Die Unternehmen befinden sich in einer Situation, in der sie ihr Produktsortiment ständig zu erneuern und möglicherweise auszuweiten haben, um den Anforderungen des heutigen Marktes gerecht zu werden und die vielfältige Nachfrage zu befriedigen. Die Folge dieser Produktinnovation sind kürzere Entwicklungs-, Produktions- und Produktlebenszyklen.
Gegenstand dieser Arbeit ist die Suche nach geeigneten Methoden und Instrumenten zur Analyse und Klassifikation von Objekten (Produkten). Ziel dieser Klassifikation ist es, ähnliche Produkte, beispielsweise bezüglich ihrer Wertigkeit oder Verbrauchsstruktur, zusammenzufassen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation
1.2 Ziel der Arbeit
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Theorie des Bestandsmanagements
2.1 Grundbegriffe
2.2 Ziele und Aufgaben des Bestandsmanagements
2.3 Bedeutung des Bestandsmanagements für das Unternehmen
2.3.1 Einflussgrößen von Beständen
2.3.2 Bestände als Kostenfaktor
2.3.3 Auswirkungen von Beständen auf den Unternehmenserfolg
2.3.4 Bestandsoptimierung
2.4 Abschließende Betrachtung
3 Cluster – Homogenität als Grundprinzip zur Bildung von Clustern
4 Dispositionsstrategien
4.1 Die auftragsgesteuerte Disposition
4.1.1 Einzelbedarfsdisposition
4.1.2 Sammelbedarfsdisposition
4.2 Die plangesteuerte Disposition
4.3 Die verbrauchsgesteuerte Disposition
4.3.1 Bestellpunktverfahren
4.3.2 Bestellrhythmusverfahren
4.4 Abschließende Betrachtung
5 Begleitende Instrumentarien
5.1 ABC-Analyse
5.1.1 Historie
5.1.2 Durchführung der ABC-Analyse
5.1.3 Folgerungen der ABC-Analyse
5.1.4 Vor- und Nachteile der ABC-Analyse
5.2 XYZ-Analyse
5.2.1 XYZ-Analyse nach dem Variationskoeffizienten
5.2.2 XYZ-Analyse nach dem Nullperiodenanteil
5.2.3 XYZ-Analyse nach dem Schwankungskoeffizienten
5.2.4 Bewertung der XYZ-Analysen
5.3 Kombination von ABC- und XYZ-Analyse
5.3.1 Bereitstellungsprinzipien
5.3.2 Abschließende Betrachtung
5.4 ORG-Methode
5.5 Bodensatzanalyse
5.6 Reichweitenanalyse
5.7 Abschließende Betrachtung
6 Planung und Prognose
6.1 Einfluss der Absatzprognose auf die Bestände
6.2 Exponentielle Glättung 1. Ordnung
6.3 Kontrolle der Prognose
6.4 Das Verfahren von Croston für Zeitreihen mit Nullwerten
6.5 Collaborative Demand Planning
6.6 Abschließende Betrachtung
7 Weitere Ansätze
8 Zusammenfassung und Ausblick
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation
Die Unternehmen befinden sich in einer Situation, in der sie ihr Produktsortiment ständig zu erneuern und möglicherweise auszuweiten haben, um den Anforderungen des heutigen Marktes gerecht zu werden und die vielfältige Nachfrage zu befriedigen. Die Folge dieser Produktinnovation sind kürzere Entwicklungs-, Produktions- und Produktlebenszyklen.[1] In der Vergangenheit waren die Märkte noch aufnahmefähig. Die Verkäufer konnten selbst bestimmen, welche Menge zu welchem Preis und zu welchem Zeitpunkt anzubieten (Verkäufermarkt). In den heutigen gesättigten Märkten ist aber das Gegenteil zu beobachten, nämlich die Orientierung der Verkäufer an den Wünschen der Käufer (Käufermarkt). Der Verkäufermarkt hat sich also in einem Käufermarkt umgewandelt. Dieser Übergang hat dazu geführt, dass sich die Industrieunternehmen immer mehr auf die Fertigung individueller variantenreicherer Produkte orientierten, und die Handelsunternehmen ihr Angebot ausgeweitet haben. Auch der erhöhte Wettbewerbsdruck hat die Unternehmen dazu bewegt, sich immer mehr auf die Kundenanforderungen und die Gewährleistung hoher logistischer Leistungen zu orientieren. Eine gute Chance die eigene logistische Flexibilität zu sichern, und damit die Kunden zufrieden zu stellen, bieten die Lagerbestände. Die Bestände ermöglichen einen reibungslosen Ablauf entlang jeder Logistikkette. An dieser Stelle taucht aber der traditionelle Zielkonflikt der Disposition auf. Dieser Konflikt besteht darin, die geforderte Lieferbereitschaft zu sichern, und gleichzeitig die Kapitalbindungskosten zu minimieren.[2] Es handelt sich also um den klassischen Konflikt zwischen den Kosten- und Servicezielen eines jeden Unternehmens, sei es in der Industrie oder im Handel. Dies wird auch aus einer empirischen Umfrage erkennbar. Sie zeigt, dass unter den Zielen der Lagerhaltung die Gewährleistung der Lieferzuverlässigkeit mit 77,9% am höchsten bewertet wird. An zweiter und dritter Stelle folgen aber die Minimierung der Lagerhaltungskosten (56,9%) sowie die Erreichung günstiger Lieferkonditionen im Einkauf (51,9%) mit ebenfalls hohen Gewichten.[3]
1.2 Ziel der Arbeit
Die durch die zunehmende Globalisierung und den immer wachsenden Wettbewerb verursachte Ausweitung der Produktbreite bietet den Unternehmen eine Chance ihre Position auf dem Markt zu sichern. Dabei sind allerdings die vielfältigen Merkmale und Eigenschaften der Produkte zu berücksichtigen und entsprechende Strategien bezüglich ihrer Beschaffung und Lagerung auszuarbeiten. Zu den Eigenschaften gehören beispielsweise die Lagerfähigkeit, der Wert, die Menge, die Umsatzstärke et cetera. Die Entwicklung einer auf die jeweiligen Eigenschaften eines jeden Produktes zugeschnittenen Strategie wäre die ideale Lösung, da auf diese Weise die Lieferbereitschaft und -qualität, und damit die Zufriedenstellung der Kunden am besten gewährleistet werden können. Da aber die optimale Strategie lediglich unter der Voraussetzung eines hohen Lieferservice zu minimalen Kosten erreicht werden kann, erweist sich diese Lösung aufgrund der großen Produktvielfalt aus Kostengründen als nicht optimal.
