Sich in verschiedene Sichtweisen hineinversetzen zu können und von einem Problem betroffene Menschen konstruktive Unterstützung zu gewährleisten, wobei empathisches Handeln immer im Vordergrund stehen soll, gilt als ein Anspruch der Sozialen Arbeit. Sollen dabei noch verschiedene Familienebe-nen im Blickwinkel bleiben, wie es bei Pflegeverhältnissen in der Regel der Fall ist, wird das Bedürfnis nach Struktur immer größer. Um einen Überblick über alle Anliegen einzelner Familien, die plötzlich miteinander im Zusammenhang stehen, bewahren zu können, bedarf es Übung und der Fähigkeit einzelne Auswertungen miteinander in Verbindung zu bringen.
Die vorliegende Arbeit soll einen Einblick in verschiedene Wahrneh-mungen unterschiedlicher Perspektiven eines Pflegeverhältnisses ermöglichen. Durch den offenen explorierenden Charakter der Themenstellung, konnten im Vorfeld keine Schwerpunkte festgelegt werden. Diese zentralen theoretischen Bezüge entwickelten sich erst im Verlaufe der Untersuchung, da nicht abgewogen werden konnte, wie die Interviews und Untersuchungen ablaufen würden.
Gliederung
1. Einleitung
2. Familienformen in Pflegeverhältnissen – erste Grundbegriffe
2.1. Pflegefamilie
2.2. Geteilte Elternschaft oder pathogenes Beziehungsdreieck
2.3. Konkurrierende Pflegefamilienkonzepte
2.3.1. Ersatzfamilie
2.3.2. Ergänzungsfamilie
2.3.3. Gegenüberstellung
3. Untersuchungsdesign
3.1. Erkenntnisinteresse
3.2. Datenerhebung
3.3. Datenauswertung
3.4. Wort zur Einzelfallstudie
4. Ergebnisse der empirischen Erhebung
4.1. Beschreibung der Situation
4.2. Interview der zuständigen ASD-Mitarbeiterin
4.2.1. Besuchskontakte
4.2.2. Biographische Hintergründe
4.2.3. Verhältnisse und Kontakte zur Zeit des Pflegeverhältnisses
4.2.4. Erfahrungen und Empfindungen in Abschnitten des Pflegeverhältnisses
4.3. Interview der leiblichen Mutter
4.3.1. Besuchskontakte
4.3.2. Biographische Hintergründe
4.3.3. Verhältnisse und Kontakte zur Zeit des Pflegeverhältnisses
4.3.4. Erfahrungen und Empfindungen in Abschnitten des Pflegeverhältnisses
4.4. Interview der Pflegemutter
4.4.1. Besuchskontakte
4.4.2. Biographische Hintergründe
4.4.3. Verhältnisse und Kontakte zur Zeit des Pflegeverhältnisses
4.4.4. Erfahrungen und Empfindungen in Abschnitten des Pflegeverhältnisses
4.5. Zusammenhänge / Vergleiche der Interviews
4.5.1. Besuchskontakte
4.5.2. Biographische Hintergründe
4.5.3. Verhältnisse und Kontakte zur Zeit des Pflegeverhältnisses
4.5.4. Erfahrungen und Empfindungen in Abschnitten des Pflegeverhältnisses
5. Zusammenfassung und Fazit
6. Literaturverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
Sich in verschiedene Sichtweisen hineinversetzen zu können und von einem Problem betroffene Menschen konstruktive Unterstützung zu gewährleisten, wobei empathisches Handeln immer im Vordergrund stehen soll, gilt als ein Anspruch der Sozialen Arbeit. Sollen dabei noch verschiedene Familienebenen im Blickwinkel bleiben, wie es bei Pflegeverhältnissen in der Regel der Fall ist, wird das Bedürfnis nach Struktur immer größer. Um einen Überblick über alle Anliegen einzelner Familien, die plötzlich miteinander im Zusammenhang stehen, bewahren zu können, bedarf es Übung und der Fähigkeit einzelne Auswertungen miteinander in Verbindung zu bringen.
Die vorliegende Arbeit soll einen Einblick in verschiedene Wahrnehmungen unterschiedlicher Perspektiven eines Pflegeverhältnisses ermöglichen. Durch den offenen explorierenden Charakter der Themenstellung, konnten im Vorfeld keine Schwerpunkte festgelegt werden. Diese zentralen theoretischen Bezüge entwickelten sich erst im Verlaufe der Untersuchung, da nicht abgewogen werden konnte, wie die Interviews und Untersuchungen ablaufen würden.
Ein Zitat von Francis Paul Wilson (geb. 1946) trifft in diesem Zusammenhang auf einige Beobachtungen zu, die ich auf dem Weg zum Ergebnis dieser Arbeit erfahren habe.
„Ärger, Liebe und Hoffnung haben gemeinsam,
dass sie nur schwer zu kontrollieren sind
und die Art der Wahrnehmung beeinflussen…“
(Paul Wilson)
Ärger, Liebe und Hoffnung spielen in Pflegeverhältnissen oft eine entscheidende Rolle für die Beziehungen aller Beteiligten zueinander. Um diese Verhältnisse näher zu beleuchten habe ich mich für die Wahl dieses Themas entschieden. Die Ergebnisse stimmen in einem Großteil mit meinen Vermutungen überein und es kann gesagt werden, dass die Betrachtung verschiedener Perspektiven so komplex ist, dass man sich als Forscher erst nach Fertigstellung der Gesamterhebung eine eigene Meinung über einen solchen Fall bilden sollte, um sich nicht ungewollt bei Auswertungsschritten parteiisch auf eine bestimmte Seite zu stellen.
Der Aufbau meiner Arbeit kann folgendermaßen skizziert werden. Im 2. Kapitel werden zunächst einige, meines Erachtens wichtige Grundbegriffe, die im Zusammenhang mit Pflegeverhältnissen stehen, dargestellt. Diese werden dann in späteren Teilen der Arbeit vorausgesetzt.
