Zwischen „gelenkter“ und „lupenreiner“ Demokratie
Die aktuelle Diskussion um die politische Entwicklung Russlands ist gekennzeichnet durch zahlreiche polarisierende Einschätzungen. Während der deutsche Altbundeskanzler Gerhard Schröder den russischen Präsidenten Wladimir Putin als „lupenreinen Demokraten“ zu bezeichnen pflegt, weisen vor allem in der jüngsten Vergangenheit außerparlamenarische Gruppierungen um den prominenten ehemaligen Schachweltmeister Garri Kasparow dies vehement zurück. Verstärkend auf die Wahrnehmung innenpolitischer Entwicklungsprozesse wirken sich besonders jene in Deutschland aufmerksam wahrgenommenen Wirtschaftsmeldungen aus, die auf die zunehmende Abhängigkeit vom russischen Erdgaslieferanten Gasprom aufmerksam machen und zugleich dessen politische Instrumentalisierung durch den Kreml als geostrategischen Machtfaktor unterstellen. Sowohl in der Publizistik, als auch in der politischen Diskussion sind selten Äußerungen wahrzunehmen, die der Entwicklung des politischen Systems Russlands die Grundannahme einer „Demokratie à la russe“ zugestehen.
Die vorliegend Arbeit möchte jedoch keine demokratietheoretische Bewertung des politischen Systems vornehmen, sondern lediglich skizzierend die Strukturen und Funktionen des Systems darstellen, um konzise auf Entwicklungsprobleme, -fortschritte und -perspektiven seit 1993 aufmerksam zu machen. Dabei soll vor allem der Versuch unternommen werden - neben der historischen Einordnung des politischen Systems und Darstellung der Verfassungsorgane - in Hinblick auf die im Jahr 2007 stattfindende Staatsduma- und im Jahr 2008 anstehende Präsidentschaftswahl das russische Parteiensystem sowie die sich vage abzeichnenden Präsidentschaftskandidaturen objektiv darzulegen.
Inhaltsverzeichnis
1. Russland zwischen „gelenkter“ und „lupenreiner“ Demokratie
2. Entstehungskontext der Verfassung von
3. Staatsorgane
3.1 Präsident
3.2 Administration
3.3 Legislative – Staatsduma
3.4 Legislative – Föderationsrat
4. Gesetzgebungsverfahren
5. Parteien und Wahlen in Russland
5.1 Entwicklungstendenzen und historischer Überblick 1993 –
5.2 Parteikurzprofile
6. Schlussbetrachtungen: Regional- und Präsidentschaftswahlen
7. Abbildungsverzeichnis
8. Literaturverzeichnis
1. Russland zwischen „gelenkter“ und „lupenreiner“ Demokratie
Die aktuelle Diskussion um die politische Entwicklung Russlands ist gekennzeichnet durch polarisierende Einschätzungen in Abhängigkeit vom jeweiligen Standpunkt. Während der deutsche Altbundeskanzler Gerhard Schröder den russischen Präsidenten Wladimir Putin als „lupenreinen Demokraten“ zu bezeichnen pflegt, weisen vor allem in der jüngsten Vergangenheit außerparlamenarische Gruppierungen um den prominenten ehemaligen Schachweltmeister Garri Kasparow dies vehement zurück.[1] Verstärkend auf die Bewertung innenpolitischer Entwicklungsprozesse wirken sich besonders jene in Deutschland aufmerksam wahrgenommenen Wirtschaftsmeldungen aus, die auf die zunehmende Abhängigkeit vom russischen Erdgaslieferanten Gazprom aufmerksam machen und zugleich dessen angebliche politische Instrumentalisierung im Sinne eines geostrategischen Macht-faktors durch den Kreml betonen. Sowohl in der Publizistik, als auch in der politischen Diskussion sind selten Äußerungen wahrzunehmen, die der Entwicklung des politischen System Russlands die Grundannahme einer „Demokratie à la russe“ zugestehen.[2]
Die vorliegend Arbeit möchte jedoch keine demokratietheoretische Bewertung des politischen Systems vornehmen, sondern lediglich skizzierend die Strukturen und Funk-tionen darstellen, um konzise auf Entwicklungsprobleme, -fortschritte und -perspektiven seit 1993 aufmerksam zu machen. Dabei soll insbesondere der Versuch unternommen werden - neben der historischen Einordnung des politischen Systems und Darstellung der Verfassungsorgane - in Hinblick auf die in diesem Jahr stattfindende Staatsduma- und im Jahr 2008 anstehende Präsidentschaftswahl das russische Parteiensystem sowie die sich vage abzeichnenden Präsidentschaftskandidaturen objektiv darzulegen.
