Der folgende Beitrag stellt eine Übersicht über die Situation von Zwangsarbeitern während der Kriegs- und Nachkriegszeit in Stadt und Kreis Herford dar. Hierbei ist ein besonderer Schwerpunkt auf den öffentlichen Umgang der Nachkriegsbevölkerung mit der Zwangsarbeiterproblematik gelegt. Als Quellenmaterial wurde der Aktenbestand des Kommunalarchivs Herford, sowie der Bestand des Stadtarchivs Detmold herangezogen. Unter der verwendeten Sekundärliteratur sind die Forschungsberichte der Geschichtswerkstatt Arbeit und Leben DGB/VHS, herausgegeben von Helga Kohne und Christoph Laue, hervorzuheben.
Zunächst soll ein allgemeiner Überblick über den Themenkomplex der NS-Zwangsarbeit gegeben werden. Mit ihm wird der Versuch unternommen, die Charakteristika des NS-Zwangsarbeitereinsatzes herauszuarbeiten, wobei insbesondere auf die Entwicklung während des Krieges und die Unterschiede unter den verschiedenen, hier der Einfachheit halber mit dem Sammelbegriff „Zwangsarbeiter“ bezeichneten Gruppen eingegangen wird.
In einem zweiten Abschnitt geht es uns um die Aufarbeitung statistischer Daten aus Stadt und Landkreis Herford. Neben der Datenlage wird insbesondere auf die Verteilung, Unterbringung und Soziale Situation der Zwangsarbeiter, sowie auf die Lagersituation bei Kriegsende eingegangen. Es findet sich auch das Beispiel eines Lebensweges durch die Zwangsarbeit. Dieser Abschnitt soll einen geschlosseneren Überblick über die Situation der Zwangsarbeiter im Herforder Raum ermöglichen, als dies durch die hier digitalisiert vorliegenden Dokumente gestattet ist.
Ein dritter Abschnitt geht auf den öffentlichen Umgang mit ehemaligen Zwangsarbeitern in der Nachkriegszeit ein. Nach einem allgemeinem Teil werden Beispiele aus Stadt und Landkreis Herford vorgestellt, die deutlich machen können, wie sehr auch hier eine abwehrende Haltung gegenüber einer Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Allgemeinen und den ehemaligen Zwangsarbeitern im Besonderen, verbreitet war.
Inhalt
Einleitung
1. Zwangsarbeit im Nationalsozialismus - ein allgemeiner Überblick
2. Statistische Daten zur Zwangsarbeit in Herford 1940 bis 1946 - eine Auswertung
2. 1. Datenlage
2. 2. Verteilung
2. 3. Entlohnung
2. 4. Unterbringung
2. 5. Soziale Situation
2. 6. Lagersituation bei Kriegsende
2. 7. Beispiel eines Lebensweges durch die Zwangsarbeit: Klara Bulyghina
3. Der öffentliche Umgang mit ehemaligen Zwangsarbeiter in der Nachkriegszeit
3. 1. Problemstellung / Allgemeine Anmerkungen
3. 2. Der öffentliche Umgang mit ehemaligen Zwangsarbeitern in Herford
Einleitung
Der folgende Beitrag stellt eine Übersicht über die Situation von Zwangsarbeitern während der Kriegs- und Nachkriegszeit in Stadt und Kreis Herford dar. Hierbei ist ein besonderer Schwerpunkt auf den öffentlichen Umgang der Nachkriegsbevölkerung mit der Zwangsarbeiterproblematik gelegt. Als Quellenmaterial wurde der Aktenbestand des Kommunalarchivs Herford, sowie der Bestand des Stadtarchivs Detmold herangezogen. Unter der verwendeten Sekundärliteratur sind die Forschungsberichte der Geschichtswerkstatt Arbeit und Leben DGB/VHS, herausgegeben von Helga Kohne und Christoph Laue, hervorzuheben.[i]
Zunächst soll ein allgemeiner Überblick über den Themenkomplex der NS-Zwangsarbeit gegeben werden. Mit ihm wird der Versuch unternommen, die Charakteristika des NS-Zwangsarbeitereinsatzes herauszuarbeiten, wobei insbesondere auf die Entwicklung während des Krieges und die Unterschiede unter den verschiedenen, hier der Einfachheit halber mit dem Sammelbegriff „Zwangsarbeiter“ bezeichneten Gruppen eingegangen wird.