Im 3. Kapitel wird das Untersuchungsdesign vorgestellt. Der Forschungsprozess muss dabei als eine Abfolge von Entscheidungen verstanden werden, da sich bei einem offenen Thema, wie ich es gewählt habe, schwerpunktartige Aspekte erst in diesem Prozess entwickeln lassen. Die Schilderung meines Interesses mit nachfolgender Darstellung der angewandten Methode und dem anschließenden Auswertungsprozess runden dieses Kapitel ab.
Das zentrale 4. Kapitel beinhaltet die Ergebnisse der empirischen Erhebung. Es gibt einen Einblick in die Situationen der jeweiligen Befragten und hat den Anspruch, diese Darstellungen am Ende miteinander zu vergleichen. Wichtige Merkmale, die dieses Pflegeverhältnis kennzeichnen, kommen zum Ausdruck, wobei ich versucht habe, diese spezifischen Aspekte mit generellen Problematiken, die in der Literatur über Pflegeverhältnisse immer wieder beschrieben werden, in Verbindung zu bringen. Bei der Darstellung der einzelnen Wahrnehmungen haben bestimmte Aspekte den Anspruch größere Beachtung zu erfahren, da sie bei allen Befragten Anklang fanden (vgl. Kapitel 2 und 4.1). Durch die geringe Anzahl der untersuchten Interviews können keine Vergleiche zu anderen Pflegeverhältnissen gezogen werden, jedoch war das auch kein gestellter Anspruch an die Untersuchung.
Im 5. Kapitel wird eine kurze Zusammenfassung dargestellt, die die Ergebnisse zusammentragen und durch die ein Fazit gezogen werden soll.
An dieser Stelle möchte ich auch die Grenzen erwähnen, die während der Zeit der Untersuchung und Ausarbeitung aufkamen. Auf Grund der offenen Fragestellung mussten im Laufe des Forschungsprozess Entscheidungen, die die Ergebnisse in bestimmte Richtungen beeinflussten, getroffen werden. Dabei wurden durchaus interessante Aspekte nicht mit eingegliedert, um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen und um die Strukturiertheit beizubehalten, die sich gerade im Auswertungsprozess als eine geeignete herausgestellt hat.
So kam beispielsweise des Öfteren die Frage, nach der Bindungstheorie auf, die ich in einigen Punkten der Auswertung durchaus deutlicher hätte beschreiben können. Jedoch hätte ich damit die Gesamtebene der unterschiedlichen Perspektiven verlassen und in bestimmten Teilen einen Schwerpunkt nur auf einen Befragten gelegt (hier die Beziehung zwischen der leiblichen Mutter und ihrer ältesten Tochter).
Das 2. Kapitel habe ich bewusst etwas kürzer gehalten, um wirklich nur eine Einführung in die einzelnen Grundbegriffe zu geben, die einen laienhaften Leser nicht wegen eventuell auftretender Verständnisprobleme hindern soll, das Schriftstück weiter zu erforschen.
Durch die zeitliche Beschränkung dieser Arbeit wurde außerdem eine weitere Vertiefung in andere, durchaus relevante Grundbegriffe, wie der Bindungstheorie nach Bowlby oder Krisen und Krisenintervention in Herkunftsfamilien, nicht angestrebt.
Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei Herrn Prof. Dr. Wolf für die gute Betreuung und die tatkräftige Unterstützung bei der Verwirklichung dieser Arbeit. Außerdem gilt meiner Familie, meinem Freund und all meinen Freunden Dank für den Beistand und das Bewältigen dieser teilweise nervenaufreibenden Zeit mit mir. Besonders Danke sagen möchte ich auch all meinen Korrekturlesern und meiner ehemaligen Praxisanleiterin, die mir für die Ausführung dieser Arbeit viel Zeit erübrigt hat.
2. Familienformen in Pflegeverhältnissen – erste Grundbegriffe
2.1 Pflegefamilie
Um den Begriff der Pflegefamilie deutlich und transparent zu machen, kann gesagt werden, dass er zur Kennzeichnung des Sozialisationsortes, an dem ein Kind lebt, benutzt wird. In der heutigen Zeit ist es außerdem wichtig, die Frage nach dem gelebten Familienmodell zu beantworten. Nach Blandow ist es irrelevant, ob es sich „um eine Familie im üblichen Sinne oder um eine andere privat organisierte Lebensform zwischen Erwachsenen und Kindern handelt“ (Blandow 1999, S. 757).
Gesetzlich ist diese Art der Unterbringung außerhalb der Herkunftsfamilie in § 33 KJHG[1] fixiert. Hier wird besonders die Unterbringung, Betreuung und Erziehung eines Kindes in einer anderen Familie hervorgehoben. Nach Münder ist unter einem Vollzeitpflegeverhältnis „die Unterbringung, Betreuung und Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen über Tag und Nacht außerhalb des Elternhauses in einer anderen Familie“ (Münder 1993, S. 262) zu verstehen.
Im Mittelpunkt der Bemühungen stehen grundsätzlich zunächst die Kinder, die zu Pflegekindern werden und die nach dem KJHG in einer anderen, das heißt einer nicht mit ihrer Herkunftsfamilie identischen Familie einen Sozialisationsort erhalten haben (vgl. Blandow 1999, S. 757). Hierbei ist es wichtig zu beachten, dass dieser Ort nicht unbedingt auf Dauer angelegt sein muss. Im Falle eines Dauerpflegeverhältnisses ist davon zwar zunächst auszugehen, jedoch bleibt in einigen Pflegeverhältnissen die Frage der Rückführung offen.