Im zunehmenden nationalen und internationalen Kosten- und Leistungswettbewerb müssen die Unternehmen Mittel und Wege finden, wettbewerbsfähig zu bleiben bzw. sich zu verbessern.[4] Die Unternehmen suchen immer intensiver nach einer optimalen Gestaltung ihrer Bestände. Früher konnten die meisten Unternehmen ihre Zukunft durch hohe Bestände sichern. Heute sehen sie sich aufgrund des immer wachsenden Kostendrucks gezwungen ihre Bestände zu reduzieren. Die Bestandsoptimierung gilt heute als eine der wichtigsten Maßnahmen Kosten einzusparen.[5]
Auf diesen Kostendruck kann lediglich reagiert und die entsprechenden Kostenreduzierungsmaßnahmen ergriffen werden, indem die Bestände permanent analysiert und überwacht werden.[6]
Gegenstand dieser Arbeit ist die Suche nach geeigneten Methoden und Instrumenten zur Analyse und Klassifikation von Objekten (Produkten). Ziel dieser Klassifikation ist es, ähnliche Produkte, beispielsweise bezüglich ihrer Wertigkeit oder Verbrauchsstruktur, zusammenzufassen. Für die so gebildeten Produktklassen werden dann bezüglich ihrer Behandlung die gleichen Strategien verwendet, und auf diese Weise erhebliche Zeit- und Kostenersparnisse erzielt.
Das eigentliche Ziel dieser Arbeit besteht in der Beantwortung der Frage: „Wie behandele ich welche Ware?“.
1.3 Aufbau der Arbeit
Im Anschluss an das erste Kapitel, das sich mit der Ausgangssituation befasst, nämlich warum diese Arbeit entstanden ist und welche Ziele sie verfolgt, wird im zweiten Kapitel der Frage nachgegangen, was genau unter dem Begriff Bestandsmanagement verstanden wird. Womit beschäftigt sich das Bestandsmanagement, was sind seine Ziele und Aufgaben und welche Bedeutung hat es für den Unternehmenserfolg. Dabei werden einige Grundbegriffe, einige wichtigen Einflussgrößen von Beständen, die Bestandskosten sowie der Zusammenhang zwischen den Beständen und der Gesamtkapitalrendite dargestellt.
In Kapitel 3 wird vorgestellt, was unter dem Begriff Cluster zu verstehen ist, und welche Grundprinzipien bei der Bildung von Clustern zu verfolgen sind.
In Kapitel 4 werden die unterschiedlichen Dispositionsstrategien mit ihren Vor- und Nachteilen, sowie ihre Auswirkungen auf die Bestände, beschrieben.
Das 5. Kapitel beinhaltet unterschiedliche Möglichkeiten zur Analyse und Klassifikation von Beständen. Diese unterschiedlichen Möglichkeiten (Verfahren) werden ausführlich mit ihren Vor- und Nachteilen vorgestellt.
Kapitel 6 beschäftigt sich mit dem Einfluss der Absatzplanung und Prognose auf die Bestandshöhe. Dabei werden kurz einige Prognoseverfahren beschrieben, damit man sich einen Überblick darüber verschaffen kann wie in groben Rahmen eine Prognose erstellt wird.
In Kapitel 7 sind weitere Ansätze zur Bildung von Produktklassen vorgestellt und im Abschluss der Arbeit wird das gewonnene Wissen zusammengefasst.
2 Theorie des Bestandsmanagements
Die Materialwirtschaft gliedert sich in mehrere Aufgabenblöcke, die im Grunde genommen in jedem Unternehmen gleich sind. Man kann folgende Aufgabenbereiche erkennen:
- Bedarfsrechnung – bezieht sich auf die Vergangenheitsverbräuche oder auf den bevorstehenden Materialbedarf;
- Bestellrechnung – löst die Bestellungen aufgrund des Bedarfs nach Liefertermin und Menge aus und kontrolliert die laufende Bestellung;
- Bestandsrechnung – führt die für die Bedarfs- und Bestellrechnung erforderlichen Lager-, Bestell- und Reservierungsbestände.[7]
In Anbetracht der sich immer schneller verändernden Kundenbedürfnisse, der Verstärkung des internationalen Wettbewerbs, der stetigen Erhöhung der Produktpalette und des Übergangs vom Verkäufer- zum Käufermarkt gewinnt das Bestandsmanagement immer mehr an Bedeutung. Im Wettbewerb spielen Faktoren wie termingerechte Lieferung, Preis und Qualität, welche lediglich durch eine angemessene Strategie zur langfristigen Optimierung der Bestände im Unternehmen erreicht werden können, eine entscheidende Rolle.
In der Optimierung des Bestandsmanagements stecken noch enorme Rationalisierungspotentiale. Durch eine Senkung der Lagerbestände können in einem Unternehmen wesentliche Vorteile bezüglich Steigerung der Rentabilität und Verbesserung der Liquidität, die aus einer Reduzierung der Kapitalbindungskosten resultieren, erzielt werden. Diese Freiwerdung von Kapital eröffnet neue Investitions- und Forschungsmöglichkeiten. Wichtigste Vorgabe jedes Unternehmens muss jedoch, bei allen Einsparungsbemühungen, die Erreichung des geforderten Lieferservice sein. Das Unternehmen muss für Versorgungssicherheit und Erfüllung der Kundenwünsche sorgen, auch beim Auftreten unerwarteter Nachfragesteigerungen oder spezieller Anforderungen. Der Lieferservice ist ein Wettbewerbsparameter, über den Kundennutzen geschaffen wird. Er umfasst die Lieferfähigkeit (die Verfügbarkeit der Güter), die Liefer- bzw. Wiederbeschaffungszeit (die Zeitspanne zwischen Auftragserteilung und Eintreffen der Ware beim Kunden), die Liefertreue bzw. -zuverlässigkeit (die termingerechte und vollständige Auftragsbearbeitung), die Lieferqualität (die exakte Erfüllung des Vertrages, die Qualität der Ware und ihr Zustand beim Eintreffen), die Lieferflexibilität (die Fähigkeit schnell auf veränderte Kundenwünsche zu reagieren) und die Informationsbereitschaft (die Auskunft über die Ware, die Lieferfähigkeit et cetera).[8]
So kann man das Bestandsmanagement als die gezielte Einflussnahme auf die im Unternehmen vorhandenen Vorräte mit dem Ziel eines optimalen Lieferservice bei möglichst geringerer Kapitalbindung definieren. Die Kernfrage des Bestandsmanagements lautet dabei: Wie viel Kapital muss ein Unternehmen in Beständen binden, damit es den für die Schaffung eines möglichst hohen Kundennutzen erforderlichen Lieferservice erbringen kann?[9]
2.1 Grundbegriffe
Bevor die Ziele und Aufgaben des Bestandsmanagements vorgestellt werden, müssen einige Grundbegriffe veranschaulicht werden.
