Der Begriff Hysterie im historischen und kulturellen Kontext –
Einleitung
Die Hysterikerin erinnert in ihren Anfällen und Leiden
an eine weibliche Sexualität und Körperlichkeit,
die die „normale Frau“ vergessen musste.
Katrin Schmersahl untersucht in ihrer interdisziplinären Studie Medizin und Geschlecht von 1998 die Konstruktion der Kategorie Geschlecht in den wissenschaftlichen–medizinischen Forschungsbereichen des 19. Jahrhunderts. Die Diagnose Hysterie, so schreibt sie, spielte von der Antike bis zur Aufklärung eine untergeordnete Rolle und erst im 19. Jahrhundert kam ihr zentrale Bedeutung zu (Schmersahl, 216/217). Zudem problematisiert sich durch die Geschichte der beschriebenen hysterischen Krankheitsbilder die Furcht des Mannes vor einem selbständigen Innenleben der Frau. „[G]e-ordneter Geschlechtsverkehr“ (Lamott, 83), der Zugang zur Frau und ihrer Fruchtbarkeit garantiert, wird oft als Heilmittel empfohlen.
In den altägyptischen und antiken Schriftstücken wird die Hysterie als eine Erkrankung der weiblichen Geschlechtsorgane vorgestellt. Schon die Verfasser des Kahun–Papyrus (um 2000 v. Chr.) und des Ebers–Papyrus (um 1550 v. Chr.) beschreiben hysterische Symptome und vermeinen die Veränderung der Position der Gebärmutter als Krankheitsursache zu erkennen (Kronberger, 34). Hippokrates (ca. 460 – ca. 350 v. Chr.) benennt die Krankheit Hysterie, da er sie auf die im weiblichen Körper ‚wandernde’ Gebärmutter(2) zurückführt. Er empfiehlt Schwangerschaft, die die Gebärmutter an ihren natürlichen Ort fixiert, als Heilmittel für die hysterische Erkrankung. Im Mittelalter gilt die Krankheit als „Besessenheit“, die Bewusstseinsspaltung als die bedeutendste Komponente des heutigen Hysteriekonzepts wird bereits beschrieben (Kronberger, 37). Mit der fortschreitenden Erforschung von geistigen Erkrankungen im 17. Jahrhundert verlagert sich die Krankheitsursache in den Kopf.
[...]
_____
(1) Kronberger Die unerhörten Töchter, 12.
(2) „Hystera“ ist griechisch und bedeutet „Gebärmutter“.
Inhaltsverzeichnis
1. Der Begriff Hysterie im historischen und kulturellen Kontext – Einleitung
2. Das Krankheitsbild ‚Hysterie’ literarisch
2.1. Die Studien über Hysterie - Anfänge der Psychoanalyse
2.2. Freud als wissenschaftlicher ‚Interpret’ in seinen frühen Hysteriestudien
2.3. Schnitzler als ‚Analytiker’ der Wiener Gesellschaft des Fin de siècle
3. Freuds Fallbeispiel Frl. Elisabeth von R. und Schnitzlers Erzählung Frau Berta Garlan – Bilder hysterischer Frauenfiguren
3.1. Einführung in das ‚Rätsel der Weiblichkeit’
a) Die beiden Frauen als Geheimnisträgerinnen
b) Erzwungene Erinnerungen und Vergangenheitsbewältigung
3.2. Bürgerliches Elternhaus und Alltagsmonotonie
3.3. Ehe, Liebe, Sexualität
3.4. Inneres Konfliktpotential
3.5. Facetten von Hysterie: Symptombilder, Bewusstseinsbereiche, Träume
3.6. Frau als Objekt und Brüche durch weibliches Aufbegehren
4. Zum Vergleich: der ‚hysterische’ Anfall von Schnitzlers Fräulein Else
5. ‚Natürlich hysterisch!’ – die Unausweichlichkeit eines frauenspezifischen Krankheitsbildes – Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
Erklärung
Lebenslauf
1. Der Begriff Hysterie im historischen und kulturellen Kon-text – Einleitung
Die Hysterikerin erinnert in ihren Anfällen und Leiden
an eine weibliche Sexualität und Körperlichkeit,
die die „normale Frau“ vergessen musste.[1]
Katrin Schmersahl untersucht in ihrer interdisziplinären Studie Medizin und Geschlecht von 1998 die Konstruktion der Kategorie Geschlecht in den wissenschaftlichen–medizinischen Forschungsbereichen des 19. Jahrhun-derts. Die Diagnose Hysterie, so schreibt sie, spielte von der Antike bis zur Aufklärung eine untergeordnete Rolle und erst im 19. Jahrhundert kam ihr zentrale Bedeutung zu (Schmersahl, 216/217). Zudem problematisiert sich durch die Geschichte der beschriebenen hysterischen Krankheitsbilder die Furcht des Mannes vor einem selbständigen Innenleben der Frau. „[G]e-ordneter Geschlechtsverkehr“ (Lamott, 83), der Zugang zur Frau und ihrer Fruchtbarkeit garantiert, wird oft als Heilmittel empfohlen.
In den altägyptischen und antiken Schriftstücken wird die Hysterie als eine Erkrankung der weiblichen Geschlechtsorgane vorgestellt. Schon die Verfasser des Kahun–Papyrus (um 2000 v. Chr.) und des Ebers–Papyrus (um 1550 v. Chr.) beschreiben hysterische Symptome und vermeinen die Veränderung der Position der Gebärmutter als Krankheitsursache zu erkennen (Kronberger, 34). Hippokrates (ca. 460 – ca. 350 v. Chr.) benennt die Krankheit Hysterie, da er sie auf die im weiblichen Körper ‚wandernde’ Gebärmutter[2] zurückführt. Er empfiehlt Schwangerschaft, die die Gebär-mutter an ihren natürlichen Ort fixiert, als Heilmittel für die hysterische Erkrankung. Im Mittelalter gilt die Krankheit als „Besessenheit“, die Bewusstseinsspaltung als die bedeutendste Komponente des heutigen Hysteriekonzepts wird bereits beschrieben (Kronberger, 37). Mit der fortschreitenden Erforschung von geistigen Erkrankungen im 17. Jahrhundert verlagert sich die Krankheitsursache in den Kopf. Als Folge werden jetzt nicht nur die Geschlechtsorgane der Frau, sondern ihr ganzes Wesen als „Tier“ bezeichnet (Kronberger, 40). Daneben können Männer[3] und Kinder von hysterischen Erkrankungen betroffen sein, was jedoch an dem Status der Krankheit als Frauenkrankheit nichts ändert. Zur Zeit der Aufklärung und vermehrt im 19. Jahrhundert wird die Hysterie als geistige Erkrankung angesehen, deren Ursache jedoch in den weiblichen Ge-schlechtsorganen zu finden sei. Die Hysterie, nun Frauenkrankheit par excellence, gewinnt zentrale Bedeutung für die Entwicklung der modernen Psychiatrie und die gerade neu entstehende Psychoanalyse. Sie erlangt prägenden Einfluss auf die Thematisierung von Sexualität; in Folge dessen etabliert sich um 1900 die wissenschaftliche Disziplin[4] der Sexualforschung. Hier verlagert sich die Suche nach der Ursache der Erkrankung von den weiblichen Geschlechtsorganen und deren Funktion zu einer Untersuchung des weiblichen Sexualverhaltens, welches für ‚normale’ Frauen als passiv und triebarm beschrieben wird. Im gynäkologischen Forschungsfeld wird radikal operiert: Uterus, Ovarien, seltener die Klitoris, werden entfernt. Viele Operationen sind nicht erfolgreich, Frauen sterben während oder an den Folgen der operativen Eingriffe. Frauenfeindliche Tendenzen[5], die durchweg in der Geschichte der Hysterie präsent sind, erreichen um die Jahrhundertwende mit der Überführung des Weiblichen ins Pathologische ihren Höhepunkt. Mit dem Konzept des ‚hysterischen Charakters’ wird die Frau mit ihrer auf Männer erschreckend wirkenden Emotionalität ‚natürlich hysterisch’, im Umkehrschluss sind alle Hysterischen (ver-)weiblich(t):
Mit dem Konzept des „hysterischen Charakters“ wurde der Hysterie eine geschlechtliche Konnotation verliehen, indem die Eigenschaften von Hysteri-kerinnen quasi als Steigerung des weiblichen Geschlechtscharakters festge-schrieben bzw. hysterischen Männern weibliche Eigenschaften zugewiesen wurden. (Nolte, 118)
Als neu aufkommende Tendenz wird in den Theorien der neuropsy-chiatrischen Lehre das Krankheitsbild Hysterie vom Uterus als Krankheits-ursache gelöst. Hier lässt sich auch die Umbewertung der Hysterie mit der Beschreibung des Unbewussten durch Freud einordnen, die Studien über Hysterie bedeuten den Anfang einer individualpsychologischen Deutung (Kronberger, 13).