Man kann Pflegefamilien als eine besondere Form der erweiterten Familie ansehen, für die allerdings keine anerkannten Normen vorhanden sind (vgl. Planungsgruppe PETRA 1996, S. 14). Statistische Erhebungen sagen aus, dass es 1999 44000 Pflegekinder gab, von denen ca. 25% in der Verwandtenfamilie und ca. 75% in einer „fremden Familie“ lebten (vgl. Blandow 1999, S. 757).
In den meisten Pflegefamilien, in die ein Pflegekind hineinkommt, gibt es bereits leibliche Kinder. Jedoch zeigen zahlreiche Beispiele aus der Praxis, dass durchaus auch Alleinerziehende, Geschiedene und unverheiratete Paare Pflegefamilien darstellen können.
Die bisherigen Ausführungen dürfen dennoch die Konflikte, mit denen Pflegefamilien stets zu kämpfen haben, nicht außer Acht lassen. Es gibt sehr widersprüchliche Anforderungen an die Pflegeeltern, die nicht selten zu Problemen werden können.
Sie sollen private Erziehung unter öffentlicher Kontrolle leisten, was bedeutet, dass sehr persönliche Daten „veröffentlicht“ werden müssen, um überhaupt als Pflegepersonen in Frage kommen zu können (vgl. Deutsches Jugendinstitut 1987, S. 9). Außerdem soll laut § 37 III KJHG „das Jugendamt den Erfordernissen des Einzelfalls entsprechend an Ort und Stelle überprüfen, ob die Pflegeperson eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen förderliche Erziehung gewährleisten“ kann. Weiter heißt es: „Die Pflegeperson hat das Jugendamt über wichtige Ereignisse zu unterrichten, die das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen betreffen.“. Hierbei ist aus juristischer Sicht anzumerken, dass der Begriff des „wichtigen Ereignisses“ einen so genannten unbestimmten Rechtsbegriff darstellt, der von der Rechtssprechung näher zu konkretisieren ist, um feste Konturen zu erhalten. Die Definition des „wichtigen Ereignisses“ kann für juristische Laien, wie Pflegepersonen, durchaus ein Problem darstellen.
Diese Ausführungen machen deutlich, dass sich Pflegefamilien der Öffentlichkeit öffnen müssen; sei es vor allem dem Jugendamt oder anderen öffentlichen Institutionen gegenüber.
Des Weiteren sollen Pflegeeltern ihre ganze Kraft für ein, in vielen Fällen, verhaltensgestörtes Kind einsetzen, ohne zu wissen, wie lange dieses bei ihnen bleiben wird (vgl. Deutsches Jugendinstitut 1987, S. 9). Hierdurch wird erkennbar, wie undurchsichtig Pflegeverhältnisse gerade in der Anfangszeit sind. Es kann häufig nicht klar gesagt werden, ob die Möglichkeit einer Rückführung besteht; dies bringt, wie es sprichwörtlich heißt, erst die Zeit mit sich (so auch in meiner Untersuchung).
Eine weitere widersprüchliche Anforderung ist die, dass Pflegeeltern mit den Herkunftseltern des Kindes zusammenarbeiten sollen, obwohl gerade diesen Versagen und Erziehungsunfähigkeit, durch die Herausnahme des Kindes, bescheinigt worden ist (vgl. Deutsches Jugendinstitut 1987, S. 9 / § 37 I KJHG). Nicht selten endet diese Anforderung in Rivalitäts- und Konkurrenzgefühlen mit den leiblichen Eltern.
Um dies näher darzustellen, möchte ich in den nächsten zwei Kapiteln auf solche gestörten Beziehungsdreiecke und verschiedene Pflegefamilienkonzepte eingehen.
2.2 Geteilte Elternschaft oder pathogenes Beziehungsdreieck
Um einen generellen Überblick in dysfunktionale Beziehungsdreiecke zu geben, möchte ich im Vorfeld kurz darstellen, welche Ansicht Gudat (1987b) in seinem Aufsatz „Systemische Sicht von Pflegeverhältnissen – Ersatz- oder Ergänzungsfamilie“ über solche Strukturen vertritt.
Demnach ist es durchaus möglich, dass zwischen Familienmitgliedern Allianzen entstehen, unter der Bedingung, dass sie sich gegenseitig gut unterstützen können und gemeinsame Interessen verfolgen. Dieser Form der Paarbildung kann die Koalition gegenübergestellt werden. Sie entsteht nicht primär aus einem Interesse aneinander (wie bei der Allianz), sondern auf Grund eines gemeinsamen Gegners, also anlässlich Bedürfnissen gegen einen Dritten (vgl. Gudat 1987b, S. 48-49). „Solche Koalitionen findet man häufig generationsübergreifend, z.B. ein Elternteil verbündet sich mit einem Kind gegen den anderen Elternteil oder Großmutter und Kind gegen die Mutter etc. Solche Koalitionen verhindern einen befriedigenden Interessenausgleich und stellen eine permanente Quelle von Unbehagen in der Familie dar“ (Gudat 1987b, S. 48).
Außerdem gibt es die Form der Distanz, die als Konflikt bezeichnet wird. Darunter können wir dauernde und ungelöste Konflikte, also „eine Art Feindschaft in der Familie“ (Gudat 1987b, S.48) verstehen, die nicht nur vorübergehenden Charakter haben oder sich als gelegentliche Streitereien äußern.
Gudat berichtet, dass immer wieder Konstellationen gefunden werden, „bei denen zwei in einem Konflikt befindliche Erwachsene beide mit einem Kind eine Koalition eingehen, die sich gegen den jeweils anderen richtet“ (Gudat 1987b, S.48). Diese Struktur kann „pathologisches“ oder „pathogenes Dreieck“ genannt werden, in denen Kinder häufig schwere Krankheiten entwickeln, weil sie sich zwischen zwei Parteien hin und her gerissen fühlen.
Im Weiteren soll dieser Strukturverlauf auf Pflegefamilien übertragen werden.
