Bei der Betrachtung der komplexen Entwicklungschancen, die sich aus der Arbeit mit dem Pferd mit lernbehinderten Kindern ergeben, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass gerade die Auslagerung der Fördersituation mit dem Pferd aus dem normalen Schulalltag erhebliche Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Gerade bei lernbehinderten Kindern ist der Schulalltag oft von Misserfolgen geprägt.
Julia, das Mädchen, um das es in der vorliegenden Arbeit gehen soll, lernte ich als ein Mädchen kennen, das sich sehr in sich selbst zurückzog, kaum Emotionen zeigte und weder Kontakt noch Beziehungen zu Lehrerinnen und Mitschülern aufnahm.
Auch Julia nahm am heilpädagogischen Voltigieren teil und bei ihr machte ich während der Arbeit an und mit dem Pferd die Beobachtung, dass sie zum ersten Mal spontan lächelte, sodass ich den Eindruck bekam, dass ihr die Arbeit mit dem Pferd Spaß bereitete.
Daraus ergab sich für mich die Frage, wie Julias Fähigkeit zur Anbahnung und Aufnahme von Beziehungen durch das Heilpädagogische Voltigieren gefördert werden kann.
Mit der vorliegenden Arbeit wird versucht, eben diese Frage zu beantworten.
Im I. Teil wird die Schülerin Julia vorgestellt, wobei diese Beobachtungen und Informationen die Grundlage für die im III. Teil der Arbeit angestellten konzeptionellen Überlegungen darstellen.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
I. Teil: Falldarstellung
2. Familiensituation und bisherige Schullaufbahn
2.1 Familiensituation und bisherige Schullaufbahn
2.2 Entwicklung an der Don-Bosco-Schule im Klassenverband
2.3 Beobachtungen bei Julia in der heilpädagogischen Voltigiergruppe
II. Teil: Theoretische Grundlagen der Konzeptentwicklung
3. Grundlagen des Heilpädagogischen Voltigierens
3.1 Was ist Heilpädagogisches Voltigieren?
3.1.1 Begriffsklärung
3.1.2 Das Pädagogische Dreieck: Situationsmerkmale des Heilpädagogischen Voltigierens
3.1.3 Besondere Wesensmerkmale des Pferdes als pädagogischer Helfer
3.1.4 Die Grundgangarten des Pferdes und ihre psychische Wirkung auf den Reiter
3.2 Organisatorischer Rahmen des HPV an der Schule
3.2.1 Äußerer Rahmen
3.2.2 Innere Durchführung
4. Entwicklungspsychologische Annahmen zur Entwicklung von Beziehungen
4.1 Die Theorie Erik H. Eriksons
4.2 Die Theorie Margaret S. Mahlers
5. Möglichkeiten der Förderung von Beziehungen im Heilpädagogischen Voltigieren
5.1 Fazit
III. Teil: Konzeptionelle Überlegungen zu den Fördermöglichkeiten
6. Grundsätzliche Überlegungen
6.1 Rahmenbedingungen
6.2 Grundsätzliche methodische Überlegungen
6.3 Zur Auswahl des geeigneten Pferdes
7. Der Aufbau der heilpädagogischen Voltigiermaßnahme für Julia
7.1 Arbeit mit dem Pferd „vom Boden aus“
Das Putzen
Aufwärmspiele mit dem Pferd
Variationsmöglichkeiten und daraus resultierende Förderanreize für Julia
Raster zum Aufwärmspiel
7.2 Arbeit auf dem Pferd
Zum Aufbau der Übungsrunde
Übungen im Schritt
Übungen im Trab
Übungen im Galopp
7.3 Partnerübungen auf dem Pferd
Zum Aufbau der Partnerrunde
Kommunikation zwischen den Partnern ist nicht unbedingt erforderlich
Kommunikation zwischen den Partnern ist unbedingt erforderlich
7.4 Die Nachpflege des Pferdes
7.5 Fazit
IV. Teil: Evaluation
8. Evaluationsmöglichkeit
8.1 Zum Einsatz des Beobachtungsbogens
8.1.1 Wer füllt den Bogen aus?
8.2 Der Beobachtungsbogen
9. Möglichkeiten und Grenzen des Konzeptansatzes
10. Übertragbarkeit des Konzepts
11. Literatur
Anhang
1. Einleitung
Schon seit meiner frühen Kindheit habe ich Kontakt zu Pferden. Ich bin mit ihnen groß geworden und sie haben mich durch mein bisheriges Leben begleitet.
