Die grundlegende Frage der Arbeit ist die nach der Repräsentanz der Vorsitzenden der FDJ in den Zeitungen der DDR. Die FDJ war als staatliche Jugendorganisation eines der wichtigsten Kaderreservoirs der SED und fest eingebunden in das Nomenklatursystem, über das politische Karrieren gesteuert wurden. Nach den Prinzipien des „demokratischen Zentralismus“ lenkte die SED die FDJ von oben nach unten. Wer in dem Jugendverband an die Spitze kam, wurde vom Politbüro bestimmt. Auch die Medien der DDR waren über soziologische, ökonomische und administrative Faktoren an das „Wahrheitsmonopol“ der herrschenden Partei gebunden. Die SED gab vor, worüber berichtet wurde. Sowohl FDJ als auch Medien und Karrieren waren also, wie im theoretischen Teil der Arbeit gezeigt wird, maßgeblich von der SED gesteuert – über wen wie oft berichtet wurde, sagt damit auch etwas über die Interessen der Partei und die Mechanismen der Eliterekrutierung aus.
Für die Prüfung der Repräsentanz der FDJ-Vorsitzenden nutzte ich die Methodik der Inhaltsanalyse. Untersucht habe ich 270 Titelseiten der „Junge Welt“, des Zentralorgans der FDJ-Spitze, und 270 Titelseiten der „Freie Presse“, der auflagenstärksten SED-Bezirkszeitung. Der Untersuchungszeitraum ist die gesamte Zeit des DDR-Bestehens.
Auf den Titelseiten der „Junge Welt“ wurde der FDJ-Vorsitzende in 34,1 Prozent der Ausgaben erwähnt, dabei waren die Ergebnisse in allen untersuchten Jahrgängen ähnlich: Der FDJ-Vorsitzende kam etwa auf jeder dritten Titelseite vor. Auf den Titelseiten der „Freie Presse“ war der FDJ-Vorsitzende nur in 11,5 Prozent der untersuchten Ausgaben repräsentiert. Zudem gab es bei der „Freie Presse“ größere Unterschiede zwischen den Jahrgängen, genannt wurden in erster Linie die FDJ-Vorsitzenden, die zugleich Angehörige des Politbüros waren, also Egon Krenz und in einem bestimmten Zeitraum Erich Honecker. In der SED-Bezirkszeitung spielten die FDJ-Vorsitzenden, die nicht zugleich im Politbüro waren, kaum eine Rolle. Es lag also nicht im Interesse der SED, sie bei der gesamten Bevölkerung bekannt zu machen. Für die Berichterstattung in der SED-Bezirkszeitung war vielmehr die Politbüro-Zugehörigkeit entscheidend.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
I.1 Aufbau der Arbeit
I.2 Quellenlage und Quellenauswahl
I.3 Eine kleine Begriffsklärung
II. Die Geschichte der FDJ
II.1 Der Exil-Plan wird umgesetzt: die Gründung der FDJ
II.2 Die Stalinisierung der FDJ und der offene Protest 1953
II.3 Vom „Tauwetter“ zurück zur Repression
II.4 Mauerbau, zeitweise Liberalisierung und „Kahlschlag“
II.5 Honecker übernimmt den Staat
II.6 Der Weg zur finalen Krise
II.7 Die DDR bricht zusammen, die FDJ verliert jeden Einfluss
III. Die Funktionen der FDJ
III.1 Die Elitenrekrutierungsfunktion der FDJ
IV. Die politische Elite der DDR
IV.1 Das Nomenklatursystem
IV.2 Die Machtspitze
IV.2.1 Das Politbüro
IV.3 Aufstieg durch angepasstes Karrierestreben
IV.3.1 Politbüro-Karrieremuster
IV.4 FDJ-Clique im Politbüro
V. Das Mediensystem der DDR
V.1 Das Wahrheitsmonopol der Partei
V.1.1 Gesetzliche Grundlagen der DDR-Medien
V.1.2 Journalisten als „rechter Arm“ der Partei
V.1.3 Die praktische Anleitung der Presse
V.1.4 Anreize zum Anpassen
V.1.5 Die Ausbildung zum Journalisten und der Wille zum Guten
V.2 Die doppelte Medienlandschaft
V.3 Das Jugendpressesystem der DDR
V.3.1 Jugendsendungen in Funk und Fernsehen
V.4 Das zentrale FDJ-Organ „Junge Welt“
V.5 Am Ende wurde unüberhörbar, was fehlte
VI. Zusammenfassung der erarbeiteten Grundlagen für die Empirie
VII. Empirischer Teil
VII.1 Ausgangspunkt
VII.1.1 Ziel: Aussagen über den Kommunikator
VII.2 Beschränkung auf den FDJ-Vorsitzenden
VII.2.1 Die FDJ-Vorsitzenden
VII.3 Die Grundgesamtheit
VII.3.1 Die untersuchten Zeitungen
VII.3.2 Die Ausgaben
VII.4 Die Stichprobe
VII.4.1 Künstliche Monate
VII.5 Hypothesenbildung
VIII. Methodik
VIII.1 Quantitative und qualitative Inhaltsanalyse
VIII.2 Die Analyseeinheiten
VIII.3 Der Codebogen
VIII.4 Definition der Variablen-Ausprägungen: das Codierbuch
VIII.4.1 Das Thema des Artikels
IX. Auswertung der Zeitungsforschung
IX.1 Repräsentanz der FDJ-Vorsitzenden in „Junge Welt“ und „Freie Presse“
IX.1.1 Repräsentanz in den Jahrgängen
IX.1.2 Korrelation zwischen Posten und Repräsentanz
IX.1.3 Repräsentanz in Abbildungen
IX.1.4 Repräsentanz in Aufmachern
IX.2 Die Themen der Artikel
IX.2.1 Die Themen der Artikel in der „Junge Welt“
IX.2.2 Die Themen der Artikel in der „Freie Presse“
IX.2.3 Zur Signifikanz der ermittelten Themenhäufungen und einer möglichen Korrelation zwischen Posten und Themen
IX.3 Texte mit und ohne Jugendbezug
IX.3.1 Jugendbezug in der „Junge Welt“
IX.3.2 Jugendbezug in der „Freie Presse“
IX.4.3 Zur Signifikanz der Ergebnisse zum Jugendbezug
X. Zusammenfassung der Ergebnisse anhand der Hypothesen
XI. Fazit: Nicht an die Spitze geschrieben
XI.1 Zielgruppenspezifische Medien
XI.2 Entfremdung von der Jugend
XI.3 Rückschlüsse auf den Willen der Partei
XII. Tabellenübersicht
XIII. Liste der Abkürzungen
XIV. Quellenverzeichnis
I. Einleitung
Das politische System der „Deutschen Demokratischen Republik“ (DDR) war nicht demokratisch, sondern gelenkt, eine Parteiendiktatur – das wird im öffentlichen Dialog immer wieder betont. Die Menschen waren nicht frei, durften sich nicht frei äußern, wurden nicht offen informiert. Es ist gut, dass dieses System der Parteienherrschaft 1989 ein Ende fand. Das ist, bis auf ganz wenige Ausnahmen, die publizierte Meinung. Doch wie funktionierte diese Lenkung eines ganzen Staats durch die „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“ (SED)?
In dieser Diplomarbeit soll in einem Teilbereich das Zusammenwirken von Partei, Massenorganisationen und Presse untersucht werden. Im Mittelpunkt steht dabei die „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ), die einheitliche Jugendorganisation der DDR, in der breite Massen der Jugendlichen organisiert waren. Deren Beitritt war zumeist nicht ganz freiwillig, ohne die Mitgliedschaft sanken die Chancen für Studium und Karriere beträchtlich. Zugleich war die FDJ eine zentrale Institution der Eliterekrutierung in der DDR. Wer in dem staatssozialistischen System hohe Ämter erreichen wollte, schaffte dies nur mit dem Wohlwollen der Partei. Und zur typischen geforderten Karriere gehörte auch, an ihrem Anfang, die Funktionärsarbeit im Jugendverband. Erich Honecker und Egon Krenz, die beiden Funktionäre, die nach Walter Ulbricht noch den höchsten Posten, den des SED-Generalsekretärs erreichten, hatten zuvor in der FDJ-Karriere gemacht und dort den Vorsitz inne. Schon dies zeigt, welch entscheidende Rolle die FDJ als „Kaderreservoir“ spielte. Doch wie funktionierten diese Aufstiege im Nomenklatursystem der SED? Und vor allem: Wurden sie durch die Medien gestützt? Und falls ja: Wie wurden sie von den Medien gestützt? Diesen Fragen wird in dieser Arbeit nachgegangen.
Nach einer Grundlegung, die die Geschichte der FDJ, ihre Funktionen, die Struktur der politischen Elite und das Nomenklatursystem sowie die Art der Mediensteuerung umfasst, wird untersucht, wie groß die Repräsentanz der FDJ-Vorsitzenden in der Presse der DDR war. Dazu werde ich mehrere Jahrgänge zweier Zeitungen aus der gesamten Zeit des DDR-Bestehens untersuchen. Ausgewählt für die Zeitungsanalyse habe ich die „Junge Welt“, das offizielle „Organ des Zentralrats der FDJ“, wie es mit nur ganz kleinen Variationen über all die Jahrzehnte im Kopf der Zeitung hieß – und die „Freie Presse“ aus Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) als auflagenstärkste Bezirkszeitung der SED.
Ganz grundsätzlich formuliert, soll die Untersuchung Aufschluss über die Repräsentanz der FDJ-Vorsitzenden in diesen Zeitungen geben. Konkret sind die interessierenden Fragen: Wie oft wurde über die FDJ-Vorsitzenden berichtet? In welchem Zusammenhang? Wurden die FDJ-Vorsitzenden nur mit klarem Jugendbezug erwähnt? Wurde über die verschiedenen Vorsitzenden unterschiedlich oft berichtet? War an ihrer Repräsentanz vielleicht schon ihr späterer Karriereerfolg abzulesen? Oder was war ausschlaggebend für die Zahl der Nennungen? Und letztlich: Wurden die FDJ-Vorsitzenden womöglich auch durch die Medien an die Spitze, also in den engsten Kreis der Macht, geschrieben?
