischen Recht Hiyal. Im Laufe der Arbeit wird klar, dass auch dieses Thema sehr umstritten ist. Wie aufzuzeigen ist, wird dieses Prinzip den Hanafiten zugesprochen. Da diese Rechtsschule in der Türkei sehr verbreitet ist, wahrscheinlich weil die „im Vergleich zu den anderen Schulen liberale, praktische Rechtstheorie der Hanafiten … für die politischen Zwecke der türkischen Dynastien sich am besten eignete“ , bin ich davon ausgegangen, dass es eine Menge Material darüber auf Türkisch geben sollte. Aber leider habe ich nicht so viele türkische Quellen zum Thema Hiyal zur Verfügung gehabt. Aus diesem Grund ist meine Arbeit auch nur von beschreibender Natur. Ich werde mich darauf beschränken, die Grundprobleme zum Thema Hiyal darzustellen, d. h. Definition, Quellenlage und Meinungen. Außerdem werde ich ein paar Beispiele aus der Praxis darlegen, um die Sache zu veranschaulichen. Dies alles werde ich anhand entsprechender Übersetzungen meiner türkischen Quellen durchführen, so dass ich dem Seminarthema dadurch gerecht werde, dass ich die Sichtweisen der türkischen Gelehrten aufzeige.
INHALT
Einleitung
1.Meine Quellen
2.Was bedeutet ½Íla?
2.1 Die lexikalische Bedeutung von ½Íla
2.2 ¼iyal als Terminus technicus
3. Texte zur Quellenlage
3.1. al-ma¿ ā ri ğ fÍ’l-½iya
3.2 Das kitÁb-al-½iyal und Ab ū -¼an ī fa
3.2.1 Aus dem Inhalt des kitÁb-al-½iya
4.Welche Beweise werden angeführt für die Legitimität von ½iyal?
4.1 Beweise aus dem Koran
4.2 Beweise aus der Sunna
5. Praxisbeispiele
5.1 Ein Beispiel aus dem Film „The Imam“
5.2 ZakÁt
5.3 Fasten
6. Resümee und Ausblick
7. Bibliographie
Einleitung
Im Rahmen des Seminars „Türkisches Schrifttum zur Rechtsquellenlehre“ an der Ruhr-Universität-Bochum haben wir uns mit den verschiedenen Quellen des islamischen Rechts befasst. Außer den zwei Primärquellen des islamischen Rechtssystems Koran und Sunna[1] wurden auch seine Sekundärquellen behandelt.[2] Während es, was die Primärquellen anbelangt, eine allgemeine Übereinstimmung unter den islamischen Gelehrten zu geben scheint, sieht es mit den Sekundärquellen etwas anders aus. Hier gehen die Meinungen weit auseinander. Besonders über die Anzahl der Rechtsquellen, also hinsichtlich der Frage, was dazu gezählt werden kann und was nicht, existieren viele Meinungen.[3] Auch darüber, ob es sich bei den Sekundärquellen überhaupt um Quellen handelt oder nur um eine Methode, um Koran und Sunna besser auslegen zu können, wurde im Laufe des Seminars gesprochen. Eine dieser eher sekundären Quellen ist Gegenstand dieser Arbeit. Dabei handelt es sich um die gesetzlichen Umgehungen im islamischen Recht ½iyal.[4] Im Laufe der Arbeit wird klar, dass auch dieses Thema sehr umstritten ist. Wie aufzuzeigen ist, wird dieses Prinzip den Hanafiten zugesprochen. Da diese Rechtsschule in der Türkei sehr verbreitet ist, wahrscheinlich weil die „im Vergleich zu den anderen Schulen liberale, praktische Rechtstheorie der Hanafiten … für die politischen Zwecke der türkischen Dynastien sich am besten eignete“[5], bin ich davon ausgegangen, dass es eine Menge Material darüber auf Türkisch geben sollte. Aber leider habe ich nicht so viele türkische Quellen zum Thema ½iyal zur Verfügung gehabt. Aus diesem Grund ist meine Arbeit auch nur von beschreibender Natur. Ich werde mich darauf beschränken, die Grundprobleme zum Thema ½iyal darzustellen, d. h. Definition, Quellenlage und Meinungen. Außerdem werde ich ein paar Beispiele aus der Praxis darlegen, um die Sache zu veranschaulichen. Dies alles werde ich anhand entsprechender Übersetzungen meiner türkischen Quellen durchführen, so dass ich dem Seminarthema dadurch gerecht werde, dass ich die Sichtweisen der türkischen Gelehrten aufzeige.
