Die vorliegende Publikation "Beten für den Krieg? Bruder Willram und der "Heilige Kampf" Tirol" basiert auf dem Grundgedanken die Person des in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bekanntesten Tiroler Dichters und meistgefragten Redners und Predigers seiner Zeit, des Priesters Anton Müller (unter dem Pseudonym Bruder Willram bekannt), als pars pro toto für gewachsene Mentalitätsstrukturen weiter Tiroler Bevölkerungskreise rund um den Ersten Weltkrieg vorzustellen. Die Arbeit bedient sich einer argumentativ-qualitativ orientierten, hermeneutisch-deskriptiven und induktiven methodischen Herangehensweise und hinterfragt das von Bruder Willram besonders in seiner Kriegsdichtung vorgestellte deterministische Weltbild eines auf imaginären und konstruierten Traditionen beruhenden "Heiligen Landes Tirol". Die Person Bruder Willrams und sein Schaffen werden vor dem Hintergrund des historischen und geographischen Kontextes in eine Reihe von unterschiedlichen Themenkreise eingebunden (ausgehend von Tirols Bindung an die Katholische Kirche über den Tiroler Freiheitskampf, den Tiroler Kulturkampf, die Instrumentalisierung des Herz-Jesu-Bundes, die Mystifizierung Andreas Hofers, die gezielte Feindbildproduktion, prädestinatorische Kriegstheologie, Kriegspropaganda und Kriegsrealitäten etc. bis hin zur Rezeption des Dichters heute), die vor allem auf einen als entscheidend angenommenen politischen Landeskatholizismus bezug nehmen. Im Zentrum des Erkenntnisinteresses stehen historisch gewachsene ,Grundhaltungen´ im Land Tirol, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer antimodernistischen konservativen Abwehrreaktion formierten, in der Krisensituation des Weltkrieges ihren Höhepunkt erlebten und weit über den Ständestaat hinaus nachwirken.
Ein Gesicht Tirols rund um die Jahrhundertwende wird dargeboten, wobei die wechselseitigen Beziehungen zwischen prägender Struktur und Handelndem, respektive plakativem Repräsentanten, im Vordergrund stehen und auf ihre Wurzeln untersucht werden sollen.
Neben einer erstmalig erstellten umfassenden Biographie Bruder Willrams, basierend auf sämtlichen verfügbaren Quellen zu seiner Person und seinem literarischen Schaffen, soll die Arbeit einen mentalitätsgeschichtlichen Beitrag zum Verständnis des Entstehens von Ängsten, Feindbildern, Radikalismen, Kriegspropaganda etc. und eine Annäherung an Abstrakta wie kulturelle Identität oder spezifische Tiroler Patriotismen rund um den Großen Krieg anbieten.
Inhaltsverzeichnis
TEIL I: EINLEITUNG
1. Einleitende Worte 6
1) Ziele der Arbeit 10
2) Fragen an die Vergangenheit 12
3) Formulierung einer Hypothese (mehrere Einzelthesen) 13
4) Aufbau der Arbeit 13
2. Methodologisches und Vorverständnis 14
1) Persönliches Geschichtsverständnis 14
2) Zur Arbeitsmethodik 15
3. Der Nachlaß Anton Müller im Brenner-Archiv 19
1) Weitere Primärquellen zur Person: 22
TEIL II: BRUDER WILLRAM
1. Biographie 23
1) Kindheit 23
2) Schulzeit 26
3) Kooperatorenjahre 30
4) Italien 33
5) Innsbrucker Jahre 34
6) Tod 41
2. Das literarische Schaffen Bruder Willrams 44
1) Vom Heimat- zum Kriegsdichter 44
2) Zäsur 1918 48
3) Mediale Präsenz 54
4) Episch-Dramatische Versuche 55
3. Ad Namensgebung 57
4. Zur Person Bruder Willrams 59
1) Der Mensch Anton Müller 59
2) Der Redner Bruder Willram 63
A) Veröffentliche Ansprachen und Predigten 64
B) Rhetorisches, Stilmittel, Inhalte 66
1) „Die Symbolik der Arbeiterfahne“ 69
2) „Gut und Blut für unsern Kaiser!“ 70
C) Inhaltliches 73
3) Willram als Politiker 78
4) Der Lehrer Bruder Willram 82 Exkurs: Bruder Willrams Frauenbild 87
5) Bruder Willram der Romantiker 90
TEIL III: DAS BEDROHTE TIROL. WURZELN REAKTIONÄR-KONSERVATIVER MENTALITÄTSSTRUKTUREN
1. Einleitung 93
2. Das ,Heilige Land Tirol’ 95 Tirols Bindung an die katholische Kirche Exkurs: Die Tiroler Diözesaneinteilung 95
3. Die Ängste der Macht 100
1) Dimensionen der Angst 100
2) Die Abwehrreaktion als Aggression 103
3) Masse und Macht 105
4. Politischer Katholizismus im Tirol der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 107
1) Der Tiroler Kulturkampf 108
2) Die Lagerspaltung: Konservative vs. Christlich-Soziale 114
Exkurs Alttiroler - Jungtiroler: 115
Exkurs: Tourismus und Katholizismus 116
A) Bruder Willram und der Bruderzwist 118
5. Machterhaltung und Feindschaftserwartung 120
6. Instrumentarien des Politischen Katholizismus in Tirol 123
1) Die Idyllisierung von Vergangenheit 125
2) Die ,Nation Tirol’ als Ausdruck kultureller Identitäten 126
A) Nationale Identität 126
B) Deutsche Internationalität 128
C) „Immobiles sicut patriae montes“ - Tiroler Selbstverständnis 130
3) Das Bündnis mit dem Herzen Jesu 131
A) Herz-Jesu-Verehrung 131
B) Eine ,Geistliche Waffe’ 133
C) Das Herz Jesu als Abwehrinstrument 136
4) Der Sandwirt-Mythos 139
A) Mythen im Nationalisierungsprozeß 139
B) Der Tiroler Freiheitskampf 140
C) Die Kreation eines Mythos 142
Exkurs: Tirols schwieriges Verhältnis zur Wiener Zentrale 146
D) 1909 - Am Höhepunkt der Hoferverehrung 149
E) Der Abwehrkampf von 1809 und Tirols militärischer Sonderstatus 152
5) Die Tiroler Landesfeiern zwischen 1863 und 1909 156
Exkurs: Tirol und die Habsburger 156
A) 1863: Die Vereinigungsfeier 157
B) 100 Jahre Tiroler Freiheitskampf 158
6) Xenophobie 160
A) Feindbildproduktion 160
B) Der ewige Jude 161
(1) Willram und Antijudaismus 162
C) Die roten Teufel 165
(1) Willram und Marxismus 168
7. Die Techet-Affäre 172
8. Bruder Willrams Katholizismus 175
9. Zusammenfassung 180
TEIL IV: GOTT DER KRIEGSHERR
1. Einleitung 181
2. Der Krieg als Chance 184 Katholische Theologie im Ersten Weltkrieg
3. Katholische Kriegsvorsehungslehre 190
4. Das Herz Jesu im Ersten Weltkrieg 194
5. Die Kriegstheologie in der Praxis: 197
1) Kriegsgebetsbücher 198
6. Zusammenfassung Kriegstheologie: 200
7. Bruder Willrams Heiliger Kampf 201
8. Schadensbegrenzung 206
9. Gott verliert den Weltkrieg 210
10. Anmerkung 213
TEIL V: DER BLUTIGE DICHTER
1. Dichtung und Krieg 215
2. Die unbekannte Wirklichkeit 220
1) Der verhinderte Soldat 221
2) Der Krieger am Schreibtisch und der Soldat an der Front 224
Vergleich von Willrams Phraseologie mit den Kriegseindrücken von Felix Hecht
A) Blut: 225
B) Größe: 228
C) Gott: 230
D) Tirol und Italien: 231
3) Dio in guerra 233 Vergleich Bruder Willrams mit Giosuè Borsi
TEIL VI: "DER FEIGE WELSCHE WICHT"
1. Einleitung 238
2. Die Irredenta 242
3. Deutsche Kultur und welscher Verrat Antiitalienische Kriegspropaganda und -dichtung im Weltkrieg
4. Wider die österreichischen Barbaren Italienische Kriegspropaganda
1) Gabriele D’Annunzio 256
A) Anmerkung zur Rezeption Gabriele D’Annunzios in der Literatur 263
TEIL VII: BILDER VON BRUDER WILLRAM
1. Der Kriegsdichter 265
2. Der verschmähte Dichter Die Zwischenkriegszeit
1) Die Heimkehrerrede 271
2) Karl Kraus und Bruder Willram 276
3) Die späten Zwanziger und Dreißiger Jahre 281
3. Der wiederentdeckte Dichter 285
Die Nachkriegsjahre
4. Bruder Willram heute 289
1) Bruder Willram seit dem Zweiten Weltkrieg 289
2) Die Kindergartenaffäre 293
3) Bruder-Willram-Straßen 301
4) Die Brunecker Stadtgalerie 301
5) Gedenkfeiern und Würdigungen in den letzten Jahren 303
6) Der Bruder-Willram-Bund 304
7) Universitäre Arbeiten über Bruder Willram 315
A) Zur Dissertation von Iris Garavelli über ihren Urgroßonkel Anton Müller 315
TEIL VIII: SCHLUSSTEIL
1. Nachwort 321
2. Testament eines Dichters 325
3. Kurze Anmerkung zur binären Gerechtigkeit 326
Literaturverzeichnis 330
Gedruckte Schriften von Bruder Willram (Anton Müller): 342
Ungedruckte Schriften von Bruder Willram (Anton Müller) aus dem Nachlaß: 343
Primärquellen aus Archiven: 344
Zeitungen und Zeitschriften: 345
Abbildungsverzeichnis 346
Abkürzungen: 347
Curriculum Vitae 348
TEIL I
„ [...] Hei! wie die Schädel krachen,
Die Knochen splittern in dem Handgemenge! Brust gegen Brust! Der welsche Meuchlerdolch, Den Schurkenfaust nach deutschem Herzen zückt,
klirrt dumpf zu Boden; sieh! für Hieb und Stich Ist keine Zeit, denn schon am Halse hängt, Das Leben schnürend wie mit Eisenklammern - Dem Feind der Tod - und würgt und würgt
und würgt Den argen Schelmen die Verräterseele Mit rotem Geifer aus dem Mund; es dampft schon Blut und Schweiß [...] “
(Bruder Willram: „Kampf auf Filmoor“ in: Der heilige Kampf)
1. Einleitende Worte
„Die Kriegspropaganda von 1914-1918 hat immer noch Bedeutung. Schon deshalb, weil man es im heutigen Tirol verabsäumt hat, sich von Personen und Werten, die während des Ersten Weltkrieges maßgebend waren, zu distanzieren.“
(Roner: Kriegspropaganda, Vorwort S. IV)
Anton Müller ist unter dem Pseudonym Bruder Willram neben dem auch heute noch sehr bekannten „Reimmichl“ Sebastian Rieger als der meistgelesene Autor Tirols des beginnenden 20. Jahrhunderts zu bezeichnen. Seine Texte, Lieder und Gedichte wurden mehrfach und in 6 hohen Auflagen publiziert, vertont und als Bildunterschriften, sowie auf Partezetteln, Grußkarten etc. über Jahrzehnte hinweg verwendet.
Heute ist er nur mehr einer kleinen Schar älterer Menschen bekannt und unter ca. 25 befragten Studenten der Geschichte bis auf zwei Ausnahmen kein Begriff mehr. Trotzdem findet sich in fast jedem älteren Haus, irgendwo am Speicher unter anderen alten Büchern, wie ich selbst bei drei Gelegenheiten feststellen konnte, ein Gedichtband Willrams.
Sein Bekanntheitsgrad, seine allgemeine Beliebtheit und seine öffentliche Präsenz speziell im Innsbrucker Raum waren enorm. In den Jahren 1905 bis 1920 war Bruder Willram1, wie in dieser Arbeit zu belegen sein wird, schlicht eine der bekanntesten Persönlichkeiten Tirols und sein Einflußbereich zwar geographisch beschränkt, ansonsten aber erstaunlich groß. Als Redner bei jeder größeren Veranstaltung, als Dichter und Autor, als Landespolitiker, Meinungsmacher und Organisator von Volksschauspielen war der Südtiroler Priester aus Bruneck eine der hervorstechendsten Persönlichkeiten des Landes.
Willrams klares, drastisch formuliertes und unermüdlich transportiertes soziales und politisches Weltbild war von (mit-)entscheidender Bedeutung für Tirol und gewissermaßen ein sehr deutlich ablesbarer Katalysator gewachsener Tiroler Mentalitätsstrukturen dieser Zeit.