Die Auswertung empirischer Daten zu diesen Fragen soll dabei im behandelten Teilbereich auch Erkenntnisse darüber ermöglichen, welche Rolle die Zeitungen im Prozess der Elitenbildung der DDR spielten. Wurden die FDJ-Vorsitzenden mit bestimmten Themen identifiziert? Positionierten sie sich mit Konzepten? Oder waren sie „einfach da“ – und dann kraft Postens auch in der Zeitung?
I.1 Aufbau der Arbeit
Die Aussagekraft von empirischen Untersuchungen allein ist begrenzt, die Daten müssen, um sinnvoll interpretierbar zu sein, in den Kontext eingebettet werden. Dies gilt vor allem, wenn, wie es in dieser Arbeit der Fall ist, Rückschlüsse auf die Absichten des Kommunikators gezogen werden sollen. Den interpretatorischen Schluss von Mitteilungsmerkmalen auf externe Merkmale nennt man bei der Inhaltsanalyse Inferenz (vgl. FRÜH, 2001, S. 42). Zu diesen Inferenzen schreibt Werner Früh: „Um einen stringenten Beweischarakter zu erlangen, müssen sie sich zusätzlich zu den inhaltsanalytischen Befunden auf externe, nicht inhaltsanalytisch gewonnene Kriterien stützen.“ (ebenda) Dies macht deutlich, wie wichtig die gründliche theoretische Vorarbeit für eine aussagekräftige Inhaltsanalyse ist. Schon für die theoriegeleitete Bildung der forschungsleitenden Hypothesen ist die fundierte Erarbeitung des Sachverhalts nötig. Erst auf Basis der genauen Kenntnis des Sujets wird entschieden, wonach mit welchen Mitteln zu suchen ist, wie also die Hypothesen und der Codierbogen für die Datenerhebung auszusehen haben (vgl. SCHREIBER, 1999, S. 48 u. S. 52).
Deshalb geht dem empirischen der theoretische Teil der Arbeit voraus, in dem die Grundlagen für die Datenerhebung und die Auswertung gelegt werden. In den ersten Kapiteln wird die Geschichte der FDJ dargestellt, umfassend genug, um die Ergebnisse der späteren Forschung, die sich über die ganze Zeit des DDR-Bestehens erstrecken, einordnen zu können. Im Anschluss daran werden die Funktionen der FDJ beleuchtet, der Schwerpunkt liegt dabei auf der Elitenrekrutierungsfunktion, da diese für das Thema der Forschung die größte Rolle spielt. Daran anknüpfend werden das Nomenklatursystem der SED und die Struktur der politischen Elite in der DDR verdeutlicht. Den letzten Teil der theoretischen Grundlagen bildet die Darstellung des Mediensystems der DDR mit besonderem Augenmerk auf die Mediensteuerung, die Steuerung der Jugendpresse durch die FDJ und auf das FDJ-Zentralorgan „Junge Welt“.
Im empirischen Teil der Arbeit werden dann zunächst die der Inhaltsanalyse zugrundeliegende Methodik und die Hypothesen entwickelt und erklärt. Im abschließenden Teil werden die erhobenen Daten ausgewertet und in Bezug zum im ersten Teil vermittelten Kontext gesetzt.
I.2 Quellenlage und Quellenauswahl
Zu Zeiten des DDR-Bestehens war die Quellenlage zum Jugendverband FDJ verhältnismäßig dürftig, zumal von den existenten Veröffentlichungen viele politisch gefärbt waren, entweder aus antikapitalistischer oder aus antikommunistischer Perspektive, je nachdem, ob sie in Ost oder West erschienen. Nach der „Wende“ nahmen die sachlichen Veröffentlichungen zu, ermöglicht auch durch die Zugänglichmachung der Akten von FDJ sowie SED und die nun mögliche Veröffentlichung auch kritischer Ergebnisse der Jugendforscher des 1966 gegründeten Leipziger „Zentralinstitut für Jugendforschung“ (ZIJ) (vgl. WALTER, 1997, S. 7-12).
Besonders hervorgetan bei der Aufarbeitung der Geschichte der FDJ hat sich Ulrich Mählert (vgl. ebenda, S. 10). Auf breiter Quellengrundlage, mit vielen Originalzitaten, widmete er sich erst den ersten Jahren des Jugendverbands und dann zusammen mit Gerd-Rüdiger Stephan der vollständigen Geschichte der FDJ. Die beiden Werke „Die Freie Deutsche Jugend 1945-1949“ (MÄHLERT, 1995) und „Blaue Hemden – Rote Fahnen: Die Geschichte der Freien Deutschen Jugend“ (MÄHLERT/STEPHAN, 1996) liefern einen fundierten Überblick und sind zentrale Quellen für die Kapitel über die Geschichte der FDJ. Michael Walter hat in seiner Dissertation „Die Freie Deutsche Jugend: Ihre Funktionen im politischen System der DDR“ (WALTER, 1997) vielschichtige Grundlagen für die Darstellung der politischen Funktion der FDJ und die Bewertung ihres Erfolgs unter anderem bei Sozialisation und Elitenrekrutierung gelegt. Das Herrschaftssystem der SED, das Kader- und Nomenklatursystem, ist als Forschungsthema Gegenstand verschiedener Veröffentlichungen gewesen. Als zentrale Werke seien hier Eberhard Schneiders „Die politische Funktionselite der DDR“ (SCHNEIDER, 1994) und Gerd Meyers „Die DDR-Machtelite in der Ära Honecker“ (MEYER, 1991) genannt.
Zur Untersuchung des Mediensystems ist die Kenntnis der DDR-Medien selbst wichtig, wenn es um die FDJ geht vor allem die Beschäftigung mit der „Junge Welt“. Zur wissenschaftlichen Annäherung an das DDR-Mediensystem gibt es verschiedene Wege. Im „Journalistisches Handbuch der Deutschen Demokratischen Republik“, 1960 in Leipzig herausgegeben vom „Verband der Deutschen Journalisten“ (VDJ), wird das offizielle Selbstbild der DDR-Journalisten klar. Stefan Pannen lässt in seinem Buch „Die Weiterleiter: Funktion und Selbstverständnis ostdeutscher Journalisten“ (PANNEN, 1992) zusätzlich zu seiner auf viele Quellen gestützten Darstellung des DDR-Mediensystems immer wieder ehemalige DDR-Journalisten, die er für Interviews traf, zu Wort kommen. Weitere, zum Teil auch kleine Veröffentlichungen, schließen Lücken und beschreiben Zustand und Wandel des DDR-Mediensystems aus wissenschaftlicher Sicht oder aus der Sicht der Betroffenen. Das von Werner Claus herausgegebene Buch „Medien-Wende – Wende-Medien?“ (CLAUS (Hg.), 1991) bündelt die Stellungnahmen der Medienschaffenden und anderer Gruppen in der DDR aus der Zeit der Wende. Dem speziellen Verhältnis von FDJ und Jugendmedien und damit auch der Geschichte der „Junge Welt“ ist Andreas Bauhaus in seiner Dissertation „Jugendpresse, -hörfunk und -fernsehen in der DDR. Ein Spagat zwischen FDJ-Interessen und Rezipientenbedürfnissen“ (BAUHAUS, 1994) auf den Grund gegangen.
Weitere vielseitige Quellen sind „Wer war wer – DDR: Ein biographisches Lexikon“ (ČERNÝ (Hg.), 1992), sowie „Kulturpolitisches Wörterbuch: Bundesrepublik Deutschland/DDR im Vergleich“ (LANGENBUCHER/ RYTLEWSKI/WEYERGRAF (Hg.), 1983) und „Mechanismen der Herrschaftssicherung: Eine sprachpolitische Analyse gesellschaftlichen Wandels in der DDR“ (LUDZ, 1980) des wissenschaftlichen Vorreiters Peter Christian Ludz.
Dieser Überblick über die genutzte Literatur ist nicht vollständig, er dient vielmehr der Einführung zentraler Werke. Diese Arbeit hat zum Ziel, die Quellenlage um empirisch fundierte Aussagen zur Repräsentanz der FDJ-Vorsitzenden im FDJ-Zentralorgan „Junge Welt“ und der auflagenstärksten SED-Bezirkszeitung „Freie Presse“ zu erweitern. Vergleichbare Untersuchungen sind mir nicht bekannt.
Für die genaue Ausarbeitung der empirischen Untersuchung nutzte ich verschiedene Quellen zur Methodik der Inhaltsanalyse und speziell zur Arbeit mit dem Datenverarbeitungsprogramm „SPSS“ das umfassende Hilfswerk „SPSS Version 10: Einführung in die moderne Datenanalyse unter Windows“ (BÜHL/ZÖFEL, 2000).
Zuletzt sei interessierten Lesern noch Jens Biskys „Geboren am 13. August: Der Sozialismus und ich“ (BISKY, 2004) als sehr persönlicher Zugangsweg zum Verständnis des Lebens mit FDJ und SED empfohlen.
I.3 Eine kleine Begriffsklärung
Im Laufe der Geschichte wurde der Vorsitzende der FDJ nicht mehr Vorsitzender, sondern 1. Sekretär des Zentralrats genannt. Diese beiden Begriffe sind synonym zu verstehen, ich bleibe bei dem Begriff „Vorsitzender“ und verwende diesen auch für die Zeitungsforschung.