In Bezug auf Pflegeverhältnisse werden verschiedene Familienkonzepte diskutiert (vgl. Kapitel 2.3 dieser Arbeit), wobei für die Entstehung des pathogenen Dreiecks das Ersatzfamilienkonzept als ausschlaggebend erscheint. Dieses besagt, dass die Pflegefamilie als Ersatz für die Herkunftsfamilie gesehen werden und eine Auseinandersetzung mit dieser nur auf gedanklicher Ebene vollzogen werden sollte, damit sich das Kind von traumatisch geprägten Bindungen lösen kann und in den Pflegeeltern neue Bindungspersonen finden kann.
In der Regel werden die leiblichen Eltern bei einer Unterbringung ihres Kindes in Vollzeitpflege von den Pflegeeltern als Anhängsel an ihr neues Pflegekind gesehen, zu denen sie keinen Kontakt haben und vielleicht auch nicht haben möchten. Nach Gudat sind die Beziehungen der Elternpaare zueinander am ehesten als „Konflikt“ einzuschätzen (Gudat 1987b, S. 53). Es kann davon ausgegangen werden, dass das Kind mit zwei verschiedenen Erwachsenen (meist mit den Müttern an erster Stelle, wobei auch andere erwachsene Bezugspersonen, wie der Pflegevater und der leibliche Vater in diese Strukturen hineinpassen) jeweils eine Koalition eingehen, die sich gegen den anderen richtet. Gleichzeitig ist von einer negativen konflikthaften Beziehung zwischen den Erwachsenen auszugehen (vgl. Gudat 1987b, S. 54). Schumann, die sich eher für eine geteilte Elternschaft ausspricht (1987a) stellt die Hypothese auf, dass es vielleicht weniger die einzelnen Reaktionen von Herkunfts- oder Pflegeeltern sind, „die sich belastend auf das Kind auswirken, sondern der Dauerstress, unter dem das Kind steht, wenn es in die Situation des ‚pathogenen Dreiecks’ gerät“ (Schumann 1987a, S. 61), sobald also die Eltern um das Kind rivalisieren. Oft kommt es in diesen Fällen zu einem Kontaktabbruch, um den bestehenden Konflikt zu entschärfen. Als Lösung kann die damit verbundene Trennung der Kinder von den Herkunftseltern nicht angesehen werden. Vielmehr muss für eine Lösung eine Konfliktbearbeitung der Elternpaare auf der Erwachsenenebene stattfinden, in die das Kind nicht mit einbezogen werden sollte (vgl. Kötter 1997, S. 69).
Einige AutorInnen beschreiben ein verzerrtes Elternbild, welches den Pflegekindern vermittelt wird. Lebensgeschichtliche Hintergründe werden verschleiert oder führen zu Verwirrung, um die Herkunft nicht thematisieren zu müssen. „Entweder (meistens) entwickelt sich ein betont negatives Elternbild, das durch laufende kritische Bemerkungen der Pflegemutter produziert wird … oder das illusionär-positive, sehnsüchtige Elternbild, das die Eltern mit phantastischen, positiven Eigenschaften ausstattet’ (S. 48)“ (Duehrssen zit. in Schumann 1987a, S. 62).
Außerdem ist die Rolle, die die leiblichen Eltern für die Kinder spielen, von Bedeutung. Es wurde in vielen Pflegeverhältnissen ein wachsendes Interesse der Pflegekinder für ihre Herkunftsfamilien beobachtet, was besonders in der Pubertät auftritt. Im Falle eines pathogenen Dreiecks, sind die Auswirkungen oft wesentlich weitreichender, als in Familien, die Kontakte zu den Herkunftseltern pflegen, da sich die Pflegeeltern oft bewusst gegen eine Einbeziehung der leiblichen Eltern entschieden haben und das Kind das Interesse an seinen realen Eltern unterdrücken oder gegebenenfalls verheimlichen muss (vgl. Schumann 1987a, S. 89).
Schumann (1987a) bietet zwei mögliche Strategien an, mit denen man diesem Dilemma, des krankhaften Beziehungsdreiecks, begegnen könnte. Bei der Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen „geht es darum, die eigenen emotionalen Reaktionen zunächst wahrzunehmen und sich dann mit den dahinter liegenden Konzepten, Erwartungen und Befürchtungen auseinanderzusetzen. Nur auf dieser Basis kann es gelingen, eigene Wertungen und (Vor-)Urteile kritisch zu hinterfragen und die eigenen Bedürfnis- und Interessenlagen nicht auf Kosten des Kindes zu realisieren, sondern adäquate andere Lösungen zu finden (Schumann 1987a, S. 91-92).“ Die Strategie des Perspektivenwechsels meint, dass es, wenn zwischen Pflegeeltern und Herkunftseltern „eine strukturell große Kluft in den Lebensbedingungen, -gewohnheiten, -anschauungen und Verhaltensweisen besteht hilft, sich in die Lage des Gegenübers hineinzuversetzen, um vermeintliche negative Reaktionen aus einem anderen Blickwinkel sehen zu können (vgl. Schumann 1987a, S. 93).“
Geraten die Familien eines Pflegeverhältnisses in dieses Beziehungsdreieck, ist es schwer bis unmöglich sich daraus wieder zu befreien, da sich in der Regel dabei ein Aufschaukelungsprozess vollzieht, in dem Wut und Missverständnisse steigern.
2.3 Konkurrierende Pflegefamilienkonzepte
In den vergangenen Jahren wurde in der Literatur das Thema der Pflegefamilienformen häufig diskutiert und einer breiten Öffentlichkeit dargelegt. Es bildeten sich hierbei zwei verschiedene Konzepte aus, das Ersatz- und Ergänzungsfamilienkonzept. Von Bedeutung für diese Entwicklung ist, dass es für ein Pflegekind noch seine Herkunftsfamilie, zumindest einen Elternteil gibt, mit einem Rest von Beziehung zu dem Kind.