Die Unzahl der gynäkologischen[6] und neuro-pathologischen[7] Schriften reflektieren das ambivalente, auch über die Historie hinweg nicht fassbare Krankheitskonzept, welches sich genauso in der Mannigfaltigkeit der vorge-stellten therapeutischen Methoden beweist. Aus der Unmöglichkeit einer Definition ergeben sich verschiedene Bilder der hysterischen Erkrankung; es handelt sich um eine Vielzahl von projizierten Vorstellungswelten, um ein Konstrukt:
Daß es sich hier nicht um einen festumrissene Krankheitseinheit, sondern lediglich um ein Bild handelt, wird umso deutlicher, wenn wir uns noch einmal die diagnostischen Unklarheiten in Sachen Hysterie vergegenwärtigen, die die Aussagekraft statistischer Ergebnisse zur Krankheit Hysterie kaum aussagekräftig erscheinen lassen; ein Problem, das den Ärzten durchaus bewußt war. (Schmersahl, 229)
Das Krankheitsbild der Hysterie zeigt mit den vielfältigen Vorstellungen über Ätiologie[8], Behandlungsmethode und den variierenden Symptombildern ihre Anpassungsfähigkeit an die kulturellen Gegebenheiten. Auffällig ist die in bestimmten Zeitabschnitten auftretende Anhäufung von Symptombildern, welche ärztliche und gesellschaftliche Beachtung finden und einer hysterischen Erkrankung zugeordnet werden. So stehen motorische Störungen im 19. Jahrhundert im Symptompool der hysterischen Krankheitswahl vorn an. Die Hysterie bildet eine widersprüchliche Schnitt-stelle zwischen Kranksein und kulturellen Lebensbedingungen. Die Frei-heitsbeschneidungen der Frauen – die Vereinnahmung des weiblichen Körpers für Medizin und Forschung, die vorgeschriebene Geschlechterrolle, die festgelegte sexuelle Passivität – finden symbolischen Ausdruck in somatischen Zeichen, das heißt: in Symptombildern wie Lähmungen und Störungen von körperlichen Bewegungsabläufen. Das Symptombild der Astasie–Abasie[9] z.B., eine Störung des Geh- und Stehvermögens, gilt als der kleinste gemeinsame Nenner aller hysterischen Lähmungserscheinungen im 19. Jahrhundert.
Die Frauen der Jahrhundertwende erliegen dem Krankheitsbild der Hysterie, sie werden aber auch gleichzeitig zu Hysterikerinnen gemacht.
Die Hysterie ist ein caput mortuum, in welchem alles, was fremd erscheint, alles, was sich der Geist nicht erklären kann, zusammengefaßt wird. Besonders (…) wenn es sich um „psychisch“ Kranke handelt. Hat eine Kranke ein etwas fremdes Wesen, ist sie leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, ist ihr Auftreten mehr oder weniger kokett und fanatisch, so heißt es gleich, das ist eine Hysterische, und damit scheint dann alles gesagt. Sehr häufig weiß man gar nicht, was das ist, die Hysterie, aber das Wort ist da, magisch und für große Massen unverständlich, und es erklärt alles. (Colin; zitiert nach Lamott, 81)
Psychogene und neurotische Krankheiten, die nicht erklärbar sind, werden in das Gebiet der hysterischen Erkrankung aufgenommen. Hier zeigt sich der gesellschaftlich-soziale Nutzen der Krankheit im Sinne der Degenerationstheorie[10] mit der Möglichkeit Menschen – und natürlich Frauen – als ‚abnorm’, ‚pervers’ oder gar ‚kulturgefährdend’ zu beschreiben.
Widersprüche und Paradoxien innerhalb der Auseinandersetzungen mit dem hysterischen Krankheitsbild bezeugen nach Schmersahl „hinter den Objektivität beanspruchenden Theorien letztlich patriarchale und pro-fessionspolitische Interessen“ (Schmersahl, 201). Die normierten Vor-stellungen weiblicher Sexualität – passiv mit geringem Trieb –, die damit einhergehende Desexualisierung und Pathologisierung des Weiblichen und der Entwurf eines vollkommen negativen Bildes der Frau dienen zur Festschreibung der hierarchisch strukturierten Geschlechterverhältnisse. Geschlechtsspezifische Identitäten werden mit wissenschaftlichem Anspruch fundiert und legitimiert. Die Renaissance des Mutterkultes unterstützt die Kreation eines bürgerlichen Frauenideals, daraus folgt eine weitere Festlegung weiblicher Ich- und Identitätslosigkeit (Schaps, 116). Diesen von Männern für die Gesellschaft fixierten Interessen geht das Aufbegehren der proletarisch–sozialistischen als auch bürgerlichen Frauenbewegung in den frühen 1880ern voraus, die unter anderem die „Krise der Männlichkeit“ (von Schnurbein, 8) verursacht hat. Diese Krise ist nicht nur Reaktion auf das wachsende weibliche Selbstbewusstsein, sondern manifestiert sich auf „unterschiedlichen Gebieten (der Produktion, der Macht, der Rollen-verteilung, der Erotik) und ist durch zahlreiche heterogene Faktoren (z.B. politischen, ökonomischen, sozialen, psychologischen) bedingt.“ (von Schnurbein, 8) Mit ihren Forderungen nach sozialer, politischer und bürgerlicher Gleichheit und Freiheit stellen die unzufriedenen Frauen die bisher homogene Gesellschaft in Frage. Sie erheben Anspruch auf Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten und eine damit einhergehende Unabhängigkeit von einer patriarchalisch geprägten Welt; sie fragen nach den Möglichkeiten der Geburtenkontrolle, um Sexualität und Fortpflanzung bewusst trennen zu können; sie fordern weibliche Emanzipation in jeglicher Form. Die männlich geprägten Domänen Medizin und Naturwissenschaft werden ge-nutzt, um, mit wissenschaftlicher Legitimation, gegen den drohenden Geschlechterbilderwandel zu argumentieren. Eine Krankheitserscheinung wie die Hysterie kam da sehr gelegen.
In meiner Arbeit werde ich mich mit drei Textbeispielen der Darstellung des hysterischen Krankheitsbildes und seiner Konstruktion ausein-andersetzen. Die ‚realen’ Hysterikerinnen[11] der Jahrhundertwende haben sich, so wie ich es verstehe, inszeniert, um der gesellschaftlich-normierten Rolle zu entgehen; die Flucht in die Ohnmacht der Krankheit kann als ein demonstrativer Rückzug aus der Realität (und dem ehelichen Bett) interpretiert werden. Gleichzeitig parodierten sie die Anforderungen an das zeitgenössische Weiblichkeitsideal, indem sie die Freiheitsbegrenzungen in hysterischen Anfällen oder gelähmten Körpergliedern über- bzw. unterschritten. Aufgepfropfte Kommunikationslosigkeit fand ihren Ausdruck alter-nativ im streng tabuisierten körperlichen Bereich.
