Die Tatsache, dass das deutsche Bildungssystem in den letzten Jahren, vor allem
aufgrund der PISA Debatten deutlich in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit gerückt ist und Schülerinnen und Schüler anderer Nationalitäten geringere Bildungschancen gewährt, lässt auch für die Zukunft vermuten, dass aufgrund der Benachteiligungen und Bildungsungleichheiten der Jugendlichen mit Migrationshintergrund
das deutsche Schulsystem auch weiterhin im Fokus des öffentlichen Interesses
stehen wird. Solange jedoch keine umsetzbaren Vorschläge und effiziente Fördermaßnahmen unternommen werden, um die prekäre Situation von Migrantenjugendlichen im Bildungswesen zu verbessern und ihnen dementsprechend gleiche bzw. bessere Bildungschancen zu ermöglichen wie gleichaltrigen deutschen Kindern und Jugendlichen, werden zukünftige Studien vermutlich dem deutschen Schulsystem ebenfalls ein schlechtes Zeugnis aushändigen.
Da gegenwärtig in Deutschland sowohl viele Studien als auch die Medien bislang
Fragen der schulischen Bildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund vielfach
nur unter den Aspekten ihrer Benachteiligung beleuchten und Auskunft darüber
geben, wie miserabel die Betroffenen im deutschen Bildungswesen abschneiden,
soll sich daher der Schwerpunkt dieser Arbeit nicht hauptsächlich auf
den Misserfolg, sondern vielmehr auf bildungserfolgreiche Jugendliche mit Migrationshintergrund beschränken. Im Hinblick auf bildungsspezifische Aspekte und
Bildungsbeteiligung ausländischer Schülerinnen und Schüler wird des Öfteren und
immer wieder nur die Schattenseite aufgezeigt bzw. reflektiert, sodass das Thema
Bildungserfolg von Migrantenkindern vernachlässigt und aus den Augen verloren
wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Fragestellung und Aufbau der Arbeit
1.2 Begrifflichkeiten und Definitionen
2. Theoretische und empirische Grundlagen zur Erklärung des Bildungserfolgs
2.1 Bourdieus Kapitalbegriff zur Erklärung des Schulerfolgs
2.2 Die PISA-Studie
3. Jugendliche mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem
3.1 Die allgemein gegenwärtige Bildungs- bzw. Schulsituation von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund
3.2 Die Selektions- und Inklusionsfunktion des deutschen Bildungssystems
3.3 Vergleiche im Hinblick auf Bildungsbeteiligung und Bildungs-abschlüsse
4. Die Einflussnahme der Herkunftsfamilie auf schulischen Geschehnisse
4.1 Bedeutung und Funktion der Familie für Jugendliche mit Migrationshintergrund
4.2 Voraussetzungen für das Verstehen der deutschen Schule
4.3 Mitspracherecht der Eltern bezüglich Lehrerentscheidungen
4.4 Auswirkungen des elterlichen Einflusses auf den Schulerfolg
5. Die Peergroup als eine wichtige Quelle bei der Überbrückung von Hindernissen
5.1 Begriffsdefinition
5.2 Die Peergroup als wichtige Sozialisationsinstanz
5.3 Die Bedeutung der Peergroup für jugendliche Migrantinnen und Migranten
5.4 Der Einfluss der Peergroup auf familiale und schulische Instanzen
5.5 Positive und negative Auswirkungen der Peergroup hinsichtlich des Bildungserfolgs
6. Fördernde und erschwerende Erklärungsfaktoren für den Bildungs(miss)erfolg von Jugendlichen mit Migrationshintergrund
6.1 Ursachen für das schlechte Abschneiden im Bildungssystem
6.2 Bedingungen bzw. Determinanten für den Schulerfolg der Migrantenjugendlichen
7. Fazit sowie zukünftige Verbesserungsvorschläge für die schulische Situation der Jugendlichen mit Migrationshintergrund
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis:
Abbildung 1: Einfluß der Elternreaktion bei guten Schulleistungen auf den Schulerfolg
Abbildung 2: Einfluß der Elternreaktion bei schlechten Schulleistungen auf den Schulerfolg
Tabellenverzeichnis:
Tabelle 1: Allgemein bildende Schulen, ausländische Schüler/innen nach Schularten und Ausländeranteilen.
Tabelle 2: Relative Chancen der Gymnasialempfehlung in Abhängigkeit vom Migrations- hintergrund der Familie in einigen Ländern der Bundesrepublik Deutschland
Tabelle 3: Ausländische Schülerinnen und Schüler nach Staatsangehörigkeit an allgemein bildenden Schulen in der Bundesrepublik Deutschland
Tabelle 4: Verteilung der ausländischen Schülerinnen und Schüler nach Staatsangehörigkeit und Schularten für das Jahr 2003
Tabelle 5: Soziale Herkunft und Grundschulempfehlung
Tabelle 6: Deutsche und ausländische Schulabsolventen nach Geschlecht und Schulart für das Schuljahr 2003/2004
Tabelle 7: Höchsterworbener Schulabschluss ausländischer Schülerinnen und Schüler nach Bundesland für das Schuljahr 2000
1. Einleitung
Die Tatsache, dass das deutsche Bildungssystem in den letzten Jahren, vor allem aufgrund der PISA Debatten deutlich in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit gerückt ist und Schülerinnen und Schüler anderer Nationalitäten geringere Bildungschancen gewährt, lässt auch für die Zukunft vermuten, dass aufgrund der Benachteiligungen und Bildungsungleichheiten der Jugendlichen mit Migrationshintergrund das deutsche Schulsystem auch weiterhin im Fokus des öffentlichen Interesses stehen wird. Solange jedoch keine umsetzbaren Vorschläge und effiziente Fördermaßnahmen unternommen werden, um die prekäre Situation von Migrantenjugendlichen im Bildungswesen zu verbessern und ihnen dementsprechend gleiche bzw. bessere Bildungschancen zu ermöglichen wie gleichaltrigen deutschen Kindern und Jugendlichen, werden zukünftige Studien vermutlich dem deutschen Schulsystem ebenfalls ein schlechtes Zeugnis aushändigen.