II. Die Geschichte der FDJ
Die Geschichte der FDJ ist eine Geschichte des fortwährenden Hin und Her zwischen Versuchen der Liberalisierung und dem Zurück zur Repression. Immer wieder gab es Bestrebungen, die Jugend durch eine offenere und weniger repressive Leitung des Verbandes besser zu erreichen und einzubinden, auf die immer wieder die Rückkehr zu stärkerer Kontrolle folgte, sobald die neue relative Offenheit Stimmungen und Strömungen ermöglichte, die der Verbandsführung zu entgleiten drohten.
Bei der Darstellung der Geschichte der FDJ wird, wie auch im späteren Kapitel zum Mediensystem, besonderes Gewicht auf die ersten Jahre, den Übergang von der „Sowjetischen Besatzungs-Zone“ (SBZ) zur DDR gelegt, weil diese Zeit im wesentlichen schon „konstitutiv für die Ausformung der späteren Verfassungswirklichkeit der DDR“ (MÄHLERT, 1995, S. 9) war.
II.1 Der Exil-Plan wird umgesetzt: die Gründung der FDJ
Schon ein Jahrzehnt vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs betonten die „Kommunistische Internationale“ und die „Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD), sie wollten künftig „die Vereinigung der Kräfte aller nichtfaschistischen Massenorganisationen der Jugend anstreben“ (zit. n. MÄHLERT, 1995, S. 37). Dabei sei dennoch die „möglichst enge Verbindung und Beeinflussung durch die Partei“ (zit. n. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 17/18) das Ziel. Drei Monate nach Kriegsende veröffentlichten die KPD und die „Sowjetische Militäradministration in Deutschland“ (SMAD) für die SBZ eine „Mitteilung über die Schaffung antifaschistischer Jugendkomitees“. Darin hieß es: „Alle anderen Jugendorganisationen: gewerkschaftliche und Sportvereine, sozialistische und ähnliche gemeinschaftliche Organisationen sind außer den oben erwähnten antifaschistischen Jugendkomitees verboten.“ (zit. n. ebenda, S. 18) Eine unüberschaubare Zahl kleiner Zusammenschlüsse verletzte „das Kontrollbedürfnis des sozialistischen Systems“ (LANGENBUCHER/RYTLEWSKI/WEYERGRAF (Hg.), 1983, S. 716), der Monopolanspruch wurde deutlich. In den Komitees sollten die Jugendlichen zum Wiederaufbau motiviert und erste Funktionäre herangebildet werden. Zugleich wurden zentrale Strukturen geschaffen. Am 1. September 1945 trafen sich Vertreter der KPD und der „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (SPD), um den „Ausschuss zur Schaffung des Jugendausschusses für die gesamte sowjetische Besatzungszone“ zu konstituieren. Immer wieder wurde die demokratische Überparteilichkeit betont – und so die Mitarbeit der Sozialdemokraten, die noch keine ausgearbeitete Konzeption für eine eigene Jugendarbeit hatten (vgl. MÄHLERT, 1995, S. 47) und anderer Gruppen in der Anfangszeit gesichert (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 20/21).
Die Aufgabe, die Pläne zu konkretisieren, bekam Erich Honecker. Honecker hatte vor 1933 im Saarland als hauptamtlicher Funktionär des „Kommunistischen Jugendverbands Deutschland“ (KJVD) gearbeitet, war in der Nazi-Zeit als Widerständler verhaftet worden – und wurde nun vom KPD-Spitzenfunktionär Walter Ulbricht zum Aufbau des neuen Jugendverbandes ausgewählt (vgl. ebenda, S. 20). „Wir müssen an die ganze Jugend heran und denken gar nicht daran, einen Teil der Jugend den bürgerlichen Kreisen zu überlassen“, erklärte Honecker intern (zit. n. LIPPMANN, 1971, S. 58).
Die SPD hoffte, durch ihre Beteiligung am Aufbau der Jugendausschüsse Einfluss auf die Entwicklung zu behalten. Zudem war die Überzeugung verbreitet, als Linke gemeinsam für die Umerziehung der nationalsozialistisch sozialisierten Jugend verantwortlich zu sein. Gleichzeitig versuchte die SPD aber, eigene Jugendgruppen ins Leben zu rufen (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 22).
Größere Probleme machte die Zusammenarbeit mit den Kirchen. Anfangs agierte die SMAD diesen gegenüber entgegenkommend, verwahrte sich aber gegen die Wiedereinrichtung des umfangreichen kirchlichen Verbandslebens. Vor allem die katholische Kirche arrangierte sich mit dieser Bedingung. Das Verhältnis zur evangelischen Kirche blieb über all die Jahre konfliktreicher, immer wieder versuchten die Protestanten, ihre „Junge Gemeinde“ gegen staatliche Angriffe zu verteidigen. Auch die „Christlich-Demokratische Union“ (CDU) und die „Liberal-Demokratische Partei“ (LDP) begannen in den Anfangsjahren, eigene Jugendgruppen zu gründen (vgl. ebenda, S. 24).
In der SBZ, in der bis zuletzt erbittert gekämpft worden war, herrschten „katastrophale Verhältnisse“ (MÄHLERT, 1995, S. 20). Etwa ein Drittel aller Kinder lebte in unvollständigen Familien, weil Mütter in Bombennächten gestorben, Väter gefallen oder in Gefangenschaft waren (vgl. ebenda, S. 21/22). „Eine Familie im traditionellen Sinn existierte zu diesem Zeitpunkt kaum. (…) Die Mütter waren (…) ausgepowert, gezeichnet von den Alltagssorgen, müde und kaum noch fähig, durch ihre mütterliche Obhut das individuelle Fortkommen und die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder zu beeinflussen.“ (RABEHL in EISENBERG/LINKE (Hg.), 1980, S. 116/117) In dieses Vakuum stießen die Kommunisten mit ihren Jugendgruppen. Um die ganze Breite der Jugend damit zu erreichen, ging die KPD auch auf die ehemaligen unteren Mitglieder von Nazi-Verbänden zu. Das kommunistische Zentralorgan „Deutsche Volkszeitung“ schrieb am 7. Juli 1945, der Tatendrang der Jugend sei „zu Schandtaten missbraucht worden“ (zit. n. MÄHLERT, 1995, S. 34). Wer sich in den sozialistisch dominierten Gruppen am Wiederaufbau beteiligte, konnte nun nachträglich auf die richtige Seite wechseln. Diese Versöhnungsidee entsprach der Sehnsucht vieler Jugendlicher (vgl. GOTSCHLICH et al. (Hg.), 1996, S. 7).
Während so politische Grundlagen für einen Einheitsjugendverband gelegt wurden, hing der Erfolg der lokalen Jugendausschüsse wesentlich vom Engagement der Jugendfunktionäre vor Ort ab. Wo interessante kulturelle und sportliche Angebote gemacht wurden, gab es Zulauf. Dieses Phänomen blieb bis zum Ende der DDR auch in der FDJ bestehen: Trotz aller Instrumentalisierungsversuche gab es immer Jugendliche, die das Verbandsleben genossen, weil sie in einer Jugendgruppe mit vielfältigen Angeboten waren (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 28-30).
Nach der Niederlage der Kommunisten in Österreich und dem relativen Erstarken der SPD übten KPD und SMAD starken Druck auf die Ost-SPD aus und wollten eine Vereinigung der beiden Parteien noch vor den ersten (und letzten relativ freien) Wahlen in der SBZ. Auch in der Jugendarbeit schien Eile geboten, weil nun selbst die sozialistische Parteibasis daran gegangen war, eigene Jugendverbände zu gründen (vgl. ebenda, S. 30/31). Ende Januar 1946 holte sich die KPD-Führung in Moskau die Genehmigung zur Gründung der „Freie Deutsche Jugend“. Die Kirchen kritisierten deutlich, dass sie vor vollendete Tatsachen gestellt wurden und die Auflösung mancher kirchlicher Jugendgruppen „in der Methode der Gestapo durchgeführt wurde“ (zit. n. ebenda, S. 34). Das Gründungsprogramm der FDJ hatte die KPD jedoch bewusst offen und demokratisch angelegt, den Kirchen wurden Verbindungsstellen in den Leitungsgremien zugestanden. Der evangelische Jugendarbeiter Heinz Baer unterstrich später: „Damit, daß wir völlig eingeordnet werden sollen, haben wir nicht gerechnet.“ (zit. n. GRÖSCHEL/SCHMIDT, 1990, S. 38)
Am 7. März 1946 gab die SMAD die Lizenzierung der FDJ bekannt. Die veröffentlichten Ziele klangen modern: Gewinnung der Jugend für Humanismus und Völkerfreundschaft, aktive Teilnahme am Wiederaufbau, Teilhabe am öffentlichen Leben, Bildung für alle und Aufbau von Arbeitsgemeinschaften für Kultur und Sport (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 35).
Auch im Westen bildeten sich nun einzelne FDJ-Gruppen, die Organisation war im Frühjahr 1946 als einziger Jugendverband in ganz Deutschland aktiv. Von Ost-Berlin aus wurde auch die West-FDJ gesteuert, die bis zu 70.000 Mitglieder hatte und 1951 auf Drängen der Bundesregierung von den Innenministern der Länder als „Tarnorganisation des Weltkommunismus“ verboten wurde (vgl. WALTER, 1997, S. 226).