In einem zweiten Abschnitt geht es uns um die Aufarbeitung statistischer Daten aus Stadt und Landkreis Herford. Neben der Datenlage wird insbesondere auf die Verteilung, Unterbringung und Soziale Situation der Zwangsarbeiter, sowie auf die Lagersituation bei Kriegsende eingegangen. Es findet sich auch das Beispiel eines Lebensweges durch die Zwangsarbeit. Dieser Abschnitt soll einen geschlosseneren Überblick über die Situation der Zwangsarbeiter im Herforder Raum ermöglichen, als dies durch die hier digitalisiert vorliegenden Dokumente gestattet ist.
Ein dritter Abschnitt geht auf den öffentlichen Umgang mit ehemaligen Zwangsarbeitern in der Nachkriegszeit ein. Nach einem allgemeinem Teil werden Beispiele aus Stadt und Landkreis Herford vorgestellt, die deutlich machen können, wie sehr auch hier eine abwehrende Haltung gegenüber einer Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Allgemeinen und den ehemaligen Zwangsarbeitern im Besonderen, verbreitet war.
1. Zwangsarbeit im Nationalsozialismus - ein allgemeiner Überblick
Im Verlauf des 2. Weltkrieges sind mehr als 10 Mio. Menschen - in überwiegender Mehrheit gegen ihren Willen und zunehmend unter Gewaltanwendung - zum „Arbeitseinsatz“ im Dritten Reich verpflichtet worden.
Während immer mehr gesellschaftliche Gruppen nach und nach aus der Öffentlichkeit verschwanden, sich der millionenfache Mord an den Juden und die Verbrechen an der Bevölkerung in den besetzten Gebieten weit entfernt abspielten, unterschied sich der NS-Zwangsarbeitereinsatz hiervon dadurch, dass, um mit Ulrich Herbert zu sprechen, „die Ausländischen Arbeitskräfte gerade nicht ausgesondert und weggebracht, sondern nach Deutschland, mitten in den Alltag der deutschen Bevölkerung hinein deportiert”[ii] wurden.
Wenn sich hier auch bereits ein bedeutendes Charakteristikum des NS-Zwangsarbeitereinsatzes erkennen läßt, so stellt sich die NS-Zwangsarbeiterpolitik dennoch keineswegs einheitlich dar. Sie vollzog sich stattdessen - wie dies für das NS-System insgesamt charakteristisch ist - in einem Spannungsfeld widerstreitender Interessen und konkurrierender Kompetenzen und muß immer auch als Resultat zeitgebundener, z. T. pragmatischer und opportunistischer Motive gesehen werden.
So stellt auch der Begriff der „Zwangsarbeit“ eigentlich eine unzulässige Verallgemeinerung der unterschiedlichen Formen von Rekurtierung, Status und Einsatz der ausländischen Arbeitskräfte dar. Mit Mark Spoerer lassen sich zunächst vier Grundformen der Rekrutierung unterscheiden, nämlich „(1) die reine Werbung, (2) Werbung mit maßgeblicher Beeinflussung der Existenzbedingungen, (3) Konskription, also die Aushebung ganzer Jahrgänge [...] und (4) Deportation durch willkürliche Gewaltanwendung [...].“[iii] Mit allen notwendigen Einschränkungen, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann, läßt sich feststellen, dass die Anwendung dieser Methoden sukzessiv erfolgte, die deutschen Behörden also während des Kriegsverlaufs von reiner Werbung nach und nach übergingen bis hin zu gewaltsamen Deportationen.
Hier stellt das Jahr 1942 mit der Ernennung Fritz Sauckels zum „Generalbevollmächtigtem für den Arbeitseinsatz“ und der Übernahme des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion durch Albert Speer in gewisser Weise einen Wendepunkt dar. Während bis 1942 der Großteil der ausländischen Arbeiter in Deutschland aus Kriegsgefangenen und Freiwilligen bzw. Semi-freiwilligen bestand und der Begriff der „Zwangsarbeit“ für diese Zeit insofern problematisch ist, wurde die Anwerbung nun systematisch auf Zwangsmaßnahmen umgestellt. Auch die Dimensionen des Zwangsarbeitereinsatzes nahmen eine bis dahin ungekannte Größe an, so dass das Jahr 1942 zum Jahr der größten Deportation von Arbeitskräften, vornehmlich aus dem Operationsgebiet der deutschen Wehrmacht im Osten, wurde.