Da gegenwärtig in Deutschland sowohl viele Studien als auch die Medien bislang Fragen der schulischen Bildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund vielfach nur unter den Aspekten ihrer Benachteiligung beleuchten und Auskunft darüber geben, wie miserabel die Betroffenen im deutschen Bildungswesen abschneiden, soll sich daher der Schwerpunkt dieser Arbeit nicht hauptsächlich auf den Misserfolg, sondern vielmehr auf bildungserfolgreiche Jugendliche mit Migrationshintergrund beschränken. Im Hinblick auf bildungsspezifische Aspekte und Bildungsbeteiligung ausländischer Schülerinnen und Schüler wird des Öfteren und immer wieder nur die Schattenseite aufgezeigt bzw. reflektiert, sodass das Thema Bildungserfolg von Migrantenkindern vernachlässigt und aus den Augen verloren wird.
Daher soll sich das Augenmerk dieser Arbeit hauptsächlich auf Schülerinnen und Schüler richten, die ein migrationsgeschichtlichen Hintergrund aufweisen und aufgrund dieser Eigenschaft viele Benachteiligungen, Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen durch die Familie, Schule und Peergroup erfahren, aber trotz all dem in der Lage sind, auftretende Hürden zu überwinden und einen außerordentlich guten Weg einzuschlagen, sodass sie schließlich eine erfolgreiche schulische Laufbahn mit guten Schulleistungen, Schulabschlüssen und den Besuch einer höheren Schulform durchlaufen. In diesem Kontext sollen wichtige Mechanismen im Rahmen der Familie, Schule und Peergroup aufgezeigt werden, die in gewisser Weise den Bildungserfolg dieser Jugendlichen fördern oder auch einschränken können.
1.1 Fragestellung und Aufbau der Arbeit
Mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Literatur wird geklärt, ob und inwieweit sich Jugendliche mit Migrationshintergrund, insbesondere türkische Jugendliche, in Anbetracht der symbolischen Dreierkonstellation von Familie, Schule und Peergroup auseinandersetzen und welche Hürden sie überwinden müssen, die vor allem den Schulerfolg beeinflussen und dementsprechend Konsequenzen für die zukünftigen Entscheidungen haben können.
Demnach ist das Ziel dieser Arbeit die Wechselbeziehung und den Einfluss zwischen diesen genannten Faktoren auf den Schulerfolg des Migrantenjugendlichen aufzuzeigen und zu analysieren. Dabei stehen im Mittelpunkt Fragen nach den persönlichen Merkmalen wie Stärken und Kompetenzen dieser Jugendlichen, wie sie versuchen sich in das deutsche Schulsystem zu integrieren, welche Hilfe und Unterstützung sie am besten durch ihre Familien und der Schule vermittelt bekommen und welchen Wert sie auf soziale Kontakte außerhalb der Schule legen.
Im Folgenden soll in Kapitel 2 sowohl auf das theoretische als auch auf das empirische Datenmaterial eingegangen werden. Zur theoretischen Fundierung der Analyse dient der Begriff des kulturellen Kapitals nach Pierre Bourdieu, der die sozialen Ungleichheiten im Bildungssystem durch die ungleiche Verteilung von kulturellen Ressourcen erklärt. Des Weiteren erscheinen hier vor allem als empirisches Material die PISA-Studien 2000 und 2003, die aufschlussreich für die Bestätigung der Argumentationslinie sind.
Daran anschließend werden die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem dargestellt. Zu diesem Zweck wird der Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schulform aufgezeigt, wo speziell die Gesamtschule und das Gymnasium angesprochen werden. Das Kapitel 3 schließt mit der Darstellung der Vergleiche hinsichtlich der Bildungsabschlüsse mit dem Fokus auf Nationalitäten, Geschlecht und Bundesländer.
Kapitel 4 enthält Informationen über die Einflussnahme der Herkunftsfamilie auf die schulischen Geschehnisse. Hierbei werden sowohl Einstellungen und Wissen als auch Partizipationsmöglichkeiten und Lehrerbilder der ausländischen Eltern im deutschen Schulsystem aufgezeigt.
Kapitel 5 thematisiert einen weiteren Faktor, nämlich die Peergroup, die auch versucht auf den Bildungserfolg der Migrantenjugendlichen Einfluss zu nehmen. Es soll aufgezeigt werden, was durch die Hinwendung zu einer Gleichaltrigengruppe im schulischen und familiären Bereich bewirkt werden kann und inwieweit eine Teilnahme mit Gleichgesinnten den Schulerfolg beeinflusst.