Auf der Suche nach ‚hysterischen’ Beispielen in der Literatur der Jahrhundertwende überraschte mich die Entdeckung, dass keine eindeutige Darstellung einer so zu bezeichnenden ‚Hysterika’ mit ausführlich beschriebenen Lähmungsbeschwerden zu finden ist. Die hysterisch anmutenden Symptombilder sind in der literarischen Darstellung primär auf die innerpsychischer Vorgänge beschränkt. Und genau um diesen Kontrast wird es in dem Hauptkapitel meiner Arbeit gehen: Ich werde die Entwürfe eines psychoanalytischen und literarischen Frauenbildes und die Konstrukte des hysterischen Krankheitsbildes in den Textgattungen Fallstudie[12] und Erzählung untersuchen. Freuds Patientinnenbeispiel Elisabeth von R. aus den Studien über Hysterie (1895) wird Schnitzlers Erzählung Frau Berta Garlan (1900) gegenüber gestellt. Sowohl die Patientinnenfigur Elisabeth von R. als auch der literarische Charakter Berta Garlan unterdrücken aufgrund der internalisierten und repressiv wirkenden gesellschaftlichen Moral-vorstellungen unbewusst ihre sinnlichen Neigungen. Die zwei Frauenfiguren ‚kranken’ und tragen Symptombilder aus. Doch ich werde zeigen, dass es genau die ‚hässlichen’ körperlichen Lähmungserscheinungen der Freud-schen Darstellung in der literarischen Erzählung nicht gibt.
Das wissenschaftliche und literarische Herkunftsfeld der Texte bedingen unterschiedliche Arten der erzählerischen Darstellung, wie auch die Textintentionen der Autoren heterogen sind. Die Psychoanalyse versucht Allgemeingültigkeiten mit dem Ziel einer wissenschaftlich objektiven Theorie zu erklären, Literatur beinhaltet die subjektive ästhetische Aussage. Sigmund Freud (1856–1939), der Begründer der Psychoanalyse, und Arthur Schnitzler (1862–1931), Analytiker der Wiener Gesellschaft, gelten beide als klassische Vertreter der Wiener Moderne. Oft wurde der Einfluss der psycho-analytischen Schriften Freuds auf Schnitzlers psychologische Darstellungs-weise in seiner literarischen Produktion überbewertet. Tatsächlich sind die Schriften Freuds und Schnitzlers Texte als parallel entstehende Entwicklungen anzusehen.
In Österreich um 1900 war es … unmöglich, von einem direkten Einfluss der Psychoanalyse auf die Literatur zu sprechen. In diesem Gewächshaus lagen die Themen in der Luft – die Hysterie war ein wesentliches davon -, die „Jungen“ versuchten sich ihnen auf ihre Art zu nähern – gleichberechtigt gewissermaßen. (…) Sie mussten sich nicht auf FREUD beziehen. (Kronberger, 150/151)[13]
Die gemeinsamen Wurzeln ihrer Produktion liegen in der Krise der liberalen Kultur Österreichs im ausgehenden 19. Jahrhundert. Politische Bewegungen, christlich–sozial, antisemitisch, nationalistisch und sozialis-tisch, bewirken den allmählichen Niedergang des Liberalismus ab dem Ende der 80er Jahre. Österreich steht in dieser Ära der ‚Umwertung aller Werte’ mit seiner ökonomischen Rückständigkeit im Spannungsverhältnis zum weltweiten Prozess der Modernisierung. Das Zeitalter der Umbrüche ist geprägt von Gegensätzen, von Revolution und Reaktion, Wissenschaft und Aberglaube, von freier Sexualität und Prüderie. Als Folge der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Unstimmigkeiten ist der Rückzug des Bürgertums, welches nun eine „introvertierte, narzißtische Haltung“ (Worbs, 190) kennzeichnet, zu sehen. Kunst wird zur Ersatzwirklichkeit, und als Lebensersatz „zur Religion, als Quelle des Sinnes und als Nahrung der Seele“ (Schorske, 8). Dieser ‚Rückzug auf das Ich’ zeigt sich ebenso in der künstlerischen und literarischen Introvertiertheit. Psychoanalyse und die Versuche einer theoretischen Beschreibung des Unbewussten gelten ebenso als „Antwort auf den krisenhaften Verlust historisch gewachsener Sinnkonstruktionen“ (Lamott, 19), wie die Darstellung eines reflektierten Seelenlebens fiktiver Gestalten in der Literatur.
Meine Arbeit wird von der Methode einer sehr textnahen, literarischen Analyse des Fallbeispiels und der Erzählung bestimmt sein. Als Ausgangsprämisse gilt der Konstruktcharakter des Krankheitsbildes Hys-terie. Ich werde mich mit der Frage auseinandersetzen, wie das hysterische Krankheitsbild bei Freud und bei Schnitzler gestaltet wird. Allgemein kann man sagen, Freud konstruiert das Krankheitsbild ‚über’ der Figur, oder besser: ohne sie. Es bleibt hier zu fragen, ob er seiner Patientin die ‚Diagnose’ Hysterie nicht aufdrängt[14] ; ich werde die Brüche in der Darstellung seines ‚diagnostizierten’ Krankheitsbildes verfolgen. Schnitzler hingegen entwickelt, mit völlig anderer Wirkung, den Grenzfall eines Krank-heitsbildes durch die Figur bzw. mit ihr. Schnitzlers Erzählung Fräulein Else (1924) wird als ein weiteres Vergleichsbeispiel der Darstellung einer ‚hys-terischen’ Erkrankung behandelt werden. Diese literarische Frauenfigur wird oft psychopathologisch interpretiert[15]. Aber tatsächlich nutzt Schnitzler die hysterischen Symptombilder hier, um aufzuzeigen, wie Frauen in die Erkrankung gezwungen wurden.
Beide Autoren konstruieren ein verschieden motiviertes Krankheitsbild und dennoch sind die Analogien der entworfenen Frauenbilder frappierend, was sich aus dem Abbildcharakter der Zeit, also historisch erklären lässt. Die festgeschriebenen Geschlechterbilder und normierten Werte der Zeit um die Jahrhundertwende werden durch die erzählerischen Texte reflektiert.
2. Das Krankheitsbild ‚Hysterie’ literarisch
Er [Freud] sieht den Unterschied zwischen Dichter und Wissenschaftler darin,
daß dem Dichter das psychologische Einfühlungsvermögen genügt,
während der Wissenschaftler sich in „mühseliger Arbeit“ um Beweise
oder zumindest Begründungen für seine intuitiven Ergebnisse bemühen muß.[16]
2.1. Die Studien über Hysterie - Anfänge der Psychoanalyse
Noch während seines Medizinstudiums arbeitet Sigmund Freud[17] ab 1877 im physiologischen Labor unter der Leitung Ernst Wilhelm von Brückes in Wien. Er beschäftigt sich mit den Funktionen des Zentral-nervensystems, und die Grundzüge seiner Einstellung zu den Naturwissen-schaften werden hier geprägt. Nach dem Erwerb des medizinischen Doktorgrades 1881 arbeitet Freud in den Abteilungen der Gehirnanatomie und Neuropathologie des Allgemeinen Wiener Krankenhauses. Durch seinen Studienaufenthalt in Paris 1885/86 wendet sich Freud unter dem Einfluss von Charcot der Psychopathologie zu. In Folge beschäftigt er sich in seiner im April 1886 gegründeten Privatpraxis für Nervenleiden mit der hypnotischen Suggestion, der Behandlung von Hysterien und anderen Neuroseformen, und therapiert Frauen aus dem etablierten Bürgertum[18].
Im Jahre 1895 veröffentlicht Freud in Zusammenarbeit mit dem Wiener Internist und Physiologen Josef Breuer (1842–1925) die Studien über Hysterie[19]. Breuer und Freud lernen sich 1881 kennen und arbeiten zusammen am Physiologischen Institut. Mehr als Freundschaft verbindet die beiden: neben Geldleihen von Breuer ist Freud während der ersten Jahre seiner Privatpraxis auf die Überweisung von Patienten durch Breuer, Hausarzt der prominenten Wiener, angewiesen.
Die Verknüpfung seines Namens mit der Kokainaffäre (…) und die schlechte Auf-nahme von Freuds Vortrag über die Hysterie beim Mann waren für seinen Ruf und entsprechend für die Praxis schädlich. (Stroeken, 12/13)
Mit den Studien über Hysterie werden erste, die Psychoanalyse konstituierende Begriffe eingeführt und das Kernstück der Freudschen und Breuerschen Theoriebildung über hysterische Phänomene vorgestellt. Die Beschreibung des unbewussten Bereiches ermöglicht eine Verschiebung des Krankheitsbildes von somatisch–traumatischer zu einer psycho–trauma-tischen Hysterie. Das bedeutet: der Ursprung der Krankheit verlagert sich in die Psyche. Von den Organen gelöst, kann die hysterische Erkrankung somit auch Männer betreffen. Freuds veröffentlichte Fallbeispiele vermitteln jedoch den Eindruck, dass das hysterische Krankheitsbild auch bei ihm frauenspezifisch bleibt[20]. Freuds behandelte Männer[21] (und Kinder) leiden an neurotischen Erkrankungen, und nicht an Sexualneurosen (Schaps, 150).