2.3.1 Ersatzfamilienkonzept
Das erste Konzept bezieht sich nach Kötter vor allem auf „individuumzentrierte, entwicklungspsychologische Konzepte, d.h. auf die Bindungstheorie von Bowlby (1969, 1973) und auf Aspekte der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie“ (Kötter 1997, S. 1). Die Autoren Nienstedt und Westermann (1999) beziehen sich auf dieses Ersatzfamilienkonzept und stellen damit die Bedeutung der Herkunftsfamilie in den Hintergrund. Sie stellen sich die Frage, wie die Beziehung zur Herkunftsfamilie zu sehen ist, wenn das Kind in die Pflegefamilie eingegliedert werden soll. Ihre zentrale These dazu besagt, die Beziehungen zur Herkunftsfamilie abzubrechen, damit das Kind die Möglichkeit der Integration in die Pflegefamilie erhält. Das erläutert auch das Wort „Ersatz“. Gudat erwähnt, dass dieses Wort etwas „Totales“ und „Vollständiges“ (Gudat 1987b, S. 53) meint und damit also auch keinen Platz mehr für einen „Rest“ aufweist. Nienstedt und Westermann (1999) begründen ihr Familienkonzept mit der anscheinend für sie wichtigen Schlüsselstelle traumatischer Erfahrungen der Kinder mit den leiblichen Eltern. Demnach ist eine Trennung der Kinder mit Mangelerlebnissen von deren Eltern nicht das Trauma an sich, sondern vielmehr die Verarbeitung dieser Mangelerlebnisse.
„In vielen Fällen, in denen ein Kind fremdplaziert wird, besteht das Trauma nicht in der Trennung an sich, d.h. im Verlust von Objektbeziehungen, weil die Eltern-Kind-Beziehungen und die vorherigen Sozialisationserfahrungen viel zu unbefriedigend waren, als dass das Kind überhaupt Liebesbeziehungen hätte entwickeln können. Es ist dann selbst bei sehr kleinen Kindern zu beobachten, dass sie beispielsweise in der Klinik oder im Heim geradezu aufblühen und deutliche Entwicklungsfortschritte machen – in einer Situation also, die bei positiv gebundenen Kindern zu verschärften Trennungsreaktionen, Trauer und einem Entwicklungsstillstand oder gar Entwicklungsrückschritten führen würde (Langmeter u. Matejcek, 1977). Die Traumata, die hier zu verarbeiten sind, liegen in den Erfahrungen vor der Trennung, nicht in der Trennung selbst.“ (Nienstedt, Westermann 1992, S. 157)
Ziel der Ersatzfamilie ist, dass das Kind die traumatischen Erlebnisse in der Pflegefamilie über den Aufbau neuer verlässlicher Eltern-Kind-Beziehungen verarbeiten kann. Die Autoren befürworten zwar die gedankliche Auseinandersetzung mit der Herkunft des Pflegekindes – also die gedankliche Integration der Herkunftseltern – jedoch werden Besuchskontakte, vor allem bei traumatisierten Kindern, strikt abgelehnt. Damit wird eine schrittweise emotionale Ablösung der Herkunftseltern von ihrem Kind angestrebt (vgl. Gudat 1987b, S. 54).
Auch wichtig für meine unten dargestellte Untersuchung sind die Beziehungen von Säuglingen und Kleinkindern zwischen zwei Familien, die ich kurz erwähnen möchte. Die Autoren sagen hierzu, dass das Kind in der Pflegefamilie nur dann eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung erfahren kann, wenn die leiblichen Eltern ihre Elternrolle aufgeben und dem Kind somit die Sicherheit geben, dass es sich in der neuen Familie eine langfristige Perspektive und handfeste Orientierungen zu erarbeiten lohnt (vgl. Nienstedt, Westermann 1992, S. 191).
Aus diesem Konzept kann sich das oben bereits beschriebene Problem des „pathologischen Dreiecks“ entwickeln. Das Kind tritt in diesem Fall mit zwei verschiedenen Erwachsenen in eine Koalition, die sich gegen den jeweils anderen richtet. Die Erwachsenen haben gleichzeitig eine negative, konfliktreiche Beziehung zueinander. Auf ein Pflegeverhältnis übertragen könnte das Pflegekind zur Pflegemutter eine Beziehung haben, die die leibliche Mutter ausschließt, und zur leiblichen Mutter eine Beziehung, die die Pflegemutter ausschließt. Nähert sich das Pflegekind der einen Bezugsperson, besteht die Gefahr, die andere zu verlieren (vgl. Gudat 1987b, S. 53 f.). Sehen die Pflegeeltern die Herkunftseltern des Pflegekindes als Störvariable in ihrer „quasi-leiblichen Familie“ (Kötter 1997, S. 69) und wollen sie die leiblichen Eltern aus dem Pflegeverhältnis ausschließen und Kontakte vermeiden, sind Probleme und Konflikte nahezu vorprogrammiert. Aus vielen Erzählungen von Pflege- und Herkunftsmüttern geht hervor, dass sie Angst hatten, dass die jeweils andere „Mutter“ ihr das Kind wegnehmen oder entfremden könnte (vgl. Kötter 1997, S. 69).