„Der Begriff Bestandsmanagement umfasst zwei Aspekte:
- Welche Bestände sind Gegenstand des Bestandsmanagements?
- Was bedeutet in diesem Zusammenhang das Management von Beständen?“[10]
Zu den Objekten des Bestandsmanagements zählen alle Güter, die zwischen Produzenten und Konsumenten eine zeitliche, räumliche oder qualitative Veränderung erfahren. Dies sind die Bestände an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, die unfertigen und fertigen Erzeugnisse.
Die Rohstoffe gehen direkt in das zu erzeugende Produkt ein und stellen Hauptbestandteile des Fertigproduktes dar (z.B. Holz, Stahl).
Die Hilfsstoffe sind ebenso Bestandteile des Produktes, jedoch von untergeordneter Bedeutung (z.B. Farbe, Klebstoff).
Die Betriebsstoffe werden während der Produktion verbraucht (z.B. Treibstoff, Heizmaterial, Schmiermittel). Sie sind keine Bestandteile des Fertigerzeugnisses.
Die unfertigen Erzeugnisse sind solche, die im Gegensatz zu den Fertigerzeugnissen noch nicht verkaufsfähig sind. Sie sind noch nicht durch den gesamten Wertschöpfungsprozess gelaufen.[11]
Eine andere Unterteilung von Beständen kann nach dem technisch-ökonomischen Zweck vorgenommen werden. Dabei wird zwischen Bestellmengenbeständen, Sicherheitsbeständen und Saisonbeständen unterschieden.
Die Bestellmengenbestände resultieren aus der Bestellung größerer Mengen. Wobei Größendegressionseffekte durch Mengenrabatte, günstiger Transport, Einsparungen bei der Bestellabwicklung u. a. erzielt werden können.
Sicherheitsbestände werden gebildet, um mögliche Abweichungen von der geplanten Bestandsabwicklung aufzufangen, beispielsweise die nicht rechtzeitige Lieferung oder die nicht vereinbarte Menge oder wenn sich die Nachfrage anders als geplant verhält.
Saisonbestände werden gehalten, um unregelmäßige Bedarfsverläufe abzudecken (z.B. Spielzeuge am Weihnachten, Badeartikel im Sommer oder Schneeketten im Winter).[12]
Die Bestände kann man auch als Ergebnis einer Handlung oder eines Flusses darstellen. So entstehen z.B. nach dem Prozess der Herstellung Fertigerzeugnisse, nach dem Lernen bekommt man Wissen oder nach dem Säen kann man ernten.
Der Begriff des Managements umfasst die Subsysteme Unternehmensphilosophie, Unternehmenspolitik, Planung, Kontrolle, Führung und Organisation. Von Bedeutung für das Management von Beständen sind insbesondere die Unternehmenspolitik, Planung und Kontrolle, die im nächsten Punkt (2.2) expliziter beschrieben werden.
Des Weiteren ist es zweckmäßig den Begriff Bedarf und die verschiedenen Materialbedarfsarten zu definieren.
Unter dem Begriff Bedarf versteht man diejenige Menge an Materialien oder Fertigprodukten, die eine verbrauchende Stelle (z.B. Produktion, Vertrieb oder Kunde) zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums benötigt. Die Bedarfsermittlung dient hauptsächlich zur mengen- und termingerechten Erfüllung eines Fertigungsprogramms, das auf bekannten Aufträgen oder prognostizierten Absätzen basiert.[13]
Die Materialbedarfsarten werden einmal in Abhängigkeit von dem Ursprung und der Erzeugnisebene in Primär-, Sekundär- und Tertiärbedarf, und noch einmal in Abhängigkeit davon, ob die Lagerbestände berücksichtigt werden, in Netto- und Bruttobedarf unterteilt.[14]
Der Primärbedarf weist den Bedarf an Enderzeugnissen und deren verkaufsfähigen Ersatz- und Bauteilen aus. Während die Kundenauftragsfertiger ihren Primärbedarf aus den vorliegenden Kundenaufträgen exakt berechnen können, müssen die Lagerfertiger ihren Primärbedarf prognostizieren. Durch Zerlegung der Fertigerzeugnisse erhält man den Sekundärbedarf, nämlich den Bedarf an Rohstoffen, Einzelteilen, Werkstoffen sowie Baugruppen.[15] Der Tertiärbedarf ist schließlich der Bedarf an Hilfs- und Betriebsstoffen.
Der Bruttobedarf besteht aus Primär-, Sekundär- und Tertiärbedarf. Der Gesamtbruttobedarf ergibt sich durch die Addition des Zusatzbedarfes zum Bruttoproduktionsbedarf. Möglicher Zusatzbedarf ist der durch Ausschuss bedingte Mehrverbrauch, der Mehrbedarf für Wartungen oder Reparaturen und eventuell der Sonderbedarf (z.B. für Ausstellungen oder Versuche).[16] Der Nettobedarf ergibt sich durch die Subtraktion der verfügbaren Lagerbestände vom Gesamtbedarf. Er zeigt also die Menge an, die in der Planperiode nicht verfügbar ist. Die Nettobedarfsrechnung prüft, ob der verfügbare Lagerbestand ausreichen wird, damit ein anfallender Bruttobedarf befriedigt werden kann.[17]
Nachdem man sich eine klare Vorstellung über die verschiedenen Bestandsarten verschafft hat, könnte man sich in einem nächsten Schritt die Frage stellen, wozu die Bestände eigentlich dienen und warum man das Bestandsmanagement braucht. Was sind seine Ziele und Aufgaben? Auf diese Frage wird in dem nachstehenden Unterpunkt eingegangen.
