Hartmann von Aue prägt mit seinem klassischen Roman ,,Iwein’’ den Artusroman in der mittelhochdeutschen Blütezeit. Zu den meist untersuchten Szenen des Werkes wird das Wahnsinnigwerden Iweins gezählt, was an den vielen möglichen interpretatorischen Ansätzen, die von psychoanalytischen Aspekten über pathologische bis hin zu Gender-Betrachtungsweisen reichen, liegt. Einen weiteren Blickwinkel dieser Szene bildet das Thema des Grenzganges, welcher bereits in anderen Romanen des Mittelalters wie in Wolframs von Eschenbach ,,Parzival’’ aufgegriffen wird. Dieser beschränkt sich dabei nicht nur auf die Betrachtung der Mobilität der Protagonisten wie in dem Überqueren von Landesgrenzen, sondern findet sich auch auf weiteren Ebenen. In dieser Hausarbeit wird gezeigt, dass sich der Grenzgang auf einen Raum zwischen einer oder mehreren Grenzen bezieht, der von dem Protagonisten aufgesucht wird, um die begrenzenden Schranken durchbrechen zu können. Fraglich ist dabei zum einen, warum und worin diese Grenzen bestehen und zum anderen, warum sie von dem Held durchbrochen werden. Weiterhin ist unklar, weshalb sich die Autoren der mittelalterlichen Literatur und damit insbesondere Hartmann von Aue mit diesen Thema beschäftigt haben. Um diese Fragen klären zu können, muss zunächst untersucht werden, ob es sich bei Iwein überhaupt um einen solchen Grenzgänger handelt und inwiefern dies zum Ausdruck kommt. Zusätzlich wird herausgearbeitet, ob Iwein eine oder mehrere Grenzen durchbricht und auf welche Art und Weise dies eventuell vonstatten geht.
Inhaltsverzeichnis
1.0 Einleitung
2.0 Ursache des Wahnsinns
2.1. Die Jahresfrist
2.2. Minne als Auslöser
2.3. Die Politische Flucht
2.4. Identitätsfindung und das Höfische
3.0. Der Wahnsinn
3.1. Beginn der Krise
3.2. Die Krise und deren Bewältigung
4.0. Reintegration
4.1. Das Erwachen
4.2. Auswirkungen
5.0. Der Grenzgänger
6.0. Fazit
7.0. Bibliographie
8.0. Obligatorische Erklärung
1.0. Einleitung
Hartmann von Aue prägt mit seinem klassischen Roman ,,Iwein’’ den Artusroman in der mittelhochdeutschen Blütezeit.[1] Zu den meist untersuchten Szenen des Werkes wird das Wahnsinnigwerden Iweins gezählt, was an den vielen möglichen interpretatorischen Ansätzen, die von psychoanalytischen Aspekten über pathologische bis hin zu Gender-Betrachtungsweisen reichen, liegt.[2] Einen weiteren Blickwinkel dieser Szene bildet das Thema des Grenzganges, welcher bereits in anderen Romanen des Mittelalters wie in Wolframs von Eschenbach ,,Parzival’’ aufgegriffen wird. Dieser beschränkt sich dabei nicht nur auf die Betrachtung der Mobilität der Protagonisten wie in dem Überqueren von Landesgrenzen, sondern findet sich auch auf weiteren Ebenen. In dieser Hausarbeit wird gezeigt, dass sich der Grenzgang auf einen Raum zwischen einer oder mehreren Grenzen bezieht, der von dem Protagonisten aufgesucht wird, um die begrenzenden Schranken durchbrechen zu können. Fraglich ist dabei zum einen, warum und worin diese Grenzen bestehen und zum anderen, warum sie von dem Held durchbrochen werden. Weiterhin ist unklar, weshalb sich die Autoren der mittelalterlichen Literatur und damit insbesondere Hartmann von Aue mit diesen Thema beschäftigt haben. Um diese Fragen klären zu können, muss zunächst untersucht werden, ob es sich bei Iwein überhaupt um einen solchen Grenzgänger handelt und inwiefern dies zum Ausdruck kommt. Zusätzlich wird herausgearbeitet, ob Iwein eine oder mehrere Grenzen durchbricht und auf welche Art und Weise dies eventuell vonstatten geht.