Auch hinsichtlich ihres Status unterschieden sich die Zwangsarbeiter deutlich. So lag die NS-Rassenskala auch der rechtlichen und faktischen Behandlung der ausländischen Arbeitskräfte zugrunde. Am untersten Ende standen mit den sogenannten „Ostarbeitern“ und den polnischen Abreitskräften die „slawischen Untermenschen“, deren Lebensbedingungen in der Regel die schlechtesten waren. Arbeiter aus Westeuropa genossen hingegen bessere Bedingungen, dies galt auch für Arbeiter aus verbündeten oder befreundeten Staaten, wie zum Beispiel für Italiener (bis 43) und deutschlandfreundliche Ukrainer.
Ebenso müssen Unterscheidungen hinsichtlich des Einsatzortes der Zwangsarbeiter getroffen werden. In der Landwirtschaft, in der es teilweise, vor allem in Gebieten mit langer Wanderarbeitertradition, sogar zum „Familienanschluss“ kam, herrschten allein schon aufgrund der sichergestellten Lebensmittelversorgung bessere Bedingungen, als in der Industrie. Hier spielte wiederum die Größe des Betriebes eine nicht unerhebliche Rolle. Im Allgemeinem verschlechterten sich die Lebensbedingungen, je größer die Betriebe und je anonymer die Arbeitsverhältnisse waren.
Neben diesen Faktoren hingen die Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter jedoch auch - und dies vielleicht sogar im höchsten Maße - vom persönlichem Umfeld, d. h. von den Menschen ab, mit denen sie im Arbeitsalltag Kontakt hatten.
Die Verfolgung einzelner Lebenswege wie auch die amtlichen Dokumente der Zeit machen deutlich, dass das individuelle Erleben dieser Zeit zum Teil durch humane Aspekte, die im Gegensatz zur politischen Ideologie standen, geprägt worden ist. Dennoch war die Gesamtsituation ein erdrückendes Bild menschlicher Entwürdigung (kennzeichnende Beispiele liefern hier die Dokumente zum “Vorgang Bastian” [D1359-1,2,3] oder kontrastierend “Klara Bolyghina” [StA II / 1,7].).
Diese Situation löste sich jedoch zum Ende des Krieges 1945 für viele Zwangsarbeiter nicht in einer glücklichen Heimkehr, sondern war der Beginn einer neuen Odyssee. Während der Großteil der Arbeiter aus Westeuropa in den ersten Nachkriegswochen in ihre Heimatländer zurückkehrte, gestaltete sich die Repatriierung der Arbeiter aus Osteuropa nicht nur aufgrund der schwierigen Transportlage problematisch.
Mit seinem an alle Truppenteile ausgegebenen Befehl Nr. 270 hatte Stalin im August 1941 sämtliche in Gefangenschaft geratenen Rotarmisten als Vaterlandsverräter bezeichnet, die „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu vernichten“[iv] seien. Aber auch zivile Zwangsarbeiter, selbst diejenigen, die eindeutig unter Gewaltanwendung nach Deutschland gebracht worden waren, mußten die Brandmarkung zum Kollaborateur und eine massive Verfolgung durch das sowjetische Regime befürchten, die sich von den obligatorischen Geheimdienst-Verhören über erneute Deportationen in stalinistische Arbeitslager bis hin zu den Exekutionen von mehr als 150.000 mit dem Feind in Berührung gekommener Rotarmisten in den „Überprüfungs-Filtrationslagern“ des NKVD erstreckte.
