Richard III., wahrscheinlich zwischen 1590 und 1594 uraufgeführt und somit eines der frühesten Stücke Shakespeares, gehört sicherlich zu den bekanntesten und bösartigsten Schurkencharakteren in Shakespeares Gesamtwerk. Die Figur des gleichsam faszinierenden wie teuflischen Tyrannen und vermeintlichen Titel-„Helden“ scheint seit Shakespeares Zeit nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt zu haben und ist heute noch eines der beliebtesten Aufführungsstücke im Shakespeare-Kanon. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Figur und dem Charakter Richards von Gloucester. Das erste Kapitel soll helfen, die Persönlichkeitsstruktur Richards herauszuarbeiten und Voraussetzungen und Bedingungen zu klären, unter denen sich Richard zum mordenden Bösewicht entwickelte. In Kapitel zwei stehen Richards „verschiedene Gesichter“ im Zentrum der Untersuchung. Dabei interessiert v. a., inwieweit seine schauspielerischen Fähigkeiten als Werkzeug zur Durchsetzung seiner Absichten und Pläne dienten. Kapitel drei widmet sich der Frage nach der Rolle seiner Umwelt und untersucht, inwieweit das Verhalten der anderen Dramenfiguren die Entwicklung Richards vorangetragen, unterstützt oder ihr entgegen gewirkt hat. Das vierte Kapitel beschreibt Richards sukzessiven Machtverlust und Untergang und beleuchtet die Gründe dafür, weshalb Richard schließlich scheiterte. Im fünften und letzten Kapitel werden nochmals kurz die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst.
Inhaltsverzeichnis
Zur Charakterisierung der Hauptfigur in Shakespeares Historie Richard III
1. Einleitung
2. Zur Persönlichkeitsstruktur Richards
3. Richards Rollenspiel
4. Die Rolle der übrigen Figuren und ihr Beitrag zu Richards Entwicklung als „Villain“
5. Richards sukzessiver Verlust an Macht und Souveränität
6. Schluss
Literaturverzeichnis
Determined to prove a villain –
Zur Charakterisierung der Hauptfigur in Shakespeares Historie Richard III.
1. Einleitung
“And thus I clothe my naked villainy
With odd old ends stol’n forth of holy writ,
And seem a saint, when most I play the devil.”
(Richard III, Akt I, 3, 335-337)
Richard III.[1], wahrscheinlich zwischen 1590 und 1594[2] uraufgeführt und somit eines der frühesten Stücke Shakespeares, gehört sicherlich zu den bekanntesten und bösartigsten Schurkencharakteren in Shakespeares Gesamtwerk.[3] Die Figur des gleichsam faszinierenden wie teuflischen Tyrannen und vermeintlichen Titel-„Helden“ scheint seit Shakespeares Zeit nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt zu haben und ist heute noch eines der beliebtesten Aufführungsstücke im Shakespeare-Kanon[4]. Zwar gilt es in der Shakespeare-Forschung mittlerweile als gesichert, dass Richard in Shakespeares Bearbeitung des Stoffes v. a. aufgrund der Darstellungen Sir Thomas Moores, Shakespeares Hauptinformationsquelle, verbrecherischer und grausamer gezeichnet wird, als dies tatsächlich der Fall war.[5] Cunningham zufolge habe v. a. die Tudor-Dynastie großen Anteil an dieser Verzerrung: „Many historians now accept that the true image of Richard has been distorted by the Tudor interpretation of his life.“[6] Von daher scheint es kaum verwunderlich, dass es v. a. im 20. Jahrhundert immer wieder zahlreiche Bemühungen gab, den historischen Richard ins rechte Licht zu rücken und seinen Ruf wenigstens teilweise wiederherzustellen.[7] Dennoch darf nicht vergessen werden, dass gerade die übersteigerte und dramatisierte Darstellung Richards das Faszinosum dieses Stückes ausmacht. Zusätzlich lassen sich in Richard III. Einflüsse der populären Vice- Figur der mittelalterlichen Moralitätenspiele und dem Machiavellistischen Bösewicht finden.[8]
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Figur und dem Charakter Richards von Gloucester. Das erste Kapitel soll helfen, die Persönlichkeitsstruktur Richards herauszuarbeiten und Voraussetzungen und Bedingungen zu klären, unter denen sich Richard zum mordenden Bösewicht entwickelte. In Kapitel zwei stehen Richards „verschiedene Gesichter“ im Zentrum der Untersuchung. Dabei interessiert v. a., inwieweit seine schauspielerischen Fähigkeiten als Werkzeug zur Durchsetzung seiner Absichten und Pläne dienten. Kapitel drei widmet sich der Frage nach der Rolle seiner Umwelt und untersucht, inwieweit das Verhalten der anderen Dramenfiguren die Entwicklung Richards vorangetragen, unterstützt oder ihr entgegen gewirkt hat. Das vierte Kapitel beschreibt Richards sukzessiven Machtverlust und Untergang und beleuchtet die Gründe dafür, weshalb Richard schließlich scheiterte. Im fünften und letzten Kapitel werden nochmals kurz die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst.