2. Entstehungskontext der Verfassung von 1993
Die politische sowie wirtschaftliche Entwicklung der Russischen Föderation und deren Verfassungsgeschichte nach der Auflösung der UdSSR ist vor allem durch die Präsidentschaft Boris Jelzins geprägt worden. Nachdem die UdSSR ihren Status als völkerrechtliches Subjekt am 21. Dezember 1991 aufgab, versuchte Boris Jelzin als amtierender Präsident der Russländischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) liberale Wirtschaftsreformen sowie eine die Position des Präsidenten stärker berücksichtigende Verfassung gegen den Widerstand des nach geltender Verfassung von 1978 legitimen Parlaments (Oberster Sowjet) durchzusetzen. Diese so genannte „Doppelherrschaft“ von Präsident und opponierendem Parlament wurde durch einen verfassungswidrigen Ukas (Dekret), das die Auflösung des Obersten Sowjets vorsah, nach gewaltsamen Auseinandersetzungen unter Einsatz des Militärs zugunsten Jelzins beendet, so dass schließlich im Dezember 1993 qua Referendum die neue und bis heute gültige Verfassung verabschiedet werden konnte. Diese sieht vor allem neben noch näher zu spezifizierenden legislativen und administrativen Kompetenzen des Präsidenten die gesetzgeberische Mitwirkung eines Zweikammernsystems, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, vor.
3. Staatsorgane
3.1 Präsident
Der Präsident der russischen Föderation - bisherige Amtsinhaber waren Boris Jelzin (1993-2000) und Wladimir Putin (seit 2000) - wird für eine vierjährige Amtsperiode direkt vom Volk gewählt. Ein Präsidentschaftskandidat muss u. a. russischer Staatsbürger sein und das 35. Lebensjahr vollendet haben. Die Wiederwahl des Präsidenten ist lediglich einmal möglich.
Neben seiner Funktion als Staatsoberhaupt und Verfassungsgarant der Russischen Föderation (RF) verfügt der Präsident, im Gegensatz zum deutschen Bundespräsidenten, über weitreichende administrative sowie legislative Kompetenzen. So sieht die Verfassung vor, dass der Präsident die Souveränität und staatliche Integrität der RF zu schützen hat, was vor allem in Hinblick auf Sezessionsbestrebungen, wie im Falle Tschetscheniens, von Bedeutung erscheint. Ferner ist der Präsident am Zusammenwirken der Staatsorgane beteiligt, bestimmt die „allgemeinen Richtlinien“ der Außen- und Sicherheitspolitik und fungiert als Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Das Vorschlagsrecht für das Amt des Ministerpräsidenten besitzt der Präsident, der jedoch auf die Zustimmung der Staatsduma angewiesen ist. Dieses Prinzip der „check and balances“ wird jedoch relativiert, sofern man berücksichtigt, dass nach dreimaliger Ablehnung des präsidialen Vorschlags durch die Duma, diese vom Präsidenten aufgelöst werden muss. Ebenso obliegt es dem präsidialem Ermessensspielraum, nach erfolgreichem zweiten parlamentarischen Misstrauensvotum gegenüber der Regierung innerhalb von drei Monaten, die Regierung zu entlassen oder die Duma aufzulösen. Verfassungsrechtlich kann der Präsident darüber hinaus den Vorsitz innerhalb der Regierung ausüben. Die Absetzung des Präsidenten ermöglicht lediglich ein (strafrechtliches) Impeachment-Verfahren nach dem Vorbild der USA, dessen rechtliche Zulässigkeit vom russischen Verfassungsgericht bestätigt werden muss und erst mit einer Zweidrittelmehrheit im Föderationsrat und der Staatsduma verbindlich wird.
Legislative Kompetenzen sieht die Verfassung vor allem im Instrument des Ukas (Dekret), im Initiativrecht bei Gesetzesvorhaben und in der Möglichkeit des suspensiven Vetos (Überstimmung durch Zweidrittelmehrheit in Duma und Föderationsrat) im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zwischen Duma und Föderationsrat vor. Die Möglichkeit des Präsidenten, Dekrete im Falle (noch) fehlender föderaler Gesetze zu erlassen, die demnach „gesetzesvorwegnehmenden Charakter“ (Mommsen 2002: 385 zit. nach Schaich 2000: 358ff) besitzen, wurde von Boris Jelzin intensiv genutzt.
