Die Gesellschaft setzt sich im „Woyzeck“ aus isolierten Einzelschicksalen zusammen. In ihr findet Woyzeck weder Zuneigung, Nähe, noch einen Ansprechpartner. Seine Umwelt bringt ihm „zynische Gleichgültigkeit oder besorgte Verständnislosigkeit“ entgegen. Er ist allein mit seinem Schicksal. Versuche, sich der Außenwelt mitzuteilen, durch Gespräche dem Gegenüber näher zu kommen schlagen fehl. Sowohl innerhalb einer Klasse, als auch klassenübergreifend, ist es den Figuren unmöglich, sich zu verständigen, zu verstehen, aufeinander einzugehen. Alle denken, sprechen, fühlen und handeln auf verschiedenen Ebenen. Gespräche trennen die Personen eher, als sie einander näher zu bringen. Diese Kommunikationslosigkeit spielt im „Woyzeck“ eine zentrale Rolle. Ihre Ursachen und Folgen, ihre Auswirkungen auf das menschliche Verhalten, sowie ihre Nähe zur Gewalt soll im Folgenden anhand der vierten Szene zwischen Marie und Woyzeck, sowie an der Woyzeck - Hauptmann Szene erläutert werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Büchners Leben und der geschichtliche Hintergrund des „Woyzeck
2. Definition der Begriffe „Kommunikation „ und „Gewalt“
2.1. Interpretation der vierten Szene
2.1.1. Inhaltsangabe der vierten Szene
2.1.2. Gestaltung des Personals in der vierten Szene
2.1.3. Die Unüberwindbarkeit der seelischen Isolation und des sozialen Elends
2.2. Interpretation der Hauptmann - Woyzeck Szene
2.2.1. Inhaltsangabe der Hauptmann - Woyzeck Szene
2.2.2. Der Antagonismus von Kultur und Natur
2.2.3. Hauptmann und Woyzeck – Unterdrückte des gesellschaftlichen Gewaltsystem
3. Nicht – Kommunikation in der heutigen Gesellschaft
4. Literaturverzeichnis
1. Büchners Leben und der geschichtliche Hintergrund des „Woyzeck“
Georg Büchner wurde am 17. Oktober 1813 in Goddelau, einem Dorf im damaligen Großherzogtum Hessen, geboren. Er war das älteste von fünf Kindern. Der Vater Dr. Ernst Büchner hatte durch die Widersprüchlichkeit seines Charakters in zweierlei Weise Einfluss auf Georg. Zum einen entwickelte sich durch das Vorbild des engagierten Arztvaters Georgs soziale Zugewandtheit, zum anderen führte die extrem autoritäre Erziehung, die Georg erfuhr, zum Widerstand gegen Obrigkeit, Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Büchner erhielt vorerst Unterricht von seiner Mutter, besuchte ab 1819 die „Privat- Erziehungs- und Unterrichtsanstalt“ in Darmstadt und wechselte 1825 auf das dortige humanistische Gymnasium. Aus seiner Schulzeit haben sich über 600 Seiten mit Schriften erhalten, die seine rhetorische Begabung, sowie seine Sympathie für republikanisches Gedankengut deutlich machen. Büchner zeigte bereits als Schüler politisches Interesse. Er trug einen Polen- Rock und Jakobinermütze, demonstrierte somit seine republikanische Haltung. Dennoch war er nicht Mitglied oppositioneller Kreise, da er der Meinung war, dass die Situation für revolutionäre Handlungen noch nicht reif sei. Im November 1831 nahm Büchner in Straßburg das Studium der Medizin auf. In dieser Zeit intensivierte sich seine Auseinandersetzung mit politischen und sozialen Fragen. Durch Lektüre und Diskussionen in seinem dortigen Freundeskreis kam er zu der Überzeugung, dass die Wurzeln des sozialen Übels nicht nur in der Vorenthaltung bürgerlicher Rechte, sondern vor allem in der materiellen Unterdrückung des Volkes lagen. Büchner legte seine politischen Ansichten im Rahmen von Abenden der Studentenverbindung „Eugenia“ dar und knüpfte Kontakte zu den französischen Linksrepublikanern. Trotz dieses politischen Engagements nahm er nicht aktiv an revolutionären Handlungen teil. Im August 1833 kehrte Büchner nach Darmstadt zurück, um sein Studium in Gießen abzuschließen. Hier erlebte er in vollem Bewusstsein die Beengtheit des politischen Systems. Im Jahre 1834 kam es zu