In Kapitel 6 werden die wichtigsten Ergebnisse hinsichtlich des Schulerfolgs zusammengefasst. Es geht darum, welche Faktoren ausschlaggebend sind für die Erlangung einer höheren Qualifikation - also dem Schulerfolg - wobei dem wiederum die erschwerenden Faktoren entgegengesetzt werden.
Im Anschluss daran erfolgt in Kapitel 7 das Fazit, wobei unter anderem Empfehlungen und Förderkonzepte vorgelegt werden, die auf die schulische Situation der Jugendlichen mit Migrationshintergrund eingehen und eine Verbesserung der Lage der Migrantenjugendlichen an deutschen Schulen zum Ziel haben.
1.2 Begrifflichkeiten und Definitionen
Um der Analyse dieser Arbeit nachgehen zu können, ist es zunächst einmal wichtig und sinnvoll auf einige Begriffe, die mit dieser Thematik sehr eng verbunden sind, näher einzugehen. Die Definitionen sind daher von großer Bedeutung, um Missverständnisse von vornherein auszuschließen. Der Begriff Schulerfolg wird mit dem Terminus Bildungserfolg synonym benutzt, weil „Bildung und Schule nicht zu unterscheiden sind und Schulerfolg somit auch automatisch mit Bildungserfolg gleichzusetzen ist“ (Betz, 2004, S. 13). Der Grund dafür liegt insbesondere darin, dass der Schulerfolg eine bestimmte Kategorie von Bildungserfolg darstellt, da Schule und Bildung eine enge Parallellinie aufweisen, sich gegenseitig bedingen und einen unzertrennlichen Zwilling darstellen.
Definitorisch betrachtet, drückt Schulerfolg vs. Bildungserfolg „das Erreichen bzw. den Nachweis bestimmter schulischkognitiver Kompetenzen, ihre Zertifizierung und sodann ihre nachschulische Verwertbarkeit“ (Betz, 2004, S. 14) aus. Dies soll unter anderem so verstanden werden, dass es gegenwärtig nicht möglich ist ohne eine bestimmte Grundqualifikation und ohne einen höheren Schulabschluss eine gesicherte Zukunft aufzubauen. Denn die „Schulbildung ist das wichtigste Mittel zur Realisierung sozialer Ansprüche geworden […] da für die allermeisten Kinder nur noch die berufliche Leistung die Erfüllung des Aufstiegs- und Sicherheitsbedürfnisses gewährleistet […] Sozialer Aufstieg wie soziale Selbstbehauptung gehen heute fast ausschließlich auf dem Weg über die Schulbildung vor sich. Damit ist vor allem der Höheren Schule eine ungemeine gesellschaftliche Funktion zugewachsen“ (Messerschmid, 1957, S. 40 f.). Je erfolgreicher man ist und wird, desto besser und schneller bekommt man die geschlossenen Türen auf. Der Erfolg in der Schule stellt demnach den Schlüssel zur Selbstentfaltung dar und „wird zu einer zentralen Erwartung in der Gesellschaft und in den Familien“ (Sauer/Gamsjäger, 1996, S. 16).
In dieser Arbeit setzt die Vorstufe des Schulerfolgs ab dem Zeitpunkt ein, wo beim Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule eine höhere Schulform empfohlen, ausgesprochen und gewählt wird, sodass letztendlich der richtige Bildungserfolg anhand guter Schulleistungen und Schulabschlüsse in der Sekundarstufe I und II identifiziert werden kann. Außerdem sei hier kurz angemerkt, dass Bildungserfolg nicht nur im schulischen Sektor anzutreffen ist, sondern auch in Bezug auf den Beruf oder eventuell in anderen Bereichen des Lebens eine wesentliche Rolle einnehmen kann, wobei in dieser Arbeit nicht auf diese verschiedenen Perspektiven eingegangen wird.
Ausgehend von dem Literaturbestand, kann festgestellt werden, dass zwar viele Autoren genau an dieser Thematik Schulerfolg anknüpfen und auch ihren Forschungsschwerpunkt damit in Zusammenhang bringen, aber letztendlich keine zitierbare Definition, Bedeutung oder Erläuterung des Schulerfolgsbegriffs anbieten. Hierbei ist daher kritisch anzumerken, dass Autoren, Forscher und Wissenschaftler, die sich zukünftig Themen als Forschungsgegenstand aussuchen, in erster Linie explizit auf die Begrifflichkeiten eingehen sollten, da jeder Leser ein anderes Verständnis für bestimmte Begriffe hat und ohne jegliche Definitionen die Sachverhalte nicht nachvollzogen werden können.
Ein weiterer entscheidender Begriff, der in einem sehr engen Zusammenhang mit dieser Thematik steht ist der Begriff Migrationshintergrund. Dieser kann in vielen Fällen dazu führen, dass hinsichtlich bestimmter Aussagen, Ergebnisse oder Prognosen Falschinterpretationen zu Stande kommen können, da er oft nicht differentiell betrachtet wird. Hierzu eine einfache Darstellung: wenn ausländische und deutsche Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf ihre Bildungsleistungen und -chancen analysiert werden und hierbei festzustellen ist, dass ausländische Kinder und Jugendlichen im Schulwesen schlechter abschneiden als ihre gleichaltrigen deutschen Kameradinnen und Kameraden, dann liegt mit großer Wahrscheinlichkeit die Vermutung Nahe, dass hierbei eine Fehleinschätzung gemacht worden ist. Die Erklärung hierfür liegt auf der Hand, und zwar können unter der deutschen Schülerschaft die ausländischen Jugendliche, die eine deutsche Staatsbürgerschaft haben nicht identifiziert werden, sodass dies wiederum mit Konsequenzen für die ausländischen Schülerinnen und Schüler einhergeht und sich im schlimmsten Fall mit einem negativen Bildungsruf kennzeichnen kann.
