Im Film ATASH entsteht die Authentizitätswirkung am stärksten in der Darstellung der Figuren, deren Spiel von subjektiven Emotionen und Konflikten geprägt ist. Bevor ich sie in einem weiteren Schritt charakterisiere, werde ich die Authentisierungsstrategien Tawfik Abu Waels näher erklären. Die Skizzierung der filmischen Ästhetik ermöglicht anschliessend Waels Film ATASH auf die Authentizität seiner Figuren hin zu untersuchen. Am Schluss der Seminararbeit sollen auf der Basis der Auseinandersetzungen mit Figurenkonstellationen im Film Schlüsse auf die Authentizität der Figuren als Spiegel der palästinensischen Gesellschaft gezogen werden, und es soll nach der gesellschaftlichen Funktion des Mediums Films gefragt werden
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Regisseur Tawfik Abu Wael
1.2 Film ATASH – Produktionskontext und Plot
1.3 Plot des Films
2 Authentizität im Film
2.1 Etymologie und Geschichte
2.2 Der Effekt filmischer Authentizität
3 Exkurs: Ehrenmord
4 Die Figuren in ATASH – Schlüssel zu den Strukturen der Gesellschaft
4.1 Waels Authentisierungsstrategien
4.2 Figuren
4.3 Figurenkonstellation
5 Filmsprache
6 Fazit und Ausblick
7 Filmografie
8 Bibliografie
1 Einleitung
Meine erste Begegnung mit dem Film ATASH/Durst war im März 2006 im Kino der Reitschule Bern, noch einen Monat bevor das Hauptseminar „Palästinensische Filme“ an der Universität Zürich anfing. Ich wurde von der Schönheit der kargen, perfekt komponierten Bilder im grossen CinemaScope-Format, von bedeutungsvollen Lichteffekten, den spannenden dramatischen Situationen und Konflikten und vor allem von den authentisch wirkenden Figuren, ihren Blicken, Gesichtern und ihrer Körpersprache in den Bann gezogen. Im Laufe des Seminars erinnerte ich mich immer wieder an die Familie Shukri und nahm sie als Spiegel der palästinensischen Gesellschaft wahr. Woran mag das liegen? Meine Untersuchungen zum Film haben gezeigt, dass auf allen Ebenen der filmischen Produktion Anstrengungen unternommen wurden, um den Film und die Figuren glaubwürdig und emotional wirken zu lassen. Der Regisseur Tawfik Abu Wael hat bereits beim Schreiben des Drehbuchs beschlossen, mit Laien-darstellerInnen zu arbeiten; dies weil seiner Meinung nach jeder Mensch ein Schauspieler sein könne und Laiendarsteller zudem mehr Ausdruckskraft aufwiesen. Nach intensiver Überzeugungsarbeit und langwieriger Suche konnte er schliesslich die Rollen mit einheimischen und zum Teil sogar mit ihm verwandten Personen aus seinem Heimatsort Um El-Fahim (Mutter der Kohle) besetzen. Dazu verbrachte er dort mehr als ein Jahr. Dass es im Vergleich der nichtfilmischen mit der filmischen Realität Abweichungen gegeben hat, ist nicht verwunderlich, da es sich letztlich um einen fiktionalen Film handelt und nicht um einen Dokumentarfilm. Einen Dokumentarfilm zu drehen lag auch nicht in der Absicht des jungen Regisseurs: Er wollte vielmehr eine Art Drama machen, eine moderne Tragödie, welche die problembehaftete palästinensische Gesellschaft von innen heraus zeigt und die Mechanismen des Zwischen-menschlichen erzählt. Der authentische Drehort, ein ehemaliger israelischer Truppen-übungsplatz, stellt den Rahmen dar. „Bis 1948 gehörte das Land, auf dem der Übungsplatz gebaut wurde, der Bevölkerung von Um El-Fahim, danach wurde es vom Staat Israel konfisziert. Nach gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der israelischen Armee und der Bevölkerung von Um El-Fahim musste die Armee 1998 die Übungen einstellen. Heute ist der Ort verlassen“.[1]Im Film ist Abu Shukri immer noch überzeugt, dass er rechtmässig auf dem Boden Palästinas wohnt, wozu der Helfer aus dem Dorf meint: „You are fucking with an ancient dick“.