einem entscheidenden Wandel im Leben Büchners. Nun begann er politisch aktiv zu handeln. Er beschäftigte sich mit der Geschichte der französischen Revolution und gründete in Gießen mit einigen Gesinnungsgenossen eine „Gesellschaft der Menschenrechte“. Anfang 1834 lernte er Ludwig Weidig kennen, einen republikanischen Aktivisten, mit dem er ein Flugblatt, den „hessischen Landboten“, verfasste und in Umlauf brachte. Durch Denunziation kam es zur Verhaftung einer seiner Freunde, bei dem Exemplare gefunden wurden. Auch Büchners Zimmer in Gießen wurde untersucht, wobei jedoch kein Beweismaterial gefunden wurde. Im Januar 1835 begann Büchner mit der Niederschrift seines ersten Dramas, „Dantons Tod“, indem seine Quellenkentniss über die französische Revolution zum tragen kam. Ende März erschien ein - vor allem aus Zensurgründen – gekürzter Vorabdruck in der Literaturzeitschrift „Phönix“. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Die hessischen Behörden hatten ihre Ermittlungen gegen revolutionäre Kreise intensiviert und Büchner selbst Vorladungen zugestellt. Auf ein erneutes amtliches Schreiben entschloss sich Büchner zur Flucht. Er ging nach Straßburg und beendete seine revolutionären Aktivitäten. Um so intensiver widmete er sich der Literatur und den Wissenschaften. Er übersetzte zwei Victor Hugo Dramen ins Deutsche und begann parallel dazu mit der Arbeit an der Novelle „Lenz“. Hatte Büchner gehofft, sein Leben als freier Schriftsteller zu verdienen, so erkannte er nun die Notwendigkeit, einen bodenständigen, geldbringenden Beruf zu ergreifen. Im Spätherbst 1835 begann Büchner mit der Arbeit an einer Dissertation über die Schädelnerven der Fische, die er im April 1836 beendete. Dennoch blieb ihm noch Zeit, seinen literarischen Projekten nachzugehen. Im ersten Halbjahr 1836 arbeitete er an „Leonce und Lena“. Im Spätsommer begann er mit den Aufzeichnungen für „Woyzeck“. Aber auch dies war nicht die letzte literarische Arbeit Georg Büchners. Fast gleichzeitig scheint er sich mit einem weiteren Projekt beschäftigt zu haben, und zwar mit „Pietro Aretino“. Dieses Werk ist jedoch vollständig verschollen. Nur Indizien lassen auf seine Existenz schließen. Am 19. Februar 1837 starb Büchner an den Folgen einer Typhusinfektion.[1]
„Woyzeck“, obwohl nur als Fragment überliefert, ist wohl das bekannteste Werk Büchners. Es ist in vier Handschriften überliefert, wobei die vierte und letzte am ehesten Büchners Vorstellungen entspricht. Das Drama wurde erst 42 Jahre nach dem Tode Büchners von Karl Emil Franzos aus dem Nachlass veröffentlicht und 1913, 100 Jahre nach Büchners Geburt, im Residenztheater in München uraufgeführt.[2] Den Stoff fand Büchner in den beiden gerichtsmedizinischen Gutachten, die 1821 vom königlich sächsischen Hofrath Dr. Clarus zur Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit des Perückenmachergesellen Johann Christian Woyzeck erstellt worden waren, der seine Geliebte aus Eifersucht erstochen hatte. Auf die Beiträge stieß Büchner in der „Zeitschrift für Arzneikunde“, zu deren Mitarbeitern auch sein Vater gehörte. Johann Christian Woyzeck wurde am 28. Februar 1822 wegen Mordes an der Witwe Johanna Christiane Woost verhaftet. Da der Verteidiger Woyzecks erklärte, dieser sei zum Zeitpunkt der Tat unzurechnungsfähig gewesen, wurde Dr. Clarus gebeten, ein medizinisches Gutachten über Woyzecks Geisteszustand zu verfassen. Der Hofrat fand jedoch keinerlei Züge, die auf Unzurechnungsfähigkeit schließen ließen. Dieses Urteil wurde von anderen Spezialisten angefochten. Auf den Antrag des Verteidigers holte sich das Gericht das Urteil der Experten der medizinischen Fakultät der Universität Leipzig ein. Diese stimmten Clarus zu und beschlossen Woyzecks Schicksal. Am 27. August 1824 wurde er öffentlich enthauptet.