Auch heute noch hat der Kontakt zu Pferden, der Umgang und die Arbeit mit ihnen für mich persönlich eine große Bedeutung.
- Die Partnerschaft zwischen Mensch und Pferd,
- die Hinwendung des Pferdes zum Menschen,
- das Gefühl, mit dem Pferd gemeinsam etwas zu erreichen,
- die Akzeptanz des Pferdes von kleinen Unzulänglichkeiten des Menschen,
- das Gefühl des Getragenwerdens,
- das gemeinsame Erleben von Natur,
- der körperliche Kontakt zum Pferd,
- das Gefühl, gemeinsam mit dem Pferd schwierige Situationen zu meistern,
- der gemeinsame Spaß an der Bewegung und die Herausforderung eine größtmögliche Harmonie in der gemeinsamen Bewegung zu erreichen
– all dies sind Dinge, die mich an Pferden und an der Arbeit mit ihnen faszinieren und mich immer wieder neu zur Auseinandersetzung mit ihnen herausfordern.
Die oben genannten Aspekte sind es, die eine intensive Beziehung zwischen Mensch und Pferd entstehen lassen und einen starken Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeit haben. Auch tragen sie zur Entwicklung eines sicheren Selbstwertgefühls des Menschen bei.
Hinzu kommt, dass das Erlebnis einer sicheren Beziehung zwischen Mensch und Pferd sich fördernd auf die Entwicklung zwischenmenschlicher Beziehungen auswirkt.
Das Pferd mit seinen zahlreichen positiven Einflüssen und deren Auswirkungen auch für die Arbeit mit benachteiligten / lernbehinderten Kindern zu nutzen war für mich schon immer eine Herausforderung.[1]
Umso glücklicher war ich, als ich an meiner Ausbildungsschule das Angebot erhielt, unter Anleitung eine heilpädagogische Voltigiergruppe zu übernehmen.
Bei der Betrachtung der komplexen Entwicklungschancen, die sich aus der Arbeit mit dem Pferd mit lernbehinderten Kindern ergeben, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass gerade die Auslagerung der Fördersituation mit dem Pferd aus dem normalen Schulalltag erhebliche Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Gerade bei lernbehinderten Kindern ist der Schulalltag oft von Misserfolgen geprägt.
Julia[2], das Mädchen, um das es in der vorliegenden Arbeit gehen soll, lernte ich als ein
Mädchen kennen, das sich sehr in sich selbst zurückzog, kaum Emotionen zeigte und weder Kontakt noch Beziehungen zu Lehrerinnen[3] und Mitschülern[4] aufnahm.
Auch Julia nahm am heilpädagogischen Voltigieren teil und bei ihr machte ich während der Arbeit an und mit dem Pferd die Beobachtung, dass sie zum ersten Mal spontan lächelte, sodass ich den Eindruck bekam, dass ihr die Arbeit mit dem Pferd Spaß bereitete.
Daraus ergab sich für mich die Frage, wie Julias Fähigkeit zur Anbahnung und Aufnahme von Beziehungen durch das Heilpädagogische Voltigieren gefördert werden kann.
Mit der vorliegenden Arbeit wird versucht, eben diese Frage zu beantworten.
Im I. Teil wird die Schülerin Julia vorgestellt, wobei diese Beobachtungen und Informationen die Grundlage für die im III. Teil der Arbeit angestellten konzeptionellen Überlegungen darstellen.
Der II. Teil der Arbeit beschreibt die theoretischen Grundlagen der Konzeptentwicklung, sowie die organisatorischen Rahmenbedingungen auf deren Grundlage die konzeptionellen Überlegungen vorgenommen wurden. Der III. Teil der Arbeit enthält die Vorstellung des Konzepts, während im IV. Teil eine Evaluationsmöglichkeit vorgestellt wird.
Die Lehrerqualifikationen, die mit dieser Arbeit vornehmlich angesprochen werden, sind diagnostizieren und unterrichten / fördern.