Zum Abschluss möchte ich die Familienstruktur, die aus dem beschriebenen Konzept hervorgeht, darstellen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1.1: Strukturdiagramm einer Pflegefamilie vom Ersatzfamilien-Typ (entnommen aus: Gudat 1987b, S. 53)
2.3.2 Ergänzungsfamilienkonzept
Im Gegensatz zu Nienstedt und Westermann stellt das Deutsche Jugendinstitut das Konzept der Ergänzungsfamilie in den Vordergrund. Aufbauend auf deren Ergebnissen der Untersuchungen (DJI-Studie), also auf der Basis der Bindungstheorie und familientherapeutischen Grundbegriffen, versteht die Erhebung die Pflegefamilie als Ergänzungsfamilie, „die die bisherigen Bindungen oder Beziehungen des Kindes achtet, die nicht den Anspruch hat, alles für das Kind neu und besser zu gestalten, und sich deshalb darauf beschränkt die fehlende Funktionalität der alten Familie zu ergänzen…“ (Gudat 1987b, S. 54). Mit diesem Konzept soll der Bildung des pathologischen Dreiecks entgegengewirkt werden. Gudat (1987a), als Hauptvertreter des Deutschen Jugendinstituts, geht davon aus, dass in den ersten beiden Lebensjahren eine psychologische Bindung zwischen Mutter und Kind aufgebaut wird, die für sein weiteres Leben von enormer Wichtigkeit ist. „Fehlt diese Bindung, ist sie unsicher oder ambivalent, ist die seelische Gesundheit des Kindes gefährdet“ (Kötter 1997, S. 68). Geht diese Bindung durch eine Trennung von der Bezugsperson, wie es durch die Einrichtung eines
Pflegeverhältnisses der Fall sein kann, verloren, treten traumatische Konsequenzen für das Kind auf. Deshalb plädiert dieses Konzept dafür, dass ein Verlust einer Bindungsperson möglichst vermieden werden sollte. Kinder sind in der Lage mehrere Bindungen gleichzeitig einzugehen. Sie bilden zwar mit mehreren Bindungspersonen eine Hierarchie ihrer Bindungen, jedoch so, „dass bestehende Bindungen keineswegs ein Hindernis für das Kind darstellen, eine neue zusätzliche Beziehung einzugehen“ (Gudat 1987a, S. 28).
Der Hauptunterschied einer Ergänzungsfamilie zum Typus der Ersatzfamilie liegt also darin, dass die Pflegeeltern und leiblichen Eltern ein erweitertes Elternsubsystem bilden (vgl. Gudat 1987b, S. 54). Sie haben eine eigenständige Beziehung, in der sie regeln können, wie die Betreuung des Kindes aufgeteilt werden kann, auch wenn die leiblichen Eltern nur einen geringen Teil der Elternfunktion übernehmen (wie Besuchskontakte). Es entsteht auf diesen Hintergründen eine „geteilte Elternschaft“ (Schumann 1987a, S. 88), welche durchaus nicht immer problemlos abläuft. Das Pflegekind hat hierbei, im Gegensatz zum Konzept der Ersatzfamilie, die Möglichkeit positive Beziehungen zu den Pflegeeltern und zu den leiblichen Eltern aufzubauen und zu unterhalten, die „je nach Gegebenheiten unterschiedlich eng sein können“ (Gudat 1987b, S. 55). Das Ergänzungsfamilienkonzept fokussiert also neben den Eltern-Kind-Beziehungen auch die Beziehungen zwischen den Erwachsenen. Im Hinblick zu den Beziehungsebenen der Pflegeeltern, leiblichen Eltern und des Pflegekindes muss außerdem gesagt werden, dass bei Anwendung dieses Konzepts eine Rückführung nicht bereits im Vorfeld ausgeschlossen wird.
Um eine Dreiecksbildung zu vermeiden muss, wie auch von Familientherapeuten außerhalb von Pflegefamilien angewendet, die „Generationengrenze klar eingehalten werden, das Kind muss aus dem Brennpunkt des Konflikts entlassen werden, und der Konflikt muss direkt zwischen den Erwachsenen thematisiert werden, die unmittelbar davon betroffen sind“. Ist dies der Fall, ergibt sich die folgende dargestellte Familienstruktur der Ergänzungsfamilie (Abb. 1.2)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1.2: Strukturdiagramm einer Pflegefamilie vom Ergänzungsfamilien-Typ (entnommen und modifiziert nach: Gudat 1987b, S. 55)
Ziel dieses Ansatzes des Deutschen Jugendinstitut ist, „generell und im Einzelfall eine Balance zwischen dem nötigen Maß an Schutz des Pflegekindes vor Eingriffen seiner Herkunftsfamilie und dem möglichen Maß an Offenheit gegenüber und Einbeziehung der Herkunftsfamilie zu finden“ (1987, S. 362).
Um dieses Konzept umsetzen zu können, ist außerdem die Auswahl der Pflegeeltern wichtig. Sie müssen sich auf ein Elternsubsystem einlassen in dem sie für das Kind die Rolle der „Leiheltern“ einnehmen und gleichzeitig die Herkunftseltern achten und unterstützen.
2.3.3 Gegenüberstellung
In der angeführten Darstellung der Ersatz- und Ergänzungsfamilienkonzepte, ist deutlich geworden, dass Pflegefamilien in unterschiedlicher Weise der Aufgabe einer Hilfe zur Erziehung nachkommen können.
Nämlich als eine auf Dauer angelegte Alternative zur Herkunftsfamilie mit dem Ziel, einen verlässlichen neuen Lebensort für ein Kind zu schaffen und sicherzustellen (Ersatzfamilie) oder als ein für, in einigen Fällen, eine überschaubare Zeit angelegter neuer Lebensort mit dem Ziel, durch gezielte Entwicklung und Stabilisierung des Kindes und der Herkunftsfamilie eine in absehbarer Zeit mögliche Rückführung des Kindes arrangieren zu können, wobei in anderen Fällen die Beziehungsebene zwischen Herkunftseltern und Pflegeeltern im Mittelpunkt steht (Ergänzungsfamilie) .