Die literarische Qualität seiner Heimatdichtung ist für die Ziele dieser Arbeit nicht unbedingt von Interesse, seine mit starken Gefühlen und Ideologien2vollgestopfte Kriegsdichtung hingegen sehr. Besonders diese seine Kriegsgedichte und -gesänge verkauften sich in, für Tirol, ungewöhnlich hoher Stückzahl und spiegeln ein Stück des Weltbildes dieser Region im Ersten Weltkrieg wieder.
Seine Bekanntheit und sein nicht zu unterschätzender Einfluß auf Tirol rund um den Großen Krieg machten Bruder Willram zu einem der bedeutendsten Kriegshetzer und Propagandisten Tirols, vor allem aber zu einem plakativen Stimmungsbarometer einer sozialen, politischen und wirtschaftlichen Krisenzeit.
Die Geschichtswissenschaft der letzten Jahrzehnte hat sich in Österreich und auch in Innsbruck verständlicherweise in einem sehr starken Ausmaß mit den Geschehnissen rund um den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus beschäftigt und vielleicht vielfach die eigentlichen Wurzeln dieser Katastrophe etwas vernachlässigt. In den letzten Jahren wird jedoch immer mehr die Ursachenforschung in den Vordergrund gestellt und viele Historiker beschränken sich nicht mehr auf die (wichtige!) Darstellung der Auswirkungen.3
Eine der ursächlichsten Ausgangspunkte des europäischen Radikalismus4, erkennbar etwa am Faschismus5 der Zwischenkriegszeit stellen in diesem Zusammenhang zweifellos der wirtschaftlich, sozial und politisch unbewältigte Erste Weltkrieg und die fatalen Friedensdiktate6von Versailles und St. Germain dar. Und - geht man diesen Gedankenstrang konsequent weiter - die Angst des Menschen vor umwälzenden Neuerungen. Die Geschichte des Faschismus etwa begann nicht erst in den Dreißiger Jahren und endete nicht 1945, sondern bildet einen Entwicklungsstrang mit sehr unterschiedlichen Ausformungen und Auswirkungen. Betrachtet man Österreich, so ist eine zunehmende Radikalisierung weiter Bevölkerungsteile, sowie die Zunahme von Extremismen verschiedenster Art7schon deutlich im 19. Jahrhundert ablesbar.
In der Phase des Umbruchs im Zuge der Industriellen Revolution und der Herausbildung politischer Lager verschärften sich soziale Konflikte, konträre politische Positionen und allgemein Ängste in der Bevölkerung, die in Österreich zu starken Gegenpositionen, politisch vor allem zwischen Konservativen, Deutschnationalen und Sozialdemokraten, aber auch im sozialen Bereich führten. Auch im ländlichen Raum wurde dieser Konflikt schon viele Jahre vor dem Ersten Weltkrieg immanent und nur durch den Burgfrieden zwischenzeitlich ausgesetzt bzw. auf Eis gelegt.
Zum Erzfeind der ländlichen Bevölkerung, dem Kommunismus an sich und im konkreten der Sozialdemokratie, kamen schnell andere Feindbilder hinzu: Der tief im Denken der Menschen verwurzelte Antisemitismus8und der Haß auf die verräterischen ,Walschen’ im Ersten Weltkrieg etwa. Die Definition und starke Betonung von ,Nation’, vor allem durch die Sozialdemokraten, die Untergangsstimmung innerhalb der Monarchie und die Modernisierungsängste innerhalb der Bevölkerung trugen das ihre dazu bei.
Dieser ,Extremismus’9 als sich kontinuierlich ausbreitendes Merkmal gesellschaftlicher Entsolidarisierung wurde, wie ich glaube, bisher noch nicht in ausreichendem Maße von geschichtswissenschaftlicher Seite her untersucht. Zu stark standen bisher die Auswirkungen des Faschismus und die Zeit von 1934 bis zur Zweiten Republik im Vordergrund der historischen Forschung.10Erst in den letzten Jahren, wie bereits weiter oben erwähnt, wendet sich die Geschichtswissenschaft wieder vermehrt der Geschichte des Ersten Weltkriegs zu11 und drängt die Ausschließlichkeit des Hauptthemas der Zeitgeschichte „Holocaust und Zweiter Weltkrieg“ zumindest teilweise etwas zurück.
Im Rahmen dieser Arbeit soll nun zugegebenermaßen ebenfalls kein alleingültiges Modell der mentalitätsgeschichtlichen Entwicklung hin zur Machtübernahme des Faschismus entwickelt werden, sondern ein lokaler Beitrag zum besseren Verständnis des Entstehens von Ängsten und den daraus folgernden Radikalismen, die in den extremistischen Auswüchsen Jahrzehnte später ihre furchtbarsten Auswirkungen zeigten, soll entstehen. Ängste und Ursachen im Tiroler Raum in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, sowie die daraus resultierende zunehmende Radikalisierung innerhalb der Gesellschaft, dargestellt anhand der Person und Funktion Bruder Willrams als Hetzer und Einpeitscher stehen dabei im Vordergrund.
Willram war einer von jenen, die schon Jahre vor dem politischen Durchbruch des Austrofaschismus unablässig den totalitär-reaktiven Katholizismus predigten und in den Köpfen der Menschen verankerten. Einer der Wegbereiter, wie im Laufe dieser Arbeit zu belegen sein wird.
Wie beliebt seine Werke waren und wie sehr er den Menschen aus der Seele schrieb, dokumentieren seine immer wieder und in immer größerer Auflage gedruckten Gedichtbände.
Die aktuelle Brisanz der Thematik ist nicht abzuleugnen und speziell im Zeitalter der virtuellen Revolution sind viele der ursächlichen Existenzängste, die zu Radikalismen, Rechtspopulismus und gesellschaftlicher Entsolidarisierung führen, nicht nur in Österreich, wieder mehr als deutlich wahrnehmbar.
1 ) Ziele der Arbeit
Ziel der Arbeit ist einerseits die Darstellung einer Person und ihrer transportierten Ideologie, eingebettet in einen historischen und geographischen Kontext und die sich daraus ergebenden wechselseitigen Beziehungen; andererseits die Darstellung weitverbreiteter Mentalitätsstrukturen anhand eines plakativen Repräsentanten einer für Tirol bis heute prägenden Ideologie und Gesellschaft.
Allgemeiner Tenor der Arbeit sollen Ansätze einer Alltags- und Mentalitätsgeschichte Tirols rund um den Ersten Weltkrieg anhand eines in jeder Hinsicht extremen und doch typischen Exponenten seines Landes und seiner Zeit sein. Die Fokussierung liegt dabei auf der Person Anton Müllers (Bruder Willram), dem Ersten Weltkrieg, Tirol, dem entscheidenden Einfluß des politischen Katholizismus in Tirol, sowie den übersteigerten Nationalismen und Patriotismen einer durch Angst und faschistoides Gedankengut geprägten Zeit. Ein Gesicht Tirols rund um die Jahrhundertwende soll dabei anhand eines pars pro toto angeboten werden - ein Anspruch auf Vollständigkeit besteht nicht.
Hintergrund für diese Arbeit stellt das persönliche Interesse einerseits an einer Selbsterfahrung und -hinterfragung der eigenen Ansichten, Werthaltungen und Vorurteile und andererseits an einem besseren Verstehen der eigenen Heimat Tirol dar.
2 ) Fragen an die Vergangenheit
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3 ) Formulierung einer Hypothese (mehrere Einzelthesen)
Mehrere Thesen wurden im Zuge der Nachforschungen zu dieser Arbeit aufgestellt, die zu hinterfragen sind:
- Die Wurzeln verschiedenster Radikalismen12 sind bereits lange vor dem Ersten Weltkrieg wahrnehmbar und haben ihre Ursache in den entstehenden Ängsten einer Umbruchszeit
- Die Angst vor Veränderung wurde zum Geburtshelfer einer massiven Abwehrreaktion
- Tirol stellte sich als ein Zentrum des Reaktionismus dar
- Das politische Kalkül des Katholizismus war in Tirol besonders durchschlagskräftig und von entscheidender Bedeutung
- Anton Müllers Weltbild, seine Erziehung und Prägung, seine Ängste und Erwartungen ließen ihn zum Kriegshetzer und überzeugten Klerikal-Faschisten werden
- Viele der ideologischen Wurzeln sind bis heute weder aufgearbeitet noch bewältigt, sondern akut wahrnehmbar
4 ) Aufbau der Arbeit
Nach einer biographischen Darstellung Müllers soll anhand von einzelnen Themenkreisen ein Gesamtbild seiner Person und vor allem seines Umfeldes und Hintergrundes entstehen, wobei zu jedem Themenkreis die Person Bruder Willrams, verwoben in den historischen Kontext samt den jeweiligen Wechselwirkungen, dargestellt werden soll.
2. Methodologisches und Vorverständnis
„In Wirklichkeit schläfst du.
Du träumst nur, daß du wach bist.“13
1 ) Persönliches Geschichtsverständnis:
Wichtig erscheint es mir für diese Arbeit zu sein, einige Vorbemerkungen über das persönliche Geschichtsverständnis vorauszuschicken, um die Lesart dieser Dissertation zu beeinflussen.
Ich verstehe Geschichte als magistra vitae im Sinne eines Selbsterfahrungsprozesses und eines ansatzweisen (Kennen-)Lernens der eigenen Lebenswelt, der eigenen Ansichten und - im Endeffekt - der eigenen Wurzeln, des persönlichen durchaus archaischen Erbes14, der eigenen Geschichtlichkeit als urmenschlichem Wesenszug.
Giambattista Vico (1668-1744) schreibt: „In der Geschichte begreift der Mensch sich selbst, und indem er sie sich erzählt, schafft er sie sich selbst nach seinen eigenen Gesetzen.“ In diesem Kontext ist also die lebensweltliche Relevanz von Geschichte und das Bewußtsein, daß die eigene Identität immer und zwangsläufig in „symmetrischer Relation“15mit dem aus dem Vergangenen Präsenten steht, zu bedenken, denn der oben angeführte Ansatz beinhaltet zweifellos die Gefahr für den Historiker, sich selbst und seiner Arbeit im Wege zu stehen.
„Ob etwas Falsches gehört werden möge oder ob etwas Wahres nicht gehört werden möge, entscheidet die Geschichte.“16- dieser Verantwortung in der Auswahl wie auch der Bearbeitung und Darstellung des Forschungsfeldes können Historiker letztlich nur versuchen möglichst gerecht zu werden.
Der Historiker wird „als Ankläger, als Anwalt und am Ende auch noch als Richter an die Grenze des Menschlichen geführt. Denn er darf sich nicht auf Kosten der Geschichte als aufgeklärter Kopf zu profilieren suchen und genausowenig aus Ehrfurcht vor der Geschichte den jeweiligen Zeitgeist als mildernden Umstand erscheinen lassen.“17
Es wird wahrscheinlich keine historische Arbeit geben, die dem Geschehenen und den handelnden (und vor allem den be-handelten) Personen in vollem Umfang gerecht wird, lediglich ein Ansatzpunkt in einem sehr weiten Spektrum kann für die gewünschte Annäherung an die Tatsächlichkeit des Geschehenen angeboten bzw. beleuchtet werden. Auch das Erkenntnisinteresse im Herangehen an diese Arbeit und ihre Geschichte ist/war unleugbar von persönlicher Motivation und einer egoistischen curiositas geleitet, die vielfach fehlgehen mag - „Das Sein prägt das Bewußtsein“ stellt Karl Marx fest - eine Wahrheit, die jeden hochtrabenden Abstraktions- oder Wahrheitsanspruch in Frage stellt. In diesem Sinne sei explizit auf die potentielle Fehlerhaftigkeit und erwünschte Kritik in und an dieser Arbeit hingewiesen.
2 ) Zur Arbeitsmethodik
Die vorangegangenen Bemerkungen über das persönliche Geschichtsverständnis stellen keinesfalls ein Plädoyer für eine Geschichtswissenschaft ohne Methodik18und bar jeder intersubjektiven Nachvollziehbarkeit dar. Allerdings besteht ein großer Unterschied zwischen der Frage nach einem falschen Konzept und der Frage nach dessen Verwirklichung.