I. Teil: Falldarstellung
2. Familiensituation und bisherige Schullaufbahn
2.1 Familiensituation und bisherige Schullaufbahn
Julia wurde am 11.05.1993 geboren und am 01.08.1999 schulpflichtig, war jedoch zunächst ein Jahr vom Schulbesuch zurückgestellt worden. Im Schuljahr 2000/2001 wurde Julia einer Schule für Sprachbehinderte zugewiesen, wobei sie diese bedingt durch einen Umzug am 28.02.2002 wechseln musste. Aufgrund einer Verlagerung des Förderschwerpunkts besucht Julia seit dem 01.08.2003 die dritte Klasse der Don-Bosco-Schule und wurde mit Aufnahme in die Don-Bosco-Schule aufgrund der Aktenlage in die heilpädagogische Voltigiergruppe aufgenommen.
Julia lebt seit ihrem fünften Lebensjahr bei ihren Großeltern und wird durch einen Vormund beim Jugendamt betreut. Julias Vater ist ein in Deutschland stationierter Soldat der britischen Armee, der jetzt mit ihrer Mutter sowie einer jüngeren Schwester von Julia in England lebt. Zu ihren Eltern hat Julia keinerlei Kontakt mehr (vgl. Gutachten Julia vom 17.06.2000).
Laut Angaben von Julias Großmutter hätten sich beide Elternteile in den ersten Lebensjahren sehr wenig um das Kind gekümmert und es vernachlässigt. Aus diesem Grund sei Julia mit fünf Jahren in die Obhut der Großeltern gekommen (vgl. Gutachten Julia vom 04.06.2003). So wurde z.B. häufig spät bzw. erst durch die Großmutter bemerkt, wenn Julia ernsthaft krank war. Zudem hätten die Eltern stets wenig und überwiegend englisch mit Julia gesprochen (vgl. Gutachten Julia vom 17.06.2000). Laut Angabe der Großmutter wurde Julia von ihrer Mutter von Anfang an abgelehnt und habe während der ersten fünf Lebensjahre kaum Kontakte zu anderen Kindern gehabt (vgl. Gutachten Julia vom 04.06.2003).
2.2 Entwicklung an der Don-Bosco-Schule im Klassenverband
Julias Klasse wird von insgesamt 7 Schülern besucht, davon sind 3 Mädchen. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Klasse hat Julia kaum Kontakte zu anderen Mitschülern.
An Unterrichtsgesprächen beteiligt sich Julia von sich aus fast nie, wird sie direkt aufgefordert, spricht sie in der Regel sehr leise.
Auffällig ist, dass Julia an nichts Freude zu haben scheint, lediglich in seltenen Situationen im Mathematik-Unterricht, wenn sie bestimmte Rechenoperationen verstanden hat und anwenden kann. Dies zeigt sich daran, dass sie in solchen Situationen nach mehr Aufgaben verlangt und diese nach Bearbeitung stolz bei der Lehrerin vorzeigt. Wenn Julia etwas falsch gemacht hat oder etwas nicht kann, zieht sie sich in sich
selbst zurück, schweigt und reagiert weder auf Zuspruch seitens der Lehrperson noch auf Hilfsangebote anderer Kinder.
Bei entstehenden Konfliktsituationen wendet sich Julia ab oder beschwert sich bei der Lehrerin. In letzter Zeit versucht sie auch, sich handgreiflich zu wehren, ohne die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, Konflikte verbal zu lösen.
Im Sportunterricht fällt auf, dass Julia nie von sich aus die Nähe anderer Kinder sucht, es sei denn, sie wird dazu aufgefordert. Auch in anderen Situationen meidet Julia in der Regel den Körperkontakt zu anderen Kindern.
In der Arbeitsgemeinschaft „Schwarzlicht“ spricht Julia in der Rolle, die sie verkörpert nur sehr wenig, d.h. häufig in Zwei- bzw. Dreiwortsätzen. Zudem ersetzt sie mitunter die Verbalsprache durch Gestik (z.B. zeigen). In Situationen, in denen sie auf der Bühne intensiv handeln und agieren muss, stellt sie sich häufig mit dem Rücken zum Publikum, und kann somit vom Publikum nicht gesehen bzw. verstanden werden.
Im künstlerischen Bereich fällt es Julia sehr schwer, eigene Ideen zu entwickeln und diese kreativ umzusetzen, sodass sie häufig stereotype, gleichförmige Bilder malt.
2.3 Beobachtungen bei Julia in der heilpädagogischen Voltigiergruppe
Die folgende Beschreibung stützt sich auf unstrukturierte Beobachtungen, die von mir zu dem Zeitpunkt gemacht wurden, als Julia in die heilpädagogische Voltigiergruppe aufgenommen wurde.