Auf der ersten zentralen Konferenz der FDJ in der SBZ am 26. und 27. April 1946 referierte Honecker die „Grundrechte der jungen Generation“, die wenig später zum Programm der FDJ wurden. Darin hieß es: „Die junge Generation erhebt Anspruch auf vier Rechte, die zu gewähren Pflicht aller demokratischen Organe ist: die politischen Rechte; das Recht auf Arbeit und Erholung; das Recht auf Bildung; das Recht auf Freude und Frohsinn.“ (zit. n. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 37) Wohnbezirks-, Betriebs- und Schulgruppen bildeten fortan die untersten FDJ-Einheiten mit jeweils nicht mehr als 25 bis 30, höchstens örtlich bedingt 50 Mitgliedern. Die einzelnen Gruppen schlossen sich zu Ortsgruppen zusammen, darüber wurden Kreis-, Bezirks- und Landes- beziehungsweise Provinzialleitungen angesiedelt. Laut der wenig später vom ersten FDJ-Parlament verabschiedeten Satzung sollte die Jugendorganisation „gemäß dem demokratischen Mitbestimmungsrecht der Mitglieder von unten nach oben“ (zit. n. MÄHLERT, 1995, S. 162) mittels geheimer Wahlen aufgebaut werden. Schon damals betonte Honecker aber intern, dass der Jugendverband „selbstverständlich“ ohne viel darüber „zu reden“ nach dem Prinzip des „Demokratischen Zentralismus“ von oben nach unten gelenkt würde (vgl. ebenda). Das Parlament sollte jährlich tagen und den mindestens 60 Mitglieder umfassenden Zentralrat bestimmen, der offiziell die Tätigkeit der FDJ zwischen den Parlamentstagungen zu leiten hatte (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 38). Zur Führung der laufenden Geschäfte wählte der Zentralrat ein zehnköpfiges Sekretariat. FDJ-Mitglied konnten alle Jugendlichen zwischen 14 und 25 werden, nur ehemals besoldete „Hitlerjugend“-Führer und „Bund Deutscher Mädel“-Führerinnen blieben ausgeschlossen. Laut Statut war der Beitritt explizit freiwillig (vgl. ebenda).
Mit dem „Ersten Parlament der Freien Deutschen Jugend“ vom 8. bis 10. Juni 1946 in Brandenburg endete der Gründungsprozess. Erich Honecker berichtete, dass die FDJ bereits 250.000 Mitglieder habe (vgl. ebenda, S. 39). Die Kirchen konnten jedoch nur durch Drohungen und Freiheits-Zusicherungen durch die SMAD von der weiteren Mitarbeit überzeugt werden, nachdem die Sätze von Robert Bialek bekannt geworden waren: „Wir werden den Kirchen (…) täglich zehn Nackenschläge geben, bis sie am Boden liegen, und wenn wir sie wieder brauchen, streicheln wir sie ein wenig, bis die Wunden geheilt sind. Dann schicken sie wieder ein Rundschreiben aus, welches uns Mitglieder einbringt, und dann schlagen wir wieder ihnen in den Nacken, bis sie am Boden liegen.“ (zit. n. ebenda, S. 41)
Bei nur zwei Enthaltungen wurde der von der Wahlkommission vorgeschlagene erste Zentralrat und Honecker zum Vorsitzenden der FDJ gewählt (vgl. ebenda, S. 41/42). Das unmittelbar im Anschluss gewählte erste Sekretariat war formal überparteilich besetzt, die wichtigsten Positionen hatten jedoch bewährte Sozialisten inne, im Zentralrat standen 47 SED-Mitgliedern nur 15 andere Mitgliedern gegenüber (vgl. ebenda, S. 42/43). Schon in der Zeit unter Honecker erwarb sich das Sekretariat der FDJ den spöttischen Beinahmen „kleines Politbüro“ (vgl. BORKOWSKI, 1987, S. 206/207). Honecker selbst wurde bereits 1950 auch ins „echte“ Politbüro, in die Machtzentrale der SED gewählt. Die Strukturen von FDJ und SED waren parallel aufgebaut. Auf höchster Ebene war Paul Verner, der oberste Jugendfunktionär der SED, auch im FDJ-Zentralrat, während Honecker auch der von Verner geleiteten Zentralen Jugendkommission der SED angehörte. Nach diesem Muster waren die Gremien auch auf Landes- und Bezirksebene verknüpft (vgl. MÄHLERT, 1995, S. 161/162). In Verbindung mit dem „Demokratischen Zentralismus“, der alle Parteimitglieder auf die Entscheidungen der Parteispitze verpflichtete (vgl. ebenda, S. 162/163), ermöglichte dies der SED früh die strikte Anleitung des Jugendverbandes. Dazu kam die finanzielle Abhängigkeit der FDJ von der Partei, die zunehmend über alle Staatsfinanzen verfügte (vgl. ebenda, S. 163-165).
II.2 Die Stalinisierung der FDJ und der offene Protest 1953
Ende 1946 waren bereits rund 400.000 Jugendliche in dem Verband organisiert. Viele brachten das Motiv der „Nützlichkeit“ und die verschiedenen Freizeit- und Sportangebote in die FDJ. Andere schlossen sich dem Verband aus Überzeugung an (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 44-47). Auch der proklamierte zukunftsbejahende Optimismus der FDJ hatte Zugkraft für die „(…) verstörte Generation. Die Freie Deutsche Jugend wird sie aus ihren Gewissensqualen erlösen, sie weiß auf alles eine Antwort. Schuld am Unglück ist der Faschismus, das höchste Stadium des Kapitalismus. Die Welt zerfällt nicht mehr in Rassen, sondern in Klassen. (…) Das Immunsystem der jungen Leute, in zwölf braunen Jahren geschwächt, widersteht den neuerlichen Verführungen nicht.“ (BÖHME, 1993, zit. n. ebenda, S. 48)
Aktive Mitarbeit in der FDJ eröffnete vielen Jugendlichen den Zugang zu völlig neuen Erfahrungen und Entwicklungschancen. In der Nachkriegszeit herrschte großer Personalmangel, entnazifizierte Stellen wurden mit möglichst treuen Genossen neu besetzt. Wer sich als FDJ-Funktionär bewährte, konnte schnell aufsteigen (vgl. ebenda, S. 48-51).
Ost und West befanden sich seit 1947 im kalten Kriegszustand, die sozialistische Politik wurde immer aggressiver. Zwischen Sommer 1947 und Frühjahr 1948 erfolgte teilweise staatsstreichartig die Machtübernahme in Osteuropa. Gleichzeitig begann mit der Einführung der Planwirtschaft die ökonomische Einbindung in den Machtbereich der Sowjetunion. Im September 1947 schlossen sich die kommunistischen Parteien unter Führung der „Kommunistischen Partei der Sowjetunion“ (KPdSU) im „Kommunistischen Informationsbüro“ (Kominform) zusammen. Mit der Gleichschaltung der Oppositionsparteien und der Zerschlagung der Reste der Sozialdemokratie wurde die Grundlage zum Aufbau der kommunistischen Diktaturen gelegt, die von den herrschenden Parteien selbst „Volksdemokratien“ genannt wurden (vgl. ebenda, S. 52).
Die SED richtete auf einer Konferenz im Oktober 1947 ihre Jugendpolitik an den neuen politischen Gegebenheiten aus. Durch mehr Mitbestimmungsrechte und die politische Beteiligung der Jugend sollte die Transformation des Parteiensystems vorangetrieben werden. Auch der „Kampf“ für wirtschaftliche Erfolge wurde betont: Erstmals wurde die FDJ zur Steigerung der Produktivität in den Betrieben eingesetzt (vgl. ebenda, S. 52/53). Die offenen Transformationsprozesse der SED zu einer marxistisch-leninistischen Hegemonialpartei und der FDJ zum bloßen Transmissionsriemen der Parteiinteressen waren damit eingeleitet (vgl. ebenda, S. 56). Zum Erziehungsziel der FDJ wurde es, neue, sozialistische Menschen zu formen (vgl. BADSTÜBNER-PETERS in: GOTSCHLICH/LANGE/SCHULZE (Hg.), 1997, S. 66).
Die Einflusslosigkeit der bürgerlichen Vertreter in der FDJ-Spitze wurde immer deutlicher. Schon im April 1947 war Günther Hahn (CDU) aus der Redaktion der FDJ-Zeitschrift „Neues Leben“ ausgetreten, weil er die „Sabotage der mit der politischen Linie der FDJ nicht vereinbarungsfähigen Beiträge“ nicht mehr akzeptieren wollte (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 58). Die SMAD verhaftete bis Ende 1947 32 Funktionäre der CDU-Jugend, im Januar 1948 beschloss der „Deutschlandrat der Jungen Union“ die Jugendarbeit in der SBZ einzustellen. Ebenfalls im Januar 1948 traten die letzten SED-unabhängigen Vertreter der bürgerlich-demokratischen Parteien aus der FDJ-Führung aus (vgl. LIPPMANN, 1971, S. 103). Die Christdemokratin Marga Lindner erklärte: „Der politische Weg, den die FDJ nun geht (…) ist so eindeutig, so einheitssozialistisch, daß es für mich unmöglich ist, ihn weiter mitzugehen.“ (zit. n. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 58/59)
Zur Einführung des ersten Zweijahresplans im Juni 1948 erklärte der Zentralrat der FDJ den „Kampf für die Erfüllung und Übererfüllung“ dieses Wirtschafts-Plans endgültig zur „entscheidenden Aufgabe im Leben der Jugend“ (zit. n. ebenda, S. 61). Die FDJ mutierte zu einem Arbeits- und Arbeitskontrollverein in der von Produktivitätsproblemen geplagten DDR. Bei sogenannten „Jugendobjekten“ wurden wirtschaftliche Zusatzarbeiten vollbracht und die Mitglieder hatten sich in die „Volkskontrolle einzuschalten“, also Bummelanten anzuzeigen (vgl. ebenda S. 62).
Ab 1948 richtete die SED ihre Jugendpolitik zudem an der marxistisch-leninistischen Vorstellung aus, dass die Interessen der Jugend klassenspezifisch mit jenen der Erwachsenenwelt übereinstimmen (vgl. LANGENBUCHER/RYTLEWSKI/WEYERGRAF (Hg.), 1983, S. 296) – und nahm immer weniger Rücksicht auf spezielle Jugendinteressen (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 63).