Als Vorlage des Stückes dient die englisch- deutsche Studienausgabe von Ute Schläfer, gedruckt im Stauffenburg Verlag Tübingen, 2004.
2. Zur Persönlichkeitsstruktur Richards
Richards berühmt gewordener und viel zitierter Willensentschluss „ I am determined to prove a villain “ (Akt I, 1, 30) im Prolog zu Beginn des Stückes lässt bereits erahnen, in welche Richtung sich das Drama entwickeln wird: Richard verschreibt sich freiwillig dem Bösen. Sein weiteres Tun und Handeln wird genau diese Entscheidung widerspiegeln. Die Frage nach der Motivierung für diese Entscheidung, die nach dem Warum, kann jedoch – zumindest im Stück selber – nicht vollends geklärt werden. Der Titelheld selbst begründet seine für den weiteren Verlauf der Handlung schwerwiegende und folgenreiche Entscheidung damit, nicht für „sportive tricks“ geeignet zu sein und sieht darin die einzige Möglichkeit, „this weak piping time of peace“ zu überstehen. Scheinbar hat Richard ein Problem damit, dass der im letzten Teil der Tetralogie Henry VI. geschilderte Kampf zwischen den beiden Adelsfamilien Lancaster und York sein Ende gefunden hat. Neben der beruhigten politischen Lage zu Beginn von Richard III. ist es aber auch das erkennbare Missgefallen des Protagonisten an seiner äußeren Erscheinung, die auffällt. So finden sich Verweise auf seine körperlichen Entstellungen dann auch in mehreren Szenen. Diese werden einerseits durch Selbsteinschätzungen Richards vorgetragen, wie bereits im Prolog deutlich wird:
I, that am curtailed of this fair proportion,
Cheated of feature by dissembling Nature,
Deformed, unfinished, sent before my time
Into this breathing world, scrace half made up,
And that so lamely and unfashhionable
That dogs barke at me as I halt by them –
Why I, in this weak piping time of peace,
Have no delight to pass away the time,
Unless to see my shadow in the sun
And descent on mine own deformity.
(Akt I, 1, 18-27)
Andererseits – und dies deutlich öfter – durch seine weiblichen Gegenspieler geäußert. Besonders klar wird dabei immer wieder Königin Margaret, wie hier im ersten Akt, beim Aussprechen ihres Fluches über Richard:
Thou elvish-mark’d, abotrtive, rooting hog!
Thou that wast seal’d in thy nativity
The slave of nature and the son of hell!
Thou slander of thy mother’s heavy womb!
Thou loathed issue of thy father’s loins!
Thou rag of honour! Thou deteted –
(I, 3, 228-233)
Aber auch Königin Elizabeth findet klare Worte hinsichtlich Richard: „That bottled spider, that foul bunch-back’d toad“ (Akt IV, 4, 81). Selbst seine eigene Mutter, die Herzogin von York, verflucht ihn ob seiner Taten und nimmt dabei auf seine Missgestalt Bezug: „Thou toad, thou toad […]“ (Akt IV, 4, 145). Weshalb jedoch ist Richard bereits zu Beginn des Stückes entschlossen, ein Schurke und Bösewicht zu werden? Oder war er es bereits vorher? Um Richards Aussage im Prolog verstehen zu können, muss seine Persönlichkeitsstruktur verstanden werden. Hierfür sollen kurz zwei unterschiedliche Interpretationsansätze skizziert werden.
Unterstenhöfer verweist auf den letzten Teil der York-Tetralogie, 3 Henry VI, der bereits einige Facetten der zukünftigen Entwicklung Richards in Aussicht stellt. Dort schon scheint sich Richard an dem vom Himmel an ihm verübten Verbrechen mit Hilfe der Hölle rächen zu wollen:
Then, since the heavens have shap’d my body so,
Let hell make crook’d my mind to answer it.