Die Tatsache, dass sich wiederum unter der deutschen Schülerschaft „Deutschgewordene“ (aufgrund der Einbürgerung) aufhalten, die schulischen Erfolg haben und diesen letztendlich auf die deutsche Schülerschaft übertragen, kann dazu führen, dass die Gruppe der rein deutschen Schülerinnen und Schüler im Bildungssystem besser dargestellt werden kann. Aufgrund dieser Problematik, die auf der Erfassung des Migrationshintergrunds beruht, wäre es sinnvoll, dass die zukünftigen Interessen der Bildungsforschung dahin geleitet werden, dass der Migrationshintergrund von Schülerinnen und Schülern, vor allem im schulischen Sektor, durch die zuständigen Behörden amtlich bzw. statistisch erfasst wird (vgl. Herwartz-Emden, 2005, S. 9 f.; Baumert/Schümer, 2002, S. 189).
Generell deutet der Migrationshintergrund auf Individuen hin, die aufgrund verschiedenartiger Merkmale und Muster kategorisch zugeordnet werden können. Demnach umfasst der „Migrationshintergrund sowohl ausländische als auch deutsche Staatsbürger. Darunter sind etwa zugewanderte und in Deutschland geborene Ausländer, Spätaussiedler, Eingebürgerte mit persönlicher Migrationserfahrung sowie auch deren Kinder, die selbst keine unmittelbare Migrationserfahrung aufweisen. Personen mit Migrationshintergrund sind entweder selbst zugewandert oder gehören der zweiten bzw. dritten Generation an“ (http://www.migration-info.de/migration_und_bevoelkerung/artikel/060502.htm).
Laut PISA, wo dieser Begriff zunehmend an Bedeutung gewonnen hat und dadurch auch in den Vordergrund der Öffentlichkeit gerückt ist, verweist er „auf einen geschichtlichen Aspekt, weil bestimmte Generationen einer Familie (Eltern- oder Großelterngeneration, Urgroßelterngeneration etc.) migriert sind. Bei dieser Bertachtung wird deutlich, dass mehr oder weniger alle Menschen auf eine Migrationsgeschichte in der Familie zurückblicken können“ ( Ramm et. al, 2004, S. 255 f.). Zur Ermittlung des Migrantenstatus können verschiedene Faktoren berücksichtigt werden wie beispielsweise der Sprachgebrauch und das Geburtsland der Jugendlichen und deren Eltern (vgl. Ramm et. al, 2004, S. 255 f.). Demnach hat die Herkunftsfamilie den größten Einfluss auf den Migrationshintergrund und Migrantenstatus bzw. kann auch als Auslöser für diese Zuschreibung verstanden werden.[1]
2. Theoretische und empirische Grundlagen zur Erklärung des Bildungserfolgs
2.1 Bourdieus Kapitalbegriff zur Erklärung des Schulerfolgs
Um die vorliegende Thematik dieser Arbeit theoretisch zu verknüpfen wird das Theoriekonzept von Pierre Bourdieu[2] verwendet, das paradigmatisch dem Bereich der Kapitaltheorie[3] zuzuordnen ist und allgemein betrachtet zur Erklärung von sozialen Ungleichheiten dient. In diesem Ansatz wird, vor allem die differenzierte Ressourcenausstattung von Individuen betont, die anhand von erworbenen sowie vorhandenen ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital[4] versuchen in den unterschiedlichen Systemen der Gesellschaft Erfolge zu erlangen und insofern ihre Ziele zu realisieren. Nach einer kurzen Einführung in den Bourdieuschen Theoriekomplex, der vor allem dazu dienen soll den Zusammenhang bzw. die Logik von Bourdieu mit der Thematik dieser vorliegenden Arbeit besser zu verstehen, soll darauf folgend die spezifische Umsetzung der jeweiligen Theoriekomponenten[5] von Bourdieu auf den Bildungserfolg von Jugendlichen mit Migrationshintergrund erfolgen.
Ausgehend von dem Konzept des sozialen Raums, das bei Bourdieu auch als „soziale Welt“ verstanden werden kann und unmittelbar durch vielseitige Unterschiede ausgezeichnet ist, werden Akteure der Gesellschaft in Gruppen kategorisiert und beschichtet, sodass in ihm letztendlich virtuelle Klassen existieren. Somit „lässt sich die soziale Welt in Form eines - mehrdimensionalen – Raums darstellen, dem bestimmte Unterscheidungs- bzw. Verteilungsprinzipien zugrunde liegen; und zwar die, die die Gesamtheit der Eigenschaften (bzw. Merkmale), die innerhalb eines fraglichen Universums wirksam sind, das heißt darin ihrem Träger Stärke bzw. Macht verleihen“ (Bourdieu, 1985, S. 9 f.). Insofern sind auch soziale Klassen „definiert weder durch ein Merkmal […] noch durch eine Summe von Merkmalen (Geschlecht, Alter, soziale und ethnische Herkunft - z. B. […] Einkommen, Ausbildungsniveau, etc.), noch auch durch eine Kette von Merkmalen, welche von einem Hauptmerkmal […] kausal abgeleitet sind. Eine soziale Klasse ist vielmehr definiert durch die Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen, die jeder derselben wie den Wirkungen, welche sie auf die Praxisformen ausübt, ihren spezifischen Wert verleiht“ (Bourdieu, 1982, S. 182).
