Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem inzwischen historischen Thema der Wanderungsbewegungen von deutschen Staatsangehörigen über die deutsch-deutsche Grenze zwischen 1949 und 1990. Diese Wanderungsbewegungen lassen sich international in den Ost-West-Konflikt einordnen und ergeben sich aus dem unterschiedlichen Politik- und Demokratieverständnis, aber auch dem Wohlfahrtsgefälle zwischen den beiden Machtblöcken Sowjetunion und USA. Der Ost-West-Konflikt innerhalb Deutschlands war ein Teilbereich dieser politischen Konstellation und – als Folge der Doppelstaatlichkeit des geteilten Deutschland – selbst ein (bedingt) internationales Geschehen. Versucht wird eine vergleichende Darstellung des politbürokratischen Umgangs mit Migrant/innen in und aus beiden Teilen Deutschlands und damit ein Zusammenführen west- oder ostdeutscher Teil-Sichtweisen auf das Gesamtphänomen, die bisher in der einschlägigen Literatur nach wie vor überwiegen.
Im Mittelpunkt steht dabei nicht die Analyse der Push- und Pull-Faktoren, die der Migrationsforschung zufolge wesentliche Ursachen von Wanderung sind. Als „Migration“ im Sinne dieser Arbeit sollen Wanderungsbewegungen von Personen gelten, die ihren Wohnsitz entweder längerfristig oder dauerhaft wechseln. Internationale Migration bedeutet die Verlagerung des Wohnortes von einem in einen anderen Staat, unabhängig davon, ob sich internationale Migranten später entschließen, in ihr Herkunftsland zurückzukehren oder zwischen diesem und dem Aufnahmeland zu pendeln. Diese Definition betrifft die deutsch-deutschen Migrationsvorgänge in hohem Maß, da ein Großteil der Wandernden als Remigrant/innen zum Teil mehrfach zwischen den betroffenen Gebieten hin- und herwechselten. Intranationale oder Binnenmigration dagegen bezieht sich auf die Wohnortverlagerung innerhalb eines Staates.
Die hier behandelten Wohnortwechsel sind migrationspolitisch betrachtet Grenzfälle im doppelten Sinn, denn die Migrant/innen überschritten dabei eine Grenze, die als solche nicht vollständig, zeitlich nicht durchgängig und nicht von allen Beteiligten gleichermaßen anerkannt war. Je nachdem, ob man für den Betrachtungszeitraum einen deutschen Staat oder zwei deutsche Staaten unterstellt, was nach dem Staatsangehörigkeitsrecht der betroffenen Gebiete zeit- und/oder regimeabhängig unterschiedlich beurteilt wurde, zählen die Wohnortwechsel der betroffenen Personengruppen zur einen – der internationalen – oder anderen – der intranationalen – Wanderungsart.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung: Internationale Migration als Definitionsfrage
2 Der phasenhafte Verlauf deutsch-deutscher Migrationspolitik
3 Framing-Differenzen im Migrationsverständnis Ost und West
3.1 Framing durch Staatsangehörigkeit und politisches Handeln
3.2 Bundesdeutsches Framing: Zwischen Recht und Pragmatismus
Die Ost-West-Migration im bundesdeutschen politischen Kontext
Die West-Ost- Migration im bundesdeutschen Kontext
3.3 DDR-Staatsangehörigkeitsrecht und Framing
Die Ost-West-Migration im DDR-Kontext
Die West-Ost- Migration im DDR-Kontext
4 Zusammenfassung und Stellungnahme
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung: Internationale Migration als Definitionsfrage
In der vorliegenden Arbeit beschäftige ich mich mit dem inzwischen historischen Thema der Wanderungsbewegungen von deutschen Staatsangehörigen über die deutsch-deutsche Grenze zwischen 1949 und 1990. Diese Wanderungsbewegungen lassen sich international in den Ost-West-Konflikt einordnen und ergeben sich aus dem unterschiedlichen Politik- und Demokratieverständnis, aber auch dem Wohlfahrtsgefälle zwischen den beiden Machtblöcken Sowjetunion und USA[1]. Der Ost-West-Konflikt innerhalb Deutschlands war ein Teilbereich dieser politischen Konstellation und – als Folge der Doppelstaatlichkeit des geteilten Deutschland – selbst ein (bedingt) internationales Geschehen. Versucht wird im Folgenden eine vergleichende Darstellung des politbürokratischen Umgangs mit Migrant/innen in und aus beiden Teilen Deutschlands und damit ein Zusammenführen west- oder ostdeutscher Teil-Sichtweisen auf das Gesamtphänomen, die in ihrer einseitigen Herangehensweise in der einschlägigen Literatur nach wie vor überwiegen.
Aufgrund der formalen Begrenzung und der inhaltlichen Fokussierung auf den politischen Umgang mit Migration und Migrant/innen und die daraus resultierende Verwaltungspraxis vernachlässige ich bewusst die Analyse der Push- und Pull-Faktoren, also der „als negativ bewerteten Bedingungen im Herkunftsland als Abwanderungs- und Vertreibungsfaktoren und positiven Erwartungen an das Zielland als Anziehungsfaktoren,“[2] die der klassischen Migrationsforschung zufolge wesentliche Ursachen von Wanderung sind.