Bei der wissenschaftlichen Bestimmung des russischen Verfassungsdesigns ergibt sich ein differenziertes Bild. Annahmen im Kontext der ersten Amtsjahre Boris Jelzins, es ergebe sich eine Entwicklung zum „Superpräsidentialismus“, konnten vor dem Hintergrund der für die Duma zwischen 1995 und 1998 erfolgreich ausgefallenen Machtkonflikte (u. a. Widersetzung des Präsidenten gegen Oktroi der Regierung) entkräftet werden. Sowohl die gängige Regierungspraxis zwischen Föderalversammlung und Präsidenten als auch Äußerungen früherer Mitglieder des Verfassungsgerichtes lassen die Annahme zu, dass das russische Verfassungsdesign größtenteils dem semi-präsidentiellen Frankreichs entspricht (Mommsen 2004: 183). Die Ambivalenz dieser Betrachtungsweise wird jedoch deutlich, sobald man Äußerungen Wladimir Putins berücksichtigt, dass der Präsident „persönlich die Verantwortung für die Regierungsarbeit“ trage, während dem Ministerpräsidenten nur die Leitung der Regierung obliege (185) sowie die verfassungsrechtlich und politisch problematische Abgrenzung von Regierungs- und Präsidialkompetenzen.[3]
3.2 Administration
Die Exekutive Russlands - unberücksichtigt bleiben die Föderationssubjekte – gliedert sich in Präsidialadministration, Nationalen Sicherheitsrat und Regierung. Bemerkenswert erscheint, dass die Regierung gegenüber den beiden anderen Instanzen in der bisherigen Regierungspraxis den geringsten Stellenwert einnimmt. Neben den o. g. verfassungsrechtlichen Kompetenzen des Präsidenten bei der Bestimmung des Ministerpräsidenten und dem Vorrecht, den Vorsitz innerhalb der Regierung auszuüben, bildet die Präsidialadministration einzelne Ressorts ab und behält sich seit Jelzin die so genannten „Machtministerien“, worunter die Ressorts Inneres, Äußeres und Verteidigung zu verstehen sind (Schneider 2001: 127) vor. Dieser „Quasi-Regierungsapparat“ stützt sich jedoch auf keine homogene Interessensgruppierung, sondern vielmehr auf „Kreml-Familien“, die im Einflussbereich des Präsidenten, soweit dies einsehbar ist, heterogene politischen Konzeptionen verfolgen. Berücksichtigt man, dass die Präsidialadministration Dekrete und Entscheidungen des Präsidenten vorbereitet, so ist das von den „Familien“ ausgehendes Machtpotential als nicht gering einzuschätzen. Vor allem personelle Veränderungen, wie bspw. die Ernennung des Ministerpräsidenten Wladimir Putin, seien das Resultat politischer Kontoversen innerhalb der Administration des Präsidenten (Mommsen 2004: 191).
Der Nationale Sicherheitsrat, der die Funktionen des amerikanischen Pendants widerspiegeln sollte, verfügt über zentrale Kompetenzen in politisch sensiblen Bereichen. Dies betrifft seine Aufgabe, dem Präsidenten in Fragen der Außen-, Innen- und Sicherheitspolitik Vorschläge zu unterbreiten, wodurch sich eine logische Fortführung der präsidialen Kompetenzen innerhalb der erwähnten „Machtministerien“ ergibt. Ferner übernimmt der Nationale Sicherheitsrat die gesamte Koordination zwischen Ministerien und Behörden. Zu berücksichtigen bleibt, dass die Position des Vorsitzenden dieses Teils der Exekutive (1999-2000: Wladimir Putin) u. U. auf mögliche Weichenstellungen hinsichtlich der Besetzung anderer Staatsämter, wie die des Ministerpräsidenten, hinweisen könnte.
Die eigentliche Regierung stellt sich bis auf die Amtszeit von Ministerpräsident Primakow (1998-1999) als ein Technokratenkabinett dar. Die Ressorts der Regierung werden nicht nach politischer Dominanz in der Staatsduma vergeben, sondern vielmehr durch die „Kreml-Familien“ beeinflusst. Beschnitten um die bereits durch Präsidentenadministration und Sicherheitsrat beanspruchten „Machtministerien“ verfügt die Regierung über nur geringe politische Kompetenzen (Mommsen 2002: 368).
Alle drei exekutiven Instanzen lassen erkennbar werden, dass dem Präsidenten eine zentrale Position zu Teil wird. Das Mächtegleichgewicht wird hierbei durch ein so genanntes „Kader-Karusell“ gesichert, das angetrieben durch den Präsidenten zum Ziel hat, mögliche Auseinandersetzungen verschiedener Interessenssphären („Familien“) „durch häufige Umbesetzungen in den Gremien der Exekutive in Schach zu halten.“ (Mommsen 2004: 191). Diese Variante der „check and balances“ wurde intensiv durch Jelzin betrieben und von seinem Nachfolger Putin dahingehend modifiziert, dass zunehmend ehemalige Vertraute aus dem sowjetischen Geheimdienst KGB Schlüsselpositionen innerhalb der Exekutive besetzen.
[...]
[1] Kasparow in einem „heute“-Interview (08.09.2005) des ZDF: „Ich habe Putins Aufstieg an die Macht beobachtet und seine Politik, die demokratischen Institutionen meines Landes zu zerstören."
[2] Egon Bahr in einem ARD-Interview vom 05.03.2007.
[3] Während Art. 80, Abs.3 regelt, dass der „Präsident [...] die grundlegenden Richtungen der Innen- und Außenpolitik“ bestimmt, heißt es in Art. 113, dass der Ministerpräsident u. a. in „Übereinstimmung mit [...] den Dekreten des Präsidenten [...] die Hauptrichtungen der Tätigkeit der Regierung“ festlegt (nach Schneider 2001: 309/321).
- Quote paper
- Matthias Jakubanis (Author), 2007, Das politische System Russlands nach 1993, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74091
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