Der Plot des Films hat eine klassische narrative Struktur, die auf die klassische arabische Poesie zurückzuführen ist: „Es geht Vers für Vers, jede Einstellung existiert für sich selbst, ist eine eigene Geschichte“.[2]Die theoretischen Texte von Christian Metz zur Semiologie des Filmes können als decodierender Schlüssel für die arabische Poesie und das Medium Film aufgefasst werden: „Eine Erzählung hat einenAnfangund einEnde, wodurch sie sowohl von der übrigen Welt abgegrenzt als auch der „realen“ Welt gegenübergestellt wird“ (Metz 1972, 37).
Die hier anzustellenden Überlegungen zu den Authentisierungsstrategien im Film ATASH orientieren sich an dem aktuellen und heutzutage auch umstrittenen Konzept der „Authentizität“. Die Seminararbeit will auf die Frage eingehen, inwiefern die Authentizität der Figuren im Film ATASH ein Erkenntnisinstrument der gesellschaftlichen Probleme der Palästinenser sein kann.
Was ist Authentizität? Wie entsteht dieser Effekt im Film? Wieso wirken die Figuren echt, glaubwürdig? In einer ersten Annäherung werde ich zunächst den Effekt filmischer Authentizität auf einer theoretischen Grundlage erörtern. Im nächsten Schritt soll das Konzept der „Ehre“ und der daraus folgende widersprüchliche Begriff „Ehrenmord“ im arabischen Kulturkreis diskutiert werden, dessen sozialer, historischer, kulturwissenschaftlicher Kontext den Baustein der Authentizitätskonstruktion im Film darstellt: „Die authentisierende Spur, die man auf den Bildträgern zu erkennen meint, sie muss zuvorderst kulturell (und nicht technisch) generiert werden, um lesbar zu erscheinen” (Wortmann 2003, 222). Deshalb wird im Hauptteil der Arbeit ein Exkurs zum Phänomen des Ehrenmords eingebettet.
Im Film ATASH entsteht die Authentizitätswirkung am stärksten in der Darstellung der Figuren, deren Spiel von subjektiven Emotionen und Konflikten geprägt ist. Bevor ich sie in einem weiteren Schritt charakterisiere, werde ich die Authentisierungsstrategien Tawfik Abu Waels näher erklären. Die Skizzierung der filmischen Ästhetik ermöglicht anschliessend Waels Film ATASH auf die Authentizität seiner Figuren hin zu untersuchen. Am Schluss der Seminararbeit sollen auf der Basis der Auseinandersetzungen mit Figurenkonstellationen im Film Schlüsse auf die Authentizität der Figuren als Spiegel der palästinensischen Gesellschaft gezogen werden, und es soll nach der gesellschaftlichen Funktion des Mediums Films gefragt werden.
1.1 Regisseur Tawfik Abu Wael
Tawfik Abu Wael wurde 1976 in der palästinensischen Stadt Um El-Fahim in Israel geboren und studierte Filmregie an der Universität Tel Aviv. In den Jahren 1996 bis 1999 arbeitete er im Filmarchiv der Universität und als Lehrer für Schauspiel an der Hassan Arafe Schule in Jaffa. Zudem war er als freier Produktionsleiter und Regisseur tätig und begann Kurzfilme zu drehen, die die gesellschaftlichen Probleme und inneren Konflikte der Palästinenser thematisierten, wie z.B. in DIARY OF A MALE WHORE im Jahr 2001. Dieser Kurzfilm, der von einem männlichen Prostituierten in Tel Aviv erzählt und frei nach der Kurzgeschichte „Das nackte Brot“ von Mohamed Choukri[3]entstand, bescherte ihm internationale Aufmerksamkeit. Bekannt ist auch sein knapp einstündiger Kurzdokumentarfilm WAITING FOR SALLAH EL-DIN, eine ironische Anspielung auf Samuel Becketts Drama „Warten auf Godot“ in dem Tawfik Abu Wael vier verschiedene Palästinenser in Ost-Jerusalem porträtierte. Der im Jahr 2004 realisierte Film ATASH/DURST ist Tawfik Abu Waels erster abendfüllender Spielfilm.