2.0. Ursache des Wahnsinns
Iweins Wahnsinn nimmt nur einen kurzen zeitlichen Rahmen in dessen Biographie ein. Er wird nicht dauerhaft irrsinnig, sondern findet mithilfe einer Frau in den normalen Gemütszustand zurück. Die menschlichen Erfahrungen, die Iwein in dieser Zeit macht, finden in einem Prozess statt. Dieser wird nach dem Anthropologen Victor Turner als ,,soziale Dramen’’[3] bezeichnet, die wiederum in vier Phasen unterteilt werden: Ein Bruch zwischen gesellschaftlichen Elementen (1) bewirkt eine Krise des Protagonisten (2), ,,deren Bewältigung (3) häufig die Reintegration einer Person oder eines gesellschaftlichen Elements in die soziale Struktur zur Folge hat (4)’’.[4] Der folgende Abschnitt befasst sich mit der zuerst genannten Phase des Konflikts zwischen gesellschaftlichen Elementen und beleuchtet, inwiefern sie den Auslöser für Iweins Wahnsinnigwerden darstellen. Verbunden mit diesen Gesichtspunkten wird die Schuldfrage, die zu Iweins Zustand führt, geklärt.
2.1. Die Jahresfrist
Im ersten Handlungszyklus erhält Iwein durch den Sieg über Ascalon in seinem Quellenabenteuer und wegen der mithilfe Lunetes die Hand der Königin Laudine. Damit wandelt sich Iwein von einem besitzlosen Ritter zu einem Herrscher über die Ländereien seiner Gemahlin und zum Beschützer der Quelle. Artus und sein Gefolge, zu dem auch der Ritter Gawein zählt, begeben sich daraufhin wegen der Feierlichkeiten zu Laudines Hof. Hier warnt Gawein seinen Freund Iwein vor den Gefahren des ,,verligen’’,[5] nämlich der Vernachlässigung seiner ritterlichen Pflichten zugunsten der Minne und schlägt ihm vor, wieder mit ihm zu ,,turnieren’’.[6] Voraussetzung dafür ist die Zustimmung Laudines, von der er sich den ,,urloup’’[7] genehmigen lassen muss. Sie stimmt unter der Bedingung zu, dass ihr Ehegatte nicht länger als ein Jahr fortbleibt. Hält er dies nicht ein, betrachtet sie die Ehe mit ihm als aufgelöst: ,,ode ichn warte iuwer niht mê’’[8] und schwört, dass ,,ez wære iemer ir haz’’.[9] Iwein kehrt jedoch nach der Jahresfrist nicht zu seiner Ehefrau Laudine zurück. Dies wird ihm schmerzlich bewusst, als Lunete, die getreue Dienerin seiner Vermählten, vor den Artushof tritt und Iwein wegen der Fristversäumnis der ,,untriuwe ode ungemach’’[10] anklagt. Daraufhin verliert er ,,vil gar vreude und den sin’’,[11] wodurch er sich benimmt ,,als er ein tôre wære’’.[12] Iwein wird wahnsinnig und flieht unbekleidet in einen Wald. Wer trägt nun die Schuld an Iweins Zustand? Die Forschung ist sich dahingehend einig, dass diese der Verstörte selbst trägt. Uneinigkeit besteht jedoch darin, worin die ,,eigentliche’’ Schuld besteht, die zu seinem verwirrten Geisteszustand führt. So wird einerseits die Meinung vertreten, dass diese bereits in dem ersten Handlungszyklus gefunden werden kann. Erstens weil er durch die Entfachung des Unwetters bei seinem Quellenabenteuer eine Rechtsverletzung begeht und zweitens weil sein Sieg über, den durch das Unwetter herbeigerufenen, Ascalon als Mord qualifiziert wird. Für diese Taten müsse er Buße tun und verfalle deswegen in den Wahnsinn.[13] Andererseits wird die eindeutig besser nachvollziehbare Auffassung vertreten, dass die Schuld Iweins in der Fristversäumnis liegt. Die Frist ist nicht ein willkürlicher Termin, sondern entspricht einer ,,der gängigsten mittelalterlichen Rechtsfristen’’,[14] die mündlich eingegangen werden kann, und muss daher von Iwein eingehalten werden. ,,Iwein hat die Tragweite des gesprochenen Wortes unterschätzt’’,[15] sodass sein Versäumnis einem Treuebruch gleichkommt. Dadurch wird deutlich, dass es hier nicht nur darum geht, ,,daz er der jârzal vergaz’’,[16] sondern auch darum, dass er ,,sîn gelübede versaz’’.[17] Dies ist auch in der Anklage Lunetes erkennbar, die ihn als ,,einen triuwelôsen man’’[18] betrachtet. Deutlich wird dabei, dass der auslösende Moment für Iweins Wahnsinn in einem Konflikt mit den gesellschaftlichen Elementen, nämlich der Rechtsfrist und dem Eheversprechen, zu finden ist. Fraglich ist weiterhin, worin der Treuebruch Iweins gegenüber Laudine besteht. Dieser könnte in der Versäumnis seiner ehelichen Pflichten und der Minnehandlungen liegen, wobei die Erkenntnis über diese Tatsache Iwein in den Wahnsinn treibt.