Die unbewußte Verwendung bereits internalisierter Methoden findet ständig statt. Deshalb ist es sinnvoll, sich über diese im klaren zu sein, um nicht falschen Musen aufzusitzen. Die grundsätzliche Möglichkeit, Quellen bewußt oder unbewußt in ein Prokrustesbett zu zwängen, um sie dem eigenen Forschungsziel anzupassen, ist verlockend, aber für die Aussagekraft der Arbeit fatal. Beim kritischen Sichten von Texten und Quellen ist also das eigene Vorverständnis an Text und Kontext immer wieder zu überprüfen und zwischen Denotat und Konnotat sehr genau zu unterscheiden (Problem der Optik oder Problem des hermeneutischen Grundverhältnisses zwischen Sache und Vorverständnis).
Das Rezept des wiederentdeckten Droysen gibt hierbei nach wie vor wertvolle Hinweise für das grundsätzliche Arbeiten mit Quellen: Auf intensive äußere und innere Quellenkritik folgt die ,Konstituierung einer höhere Tatsache’, will heißen, die Errichtung eines Theoriegebäudes über die Strukturen und Prozesse, die sich aus der, (hoffentlich) aus den Quellen ablesbaren Ereignisgeschichte ergeben. Insbesondere die Instrumentarien der Quellenkritik, der Überprüfbarkeit der verwendeten Quellen, die Beachtung der Konjunktur von Begriffen und der methodologische Ausgangspunkt seien deshalb an dieser Stelle bewußt verdeutlicht:
Eine zu einem Gutteil auf Primärquellen basierende Arbeit kommt ohne gewissenhafte Quellenkritik nicht aus. Dieser lapidare Hinweis ist auf den zweiten Blick nicht ohne Bedeutung, da die Gefahr relativ groß ist, bewußt oder unbewußt auf die Unterscheidung zwischen dem in einer Quelle enthaltenem Denotat und Konnotat zu verzichten.
Die Überprüfbarkeit der Quellen ist durch die nachvollziehbare Zitierung sämtlicher verwendeter Zeitungen und anderer Publikationen, sowie die Erläuterungen über den Nachlaß Bruder Willrams19gegeben. Diese Überprüfbarkeit der Quellen und damit auch die der in der Arbeit angeführten Beispiele sollen auch die Kontrollfunktion für die Verknüpfung der einzelnen Variablen (Korrelationsinterpretation) ausführen und die Argumentation, Interpretation und Thesenbildung zumindest nachvollziehbar machen.
Der Konjunktur von Begriffen, als einem besonders schwierigen Hindernis in einer zwangsläufig überwiegend hermeneutisch dominierten Darstellung von Vergangenem, soll durch Definitionen und Erläuterungen20des Vorverständnisses von einzelnen Termini und der Instrumentalisierung derselben als Weber’sche Idealtypen zumindest teilweise begegnet werden.
Zum methodologischen Ausgangspunkt im folgenden nun einige Bemerkungen:
Das ,movens’ der Geschichte resultiert zu einem Großteil aus den psychologisch individuellen Handlungen Einzelner. Gesellschaftsgeschichte wie auch Geschichte an sich ist also im Forschungsprozeß zweifellos als Doppelkonstruktion sozialer Wirklichkeit zu sehen.21- Auf den Punkt gebracht: Der Mensch handelt in Strukturen eingebunden, diese verändern sich und beeinflussen wiederum sein Handeln. Diese Dialektik zwischen Struktur und Handelndem entsteht zwangsläufig und ständig und stellt eine zentrale Komponente für jedweden geschichtlichen Progreß und Prozeß dar.
Diese Arbeit widmet sich auf den ersten Blick einer Person und deren Handlungen im Sinne einer Darstellung der Lebenswelt und des Wirkungskreises dieses Menschen, sowie der Reaktion der Umwelt auf diesen Menschen. Vor diesem Hintergrund soll jedoch ein exemplarischer Ansatz zur Deutung einer gesellschaftlichen Identität und Mentalität in einem festgelegten geographischen Raum ermessen werden. Die Suche nach dem Typischen (mittels größtenteils induktiver Verfahrensweisen) steht dabei im Vordergrund. Langfristig angelegte Wahrnehmungsformen und Handlungsmuster lassen sich infolge (hoffentlich) ablesen.
Grundsätzlich bedient sich die Arbeit ausschließlich des Verfahrens des qualitativen und nicht quantitativen Darstellungsprinzips - in der äußeren Form der Erzählung und der Argumentation. Es wird kein durchgehender chronologischer Zeitablauf imitiert, sondern eben ein Mensch und sein Wirken als Bezugspunkt gewählt. Aufgrund der aus dem Quellenmaterial ersichtlichen Aktionen und Reaktionen sollen einzelne, ineinandergreifende Themenkomplexe untersucht werden, um Schlüsse auf das gegenseitige Miteinanderumgehen und Aufeinanderwirken ziehen zu können.
Speziell die Krisensituation vor und rund um die Katastrophe des Ersten Weltkrieges stellt dabei einen Katalysator dar, der Interessensdivergenzen, Spannungen und Überzeugungen verstärkt sichtbar werden läßt: „[...] grundlegende Dispositionen treten im Fall von historischen Zäsuren oder Krisenphänomenen besonders deutlich zutage.“22 Diese hervortretenden Mentalitätsunterschiede und/oder -Gemeinsamkeiten zeitigen wahrnehmbare Folgen und diese Folgen sind wiederum historisch spannend und untersuchenswert.
Der dabei in der Natur der Geschichtswissenschaft liegende retrospektive Aspekt soll zu einem engagierten Versuch der Erstellung eines möglichen Abbildes des Geschehenen und dessen Interpretation genutzt werden. Text- und Kontextinterpretation stehen dabei im Rahmen der hermeneutischen Analysemethoden unter bewußter Berücksichtigung des Begreifens der eigenen Eingebundenheit in den Dialog mit der Vergangenheit.
Weltanschauungen, Ansichten, (Vor-)Urteile - Ideologien - stellen sich stets als imaginäres Verhältnis zu wirklichen Existenzbedingungen dar. Genau dieses imaginäre Verhältnis Bruder Willrams zu wirklichen Existenzbedingungen, die Ursachen, die Ausbreitung und die Auswirkungen derselben, sowie gewachsene tirolspezifische Strukturen generell stehen im Zentrum der Betrachtungen dieser Arbeit.
3. Der Nachlaß Anton Müller im Brenner-Archiv
Der Nachlaß Bruder Willrams hat einen relativ verworrenen Weg hinter sich und findet sich heute in zwei großen Kisten im Brenner Archiv. Der erste Teil wurde zunächst von Bruder Willram selbst, laut einer kurzen Notiz, am 4.2.1925 zusammengestellt und Custos Schwarz übergeben. Er beinhaltet lediglich Originalhandschriften einzelner Gedichte und einiger seiner Publikationen23, sowie Maschinabschriften der „Ministrantenansprachen“, der „Gelegenheitsreden, nach Themen geordnet“24, seiner biographischen Aufzeichnungen und der beiden Stücke „Föhn“ und „Totentanz“ (beide sind nicht in Buchform erschienen). Frau Anna Schröcksnadel (Witwe des Univ.-Prof. Dr. Hans Schröcksnadel) übergab diesen Teil am 30.9.1987 als Geschenk dem Bruder-Willram-Bund. Hans Schröcksnadel war ein Freund Willrams und dürfte den, zu diesem Zeitpunkt noch sehr kleinen Nachlaß, über mehrere Jahre nach dem Tode Müllers aufbewahrt haben.25
Da der Bruder-Willram-Bund keine eigene Bibliothek besitzt, wurde der Nachlaß am 10.10.1987 an das Ferdinandeum verliehen, von wo der Nachlaß später an das Brennerarchiv abgegeben wurde. Auf seinem Weg wurden dem Nachlaß folgende Bücher Bruder Willrams hinzugefügt26:
Bilder auf Goldgrund, Alphonsos-Buchhandlung - Münster in Westfalen 1912 Aus Herz und Heimat, Tyrolia - Innsbruck 1919
Dichtungen von Bruder Willram, Tyrolia - Innsbruck 1920
Heliotrop. - Skizzen und Bilder aus Italien, Tyrolia - Innsbruck um 1922*
Unter morgenländischem Himmel, Tyrolia - Innsbruck 1923
Aus Gold’nen Tagen, Tyrolia - Innsbruck 1927*
Letzte Lese, Wagner’sche Universitätsbuchhandlung - Innsbruck 1938
Eine persönliche Widmung von Bruder Willram für Hans Schröcksnadel in „Letzte Lese“ (datiert mit dem 8.2.1938) läßt vermuten, daß diese Bücher von der Familie Schröcksnadel hinzugefügt wurden. Auch der Almanach des Bruder-Willram-Bundes 1928/29 zum 60. Geburtstag des „Herrn Protektors Prälat Prof. Anton Müller“ (Tyrolia) und der „ReimmichlKalender 1931/32“ finden sich in dieser ersten Kiste des Nachlasses.
Für das Buch „Dichters Werden“, herausgegeben von Maria Köchling, das die Werdegänge mehrerer bekannter Heimatdichter nachvollzieht, wurde Anton Müller aufgefordert, darzustellen, wie er selbst zur Poesie fand. Auch hatte er offensichtlich begonnen, eine umfassende Autobiographie zu schreiben, die allerdings niemals fertiggestellt, oder wieder vernichtet wurde und wiederum nur seine Kindheit und Jugendjahre umfaßt27. Beide Dokumente sind im Nachlaß enthalten. „Wie man Poet wird“ in einer stenographischen Abschrift Prof. Hubers28und seine begonnene Autobiographie („Die Bozner Jahre“) in einer maschingeschriebenen Abschrift. Der Nachlaß ist nicht mehr ganz vollständig. Der Bruder-Willram-Bund hat eine Liste des Inhalts erstellt29, nach der inzwischen ein Bild Bruder Willrams, sowie folgende Erstausgaben fehlen:
Blütenstaub und Blättergold, Schwick-Verlag - Innsbruck 1903 Kennt Ihr das Land? Tyrolia - Innsbruck 1914 Der Hl. Kampf. Neue Kriegslieder, Tyrolia - Innsbruck 1916
Außerdem ist zu bemerken, daß der Nachlaß insgesamt kaum Persönliches von Anton Müller beinhaltet. Auf einem fragmentarisch erhaltenen Zettel ohne Datierung findet sich im Nachlaß die Notiz: „Deponiert von Mgr. Dr.30Anton Müller (Bruder Willram) 2kg“. Da sich diese
Notiz nur auf diesen ursprünglichen Teil des Nachlasses mit den Handschriften Müllers beziehen kann, stellt sich die Frage, ob nicht einiges an persönlichen Aufzeichnungen entfernt wurde, oder verlorengegangen ist, da der kleine Kernteil des Nachlasses keine 2 kg umfaßt. Trotz intensiver Nachforschungen ist es nicht gelungen, zu eruieren, ob der Nachlaß tatsächlich umfangreicher war bzw. wohin dieser eventuell existierende Rest gekommen sein mag.31
Ellen Hasterba vom TLMF erläutert in ihren Notizen zum Nachlaß Bruder Willrams, daß im Mai 1986 ein Konvolut von 92 Postkarten adressiert an Anton Müller/Bruder Willram vom Ferdinandeum angekauft wurde. Da sich diese Postkarten, weder zeitlich noch personenbezogen, sondern nach dem umseitigen Motiv geordnet (sic!), in der Postkartensammlung des TLMF unter zigtausenden anderen befinden, sind sie wohl als für die Nachwelt verloren anzusehen.32
Andere durchgesehene Nachlässe im Brenner Archiv enthalten Korrespondenzen mit Bruder Willram und zeugen von regen Kontakten. In diesem Zusammenhang besonders zu erwähnen sind die Nachlässe Pembaur, Lederer und Kranewitter. Die Aussagekraft dieser Korrespondenzen für die vorliegende Arbeit waren allerdings mit wenigen Ausnahmen gering und dokumentieren lediglich die Bedeutung Willrams als wichtiges Mitglied der Tiroler Gesellschaft seiner Zeit.
Ein wesentlich umfangreicherer zweiter Teil, zusammengestellt von Erich Mayr (Innsbruck), wurde am 20.3.1967 dem Nachlaß beigefügt. Enthalten sind von Mayr noch als Student zusammengetragene Briefe, Zeitungsartikel und sonstige Nachforschungen, die er für eine Dissertation über Bruder Willram verwenden wollte, die allerdings niemals geschrieben wurde. Lediglich eine sehr umfangreiche Hausarbeit33zur Biographie Bruder Willrams wurde von ihm verfaßt. Ein zweiter Teil dieser Arbeit, der Willrams literarisches Werk umfassen sollte, wurde von Mayr nur zu einem geringen Teil erstellt.