Der Regisseur kennt keine Tabus und versucht auf emotionaler Ebene Wirkung zu erzeugen. Die Welt seiner Figuren ist umschlossen vom Blick des Autorenfilmers und er selbst ist sehr vom Autorenkino beeinflusst und betrachtet seine Filme als persönliche Kunstwerke. Wael ist stark von der Dynamik der neuen Generation unabhängiger arabischer Filmemacher geprägt, deren Kreativität die Kraft hat, die kulturelle Identität einer Nation zu formen. Er stellt radikale individuelle Positionen gegen alle Versuche kollektiver Vereinnahmung und setzt sich ebenso kritisch mit dem Orientbild des Westens auseinander wie mit den gesellschaftlichen Bedingungen in Palästina. Seit dem Ausbruch der zweiten Intifada im Herbst 2000 ist eine Tendenz unter den jungen palästinensischen Künstlerinnen und Künstlern zu beobachten, statt den israelisch-palästinensischen Konflikt ihre Kunst in den Vordergrund zu stellen.
In den letzten dreissig Jahren hatten palästinensische Kulturschaffende ihre Arbeit in den Dienst der Befreiung Palästinas gestellt und als Publikum haben wir gelernt, politische Statements zu erwarten, wenn wir palästinensische Kunst konsumieren.[4]
Die palästinensische „Neue Generation“ sind Leute, die sich zuerst als Künstlerin oder Künstler erklären und erst dann als Palästinenserin oder Palästinenser, oder, wie einige es ausdrücken: „zufällig bin ich auch Palästinenser“. Die Gruppe dieser Künstler ist weder eine Organisation noch eine Bewegung. Es handelt sich vielmehr um ein Phänomen, das zunächst von akademischer Seite als Neue Generation tituliert wurde, wobei der Begriff mittlerweile Eingang in den Sprachgebrauch gefunden hat.[5]Die Werke dieser Filmschaffenden können auch politisch sein. Die neue Kunst ist politische Kunst, eine Kunst, die moralische Kategorien, politische und religiöse Herrschaftsformen reflektiert.
Der Regisseur Tawfik Abu Wael drückt dies wie folgt aus:
Every good film has to be political, but political is how do you look, how do you express, how do you catch the reality, and not just to deal with a political issue. For me a political film is the relation between women und men, between father and son, between family and society, that is for me political.[6]
Die Künstler selbst entscheiden frei, welche Geschichten sie in ihren Werken – sei es Literatur, Film, Musik, Theater oder bildende Kunst – erzählen.[7]Eine Form der Authentizität bezieht sich auch auf die Instanz des Autors, der als Kulturschaffender seinen eigenen Stil entwickelt und eine authentische Form der Vermittlung sucht. Tawfik Abu Wael drückt seine künstlerischen Ansichten auf einer philosophischer Ebene aus: „Durst nach Freiheit, Befreiung, Liebe und Erotik. Durst nach Ästhetik, Klassik, Sophokles, Shakespeare und Dostojewski. Durst nach der kinematographischen Poesie von Bertolucci, Bergman und Tarkowski. Durst nach einem neuen Bewusstsein".[8]
Wie auch Amer Hlehel, mit dem wir im Seminar eine Diskussion führen durften, und Elia Suleiman, dessen Filme wir behandeln haben, sieht er sich als Künstler der Neuen Generation. Seit 1997 arbeitet Tawfik Abu Wael erfolgreich als freier Produktionsleiter und Regisseur.
1.2 Film ATASH – Produktionskontext und Plot
Der Film ATASH ist eine israelische Produktion in Zusammenarbeit mit dem Yehoshua Rabinowitz Tel Aviv Fondation for the Arts - Cinema Project, Hot Vision Ltd. & le soutien financier du Fonds Hubert Bals du Festival International du Film Rotterdam und Atash Partnership. Die Produktionskosten für den Film wurden von israelischen Förderanstalten übernommen, weil der Regisseur Palästinenser mit israelischer Staatsangehörigkeit ist. Die israelische Filmindustrie wird durch private Stiftungen unterstützt, die manchmal auch die Arbeit palästinensischer Filmschaffender fördern. 20% der israelischen Bevölkerung sind Palästinenserinnen und Palästinenser. Um El-Fahim ist die zweitgrösste palästinensische Stadt in Israel, sie war eine Stadt von Köhlern und kann heute als Arbeiterghetto bezeichnet werden. Aufgrund der diskriminierenden Politik des israelischen Staates gegenüber seinen palästinensischen Bürgerinnen und Bürgern hat die Stadt keine Entwicklungsmöglichkeiten, ihre Strukturen sind ländlich. Es gibt keine kulturelle Infrastruktur und kein einziges Kino im Ort. Westliche Stiftungen haben die Förderung des Films abgelehnt, da er keine Symbole des Konflikts wie Soldaten und Checkpoints präsentiert.