Das Ziel, welches Büchner mit der Wiederaufnahme dieses Stoffes verfolgte, war weniger die Gültigkeit des Clarus - Gutachtens und des gerichtlichen Urteils anzugreifen, als vielmehr die rechtlichen, sozialen und religiösen Grundlagen, die den Begriff von Gerechtigkeit bestimmen, in Frage zu stellen. Im Gegensatz zu Clarus, der von den Gutachtern „Wahrheit und nicht Gefühle“[3] forderte, der sich auf die „unverletzliche Heiligkeit des Gesetzes“[4] berief, strebte Büchner danach, der Gesellschaft die Ungerechtigkeit von Gesetzen vor Augen zu führen, die den Menschen nicht als Individuum in besonderen Lebensumständen verstehen würden. Nach Büchner verfehlten die Gesetze ihren Zweck, da sie den Reichen mehr als den Armen zu Gute kamen. In seinem „Woyzeck“ fordert Büchner eine Veränderung der Denk - und Verhaltensmuster. Seiner Auffassung nach darf der Mensch nicht seinem Verhalten und Charakter nach verurteilt werden, da es „in niemands Gewalt liegt, kein Dummkopf oder kein Verbrecher zu werden - weil wir durch gleiche Umstände wohl alle gleich würden und weil die Umstände außer uns liegen“[5]. Schwierig gestaltet es sich die Handlung des Woyzeck in Worte zu fassen, da das Drama aus isolierten Einzelhandlungen besteht, die sich nur durch den gemeinsamen Bezug auf das Zentrum Woyzeck zu einer Einheit zusammenschließen lassen. Woyzeck gehört als Soldat dem vierten Stand, der untersten Schicht an. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Marie hat er ein Kind. Eine Heirat ist jedoch aufgrund ihrer finanziellen Notsituation nicht möglich. Woyzeck versucht alles, um seiner Familie ein angemessenes Leben zu ermöglichen. Neben seiner Tätigkeit als Soldat, erledigt er Arbeit für den Hauptmann und stellt sich als Experimentierobjekt für den Doktor zur Verfügung. Als Bürger bilden sie Woyzecks Gegenwelt, von der er abhängig ist. Dem Hauptmann ist er dem militärischen Rang nach untergeordnet, der Doktor bezahlt Woyzeck, um seinen Körper schänden zu können. Sie verfügen über genug Macht und Geld, um sich die Dienstleistungen Woyzecks zu erkaufen. Beide sind Repräsentanten zweier gesellschaftspolitischer Systeme. Der Hauptmann verkörpert den Spätfeudalismus, der fortschrittsgläubige, experimentierfreudige Doktor vertritt das aufgeklärte Bürgertum. Durch diesen vorherrschenden Widerspruch zweier Klassen, der Armen und Reichen, entwickelt sich auch der persönliche Konflikt zwischen Marie und Woyzeck. Dieser findet aufgrund des Zwanges, ständig arbeiten zu müssen, um überleben zu können, keine Zeit für Marie. Unbefriedigt wird diese anfällig für die materiellen und physischen Reize des Tambourmajors, dessen Auftreten so ganz und gar mit ihrer Armut kontrastiert. Als Woyzeck jedoch von Maries Untreue erfährt, sieht er keinen anderen Ausweg, als sie zu töten. Vorrangig scheint er aus Eifersucht zu handeln. Doch