1. Meine Quellen
Ich habe zwei Bücher gefunden, die das Thema uÈūl al-fiqh[6] selbstständig oder im Zusammenhang mit der Geschichte der islamischen Gesetzgebung behandeln und in denen eben auch etwas über ½iyal geschrieben wurde. Allerdings ist es sehr kurz gehalten. Das Buch mit dem Namen „Fıkıh Usûlü“ ist von dem 1947 in Erzurum geborenen Professor Fahretin Atar. Er lehrt an der „Marmara Üniversitesi“ sowohl im „Sosyal Bilimler Enstitüsü“ als auch an der „Ilahiyat Fakültesi“ und beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Verfahren und der Methodenlehre des islamischen Gesetzes. Das andere mit dem Namen „İSLÂM HUKUK TARİHİ“ ist von dem 1934 in Çorum geborenen Professor Hayrettin Karaman. Er war bis 2001 ebenfalls an der oben genannten Universität, welche er aber aus Protest gegen das Kopftuchverbot verlassen hatte. Heute lehrt er als Gastprofessor an der Islamischen Universität in Holland.[7] Sein Hauptaugenmerk liegt ebenfalls auf dem islamischen Recht. In der Türkei gilt er als Autorität auf diesem Gebiet und wird oft zitiert, so auch von Fahretin Atar in besagtem Buch. Außerdem hat er das Vorwort zu der dritten Quelle, die ich benutzt habe, geschrieben. Es handelt sich dabei um die 1996 veröffentlichte Dissertation von Saffet Köse, mit dem Titel „Islam Hukukunda Kanuna KarÐï Hile“, was so viel heißt wie „Gesetzeswidrige Rechtskniffe im islamischen Recht“. Außer dieser Dissertation scheint es nur noch eine Monographie über ½iyal im Türkischen zu geben, ebenfalls eine Dissertation mit gleichem Namen, die von Hâmide Topçuoºlu angefertigt wurde. Laut Köse verfolgt dieser aber einen philosophisch-soziologischen Ansatz.[8] Da mir wie gesagt nur das Werk von Köse, als tiefer gehende selbstständige Arbeit über dieses Thema, in türkischer Sprache vorliegt, habe ich es zum Leitfaden meiner Studienarbeit genommen.
Gleich am Anfang seiner Arbeit macht Köse auf ein wichtiges Problem aufmerksam. Er sagt nämlich, dass „man weder näher darauf eingegangen ist, was eigentlich damit gemeint ist, wenn über das Thema ½iyal diskutiert wurde, noch näher darauf, was die Gegenseite darunter verstand, als sie kritisiert wurde“.[9] Damit spricht er also das Problem der Definition an. Wie in allen Bereichen der islamischen Wissenschaften gibt es diesbezüglich viele Schwierigkeiten. Diese resultieren daraus, dass sich besagte Wissenschaften mit der Zeit erst entwickelt haben und viele Begriffe von Zeit zu Zeit und von Gelehrten zu Gelehrten unterschiedlich benutzt wurden. Deshalb wende ich mich zuerst der lexikalischen Bedeutung des Wortes ½Íla zu. Zu diesem Zweck habe ich die Definition von Köse übersetzt. Er schreibt Folgendes:
2. Was bedeutet ½Íla?
2.1 Die lexikalische Bedeutung von ½Íla
„Der Plural von ½Íla, ein Nomen, welches vom Verb ½āla/ ya½ūlu abstammt, ist ½iyal. In der Sprache wurde es mit den Bedeutungen Lösung, Geschicklichkeit, Gerissenheit, gute Überlegung, gute Auffassung und Handlungsfähigkeit sowie Anpassungsfähigkeit benutzt. Im Koran wurde es an einer Stelle als „Ausweg“ benutzt, wie: ‚Ausgenommen sind die Schwachen unter den Männern und Frauen und Kindern, die sich tatsächlich nicht zu helfen vermögen und keinen Ausweg finden.‘[10] Statt ½Íla wurde auch das ihm sehr nahe kommende Wort ma¿raº[11] benutzt, das die Bedeutung von Ausweg oder Rettung hat. Außerdem haben manche Gelehrte ausschließlich das Wort ma¿raº an Stelle von ½Íla benutzt. Andere Gelehrte wie AbÚ SulaimÁn al-¹ÚzºÁnÍ (gest. 200/815) gingen noch weiter und sahen die Benutzung des Ausdrucks ,was ist die Lösung in dieser Sache‘ (famā al- ½Íla) als verpönt an, während sie sagten, dass man an dessen Stelle die Frage ,was ist der Ausweg aus dieser Sache‘ (famā al- ma¿raº) benutzen müsse. In dieser Bedeutung kommt das Wort ma¿raº im Koran vor: ‚Und wer immer Allah fürchtet, dem zeigt Er einen Ausweg (ma¿raºan)’[12]. Das Buch zu diesem Thema, welches Imam Mu½amad (gest. 189/805) zugeschrieben wird, trägt den Namen „al- ma¿āriğ fÍ’l-½iyal“.[13] Das Wort ½iyal wurde auch in den a½ādÍÝ[14] des ehrenwerten Propheten benutzt. Der Gesandte (s.a.s.)[15] erwähnte in einem ½adÍÝ: ,Begeht nicht das, was die Juden begangen haben. Sie maßten sich an, das, was Allah verboten hat, mit Hilfe der minderwertigsten ½iyal zu erlauben.‘“[16]
[...]
[1] Wörtlich Brauch. Es ist die Gesamtheit der Aussprüche und Handlungen des Propheten gemeint, die neben dem Koran als Rechtsquelle gilt.
[2] Über die „Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam“, siehe Krawietz, Birgit in ihrem gleichnamigen Werk.
[3] Siehe hierzu z. B. Ramadan, Said. Das islamische Recht. Theorie und Praxis. S. 31 ff.
[4] Es stammt von den arabischen Wurzeln ½-w-l oder ½-y-l ab
[5] Halm, Schulen, nach Krawietz, Hierarchie der Rechtsquellen, S. 65
[6] Methodenlehre der islamischen Rechtswissenschaft
[7] Nach eigenen Angaben auf der Internetseite http://www.hayrettinkaraman.net/kimdir.htm Stand: 02.04.2006
[8] Saffet, Köse. Islam Hukukunda Kanuna KarÐı Hile. Hile-i Ëer’iyye. S. 59
[9] Köse. Islam Hukukunda S. 20 Z. 3 ff.
[10] Koran 4/98
[11] Es handelt sich hierbei um ein arabisches Substantiv des Ortes und stammt von der Wurzel ¿-r-º ab mit Bedeutungen wie herausgehen, herauskommen usw.
[12] Koran 65/2
[13] Die Meinungen über die Frage nach dem Verfasser dieses Werkes gehen weit auseinander. Ich werde weiter unten näher darauf eingehen. Auch Köse weist in einer Fußnote darauf hin.
[14] a½ādÍÝ ist der Plural von ½adÍÝ, womit die Aussprüche und Taten des Propheten gemeint sind.
[15] Abkürzung für „Allah segne ihn und schenke ihm Heil“. Muslime hängen das immer an die Erwähnung des Propheten als Ehrerbietung an.
[16] Köse. Islam Hukukunda, S. 93 f.
- Quote paper
- Jürgen Leibfried (Author), 2006, Die Bedeutung von Hiyal und ihre Behandlung im türkischen Schrifttum, am Beispiel ausgewählter Schriften , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74817
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