Julia ist ein Mädchen, dessen Gesichtsausdruck sehr ausdruckslos ist. Sie geht zumeist mit nach vorne hängenden Schultern und ihre Bewegungen wirken hölzern.
Im Gegensatz zu den anderen Teilnehmern stellte Julia während der Fördersituation im HPV keine Fragen. Dies geschah weder in Bezug auf mit dem Pferd zusammenhängende Informationen oder Arbeitsvorgänge noch in Bezug auf Kontakte zu anderen Gruppenmitgliedern, die sich aus der gemeinsamen Arbeit am und mit dem Pferd ergaben.
In Konflikt- oder Überforderungssituationen zeigte sie die gleichen Verhaltensweisen wie im Klassenverband, d.h. sie zog sich in sich selbst zurück und schwieg.
Julia sprach sehr leise und undeutlich, sodass sie v.a. wenn sie auf dem Pferd saß, von mir kaum zu verstehen war.
Auffällig war auch, dass Julia von sich aus kaum Kontakt zum Pferd aufnahm (z.B. durch Blickkontakt zum Pferd, durch Berührungen etc.), wie es bei den anderen Kindern der Fall war. Sie trat nur dann mit dem Pferd in einen direkten Kontakt, wenn die Situation dies erforderte (beim Putzen, beim Reiten etc.).
Beim Reiten selbst fiel auf, dass sich Julia auf gewisse Übungen im Schritt (z.B. vorwärts auf den Hals oder rückwärts auf die Kruppe legen) nicht einließ.
In Bezug auf die Gangarten traute Julia es sich zwar zu, auch im Trab und Galopp zu reiten, jedoch war hier zu beobachten, dass sie in diesen Gangarten nicht auf die Bewegungen des Pferdes eingehen konnte. Sie ließ sich nicht „vom Pferd bewegen“, blieb im Becken starr, stützte sich mit den Händen auf den Haltegriffen des Gurtes ab und erweckte somit den Eindruck, „über“ dem Pferd zu sitzen.
Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich, dass es sich bei Julia um ein Mädchen handelt, das im Hinblick auf den Umgang mit Menschen, Schwierigkeiten hat, Kontakt sowohl zu gleichaltrigen als auch zu erwachsenen Personen aufzunehmen bzw. Beziehungen zu diesen zu entwickeln. Im Hinblick auf den Umgang mit dem Pferd hat Julia sowohl Schwierigkeiten, Kontakt zum Pferd als Lebewesen an sich aufzubauen, als auch sich beim Reiten auf die Bewegungen des Pferdes einzulassen.
II. Teil: Theoretische Grundlagen der Konzeptentwicklung
3. Grundlagen des Heilpädagogischen Voltigierens
3.1 Was ist Heilpädagogisches Voltigieren?
3.1.1 Begriffsklärung
Seit Jahrhunderten wird die erzieherische Wirkung des Umgangs mit dem Pferd hervorgehoben (vgl. Gäng 1994, S. 15). In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde die Arbeit mit dem Pferd zunächst im medizinischen, später auch im pädagogischen Bereich eingesetzt (vgl. Kröger 1982). 1970 wurde in Deutschland das „Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V.“ gegründet. Diese Institution gliedert den Bereich „Therapeutisches Reiten“ in drei Arbeitsfelder mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf:
1. „Hippotherapie“ als physiotherapeutische Maßnahme auf dem Pferd.
2. „Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren“.
3. „Reiten als Sport für Behinderte“ im Sinne einer sportlichen Aktivität (vgl. Pietrzak 2001, S. 27ff).
Das Heilpädagogische Reiten und Voltigieren wird als pädagogisch-psychologische Fördermaßnahme für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Lernstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, (geistigen) Behinderungen und psychischen Erkrankungen beschrieben, mit deren Hilfe Verhaltensänderungen initiiert werden sollen (vgl. Pietrzak 2001, S. 30).
In der Literatur wird das Heilpädagogische Voltigieren (im folgenden HPV) zumeist im Zusammenhang mit dem Heilpädagogischen Reiten genannt. Da für die vorliegende Arbeit das HPV als Grundlage dient, wird im folgenden eine Trennung dieser beiden Begriffe vorgenommen.
Beim Heilpädagogischen Reiten werden die Teilnehmer werden auf dem Pferd entweder von Helfern geführt oder reiten selbstständig, während die Reitpädagogin die jeweiligen Übungen für die Reiter ansagt (vgl. Pietrzak 2001, S. 30).