Im Dezember 1948 beschloss der FDJ-Zentralrat die Gründung der „Jungen Pioniere“ als formal eigenständige Organisation unter direkter Anleitung der FDJ. Bereits im April 1949 war fast jedes fünfte schulpflichtige Kind zwischen sechs und 14 Jahren Mitglied, im Dezember 1950 trug bereits jeder zweite Schüler das blaue Pionier-Halstuch. So gelang SED und FDJ ein entscheidender Schritt zum Zugriff auf alle Schüler. Es wurde üblich, dass ganze Schulen den Pionieren beitraten (vgl. ebenda, S. 66). Zudem wurden an den zumeist von Kindern aus bürgerlichen Haushalten besuchten Oberschulen am 19. Dezember 1948 die Schulräte verboten. Fortan galt: „Als Vertreter der Interessen der Schülerschaft gilt die FDJ bzw. der Verband der jungen Pioniere.“ (zit. n. ebenda, S. 68)
Durch Repressionen bis hin zur Verhaftung liberaler Kandidaten und einzelner Todesurteile gelang es SMAD und SED, auch an den Hochschulen Mehrheiten für die FDJ-Kandidaten bei den Studentenrats-Wahlen zu organisieren (vgl. ebenda, S. 70-72). Die „richtige Gesinnung“ für ein Studium musste in der weiteren Geschichte der DDR von SED-, FDJ- oder Staatsfunktionären bescheinigt werden: „Wer eine höhere Bildungsstufe erklimmt, lernt in einer Welt des Scheins zu leben. (…) Relegierung ist angedroht, falls jemand zum Rübenziehen nicht antritt, Orwells 1984 liest, die Tante in Westberlin besucht, (…). Die Fortgesetzte Erpressung der Lernenden findet durch Honeckers Jugend-Gang statt. (…) Ganze Fakultäten, die journalistische und die juristische zuvörderst, sind mit Spitzeln durchsetzt.“ (BÖHME, 1993, zit. n. ebenda, S. 69/70) Mit Beginn der „sozialistischen Hochschulreform“ 1951 nahmen die FDJ-Hochschulgruppen offiziell die Stelle der Studentenräte ein. Nun, da die Mitgliedschaft zur unbedingten Studienvoraussetzung geworden war, entwickelte sich die FDJ schnell zur Massenorganisation an den Hochschulen (vgl. ebenda, S. 73). Die FDJ wurde für Schüler und Studenten zum „Chancenverteiler“ (LANGENBUCHER/RYTLEWSKI/ WEYERGRAF (Hg.), 1983, S. 294) mit immer weitgehenderen Rechten und Sanktionsmöglichkeiten im Bildungs- und Erziehungsbereich (vgl. LEMKE, 1991, S. 134). Die Einbindung der ideologisch wichtigen Arbeiterjugend gelang dagegen nie umfassend, da bei den Arbeitern „das ‚opportunistische’ Motiv für eine FDJ-Mitgliedschaft“ (ebenda, S. 140) entfiel. Das Fortkommen im Betrieb war unabhängig vom Verband.
Die Transformation der FDJ zur SED-Massenorganisation war Anfang der 1950er Jahre in den Grundzügen abgeschlossen. Schon das III. FDJ-Parlament im Juni 1949 war nicht mehr Plenum für eine innerverbandliche Aussprache gewesen, sondern diente allein der genau choreographierten Selbst-Beklatschung. Die Delegierten skandierten: „Vorwärts, vorwärts, zurück nicht einen Schritt!“ (vgl. MÄHLERT, 1995, S. 340) So blieb es mit nur wenig variierendem Schau-Programm bis zum Ende der DDR-Zeit. Das Parlament diente als propagandistischer Ausgangs- und Endpunkt der Kampagnen und zur Legitimation des Verbands (vgl. ebenda, S. 341).
Auf dem III. Parlament wurden die „Verbindungsstellen zur kirchlichen Jugendarbeit“ aufgelöst. In der neu beschlossenen Verfassung definierte sich die FDJ als „einheitliche, unabhängige, demokratische Organisation (…) im Lager des Friedens und der Demokratie, an dessen Spitze die Sowjet-Union steht“ (zit. n. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 76). Das für kommunistische Organisationen typische Prinzip des „Demokratischen Zentralismus“ wurde offiziell eingeführt: „Die Beschlüsse der jeweils übergeordneten Leitungen sind für alle Organisationseinheiten und die Mitglieder der Freien Deutschen Jugend bindend.“ (zit. n. ebenda, S. 76) Wahlen hatten fortan offen stattzufinden. Die Hegemonie der SED war nunmehr auch durch die FDJ-Statuten abgesichert.
Bei der Staatsgründung der DDR am 7. Oktober 1949 zogen Zehntausende FDJler in einem Fackelzug vor dem Präsidenten Wilhelm Pieck vorbei und schworen: „Wir, die deutsche Jugend, geloben der Deutschen Demokratischen Republik Treue, weil sie der Jugend Frieden und ein besseres Leben bringen will und bringen wird!“ (zit. n. LIPPMANN, 1971, S. 114/115)
Die „Sowjetisierung“ des ostdeutschen Staatswesens wurde nun immer schneller vorangetrieben. SED-Generalsekretär Walter Ulbricht betonte erstmals öffentlich in dieser Deutlichkeit: „Die Freie Deutsche Jugend kann ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn sie die führende Rolle der Sozialistischen Einheitspartei erkennt.“ (zit. n. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 79) Alle Mitglieder wurden aufgefordert, „die Lehre des Marxismus-Leninismus zu studieren und sie entsprechend ihren Grundsätzen in enger Verbindung von Theorie und Praxis auf allen Gebieten das gesellschaftlichen Lebens anzuwenden“ (zit. n. ebenda). Nun gab es, ganz nach stalinistischem Vorbild, für die FDJ keinen ideologiefreien Lebensbereich mehr. Stalin selbst wurde durch exzessive Propaganda zur neuen Führerfigur erhoben (vgl. ebenda).
Auch die Inszenierung von Großveranstaltungen lief mit Fackelzügen und Aufmärschen nach sowjetischem wiewohl auch nach Weimarer und nationalsozialistischem Vorbild (vgl. ebenda, 80/81). Deutschlandtreffen, Weltfestspiele der Jugend, Parlamente der FDJ, Sportfeste, Pioniertreffen: In den 1950er Jahren verging kein Jahr, ohne dass der Jugendverband seine Stärke demonstrierte. Die „Mobilisierung der Jugendlichen löste durchaus Begeisterung aus. Wir kamen heraus aus dem Alltag der Kleinstädte. (…) Wir waren unter uns, ohne die direkte Aufsicht der Lehrer oder der Partei zu verspüren“, erinnert Bernd Rabehl (RABEHL in: EISENBERG/LINKE (Hg.), 1980, S. 116/117).
Im Sommer 1950 zählte die FDJ nach eigenen Angaben knapp über 1,2 Millionen Mitglieder in ihren Reihen, das waren 38,5 Prozent aller Jugendlichen zwischen 14 und 25 Jahren. Westdeutsche Beobachter sahen die FDJ damals als „verläßlichste und schlagkräftigste sowjetdeutsche Organisation“ (zit. n. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 85). Zur weiteren Stärkung schrieb das 1. Jugendgesetz der DDR im Februar 1950 den Monopolanspruch der FDJ auf die Interessenvertretung der Jugend fest. Zur politischen „Bildung“ wurden die „Schuljahre der FDJ“ eingeführt, in denen sich die Jugendlichen mit ideologischen Themen zu befassen hatten (vgl. ebenda, S. 85/86).
Bis 1952 wurde der Marxismus-Leninismus zur alles bestimmenden Ideologie und die SED zur Partei mit allen Hebeln in den eigenen Händen. Die 2. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 gab mit der Parole vom „Aufbau des Sozialismus“ in der DDR endgültig das offene Signal zur Angleichung an die anderen osteuropäischen „Volksdemokratien“. Der „Sturz der Bonner Regierung“ wurde zur Voraussetzung einer Einheit erklärt und die „Organisierung bewaffneter Streitkräfte“ zum Schutz des „sozialistischen Aufbaus“ beschlossen (vgl. ebenda, S. 88). Die FDJ, in der noch im Jahr zuvor der Pazifismus proklamiert wurde, musste nun, wie Wilhelm Pieck am 1. April 1952 notierte, „schießen lernen“ (zit. n. ebenda, S. 89). Der Jugendverband hatte bis zur Einführung der Wehrpflicht 1962 für die Rekrutierung von Freiwilligen für das Militär zu sorgen (vgl. ebenda, S. 90).
Die fortwährende Erhöhung der Akkordzahlen, das schlechte Güterangebot und totalitäre Eingriffe wie etwa die zwischenzeitliche Hetze gegen die evangelische „Junge Gemeinde“, brachten weite Teile der Bürger gegen die Machthaber auf. Die Funktionäre reagierten jedoch nicht auf warnende Zeichen und wurden am 16. Juni 1953 von der Wut des Volkes überrascht, als ein Protestmarsch von Bauarbeitern zur Massendemonstration anschwoll und republikweite Proteste gegen die SED auslöste, die nur mit Hilfe sowjetischer Truppen niedergeschlagen werden konnten. Zum Schrecken der FDJ-Führung hatten sich viele Jugendliche den aufständischen Arbeitern angeschlossen (vgl. ebenda, S. 95-97). Ein Bericht einer SED-Kommission sah Ende 1953 einen tiefen Graben zwischen der Minderheit der konformen FDJler und der Mehrheit der Jugend, die entweder nur aus Gründen der Opportunität oder gar nicht im Verband waren (vgl. ebenda, S. 100). Bereits damals war zu erkennen, was spätere Untersuchungen bestätigten: Schon im frühen Alter bildete sich „ein zahlenmäßig kleiner ‚Aktivitätstyp’ unter den Jugendlichen (…), der kontinuierlich in der FDJ (…) politisch aktiv war, während sich der größere Teil eher gleichgültig oder gar ablehnend verhielt“ (LEMKE, 1991, S. 141).