Breuer und Freud zeigen sich in den Komponenten der möglichen Vererbung einer Veranlagung[22], der Beurteilung von psychischen Krank-heitserscheinungen innerhalb der Familie, der Trennung der Erkrankten von der Familie, wie auch dem Auftreten von hysterogenen Zonen im Charcotschen Hysteriekonzept verhaftet.
Der gemeinsam verfasste Aufsatz Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene (Vorläufige Mitteilung), bereits 1893 erstmalig im „ Neurologischen Zentralblatt “ veröffentlicht, leitet die Studien über Hysterie ein. Hysterie entsteht nach Breuer und Freud aus unterdrückten emotio-nalen Erfahrungen, die sich mangels der Möglichkeiten einer ‚normalen Abfuhr’ in körperlichen Symptomen manifestieren[23]. Als Anlass von hyste-rischen Symptomen wird ein psychisches Trauma beschrieben (SH, 29), und als dieses
kann jedes Erlebnis wirken, welches die peinliche Affekte des Schreckens, der Angst, der Scham, des psychischen Schmerzes hervorruft, und es hängt begreiflicherweise von der Empfindlichkeit des betroffenen Menschen (…) ab, ob das Erlebnis als Trauma zur Geltung kommt. (SH, 29/30)
Das unbewusst bleibende Trauma bzw. die Erinnerungen an dieses sind „nach Art eines Fremdkörper[s]“ (SH, 30) erhalten geblieben und schaffen das körperliche Leiden. Breuer und Freud konstatieren: „ der Hysterische leide größtenteils an Reminiszenzen “ (SH, 31). Und die gilt es – meist durch Hypnose – bewusst zu machen. Nur ein affektvolles Erinnern, ein in Worte fassen der Erinnerungen, „Reflexe (…) vom Weinen bis zum Racheakt“ (SH, 32), das Auftreten des zugehörigen Symptombildes in voller Intensität – zusammengefasst: das ‚Abreagieren’ der Erinnerungen an das Trauma – lassen die körperlichen Symptome schwinden (SH, 30). Nicht das Trauma selbst ist pathogen, sondern seine Idee oder Repräsentation. Das Verfahren wird wegen der bereinigenden Wirkung als „kathartische Methode“ bezeichnet (SH, 32).
Die verhinderte Reaktion auf eine traumatische Situation kann nach Breuer und Freud zwei Ursachen haben. Zum ersten kann das Trauma zu stark sein, als dass darauf reagiert werden kann, wie zum Beispiel im Fall eines Todes. Oder die Sprachlosigkeit ergibt sich aufgrund eines gefürch-teten Tabubruchs: aufgrund „soziale[r] Verhältnisse [, die] eine Reaktion un-möglich machten“ (SH, 34). Zum zweiten sind es veränderte Bewusst-seinszustände, die Reaktionen verhindern. Traumatische Vorstellungen erhalten sich also, wenn sie
in schweren lähmenden Affekten, wie z. B. Schreck, entstanden sind oder direkt in abnormen psychischen Zuständen, wie im halbhypnotischen Dämmerzustand des Wachträumens, in Autohypnosen u. dgl. (SH, 34)
Nach Breuer und Freud geben weibliche Handarbeiten Raum und Zeit zu Tagträumen und bergen verstärkt die Gefahr bewusstseinsgestörter Zustände. Beide Ursachen treffen häufig zusammen und eine als ‚normal’ geltende, assoziative Verarbeitung innerhalb der Psyche ist nicht möglich bzw. diese auch nicht gewollt (SH, 35).
Die Bewusstseinsspaltung besteht bei jeder Hysterie. Ebenso sind die „abnormen Bewußtseinszustände“, die als „hypnoide“ (SH, 36)[24] zusammen-gefasst werden, ein Grundphänomen der Neurose (SH, 35).
Breuer und Freud erkennen die Problematik, dass abreagierte Symptome wieder durch neue ersetzt werden. Sie haben „eben nur de[n] Mechanismus hysterischer Symptome und nicht die inneren Ursachen der Hysterie“ (SH, 41) näher unterschieden und beschrieben. Sie heilen nicht die hysterische Erkrankung, doch die vorgestellte Methode der Psychotherapie erzielt heilende Wirkung:
Sie hebt die Wirksamkeit der ursprünglich nicht abreagierten Vorstellung dadurch auf, daß sie dem eingeklemmten Affekte derselben den Ablauf durch die Rede gestattet, und bringt sie zur assoziativen Korrektur, indem sie dieselbe ins normale Bewußtsein zieht (in leichter Hypnose) oder durch ärztliche Suggestion aufhebt, wie es im Somnambulismus mit Amnesie geschieht. (SH, 40/41; Hervorhebung vom Autor)
Breuer und Freud beschreiben hier zwei Arten des Umgangs mit dem bewusst gemachten Material der Patienten. Die Psychologin Marina Leitner merkt in ihrer medizin–historischen Studie Ein gut gehütetes Geheimnis. Die Geschichte der psychoanalytischen Behandlungs–Technik von 2001 kritisch an:
Eigenartig ist, dass die Autoren zwei Verfahren vorschlugen, aber keine Indikation angaben. Die Vorstellung kann entweder bewusst bleiben (vgl. Miss Lucy R.), oder durch Suggestion „weggewischt“ werden (vgl. Emmy von N.). Obwohl Emmy von N. ihre Gedächtnislücken beklagte, führte Freud letztere Methode dennoch als Möglichkeit an. (Leitner, 47)
Freud vermeint, seiner Patientin Emmy von N. durch Suggestion, Erinnerungsspuren an die Vergangenheit regelrecht gelöscht zu haben (Leitner, 37; vgl. auch Bronfen, 475).
Es folgen die Fallbeispiele von fünf hysterisch diagnostizierten Frauen: Fräulein Anna O., Frau Emmy von N., Miss Lucy R., Katharina und Fräulein Elisabeth von R.[25]. Kürzere Abhandlungen weiterer Hysterikerinnen stützen exemplarisch die angeführte Diagnose. Dazu geben die kurzen unter-malenden Beispiele einen Überblick über die Vielfältigkeit der Symptombilder, die dem Krankheitsbild Hysterie zugeordnet werden.
Die hier einzig angeführte Patientin Breuers, „Frl. Anna O.“[26], ist heute wohl die bekannteste und meistdiskutierte Erkrankte aus den Studien. Aufgrund ihres Redebedürfnisses, welches sie als „talking cure“ (oder auch scherzhaft „chimney sweeping“, SH, 50) bezeichnet, entdeckt sie den ‚kathartischen Effekt’. Mit den Äußerungen ihrer in Worte gefassten Vergangenheit schwinden ihre vielfältigen, körperlichen Symptombilder, die von Sprachstörungen über Lähmungen bis hin zu zwei getrennten Bewusstseinszuständen reichen. Am Morgen in Hypnose versetzt, versucht Breuer den Ursprung der einzelnen Symptome Annas in die Vergangenheit zu verfolgen. In der „Abendhypnose“ werden von Anna die Begebenheiten um das Symptom ausführlicher, mit den unterstützenden Notizen Breuers, „wieder erlebt“ (SH, 56).
Nach letzter dramatischer Halluzination, einer ‚Reinszenierung’ ihres ‚Urtraumas’, gilt Anna O. als geheilt.