2.2 Ziele und Aufgaben des Bestandsmanagements
Die Bestände dienen als Puffer zwischen Input- und Outputströmen von Gütern. Der Input wird durch Bestellungen bei den Lieferanten und der Output durch Kundenaufträge ausgelöst. Die Puffer können an allen Stellen eines Absatzkanals entstehen und zwar immer dann, wenn sich die zeitliche und mengenmäßige Struktur der Inputflüsse von der der Outputflüsse unterscheidet.[18]
Im Rahmen des Bestandsmanagement sind zwei untereinander konkurrierende Hauptziele zu unterscheiden.
Da die Zufriedenstellung der Kunden eine wichtige Voraussetzung für die Überlebensfähigkeit jedes Unternehmens darstellt, besteht das erste Ziel in der Versorgung der Bedarfsträger mit den benötigten Gütern beziehungsweise in der Minimierung der Fehlmengenkosten. Um dieses Ziel zu erreichen werden häufig hohe Bestände gehalten. Bestände verdecken aber störanfällige Prozesse, unabgestimmte Kapazitäten, mangelnde Liefertreue und Flexibilität und verursachen Kosten, die im Abschnitt 2.3.2 ausführlicher dargestellt werden.
Das zweite Ziel des Bestandsmanagements besteht deshalb in der Minimierung der Bestandskosten, das sich, im Gegensatz zum Ziel der Minimierung der Fehlmengenkosten, durch niedrige Bestände realisieren lässt.
Weder die Fehlmengen- noch die Bestandskosten können ganz vermieden werden. Aus diesen beiden Konfliktfeldern lässt sich der Hauptzweck des Bestandsmanagements ableiten: Die notwendige Versorgungssicherheit mit den minimalen Beständen auf dem Weg eines übergreifenden Optimierungsansatzes zu erzielen.[19]
Als Unterziele dieser beiden Hauptziele des Bestandsmanagements können einerseits die maximale Kapazitätsauslastung und andererseits die kurzen Durchlaufzeiten betrachtet werden. Die Durchlaufzeit ist die Zeit, die notwendig ist um einen Auftrag auszufüllen. Sie stellt die Zeitspanne zwischen dem Auftragseingang bis zu seiner Erfüllung dar. Sie zeigt, inwieweit es dem Unternehmen gelungen ist, seine Just In Time-Konzepte in die Tat umzusetzen.[20] Die Durchlaufzeit besteht aus Bearbeitungszeit, Transportzeit, Kontrollzeit und Liegezeit, wobei den größten Anteil die Liegezeiten ausmachen (ca. 85%). Kurze Durchlaufzeiten bedeuten schnelleren Kapitalumschlag, das heißt dass das Kapital schnell wieder genutzt werden kann, wodurch der Bedarf an Fremdkapital sinkt. Damit sorgen die Durchlaufzeiten dafür, schnell auf veränderte Kundenpräferenzen zu reagieren.[21] Auf der anderen Seite steht aber die Maximierung der Kapazitätsauslastung beziehungsweise die Minimierung der Leerzeiten, die dann entstehen, wenn die Betriebsmittel auf die Bearbeitung von Aufträgen warten müssen. Wiederum entsteht ein Konflikt zwischen den beiden Unterzielen.
An dieser Stelle ist es wichtig noch einmal darauf hinzuweisen, dass keine allgemeingültige Bestandsstrategie zur Optimierung von Beständen existiert, sondern sie muss in Abhängigkeit von der jeweiligen Branche unternehmensspezifisch festgelegt werden. In jedem Unternehmen befinden sich die Optimierungspotentiale in unterschiedlichen Unternehmensbereichen und werden auch völlig unterschiedlich implementiert. Für eine Firma könnte es beispielsweise sinnvoll sein ihre Bestände zu halten oder sogar etwas zu erhöhen, für eine andere aber ihre Bestände unverzüglich zu reduzieren. Darin besteht die Forderung an das Bestandsmanagement eines jeden Unternehmens, die individuelle Strategie zur Bestandsoptimierung zu finden.[22]
Von den im Abschnitt 2.1 erwähnten, für das Bestandsmanagement relevanten Managementsubsystemen, lassen sich die Aufgabenbereiche Bestandspolitik, -planung und -kontrolle ableiten.
Im Rahmen der Bestandspolitik werden Entscheidungen darüber getroffen, welche Produkte für welche Kunden und nach welchen Prinzipien bereitgestellt werden sollen. Darüber hinaus werden Entscheidungen über die Anzahl und den Ort der inner- und außerbetrieblichen Lagerstandorte sowie über die Betriebsform der Absatz- und Beschaffungslager (Make-or-Buy-Entscheidungen) gefällt.
Die Bestandsplanung beschäftigt sich mit der Frage der operationalen Bestandsziele und wie man diese erreicht. Unter den Aufgaben der Bestandsplanung kann man die Bedarfsplanung, die Bedarfssteuerung und die Planung der Sicherheitsbestände unterscheiden. In der Bedarfsplanung wird die Antwort auf die Frage gesucht, in welchen Mengen bestimmte Produkte in einem bestimmten Planungszeitraum benötigt werden. In der Bedarfsteuerung werden die Bestellmengen und -zeitpunkte geplant. Bei der Bestimmung der Höhe der Sicherheitsbestände müssen Einflussfaktoren wie Wiederbeschaffungszeit, Lieferbereitschaft, Prognosegüte und Anzahl der Lager berücksichtigt werden.