vielmehr sind es die sozialen Umstände, die Woyzeck zum Mord bewegen. Unter Betrachtung seiner sozialen Diskriminierung, ist diese Tat ein Befreiungsschlag gegen die Unterdrückung durch das gesellschaftliche System. Woyzecks Schicksal lässt sich also „als Beispiel für die Lebensbedingungen eines Individuums in den falschen gesellschaftlichen Verhältnissen“[6] begreifen. Anhaltspunkte, diese zu verändern gibt Büchner jedoch nicht. Die Angehörigen der unteren Schicht sind unfähig sich zu solidarisieren, sich gegen die gesamtgesellschaftliche Gewaltsituation zu wehren, wobei diese Gewalt nicht das Produkt eines Herrschenden ist, sondern aus der Spaltung der Gesellschaft resultiert. Die Gesellschaft setzt sich im „Woyzeck“ aus isolierten Einzelschicksalen zusammen. In ihr findet Woyzeck weder Zuneigung, Nähe, noch einen Ansprechpartner. Seine Umwelt bringt ihm „zynische Gleichgültigkeit oder besorgte Verständnislosigkeit“[7] entgegen. Er ist allein mit seinem Schicksal. Versuche, sich der Außenwelt mitzuteilen, durch Gespräche dem Gegenüber näher zu kommen schlagen fehl. Sowohl innerhalb einer Klasse, als auch klassenübergreifend, ist es den Figuren unmöglich, sich zu verständigen, zu verstehen, aufeinander einzugehen. Alle denken, sprechen, fühlen und handeln auf verschiedenen Ebenen. Gespräche trennen die Personen eher, als sie einander näher zu bringen. Diese Kommunikationslosigkeit spielt im „Woyzeck“ eine zentrale Rolle. Ihre Ursachen und Folgen, ihre Auswirkungen auf das menschliche Verhalten, sowie ihre Nähe zur Gewalt soll im Folgenden anhand der vierten Szene zwischen Marie und Woyzeck, sowie an der Woyzeck - Hauptmann Szene erläutert werden.[8]
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[1] nach http://www.xlibris.de/Autoren/Buechner/BBio/BueBio01.htm
[2] nach Kindlers Neues Literaturlexikon. Studienausgabe. 3. Band. Hg. v. Walter Jens. München: Kindler 1988.
[3] Richards, David G: Georg Büchners „Woyzeck“. Interpretation und Textgestaltung. 2. Auflage. Bonn: Bouvier 1989. S 40.
[4] Ebd. S. 39.
[5] Dr. phil. Winkler, Hans: Georg Büchners Woyzeck. Greifswald: Ratsbuchhandlung L. Bamberg 1925. S. 164.
[6] Meier, Albert: Georg Büchner >Woyzeck <. Hg. v. Gert Sautermeister und Jochen Vogt. 2. unveränderte Auflage. München: Fink 1986. S. 74.
[7] Ullmann, Bo: Die sozialkritische Thematik im Werk Georg Büchners und ihre Entfaltung im „Woyzeck“. Stockholm: Almqvist und Wiksell. 1972. S.37.
[8] nach Meier, Albert: Georg Büchner >Woyzeck<. S. 54 – 58 und Richards, David, G: Georg Büchners „Woyzeck“. Interpretation und Textgestaltung. S. 36-41.
- Arbeit zitieren
- Maria Schmid (Autor:in), 2002, Zu: Georg Büchners "Woyzeck" - Interpretation zweier Szenen unter dem Kommunikationsaspekt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74640
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