Auch Vester (2001) betont in Anlehnung an Bourdieu, dass nicht die Merkmale an sich wichtig sind, sondern vielmehr die Beziehungsstrukturen der sozialen Klasse. Demnach kann eine „soziale Klasse oder deren Teilgruppe […] nicht ausschließlich über eine einzige Ebene […] definiert werden. Sie kann nur verstanden und erklärt werden, wenn wir ihre Beziehung zu den anderen sozialen Gruppen auf allen Feldebenen untersuchen. Dabei kann […] eine Klasse auf verschiedenen Ebenen auch verschieden positioniert sein“ (Vester et al., 2001, S. 162). Nach Bourdieu, der den sozialen Raum in unzählige soziale Felder aufteilt, wird den Akteuren bzw. Klassenfraktionen ein „Kampfplatz“ bzw. „Spielfeld“ eröffnet, wo die Handelnden durch ihre „relative Stellung“ bzw. Position definiert sind und in diesen raumbezogenen Feldern bestimmte „Spielregeln“ gelten, die sie beachten müssen, sodass damit letztendlich das Funktionieren des kompletten Systems garantiert wird (vgl. Steiner, 2001, S. 42). Die Bedeutung dieser Felder wiederum liegt darin, dass „sich die Agenten einig über die spezifischen Interessen sind [und] die Interessen der Agenten nicht übereinstimmen, dass diese also im Wettstreit um die Durchsetzung der eigenen Interessen stehen“ (Steiner, 2001, S. 42), wo letztendlich durch den Einsatz von Ressourcen um Prestige sowie um Anerkennungs- und Deutungsmacht gekämpft wird. Demnach „weiß man, dass man in jedem Feld einen Kampf […] zwischen dem Neuling, der die Riegel des Zugangsrechts zu sprengen versucht, und dem Herrschenden finden wird, der das Monopol zu halten und die Konkurrenz auszuschalten bemüht ist […] Das Objekt der Kämpfe, die im Feld stattfinden, ist das Monopol auf die für das betreffende Feld charakteristische legitime Gewalt (oder spezifische Autorität), das heißt letzten Endes der Erhalt bzw. die Umwälzung der Verteilungsstruktur des spezifischen Kapitals“ (Bourdieu, 1993, S. 107 f.). Diesbezüglich können diese raumbezogenen sozialen Felder zur Austragung von Kämpfen bzw. Kräften dienen, wobei hier von den Akteuren unmittelbar spielerische Fähigkeiten vorausgesetzt werden, um letztendlich die feldspezifischen „Spielregeln“ verstehen und beachten zu können, sodass durch den grundlegenden Einsatz der jeweiligen Kapitalsorten (ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital), auch nach dem Motto und „jeder spielt entsprechend der Höhe seiner Chips“ (Bourdieu, 1992b, S. 38), die Erwartungen und Interessen auf materiellen Gewinn, Prestige, Macht und Erfolg hoch angesetzt werden. Insofern ist mit der grundlegenden Absicht der Individuen zum einen der Profit verbunden, den sie sich in jeglicher Art und Weise erhoffen und zum anderen ist das wichtigste Ziel sich in diesem kompletten System fortzubewegen. Dies bedeutet vor allem den Drang nach Durchsetzungs-, Führungs- bzw. Machtanspruch und Machthabe, sodass letztendlich auch egoistischerweise verschiedene Strategien und Taktiken genutzt und entwickelt werden müssen, um diese vorgestellten Ziele zu erreichen, Interessen zu realisieren und vor allem den eigenen Handlungsspielraum, also den Horizont, zu erweitern (vgl. Neuberger, 1995, S. 14).