Erich Mayr jun. aus Hötting studierte kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Germanistik in Innsbruck. Sein Doktorvater Prof. Enzinger34wollte ein Werk über die Tiroler Dichter der letzten hundert Jahre herausgeben und beauftragte ihn mit der Erarbeitung der Biographie und der Rezension des literarischen Schaffens Bruder Willrams. Nachdem Enzinger jedoch bald darauf nach Wien berufen wurde, gab Mayr sein Vorhaben auf und wechselte Thema und Doktorvater, was ihm offensichtlich sehr recht war. Den literarischen Gehalt des Willram’schen Werkes erachtete er schon damals als gering.35
Da seine Tante Anna selbst in Bruneck lebte, bat sie Mayr, die Schwägerin Willrams aufzusuchen und Erkundigungen einzuziehen. Ebenso setzte er sich mit dem damaligen Direktor des Franziskaner Gymnasiums in Bozen, Prof. Huber, einem Freund seines Vaters, in Verbindung und bat um Auskünfte über die Schulzeit Müllers. Die erhaltenen Informationen weichen einigermaßen von den eigenen Aufzeichnungen Willrams ab, enthalten aber nur wenige wirklich wichtige Hinweise auf den Menschen Anton Müller. Fest steht, daß die Nachforschungen Erich Mayrs sicherlich eine sehr nützliche Hilfe für diese Arbeit gewesen sind.
1 ) Weitere Primärquellen zur Person:
Vor allem die unzähligen Zeitungsartikel, die über Bruder Willram zu seinen Lebzeiten und auch nach seinem Tod geschrieben wurden, bilden eine wesentliche Grundlage für diese Arbeit. Weiters sind unter anderem natürlich seine Werke selbst, Werke seiner Bekannten, einige Zeugnisse von Menschen, die ihn kannten, die Taufbücher der Gemeinden in denen er als Priester bzw. Kooperator tätig war, die Chronik von Niederdorf, die Landtagsprotokolle und die Statthaltereipräsidialen von Bedeutung.
TEIL II BRUDER WILLRAM
1. Biographie
1 ) Kindheit
Anton Müller wurde am 10.3.1870 in Bruneck als Sohn der Anna Müller (geb. Mitterer) und des Zimmermanns36Anton Müller in sehr bescheidenen Verhältnissen geboren. Mit seinem Vater auf Arbeitssuche kam er schon im Alter von wenigen Jahren nach Wien. Über Wien an sich schreibt er in seinen
Erinnerungen für „Dichters Werden“ unter dem sinnigen Titel „Wie man Poet wird“37und in seinen „Bozner Jahren“38allerdings aufgrund seines Alters begreiflicherweise wenig, sondern betont mehrfach die Schönheit seiner Kindheit in Bruneck, wobei er besonders seine tiefe Verbundenheit zur Natur und zu den
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Die Wiege Bruder Willrams
Bergen hervorkehrt. Einzig, daß ihm der
Tiergarten in Schönbrunn und einige Bauten im Gedächtnis blieben, hält er zum Thema Wien fest. Nach nur wenigen Jahren kehrt die Familie nach Bruneck zurück und Anton Müller besuchte die dortige Volksschule. Der Vater allerdings muß in Wien (er war im Bahnbau beschäftigt) überdurchschnittlich gut verdient haben, denn gleich nach der Rückkehr kaufte er in Bruneck das bereits vor dem Wienaufenthalt bewohnte Haus, baute sein Geschäft aus und avancierte zum Stadtbaumeister von Bruneck.
Wieder in Bruneck wurde auch der einzige Bruder von Anton Müller jun., Franz, geboren (Anm.: Franz war ca. 5 Jahre jünger als Anton). Franz Müller übernahm später das Gewerbe des Vaters und baute als Baumeister in Bruneck noch vor dem Ersten Weltkrieg einen mittleren Familienbetrieb auf. Er verstarb während des Zweiten Weltkrieges.
In seinen autobiographischen Erinnerungen für „Dichters Werden“ beschreibt Bruder Willram sich selbst und seine Kindheit im Lichte des Familienglücks und einer unbeschwerten Glückseligkeit:
Seine „Frohnatur“ käme von seiner Mutter: „Die hatte ein lachendes Auge, selbst in alten Tagen noch. [...] Und aus diesem lachenden Mutterauge trank wohl auch des Sohnes Seele all den Sonnenschein, der seine Jugend umheiterte und alles in ihm und um ihn in eitel Gold ummünzte.“39Über sein Aussehen hält er fest: „Ich war von je das getreue Abbild meines Vaters.“40
„Die ersten Schauer der Poesie empfand ich in der Rumpelkammer am Dachboden mit ihren halbzerrissenen u. öligen Kupfern an den Wänden, mit den wurmstichigen u. buntbemalten Truhen u. hohen, breitlehnigen Sesseln, deren verschlissene Polsterung mein Thron war, auf dem ich als Knabe meine Königsträume sann.“41
Diese dichterischen Anwandlungen behagten dem strengen Vater gar nicht und offensichtlich ist es zu mehreren Auseinandersetzungen gekommen, die dem kleinen Anton häufig eine Tracht Prügel einbrachten. Mehrere Anekdoten hält er selbst in „Wie man Poet wird“ fest. Anton Müller hatte ein sehr besonderes und sehr inniges Verhältnis zu seiner Mutter, die wohl der von ihm am meisten geliebte Mensch auf dieser Welt war.42Ihr Älterwerden und schließlich ihr Tod stellten ein großes Problem für ihn dar. In unzähligen Gedichten spricht Willram vom Tod seiner Mutter und dem Schmerz, den dieser bei ihm hinterließ. Speziell in „Aus Gold’nen Tagen“ besingt er seine Liebe zu ihr und seinen Schmerz an ihrem Grab:
„Nur einmal noch in deines Auges Strahl
Ehvor er stirbt, möcht’ meinen Schmerz ich spiegeln: Nur einmal noch - ach, nur ein einzigmal Auf deinen Lippen, Mutter, blaß und schmal, In Liebesküssen meinen Dank besiegeln. [...]“43
Zu seinem Vater hatte er ein anderes, wesentlich schwierigeres Verhältnis. In dem Gedicht „Besuch im Vaterhause“ richtet sich Willram direkt an seine sterbende Mutter und läßt das schwierige Verhältnis zum Vater erkennen:
„ [...] Dumpf wartet sie, bis ihre Stunde schlägt, Bis sie der Sturm verlöscht gleich einem Dochte: So harrst auch du, bis man zur Grube trägt Den alten Mann, den niemand mochte.
Den, ach, nur eine ganz verstanden hat, Um seiner Seele stillsten Wunsch zu stillen: Ihn will ich lieben nun an deinerstatt, Will, Mutter, lieben ihn um deinetwillen! [...]“44
Im Nachlaß finden sich auch 7 „Ministrantenansprachen“ Bruder Willrams, die verschiedenste Lausbubenstreiche seiner Ministrantenzeit in Bruneck zum Inhalt haben. Diese Geschichten und Anekdoten sind in einem jovialen, verschmitzt lausbubenartigen und sehr unterhaltsamen Jargon niedergeschrieben und wurden zum Großteil in den Reimmichl- Kalendern der Jahre 1931-1935 veröffentlicht.45Wie man den Portner46ärgert, über Streiche in der Sakristei, wie man den Weihwasserwedel lose anbindet, damit er beim energischen Sprengen durch das Kirchenschiff fliegt, über Einführungsrituale für neue Ministranten usw. erzählt Willram seine Lausbubenstreiche. - „Er war ein recht tumultuarisches Büblein“47hält ein Brunecker Nachruf 1939 fest.
Die letzte dieser Geschichten aus Willrams Ministrantenzeit mit dem Titel „Liturgie am Dachboden“ beschreibt ihn als kleinen Jungen, der mit enormem Ernst in „seinem Reich“, dem elterlichen Dachboden, einen Altar baut und die Messe liest. Interessant ist der Hinweis, daß Willram schon als Kind Zuhörerschaft suchte, ,Messen’ vor Nachbarskindern hielt und sich bereits damals als Prediger übte.
2 ) Schulzeit
In zweien, im Nachlaß enthaltenen Briefen Prof. Hubers an Erich Mayr48sind umfangreiche Informationen über die Schulzeit Bruder Willrams enthalten. Sie sind größtenteils den Klassenbüchern und anderen schulischen Aufzeichnungen entnommen, die Huber für Mayr durchgesehen hatte.
Vom Herbst 1880 bis zum Juli 1886 besuchte Anton Müller das Vinzentinum in Brixen. Er war ein schlechter Schüler mit durchwegs schlechten Noten und hatte im Herbst 1884 sogar eine Wiederholungsprüfung zu überstehen. Besonders „schwache Disziplinarnoten“49seien ein Problem des jungen Müller gewesen, der sich nicht immer den Autoritäten unterordnen konnte. Seine Lehrer betonen, daß es nicht am Talent, sondern am nötigen Fleiß fehlte, allerdings sei er ein „vorzüglicher Turner“50gewesen. Willram sieht dies anders: „Heute noch überkommt mich beim Durchblättern meiner Aufsatzhefte teilnehmendes Mitgefühl mit dem kleinen Schreiber, dessen holperige Prosa Satz für Satz jetzt noch anzusehen ist, wie sehr er bemüht war, sein Bestes zu bieten.“51
Eine ganze Reihe von Streichen des jungen Studioso sind dokumentiert: Unter anderem verklebte er einmal in der Nacht das „Politeiloch“ (Guckfenster des Präfekten aus seiner Schlafzelle in den Schlafsaal) mit Mus vom Abendessen usw.
„Poetisch scheint er sich noch nicht betätigt zu haben, nur sehr poetische Aufsätze lieferte er, mit denen aber seine Professoren (besonders Prof. Wolf52) nicht einverstanden waren und die sie als »lächerlich und Spinnerei« (Anm.: Huber zitiert aus den Aufzeichnungen über Bruder Willram) bezeichneten.“53Mit Prof. Wolf scheint Willram überhaupt sehr auf Kriegsfuß gestanden zu sein.54
Unter Willrams Mitschülern55finden sich einige bekannte Namen:
Besonders natürlich Sebastian Rieger, der „Reimmichl56“, ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, aber auch Georg Harrasser, Jesuit und Schriftsteller, Alois Demattia, Pfarrer und Kirchenmusiker, Peter Fellner, Stiftspropst in Innichen und Heimatkundler, sowie
Konsiliarius Ferdinand Plattner, Direktor des Defizientenhauses in Sarns und bekannter Krippenschnitzer - der „Nant“ in den Reimmichl-Geschichten. Dieser Plattner wird in einem der Briefe Hubers zitiert, nachdem er Huber folgende Anekdote erzählt haben soll: „Schon im 1. Kurs verfaßte er ein Theaterstück das auf dem Spielplatz aufgeführt wurde und in dem es hieß: »Ein Engel kam vom Himmel und sprach: Fürchte dich nicht, Vater Abraham, du wirst empfangen und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Isaak geben.«“57 Besonders die Deutschprofessoren Müllers sind natürlich interessant, die Namensliste seiner Brixner Lehrer enthält allerdings keine bekannteren Persönlichkeiten - mit einer Ausnahme: Seinen um die Jahrhundertwende in Tirol sehr bekannten Lehrer und späteren Freund, Josef Seeber58(Dichter des „Herz-Jesu-Bundesliedes“59und Autor von „Der Ewige Jude“60). Seeber war jedoch lediglich in der 6. Klasse Müllers Lehrer und zwar in Latein, trotzdem beeinflußten ihn dessen epische Dichtungen stark. Anton Müller erlebt die patriotischen Gedichte Seebers unter anderem beim Kaiserempfang in Bruneck 188661und noch Jahre später korrespondierten die beiden rege. Willram schrieb über Seeber 1916: „Was mich von der ersten Stunde an zu ihm hingezogen, war seine rührende Liebe zu seiner verstorbenen Mutter.“62
In seinen Kaplansjahren in Sexten begann er, schriftstellerisch tätig zu werden. Dort lernte er auch einen Mann namens Michl kennen, der sich als Schuster seinen Lebensunterhalt verdiente und als Geschichtenerzähler im Umkreis sehr bekannt war. Rieger suchte ihn auf und veröffentlichte 1894 eine Reihe von Volksgeschichten unter der Überschrift: „Was der Reimmichl erzählt“. „Diese Geschichten erregten ungeheures Aufsehen und der Name Reimmichl ging bald auf den unbekannten Schreiber über.“ (vgl. Gelmi: Kirchengeschichte Tirols, S. 237) Nach weiteren Kaplansjahren in Dölsach (Anm.: wo er auch mit seinem Mitseminaristen Bruder Willram wiederum in engeren Kontakt trat) und Sand in Taufers übersiedelte Rieger nach Brixen, wo er im Hause von Reichsratabgeordneten Aemilian Schoepfer wohnte. Von dort aus redigierte er seit 1897 die ,Brixner Chronik’ und den ,Tiroler Volksboten’.