Beim HPV wird das Pferd an der Longe in allen drei Gangarten auf einem Kreisbogen bewegt, wobei Tempo und Weg des Pferdes von der in der Mitte stehenden Übungsleiterin vorgegeben werden (vgl. ebd.). Die Teilnehmer führen entweder allein, zu zweit oder auch zu dritt gymnastisch-turnerische Übungen an und auf dem sich in den drei Gangarten bewegenden Pferd aus (vgl. Kaune 1982). Die Art der Übungen sowie deren Durchführung auf dem Pferd richten sich nach den individuellen Förderbedürfnissen des Kindes. Dies können z.B. Wahrnehmungs-, Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen, Entwicklungsverzögerungen, soziale Probleme, Bewegungsunsicherheiten, psychische Probleme, Verhaltensauffälligkeiten, Lernschwierigkeiten etc. sein (vgl. (vgl. auch Pietrzak 2001, S. 30).
Die Teilnehmerzahl im HPV variiert, wobei KRÖGER eine Gruppengröße von sechs Teilnehmern für optimal hält (vgl. Kröger in: Gäng 1994, S. 99).
Das Pferd ist beim HPV folgendermaßen ausgerüstet:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Ausrüstung des Voltigierpferdes (Deutsche Reiterliche Vereinigung 2002, S. 37)
3.1.2 Das Pädagogische Dreieck: Situationsmerkmale des Heilpädagogischen Voltigierens
Beim HPV hat der reitende Teilnehmer durch das Sitzen auf dem Pferd hautnahen Kontakt zum Pferd. Dieser Kontakt wird dadurch ermöglicht, dass die Übungsleiterin in der Mitte des Kreisbogens steht und von da aus über die Longe und den Einfluss über die Stimme das Pferd lenken und auf es einwirken kann, damit das Pferd das macht, was von ihm verlangt wird.
Die Teilnehmer befinden sich demnach im HPV in einer Dreipolsituation.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Dreiecksverhältnis Reiter – Pferd – Übungsleiterin (verändert nach Klüwer 1987, S. 9)
In dieser Dreipolsituation können auf verschiedenen Ebenen Interventionen stattfinden und zwar auf der Sachebene, der emotionalen Ebene und der (jeweils unterschiedlichen) thematischen Ebene. (vgl. Baum in: Kröger 1997, S. 214).
Zu den drei Polen (Reiter, Pferd und Übungsleiterin) kommt im HPV noch eine vierte Einflussgröße, die Gruppe der Mitvoltigierer hinzu, die als Partner, Vorbild, Helfer, Konkurrent etc. mannigfaltige Beziehungsmöglichkeiten anbietet.
Diese Beziehungen zu den anderen Teilnehmern können in unterschiedlichem Maße intensiviert werden, indem die Teilnehmer beispielsweise zu zweit oder zu dritt auf dem Pferd reiten bzw. gemeinsam bestimmte Übungen ausführen.
3.1.3 Besondere Wesensmerkmale des Pferdes als pädagogischer Helfer
Das Pferd symbolisiert durch seine Größe und Kraft Macht und Freiheit und lässt auch seinen Reiter diese Gefühle ein Stück weit spüren (vgl. auch Schörle 2000, S. 12ff).
Zum anderen strahlt das Pferd durch sein weiches Fell Wärme aus und erhält dadurch den Charakter eines großen „Schmusetiers“, was zum „hohen Aufforderungscharakter“ des Pferdes (vgl. auch Voßberg 1978) beiträgt. Der großgewachsene Schädel mit der hohen Stirn und den Augen erinnert an das „Kindchen-Schema“ und signalisiert dadurch Hilfs- bzw. Pflegebedürftigkeit (vgl. Voßberg in: Gäng 1994, S.161).
Das Pferd nimmt in seiner einfühlsamen Art jeden Menschen so an, wie er ist und bringt ihm Respekt entgegen, solange der Mensch es sachgerecht behandelt. Das Pferd ist aufrichtig, ehrlich und beständig in seinem Verhalten, d.h. es reagiert – für den Fachmann – vorhersehbar.
Das Pferd ist in der Lage Zuneigung zum Menschen zu zeigen (z.B. durch Hinwendung zum jeweiligen Partner). Dadurch entstehen und wachsen im emotionalen Bereich Bindungen, die einen Weg zu Vertrauen frei machen (vgl. Kröger 1997, S. 49f). So werden Erfahrungen in der Anbahnung und im Aufbau von Beziehungen ermöglicht.