Die palästinensischeErzählung[9]gestaltet den Film; der Konflikt ist in der Atmosphäre des Films stets präsent. Die Geschichte des Films ATASH ist in ausschliesslich authentischen Milieus angesiedelt.
Tawfik Abu Wael argumentiert folgendermassen:
Mein Film handelt von Emotionen, von Gefühlen, vom Bewusstsein der palästinensischen Gesellschaft. Und natürlich hat er auch einen politischen Inhalt: wir Palästinenser müssen unsere zahlreichen Probleme bewältigen, um dem Goliath Israel die Stirn zu bieten. Wir haben viele Probleme mit uns selbst, wir haben Depressionen, wir haben Probleme mit der patriarchalischen Kultur und mit dem Sex. All das müssen wir bewältigen, bevor wir uns gegen Israel wenden. Denn Israel ist schuld daran, dass ich nicht existiere, dass ich keine Filme machen kann.[10]
1.3 Plot des Films
Um die Kontroversen rund um diesen Film besser nachvollziehen zu können, möchte ich kurz seine Geschichte skizzieren. Die Familie Shukri besteht aus fünf Mitgliedern: Vater, Mutter, zwei Töchter und ein Sohn leben ein isoliertes und einfaches Leben, produzieren Holzkohle und leiden an Wassermangel bzw. Durst. Das Land worauf sie leben gehört den israelischen Behörden. Immer wenn deren Patrouille vorbeikommt, versteckt man sich im Wald, aus dem sonst Holz hergeschafft wird für den kleinen Kohleofen im Hof. Die Menschen leben illegal hier, geflohen sind sie aber primär nicht vor den Soldaten, sondern vor der eigenen Gemeinschaft und deren engstirniger Moral. Die Tage im Nichts verlaufen eintönig und skurril. Wenn die Familienmitglieder nicht gerade mit der Produktion von Kohle beschäftigt sind, die im Hof in grauen Hügeln vor sich hinschwelt, dämmern sie vor sich hin oder versinken in Erinnerungen an die Vergangenheit. Doch der Durst ist etwas Allgegenwärtiges und Treibendes in der verlassenen Militärbasis, in der sie seit elf Jahren einquartiert sind. Der Vater hat es satt, jeden Tropfen das Regenwasser zu sammeln und beschliesst, endlich eine Wasserleitung zu bauen. Die Mutter findet es unsinnig, da sie lieber ins Dorf, ins normale Leben zurück kehren würde. Die Gründe für die Absonderung der Familie klären sich während mehrerer explosiver und gespannter Konfrontationen innerhalb der Familie allmählich auf. Seinem Sohn Shukri verwehrt der Patriarch kategorisch den Schulbesuch, trotzdem entflieht dieser ab und zu in die Schule. Hamila lebt in ihrer eigenen Welt und spielt mit ihrem selbstgebastelten Instrument, meidet ihren Vater und spricht mit niemandem. Verantwortlich für das zerstörte Familienleben wird Gamila, die ältere Tochter, gemacht. Obwohl wir nicht direkt erfahren, was genau vor elf Jahren geschah, wird doch aus dem Kontext klar, dass sie damals von einem Mann sexuell „belästigt“ worden ist und damit die Ehre der Familie besudelt hat. Gemäss einem im palästinensischen Kulturkreis weit verbreiteten Ehrenkodex und dem gesellschaftlichen Druck hätte der Vater Abu Shukri sie tatsächlich umbringen müssen. So wäre die Ehre der Familie wieder hergestellt worden. Da der Vater eine solche Bluttat nicht übers Herz brachte, wählte er als Ausweg die Flucht mit der ganzen Familie ins Niemandsland und versucht im alltäglichen Leben seine Ordnung und seine Autorität zu wahren, was ihm unter den gegebenen Umständen nicht leicht fällt. Gerade nachdem die Wasserleitung fertig gestellt ist, sprudeln auch die unterdrückten Gefühle, enttäuschten Hoffnungen und die Einsamkeit der Familienmitglieder, die während dieser Zeit in einer fast hermetisch abgeriegelten Welt gelebt haben, plötzlich wieder an die Oberfläche. Nach gewalttätigen Auseinandersetzungen verlässt der Vater die Familie.
2 Authentizität im Film
2.1 Etymologie und Geschichte
Heutzutage stösst der Begriff Authentizität auf zunehmende Beachtung. Für eine filmwissen-schaftliche Auseinandersetzung mit diesem sich „auf der Höhe der Zeit“ befindenden Konzept kann der Blick auf die sprachliche Begriffsbildung und Geschichte nichtsdestoweniger lohnend sein.