So nimmt es nicht Wunder, dass viele Zwangsarbeiter aus den Gebieten der Sowjetunion einer Repatriierung nicht zustimmten, gleichwohl jedoch unter Anwendung massiver Zwangsmaßnahmen in die „Heimat“ zurückgeschickt wurden - eine Politik, die die Westalliierten erst im September 45 aufgaben. Für den Herforder Bereich ist die Dokumentation zu den Jahren 1946 bis etwa 1950 allerdings sehr fragmentarisch und aus organisatorischen Gründen nach dem Kriege dem Stadtarchiv Detmold [StA Dt M1 IR M10] zugeordnet worden.
2. Statistische Daten zur Zwangsarbeit in Herford 1940 bis 1946 - eine Auswertung
2. 1. Datenlage
An dieser Stelle werden sollen nun Unterlagen aus dem Herforder Bereich ausgewertet werden [KAH StA II /1-7; D535; und D1361]. Die Probleme der Auswertung sind einerseits in der Vielzahl der Dokumente, und andererseits in der Interpretation von Mehrfachdokumentationen und Zuordnungen zu sehen.
Im Kommunalarchiv Herford sind unter dem Stichwort „Zwangsarbeiter“ mehr als 20.000 Dokumente einsehbar, die jedoch sehr unterschiedlichen Kategorien zuzuordnen sind, und für unser Anliegen zunächst auf Transportunterlagen zu reduzieren waren. Diese sind im wesentlichen in den Akten StA II / 1-7 finden. Hieraus ergeben sich insgesamt im Kreis Herford 5181 registrierte Zwangsarbeiter. Als Vergleich die Daten der Veröffentlichung der Forschungsberichte der Geschichtswerkstatt Herford, die hier 5400 Zwangsarbeiter aus dem verwendeten Datenbestand ausweist[v]. Grund für die Differenz können unterschiedliche Datenbestände oder Doppeldokumentationen in den Beständen sein. Wenn man davon ausgeht, dass dieser Tatbestand keinen Einfluß auf die relative Zuordnung von Gruppenschlüsseln hat, sind die folgenden Aufstellung als relevant anzusehen.
2. 2. Verteilung
Aus den Unterlagen geht hervor, dass die Zuweisungen nicht kontinuierlich erfolgten und im Jahr 1942 ein Maximum erreichten. Diese Feststellung ist insofern interessant, als sie die Vermutung nahelegt, dass ein weiter Teil der in Herford eingesetzten Arbeiter nicht zu dem unzweifelbar als „Zwangsarbeiter“ zu bezeichnenden Personenstamm gehört, der nach der Zäsur in der NS-Zwangsarbeiterpolitik 1942 nach Deutschland gekommen ist (wenn auch die reale Situation vor Ort natürlich eindeutigen Zwangscharakter hatte). Für Interessierte hier ein Link auf die verwendete Basis- Datenbank Excel File [Zwangsarbeiter in Herford] mit Auswertungsvarianten. (Diagramm: >Gefangenentransporte von 1940 bis 1946<; Dokument: >Kriegsgefangene< [StA II / 4]).
[...]
[i] Helga Kohne u. Christoph Laue (Hg.), Mariupol - Herford und zurück: Zwangsarbeit und ihre Bewältigung nach 1945, Bielefeld 1995, sowie: Dies. (Hg.), Deckname Genofa. Zwangsarbeit im Raum Herford 1939-1945, Bielefeld 1992.
[ii] (Herbert. Fremdarbeiter 99, 413
[iii] Spoerer, Mark, Zwangsarbeit im Dritten Reich, Verantwortung und Entschädigung, in: GWU 51 (2000), 508-527. Hier S. 511.
[iv] Goeken-Haidl, Ulrike, Repatriierung in den terror? die Rückkehr der sowjetischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen in ihre Heimat 1944-1956, in: Dachauer hefte 2000, J. 16, N. 16, S. 190-210, hier S. 200.
[v] Helga Kohne u. Christoph Laue (Hg.), Mariupol - Herford und zurück: Zwangsarbeit und ihre Bewältigung nach 1945, Bielefeld 1995, sowie: Dies. (Hg.), Deckname Genofa. Zwangsarbeit im Raum Herford 1939-1945, Bielefeld 1992.
- Citation du texte
- Florian Beer (Auteur), 2001, Zwangsarbeit im Herforder Raum und ihre Bewältigung nach Kriegsende, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74331
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