Unter „Migration“ verstehe ich mit BARWIG und SCHUMACHER Wanderungsbewegungen von Personen, „die ihren bisherigen Wohnsitz längerfristig oder dauerhaft wechseln“[3]. Internationale Migration bedeutet also die Verlagerung des Wohnortes von einem in einen anderen Staat, und zwar nach MÜLLER-SCHNEIDER unabhängig davon, ob sich internationale Migranten später entschließen, in ihr Herkunftsland zurückzukehren oder zwischen diesem und dem Aufnahmeland zu pendeln. Sie „lässt auch offen, ob Personen bereits bei ihrer Einreise ins Zielland vorhaben, wieder in ihr Herkunftsland zurückzukehren.“[4] Diese Definition betrifft die deutsch-deutschen Migrationsvorgänge in hohem Maß, da ein Großteil der Wandernden als Remigrant/innen zum Teil mehrfach zwischen den betroffenen Gebieten hin- und herwechselten. Intranationale Migration oder Binnenmigration dagegen bezieht sich auf die Wohnortverlagerung innerhalb eines einzigen Staates.
Die hier behandelten Wohnortwechsel sind migrationspolitisch betrachtet Grenzfälle im doppelten Sinn, denn die Migrant/innen überschritten dabei eine Grenze, die als solche nicht vollständig, zeitlich nicht durchgängig und nicht von allen Beteiligten gleichermaßen anerkannt war. Je nachdem, ob man für den Betrachtungszeitraum einen deutschen Staat oder zwei deutsche Staaten unterstellt, was nach dem Staatsangehörigkeitsrecht der betroffenen Gebiete zeit- und/oder regimeabhängig unterschiedlich beurteilt wurde (siehe unten), zählen die Wohnortwechsel der betroffenen Personengruppen zur einen – der internationalen – oder anderen – der intranationalen – Wanderungsart.
Schon die Einstiegsterminologie erweist sich als problematisch, da die zu verwendenden Begriffe von den jeweils betroffenen politischen Regimen vereinnahmt und framingspezifisch – also unterschiedlich, zum Teil entgegengesetzt – definiert worden sind. Neben Begriffen wie „Mauerbau“ versus „antifaschistischer Schutzwall“, unterlagen (und unterliegen) selbst Schlüsselbegriffe wie „Staat“ und, damit zusammenhängend, „Staatsangehörigkeit“, „deutsch“ oder „Grenze“ der Interpretation der jeweiligen politisch Handelnden.
Mein Versuch, die Migrationsverläufe eindeutig bestimmten Phasen mit entsprechenden politischen Szenarien zuzuordnen, scheiterte daran, dass einerseits für den betrachteten Zeitraum nicht zu allen relevanten Handlungssträngen ausreichend Datenmaterial zur Verfügung stand, andererseits aber auch daran, dass je nach Blickwinkel der politischen Akteur/innen und Wanderungsrichtung der Migrierenden unterschiedliche Phasen zu definieren gewesen wären.
2 Der phasenhafte Verlauf deutsch-deutscher Migrationspolitik
Nach LOCHEN und MEYER-SEITZ zum Beispiel lässt sich die Politik der Staats- und Parteiführung der DDR gegenüber dem Ausreisedruck der eigenen Bevölkerung in drei Phasen unterteilen:
„Bis 1983 wurde Ausreisewilligen ein Antragsrecht grundsätzlich verweigert, jedes Übersiedlungsersuchen wurde als rechtswidrig gekennzeichnet. (…) Dieser Zustand erfuhr erst durch die Verordnung zur Regelung von Fragen der Familienzusammenführung und der Eheschließung zwischen Bürgern der DDR und Ausländern vom 15. September 1983 (…) eine erste – vorsichtige – Änderung: Eingeführt wurde ein Antragsrecht – und damit korrespondierend eine Bearbeitungspflicht – für Ausreiseverlangen aus humanitären Gründen. In § 7 der Verordnung wurde erstmals veröffentlicht, in welchen Fällen staatliche Stellen die Genehmigung für die Wohnsitzänderung nach dem Ausland erteilen konnten (unter ‚Ausland’ verstand die Verordnung vor allem das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einschließlich West-Berlin) (…) Durch die Verordnung über Reisen von Bürgern der DDR ins Ausland vom 30. November 1988 (…) wurde schließlich das allgemeine Antragsrecht eingeführt und eine gerichtliche Überprüfung der Verwaltungsentscheidungen ab 1. Juli 1989 nach dem Gesetz vom 14. Dezember 1988 (…) vorgesehen.“[5]
Für LOCHEN und MEYER-SEITZ existieren demnach die Migrationsphasen (1949?) bis 1983, 1983 bis 1988 und 1988 bis 1990.