„1886 erhielt er das Consilium Abeundi (offenbar wegen seiner schlechten Aufführung,
weniger wegen seiner schlechten Noten, meint Plattner)“63und Müller verbrachte seine letzten beiden Schuljahre am Franziskaner-Gymnasium in Bozen, wo er 1888 maturierte. Sein Vater wollte ihn nach seinem Rausschmiß in Brixen sofort aus der Schule nehmen und hatte sich bereits um eine Lehrstelle umgesehen. Sebastian Rieger erzählte Erich Mayr 1952, daß nur die Bitten der Mutter den Vater noch umstimmen hatte können.64
Beim Abschied aus Brixen soll ihm sein Beichtvater, Subregens Johannes Primml, gesagt haben: „Wenn Sie über zwei Jahre hier übers „Brüggele“65gehen, werden Sie ihren wahren Beruf gefunden haben, sonst aber nicht!“66
Der Neubeginn in Bozen war alles andere als einfach. Der als besonders streng berüchtigte Direktor Vinzenz Gredler in Bozen (Anm.: Franziskaner, bekannter Naturhistoriker), nannte ihn beim Aufnahmegespräch angeblich einen „Lump“67und an seiner Vermieterin, „Studenten Thresl“ Theresia Pichler, läßt Willram kein gutes Haar. Er beschreibt sie als „senil sinnlich, frömmlerische [...] alte Jungfer“68, die sich für eine Heilige hielt und vor der ihm ekelte. In den „Bozner Jahren“ nennt er seine Zeit in Bozen „religiöse Knechtung“.
Willram war im Gegensatz zum Großteil seiner Mitstudenten durchaus keine arme Kirchenmaus. Seine Eltern unterstützten ihn kräftig und so konnte er sich sogar einen Quartierwechsel leisten.
Auch in Bozen war also seine Schulzeit nicht frei von Problemen. Er selbst preist in „Wie man Poet wird“ seine Schulzeit jedoch in den höchsten Tönen und zeichnet ein idealisiertes Bild, ganz im Stile der „Feuerzangenbowle“ Heinrich Spoerls - ein heiteres Leben mit vielen Lausbubenstreichen, originellen Lehrern und einer ungebändigten Lebenslust. Huber hält allerdings fest, daß Willram einmal, Jahre nach seinem Schulabschluß zu Prof. v. Eccher gesagt haben soll: „Als ich der Talfer entlang spazierenging, überlegte ich, ob ich nicht hineinspringen sollte, und nur der Gedanke an meine Mutter konnte mich abhalten.“69Es ist also durchaus anzunehmen, daß Müller unter dem strengen Internatsleben litt und die Verklärung seiner Schulzeit in „Wie man Poet wird“ und „Die Bozner Jahre“ nicht ganz den realen Erfahrungen Müllers entsprechen.
Seine schulischen Leistungen verbesserten sich in Bozen in den letzten beiden Schuljahren allerdings merklich. Huber fragte beim Direktor des Franziskaner Gymnasiums in Bozen nach und dieser schickte ihm einen sehr nüchtern gehaltenen Brief, in dem er aus den Aufzeichnungen der Schule zitiert.70
Angeblich hatte Müller unter seinen Mitschülern den Ruf eines Dichters und Redners. So hielt er auch die Abschiedsrede nach der Matura mit dem sinnigen Thema: „Scheiden und meiden“. Es sei jedoch „nichts aufgezeichnet über Gedichte etc.“71
Seine Noten waren in den meisten Fächern sehr mittelmäßig (auch in Betragen und Fleiß), in Mathematik und Philosophie durchwegs schlecht, in Deutsch, Geographie und Geschichte hingegen gut bis sehr gut. Seine schriftliche Deutschmatura legte Müller zum Thema „In welcher Beziehung gleichen sich der peloponnesische Krieg und der 30-jährige Krieg?“ ab. - Diese vergleichende Arbeit war auch für seine Interpretation des Ersten Weltkrieges als Wiederauferstehung des Tiroler Freiheitskampfes von einiger Bedeutung.
„Der Bozner Student war Poet ohne es zu wissen u. zu wollen“72hält Willram selbst fest. Über die Schule an sich verliert er in seinen Kindheits- und Jugenderinnerungen kaum ein Wort, wiederum beschreibt er fast ausschließlich die herrliche Bozner Landschaft. Seine Lehrer stellt Willram mehr oder weniger als liebevoll bemühte, aber doch etwas unter seinem Niveau liegende Ignoranten hin, die nicht wußten und auch nicht verstanden, wie sehr er sich der Poesie verschrieben hatte: „ [...] während P. Emanuel [...] sich im Schweiße seines Angesichts bemühte, uns darzutun, wie die Begriffe über die Schwelle des Bewußtseins treten, strebten meine Dichterträume, wie die Palme im Klostergarten hoch ins Blau u. umklammerten, wie der üppig wuchernde Efeu an der Klostermauer die arme, sündige Seele des phantasievollen Klosterschülers.“73
Einzig den Schuldirektor Pater Anzuoletti erwähnt er ausdrücklich als eine der beeinflussenden Persönlichkeiten, die ihn auf das zu „bebauende Feld“74 seiner Dichterzukunft aufmerksam machten. In dieser Reihe sind vor allem auch der Kapuzinerdichter Pater Norbert Stock75(Anm.: eines seiner wichtigsten auch literarischen Vorbilder) und der Innsbrucker Germanist Univ-Prof. Ignaz Zingerle, dem Willram seine ersten Gedichte zur Ansicht und Kritik vorlegte, sowie natürlich Josef Seeber zu nennen.
Seine beiden Jahre in Bozen nennt Müller seine „poetische Brautzeit“76. Die Zeit der Schulferien, die er zuhause verbrachte, bezeichnet er als „sonnige Knaben- und Studentenjahre in Bruneck“77.
3 ) Kooperatorenjahre
Im Herbst 1888, also direkt nach Ablegen der Reifeprüfung, ging Willram „übers Brüggele“. Sein damaliger Präfekt und Regens im Priesterseminar war der spätere Fürstbischof Franz Egger.
Willram wird als „lebhafte, impulsive Natur“78beschrieben, war Mitglied der „Heiligen Familie“ (ein Diskussionsklub bestehend aus 3 Personen) und im „Netheborn“, einem Dichterkreis zu Ehren Webers, dem auch der Reimmichl (Sebastian Rieger), Harrasser, Nessler und Severin Mayr angehörten. Ignaz Vinzenz Zingerle begutachtete deren Werke.79 1892 wurde Anton Müller ausgeweiht und als Kooperator in Nikolsdorf (Osttirol80) eingesetzt. Sein Pfarrer in Nikolsdorf war Anton Hueber aus Kartitsch. Aus dem Taufbuch von Nikolsdorf Band VI geht hervor, daß Willram insgesamt 40 Taufen81spendete; die erste Taufe am 15.9.1892, die letzte am 21.6.1895.
Erstmals war Willram in Nikolsdorf auch als Lehrer an der Volksschule tätig. Er war bei den Schülern ebenso beliebt wie auch im Dorf selbst und hatte eine ganze Reihe von Freunden. Eine Vielzahl an Sterbegedichten auf Partezetteln verstorbener Nikolsdorfer, auch aus späteren Jahren, zeugen von der engen Verbundenheit Willrams mit den Menschen an seinem ersten Kooperatorenposten. Besonders der Landtagsabgeordnete und Nikolsdorfer Landwirt Franz Rainer ist in dieser Reihe hervorzuheben.
Circa 2 km westlich von Nikolsdorf liegt Schloß Lengberg. Willram verbrachte auf einer Bank unterhalb des Schlosses, die er selbst hatte aufstellen lassen, sehr viel Zeit und war, wie aus mehreren Quellen hervorgeht, oft dort anzutreffen. Die Anekdote wird überliefert, daß sich Willram nicht gerne stören ließ und als Pfarrer Hueber einmal den Mesner schickte, um seinen Kooperator zu einer Taufe zu rufen, ließ Willram ihm ausrichten, daß es durchaus auch Pfarrern erlaubt sei, das Sakrament der Taufe zu spenden.82An dem Platz an dem dieses „Dichterbankerl“ Willrams stand, befindet sich heute ein Gedenkstein für Bruder Willram.83 Auf dieser Bank entstand wohl auch 1892 sein erster Gedichtband „Kiesel und Kristall“. Willram schreibt über diesen ersten Band in „Wie man Poet wird“: „Er hat mich mit meinem treuesten und literarisch strengsten und unnachgiebigsten Freund, mit meinem Landsmann Professor Seeber, dem Dichter des „Ewigen Juden“ zusammengeführt.“84 Zu diesem Zeitpunkt trat Müller in einen ständiger Briefwechsel mit Seeber und widmete sich noch verstärkt der Lektüre seiner Vorbilder (Uhland, Eichendorff, Hamerling, Geibel, Freiligrath, Gilm, Seeber, Pichler, Wallpach etc.). Zwei weitere, für Willram prägende Freundschaften, entwickelten sich ebenfalls in Nikolsdorf weiter:
Sebastian Rieger, der „Reimmichl“, schon Willrams Mitschüler im Vinzentinum, wurde 1894 als Kooperator nach Dölsach (nur wenige Kilometer von Nikolsdorf entfernt) bestellt und die beiden jungen Kooperatoren trafen sich häufig, um Erfahrungen auszutauschen, zu diskutieren und ihre literarischen Werke zu besprechen. In Dölsach lernte er auch seinen zeitlebens wohl besten Freund, Josef Weingartner85, kennen, dessen Eltern ebendort eine kleine Gastwirtschaft betrieben.
1895 wurde Müller, wiederum als Kooperator, nach Niederdorf (Hochpustertal) bestellt, wo er bis 1899 tätig war.
In der Pfarrchronik von Niederdorf findet sich auf der Seite 372f unter der laufenden Nummer 150 Anton Müller als Kooperator Pfarrer Stauders. Diese „Chronik von Niederdorf“86geht ausführlich auf Willram ein. Die Aufzeichnungen Franz Sießls über Anton Müller sind allerdings sehr divergent: Anfangs bezieht sich Sießl ausschließlich auf den Dichter Müller. Auf ausgeprägte Lobesreden über Müllers Prosa durch Zitate von Seeber und Bruder Norbert untermauert, folgt plötzlich der Ausspruch: „Die Prosa Müllers ist zu schwulstig und phrasenhaft, keineswegs mustergültig (Anm.: offenbar später wurde diesem Satz noch hinzugefügt: „und klassisch“)“.87Diese Anmerkung dürfte von Kooperator Franz Sießl selbst stammen, der hier seiner Meinung Ausdruck verleiht. Allgemein scheint er Bruder Willram nicht besonders wohlgesonnen zu sein. Mehrere Anekdoten werden erwähnt, die nicht gerade für Müller sprechen. Sein cholerisches Temperament und seine manchmal derbe Art werden kritisiert. Auch ein Teil des Weltbildes Müllers wird verdeutlicht. Die politische Ader Müllers in der Bekämpfung alles ,Modernen’, aber auch seine ungeschminkte Art, die Menschen auf Verfehlungen hinzuweisen, werden ausdrücklich hervorgehoben:
Niederdorf lebte zu einem beträchtlichen Teil vom Fremdenverkehr und gerade zu der Zeit als Willram Kooperator in Niederdorf war, erlebte der Ort in dieser Hinsicht einen starken Aufschwung. „Einmal (ob bei einer Auseinandersetzung weiß ich nicht) charakterisierte er die Niederdorfer: »Das Freitaggebet lautet bei ihnen im Winter: ,Als die Juden den Herrn Jesus gekreuzigt hatten [...]’; im Sommer aber: ,Als die Herren Juden den [...]’«“88 Trocken hält Sießl fest, daß Pfarrer Stauder 1896 an „Herzverfettung und Gehirnerweichung“89starb. Ihm folgte Pfarrer Gottfried Stemberger nach, mit dem Willram, laut Chronik, vor allem in der Abwehr liberaler Ideen gut zusammenarbeitete. Josef Althuber, ebenfalls ein Kooperator in Niederdorf, wird, über seine Ansicht zu Müllers Person und seinem künstlerischen Schaffen, wie folgt zitiert: „Poesie und Prosa haben sich nicht gut vertragen.“90
„Wanderweisen und Heimatlieder“ Willrams zweiter Gedichtband entstand in Niederdorf.