Letztlich litt die FDJ unter der Widersprüchlichkeit der an sie gestellten Aufgaben. Sie sollte die Jugend ansprechen, aber gleichzeitig der Partei dienen, was schwer zu vereinen war. War die FDJ beliebt durch eine bunte Ausgestaltung des „frohen Jugendlebens“, klagte die Partei über den Mangel an ideologischer Arbeit. Konzentrierte die FDJ sich auf ideologische Schulungen, klagte die Partei über den Mangel an Attraktivität (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 101). Auch stieß der Verband an organisatorische Grenzen. Die Funktionäre hatten, vor allem bei der Organisation der Großereignisse, immer mehr bürokratische Aufgaben und entfernten sich von den Mitgliedern (vgl. LIPPMANN, 1971, S. 144).
II.3 Vom „Tauwetter“ zurück zur Repression
Im Frühjahr 1954 beschloss der IV. Parteitag der SED ein neues Statut, in dem es nun deutlich hieß: „Die Freie Deutsche Jugend erkennt in ihren Beschlüssen die führende Rolle der Partei der Arbeiterklasse an.“ (zit. n. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 103) Zudem wurde die Pflicht der Mitglieder festgeschrieben, für SED-Entscheidungen zu kämpfen (vgl. ebenda). Beim V. FDJ-Parlament im Mai 1955 sprach Honecker: „Wir sagen der Jugend: Seid bereit zur Arbeit und zur Verteidigung der Heimat, stärkt die Reihen der bewaffneten Kräfte unserer Republik“ (zit. n. ebenda, S. 105) – und leitete so die Militarisierung der FDJ ein (vgl. LIPPMANN, 1971, S. 144). Zudem gab Honecker bekannt, in Zukunft andere Aufgaben in der SED zu übernehmen. Sein Nachfolger an der FDJ-Spitze wurde Karl Namokel, der seit 1946 in der FDJ kontinuierlich aufgestiegen war (vgl. ČERNÝ (Hg.), 1992, S. 328). Der FDJ-Vorsitzende hieß fortan „1. Sekretär“ und musste nicht mehr vom Parlament beziehungsweise dem Verbandskongress gewählt werden (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 106/107). „Zum Abschluss seiner Tätigkeit in der FDJ vollzog er [Honecker] auch offiziell deren Umwandlung in einen Jugendverband der SED.“ (LIPPMANN, 1971, S. 168)
Weiterhin standen SED und FDJ jedoch vor dem Problem, große Teile der Jugend nicht zu erreichen. Gerade junge Menschen stellten ihre Zukunft in der DDR in Frage. Von den 270.115 Personen, die 1955, in dem Jahr, in dem die DDR und die „Bundesrepublik Deutschland“ (BRD) in die eingeschränkte Souveränität entlassen wurden, den Arbeiter- und Bauernstaat verließen, gehörten 40 Prozent zur Gruppe der Jugendlichen unter 25 Jahren (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 107).
Im Versuch, die Bürger doch stärker zu binden, setzte 1955 im gesamten Ostblock ein politisches „Tauwetter“ ein. Die Funktionäre schienen einzusehen, dass allein mit der alten Propaganda keine Identifikation zu schaffen war. Auch die FDJ wurde in einem der seltenen Prozesse der Selbstkritik als bürokratischer Koloss erkannt (vgl. ebenda, S. 110). Albert Norden, Sekretär des „Zentralkomitee“ (ZK) der SED, kritisierte: „Heute gewinnt man den Eindruck, als ob es auf der einen Seite die FDJ und auf der anderen die Jugend gibt.“ (zit. n. BORKOWSKI, 1987, S. 239)
Am 9. Februar 1956 veröffentlichte der FDJ-Zentralrat in der „Junge Welt“ seinen Aufruf „An euch alle, die ihr jung seid“, in dem „eine offene Aussprache über die Ideale unseres neuen Lebens“ in „Jugendforen“ angeboten wurde („Junge Welt“, 09.02.1956). „Erfüllt von der Richtigkeit unseres Weges schreiten wir voran, ohne nach rechts und links zu sehen, ob auch alle mitkommen“ (ebenda), hieß es. Die „Jugendforen“ wurden in der Folgezeit jedoch immer wieder zu Tribunalen für die Funktionäre, mit Fragen nach Westdeutschland und Kritik am Stalin-Kult. Bereits im Sommer 1956 bemühte sich die FDJ, das Rad wieder zurückzudrehen. Im ganzen Ostblock war die Macht der nationalen Führer durch die Diskussion der Verbrechen Stalins in Frage gestellt. Die SED-Spitze versuchte, wie im weiteren Verlauf immer wieder, die Entstalinisierung zu verhindern (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 114/115).
Nach der Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn durch sowjetische Truppen im Herbst 1956 war das „Tauwetter“ auch in der DDR endgültig wieder vorbei. Im Politbüro setzten sich die „Hardliner“ um Ulbricht und Honecker durch. Sie hatten erkannt, dass in entknebelten Diskussionen schnell die Rolle der SED in Frage gestellt wurde und kehrten zur Repression zurück. Der Zentralrat der FDJ versicherte, geschlossen hinter dem ZK und Ulbricht zu stehen (vgl. ebenda, S. 117-121).
In einem neuen FDJ-Verbandsstatut wurde im Mai 1959 das Idealbild eines Mitglieds entworfen, das die „Verbandspresse zu lesen“, „Arbeitsdisziplin“ einzuhalten, sich „vormilitärische Kenntnisse“ anzueignen und den Marxismus-Leninismus zu lernen habe. Überall sollten die Jugendlichen „offen und parteilich“ für die Staatspolitik eintreten und ihre Zugehörigkeit durch das Tragen des FDJ-Abzeichens zeigen. All das war nicht eben eine Stellenausschreibung, die die Jugend durch Attraktivität hätte überzeugen können. Auch die Wiederbelebung der „FDJ-Kontrollposten“ in den Betrieben sorgte für Ablehnung (vgl. ebenda, S. 123-125).
Ein ideologischer Erfolg hingegen war die bald obligatorische Jugendweihe, mit der den 14-Jährigen ab Ende 1954 eine kirchenunabhängige Möglichkeit zum rituellen Eintritt in die Welt der älteren Jugendlichen angeboten wurde. Bei der Feier gelobten die Mädchen und Jungen, ihre „ganze Kraft für die große und edle Sache des Sozialismus einzusetzen“ (zit. n. ebenda, S. 128).
Im Mai 1959 wurde Horst Schumann vom FDJ-Parlament als Nachfolger von Karl Namokel zum FDJ-Vorsitzenden gewählt. Schumann hatte schon bei den Jugendausschüssen eine leitende Funktion inne gehabt und machte dann eine typische Kaderkarriere. Von 1959 bis 1989 war er auch Mitglied im ZK der SED (vgl. ČERNÝ, 1992, S. 415).
Wenige Wochen nach dem Parlament stellte sich bei einer Überprüfung der Mitgliedsbücher heraus, dass die FDJ nur 1.090.233 Mitglieder hatte, so wenige wie seit zehn Jahren nicht mehr. Die wirtschaftliche Ausrichtung auf die Plan-Ziele und die ideologische Propaganda hatten viele Jugendliche abgeschreckt (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 131).
Durch eine noch stärkere institutionelle Verankerung wurden die Mitgliedszahlen wieder erhöht. Die 1959 eingeführte „allgemeinbildende zehnklassige polytechnische Oberschule“ verließen die Schüler erst mit 16 statt wie zuvor mit 14 Jahren. So wurde, indem ganze Klassen beitraten, der Übergang der Jugendlichen von den Pionieren zur FDJ zur Selbstverständlichkeit: beim Übergang von der achten zur neunten Klasse, in Verbindung mit der Jugendweihe (vgl. LEMKE, 1991, S. 136). Die FDJ war nun endgültig zu einer „zentralistischen, halbstaatlichen Institution, die mit ihrer Vorfeldorganisation, den Jungen Pionieren, in allen Lebensbereichen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen präsent ist“ (MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 135) geworden.
Das SED-Regime war beim Übergang in die 1960er Jahre jedoch in einer tiefen Krise. Es gab Versorgungsengpässe, weil die „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften“ (LPGs) weniger produzierten, als zuvor die privaten Bauern. Im ersten Halbjahr 1961 flohen 91.254 Personen gen Westen, rund die Hälfte davon war unter 26 Jahren alt (vgl. ebenda).