Als Hauptautoren und Befürworter der Ersatzfamilie sind die Psychoanalytiker Nienstedt und Westermann bekannt. Sie grenzen sich entschieden vom Ergänzungsfamilienkonzept, welches vom Deutschen Jugendinstitut beschrieben wird, ab. Sie bemängeln einige Aspekte, die von der DJI-Studie nicht genug in den Blickwinkel genommen worden seien, wie zum Beispiel elementare entwicklungspsychologische Hintergründe und die Berücksichtigung der Störungen vieler Herkunftseltern, die bei in Pflege genommenen Kindern Ängste auslösen können. Wird eine Beziehung zwischen traumatisierten Pflegekindern und Herkunftseltern aufrechterhalten, so psychoanalytisch orientierte AutorInnen, berücksichtige man lediglich die Interessen der Herkunftseltern, nicht die der Pflegekinder (vgl. Kötter 1997, S. 70 f.).
Demnach müsse man Kindern, die aus solchen belastenden Beziehungen kommen, einen Lebensort zusichern, an dem ihnen „geholfen wird, sich aus zerstörerischer Abhängigkeit von übermächtigen, aber zur Befriedigung kindlicher Bedürfnisse unfähigen Personen zu lösen“ (Blandow 1996, S 57). Es entsteht ein Schonraum für die Pflegekinder, in dem die Bedeutung der Herkunftsfamilie zwar nicht vermieden oder verdrängt wird, in dem jedoch die Verarbeitung der traumatischen Erlebnisse des Kindes weitgehend unter Ausschluss der Herkunftsfamilie abläuft (vgl. Müller-Schlotmann 1997, S. 62).
Systemtheoretisch orientierte AutorInnen, wie Gudat (1987b), gehen in ihrer Befürwortung des Ergänzungsfamilienkonzepts auch auf die Bindungstheorie ein, jedoch ziehen sie andere Konsequenzen hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen Pflegeeltern und Herkunftseltern und der Besuchskontakte zwischen Pflegekind und Herkunftseltern. Kooperationen zwischen den Betroffenen sollen demzufolge eher Loyalitätskonflikten entgegenwirken, als sie zu fördern (vgl. Kötter 1997, S. 71). Sie setzen auf eine Auseinandersetzung mit den realen Eltern, „um ‚überschüssigen’ Phantasien des Kindes über seine Herkunft vorzubeugen“ (Blandow 1996, S. 57). Für dieses Konzept sprechen einerseits sozialisations- bzw. bindungstheoretische, andererseits auch sozialpsychologische Argumente: Kinder sind durchaus in der Lage mehrere Bindungen gleichzeitig einzugehen. Auch geraten Kinder, die keinen Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie halten dürfen, leicht in das oben beschriebene „pathogene Dreieck“, bei dem sich das Kind zwischen Zuneigungen zu Pflege- und Herkunftseltern hin und her gerissen fühlt.
Die beiden Konzepte zu vergleichen erscheint nicht einfach, da sie von unterschiedlichen Ansatzpunkten ausgehen. „Während die Vertreter des Ergänzungsfamilienkonzeptes von einem eher geringen Anteil beziehungsgestörter Herkunftseltern und zerrütteter Herkunftsfamilien ausgehen und die Abgabe in den meisten Fällen als Produkt einer komplexen ‚Wechselwirkung von persönlichen, beziehungsmäßigen und sozialen Faktoren’ (Gudat 1990, S. 49) und einer eingeschränkten, aber verbesserungsfähigen Ausübung der elterlichen Funktionen in der Herkunftsfamilie sehen, wird der Anteil beziehungsgestörter, zur Erziehung unfähiger Herkunftseltern von den Vertretern des Ersatzfamilienkonzeptes als sehr hoch eingeschätzt“ (Kötter 1997, S. 71 f.). Gudat schreibt dazu, dass die Hauptproblematik der bisherigen Familien, deren Kinder in Pflegefamilien untergebracht werden, normalerweise in einer mangelnden Ausübung der elterlichen Funktion liegt (Gudat 1987b, S. 54).
Deshalb erscheint es auch nicht verwunderlich, dass die beiden Konzepte die diskutierten unterschiedlichen Ziele zum Ergebnis haben.
Die Ansätze enthalten trotz verschiedener Ziele Gemeinsamkeiten. So beziehen sie sich durchaus auf die erweiterte Pflegefamilie (der eine mit der gedanklichen Auseinandersetzung und der andere mit der konkreten realen Auseinandersetzung mit der Herkunftsfamilie). Somit wird deutlich, dass sie einer Tabuisierung der Herkunftseltern widersprechen und im Gegenteil dazu eine Thematisierung befürworten, die aufgrund der verschiedenen Ansätze der beiden Konzepte auf verschiedenen Ebenen stattfindet. Die psychoanalytisch orientierten AutorInnen sehen in ihren Vorstellungen durch die Thematisierung der Herkunftsfamilie, eine Ablösung des Kindes von seiner realen Familie und eine Erleichterung im Aufbau von neuen Beziehungen zu den Pflegeeltern, begründet. Systemisch orientierte Vertreter stellen darüber hinaus die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zwischen den „Elternparteien“ und von Besuchskontakten mit dem Ziel, bestehende Bindungen möglichst zu bewahren und damit die Möglichkeit einer späteren Rückführung offen zu halten, in den Vordergrund (vgl. Kötter 1997, S. 73).
Die Gefahr der Entstehung eines pathogenen Dreiecks wird ebenfalls von beiden Seiten angesprochen, jedoch machen sie unterschiedliche Auslöser dafür verantwortlich. Das Ersatzfamilienkonzept führt die Entstehung eines pathologischen Beziehungsdreiecks auf die Beständigkeit einer dysfunktionalen Pflegekind-Herkunftseltern-Beziehung zurück. Im Gegensatz dazu sieht das Ergänzungsfamilienkonzept die Entwicklung des Beziehungsdreiecks in konflikthaften Beziehungen und mangelnden Austausch zwischen den Elternpaaren begründet (vgl. Kötter 1997, S. 73).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass beide Konzepte sich der schwierigen Situation eines Pflegeverhältnisses durchaus in geeigneter Weise annähern. Es werden Besuchskontakte thematisiert, die in vielen Untersuchungen (so auch in meiner) eine wichtige Rolle spielten. So sind in vielen Fällen die systemtheoretischen Meinungen und individuumzentrierten und entwicklungspsychologischen Aspekte von Bedeutung. Die Ansätze können außerdem durchaus für ein Verständnis der möglichen Auswirkungen von Besuchskontakten auf den unterschiedlichen Ebenen der Pflegefamilie nützlich sein.