Im Rahmen der Bestandskontrolle werden die geplanten Daten ständig überprüft. Zu den Aufgaben der Bestandskontrolle zählen die Bestandsführung (Erfassung der Ist-Daten), die Bestandsrechnung (Bewertung der Bestandsmengen und Soll-Ist-Vergleich) und die Bestandsanalyse (Abweichungsanalyse).[23]
Das Bestandsmanagement trägt also die gesamte Verantwortung für die Materialien und Fertigerzeugnisse vom Lieferanten bis zum Endkunden. Ihm kommt die Aufgabe zu, die Güter in der gesamten Logistikkette zu planen, zu steuern und zu kontrollieren.
2.3 Bedeutung des Bestandsmanagements für das Unternehmen
Eine Vielzahl von Unternehmen reagiert auf den enormen Wettbewerbsdruck, als Folge der steigenden Globalisierung und Dynamisierung der Märkte, durch Preissenkungen oder Aufbau von Beständen. Im Allgemeinen sind aber diese Abwehrreaktionen nicht von Dauer. Man kann im Preiskampf sehr schnell von seinen Konkurrenten eingeholt oder sogar überholt werden. Die Bildung von Beständen ermöglicht zwar eine reibungslose Lieferung, bindet aber Kapital, das in andere gewinnbringendere Aktivitäten eingesetzt werden könnte.
Um sich von seinen Konkurrenten zu differenzieren und sich seine Marktposition zu sichern, muss sich jedes Unternehmen an den Präferenzen seiner Kunden orientieren. Diese Präferenzen können lediglich unter der Voraussetzung befriedigt werden, dass ausreichende Informationen, beispielsweise bezüglich geforderter Lieferzeit, Menge oder Qualität, vorliegen. Die rechtzeitige Bereitstellung dieser Informationen, um mögliche Nachfrageschwankungen zu erkennen und die Beschaffung auftragsbezogen durchzuführen, ist aber selten der Fall. Deshalb muss das Unternehmen seine Bestände in allen Stufen der logistischen Kette betrachten und gleichzeitig optimieren, um den maximalen Lieferservice mit der möglichst niedrigen Bestandshaltung zu erreichen. Das Unternehmen muss Maßnahmen zur langfristigen Planung und Kontrolle von Beständen ergreifen. Erst dann wird es ihm gelingen seine Gegner, in Hinsicht auf Lieferfähigkeit, -treue, -qualität und -flexibilität und dennoch auch ihre Gewährleistung zu möglichst niedrigen Kosten, zu übertreffen, und sich dadurch am Markt nachhaltig zu etablieren, indem es seine bisherigen Kunden beibehält und neue akquiriert.
Im Bestandsmanagement ist die ganzheitliche Betrachtung des gesamten logistischen Systems erforderlich, wobei die untereinander konkurrierenden Ziele, die in Abbildung 1 dargestellt sind, zum Ausgleich gebracht werden müssen.[24] Der Erfahrung gemäß kann das Kapitalbindungsniveau deutlich durch das Vorliegen von genügend Informationen über den betrachteten Markt und über die Kunden und deren Präferenzen sowie durch die Beseitigung von Abstimmungsdefiziten im System der Kundenauftragsabwicklung reduziert werden, ohne damit dem Ziel der Schaffung von höchstmöglichem Lieferservice entgegenzuwirken.[25]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Bestandsmanagement im Spannungsfeld konfliktärer Bereichsinteressen[26]
Alle Entscheidungen entlang einer Logistikkette werden von unabhängigen Wirtschaftssubjekten (Zulieferer, Hersteller, Händler) getroffen. Diese Entscheidungen sind sehr stark voneinander abhängig und müssen aufeinander abgestimmt werden, da es bei einer fehlenden Abstimmung zu suboptimalen Lösungen kommen kann. Es sind wirtschaftsübergreifende Konzepte notwendig, die diese Abstimmung propagieren und zur Ausschöpfung der vorhandenen Rationalisierungspotentiale verhelfen. Solche Konzepte sind unter anderem Efficient Consumer Response (ECR), Electronic Data Interchange (EDI), Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR), Quick Response (QR), Continuous Replenishment Program (CRP), Just in Time (JIT), Supply Chain Management (SCM). Das neueste Konzept, dem heute auch die größte Beachtung geschenkt wird, ist das Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment-Konzept.[27] Es wird im Abschnitt 6.5 beschrieben.
2.3.1 Einflussgrößen von Beständen
Um die Bestände erfolgreich zu managen ist es wichtig, die Größen, die auf sie in irgendeiner Weise Einfluss haben, transparent zu machen. Reinhold unterscheidet zwischen produktbezogenen, materialflussbezogenen, informationsflussbezogenen und aufbauorganisatorischen Einflussgrößen. Im Folgenden werden einige der wichtigsten dieser Größen vorgestellt.
Produktbezogene Einflussgrößen:
- Produktspektrum
Mit einer Ausweitung der Produktbreite sinken die relativen Absatzzahlen je Produkt. Die Höhe der jeweiligen Bestände sinkt aber nicht in dem gleichen Ausmaß, damit die Lieferbereitschaft nicht verloren geht.
- Häufigkeit technischer Änderungen am Produkt
Technische Änderungen am Produkt führen dazu, dass z.B. obsolete Materialien auf allen Stufen der Wertschöpfungskette zurückbleiben und keine alternative Verwendung weiter finden können.
- Standardisierung von Teilen und Komponenten
Durch die Mehrfachverwendung von Teilen und Komponenten kann sowohl eine Senkung der Stückzahlen als auch eine Senkung der Bestände erzielt werden.
Materialflussbezogene Einflussgrößen:
- Verfügbarkeit der Rohmaterialien am Markt
Um ihre Lieferbereitschaft zu sichern und immer auf die Kundenwünsche eingehen zu können, sollten Unternehmen solche Artikel, die nicht immer am Markt zu finden sind, frühzeitig beschaffen und sie auf Lager legen, was zu einer Erhöhung der Bestände führt.
- Wiederbeschaffungszeiten der Artikel
Bei langen Wiederbeschaffungszeiten ist die Haltung von höheren Sicherheitsbeständen notwendig, um mögliche Fehlmengen vermeiden zu können. Bei kurzen Wiederbeschaffungszeiten ist dagegen eine Senkung der Bestände möglich, da in diesem Fall die Reaktionsfähigkeit auf mögliche Veränderungen der Kundenwünsche höher ist.