II.4 Mauerbau, zeitweise Liberalisierung und „Kahlschlag“
Erich Honecker, damals Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates, war für die Planung der Grenzabriegelung zur BRD am 13. August 1961 zuständig. Die FDJ wurde an der „Agitationsfront“ eingesetzt, um die Bürger von dem Schritt zu überzeugen (vgl. ebenda, S. 137). Im „Kampfauftrag“ des FDJ-Sekretariats hieß es: „Es sind sofort Maßnahmen einzuleiten, um Ordnungsgruppen aufzubauen (…) Mit Provokateuren wird nicht diskutiert. Sie werden erst verdroschen und dann den staatlichen Organen übergeben.“ (zit. n. ebenda, S. 138) Wer mit dem System unzufrieden war, konnte nach der Grenzabriegelung kaum noch fliehen. FDJ und SED verstärkten die Repressionen. Ulbricht stellte klar: „Auf die Deutschen, die den deutschen Imperialismus vertreten, werden wir, wenn sie frech werden, schießen. Wer provoziert, auf den wird geschossen. Das muss in der FDJ klar gesagt werden.“ (zit. n. ebenda, S. 139) Jede Zurückhaltung war vorbei, jetzt sollte eine geschlossene Gesellschaft erreicht werden (vgl. ebenda). Gerade unter den Jugendlichen gab es dennoch Proteste gegen die Mauer, die etliche Familien spaltete: „Tausende suchten in den ersten Jahren (…) als Sperrbrecher oder Fluchthelfer bewusst die Konfrontation.“ (FRICKE, 1984, S. 140)
Zwei Jahre nach dem Mauerbau sollten grundsätzliche Reformen angegangen werden. Die KPdSU hatte die Entstalinisierung weiter vorangetrieben und Ulbricht eine neue Wirtschafts-Richtlinie auf den Weg gebracht, die selbstständigeres Arbeiten und eine realistischere Darstellung der Erfolge verlangte (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 149). Im September 1963 wurde ein neues Jugendkommuniqué unter dem Titel „Der Jugend Vertrauen und Verantwortung“ veröffentlicht, das „Gängelei, Zeigefingerheben und Administrieren“ ein Ende machen sollte (zit. n. ebenda, S. 150). Ausdrücklich hieß es: „Habt Mut zum eigenen Denken.“ (zit. n. ebenda, S. 151) Die Mehrzahl der Jugendlichen nahm das Kommuniqué beim Wort, tanzte und musizierte. Vor allem die zuvor von der FDJ noch bekämpfte Beat-Musik wurde zur jugendlichen Massenkultur. Beim „Deutschlandtreffen der Jugend“ vom 16. bis 18. Mai 1964 in Berlin sollte ein vielfältiges Programm zeigen, wie sehr die Jugend zur DDR stehe. Der Berliner Rundfunk sendete erstmals rund um die Uhr ein eigenes Jugendprogramm, das anschließend als „DT 64“ einen festen Sendeplatz bekam und viele Anhänger fand (vgl. ebenda, S. 153-155).
In Folge des Festes entwickelte sich ein immer lebendigeres Kulturleben, zunehmend wurden in Büchern und Filmen auch Probleme im Land behandelt. Deutlich war eine Aufbruchstimmung zu spüren, die Individualität der Jugendlichen rückte in den Blickpunkt. Doch die SED fürchtete, am Ende des Emanzipationsprozesses würde das „Wahrheitsmonopol“ der Partei in Frage stehen (vgl. ebenda, S. 156-159). Schon das neue Jugendgesetz aus dem Mai 1964 enthielt die Absage an den Individualismus: „Im Leben und Schaffen für das Glück der Gesellschaft erfüllt sich zugleich das persönliche Glück jedes jungen Bürgers unserer Republik.“ (zit. n. ebenda, S. 160)
Der FDJ-Zentralrat folgte Mitte der 1960er Jahre in allen Belangen der regressiven Linie der SED-Führung, ohne eigene Vorschläge oder Konzepte in den Gremien einzubringen. Dies blieb in der Geschichte des Verbandes typisch und senkte das Ansehen der Organisation (vgl. ebenda, S. 164 u. LEMKE, 1991, S. 136).
Auf dem später „Kahlschlag-Plenum“ titulierten 11. Plenum des SED-ZK im Dezember 1965 griff Honecker die „antihumanistischen Darstellungen“ in Filmen, Büchern und Theaterstücken sowie die Beatmusik scharf an (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 169-171). FDJ-Chef Schumann betonte, ein „klarer parteilicher Standpunkt“ habe das weltanschauliche Herumirren zu ersetzen. Auf der Tagung wurde die radikale Rückkehr zur Repression beschlossen, aufmüpfige Jugendliche sollten in Arbeitslager eingeliefert werden (vgl. ebenda, S. 171/172). Das war die DDR-typische zyklische Bewegung: Zuerst hatte die neue Offenheit für stärkere Zustimmung zum System gesorgt, doch dann drohten die Diskussionen der Kontrolle der Staatsführung zu entgleiten – woraufhin diese die Notbremse zog und zum umso radikaleren Gegenschlag ausholte.
II.5 Honecker übernimmt den Staat
Den beim „Kahlschlag-Plenum“ beschlossenen Richtlinien folgend, startete die FDJ eine Kampagne zur „Aneignung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung“ (vgl. ebenda, S. 173). Ein Verbandsauftrag des Zentralrats der FDJ zur „Stärkung der Landesverteidigung“ fasste das Selbstbild der FDJ treffend zusammen: „Die ganze Kraft und Initiative der Freien Deutschen Jugend der DDR war und ist stets darauf gerichtet, die Republik politisch, ökonomisch und militärisch zu stärken und ihrer Rolle als Helfer und Kampfreserve der SED gerecht zu werden.“ (zit. n. ebenda, S. 173)
Beim VIII. FDJ-Parlament 1967 wurde Günter Jahn zum neuen 1. Sekretär des Zentralrats gewählt. Auch Jahn hatte seit den ersten Jahren der FDJ im Verband Karriere gemacht (vgl. ČERNÝ, 1992, S. 207).
Mit Hilfe der Medien versuchten SED und FDJ die folkloristischere „Singebewegung“ als Gegenmodell zu „Beat“ und „Rock“ aufzubauen. Bei Konzerten sangen die FDJler „Sag mir, wo du stehst“ (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 176). Ziel von FDJ wie SED war, das gesamte gesellschaftliche Leben zu durchdringen, in ihrem Sinne zu steuern und auf diese Weise sozialistische Menschen zu erziehen (vgl. LEMKE, 1992, S. 72 u. S. 276).
Gerade für die von der sozialistischen Idee überzeugten Jugendlichen, die auf einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ hofften, war es ein Schock, als die „Prager Frühling“ genannten Reformversuche der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei am 21. August 1968 von sowjetischen Panzern brutal beendet wurden. Ihren Handlungsmustern folgend, organisierte die FDJ jedoch sofort Zustimmungserklärungen zu der Invasion und entfernte sich dadurch von großen Teilen der Jugendlichen (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 177-179). Auch insgesamt stagnierte die Entwicklung, die Wirtschaft kam nicht voran, das Lohn- und Lebensniveau in der BRD lag um einiges höher (vgl. ebenda, S. 181/182).
1966 war das „Zentralinstitut für Jugendforschung“ (ZIJ) gegründet worden. Die ZIJ-Studien zeigten nun deutlich die Desillusionierung und zunehmende Politikferne vieler Jugendlicher. Bedrohlich für die SED war: „Nur jeder 5. Jugendliche begründet seine FDJ-Mitgliedschaft in erster Linie politisch.“ (zit. n. ebenda, S. 184) Die Mitgliedschaft war häufig zur opportunen Formsache verflacht. Derlei kritische Ergebnisse waren nicht gewünscht, die Forschungs- und Veröffentlichungsmöglichkeiten des ZIJ wurden schnell wieder eingeschränkt (vgl. FRIEDRICH in: HENNIG/FRIEDRICH (Hg.), 1991, S. 19/20).
Am 3. Mai 1970 trat Ulbricht „aus Altersgründen“ als erster Sekretär des SED-ZK zurück. Honecker, damals 58 Jahre alt, wurde sein Nachfolger und etablierte in der Folgezeit ein straffes persönliches Regime, in das sich die FDJ widerspruchslos eingliederte (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 191). Ulbricht wurde sofort um nahezu jeden Einfluss gebracht (vgl. BORKOWSKI, 1987, S. 280/281). Kernstück von Honeckers Programm war die neu formulierte „Hauptaufgabe“: „Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos (…) und des Wachstums der Arbeitsproduktivität.“ (zit. n. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 193) Die Wirtschaft lebte vorübergehend auf, der Lebensstandard wuchs etwas, aber die Vergünstigungen waren durch Schulden finanziert (vgl. ebenda, S. 193).
In der Ulbricht-Zeit hatte es im Staats- und Wirtschaftsapparat sowie für gesellschaftliche Organisationen noch kleine Spielräume gegeben, unter Honecker wurde das gesamte politische System der Kontrolle der Partei unterworfen. Von außenpolitischen Grundsätzen bis zur Produktionsquote für Damen-Unterwäsche und Aufmacherthemen in Medien mühte sich das Politbüro, alles zu entscheiden. Die Kombinate, Betriebe und Massenorganisationen hatten lediglich auszuführen (vgl. ebenda, S. 194).
Anfang der 1970er Jahre gab es, auch in Folge verbesserter Beziehungen zur BRD, einen Aufschwung. Westdeutsche durften einreisen, für die DDR-Bürger wurden die Reisemöglichkeiten in osteuropäische Staaten erweitert. Viele Jugendliche waren durchaus angetan, sie waren abgesichert und hatten Aufstiegschancen, um den Preis der Treue zur SED. „Der Grad der Zustimmung zur DDR dürfte in jenen Jahren der größte während der gesamten vierzig Jahre ihrer Existenz gewesen sein“, schreiben Mählert und Stephan (ebenda, S. 195).
Zu den X. „Weltfestspielen der Jugend“ im Sommer 1973 in Berlin kamen nach offiziellen Angaben 25.000 Jugendliche aus 140 Ländern und 500.000 FDJler. Nicht einmal der Tod Ulbrichts beeinträchtigte die Stimmung (vgl. ebenda, S. 198-200). Die FDJ bilanzierte einen „gestiegenen Einfluss“ auf die Jugend. Das Fest hatte Optimismus geweckt, selbst wenn die weltoffene Lockerheit sofort danach wieder vorbei war (vgl. KUNZE, 1976, S. 42/43).