Vor diesem Hintergrund formuliert Gültekin (2003), dass beispielsweise heutzutage bei den jungen Migrantinnen die Realisierung von Erfolgen hauptsächlich auf ihrer „Doppelperspektivität“ beruht, sodass sie „Welten, Positionen und Perspektiven miteinander [verknüpfen] und kreieren das Neue, das der Konfrontation mit Grenzen die Erweiterung des Horizonts mit neuen Optionen, Ressourcen und Kompetenzen entgegensetzt“ (Gültekin, 2003, S. 91). Demnach kann die mikropolitische Sichtweise, die aufgrund von Machtgier auf die Ausweitung des eigenen Handlungsspielraums abzielt, dazu führen, dass die Akteure bei einer richtigen Einsatzreaktion aus dem „Kampf“ bzw. „Spiel“[6] als Gewinner hervorgehen können, sodass sich diesbezüglich auch aufgrund der angewandten Strategien und Taktiken die sozialen Positionen bzw. Stellungen der Akteure in den sozialen Feldern verändern können. Demnach werden anhand von veränderbaren Bewegungsmustern sowie durch unterschiedliche Handlungsweisen, Verhaltenseinstellungen und durch den Lebensstil den Akteuren der sozialen Klassen eine bestimmte Position in diesen raumbezogenen Feldern zugesprochen, sodass sich vertikale Strukturen kenntlich machen können, die mehr oder weniger die Herrschaftsverhältnisse abbilden und somit soziale Ungleichheiten die Folge daraus sein können. Ausgehend von den sozialen Positionen, „die durch die Dimensionen Kapitalvolumen, Kapitalstruktur und soziale Laufbahn entfalteten sozialen Raums bestimmt“ (Artikel Sozialer Raum, 2006) werden und „sich wechselseitig zueinander definieren, durch Nähe, Nachbarschaft oder Ferne sowie durch ihre relative Position, oben oder unten oder auch zwischen bzw. in der Mitte usw.“ (Bourdieu, 1992a, S. 138) kann insofern der eigentliche Habitus[7] der Akteure ersichtlich werden, in dem Merkmale wie Lebensstil, Geschmack, Sprache und Konsumverhalten zum Ausdruck kommen, sodass schließlich aufgrund dessen die Position der Einzelnen im gesamtgesellschaftlichen System abgelesen werden kann (vgl. Bourdieu, 1997, S. 657; Bourdieu, 1992b, S. 33).
Die Vorstellung des Bourdieuschen Theoriekomplexes soll hier nicht weiter ausführlich behandelt werden, vielmehr ist hier wichtig, das enge Verhältnis der Kapitaltheorie zu den anderen Theorieentwürfen von Bourdieu aufzuzeigen, um den gesamten Sachverhalt, so weit es geht, zu verdeutlichen. Demnach stehen die einzelnen Theoriekomponenten von Bourdieu in einer ständigen bzw. bedingten Wechselbeziehung zueinander, die mehr oder weniger zu einer Gesellschaftstheorie aufgrund der Verbindung des Mikro- und Makroansatzes verschmelzen. Denn um einen gesellschaftlichen Teilbereich bei Bourdieu erklären und verstehen zu können, ist es sinnvoll auf das von ihm aufgestellte Gesamtschema zurückzugreifen.
Um schließlich die Bourdieusche Kapitaltheorie mit der vorliegenden Thematik in Einklang bringen zu können, genügt im Rahmen dieser Arbeit die Anwendung der kulturellen Kapitalform, die speziell auf bildungsspezifische Aspekte abzielt und vor allem Bildungsunterschiede und Bildungsungleichheiten sowohl zwischen erfolgreichen wie weniger erfolgreichen Schülerinnen und Schülern als auch zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen zu erklären versucht. Dadurch, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund den Versuch unternehmen in Bezug auf ihre schulische Position neue Wege einzuschlagen oder zielstrebige Perspektiven zu realisieren, um erfolgreich sein zu können, kann sich innerhalb des deutschen Bildungssystems ein Wandel vollziehen, indem schlussendlich das Ergebnis der schulischen Bemühungen und Anstrengungen entweder auf eine bessere Stellung oder auf eine individuelle Niederlage und eine schlechtere Positionierung im Bildungssystem für die Migrantenjugendlichen hindeuten kann. Nach Bourdieu ist der Einfluss des familiären Umfelds auf den Bildungserfolg der Jugendlichen unmittelbar kultureller Art, sodass aufgrund des kulturellen Kapitals[8] die Bildungsungleichheiten sowie schulische Misserfolge von Kindern und Jugendlichen aus unterschiedlichen ethnischen bzw. sozialen Gruppen erklärt werden können. Demnach dient bei Bourdieu das kulturelle Kapital ausschließlich als theoretische Hypothese zur Erklärung der Ungleichheit der schulischen Leistungen von Kindern aus verschiedenen sozialen Klassen. „Dabei wurde der »Schulerfolg«, d.h. der spezifische Profit, den die Kinder aus verschiedenen sozialen Klassen und Klassenfraktionen auf dem schulischen Markt erlangen können, auf die Verteilung des kulturellen Kapitals zwischen den Klassen und Klassenfraktionen bezogen“ (Bourdieu, 1992b, S. 53). Insofern kann sich bei Bourdieu aus dem schulischen Erfolg eine so genannte institutionelle Diskriminierung herauskristallisieren, die sich in Form einer Auslese kenntlich macht, sodass dies letztendlich auf die kulturspezifischen Kriterien bzw. auf die herkunfts- und klassenübergreifende Selektion des Schulsystems zurückzuführen ist. Aufgrund dessen werden die Schülerinnen und Schüler nach der ethnischen Zugehörigkeit beurteilt und selektiert, was wiederum mit einer Isolation bzw. Abgrenzung verbunden sein könnte, die das Streben nach höheren schulischen Rängen unvorstellbar macht (vgl. Bourdieu/Passeron, 1971, S. 20).