Im Laufe seiner Geschichte kam der Begriff Authentizität in multiplen Bereichen zur Anwendung: Recht, Theologie, Philosophie, Musik und Ethnologie. Die etymologische Entwicklung zeigt ihn in differenten semantischen Feldern verankert, wobei viele Bedeutungsfacetten nicht mehr erkennbar, andere erst im Laufe der Zeit hinzugekommen sind (Knaller 2006, 18). Das deutsche Adjektiv „authentisch“ ist dem lateinischen Wort „authenticus“ entlehnt, das vom griechischen „authentikós“ stammt. Auf dieser ältesten Sprachstufe besteht allerdings nur Klarheit über die Etymologie der ersten Wortteils: griechisch `autós` für `selbst`. Die Wurzel des zweiten Bestandteils ist umstritten (Hattendorf 1994, 63). Es stellt eine Ableitung des Substantivs „authéntes“ dar, was wörtlich übersetzt Ausführer, Selbstherr, „jemand, der etwas mit eigener Hand, dann auch aus eigener Gewalt vollbringt, so auch Urheber“ (Knaller 2006, 18) bedeutet, aber auch einen Mörder, genauer den Selbst- oder Verwandtenmörder bezeichnet. Spätlateinisch wird authenticus wie das griechiche Ursprungswort vor allem auf Schriftstücke bezogen (Knaller 2006, 18), wo es die persönliche, urschriftliche Fassung im Gegensatz zur Kopie charakterisiert. Ein schriftlicher Text ist dementsprechend authentisch, wenn er sich auf eine massgebliche Autorinstanz zurückführen lässt. Die Autorisierung suggeriert die Echtheit des Textes durch den Autor, den künstlerischen Schöpfer (Hattendorf 1994, 63). Der englischer Dichter Edward Young (1683 - 1765) setze sich intensiv mit den Problemen der Originalität und Autorität der Werke als argumentative Basis für die Apologie des Kunstsystems auseinander. „Aber warum gibt es so wenig Originale?“ (Young 1977, 21) fragt er rhetorisch in seiner Reihe von Überlegungen zum Thema: Originalschöpfung – Nachahmung.[11]
„Authentisch“ ist eine relativ junge Wortschöpfung und etwa im deutschen Sprachraum erst seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar (Noetzel 1999, 18). Seitdem verbindet sich mit dem lateinischem „authenticus“ der Begriff des Echten, Eigenhändigen, Verbürgten, Ursprünglichen.
Folgt man dem Gebrauch des Begriffs „Authentizität, dann wird deutlich, dass die seit dem 17. Jahrhundert in Westeuropa zu beobachtende Wortverwendung sich von einem allgemeinen Verständnis der Autorisierung von Dingen und Texten zu einer Kennzeichnung für echt gehaltene Repräsentationsverhältnisse wandelt, die schon im Zuge des seit dem 18. Jahrhundert anzutreffenden Gebrauchs des Wortes „Selbst“ und seiner Zusammensetzung (Selbstgefühl, Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung, etc.) schliesslich auch auf Eigenschaften der Individuen Anwendung findet (Noetzel 1999, 11).
Gleichwohl finden sich neben dieser Bedeutung von Autorisierung und Geltung auch schon Verbindungen von Authentizität und Glaubwürdigkeit nicht aufgrund der Personifizierung, sondern aufgrund von bestimmten Funktionen, folgendermassen der, mit der Realität in Übereinstimmung zu stehen, also „wahr“ zu sein: „The portrait [..] was rather a work of command and imagination than of authenticity“[12]stellt Walpole fest. Authentizität korrespondiert hier mit einem getreuen Abbild der Wirklichkeit. Dieser Spiegelcharakter verleiht dem „authentischen“ Zeugnis Glaubwürdigkeit. David Hume (1711 - 1776) spricht beispielweise am Ende des 18. Jahrhunderts in der Kontroverse um die Lyrik Ossians über die angebliche „Authenticity of Ossian`s poems“.[13]Auch Karl Wilhelm Ramler (1725 – 1798) setzt authentisch gleich mit „zuverlässig“ im Sinne wahrheitsgetreuer Aussagen. „Diese Verbindung von „wahr“ und „authentisch“ wird noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem auf Texte, Interpretationen, Kommentare und mündliche Zeugnisse bezogen und bleibt damit im Rahmen des alten philologisch-hermeneutischen Bedeutungskonzeptes“ (Noetzel 1999,19).