II.6 Der Weg zur finalen Krise
Im Januar 1974 verabschiedete die Volkskammer ein neues Jugendgesetz. Dieses sah eine vollständige Übereinstimmung zwischen den Interessen und Zielen von Gesellschaft, Staat und Jugend (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 202-205) und schrieb in §1 vor: „Vorrangige Aufgabe bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ist es, alle jungen Menschen zu Staatsbürgern zu erziehen, die den Ideen des Sozialismus treu ergeben sind, als Patrioten und Internationalisten denken und handeln, den Sozialismus stärken und gegen alle Feinde zuverlässig schützen.“ (zit. n. ebenda, S. 204)
An der Spitze der FDJ hatte mittlerweile Egon Krenz, der zuvor bereits Vorsitzender der Pionierorganisation und Politbüro-Kandidat war (vgl. ČERNÝ, 1992, S. 254/255), Günther Jahn abgelöst. Honecker, für den der Titel „Generalsekretär“ des ZK der SED wieder eingeführt wurde, vereinte wie Ulbricht zuvor alle wichtigen Posten in Partei und Staat in seiner Person und wiegelte jede Kritik ab: „Wir hatten und haben nie irgendwelchen Nachholbedarf, weder im ‚Humanitären’ im allgemeinen noch in den von gewissen Kreisen des Westens strapazierten Menschenrechten im besonderen.“ (zit. n. BORKOWSKI, 1987, S. 290)
Das innenpolitische Klima war Ende der 1970er Jahre nach der Ausbürgerung Rolf Biermanns zugespitzt, der FDJ-Alltag verlief aber weiter in unspektakulärer Gleichförmigkeit (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 213). Anfang der 1980er Jahre sorgten sich viele Jugendliche wegen des wieder einsetzenden Wettrüstens und nahmen Anteil an der polnischen Gewerkschaftsbewegung „Solidarnosc“. SED und FDJ verharrten in alten Dogmen, der visafreie Reiseverkehr nach Polen wurde gestoppt, um den Kontakt mit dem fortschrittlichen Gedankengut zu verhindern (vgl. ebenda, S. 217-220). SED und FDJ versuchten den neuen Ideen nicht entgegenzuwirken, indem sie diese einfingen und mit ihnen arbeiteten, sondern sie setzten im Gegenteil den neuen Gedanken ihre alten Dogmen entgegen und versuchten eine „Reideologisierung“ der Gesellschaft (vgl. LEMKE, 1991, S. 11).
Seit September 1978 war „Wehrunterricht“ Pflichtfach für alle Neunt- und Zehntklässler. Dadurch wurde die frühe Wehrerziehung, die etwa in großangelegten Geländespielen schon seit Jahrzehnten Teil des FDJ-Programms war, noch verstärkt (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 223).
In der BRD war Helmut Kohl (CDU) seit 1982 Kanzler und versuchte, die Beziehungen zur DDR weiter zu stärken. Auch zwischen den Jugendgruppen gab es vermehrt Austausch. West-Musiker bekamen Auftrittsmöglichkeiten im Osten. Aber Hoffnungen auf einen liberaleren Sozialismus wurden wieder enttäuscht. In den 1980er Jahren verbreitete sich daraufhin auch in der DDR die bis dahin unterdrückte „autonome Jugendbewegung“, unabhängige Friedensgruppen und die kirchliche Jugend bekamen Zulauf (vgl. ebenda, S. 229-230). „Punkbewegung, kirchliche Jugendarbeit und der Zugang der neuen Generation zur Kunst sind (…) die hauptsächlichen Wege, auf denen heute eine jugendliche Minderheit in der DDR versucht, Ohnmacht, Anonymität und Nischendasein hinter sich zu lassen.“ (BÜSCHER/WENSIERSKI, 1984, S. 20) Es wurde deutlich, „dass die Gesellschaft in der DDR eine außerordentliche Differenzierung erfahren hatte“ (LEMKE, 1991, S. 10).
Im Dezember 1983 hatte Eberhard Aurich, ein eher technokratisch veranlagter langjähriger FDJ-Funktionär, Egon Krenz an der FDJ-Spitze abgelöst. Krenz wurde im Politbüro als möglicher „Kronprinz“ Honeckers betrachtet (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 234).
Im März 1985 wurde Michail Gorbatschow neuer Parteiführer der KPdSU. Die SED-Spitze misstraute dessen Glasnost-Politik, fürchtete den eigenen Machtverlust und schottete die DDR gegen die Liberalisierungstendenzen ab (vgl. LEMKE, 1991, S. 11). Auch die FDJ wollte von neuen Einflüssen nichts wissen. Das XII. FDJ-Parlament 1985, welches das letzte in dieser Form sein sollte, lief nach den antrainierten Standards der Selbst-Beklatschung (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 228).
Die Jugendforscher in Leipzig mahnten immer wieder besorgniserregende Entwicklungen unter den Jugendlichen an, wurden dabei jedoch kaum erhört. Die „Berufsrevolutionäre im Jugendverband“ verschliefen „den Zug der Zeit“ in „ganz besonderer Weise“ (MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 236). Verheerend für den Zuspruch der Jugend wirkte sich die Ablehnung jedes Fortschritts im Sinne der Perestroika durch SED und FDJ aus (vgl. LEMKE, 1991, S. 11/12). Staat und Bürger fanden nicht mehr zueinander, verantwortlich dafür war auch die gestörte Kommunikation. „Das Sicherheitsbedürfnis der SED-Führung“ hatte es geboten, „immer neue Formen der Geheimhaltung zu entwickeln“ (LUDZ, 1980, S. 32). Die Machtelite hütete ihre Informationsvorsprünge, informierte über Probleme höchstens in ihrem Sinne, dies gründete „wesentlich auf einem Mangel an Vertrauen“ (ebenda) in die Bürger. Schon 1980 schrieb Ludz: „Fehlendes Vertrauen, wachsendes Misstrauen erschweren es allen Machteliten, realistische Hypothesen über künftiges Verhalten des anderen, des ‚Fremden’, das heißt im Extremfall von allen anderen einzelnen oder Gruppen, aufzustellen.“ (ebenda, S. 33)
Die SED verpasste die letzte Chance, ihr System zu stabilisieren, indem sie es nicht für Diskussionen und Reformen öffnete. Stattdessen wurde wieder der Repressionsapparat in Gang gesetzt. Gleichzeitig zeichnete sich der wirtschaftliche Zusammenbruch ab (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 240). Die Bürger begnügten sich nicht länger mit der privaten Form der Abgrenzung, dem über Jahre entwickelten systembedingten „double talk“ aus öffentlicher Zustimmung und heimlicher Ablehnung (vgl. LUDZ, 1980, S. 36).
II.7 Die DDR bricht zusammen, die FDJ verliert jeden Einfluss
Die SED bekämpfte die Impulse aus der Perestroika und ließ hart gegen Demonstranten vorgehen. Die Bevölkerung lebte in einem permanenten Spannungszustand (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 242). Im Herbst 1988 wurden an der Erweiterten Oberschule „Carl von Ossietzky“ in Ost-Berlin Schüler, die sich an einem militärkritischen Wandzeitungstext und der anschließenden Unterschriftensammlung beteiligt hatten, von der Schule verwiesen. Landesweite Solidaritätsbekundungen waren die öffentlich Antwort (vgl. ebenda, S. 243/244). Im November 1988 wurde aus Anlass einer stalinkritischen Ausgabe die deutschsprachige sowjetische Monatszeitschrift „Sputnik“ verboten. Nun musste selbst die FDJ-Führung konstatieren, dass unter Jugendlichen „Debatten zu Fragen des Verhältnisses von Demokratie und Machtausübung“ ausbrachen (zit. n. ebenda, S. 246). Heftige Reaktionen gab es vor allem an Hochschulen und Universitäten, wo selbst FDJ-Gruppen offen Protest anmeldeten (vgl. ebenda, S. 246).
Die Analysen des ZIJ, das Ende 1988 einen explosiven Ausbruch voraussah, wurden weiter ignoriert. Das Institut hatte einen starken Rückgang der Leistungsmotivation, zunehmende Westorientierung und heftige Kritik an der Informationspolitik und der fehlenden Demokratie sowie auch an der FDJ bemerkt (vgl. ebenda, S. 249/250). Die Studien dokumentierten die „Verfallserscheinungen der politischen Einstellungen so eindringlich, dass am nahe bevorstehenden Zusammenbruch des Systems kein Zweifel mehr bestehen konnte“, schrieb der damalige ZIJ-Leiter Walter Friedrich nach der Wende (FRIEDRICH in: HENNIG/FRIEDRICH (Hg.), 1991, S. 17).
Um sich einen Resteinfluss zu wahren, versuchte die FDJ seit Anfang 1989 zaghaft, der zugespitzten Situation Rechnung zu tragen. In internen Schriftstücken wurden die Probleme benannt, am Auftreten des Verbands änderte sich jedoch wenig. Ende Februar 1989 dominierte erstmals eine selbstkritische Sicht das Protokoll einer Zentralrats-Tagung: Einer realen Lageeinschätzung über das Denken und Handeln der Jugendlichen sei ausgewichen worden, „Wunschvorstellungen“ hätten das Bild bestimmt (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 252/253). Zum Pfingsttreffen vom 12. bis 15. Mai wurden dann dennoch Hunderttausende Jugendliche nach Berlin geholt, um wimpelschwenkend an Honecker und seiner Führungsriege vorbeizuziehen. Aber die Proteste wurden landesweit stärker, nachdem die Kommunalwahlen am 7. Mai offensichtlich gefälscht worden waren und die SED Anfang Juni ihre Unterstützung für die blutige Niederschlagung der Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking signalisierte. Unmittelbar nach dem Pfingsttreffen brachen die ersten DDR-Bürger, vor allem Jugendliche, nach Ungarn auf, wo die Regierung die Grenze zu Österreich öffnete. Während Honecker nach einer Operation ans Bett gefesselt war und die SED weitgehend führungslos agierte, schwoll der Flüchtlingsstrom immer weiter an (vgl. ebenda, S. 254/255).
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- Citation du texte
- Felix Mannheim (Auteur), 2006, Medien in der DDR und Mechanismen der Eliterekrutierung. Das Zusammenspiel von FDJ, SED und Zeitungen im Nomenklatursystem der DDR, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74527
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