Das Pferd reagiert auch auf unangemessene Verhaltensweisen des Menschen (z.B. durch Scheuen, Wegspringen) und kann so Spannungen zwischen ihm und dem Partner signalisieren.
Die Situation des HPV bildet einen Rahmen, in dem die genannten positiven Eigenschaften des Pferdes für die Förderung der Kinder genutzt werden können.
Der Umgang mit dem Pferd bietet unter anderem Kindern wie Julia Kompensations- bzw. Nachholmöglichkeiten für bestimmte Phänomene an (Erfahrung von Zuwendung, Wärme, Körperkontakt etc.). In diesem Rahmen kann es elementare Urerfahrungen im menschlichen Miteinander ermöglichen. Um dort hin zu gelangen, ist natürlich ein gewisses Vertrauen zum Pferd notwendig. Dies kann nur erreicht werden, indem der Übungsleiter die Kinder behutsam an den Umgang mit dem Pferd gewöhnt und sie nicht überfordert.
Natürlich kann nicht jedes Pferd im HPV eingesetzt werden. Ein geeignetes Pferd muss eine positive Einstellung gegenüber dem Menschen haben, sollte gut ausgebildet sowie absolut gehorsam sein und darf keine schwerwiegenden Unarten (Beißen,
Schlagen etc.) haben (vgl. Gäng 1994, S. 26).
Es sollte Tumult (lauteres Rufen, plötzlichere Bewegungen, diverse Gegenstände wie Bälle etc.) um sich herum ertragen können. Dabei sollte es jedoch nicht völlig „abgestumpft“ sein, sondern in gewissen Situationen artgerechte Reaktionen zeigen.
3.1.4 Die Grundgangarten des Pferdes und ihre psychische Wirkung auf den Reiter
Die Grundgangarten des Pferdes sind Schritt, Trab und Galopp. „Der Schritt ist eine schreitende Bewegung im Viertakt ohne Schwebephase (…)“ (vgl. Deutsche Reiterliche Vereinigung 2000, Bd. 1, S. 156). Dabei übertragen die Bewegungen des Pferderückens im Schritt auf den Reiter dieselben Bewegungsimpulse, die ein Kind im Körper der Mutter empfindet (vgl. Mehlem 1999, S. 8).
Dadurch besteht für den Reiter die Möglichkeit während der Arbeit im Schritt eben diese Gefühle wiederzubeleben und dadurch Sicherheit und Geborgenheit zu erfahren.
„Der Trab ist eine schwunghafte Bewegung im Zweitakt (…)“ (vgl. ebd.).
„Der Galopp ist eine schwunghafte Bewegung im Dreitakt, die aus einer Folge von aneinandergereihten Sprüngen besteht, zwischen denen sich das Pferd jeweils für einen Augenblick in der freien Schwebe befindet“ (vgl. ebd., S. 157).
Die Wirkung des Schritts auf den Reiter ist beruhigend und konzentrierend, während der Trab belebend und beschwingend wirkt. Der Galopp stellt ein ermutigendes Wagnis und einen Höhenflug zugleich dar. (vgl. Pietrzak 2001, S. 102).
Das Reiten v.a. in den Gangarten Trab und Galopp fordert den Reiter zum Einlassen auf die Bewegungen des Pferdes heraus, damit eine harmonische Bewegung zwischen Reiter und Pferd zustande kommt.
Nach KRÖGER setzt der Galopp diesen Bewegungsdialog zwischen Pferd und Reiter am stärksten in Gang. Die springende Bewegung des Pferdes im Galopp fordert den Reiter ständig zum Einlassen auf die Bewegung des Pferdes heraus (vgl. Kröger 2001, S. 9), er muss sich „vom Pferd bewegen“ lassen. Andernfalls kann sowohl für das Pferd als auch für den Reiter kein harmonisches Bewegungsgefühl aufkommen, da der Reiter bei jedem Galoppsprung auf dem Rücken des Pferdes „hochgeworfen“ wird und anschließend wieder „unsanft“ auf dem Pferderücken landet.