Am letzten Tag reproduzierte sie (…) die oben erzählte Angsthalluzination, welche die Wurzel der ganzen Erkrankung gewesen war, (…) sprach unmittelbar darauf Deutsch und war nun frei von all den unzähligen einzelnen Störungen, die sie früher dargeboten hatte. (SH, 60)
Die Forschungsliteratur beschreibt das Gegenteil einer wundersamen Heilung. Nach hysterischer Scheinschwangerschaft[27] und Chloral- und Morphiumentzug verbringt Berta Pappenheim bis zu ihrer endgültigen Heilung noch fünf weitere Jahre in diversen Sanatorien. Spekulationen über ihre tatsächliche Krankheit reichen von tuberkulöser Meningitis (Eschen-röder, 48), Überforderung aufgrund Fürsorge und Belastung während der Krankenpflege des sterbenden Vaters (Kerr, 50), bis hin zur Multiplen Persönlichkeitsstörung (Ursula Gast[28] ). Nach ihrer Genesung nutzt Berta Pappenheim ihre geistigen Fähigkeiten, die, wie von Breuer mehrfach betont, in ihrem eintönigen familiären Leben verkümmert sind. Sie wird zu einer engagierten Frauenrechtlerin innerhalb der jüdischen Frauenbewegung, betätigt sich als Schriftstellerin und leitet ein Waisenheim in Isenburg.
Auch wenn Anna O. von Breuer nicht geheilt wird, Tatsache ist, dass sie durch ihre ‚talking cure’ eine zeitweilige Besserung ihres Zustandes erreichte. Gerade das temporäre Verschwinden der Symptombilder im Zuge des Sprechens über die Vergangenheit hat wohl das Interesse Freuds geweckt. Eine weitere Tatsache ist, dass Anna O. als das exemplarische Beispiel einer Heilung mit Hilfe der ‚kathartischen Methode’ in den Studien über Hysterie angeführt wird.
Wider besseres Wissen gaben Breuer und Freud eine grob irreführende, sehr stark idealisierte Darstellung der Wirkungen ihrer kathartischen Behandlungsmethode. (Eschenröder, 48)
Die Behandlung der einundzwanzigjährigen beginnt im Sommer 1880 und dauert bis zum Sommer 1882, das Jahr in dem Freud von Breuers Patientin erfährt. Breuer schreibt auf Freuds Drängen die rekonstruierte Krankengeschichte der Anna O. etwa zwölf Jahre später für die Studien über Hysterie auf. Hier lassen sich Breuers Erinnerungsvermögen, die Vollständigkeit des informativen Gehaltes seines Fallbeispieles und eine Manipulation in Anpassung an die Theorien der Studien über Hysterie als Kritikpunkte anführen (Leitner, 31).
Freuds Patientinnenbeispiele zeigen generell eine Weiterentwicklung der Breuerschen ‚kathartischen Methode’. Freud experimentiert einerseits mit der eher problematischen Methode des ‚Handdruckes’[29], um „das abwehrlustige Ich für eine Weile zu überrumpeln“ (SH, 295) und an die Bewusstseinsinhalte seiner Patientinnen zu gelangen, und zeigt andererseits Ansätze zur Methode der ‚freien Assoziationen’. Die ‚freien Assoziationen’ stellen einen neuartigen Weg dar, Mechanismen und Funktionsweise des Unbewussten konkret zu verfolgen und zu beschreiben. Sie sind das eigentliche psychoanalytische ‚Instrument’ zur Erforschung des mensch-lichen Seelenlebens. Eine durchgehende Anwendung dieser Methode ist in den Studien über Hysterie nicht gegeben.
Die Hypnose als ursprüngliche Methode, um in das Unbewusste hysterisch Erkrankter vorzudringen, findet immer weniger Anwendung. Patientinnen stellen sich als „unsuggestibel“, d.h. nicht hypnotisierbar heraus[30]. Dazu bewirkt die Hypnose nach Freud nur einen vorübergehenden Erfolg in der Symptomheilung, da sie den „Widerstand“ des Unbewussten verdecke, der sich bei wachen Patientinnen bemerkbar macht. Der Widerstand ist gleichzusetzen mit dem Ausmaß der Weigerung der Patientin sich zu erinnern, also nach Freud mit der Kraft der „Abwehr“ bzw. dem Maß der „Verdrängung“[31], welche das Auftauchen einer Erinnerung verhindert. Es handelt sich hier um eine Zensur, die das Ich ausübt, um verdrängte Erinnerungen nicht in das Bewusstsein zuzulassen (SH, 284/285).
Nach den fünf Krankengeschichten folgen zwei weitere Abhandlungen: eine mit dem Titel Theoretisches von Breuer und eine zweite von Freud, Zur Psychotherapie der Hysterie. In letzterer wird klar, worin Freud sich von Breuer unterscheidet: er sieht in der „Abwehr“, die sich gegen sexuelle Vorstellungen richtet, den möglichen Ursprung der Hysterie. Das Zurück-führen auf sexuelle Ursachen als Auslöser eines Traumas führt zum Bruch mit Breuer, der dies in seiner Abhandlung Theoretisches eigentlich bestätigt: „Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich behaupte, die große Mehrzahl der schweren Neurosen bei Frauen entstamme dem Ehebett“ (SH, 265), und in seiner Anmerkung das Übergehen „eines der allerwichtigsten pathologischen Momente“ (SH, 265) zusätzlich kritisiert. Doch Breuer entzieht sich aufgrund des prekären Themas einer öffentlichen Stellungnahme zu dieser Erkenntnis[32].
Freud betont als neuartige Beobachtung, dass „die Ätiologie in sexuellen Momenten zu suchen sei“ (SH, 273). Und er bedauert gleichzeitig, dass er diese Momente bei seinen Patientinnen nicht vorsätzlich untersucht hat. In der „Epikrise“ zu Miss Lucy R. ergänzt er:
[E]s ist eine kurze, episodisch verlaufende Hysterie bei unverkennbar sexueller Ätiologie, wie sie einer Angstneurose entsprechen würde; ein überreifes, liebesbedürftiges Mädchen, dessen Neigung zu rasch durch ein Mißverständnis erweckt wird. (SH, 276)
„Überreif“ und „liebesbedürftig“ wirkt Miss Lucy R. in ihrer Krankenbeschreibung keineswegs (SH, 136-138); dies sind Wunsch-projektionen Freuds, der ihr die unbewusste Liebe zum Hausherren, zur Steigerung der Unmittelbarkeit in Dialogform niedergeschrieben, aufdrängt (SH, 135). So wird auch das Misslingen der Kur der Frau Emmy von N. auf das fehlende „sexuelle Element, das doch wie kein anderes Anlaß zu Traumen gibt“ (SH, 122) zurückgeführt.
Eine konkrete Anleitung und Funktionsweise zur Technik der Psychotherapie gibt Freud nicht. Er beschränkt sich auf: „Ich will mehr aufzählen und andeuten als ausführen.“ (SH, 281) Dieser kritikwürdige Punkt steht im Zentrum von Marina Leitners überzeugender Geschichte der psycho-analytischen Behandlungs-Technik. Sie ist der Meinung, dass
jeder Analytiker zwangsläufig seine eigene Technik auf der Basis von Versuch und Irrtum finden musste. Selbst als Freud einschlägige Artikel veröffentlichte, waren seine Angaben zur konkreten Technik derart global und dürftig, dass sie in der Praxis viele Interpretationsmöglichkeiten zuließen. (Leitner, 14; Hervorhebung vom Autor)
Freud begibt sich in den künstlerischen Bereich, wenn er die Aufgabe des Arztes als die der „Schöpfung von Motiven (…), welche die psychische Kraft des Widerstandes besiegen sollen“ (SH, 318), beschreibt:
Man wirkt, so gut man kann, als Aufklärer, wo die Ignoranz eine Scheu erzeugt hat, als Lehrer, als Vertreter einer freieren oder überlegenen Weltauffassung, als Beichthörer, der durch die Fortdauer seiner Teilnahme und seiner Achtung nach abgelegtem Geständnisse gleichsam Absolution erteilt; man sucht dem Kranken menschlich etwas zu leisten, soweit der Umfang der eigenen Persönlichkeit und das Maß von Sympathie, das man für den betreffenden Fall aufbringen kann, dies gestatten. Für solche psychische Betätigung ist als unerläßliche Voraussetzung erforderlich, daß man die Natur des Falles und die Motive der hier wirksamen Abwehr ungefähr erraten habe (…). (SH, 299)
Der Arzt sollte sich nach Freud intuitiv verschiedener Rollenkonzepte annehmen. Diese seltsame und im Vagen verharrende Mischung von Termini aus Metaphysik, Religion und Humanwissenschaft verleihen dem von Freud beschriebenen Therapeuten eine Aura des Sakralen und Allwissenden. Priestergleich kann der Therapeut heilende ‚Erlösung’ geben[33], propheten-haft kann er die Krankheitsursache des Patienten, wenn auch nur „ungefähr“, ahnen. Durch den weitblickenden Pädagogen, die moralisch gefestigte Instanz und den humanen Beistand wird der Patient auf den ‚richtigen’ Weg zurückgelenkt.