Willram selbst bezeichnet die Kooperatorenjahre als die „duftigsten und seligsten Zeiten“91 seines Lebens. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß Anton Müller in diesen Jahren auch Vater einer Tochter92wurde, die ihm später als persönliche Sekretärin in Innsbruck zur Seite stand. Ob der Umstand der Vaterschaft und der Beziehung zu einer Frau ausschlaggebend für die plötzliche Abberufung aus Nikolsdorf und den verordneten Italienaufenthalt war, ist nicht mehr festzustellen.
4 ) Italien
1899 brach Anton Müller zu einem Studienaufenthalt nach Rom auf, wo er ein Doktorat der Philosophie absolvieren sollte. In Italien entdeckte er seine Vorliebe für Archäologie, wie Weingartner etwas irreführenderweise behauptet.93Im Status eines „Capelario all’Anima“94unternahm er mehrere Reisen in die nähere und fernere Umgebung Roms und widmete sich hauptsächlich Landschaftsbetrachtungen, römischen Bauwerken und durchaus auch dem dolce vita, weniger seinen Studien.
Er beschreibt in den beiden, von diesem Italienaufenthalt inspirierten Büchern „In wachen Träumen“ und „Heliotrop“, sowie dem dramatischen Versuch „Vestalin“ (Anm.: Bruder Willram entwickelte sich während seines Italienaufenthaltes immer mehr weg von der Lyrik hin zur epischen Dichtung) und zahlreichen Zeitungsartikeln hauptsächlich seine Tagträume und - zweifellos beeindruckt von der gewaltigen Architektur und Geschichte Roms - läßt er seine Phantasie schweifen. Die Willram von Weingartner angedichtete Liebe zur Archäologie beschränkt sich aber auf Phantastereien Willrams über die Urchristen in den Katakomben, blutige Gladiatorenspiele und dekadent-laszive römische Gepflogenheiten, sowie das Abpausen einiger in Stein gemeißelter Inschriften mit Kohlestift.
Willram, der schon während seiner Kooperatorenjahre gutem Essen und Trinken nicht abgeneigt war, was sich nachhaltig auf seine Figur niederschlug, widmete mit „Annunziata“ seiner Stammkneipe in Rom, der Osteria „Trenta sei“ (der Einfachheit halber nach der Hausnummer benannt) in der Via Appia (nahe San Sebastiano), sogar ein eigenes Gedicht.
Müller war in der „Anima“, dem deutschen Pilgerhaus in Rom, untergebracht und besuchte die Universität nur sporadisch und mit wenig Enthusiasmus. Nachdem Bruder Willram wieder einmal beim Distinguieren der Begriffe der scholastischen Philosophie versagte, soll sein Professor zu ihm gesagt haben: „Si distinguere nescis, nihil scis“95
Der Studienaufenthalt in Rom, der Bruder Willram eigentlich zu einem Doktorat in Philosophie verhelfen sollte, endete 1901 unrühmlich. Er scheiterte mehrmals bei den Examen und wurde als Kooperator nach St. Nikolaus (Innsbruck) zurückbeordert. Seinem Professor in Rom teilte er angeblich mit: „Poeta sum, non philosophus“96
5 ) Innsbrucker Jahre
Schon nach wenigen Monaten in St. Nikolaus wurde Willram als Hauptstadtpfarrei- Kooperator an der Propstei zu St. Jakob (Ibk.) bestellt, wo er 2 Jahre lang arbeitete - „bis mich mein Bischof zur Professur als Religionslehrer ans Landespädagogium berief“.97 Am 8.11.1903 wurde er zunächst zum supplierenden Religionslehrer ernannt und mit Ablegung des Diensteides am 1.9.1904 definitiv Religionslehrer an der Innsbrucker Lehrerbildungsanstalt. Eine Aufgabe, die er mit viel Engagement 30 Jahre lang bis zu seinem Eintritt in den dauernden Ruhestand 1933 ausübte. Ab 1922 war Bruder Willram auch Mitglied des Tiroler Landesschulrates.
Besonders bemühte er sich unermüdlich um Kostplätze98für seine Studenten und auch in seiner Tätigkeit als Lehrer wird er zumindest in den Erinnerungen einiger seiner Schüler als zwar polternder und manchmal schlecht gelaunter, aber im Grunde sehr guter Pädagoge dargestellt. Weingartner spricht von einer starken Zuneigung Willrams zu seinen Schülern und vice versa99, „er gab sich mit ihnen ab“100, war ein strenger, aber sehr bemühter Lehrer und deshalb auch sehr beliebt. Mittels unkonventioneller Unterrichtsmethoden gelang es ihm,
religiöse Inhalte den Schülern sehr gut verständlich zu machen, so spielte er etwa gemeinsam mit den Schülern Bibelstellen nach, um sie ihnen eindrucksvoller in Erinnerung zu rufen. Die Meriten, die er sich als Lehrer erworben hatte, werden bei sehr vielen Gelegenheiten durch die Verehrung seiner Schüler für ihn auch in späteren Jahren deutlich. „Die Religionsstunden waren so voll Leben und Temperament, daß ich mich heute noch gerne daran erinnere,“101schreibt etwa Lothar von Sternbach über seine Schulzeit bei Bruder Willram.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Das Lehrerkollegium des Innsbrucker Pädagogiums mit Bruder Willram (2. sitzend von links)
Daß Müller manchmal auch sehr laut werden konnte, wird ebenso vielfach angedeutet. Weingartner beschreibt Willram so: „Sanguiniker, ständiger Polterer, aber gutherzig und im Grunde meinte er sein Geschrei und Gezeter nicht so.“102
Besonders in diesen Jahren vor dem Großen Krieg war Bruder Willram auch außerhalb seiner Lehrtätigkeit sehr rührig:
1903 und 1913 übernahm Willram die Spielleitung der Passionsspiele in Brixlegg, sowie der patriotischen Volksschauspiele im Tiroler Jubeljahr 1909, was ihm durchwegs sehr gute
Kritiken103eintrug und einen deutlichen Aufschwung und Prestigegewinn besonders der
Brixlegger Passionsspiele mit sich brachte. Im „Brixlegger Passionsbuch“ wird er mehrfach als „Regenerator“ der Passions- und Volksschauspiele bezeichnet, was tatsächlich der Wahrheit sehr nahe kommen dürfte.
Immer mehr konnte sich Bruder Willram auch als Redner etablieren und hielt ohne Übertreibung bei jeder größeren Veranstaltung in Tirol eine Festrede, sofern er im Lande war. „Bruder Willram wurde der bekannteste Mann in Tirol“104, meint Josef Neumeir in einer Würdigung Willrams Jahre später. Die Zeitungen überschütteten ihn mit sehr positiven Rezensionen seiner Werke, lobten sein soziales Engagement und seine rednerischen Qualitäten, was Willram mit den Worten quittierte, „daß ihm vom vielen Weihrauch die Nase schmerze.“105
Dichterabende vor allem in Tirol, aber auch in Graz, Wien, München wurden veranstaltet und innerhalb weniger Jahre wurde Anton Müller zu einer der bekanntesten und geschätztesten Persönlichkeiten des Landes. Besonders in Innsbruck war er sehr beliebt, alle Welt kannte ihn und seine markante Erscheinung.106„Bruder Willram ist ein wandelndes Wahrzeichen der Tiroler Landeshauptstadt.“107
In der Innsbrucker Propsteikirche hielt Willram jahrelang seine geradezu gefürchteten Bußund Fastenpredigten. Ein Umstand, der doch etwas verwundert, da Willram sich selbst nicht gerade kasteite, was auch sein Äußeres unterstreicht. Es drängt sich das Sprichwort „Wasser predigen und Wein trinken“ geradezu auf und dürfte in der Anwendung auf Bruder Willram nicht ganz aus der Luft gegriffen sein.
Besonders als Priester war Anton Müller auch ob seiner kurzen Gottesdienste sehr beliebt. Mehrere Zeitzeugen geben an, daß er eine Vorabendmesse in einer Viertelstunde und den sonntäglichen Festgottesdienst in einer knappen halben Stunde abwickelte, sofern er nicht allzusehr ins Predigen geriet.
Seine vielen Gedichte, Predigten und Reden aus diesen Jahren schrieb Müller, wie er selber festhält, in seiner Innsbrucker Wohnung in der Altstadt. Diese Wohnung bekamen allerdings nur sehr wenige zu sehen.
[...]
1Zum Pseudonym ,Bruder Willram’ und dessen Verwendung vgl. Teil II Kap. 3. Ad Namensgebung
2Ideologie als Komplex von Ideen verstanden - in enger Assoziation mit ,Weltanschauung’ und verbunden mit dem Versuch „Werturteile als Tatsachenurteile auszugeben“. siehe Hanisch: Die Ideologie des Politischen Katholizismus, S. 1, vgl. auch die Studien von Ernst Topitsch, Werner Hofmann u.a. zum Thema ,Ideologie’
3vgl. u.a.: Achleitner: Gott im Krieg, Amann: Die Dichter und die Politik, Dietrich: Feindbilder und Ausgrenzung als Fermente der politischen Radikalisierung, Hanisch: Der lange Schatten des Staates, Rettenwander: Stilles Heldentum u.v.a.m - alle diese Arbeiten wurden in den 90-er Jahren veröffentlicht
4vgl. S. 13
5Faschismus: Im engeren Sinn die Eigenbezeichnung der politischen Bewegung, die unter der Führung von
Benito Mussolini 1922 in Italien die Macht übernahm, sowie für das von dieser Bewegung bis 1945
aufrechterhaltene Herrschaftssystem. Der Begriff leitet sich ab von lateinisch: fasces, italienisch: fascio, der
Bezeichnung für das im antiken Rom von den Liktoren als Symbol der umfassenden Amtsgewalt der römischen Magistrate - dazu gehörten das Recht auf Züchtigung und die Verhängung der Todesstrafe - getragene Rutenbündel mit Beil. Im weiteren Sinne bezeichnet der Begriff Faschismus alle politischen Bewegungen und Herrschaftssysteme mit extrem nationalistischer, antidemokratischer und antikommunistischer Ideologie und autoritären Strukturen.
Faschismus ist keine geschlossene Ideologie in sich und deshalb als Begriff unscharf. Trotzdem gibt es hinreichend viele Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen als faschistisch apostrophierten Bewegungen, um seinen Gebrauch als Sammelbezeichnung zu rechtfertigen. Als Merkmale faschistischen Gedankenguts können festgehalten werden:
- streng hierarchische Ausrichtung am Führerprinzip
-Verabsolutierung des jeweiligen nationalen Eigeninteresses Ø Extrem überhöhter Nationalismus
-Verherrlichung und Verklärung der Geschichte des eigenen Volkes Ø Autoritarismus und Totalitarismus
-Einparteiendiktatur
-Minderheitenfeindlichkeit
-Antikommunismus bzw. -marxismus
- Erhöhte Aggressivität und Gewaltbereitschaft
-Propaganda und Terror statt politischer Überzeugungsarbeit auf demokratischem, parlamentarischem Weg Ø Paramilitärische Verbände
- Rekrutierung der Mitglieder vor allem aus der männlichen Bevölkerungsschicht
6Der Terminus Friedensdiktat erscheint vielfach problematisch, da er eine Wertung beinhaltet, die von vielen Historikern aufgrund der propagandistischen Verwendung durch Politiker und Historiker vor allem in der Zwischenkriegszeit, abgelehnt wird. Dieser Meinung schließt sich der Autor nicht an: „Der in Versailles am 28. Juni von Deutschland unterzeichnete Vertrag beruhte mit Ausnahme von nicht unerheblichen, aber doch begrenzten Milderungen, die durch Verhandlung erreicht wurden, auf Diktat und Ultimatum der Sieger. [...] Als die Weimarer Nationalversammlung sich nach schwersten inneren Kämpfen unter dem unerbittlichen Druck eines Ultimatums zu seiner Unterzeichnung entschloß, geschah das in dem Bewußtsein, daß Deutschland, räumlich geschmälert und wirtschaftlich bedroht, langsam die Grundlagen seines Daseins verlieren werde.“ Herzfeld: Erster Weltkrieg und Friede von Versailles, S. 126 „ [...] die Regierung der Weimarer Republik, die zu Ende des Krieges an die Stelle des Deutschen Kaiserreiches getreten war, war von den Verhandlungen ausgeschlossen.“ Microsoft Encarta ’98 „Friede von Versailles“ Die Friedensschlüsse von Versailles und St. Germain wurden in Deutschland ebenso wie in Österreich als Diktat empfunden und auch de facto wurden die Bedingungen den Mittelmächten diktiert, von einer nennenswerten Verhandlung, einem Dialog etc. kann keine Rede sein. Die Bezeichnung Friedensdiktat an dieser Stelle ist somit nicht als revisionistischer oder gar propagandistischer Kampfbegriff zu verstehen (auch wenn der Terminus in der Vergangenheit zweifellos auch in dieser Absicht verwendet wurde), sondern als Benennung eines Faktums.