In diesem Zusammenhang unterstreichen Bourdieu/Passeron (1971) nochmals die Chancen von unterprivilegierten Schülerinnen und Schülern und betont die schwer erreichbaren Ziele von diesen sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen, indem sie die „intellektuellen“ Jugendlichen des „Führungskaders“ aufzeigt, bei denen die „ Chancen für den Hochschulbesuch […] achtzigmal größer [sind] als für den eines Landarbeiters und vierzigmal größer als für den eines Arbeiters; dabei sind sie immer noch doppelt so groß wie die für Söhne mittlerer Kader“ (Bourdieu/Passeron, 1971, S. 20). Hierbei kann deutlich festgestellt werden, dass die „Chancen für den Hochschulbesuch das Ergebnis einer Auslese [sind], die die gesamte Schulzeit hindurch mit einer je nach der sozialen Herkunft der Schüler unterschiedlichen Strenge gehandhabt wird […] daß das Schulsystem objektiv eine um so totalere Eliminierung vornimmt, je unterprivilegierter die Klassen sind“ (Bourdieu/Passeron, 1971, S. 20). Nach Bourdieu ist „eine Institution wie die Schule, deren spezifische Funktion darin besteht, auf methodischem Wege jene Anlagen zu entwickeln oder erst zu schaffen, die das Kriterium des »gebildeten Menschen« und die Grundlage einer nachhaltigen und quantitativ wie qualitativ intensiven Beschäftigung sind, könnte (zumindest teilweise) die ausschlaggebende Benachteiligung derer ausgleichen, die von seiten ihrer familiären Herkunft keinen Anreiz erfahren, sich mit den Bildungsgütern zu befassen […] Diesen Ausgleich könnte die Schule unter der Bedingung, und nur unter der Bedingung, leisten, dass sie alle verfügbaren Mittel einsetzte, um die zirkelhafte Verkettung kumulativer Prozesse zu durchbrechen, zu der jede Erziehungspraxis auf kulturellem Gebiet verurteilt ist“ (Bourdieu, 1970, S. 192). Demnach sollte die Schule, ohne Rücksicht auf die soziale Herkunft, das Geschlecht und anderen Merkmalen eines Kindes, jedem Einzelnen das gleiche Recht auf Bildung in der Bundesrepublik Deutschland gewähren. In diesem Sinne stellt die kulturelle Kapitalform „das verbürgte Resultat der einerseits durch die Familie, andererseits durch die Schule gewährleisteten kulturellen Vermittlung und deren sich kumulierenden Einflüsse dar“ (Bourdieu, 1982, S. 47), wobei der Institution Schule in diesem Kontext bei Schülerbeurteilungen und Übergangsentscheidungen mehr Verantwortung zugesprochen wird und sie ihre Urteile unmittelbar vor dem Hintergrund des Bildungskapitals der Herkunftsfamilie trifft, wie bereits schon festgestellt worden ist.
In diesem Zusammenhang agieren für Bourdieu die Familie und die Schule als zwei untrennbare Orte: „D.h., sie fungieren als zwei Märkte, die kraft positiver wie negativer Sanktionen die Leistung kontrollieren, [wo] […] sich durch die bloße Verwendung die für einen bestimmten Zeitpunkt als nötig erbrachten Kompetenzen herausbilden; zugleich und untrennbar damit verbunden als Orte, an denen sich der Preis dieser Kompetenzen ausbildet“ (Bourdieu, 1982, S. 150 f.). Vor dem Hintergrund der obigen Erkenntnisse bleibt jedoch umstritten, ob der „Preis“ tatsächlich den Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen entspricht. Denn beispielsweise können die Lehrerinnen und Lehrer in der Benotungspraxis dazu tendieren, dass trotz Fleiß und Wille eines Jugendlichen, der sich durch starke Bemühungen und Anstrengungen auszeichnet, andere Schülerinnen und Schüler hinsichtlich der Schulleistungen und Beurteilungen zu favorisieren, die wesentlich weniger Leisten und schulische Aktivität ausstrahlen.
Trotz all dem sollten die Kinder und Jugendlichen, egal welchen sozialen Hintergrund sie aufweisen und welcher Ethnie sie angehören, im schulischen Bereich gleichgestellt werden, ohne dass hierbei ihre unterschiedlichen Ausgangslagen, die hauptsächlich auf deren familiäre Umwelt zurückzuführen sind, berücksichtigt werden, wobei im realen Leben tatsächlich nicht davon die Rede sein kann. Denn indem „die Schule es unterlässt, durch eine methodische Unterweisung allen das zu vermitteln, was einige ihrem familialen Milieu verdanken, sanktioniert sie die Ungleichheit, die allein sie verringern könnte. Allein eine Institution, deren spezifische Funktion es ist, im Lernen und Üben der größten Zahl die Einstellungen und Fähigkeiten zu vermitteln, die den Gebildeten ausmachen könnte […] die Nachteile derjenigen kompensieren, die in ihrem familialen Milieu keine Anregung zur kulturellen Praxis finden“ (Bourdieu, 2001, S. 48). Trotz alldem genügt es nicht die Tatsachen der Bildungsungleichheiten ausschließlich der Schule zuzuschreiben, vielmehr sind die objektiven Mechanismen zu betrachten, die die Ausgrenzungs- und Benachteiligungsprozesse von Jugendlichen aus benachteiligten Milieus verhindern sollen. Die Tatsache, dass der Schulerfolg von Migrantenjugendlichen zwar meistens