- Schwankungen des Warenzugangs hinsichtlich Mengen und Terminen
Schwankungen hinsichtlich der angelieferten Mengen führen oft zu einer Erhöhung der Bestände, um mögliche Abweichungen von der geforderten Liefermenge oder dem gewünschten Liefertermin ausgleichen zu können.
- Anzahl der auf einer Anlage zu bearbeitenden Artikel
Je größer die Anzahl der auf einer Anlage zu bearbeitenden Produkten ist, desto wahrscheinlicher ist das Auftreten eines Kapazitätsengpasses und es bilden sich Bestände an Ware die auf ihre Bearbeitung warten.
- Unabgestimmte Kapazitäten
Wenn die Kapazität einer Stufe der Wertschöpfung größer ist als die des nachfolgenden, dann entstehen Zwischenlager, in den die Produkte auf ihre Weiterbearbeitung warten.
- Länge der Durchlaufzeiten
Wie wir bereits wissen (vgl. 2.2) bestehen die Durchlaufzeiten zum größten Teil aus Liegezeiten. Das heißt, je länger die Durchlaufzeiten sind, umso höher sind die Bestände und umso geringer ist der Kapitalumschlag.
- Geschwindigkeit der eingesetzten Transportsysteme in der Distribution
Die Höhe der Bestände wird durch die Schnelligkeit der Lieferung beeinflusst. Je schneller die Kunden beliefert werden, desto geringer sind die Bestände.
- Stetigkeit und Schwankungen von Absatz und Nachfrage
Unregelmäßigkeiten in der Nachfrage verschlechtern die Prognosequalität und führen deshalb zu einer Erhöhung der Sicherheitsbestände, um mögliche Fehlmengen zu vermeiden.
Informationsflussbezogene Einflussgrößen:
- Bestellzeitpunkte
Wenn die Bestellzeitpunkte nicht auf die jeweiligen Verbräuche und Vorräte angepasst werden, kann es entweder zu überhöhten Beständen oder zu stock outs kommen.
- Verbrauchsstetigkeit und Prognostizierbarkeit der Bedarfe
Es ist wichtig die Bedarfe möglichst genau zu prognostizieren, um Fehlmengen und Produktionsausfälle zu vermeiden.
- Eingesetztes Dispositionsprinzip in der Fertigung
Jeder Artikel muss entsprechend seiner Eigenschaften disponiert werden.
- Genauigkeit der Bestandsführung
Die Bestandsführung hat die Aufgabe, zeitliche, mengenmäßige und wertmäßige Änderungen in der Bestandshöhe zu verzeichnen. Ungenaue oder fehlende Bestandsführung aufgrund von verdeckten oder nicht aktuellen Informationen kann zu einer Erhöhung der Sicherheitsbestände führen.
- Häufigkeit der Bestandskontrolle
Um zu vermeiden, dass zu hohe oder zu niedrige Bestände zu spät ins Auge fallen und die notwendigen Maßnahmen nicht rechtzeitig eingeführt werden, ist eine regelmäßige Durchführung von Bestandskontrollen notwendig.
- Höhe des Lagerkostensatzes
Die Haltung von Beständen ist immer mit Kosten (z.B. Kapitalbindung, Zinsen, Versicherung et cetera) verbunden. Deshalb müssen die Lagerbestände gesenkt werden, um die Kosten zu verringern.
- Höhe der geforderten Lieferzeiten
Wenn die von den Kunden geforderten Lieferzeiten kürzer als die notwendigen Durchlaufzeiten sind, sind für die rechtzeitige Lieferung höhere Sicherheitsbestände zu halten.
- Höhe der geforderten Lieferbereitschaft
Die Bestände wachsen überproportional mit der geforderten Lieferbereitschaft, wobei eine 100%ige Lieferbereitschaft nicht zu erreichen ist, da eine vollkommen genaue Prognose der Nachfrage nicht möglich ist.
Aufbauorganisatorische Einflussgrößen:
- Zuordnung der Bestandsverantwortung zwischen Abnehmern, Lieferanten, Kunden und Dienstleistern
Eine Senkung der Bestände im eigenen Unternehmen bedeutet eine Erhöhung der Bestände bei den Lieferanten, was sich wiederum durch die gestiegenen Preise nicht als vorteilhaft erweist. Vielmehr ist eine gemeinsame Zuordnung der Bestandsverantwortung notwendig, so dass die doppelte Lagerung sowohl beim Lieferanten als auch beim Abnehmer wegfällt, und somit auch eine langfristige Bestandssenkung erreicht wird.
- Verteilte Bestandsverantwortung innerhalb des Unternehmens
Da die unterschiedlichen Bereiche eines Unternehmens sich hinsichtlich ihrer Ziele im Rahmen der Bestandshaltung voneinander unterscheiden, ist es zweckmäßig diese Ziele abzustimmen und gemeinsam die Bestandsverantwortung festzulegen. Auf diese Weise kann die Entstehung von Entkopplungspuffern an den Schnittstellen der Bereiche reduziert oder verhindert werden.
- Anzahl der Dispositions- und Entscheidungsebenen.
In der Regel ist eine höhere Anzahl von Dispositions- und Entscheidungsstufen mit mehreren Risiken und Ungenauigkeiten verbunden. Um diese Unsicherheiten zu hintergehen ist die Haltung höherer Bestände erforderlich.[28]
2.3.2 Bestände als Kostenfaktor
In der Vergangenheit waren hohe Vorratsbestände Garant für die sichere Zukunft des Unternehmens. Heute gilt diese Behauptung allerdings nicht mehr. Vor dem Hintergrund des immer steigenden Kostendrucks wird heute eine „Verschlankung“ der Lagerbestände als eine wichtige erfolgsversprechende Rationalisierungsnische angesehen.[29]
Mit Beständen können Kosten sowohl verursacht als auch behoben werden.
Die Gründe, die für einen Bestandsabbau sprechen, sind verschiedenartig. Die Bestände verursachen viele Kosten, die aus der Kapital- und Kapazitätsbindung, der Beanspruchung von Lagerplatz, den anfallenden Zinsen oder Fehlern resultieren. Außerdem ist das Vorhalten von Beständen mit vielen Risiken verbunden. Es ist durchaus möglich, dass die vorhandenen Waren aufgrund Veralterung nicht mehr abgesetzt werden können.