Vom Patienten erwartet Freud vorselektierend Intelligenz, ein Sympathie-gefühl und „die volle Einwilligung, die volle Aufmerksamkeit der Kranken, vor allem aber ihr Zutrauen“ (SH, 281).
Zur Fraglichkeit der Methode des vom Therapeuten ausgeübten Druckes nur soviel:
Ich teile dem Kranken mit, daß ich im nächsten Moment einen Druck auf seine Stirn ausüben werde, versichere ihm, daß er während dieses ganzen Druckes eine Erinnerung als Bild vor sich sehen oder als Einfall in Gedanken haben werde, und verpflichte ihn, dieses Bild oder diesen Einfall mir mitzuteilen, was immer das sein möge. Er dürfe es nicht für sich behalten, weil er etwa meine, es sei nicht das Gesuchte, das Richtige, oder weil es ihm zu unangenehm sei, es zu sagen. Keine Kritik, keine Zurückhaltung (…) Nur so könnten wir das Gesuchte finden, so fänden wir es aber unfehlbar. (…) Dieses Verfahren hat mich viel gelehrt und auch jedesmal zum Ziele geführt; ich kann es heute nicht mehr entbehren. (SH, 286/287)
Das Aggressive und Selbstüberzeugte der Vorgehensweise – Fehlschläge in der Prozedur des Drückens gibt es angeblich nicht (SH, 297) – zur Überwindung des ‚Widerstandes’ spricht bereits aus diesem einen Beispiel. Ob der Therapeut auf einen „Widerstand“ gestoßen ist, lässt sich nach Freud am Gesichtsausdruck des Patienten deuten (SH, 318). Ich werde bei der literarischen Analyse des Fallbeispiels Elisabeths noch konkreter auf das ‚Zwingen’ in die hysterische Erkrankung eingehen.
Als ‚Schöpfer von Motiven’ ist es für den Analytiker unerlässlich, intuitiv und vorausschauend zu handeln:
Es ist in diesem späteren Stadien der Arbeit von Nutzen, wenn man den Zusammenhang errät und ihn dem Kranken mitteilt, ehe man ihn aufgedeckt hat. (SH, 312; Hervorhebung von mir, M. M.)
Dass Freud den Patienten mit seiner hier vorgestellten Vorgehensweise suggestiv auf die eigenen Interpretationen hin lenkt, „seine Aufmerksamkeit dirigiert“ (SH, 309), scheint ihm nicht bewusst zu sein. Oder gerade doch?
Abschließend möchte ich hier Freuds Vorwort zur zweiten Auflage[34] der Studien von 1908 hervorheben. Zurückblickend unterstreicht er die Entwicklung seiner Erkenntnisse über den Zeitraum von dreizehn Arbeits-jahren. Eine Anpassung des Textes im Sinne dieser veränderten Erfahr-ungen würde nach seiner Aussage „deren Charakter völlig (…) zerstören“ (SH, 25). Freud schreibt in seinem Aufsatz Zur Psychotherapie der Hysterie:
Ob ich mit dieser Tendenz zur Ausdehnung des Abwehrbegriffes auf die gesamte Hysterie Gefahr laufe, der Einseitigkeit und dem Irrtume zu verfallen, werden ja hoffentlich neue Erfahrungen bald entscheiden. (SH, 303)
Freud bezieht Stellung zum prozessualen Experimentiercharakter seiner Forschungen, überzeugt jedoch seine Leserschaft durch die Wiedergabe des unveränderten Textes von der Notwendigkeit dieser fortschreitenden Entwicklungen. Die Qualität einer ersten Annäherung an ein unbekanntes Gebiet und den heutigen, ausschließlich medizinisch - historischen Wert der Studien über Hysterie erkennt Freud bereits zu diesem Zeitpunkt.
So bestätigt Stavros Mentzos, der Leiter der Abteilung Psychotherapie und Psychosomatik am Zentrum der Psychiatrie, Universität zu Frankfurt am Main, in seiner Einleitung zu den Studien über Hysterie, dass es sich bei den Fallbeispielen um die Darstellung
höchst interessanter Krankengeschichten [handelt], die sich, wie Freud selbstkritisch meinte, zwar wie Novellen lesen, die aber, vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, diagnostisch zum großen Teil eigentlich keine Hysterien gewesen seien. (SH, 9)
Ahnte Freud vielleicht schon 1908, dass er manche Krankheit als Hysterie behandelt hat, die eigentlich keine war?
2.2. Freud als wissenschaftlicher ‚Interpret’ in seinen frühen Hysteriestudien
Freud hat die Psychoanalyse zeitlebens als Naturwissenschaft verstanden. Immer wieder finden neurophysiologische Termini – in Anlehnung an Brücke und seiner ursprünglichen Ausbildung glaubt Freud an die Priorität der physiologischen Vorgänge – Eingang in seine psycho-analytischen Schriften. Er spricht von „Mischinfektionen“ (SH, 277) und „ psychotherapeutische[n] Operationen (…), die Analogien mit Eröffnung einer eitergefüllten Höhle, der Auskratzung einer kariös erkrankten Stelle u. dgl. verfolg[en]“ (SH, 322), und meint hysterische Erkrankungen bzw. ihre therapeutische Behandlung.
Ich bin nicht schon immer Psychotherapeut gewesen, sondern bin bei Lokaldiagnosen und Elektroprognostik erzogen worden wie andere Neuro-pathologen, und es berührt mich selbst noch eigentümlich, daß die Kranken-geschichten, die ich schreibe, wie Novellen zu lesen sind und daß sie sozusagen des ernsten Gepräges der Wissenschaftlichkeit entbehren. (…) Lokaldiagnostik und elektrische Reaktionen kommen bei dem Studium der Hysterie eben nicht zur Geltung, während eine eingehende Darstellung der seelischen Vorgänge, wie man sie vom Dichter zu erhalten gewöhnt ist, mir gestattet bei Anwendung einiger weniger psychologischer Formeln doch eine Art von Einsicht in den Hergang einer Hysterie zu gewinnen. (SH, 180)
Die „Epikrise“ Elisabeths einleitend, zeigt Freud kritische Eigenbeobachtung über den literarischen Aspekt der Darstellung seiner Fallstudien. Gerade weil die Lebensgeschichte der Patientinnen so eng mit den Krankheitssymptomen verknüpft ist, haben die Fallbeispiele die sich steigernde, dramaturgische Wirkung. Freuds Eigenkritik verstärkt und rechtfertigt, trotz literarischer Wirkung, den wissenschaftlichen Ansatz.
Denn Freud bewegt sich auf dem Feld der Wissenschaft. Die Schmerzen und deren Ursache, die Therapie und Behandlung im Falle von Elisabeth von R.[35] stehen im Vordergrund seines forschenden Interesses. Er ist an dem ‚Mechanismus’ ihrer ‚Krankheit’ interessiert; Elisabeth fungiert als Trägerin des Krankheitsbildes, welches es zu ergründen gilt. Freud stülpt seiner Patientin schon auf den ersten Seiten seiner Ausführung das Krankheitsbild und damit die Krankheit Hysterie als Diagnose über. Er hat bereits eine wissenschaftliche Definition – sprich: wie das Grundgerüst der hysterischen Charakterprägung aussieht und sich äußert – versucht zu schaffen und theoretisch zu fundieren. Hier wird der Experimentiercharakter der Studien über Hysterie deutlich, was sich jedoch konsequent aus dem noch währenden Prozess der Erschließung des Krankheitsbildes ergibt.