Wenn jedoch eben dieser Bewegungsdialog gelingt, der Reiter mit der Bewegung des Pferdes „verschmilzt“, wird die Bewegungsharmonie zwischen Reiter und Pferd umso deutlicher. Durch das Einlassen auf die Bewegung festigt sich die Beziehung zwischen Reiter und Pferd. Dies meint auch KRÖGER, wenn er sagt:
„Je flüssiger dieser Bewegungsdialog gelingt, umso intensiver entwickelt sich ein immer fester werdender Beziehungsdialog“ (vgl. Kröger 2001, S. 9).
Die Gangarten des Pferdes wirken sich zudem unterschiedlich auf den Muskeltonus des Reiters aus. So ist der Schritt muskeltonus-entspannend, der Trab muskeltonus-anregend, während der Galopp muskeltonus-ausgleichend wirkt.
Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass die Gangarten der jeweiligen „Stimmung“ des Reiters angepasst werden können und durch die entsprechende Wahl der Gangart versucht werden kann, der jeweiligen Gemütslage des Reiters gerecht zu werden. Wenn ein Kind z.B. ängstlich ist, bietet sich die Arbeit im Schritt an, bei der das Kind sich zunächst an die Bewegungen des Pferdes gewöhnen und durch verschiedene Lageveränderungen des Körpers in unterschiedlichem Rahmen Körperkontakt zum Pferd aufnehmen kann. Arbeitet man dagegen beispielsweise mit Kindern, die Herausforderungen suchen oder dessen Selbstvertrauen gestärkt werden soll, bietet sich die Arbeit im Galopp an.
Bedacht werden muss, dass die Gangarten bei unterschiedlichen Pferden nicht immer gleich sind. So hat beispielsweise (als extremster Gegensatz) ein Pony in den einzelnen Gangarten ein anderes Gangmaß[5] als ein Großpferd (vgl. dazu auch Kapitel 6.3).
3.2 Organisatorischer Rahmen des HPV an der Schule
3.2.1 Äußerer Rahmen
Das HPV erfolgt an der Don-Bosco-Schule einmal pro Woche für 1 ½ Stunden als fester Bestandteil des Stundenplans für die teilnehmenden Kinder. Innerhalb dieser Zeit werden die in Kapitel 3.2.1 vorgestellten Bestandteile einer Förderstunde durchgeführt.
Der Ort, an dem das HPV stattfindet, ist eine private Reitanlage mit Schulpferden, die von der Schule aus in fünf Minuten mit dem Bus zu erreichen ist, wobei das Busunternehmen zum Nulltarif fährt. Vor Ort sind Stallungen mit einer ausreichend großen Stallgasse vorhanden, auf der die Kinder das Pferd für die Arbeit vorbereiten können. Des weiteren gibt es eine Reithalle, einen Außenreitplatz und Gelände für Spazierritte.
Damit die Kinder am HPV teilnehmen können, muss eine vom Arzt ausgestellte Unbedenklichkeitsbescheinigung sowie der Nachweis über eine Tetanusimpfung eingereicht werden. Eine Einverständniserklärung der Eltern muss vorliegen. Die Kinder tragen beim HPV eng anliegende Kleidung sowie Sportschuhe.
[...]
[1] Dass der Einsatz des Pferdes u.a. in der Arbeit mit lernbehinderten Kindern eine immer größere Bedeutung gewinnt, zeigt auch der in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Reiter und Pferde in Westfalen“ erschienene Artikel „Sucht hat immer eine Geschichte – Heilpädagogisches Voltigieren und Reiten wird zur Suchtvorbeugung eingesetzt“ (vgl. Kretzschmar, in: Reiter und Pferde in Westfalen).
[2] Vorname aus datenschutzrechtlichen Gründen geändert.
[3] Da die Förderung im Heilpädagogischen Voltigieren von einer weiblichen Person durchgeführt wird, wird für die Bezeichnung der Lehrkräfte bzw. der Übungsleiterin im folgenden die weibliche Form gewählt. Dennoch soll sich das männliche Lehrpersonal selbstverständlich ebenfalls angesprochen fühlen.
[4] Zur Vereinfachung wird im folgenden die männliche Form von Schüler / Teilnehmer etc. gewählt. Dies soll jedoch weibliche Personen nicht ausschließen.
[5] Länge der einzelnen Schritte, Tritte und Sprünge des Pferdes.
- Citar trabajo
- Kathrin Busch (Autor), 2004, Konzeptionelle Überlegungen zur Förderung der Beziehungsfähigkeit durch Heilpädagogisches Voltigieren, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74742
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