Die Bestände nehmen darüber hinaus einen vergleichsweise hohen Anteil an der Bilanzsumme und an dem Umsatz eines Unternehmens ein.
Die folglich aufgelisteten Kosten werden den Gründen für den Bestandsabbau gleichgesetzt.
- Opportunitätskosten (Kosten aus entgangenen Gewinnen): Die Bestände binden Kapital, das für andere, beispielsweise für den Unternehmenserfolg bedeutsameren Aktivitäten, verwendet werden kann.
- Lagerhauskosten: Sie entstehen durch die Beanspruchung von Lagerinfrastruktur, Lagerhilfsmitteln wie beispielsweise Transportmitteln, technische Anlagen, Personal, Arbeitshilfsmitteln (z.B. Software).
- Steuer- und Versicherungskosten
- Lagerrisikokosten: Es entstehen Risiken, dass die gelagerten Güter aufgrund der marktbedingten Beschleunigung von Produkt- und Innovationszyklen lediglich unter hohem Werteverlust oder gar nicht zweckgemäß verwendet werden können. Häufig entstehen sogar Zusatzkosten für die umweltgerechte Entsorgung dieser Güter.[30]
Bestände sichern andererseits die schnelle Lieferfähigkeit, gleichen Liefer- und Nachfrageschwankungen aus, wodurch Kosten für außerordentliche Deckungen der beispielsweise gestiegenen Nachfrage eingespart werden können. Diese Kosten sind meistens höher aufgrund der geforderten schnellen Bestellabwicklung, um Verspätungen hinsichtlich der Lieferung an dem Kunden und dadurch auch seine möglicherweise Abweisung zu vermeiden. Manchmal kommt es auch zur Gewährung von entsprechenden Rabatten für die sich verspätete Lieferung. Bei vielen Produkten (insbesondere Produkten von täglichem Bedarf) kommt es genau auf den Zeitpunkt ihrer Verfügbarkeit an, der Kunde will nicht warten, sondern die Ware sofort mitnehmen. In solchen Fällen, wenn das Unternehmen die geforderte Warenverfügbarkeit zu dem richtigen Zeitpunkt nicht gewährleisten kann, gehen die Kunden zur Konkurrenz. Mit dem Verlust von Kunden ist der Verlust von Umsatz und dadurch auch von Gewinn eng verbunden.
Kosten können also nicht nur durch überhöhte Bestände, sondern auch durch das Fehlen von Beständen verursacht werden. Das sind die so genannten Fehlmengenkosten.[31] Bei der Optimierung des Bestandsmanagements ist die unausweichliche Verfolgung des Ziels Bestände und dadurch Kapitalbindungskosten zu senken nicht genug. Vielmehr müssen andere mit so einer Bestandssenkung, nicht weniger wichtigen, verbundenen Folgen wie Reduzierung der Lieferfähigkeit im Handel oder Maschinenstillständen wegen fehlender Mengen in der Produktion berücksichtigt werden.
Man kann eine Übersicht über die Kosten der Lagerhaltung von der nachfolgenden Abbildung erlesen. Wenn man diese Zahlen betrachtet, erkennt man, dass es sich lohnt die Bestände zu optimieren, nämlich durch eine möglichst hohe Senkung der von den Beständen verursachten Kosten. Diese Senkung ist jedoch lediglich dann durchzuführen, wenn dadurch der optimale Kundenservice nicht gefährdet wird. Ein optimales Bestandsmanagement muss den Konflikt zwischen Kosten und Service beachten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Lagerhaltungskosten[32]
Die gesamten Lagerhaltungskosten betragen 16-26%, wobei der größte Anteil auf die Zinskosten für das gebundene Kapital entfällt. Die Fehlmengenkosten wurden in dieser Aufstellung nicht berücksichtigt und müssen noch dazu addiert werden.[33]
2.3.3 Auswirkungen von Beständen auf den Unternehmenserfolg
Um ihre langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, werden von den Unternehmen, die heute auf hart umkämpften Käufermärkten agieren müssen, erhebliche Anstrengungen verlangt, wobei die Schaffung eines möglichst hohen Kundennutzen im Vordergrund steht. Dafür bieten sich eine Reihe von Maßnahmen, wie die Steigerung des Lieferservice und der Produktqualität, die ständige Einführung neuer verbesserter Produkte, sowie Verbesserungen der Produktivität und Kostenwirtschaftlichkeit an. Die Erfüllung all dieser Maßnahmen verlangt nach einer Freisetzung des gebundenen Kapitals. Die Unternehmen müssen also um die permanente Erhöhung des Kapitalumschlags (= Umsatz / Gesamtkapital)[34] bemüht sein. Dabei kommt dem Umlaufvermögen eine besondere Bedeutung zu. Das Umlaufvermögen stellt einen Posten auf der Aktivseite der Bilanz dar. Es besteht aus solchen Vermögensteilen, die sich laufend in Geld umwandeln.[35]
Wie sich Bestände auf die Kapitalrentabilität eines Unternehmens auswirken können, wird aus Abbildung 3 ersichtlich. Das DuPont – System of Financial Control wurde im Jahr 1919 von der amerikanischen Firma „I.E. DuPont de Nemours & Co.“ entwickelt,[36] stellt aber noch heute eine der wichtigsten Kennzahlensysteme zur Berechnung des Kapitalrückflusses dar. Das System gibt auch einen sehr deutlichen Überblick über die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Kostenarten und dem Anlage- und Umlaufvermögen eines Unternehmens.[37] Es lässt sich leicht erkennen, dass eine Verringerung der Vorräte und dadurch des Umlaufvermögens zu einer Reduzierung der gesamten Bilanzsumme führt. Wenn der Umsatz unverändert bleibt, bedeutet eine Reduzierung der Bilanzsumme einen höheren Kapitalumschlag. Der Kapitalumschlag multipliziert mit der Umsatzrendite ergibt die gesamte Kapitalrentabilität (ROI).