Als Konsequenz, die sich aus beiden theoretischen Prinzipien ableiten lässt, wäre festzuhalten, dass in der Praxis im Interesse des Kindes eine gemeinsame ergänzende und integrative Vorgangsweise gewählt werden sollte.
Von Jugendämtern sollte eine soweit als möglich vorausschauende Vermittlungstätigkeit im Pflegekinderwesen angestrebt werden. Das würde bedeuten konkret abzuklären, in welcher Funktion eine Pflegefamilie ein Kind aufnehmen soll: als vorübergehende Ergänzungsfamilie mit Blick auf eine eventuelle Rückkehr des Kindes in seine Herkunftsfamilie oder als Ersatzfamilie im Sinne einer langfristigen familiären Integration.
3. Untersuchungsdesign
3.1 Erkenntnisinteresse:
Das Interesse am Thema „Ein Pflegeverhältnis aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet“ kommt in erster Linie aus eigenen Erfahrungen zustande. Durch ein Praktikum im Pflegekinderdienst eines öffentlichen Trägers, wurde ich an die unterschiedlichen Perspektiven von Involvierten verschiedener Pflegeverhältnisse herangeführt. Dabei entstand für mich die Frage, was die Eltern, Pflegeeltern und andere Beteiligte im Laufe der Zeit empfunden haben. Was sie beispielsweise im Momenten, wie der Unterbringung oder bei Besuchskontakten wahrgenommen haben und was sich daraus entwickelte oder veränderte. Meines Erachtens sind Wahrnehmungen oft so unterschiedlich, dass ich diese aus verschiedenen Perspektiven beleuchten möchte. Die subjektive Meinung der Befragten stand bei den Interviews im Vordergrund, wobei ich für eine objektive Sichtweise ein zusätzliches Aktenstudium betrieb.
Da Pflegeverhältnisse oft nur aus einer Perspektive verglichen werden (beispielsweise aus der der Pflegeeltern, oder der Herkunftseltern; vgl. Gintzel 1996), aber eine Integration aller Aspekte in der Literatur nur gelegentlich (in Diplomarbeiten oder Dissertationen) auftritt, hat die Erhebung die Aufgabe, diese verschiedenen Perspektiven zu betrachten und zusammenzuführen.
Betrachtet man das Konzept von GUDAT (Deutsches Jugendinstitut 1987b, S. 38 f.) über Pflegeverhältnisse als Ersatzfamilien oder Ergänzungsfamilien näher, so wird ersichtlich, dass Fähigkeiten der Herkunfts- und Pflegeeltern immer in Verbindung mit einer SozialarbeiterIn stehen, d.h. ausgehend von den persönlichen vorhandenen Strukturen der abgebenden und aufnehmenden Familien muss eine Jugendamtsmitarbeiterin in eine bestimmte Richtung vermitteln. Im oben beschriebenen Fall in die Richtung einer Struktur der Ergänzungs- oder Ersatzfamilie. Man kann also diese „Dreierkonstellation“ bestehend aus Pflegeeltern, leiblichen Eltern und zuständiger SozialarbeiterIn als durchaus wichtig für die Entwicklung des Pflegeverhätnisses und damit für die Entwicklung des Pflegekindes sehen.
Es muss gleichwohl beachtet werden, „dass der Einfluss des Sozialarbeiters auf die Möglichkeiten, wie sich Herkunftseltern und Pflegeeltern arrangieren, nur begrenzt ist“ (Gudat 1987b, S. 59). Trotz dieser begrenzten Aussichten stehen diese Personen in enger Beziehung zueinander. Diese untersuchen und analysieren zu können, habe ich mir zur Aufgabe dieser Erhebung gemacht.
Außerdem spielen Besuchskontakte innerhalb eines Pflegeverhältnisses eine weitere entscheidende Rolle. Eine Folgerung daraus kann aus der Erkenntnis entnommen werden, welches Pflegefamilienkonzept (nach Gudat) vermittelt wurde oder verfolgt wird. Auch in diesem Kontext stellen die drei „Parteien“ eine Gruppe dar, innerhalb welcher sich durch Absprachen einander angenähert werden muss. Im Falle einer Ersatzfamilie stehen die Herkunftseltern in einem gänzlich anderen Verhältnis den Pflegeeltern gegenüber, als beim Konzept der Ergänzungsfamilie. Dabei kann das in Kapitel 2 erwähnte pathologische Dreieck nach Schumann (1987a, S. 61 f.) in den Mittelpunkt des Interesses geraten.
Diese und andere Aspekte sollen im Zentrum meiner Arbeit stehen. Die Akzentuierung kann leicht an die etablierte Diskussion um Lebensweltorientierung in der Jugendhilfe anschließen, da offensichtlich ist, dass ohne ein Interesse für Wahrnehmungen der beteiligten abgebenden und aufnehmenden Familien und Mitarbeitern von Jugendämtern oder freien Trägern eine Lebensweltorientierung unvorstellbar ist.
[...]
[1] Kinder- und Jugendhilfegesetz; im weiteren wird die Abkürzung verwendet
- Arbeit zitieren
- Michaela Kotzlaida (Autor:in), 2004, Ein Pflegeverhältnis aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Eine Einzelfallstudie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74298
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