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts entstehen neue Bedeutungsinhalte des Begriffs Authentizität. In gegenwärtigen Diskursen wird er als Geltungs- und Wertbegriff verwendet, bezieht sich sowohl auf Objekt- als auch auf Subjektauthentizität und verbindet häufig ästhetische, ethisch-moralische und kognitive Momente. Gemäss Knaller ist Authentizität in der Moderne „kein Zustand, der aus dem einen, wahren, guten, richtigen, schönen Bestimmungsgrund resultiert, sondern Ergebnis eines an einem Ort und zu einer bestimmten Zeit stattfindenden Beglaubigungsprozesses, der garantielos immer wieder einsetzen kann“ (Knaller 2006, 32).
[...]
[1]Produktionsnotizen. In: http://www.mec-film.de/de/content/kino-katalog/atash_(durst)/pressematerial.html, S.3
[2]Interview Iridt Neidharts mit Tawfik Abu Wael, Paris 3.7.2004
In: http://www.mec-film.de/de/content/kino-katalog/atash_(durst)/pressematerial.html
[3]Mohamed Choukri (1935-2003) - der marokkanische Schriftsteller, der als Sohn eines tyrannischen, gewalttätigen Vaters von armer Herkunft spät lesen und schreiben lernt. Während der Hungersnot im Krieg flieht die Familie nach Tanger, wo sie sich ein Auskommen erhofft. Die Hoffnungen zerschlagen sich und aus angestauter Wut über die Enttäuschung, aus Wut aber auch über das unstillbare Weinen von Mohameds Bruder, bringt der Vater diesen mit eigenen Händen um. Die Erfahrungen schreibt Mohamed in den Büchern nieder. Authentizität ist eine erstrangige Qualität von Mohamed Choukris Büchern, eine Qualität allerdings, die den Autor bitter zu stehen kommen sollte. 1983, im Jahr der arabischen Erstveröffentlichung des Buches „Das nackte Brot“, wurde das Buch in Marokko verboten, und sechs Jahre später wurde Choukris Name von islamischen Fundamentalisten auf die berüchtigte Schwarze Liste gesetzt.
In: http://www.g26.ch/marokko_biographie_mohamed_choukri.html
[4]Produktionsnotizen. In: http://www.mec-film.de/de/content/kino-katalog/atash_(durst)/pressematerial.html, S. 3
[5]Ebd.
[6]Im Interview zu seinem ersten langen SpielfilmATASHin DVD Extras, Axiom Films
[7]Produktionsnotizen , S. 3
[8]Ebd.
[9]Ich lehne mich an die folgende Begriffe, welche im Seminar für Filmwissenschaft, Universität Zürich; Lektürekurs: Narratologie - WS 2003/04, Prof. Dr. Margrit Tröhler, protokoliert worden sind.
Fabula: story/ frz. histoire -Geschichte von a-z, d.h. Erzählstoff, chronologischer Ablauf, Diegese ist kausal organisiert, (offen oder geschlossen) (Begriff der Diegese ist umfassender als die Fabula. Diegese>Fabula)
Syuzhet:plot/ frz. récit/ Erzählung -Art des Aufbaus, Organisation, Struktur. Ausgestaltung der Geschichte unabhängig von den Medien.
Style:narration/ Enunziation/ Narration/ Stil-Vermittlung, Art und Weise der medienspezifischen Erzählung.
In :Bordwell, David: Narration in the Fiction Film, The University of Wisconsin Press, 1985, S. 49-51
[10]Porträt des palästinesischen Filmemachers Tawfik Abu Wael.
In: http://www.arte.tv/de/kunst-musik/ARTE-Kultur/744310.html
[11]Vgl. Edward Youngs Gedanken über die Originalwerke. Zuschrift an den Herrn Heinrich Adolph Grafen von Brühl. In einem Schreiben an Samuel Richardson (Leipzig 1760). Heidelberg, 1977, S. 21
[12]Walpole, Horace: Vertue`s Ancedotes of Painting in England, Band 1, London: Sonnenschein, 1888 , S. 53
[13]Hume, David: The Philosophical Works – Vol. 4, Essays Moral, Political und Literary, ed. By T.H. Green/ T.H. Grose, London 1882, S. 415
- Citar trabajo
- Laima Maldunaite-Christ (Autor), 2007, Die Authentizität der Figuren im Film ATASH von Tawfik Abu Wael als Spiegel der palästinensischen Gesellschaft, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74429
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