Andere Autor/innen definieren andere Phasen: GÄRTNER nennt als wichtige Periode die Zeitspanne von 1949 (also der Staatsgründung der beiden deutschen Staaten) bis 1961 (dem Mauerbau), innerhalb derer sie Unterperioden ausmacht:
„Mit der 1949 vollzogenen Teilung Deutschlands verstärkte sich der Flüchtlingsstrom durch eine neue Wanderung von Ost nach West, durch so genannte Zuwanderer aus der DDR. (…) Politisch einschneidende Ereignisse und Maßnahmen vergrößerten den Flüchtlingsstrom; so die Arbeiterunruhen von 1953 (17. Juni), die Aufstände 1956 in Ungarn und Polen, sowie schließlich das Gerücht vom bevorstehenden Mauerbau 1961.“[6]
SASSEN unterscheidet als wesentliche Phasen der DDR-Emigration die Zeit vor und nach der Wiedervereinigung, also das politische Ereignis, das aus einer (bedingt) internationalen eine (zweifelsfrei) intranationale Migration gemacht hat.[7] Auch NUSCHELER behandelt diesen Schnittstellen-Aspekt:
„1989 kamen 343.854 Übersiedler in die Bundesrepublik, in der ersten Hälfte des Jahres 1990 noch einmal 238.000. Danach wurden keine Zahlen mehr erhoben.“ [8]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diagramm 1 : Der phasenhafte Verlauf der deutsch-deutschen Migration[9]
Für die Wanderungsbewegung in umgekehrter Richtung, nämlich von West- nach Ostdeutschland, nennt SCHMELZ vier Phasen: als erste die von der Staatsgründung der DDR im Oktober 1949 bis zur Systemkrise im Juni 1953, als zweite die von 1954 bis 1957 – von ihr als „Hochphase der West-Ost-Migration“ mit fördernder Zuzugs- und Rückkehrpolitik bezeichnet –, als dritte die Phase der rückläufigen Wanderungszahlen von 1958 bis zum Mauerbau 1961 und als vierte die Phase vom Mauerbau bis zum Ende der 1960er Jahre, die von einem „weiteren enormen Rückgang der West-Ost-Migration“ gekennzeichnet gewesen sei.[10]
Unterschiedliche Phasen ergeben sich außerdem abhängig von der Definition der beiden betroffenen Migrationsgebiete als eigenständige Staatsgebilde: Bis zum Staatsbürgerschaftsgesetz der DDR vom 20.02.1967, das eine eigene DDR-Staatsbürgerschaft begründete,[11] kann trotz der restriktiven Handhabung vor allem der Ost-West-Umzugsmöglichkeiten auf Seiten des DDR-Regimes[12] von einer Binnenmigration ausgegangen werden: „Westdeutschland ist nicht Ausland“, heißt es zum Beispiel in einem behördlichen Migrations-Ablehnungsbescheid der Dresdner Volkspolizei aus dem Jahr 1955[13]. Nach dem Inkrafttreten des Staatsbürgerschaftsgesetzes ergibt sich aus Sicht der DDR das Szenario einer eindeutig internationalen Migration, gekennzeichnet durch Aus- und Einbürgerungen bei entsprechenden Wanderungsbewegungen aus der und in die DDR. Dagegen blieb nach Bonner Rechtslage die deutsch-deutsche Migrationsbewegung weiterhin juristisch eine Binnenwanderung, da die betroffenen Migrant/innen die (bundes-) deutsche Staatsangehörigkeit durch die Wohnsitzverlagerung von Ost nach West oder von West nach Ost weder neu erhielten noch verloren.
[...]
[1] Vgl. Nuscheler 2004, S. 60 und S. 99
[2] Schmelz 2002, S. 41.
[3] Barwig/Schumacher, in Nohlen: Kleines Lexikon der Politik 2001, S. 300.
[4] Müller-Schneider 2000, S. 16.
[5] Lochen/Meyer-Seitz 1992, S. 9.
[6] Gärtner. 1989, S. 9/10.
[7] Vgl. Sassen 1996, S. 128.
[8] Nuscheler 1995, S. 126.
[9] Da die statistischen Daten verschiedener Quellen (nicht nur) der DDR und der Bonner Republik voneinander abweichen, sind die Verläufe nur ungefähr skizzierbar. Verwendete Quellen: Schmelz 2002, S. 39; Gärtner 1989, Diagramm S. 10; Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Anhang: Die Fluchtbewegung aus der Sowjetzone und dem Sowjetsektor von Berlin. Anträge im Notaufnahmeverfahren.
[10] Vgl. Schmelz 2002, S. 42-44.
[11] Vgl. Gärtner 1989, S. 18.
[12] Vgl. z. B. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, S. 106 ff.
[13] Ebenda, S. 106.
- Citar trabajo
- Bachelor of Arts Elke H. Speidel (Autor), 2004, Grenzfälle internationaler Migration - Deutsch-deutsche Wanderungsbewegungen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74077
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