Eine Bestandsreduzierung wirkt sich also positiv auf den Unternehmenserfolg aus, aber nur vor dem Hintergrund, dass die Kundennachfrage und damit die Umsatzrendite nicht zurückgehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Auswirkungen von Beständen auf die Kapitalrentabilität[38]
Aus diesen Überlegungen kann man die Grundaussage ableiten, dass die Bestände ein wichtiger Kostenfaktor darstellen und dass eine Bestandsoptimierung zu bedeutenden Kostenreduzierungen und auch zur entscheidenden Verbesserung aller Kennzahlen im Unternehmen führt.[39]
2.3.4 Bestandsoptimierung
Es existiert eine Reihe von Optimierungspotentialen. Hoppe unterscheidet zwischen Optimierungspotentialen auf der Nachfrageseite und auf der Beschaffungsseite.
Auf der Nachfrageseite schlägt er vor, die Kundennachfrage immer etwas zu überschätzen, um mögliche Unsicherheiten seitens der Nachfrage abzufangen. Diese Überschätzung führt zu einem Bestandsaufbau und somit auch zu höheren Sicherheitsbeständen. Das hier zu lösende Problem besteht in der möglichst genauen Vorhersage des Kundenbedarfs, da dadurch auch der Bestandsaufbau am geringsten sein wird. Die Optimierungspotentiale auf der Nachfrageseite liegen in der
- Verbesserung der Prognosegenauigkeit (Minimierung der Abweichung des geplanten vom tatsächlichen Bedarf),
- Bedarfsplanung gemeinsam mit den Kunden (aktive Beteiligung der Kunden im Planungsprozess),
- Reduzierung der Planungszyklen und Wiederbeschaffungszeiten (schnellere Reaktion auf Änderungen der Nachfrage).
Auf der Beschaffungsseite weist Hoppe auf eine leichte Überschätzung der Beschaffungszeiten und -mengen hin, um die Unsicherheiten im Einkauf und in der Disposition auszugleichen. Die Bestandsoptimierungspotentiale, die sich hier ergeben, sind:
- Reduzierung von Sicherheitsbeständen (sie sollen nur diejenige Unsicherheiten ausgleichen, die nicht von unserem Unternehmen verursacht werden),
- Reduzierung von Wiederbeschaffungszeiten,
- Erhöhung der Dispositionsqualität (der Disponent soll die notwendige Unterstützung bekommen, die mit Hilfe der richtigen Auswahl und Anwendung der Analyseverfahren gewährleistet werden kann),
- Bestandsplanung gemeinsam mit den Lieferanten,
- Bildung optimaler Losgrößen (Reduzierung von Losgrößen und damit verbundene Bestandsreduzierung),
- Reduzierung von Dispositionszyklen (eine Real-Time-Disposition macht es möglich, Schwankungen sofort zu erkennen und darauf zu reagieren).
Hoppe schlägt noch vor, die Produktionsausbringung ein wenig zu unterschätzen, um weitere, beschaffungsseitige Unsicherheiten zu minimieren. Die Bestandsoptimierungspotentiale bestehen hier in der
- Reduzierung von Durchlaufzeiten (Reduzierung von Pufferbeständen und Erhöhung der Lieferfähigkeit),
- Reduzierung von Umrüstungen (Freiwerdung von Kapazitäten, die für die Befriedigung anderer Bedarfe eingesetzt werden können),
- Verbesserung der Transparenz in der Fertigung (Verbesserung von Reaktionszeiten und Zufriedenstellung wichtiger Kunden).
Im Anschluss zeigt er folgende übergreifende Optimierungsmaßnahmen, die sowohl auf die Nachfrageseite als auch auf die Beschaffungsseite angewandt werden können.
[...]
[1] Vgl. Stölzle/Heusler/Karrer 2004, S. 11
[2] Vgl. Loukmidis/Stich 2004, S. 44
[3] Vgl. Münzler 1988, S. 120
[4] Vgl. Münzler 1988, S. 205
[5] Vgl. Hoppe 2005, S. 17
[6] Vgl. Hoppe 2005, S. 31
[7] Vgl. Grupp 1991, S.17-18
[8] Vgl. Koether u.a. 2004, S. 443
[9] Vgl. Wuppertaler Kreis e.V. 1990, S. 10
[10] Vgl. Stölzle/Heusler/Karrer 2004, S. 29
[11] Vgl. Stölzle/Heusler/Karrer 2004, S. 14
[12] Vgl. Scheja 2001, S. 56
[13] Vgl. Wannenwetsch 2004, S. 21
[14] Vgl. Kuhn 1997/1998, S. 11
[15] Vgl. Lensing/Sonnemann 1995, S. 61
[16] Vgl. Hartmann 2002, S. 348-349
[17] Vgl. Stölzle/Heusler/Karrer 2004, S. 62
[18] Vgl. Pfohl 2000, S. 98
[19] Vgl. Pfohl/Stölzle/Schneider 1993, S. 532-533
[20] Vgl. Pfohl 1994, S. 223
[21] Vgl. Hoppe 2005, S. 355-356
[22] Vgl. Hoppe 2005, S. 30
[23] Vgl. Pfohl/Stölzle/Schneider 1993, S. 533-536
[24] Vgl. Hartmann 1999, S. 31
[25] Vgl. Wuppertaler Kreis e.V. 1990, S. 48
[26] in Anlehnung an: Hartmann 1999, S. 32
[27] Vgl. Toporowski/Herrmann, S. 123, http://www.forseason.de/downloads/artikel-ifh.pdf
[28] Vgl. Reinhold 2001, S. 85-101
[29] Vgl. Stölzle/Heusler/Karrer 2004, S. 21-22
[30] Vgl. Stölzle/Heusler/Karrer 2004, S. 22 oder Lambert/ Stock 1992, S. 368
[31] Vgl. Stölzle/Heusler/Karrer 2004, S. 23
[32] in Anlehnung an: Hartmann 1999, S. 19
[33] Vgl. Hoppe 2005, S. 19-20
[34] Vgl. Woll 2000, S. 404
[35] Vgl. Wuppertaler Kreis e.V. 1990, S. 8-9
[36] Vgl. Weber 2002, S. 201
[37] Vgl. Hoppe 2005, S. 20
[38] in Anlehnung an: Weber 2002, S. 202
[39] Vgl. Hoppe 2005, S. 21
- Quote paper
- Boyana Boyanova (Author), 2006, Analyse und Bewertung der industriellen Methoden zur Artikelsegmentierung für die Materialwirtschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74217
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