7siehe v.a. Teil III: Das bedrohte Tirol. Wurzeln reaktionär-konservativer Mentalitätsstrukturen
8Der Begriff ,Antisemitismus’ wurde 1879 von Wilhelm Marr geprägt und bezeichnet eine grundsätzliche
Feindseligkeit gegenüber Semiten, wobei im allgemeinen Sprachgebrauch ausschließlich Juden unter Semiten verstanden wurden und bis heute werden - unabhängig davon, ob sie ihre Religion ausüben oder nicht. Ursprünglich bezeichnet der Ausdruck Semit jedoch alle Nachfahren Sems, des ältesten Sohnes des biblischen Patriarchen Noah, und bezieht sich damit auf eine Gruppe von Völkern des Nahen Ostens, der Juden und Araber gleichermaßen angehören. Da der semitische Kulturkreis von den westlichen Ausläufern der Sahara bis zum Irak und Oman reicht, stellt der infolge in dieser Arbeit verwendete Terminus ,Antijudaismus’ eine treffendere Umschreibung für die unter ,Antisemitismus’ zu verstehende grundsätzliche Feindseligkeit gegenüber Juden dar. Außerdem bezieht sich ,Antijudaismus’ nicht allein auf die rassistische Komponente des in seiner Evolution eng mit dem Begriff Arier (Sanskrit für: edel) verbundenen Ausdruckes ,Antisemitismus’, sondern bezieht unter anderem auch die religiöse Dimension des Judenhasses mit ein.
9wiederum in seinen unterschiedlichsten Ausformungen politischer oder sozialer Natur wahrnehmbar
10Eine sehr harte Kritik äußert in diesem Zusammenhang Laurence Cole in seiner Arbeit über die
Entstehungsgeschichte Tiroler Patriotismen. Er wirft dem Gros der Tiroler Geschichtswissenschaft bis ca. 1985 vor, einerseits konservativen Historismus mit nostalgischen Bezügen zur Habsburgermonarchie betrieben - und andererseits Deutschtiroler Nationalismen gefördert zu haben. vgl. Cole: Für Gott, Kaiser und Vaterland, S. 13, sowie Cole: Fern von Europa (mehrere Stellen) Auch wenn diese Kritik vielleicht zu harsch ausfällt, so ist doch festzustellen, daß sich die Tiroler wie auch die gesamtösterreichische Geschichtswissenschaft bis vor kurzem (in den letzten Jahrzehnten kam es offensichtlich zu einem Umdenken) vor allem mit pangermanistischen Themen in Verbindung mit Antijudaismus und Nationalsozialismus befaßte und sich vielleicht noch nicht ausreichend auf die Erforschung des nicht nach Deutschland gerichteten österreichischen Nationalismus und dessen Auswirkungen konzentriert hat.
11vgl. etwa die in Bearbeitung stehenden Untersuchungen angehender Historiker am Institut für Österreichische Geschichte der Innsbrucker Universität und die dabei auffallende Häufigkeit gewählter Themen rund um soziale und wirtschaftliche Aspekte des ,Großen Krieges’
12Radikalismus: (von lateinisch radix: Wurzel), eine sich auf als unhintergehbar wahr behauptete
Grundprinzipien berufende, zu keinen Kompromissen bereite Grundhaltung. In diesem Zusammenhang sind etwa der radikale Katholizismus, Antiliberalismus, Antisozialismus, Antijudaismus etc. gemeint; siehe v.a. Teil III: Das bedrohte Tirol. Wurzeln reaktionär-konservativer Mentalitätsstrukturen
13Wilson: Schrödingers Katze; Einleitung
14Jedes Verstehen beinhaltet stets ein Auslegen, vor allem aber ein Sich-selbst-Verstehen (eine Applikation). vgl. Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode; zit. nach Microsoft Encarta Enzyklopädie ’98
15Kamlah/Lorenzen: Logische Propädeutik, S. 106
16Cicero: De oratore II, 15: „Ne quid falsi audeat, ne quid veri non audeat historia”
17Oberman: Wurzeln des Antisemitismus, S. 17/18
18Anm.: Der griechische Wortstamm „methodos“ kennzeichnet die Bedeutung von wissenschaftlicher ,Methodik’ nach wie vor am treffendsten: „in der Mitte des Weges sein“
19vgl. Teil I Kap. 3. Der Nachlaß Anton Müller im Brennerarchiv
20Anm.: die Definitionen und Erklärungen einzelner Begriffe in den Fußnoten wurden auf Basis mehrerer großer Lexika und Fachhandbücher zusammenfassend erstellt
21vgl. das Grundkonzept von Reinhard Sieder in: Was heißt Sozialgeschichte?
22Heiss: Andere Fronten, S. 140
23Das blutige Jahr!, Der Hl. Kampf, Kiesel und Kristall, Gedruckte Eupopöen (sic!) Anm.: gemeint sind ,Epopöen’, es handelt sich um 12 Gedichte, die hauptsächlich in dem Buch „Dichtungen von Bruder Willram“ Ende der 20-er Jahre erschienen sind. Willram liebte prunkvolle, etwas ausgefallene Worte - und schrieb sie im Original des öfteren falsch. Weitere Beispiele für Rechtschreibfehler in Fremdwörtern finden sich zuhauf vor allem in den „Gelegenheitsreden (bei verschiedenen Anlässen gehalten)“ von Prof. A. Müller: ,Labyrint’, ,Bormaschine’, ,Fettisch’, ,appeliere’ etc., aber auch in den diversen handschriftlichen Aufzeichnungen im Nachlaß. Da Bruder Willram fast ausschließlich Rechtschreibfehler in Fremdwörtern unterlaufen, ist nicht davon auszugehen, daß es sich um Schlampigkeitsfehler handelt. Häufig ebenfalls nicht korrekt wiedergegeben sind die vielen lateinischen Zitate aus der Bibel, die Bruder Willram in seinen Reden anführt. vgl. ebd.
24Das mehrere hundert Seiten umfassende Skriptum ist in die Themenbereiche „Apologetisches“, „Pädagogisches“ und „Allgemeines“ unterteilt und vor allem als Predigtvorlage für Geistliche gedacht.
25Frau Schröcksnadel konnte bei einem Gespräch am 30.8.2000 zum Nachlaß und den Verbindungslinien ihres verstorbenen Mannes zu Bruder Willram leider keine genaueren bzw. weiterführenden Angaben mehr machen. Es ist jedoch anzunehmen, daß dieser Nachlaßteil ursprünglich von Propst Josef Weingartner an die Schröcknadels übergeben wurde. vgl.
26die Bücher sind nach dem Erscheinungsjahr geordnet. Da es sich nicht ausschließlich um Erstausgaben handelt, divergieren Jahres- und Verlagsangaben in zwei Fällen (mit einem * gekennzeichnet) mit den Angaben im Literaturverzeichnis.
27diese begonnene Autobiographie (wahrscheinlich stellen die im Nachlaß enthaltenen Aufzeichnungen
lediglich ein Kapitel eines im Entstehen begriffenen Gesamtwerkes dar), in Originalhandschrift und Abschrift erhalten, behandelt ausschließlich Müllers Schulzeit in Bozen und nennt sich auch „Die Bozner Jahre“. Im Gegensatz zu seinen schwelgenden Erinnerungen in „Dichters Werden“, präsentiert uns Willram hier eine wesentlich nüchternere Darstellung, die allerdings wenig Neues enthält. Das Originaldokument in der sehr unleserlichen und auffällig kleinen Handschrift Willrams ist von Korrekturen überzogen und weist nur wenig inhaltliche Gliederung auf. Es ist anzunehmen, daß diese Aufschreibungen später als „Wie man Poet wird“ verfaßt wurden und zwar Mitte der dreißiger Jahre, wie eine Zeitungsmeldung belegt, die angibt, daß Bruder Willram „gegenwärtig“ an einer Autobiographie arbeite. vgl. Innsbrucker Nachrichten Nr. 152 vom 06.07.1934
28zur Person Hubers siehe S. 22
29die Inventarliste findet sich im Nachlaß und ist leider nicht datiert; es ist aber anzunehmen, daß die erstellte Liste des Inhaltes rund um die Übergabe des Nachlasses an das Ferdinandeum erstellt wurde, also im Herbst/Winter 1987
30mehrfach wurde Anton Müller ein Doktortitel angedichtet. In Wahrheit hat Anton Müller niemals ernsthaft studiert und auch keinen akademischen Grad erreicht. vgl. auch die Anm. S. 42 und S. 79
31auch die Nachfahren Franz Müllers (Bruder von Anton Müller), Familie Garavelli aus Bruneck, besitzt abgesehen von einigen Fotos leider keine weiteren persönlichen Dokumente oder Briefe Willrams.
32Dr. Hasterba hält in diesem Zusammenhang in ihren Aufzeichnungen über den Nachlaß Anton Müller zu diesem Einordnungssystem lapidar fest: „Damit wohl unauffindbar!“
33Anm.: die Hausarbeit wurde für Mayrs Lehramtsprüfung in Deutsch bei Prof. Enzinger an der Innsbrucker Universität eingereicht.
34Anm.: Prof. Dr. Moritz Enzinger hatte bereits Teile seiner Studien über die Tiroler Volksdichtung veröffentlicht, war aber zum Zeitpunkt seiner Abberufung nach Wien (siehe unten) erst bis zur Dichtung der Jahrhundertwende (bis ca. 1890) fortgeschritten. vgl. Enzinger: Tiroler Schrifttum der neueren Zeit
35persönliche Auskunft Dr. Mayrs vom 17.07.2000
36fälschlicherweise wird ,Müller’ als Beruf des Vaters in einigen Zeitungsnachrufen angegeben. Vater Anton Müller war jedoch Zimmerermeister und später auch Stadtbaumeister von Bruneck
37für das von Maria Köchling zusammengestellte Buch „Dichters Werden“ verfaßt
38Die in Teil I Kap. 3. angesprochene fragmentarische Autobiographie
39Bruder Willram: „Wie man Poet wird“, zitiert nach der Abschrift Prof. Hubers; BA - Nachlaß Anton Müller
40ebd.
41ebd.
42wie er selbst festhält; vgl. etwa: Bruder Willram: „Die treue innige Liebe“, in: Kiesel und Kristall
43Bruder Willram: „Abbitte“ in: Aus Gold’nen Tagen
44in: Bruder Willram: Aus Gold’nen Tagen
45vgl. u.a. Reimmichls’ Volkskalender für das Jahr 1931, S. 75-80 und Reimmichls’ Volkskalender für das Jahr 1932, S. 53-63
46„Portner“ = Pförtner; die Person des Bruder Portners, Frater Kolumban aus Bruneck, diente Willram später für seinen Festprolog zur Seligsprechung Bruder Konrads (Feier im großen Stadtsaal zu Innsbruck am 1.2.1931)
47Dolomiten, Nr. 24 vom 22.02.1939 „Bruder Willram zum Gedächtnis“, Brunico 18.02.1939
48zum Nachlaß und zur Person Dr. Mayrs, sowie Prof. Hubers siehe Teil I Kap. 3. Der Nachlaß Anton Müller im Brennerarchiv
49Brief Hubers vom 10.4.1948; BA - Nachlaß Anton Müller
50ebd.
51Bruder Willram: Wie man Poet wird, zitiert nach der Abschrift Prof. Hubers; BA - Nachlaß Anton Müller
52Anm.: Prof. Wolf war über mehrere Jahre der Deutschlehrer Müllers im Vinzentinum
53Brief Hubers vom 10.4.1948; BA - Nachlaß Anton Müller
54vgl. ebd.
55Anm.: die folgende Aufzählung beinhaltet einige der bekannteren Namen aus beiden von Willram besuchten Gymnasien - Brixen und Bozen -.