Worbs bestätigt den literarischen Aspekt der Krankengeschichten, der sich inhaltlich bedingt,
[d]enn Freud mußte im Versuch, die Neurose (lebensgeschichtlich) zu verstehen, sich literarisch–hermeneutischer Formen bedienen, um seine Erkenntnisse sprach-lich überhaupt fassen zu können. Die Folge war eine ‚Episierung der Theorie’ (Habermas). (Worbs, 9)
Ferner ordnet Worbs die psychoanalytische Krankengeschichte zwischen „objektivem und lyrischem psychologischem Roman“ (Worbs, 88) ein:
Mit ersterem hat sie gemeinsam, daß das Schicksal des Helden von einem Fremden erzählt wird, mit letzterem, daß das Erzählte aus nichts als dem vom Erinnerungs-prozeß selbst zutage geförderten Material besteht. Vom ersterem trennt sie die Vermittlung beider Sphären, von letzterem die Aufspaltung des erinnernden Ich in zwei Personen. (Worbs, 88)
Die literarische Wirkung entsteht darüber hinaus durch die Art, wie Freud erzählt. Das Patientinnenbeispiel Elisabeths strukturiert sich in drei klar unterteilbare Phasen, die bereits in sich Spannung erzeugen, und in einer dramatischen „Rätselauflösung“ kulminieren; nämlich in der stilisierten Phrase: „jetzt bemächtigte sich ihrer ein Gefühl ihrer Schwäche als Weib, eine Sehnsucht nach Liebe“ (SH, 174).
Freud nimmt als Autor, Erzähler, Protagonist und Zensor an seinem Patientinnenfallbeispiel teil. Aller Gehalt der Erzählung ist durch seine Wahrnehmung gefiltert, und er begibt sich allwissend in die Gedankengänge Elisabeths (vgl. z.B. SH, 176). Freud spricht teilweise aus der Ich-Perspektive, wie er sich auch, Objektivität und Distanz suggerierend, als „der Analytiker“ und „der Therapeut“ in der dritten Person bezeichnet. Die nachträgliche Aufzeichnung bietet Freud Gelegenheit, die Notizen aus den Analysesitzungen, das reproduzierte Material Elisabeths und die eigenen Gedanken, chronologisch zu ordnen, „Lücke[n] in der Aufklärung“ (SH, 166) zu füllen, zu rekonstruieren und zu gestalten.
In dem Fallbeispiel finden sich, die erzählerische Struktur konstituierend, klassische Plotelemente wie Schicksalsschläge, Liebeswirren und Intrigen. Elisabeths erste Liebe ist eine Enttäuschung. Durch den Tod des Vaters bricht für Elisabeth eine Welt zusammen. Die zwei Schwagerfiguren wirken in ihrer Darstellung als Gegensatzpaar. Mit der „dunkle[n] Kunde von dem Zwiste“ (SH, 162) werden sie zu Kontrahenten, über Gründe kann selbst Elisabeth nur spekulieren. Der erste Schwager macht sich aufgrund seines Umzuges in eine andere Stadt anteilig an den sich lösenden Familienbanden schuldig. Der zweite Schwager muss sich mit den Vorwürfen, den Tod seiner Frau, verursacht zu haben, auseinandersetzen. Der detailliert beschriebene Weg zur sterbenden Schwester, gebrochen von Hinweisen, die ihren Tod vorwegnehmen, wird stilistisch genutzt, um die dramatische Handlung zu intensivieren. Elisabeth ist versunken in „schmerzlich–süße[n] Erinnerungen“ (SH, 175) an
das lange Warten bis zum Abend, an dem sie erst Gastein verlassen konnten. Die Fahrt in qualvoller Ungewißheit, in schlafloser Nacht – (…) Nun folgte ihre Erinne-rung der Ankunft in Wien, der Eindrücke, die sie von den erwartenden Verwandten empfingen, der kleinen Reise von Wien in die nahe Sommerfrische, in der die Schwester wohnte, der Ankunft dort am Abend, des eilig zurückgelegten Weges durch den Garten bis zur Türe des kleinen Gartenpavillons – die Stille im Hause, die beklemmende Dunkelheit; daß der Schwager sie nicht empfing; dann standen sie vor dem Bette, sahen die Tote (…) (SH, 175/176).
[...]
[1] Kronberger Die unerhörten Töchter, 12.
[2] „Hystera“ ist griechisch und bedeutet „Gebärmutter“.
[3] Thomas Sydenhams (1624–1689) gibt der männlichen Hysterie den Namen „Hypochondriasis“ (Kronberger, 40).
[4] Richard von Krafft-Ebing (1840–1902), der heute als der Begründer der Sexualforschung gilt, hat in seinem populären Definitions- und Nachschlagewerk Psychopathia sexualis. Mit besonderer Berücksichtigung der conträren Sexualempfindung sexuelle Abweichungen und ‚Perversionen’ beschrieben. 1884 erstmalig veröffentlicht, liegt der umfangreiche Band 1901 bereits in der 11. Auflage vor.
[5] Ein herber Ausdruck von Frauenfeindlichkeit mit den Darstellungen der Minderwertigkeit der Frau sind Otto Weiningers Geschlecht und Charakter, veröffentlicht 1903 (vgl. z.B. Kronberger, 108–112), und Paul Johann Möbius Abhandlung Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes, veröffentlicht 1900, in der Hysterie als moralische Erkrankung definiert wird (vgl. z.B. Lamott, 78/79).
[6] Im gynäkologischen Forschungsbereich wird die Hysterie als Folge eines Genitalleidens oder unbefriedigter Sexualität beschrieben.
[7] Hysterie wird hier als eine Erkrankung des zentralen Nervensystems verstanden, erlangt jedoch auch Gültigkeit als ‚hysterischer Charakter’, dem Inbegriff von überzogener Weiblichkeit.
[8] Ätiologie ist die Lehre von den Krankheitsursachen; bzw. bezeichnet Ätiologie die Gesamtheit der Faktoren, die zu einer bestehenden Krankheit geführt haben. (vgl. Duden. Fremdwörterbuch)
[9] Astasie ist die Unfähigkeit zu stehen, sie gilt als hysteriespezifisches Symptombild. Abasie ist die Unfähigkeit zu gehen (vgl. Duden. Fremdwörterbuch).
[10] Die Degenerationsvorstellung erlebt mit der Veröffentlichung von Benedict Augustin Morels (1809-1873) einflussreichem Buch Traité des Dégénérescenes physiques, intellectuelles et morales de l’espéce humaine 1857 eine besonders starke Renaissance. Bei Morel wird der Entartungsbegriff, basierend auf den Ideen Lamarcks, auf pathologische Phänomene erweitert und er bekommt hier seine negative Konnotation. Mit seiner Vorstellung der Entartung als eine von Generation zu Generation fortschreitenden, da erblich bedingten, Verschlechterung der Art, beeinflusst Morel im hohen Maße das Denken der Zeit und die heranwachsende Psychiatergeneration. Als deutsche und österreichische Vertreter gelten z.B. Wilhelm Griesinger (1817-1868), Richard von Krafft-Ebing und Max Nordau (1849-1923) (vgl. http://infos.aus-germanien.de/Degeneration). „Die Degenerationslehre wurde deshalb so wichtig, weil soziale Phänomene wie Armut, Geburtenrückgang, Prostitution, Alkoholismus, Verbrechen etc. in den Bereich der Medizin überführt werden konnten, weil sie hier als erblich bedingt galten.“ (Schmersahl, 59)
[11] Ich beziehe mich in meiner Ausführung hier ausschließlich auf die bürgerliche Schicht, zu deren Freuds Patientinnen gehören. Materielle Existenzängste spielen in den großstädtischen Bildungsschichten keine Rolle, sexuelle Probleme konnten so ganz in den Vordergrund treten (Schaps, 114/115; vgl. auch Eschenröder, 35).
[12] Ich ordne Freuds Fallstudie in den Bereich der Textgattungen ein, um meinen Ansatz der literarischen Interpretation dieser zu verdeutlichen.
[13] Die „Jungen“ in Kronbergers Zitat meint die Jung-Wiener Gruppe um den ‚Propagandisten der literarischen Moderne’ Hermann Bahr (1863-1934), zu deren Hauptvertretern Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal (1874-1929), Felix Salten (1868-1945) und Richard Beer-Hoffmann (1866-1945) gehören.