(3, Heinrich VI, V, 6, 78)[9]
Es scheint also einen Zusammenhang zwischen Richards Böswilligkeit und seinem missgebildeten Äußeren zu geben. Unterstenhöfer erklärt den psychologischen Zustand Richards als eine Mischung aus Vereinsamung, Liebesunfähigkeit und emotionaler Undifferenziertheit. Diese ergebe sich nicht nur aus dem Tod des Vaters in 3 Henry VI., sondern auch aus einer gestörten Mutterbindung heraus, die ihren Ursprung ebenfalls in 3 Henry VI. hat[10], in Richard III. im Dialog Richards mit seiner Mutter bereits an mehreren Stellen angedeutet wird und dort ihren Höhepunkt in Akt IV, 4, findet. Dort lässt Richards Mutter in einer Wutrede kurz die verschiedenen Stadien der Entwicklung ihres Sohnes zum jungen Mann Revue passieren und ihren Emotionen freien Lauf. Die Verbitterung, Abscheu und Enttäuschung, die sich seit Richards Geburt in ihr angestaut zu haben scheinen, finden ihren Ausdruck in dem zweifelnden „Are thou my son?“ (Akt IV, 4, 155), der letzten Konsequenz dieses etwas später sogar in einem Fluch gegen ihren Sohn endenden Hassgefühls:
No, by the holy rood, thou know’st it well,
Thou cam’st on earth to make the earth my hell.
A grievous burden was thy birth to me;
Tetchy and wayward was the infancy;
Thy school-days frightful, desperate, wild and furious;
Thy primeof manhood daring, bold, and ventuous;
Thy age confirm’d, proud, subtel, sly, and bloody,
More mild, but yet more harmful, kind in hatred:
What comfortable hour canst thou name
That ever grac’d me in thy company?
(IV, 4, 166-175)
Während der psychologische Interpretationsansatz Richards Schurkentum und Boshaftigkeit mit dessen körperlicher Zurücksetzung und Liebesentzug begründet[11], Richards Willensentschluss also auf die Kompensation seiner körperlichen Mängel und daraus resultierende Minderwertigkeitskomplexe zurückführt, argumentiert Schläfer, dass Richard durch eine Lust am Bösen getrieben sei und als Abgesandter der Hölle keine psychologische Motivation benötige[12]. Auch Naumann beschreibt Richard als das Böse schlechthin und fügt ergänzend hinzu, dass eine auf Störung und Zerstörung ausgelegte Kraft das gesamte Stück hindurch zwar präsent sei und durch Richards Missgestalt auch anschaulich gemacht werde. Es sei jedoch nicht beabsichtigt, so Naumann weiter, die Psychologie des Ausgestoßenen zu zeigen, der sich an der Welt rächt, da nirgends erkennbar gemacht werde, dass er als Mensch an seiner Missgestalt oder an seinen bösen Wünschen leide.“[13] Barber sieht Richards “moral choice”, also seine Willensentscheidung zu Beginn des Dramas, ebenfalls nicht psychologisch begründet:
“It ist true that, as one of his motives for this choice, he mentions his physical deformity, which makes him unsuited to love. But he is not presented as a victim of his deformity, finding some kind of psychological compensation in destructive activity. Rather, we see his physical deformity as an outward expression of his inner, moral deformity; [...]”[14]
Zwar räumt Schläfer ein, dass eine weitgehend psychologische Deutung Richards in den Heinrichsdramen noch plausibel erscheint[15]. Jedoch argumentiert sie mit Verweis auf die Konvention der Vice- Figur[16] in Richard III., dass er hier als solche von Beginn an eine Disposition zum Bösen habe, die er um ihrer selbst Willen zu genießen scheint. Dies wird u. a. durch Richards immer wieder monologisch umgesetzte und aside, also zum Publikum gesprochene Einschübe, deutlich. Auch der selbstgespendete Applaus für jede seiner Täuschungen anderen gegenüber und der Appell ans Publikum, in diesen Applaus einzustimmen, sind klare Kennzeichen der theatralischen Eigenschaften der Vice- Figur.[17]
Trotz der offensichtlichen Verweise Shakespeares auf die Vice- Figur erscheinen mir auch psychologische Deutungsmuster, wie beispielsweise von Unterstenhöfer vorgeschlagen, durchaus diskutierbar, können im Rahmen dieser Arbeit jedoch keine weitere Berücksichtigung finden.
[...]