56RIEGER, Sebastian: Priester u. berühmter Volkserzähler, * 27.5.1867 zu St. Veit in Defreggen, † 2.12.1953 in Heiligkreuz bei Hall in Tirol. Nach seinem Studium in Brixen wurde Rieger 1891 zum Priester geweiht. à In seinen Kaplansjahren in Sexten begann er, schriftstellerisch tätig zu werden. Dort lernte er auch einen Mann namens Michl kennen, der sich als Schuster seinen Lebensunterhalt verdiente und als Geschichtenerzähler im Umkreis sehr bekannt war. Rieger suchte ihn auf und veröffentlichte 1894 eine Reihe von Volksgeschichten unter der Überschrift: „Was der Reimmichl erzählt“. „Diese Geschichten erregten ungeheures Aufsehen und der Name Reimmichl ging bald auf den unbekannten Schreiber über.“ (vgl. Gelmi: Kirchengeschichte Tirols, S. 237) Nach weiteren Kaplansjahren in Dölsach (Anm.: wo er auch mit seinem Mitseminaristen Bruder Willram wiederum in engeren Kontakt trat) und Sand in Taufers übersiedelte Rieger nach Brixen, wo er im Hause von Reichsratabgeordneten Aemilian Schoepfer wohnte. Von dort aus redigierte er seit 1897 die ,Brixner Chronik’ und den ,Tiroler Volksboten’.In besonderer Weise war Sebastian Rieger ein Förderer der Tiroler Bauern, in denen er das eigentliche Fundament des christlichen Glaubens in Tirol sah. So war er auch treibende Kraft bei der Gründung des Tiroler Bauernbundes 1904. Seine Schriftstellertätigkeit galt ganz dem ,Tiroler Volksboten’ und den jährlichen ,Reimmichlkalendern’ (Anm.: wurden ab 1920 herausgegeben, ab 1924 unter dem Namen ,Reimmichls Volkskalender’; der Kalender existiert bis heute). 1914 verlieh ihm Fürstbischof Franz Egger die Kaplanei in Heiligkreuz b. Hall in Tirol, wo er bis zu seinem Tode 1953 verblieb.vgl. Ekkart Sauser in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band VIII, Spalten 313-314
57Brief Hubers vom 10.4.1948; BA - Nachlaß Anton Müller
58Josef Seeber: geboren 1856 im selben Haus wie Anton Müller in Bruneck; Schüler und Seminarist, sowie anschließend Lehrer in Brixen, Literaturhistoriker, 1887 nach Wiener-Neustadt, Mödling und Enns als Lehrer beordert; verstorben 1919
59vertont von Propst Msgr. Dr. Ignaz Mitterer, dem Domchor-Dirigenten von Brixen
60„Der Ewige Jude“ erlebte 1911 bereits seine 11. Auflage
61der Kaiserempfang führte übrigens auch direkt dazu, daß Seeber 1887 auf persönlichen Wunsch des Kaisers als Professor an die Militärakademie in Mährisch-Weiskirchen abberufen wurde.
62Neue Tiroler Stimmen Nr. 52 vom 04.03.1916
63Brief Hubers vom 10.4.1948, BA - Nachlaß Anton Müller
64persönliche Auskunft Erich Mayrs vom 17.07.2000
65„Übers Brüggele gehen“ bedeutete, sich für den Priesterberuf entschieden zu haben. Der Ausdruck leitet sich von der kleinen Brücke ab, „die in Brixen auf dem Weg zum Priesterseminar den offenen Kanal überspannte“; vgl.: Bergmeister: Der Pfarrer von Tirol - Reimmichl und seine Geschichten, S.33, Anm.: Das Priesterseminar befand sich auf der ,insula s. crucis’ zwischen Rienz und Eisack
66Bruder Willram: Bozner Jahre, BA - Nachlaß Anton Müller (handschriftliches Original)
67ebd.
68ebd.
69Brief Hubers vom 10.4.1948; BA - Nachlaß Anton Müller
70Der Brief wurde von Huber an Mayr weitergeleitet; BA - Nachlaß Anton Müller
71ebd.
72Bruder Willram: Wie man Poet wird, zitiert nach der Abschrift Prof. Hubers; BA - Nachlaß Anton Müller
73ebd.
74ebd.
75auch als ,Bruder Norbert’ bekannt: *1840 †1907
76Bruder Willram: Wie man Poet wird, zitiert nach der Abschrift Prof. Hubers; BA - Nachlaß Anton Müller
77Bruder Willram: Wie man Poet wird, zitiert nach einem Brief von Anna Mayr an Erich Mayr (Bruneck 01.04.1948); BA - Nachlaß Anton Müller; Anm.: Anna Mayr führte damals ein Gespräch mit Frau Müller, der Schwägerin Bruder Willrams
78Brief Hubers vom 10.4.1948; BA - Nachlaß Anton Müller
79vgl. Garavelli: Der Tiroler Dichter A. Müller, S. 18
80in Grenznähe zu Kärnten
81Es war Usus, daß Taufen von den Kooperatoren ohne Beisein des Pfarrers gespendet wurden, während Trauungszeremonien und Begräbnisse ausschließlich vom Pfarrer selbst geleitet wurden.
82vgl. Brief Pfarrer Zelgers vom 07.08.2000, sowie mehrere Aufzeichnungen derselben Anekdote in: Weingartner: Bruder Willram; Mayr: Bruder Willram; Garavelli: Der Tiroler Dichter Anton Müller etc.
83vgl. Teil VII Kap. 4. 1) Bruder Willram seit dem Zweiten Weltkrieg
84Anm.: Willram widmete sein Erstlingswerk auch Josef Seeber
85Propst Dr. Josef Weingartner traf Bruder Willram erstmals 1898 in Lienz, woraufhin sie anfangs schriftlich und schließlich beide in Innsbruck tätig (ab 1901) ständig in Kontakt blieben und zu sehr engen Freunden wurden. vgl. Dolomiten Nr. 44 vom 23.02.1949 „Erinnerungen an Bruder Willram“
86Sießl, Franz: Chronik von Niederdorf, Band I, die Jahre 770-1896 - Niederdorf 1905 (Anm.: Franz Sießl war selbst über viele Jahre Kooperator in Niederdorf)
87Sießl: Chronik von Niederdorf, S. 374
88Sießl: Chronik von Niederdorf, S. 374
89ebd.
90ebd.
91Bruder Willram: Wie man Poet wird, in: Köchling: Dichters Werden, zitiert nach einem Brief von Anna Mayr an Erich Mayr (Bruneck 01.04.1948); BA - Nachlaß Anton Müller
92Der Umstand, daß der Priester (respektive Kooperator) Anton Müller eine intime Beziehung zu einer Frau hatte, die ihm eine Tochter schenkte, ist einzig in der Hinsicht von Bedeutung, daß es seine stark ausgeprägte Ader, Wasser zu predigen und Wein zu trinken, verdeutlicht und den fundamentalistischen Moralisten Anton Müller menschlicher erscheinen läßt. Es ist ihm aber zugute zu halten, daß er sie inoffiziell nicht verleugnete und sie später zu sich nahm und versorgte. Vor der Öffentlichkeit wurde seine Tochter natürlich verheimlicht und in mehreren Quellen wird sie z. Bsp. als Nichte ausgegeben. Seinen Freunden war Willrams Vaterschaft allerdings bekannt. Dr. Erich Mayr erzählte mir in einem persönlichen Gespräch (Juli 2000), daß alle näheren Freunde Willrams darum wußten. In sämtlichen Biographien und auch in den erschienenen Hausarbeiten und Dissertationen wird ihre Person teils aus Unwissenheit, teils wissentlich, teils aus Opportunismus verschwiegen. Dr. Mayr verschwieg die Vaterschaft Müllers, wie er aussagt, aufgrund der Unwesentlichkeit für seine Arbeit und um mit diesem heiklen Thema niemanden zu verärgern. Dr. Iris Garavelli erwähnte die Tochter Willrams in ihrer Dissertation 35 Jahre später deshalb nicht, da sie einerseits den Namen der Tochter Willrams nicht eruieren konnte und andererseits es, wie mir ihre Mutter telephonisch (7.1.2001) mitteilte, „an der streng katholischen Universität Verona“ zu Schwierigkeiten hätte führen können. Aus Gründen der Wahrung der Privatsphäre noch lebender Verwandter sei der Name der Tochter auch hier nicht genannt, ist aber dem Autor bekannt.
93Katholisches Sonntagsblatt Nr. 12 1939 (Illustrierte Katholische Wochenschrift, erschien zwischenzeitlich unter dem Titel ,Tiroler Sonntagsblatt’, ab Mitte 1939 schließlich als ,Rosenheimer Sonntagszeitung’); umfangreiche Würdigung Müllers zu seinem Tode unter dem Titel „Bruder Willram“ von Propst Dr. Josef Weingartner, fortgesetzt in den Ausgaben 13 u. 14 1939
94ebd. - der Ausdruck „Capelario all’Anima“ stellt offensichtlich eine Übersetzung des deutschen Wortes ,Seelsorger’ ins Italienische dar, die allerdings nicht korrekt ist. Eigentlich müßte es „Cappellaio dell’Anima“ heißen, ein Begriff, der allerdings, zumindest im modernen Italienisch, nicht existiert. Gemeint ist ein freigestellter ,Kaplan’, ein geistlicher Amtstitel, der wiederum in etwa dem ,Kooperator’ entspricht. Die Bezeichnung ,Kaplan’ leitet sich von cappellanus, dem in einer Kapelle den Gottesdienst lesenden Geistlichen ab. Die Kapelle wiederum stammt von lateinisch cappella (kleiner Mantel), eine Verkleinerung von cappa (Mantel) her und bezeichnete ursprünglich den Schrein, in dem im Mittelalter die fränkischen Könige die Cappa des heiligen Martin, des Bischofs von Tours und Schutzpatrons Frankreichs, mit sich trugen. Später wurde der Ausdruck auf jedes Heiligtum angewandt, in dem Reliquien aufbewahrt wurden und in weiterer Folge mutierte der Terminus ,Kapelle’ zu der Bezeichnung für eine kleine Kirche ohne ständige Präsenz eines Geistlichen.
95Weingartner: „Bruder Willram“ in: „Katholisches Sonntagsblatt“ Nr. 12 1939
96Weingartner: Originale im Priesterrock, S. 46
97ebd.
98Anm.: unter „Kostplätzen“ ist die Ausspeisung von Studenten zu verstehen, die wöchentlich oder sogar täglich bei Familien eine warme Mahlzeit bekamen. Müller scheute sich nicht, persönlich bei Familien vorzusprechen und sie zu bitten, seine Studenten zu unterstützen. vgl. Kramer, Waschgler und Garavelli, sowie sämtliche Zeitungsartikel, die eine Kurzbiographie Willrams enthalten
99Weingartner: „Bruder Willram“; BA - Nachlaß Anton Müller
100zum Teil erhaltener Brief aus Nikolsdorf vom 9.4.1948; BA - Nachlaß Anton Müller
101Brief von Baron Dr. Lothar von Sternbach vom 14.01.2001; Bruder Willram war Sternbachs Religionslehrer an der Innsbrucker Volksschule, sowie infolge auch am Pädagogium. Willram hatte gemeinsam mit Lothars Vater Paul Sternbach (Mitglied der Tiroler Landesregierung 1902-1920) in Bozen das Gymnasium besucht und war mit diesem eng befreundet, weshalb er auch die Firmpatenschaft für Lothar von Sternbach übernahm. 102Weingartner: „Bruder Willram“; BA - Nachlaß Anton Müller
103Die von Willram inszenierten Stücke „Andreas Hofer“ (nach einem alten Manuskript, Autor unbekannt), „Peter Mayr, der Wirt an der Mahr“ und „Josef Speckbacher, der Held von Rinn“ (Anm.: die beiden letzteren stammen von Pater Ferdinand von Scala) wurden ein voller Erfolg. Besonders die Inszenierung des „Andreas Hofer“ mit rund 200 Laiendarsteller hatte es dem Publikum angetan und wurde auch in den diversen Rezensionen in den Tiroler Tagesblättern sehr gelobt. vgl. u.a. Allgemeiner Tiroler Anzeiger, Nr. 123 vom 2.06.1909
104Deutsches Volksblatt vom 4.4.1920
105Allgemeiner Tiroler Anzeiger, Nr. 55 vom 09.03.1910: Laudatio für Bruder Willram zum 40. Geburtstag von Josef Weingartner, S. 1/2 u. 3 „Feuilleton“
106vgl. Weingartner: „Bruder Willram“; BA - Nachlaß Anton Müller 107Anton Dörrer in: Neue Züricher Nachrichten Nr. 4 vom 19.2.1920
- Arbeit zitieren
- Dr. David Schnaiter (Autor:in), 2002, "Beten für den Krieg?" Bruder Willram und der "Heilige Kampf" Tirols, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74291
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