[14] Die Frage wird offen bleiben. Es wird nicht das Thema der Arbeit sein, ‚Diagnosen’ zu stellen oder Freud zu dementieren.
[15] Perlmann gibt einen Überblick über psychopathologische Interpretationsversuche (Perlmann, 114/115), verfolgt jedoch auch die Ansätze der neueren Forschung, die das konfliktbeladene Umfeld Elses in den Mittelpunkt stellen und „die Heldin (…) weder als krank noch als moralisch verwerflich“ (Perlmann, 115) beschreiben.
[16] Perlmann Der Traum in der literarischen Moderne, 21.
[17] Ich beziehe mich auf die biografischen Angaben von James Strachey Sigmund Freud – Eine Skizze seines Lebens und Denkens; Studienband I, S. 7–18.
[18] Freud beschreibt diese Frauen des etablierten Bürgertums als die „prüden Damen [in] meiner Stadtpraxis“ (SH, 150). Des Weiteren wird hier deutlich: Freud unterscheidet sich von Charcot – die Salpêtrière in Paris beherbergt zeitweilig bis zu 8000 männliche und weibliche Patienten aus den unteren Schichten – in den sozialen Schichten der behandelten Patienten.
[19] Ich beziehe mich hier auf die Ausgabe: Josef Breuer/ Sigmund Freud Studien über Hysterie; Fischer Taschenbuch Verlag 2000. Zitate aus dem Text sind im Folgenden mit SH abgekürzt.
[20] Freud unterscheidet in seinem Aufsatz Zur Psychotherapie der Hysterie Zwangsneurosen und Hysterie. Diese psychischen Erkrankungen treten selten in Reinform auf und sind meist mit Angstneurosen, für die Hysterie mit Sexualneurosen – die Ätiologie hat ihre Ursache in den sexuellen Momenten – kombiniert (SH, 273–275).
[21] Die bekanntesten Fälle sind: „der kleine Hans“Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben, veröffentlicht 1909; der „Rattenmann“Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose, veröffentlicht 1909; der so genannte „Wolfsmann“Aus der Geschichte einer infantilen Neurose, veröffentlicht 1918.
[22] Dies kritisiert Freud später an Charcots Krankheitstheorie und distanziert sich somit von der Degenerations-/Entartungsdebatte der Jahrhundertwendenzeit (Worbs, 78/79; vgl. auch Schmersahl, 59/60). Freud stellt, in den Studien schon angedeutet (SH, 30), immer mehr die Disposition eines Menschen zur Erlangung von hysterischen Erkrankungen in den Vordergrund. Er glaubt, „daß sich psychische Prozesse, die er bei den Neurotikern entdeckte, in nichts von jenen bei den Gesunden unterschieden. Der Weg der Psychoanalyse war damit vorgezeichnet: durch das Studium des Abnormalen Einsicht in das Normale zu gewinnen.“ (Worbs, 79)
[23] Die Umsetzung von psychischen Erregungen in körperliche Symptome wird auch als „psychischer Mechanismus der Konversion“ (SH, 29) bezeichnet. Von Breuer und Freud entdeckt, ermöglicht gerade die Konversion den Zugang zum Unbewussten.
[24] Freud wendet sich später von den ‚hypnoiden Zuständen’ als Ursache zur Ausbildung einer hysterischen Erkrankung ab, und postuliert sexuelle Momente als den Auslöser von Traumen (SH, 273). Im Bruchstück einer Hysterie – Analyse verwirft Freud, Breuer explizit als Urheber herausstellend, die hypnoiden Zustände als „überflüssig und irreleitend“ (BS, 104, Anmerkung 2). Ich beziehe mich hier auf die Ausgabe: Sigmund Freud Bruchstück einer Hysterie-Analyse; Studienband VI, S. 83 - 186. Zitate aus dem Text sind im Folgenden mit BS abgekürzt.
[25] Die Pseudonyme schützen, wie die Ärzte im Vorwort unterweisen, die Identität der Frauen gegen „Vertrauensmißbrauch“ (SH, 23).
[26] Anna O. ist Berta Pappenheim (1859-1936), deren Pseudonym 1953 von dem Freud-Biograf und
- Schüler Ernest Jones entschlüsselt wurde. (Kronberger, 69)
[27] Diese bewegt Breuer zum Abbruch der Behandlung Anna O.s. Zu erklären ist die Scheinschwangerschaft mit der Dynamik der „Übertragung“ (SH, 282; vgl. auch SH 318-321), welche Freud erkennt und in Zur Psychotherapie der Hysterie beschreibt. Die elementare Rolle der Übertragung für die Psychotherapie begreift er jedoch erst später. Im Bruchstück einer Hysterie – Analyse heißt es: „Die Übertragung, die das größte Hindernis für die Psychoanalyse zu werden bestimmt ist, wird zum mächtigsten Hilfsmittel derselben, wenn es gelingt, sie jedesmal zu erraten und dem Kranken zu übersetzen.“ (BS, 182) Mit dem Verkennen der Übertragung begründet Freud das Scheitern der Therapie „Doras“, wie ich im Folgenden noch ausführen werde.
[28] Dissoziation und Multiple Persönlichkeitsstörung. Vorlesung der Reihe Geist, Psyche und Gehirn – inter- und transdisziplinäre Konzepte in der klinisch orientierten Kognitionsforschung. www.klinische-psychiatrie.de/lehre/gpg/vorl4.html
[29] Auf den eher ‚beeinflussenden’ Aspekt der Druckausübung mit der Hand auf die Stirn der Patientin werde ich im Folgenden noch ausführlicher eingehen.
[30] Diese Erkenntnis steht im Kontrast zur Auffassung Bernheims und seiner Schule von Nancy, welche Freud im Sommer 1889 besucht. Er lässt sich dort in den Hypnose- und Suggestionsmethoden, die er dann vermehrt anwendet, unterweisen. Bernheim glaubt an eine Heilung hysterischer Erkrankungen durch Hypnose. Dazu vertritt er im Gegensatz zu Charcot die Meinung, dass die Hypnose auf „Suggestion“ beruhe und kein pathologischer Zustand sei, der nur bei Hysterikern vorkomme (Leitner, 25). Bernheim erklärt jeden Menschen als potentiell hysterisch (Nolte, 121/122).
[31] Der Begriff der „Verdrängung“ wird von Freud erst später eingeführt und definiert, zum Teil jedoch bereits synonym mit dem Begriff der „Abwehr“ gebraucht.
[32] Christina von Braun vertritt zusätzlich den Ansatz, dass Breuer mehr an den Charakterzügen und sozialen Verhältnissen der erkrankten Frauen interessiert war, Freud hingegen an den Symptomen der Krankheit, der Ätiologie der Hysterie an sich, bei deren Erforschung die Patientin nicht gebraucht bzw. sogar störend wirkten (von Braun, 63–66).
[33] Freud steht ja in Erwartung auf die „Beichte“ seiner Patienten (vgl. hierzu Anmerkung 36 der vorliegenden Arbeit und S. 35). Diese Art von ‚Heilsversprechen’ gibt er auch Elisabeth (vgl. hierzu die vorliegende Arbeit S. 35; vgl. auch SH 157/158).
[34] Die zweite Auflage der Studien über Hysterie erscheint 1909 unverändert mit neuem, getrennt gezeichnetem „Vorwort zur zweiten Auflage“. Danach wird der Text ohne die Beiträge Breuers in Freuds Gesammelte Schriften (1925 veröffentlicht) aufgenommen und ist durch Zusätze Freuds von 1924 ergänzt worden. In der Studienausgabe der Schriften Freuds von 1975 ist nur der IV. Teil Zur Psychotherapie der Hysterie im Ergänzungsband abgedruckt. Die beiden Vorworte und Breuers Beiträge finden erst wieder in den Ergänzungsband der Studienausgabe von 1987 Eingang. Der ursprüngliche Textcharakter der Studien über Hysterie ist in der Studienausgabe nicht vorhanden.
[35] Elisabeth von R. ist Ilona Weiß und wurde 1867 in Budapest geboren (Stroeken, 46).
- Quote paper
- MA Marika Müller (Author), 2005, Natürlich hysterisch! - Entwürfe psychoanalytischer und literarischer Frauenbilder um 1900 bei Freud und Schnitzler, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74176
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.