[1] Richard III. ist Teil der shakespeareschen Königsdramen, einer Eigengattung zwischen Komödien und Tragödien und bildet den Abschluss zur Henry VI. Tetralogie; vgl. Wolfgang Clemen: Interpretationen zur englischen Literatur. Münster, 1991, S. 320.
[2] Wann das Stück uraufgeführt wurde, ist in der modernen Shakespeare- Forschung nach wie vor umstritten. John Russel Brown beispielsweise schreibt: „Looking at all the available evidence, scholars are still unsure whether Richard the Third was first performed in 1590 or 1594.“ Irina Schabert hingegen datiert die Erstaufführung auf 1592 oder 1593; vgl. Irina Schabert: Shakespeare Handbuch: Die Zeit – Der Mensch –Das Werk – die Nachwelt. Stuttgart, 2000, S. 344.
[3] A. J. Pollard: Richard III. And the Princess In The Tower. Phoenix Mill, 1991, S. 15: „As is now evident, Shakespeare did not invent the demonic character who dominates his play: he merely retold the tale familiar to him and his audience.”.
[4] Vgl. z. B. Elfi Bettinger: Interpretationen zu King Richard III. In: Interpretationen. Shakespeares Dramen. Stuttgart: Reclam, 2000, S. 43.
[5] Vgl. z. B. Schabert, S. 344 oder William Shakespeare: King Richard III. Englisch-deutsche Studienausgabe. Deutsche Prosafassung, Anleitung und Kommentar von Ute Schläfer. Tübingen, 2004, S. 13ff.
[6] Sean Cunningham: Richard III. A Royal Enigma. In: English Monarchs: Treachures From the National Archives. Somerset, 2003, S. 93.
[7] Hierzu zählen auch zwei historische Vereinigungen, die sich um die Reputation Richards des Dritten bemühen: Die englische Richard III Society und ihr amerikanisches Pendant Friends of Richard III Inc.; vgl. William Shakespeare (a): S. 13.
[8] Machiavellis Staatslehre wurde im Elisabethanischen Zeitalter meist falsch interpretiert und kann daher nur unter dieser Berücksichtigung zur Charakterisierung Richards herangezogen werden: „Der Primat des Politischen gegenüber ethischen und religiösen Werten fußte bei Machiavelli auf der Erkenntnis, dass in einer Welt, in der die Menschen durchweg zum Bösen neigen, Ordnung und Bestand eines Staates oft auch durch unmoralische Mittel erkauft werden müssen. Rücksichtslosigkeit und Gewalt, gegebenenfalls auch Mord waren erlaubt, wenn die politische Notwendigkeit es erforderte [...]. Bei allem Machtstreben, bei aller Mißachtung moralischer Wertungen musste der Herrscher immer nur aus Verantwortungsbewußtsein für den Staat handeln und das Gemeinwohl dem persönlichen Nutzen voranstellen.“Marga Unterstenhöfer: Die Darstellung der Psychologie des Tyrannen in Shakespeares „King Richard III“ und „Macbeth“. Frankfurt a. M., 1988, S. 31f.
[9] William Shakespeare: King Henry VI. Part I-III. The Arden Shakespeare, ed. Andrew S. Cairncross. London, 1969.
[10] Vgl. ebd.: III, 4, 153-63.
[11] Vgl. z. B. Unterstenhöfer.
[12] Shakespeare (a), S. 23f.
[13] Walter Naumann: Die Dramen Shakespeares. Darmstadt, 1978, S. 9.
[14] William Shakespeare: Richard III. Kommentare von Charles Barber. Harlow [u.a.]: Longman, 1981, S. 60.
[15] Zur psychologisch nachvollziehbaren Entwicklung Richards in 3 Heinrich VI schreibt Schläfer: „Aus dem kühnen Soldaten, dessen Ehrgeiz dem Vater gilt, wird nach des Vaters Tod der grausame Rächer; seine auf den Bruder Eduard übertragene Loyalität schlägt nach Enttäuschungen in Neid um; aus dem Gefühl geistiger Überlegenheit wächst eigener Ehrgeiz, und als Mittel zur Erreichung seiner Ziele wählt Richard in bewusster Anlehnung an Machiavelli die Heuchelei. Aus dem Krieger ist der Intrigant geworden;“ vgl. Shakespeare (a), S. 23.
[16] Zur Vice- Figur vgl. ebd., S. 24f.
[17] Ebd., S. 23f.
- Citar trabajo
- Markus Bulgrin (Autor), 2007, Determined to prove a villain: Zur Charakterisierung der Hauptfigur in Shakespeares Historie "Richard III", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74032
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