2.2. Die Minne als Auslöser für Iweins Wahnsinn
Durch seine Turnierfahrt, der er länger als der Jahresfrist nachgegangen ist, verfehlt er die ,,goldene Mitte’’ zwischen Liebestat und Rittertat.[19] Zum einen vernachlässigt er Laudine komplett, was sich schon darin zeigt, dass er die von ihr gesetzte Frist einfach ,,vergaz’’.[20] Zum anderen opfert er seine gesamte Zeit für das Turnieren. Weiterhin ist zu bemängeln, dass er nicht in politischer Mission zum Turnier aufgebrochen ist, sondern um seinen eigenen Ruhm und sein eigenes Ansehen zu vermehren.[21] Laudines Bedürfnisse lässt er dabei egoistisch außer Acht. Als er durch die Anklage Lunetes seiner Fehler bewusst wird, ist es bereits zu spät. Laudine hat sich von ihm losgesagt. Über seinen Verlust ist er derart bedrückt, dass ,,sîn herze wart bevangen/mit senlîcher triuwe’’.[22] Der daraufhin aufbrechende Schmerz raubt ihm Sinn und Verstand. Damit zeigt sich, dass auslösendes Moment für den Zusammenbruch des Helden in der Minne zu finden ist.[23] Hartmann selbst nennt die Minne als eine Ursache für die Krankheit Iweins: ,,doch meistert vrou Minne/daz im ein krankes wîp/verkêrte sinne unde lip’’.[24] Dennoch wird diese im weiteren Verlauf der Krankheitsbeschreibung nicht nochmals aufgegriffen. Daher stellt sich hier die Frage, ob die Minne als Auslöser der Verwirrtheit Iweins im Mittelpunkt stehen soll oder, ob Hartmann andere Themen ins Zentrum der Perspektive rücken wollte. Ein interpretatorischer Ansatz sieht den Grund in einer politischen Flucht.
[...]
[1] Vgl. Mertens, 1998, S. 63.
[2] Vgl. Hafner, 2004, S. 107.
[3] Vgl. Turner, 1989, S. 95-139; zit. in: Quast, 2001, S. 117.
[4] Quast, 2001, S. 117.
[5] Hartmann von Aue, 2006, V. 2790.
[6] ebenda, V. 2803.
[7] ebenda, V. 2887.
[8] ebenda, V. 2944.
[9] ebenda, V. 2928.
[10] ebenda, V. 3122.
[11] ebenda, V. 3215.
[12] ebenda, V. 3095.
[13] Vgl. Ruh, 1977, S. 157
[14] Mertens, 1978, S. 46.
[15] Zutt, 1979, S. 60.
[16] Hartmann von Aue, 2006, V. 3091.
[17] ebenda, V. 3092.
[18] ebenda, V. 3183.
[19] Vgl. Mertens, 1998, S. 72.
[20] Hartmann von Aue, 2006, V. 3055.
[21] ebenda, V. 2903-2904.
[22] ebenda, V. 3088-3089
[23] Vgl. Matejowski, 1996, S. 120.
[24] Hartmann von Aue, 2006, V. 3254-3256.
- Arbeit zitieren
- Maria-Carina Holz (Autor:in), 2007, Der Grenzgang des Wahnsinns in Hartmanns von Aue ,,Iwein’’, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74800
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