auf den individuellen Begabungen beruht, kann wiederum durch eine soziologische Betrachtungsweise untermauert werden. Denn meistens „wird der Einfluss des kulturellen Privilegs nur in seinen augenfälligsten Formen wahrgenommen: Empfehlungen oder Beziehungen, Unterstützung bei den Schularbeiten, Nachhilfeunterricht, Informiertheit über das Bildungswesen und die Berufsmöglichkeiten“ (Bourdieu, 2001, S. 25 f.), wobei all dies unter anderem mit der Zeitinvestition der Familien verknüpft ist und auf das ökonomische Kapital abzielt. Offensichtlich ist zwar, dass dem kulturellen Kapital im Hinblick auf den Schulerfolg mehr Gewicht zugesprochen wird, jedoch ermöglicht das ökonomische Kapital wiederum die Bildungslücken anhand von Nachhilfe-unterricht, Hilfe und Korrektur bei den Schulaufgaben, Teilnahme an Schulaktivitäten usw. ansatzweise abzudecken und Misserfolge zu mildern. Denn wenn zu bedenken ist, dass für die Kinder und Jugendlichen, die aus privilegierten Familien kommen die Kultur als wichtiges Selbstverständnis bzw. Gut gilt und sie für jegliche Art von Arbeiten mit Belohnungen umgeben werden, liegt es Nahe, dass diese auch dementsprechend sowohl kulturell als auch ökonomisch betrachtet, keine großartigen Defizite hinsichtlich ihrer schulischen Leistungen aufweisen, da so genannte Reize und Ressourcen seitens der Familie gegeben werden. „Die Kultur der Elite steht der Kultur der Schule so nah, dass die Kinder aus einem kleinbürgerlichen […] Milieu das nur mühsam erwerben können, was den Kindern der gebildeten Klasse gegeben ist: den Stil, den Geschmack, die Gesinnung, kurzum die Einstellungen und Fähigkeiten“ (Bourdieu, 2001, S. 41). Aufgrund dessen kann eine sorgenlose sowie positive Bildungslaufbahn die Folge davon sein, wobei dies bei Kindern und Jugendlichen, die sowohl aus bildungsferneren Familien kommen als auch einen migrationsgeschichtlichen Hintergrund aufweisen dieser sorgenfreie und unkomplizierte Ablauf ziemlich schwer zu realisieren erscheint. Da die „ „ zweckfreie“ Bildung, implizite Erfolgsbedingungen bestimmter schulischer Laufbahnen […] unter den […] verschiedenen sozialen Klassen […] in unterschiedlichem Maße verteilt [...]“ (Bourdieu, 2001, S. 30) sind, liegt diese zweckfreie Bildung für diese Jugendlichen in der Ferne. Jedoch bekommen sie statt der kulturellen und ökonomischen Gegebenheiten lediglich den „Willen der Eltern“ (vgl. Bourdieu, 2001, S. 31) bei der Realisierung einer erfolgreichen Bildungslaufbahn, wobei sich die Bemühungen und Investitionen auf jeden Fall auszahlen müssen. Denn sozial schwächere Familien können sich Niederlagen nicht leisten wie andere Familien, die die Verluste und Niederlagen wieder problemlos beheben können.
Jedoch zahlt sich der Preis für die Kinder trotz des Willens der Eltern im schulischen Bereich nicht immer aus, denn letztendlich können sie nicht auf objektive Mechanismen zurückgreifen, die teilweise Erfolg versprechend sind, sodass die Jugendlichen teilweise auch den Gedanken pflegen können ihrer Familie finanziell zur Last zu fallen und insofern mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ungünstige Bildungswege einschlagen, aber auch die schlechten schulbedingten Erfahrungen der Eltern, die sie während ihrer Kindheit gemacht haben und gegenwärtig machen, verleiten die Kinder und Jugendlichen dazu, keinen Erfolgsabsichten nachzugehen. Hierbei werden innerhalb der Familie statt Motivations- und Willenstransfer nur noch Desinteresse, Demotivation und Versagensgefühle vermittelt, sodass ein schulischer Misserfolg von Jugendlichen aus sozial benachteiligten Milieus Nahe liegt.
Ausgehend davon könnte beipsielsweise ein Kind aus diesem Milieu, das die Zulassung für den Besuch einer höheren Schule bekommt als ein Ausnahmefall betrachtet werden, das einen untypischen Bildungsweg einschlägt und mehr Problemen und Nachteilen ausgesetzt ist als Jugendliche der Elitekultur. Demnach kann seine Lebenseinstellung, Denkweise sowie sein Verhalten und Handlungsstrategie, also sein Habitus, fluktuieren, da sich die Umgebung und die Position, in denen es sich befindet, auf einem ganz anderen Niveau und Level abspielen, das er bislang von seinem eigenen Umfeld nicht gewohnt gewesen ist. Schlussendlich lässt sich zusammenfassend aus dem Vorangegangenen ableiten, dass das Bildungskapital und das Ethos dazu beitragen „die Einstellungen und Verhaltensweisen der Schule gegenüber zu bestimmen, die den Grund für den unterschiedlichen Ausschluss der Kinder der verschiedenen sozialen Klassen bilden. Obgleich der unmittelbar mit dem vom familialen Milieu vererbten kulturellen Kapital verknüpfte Schulerfolg bei den Richtungsentscheidungen eine Rolle spielt, scheint der ausschlaggebende Faktor für die Fortsetzung der schulischen Ausbildung die Einstellung der Familie zur Schule zu sein, die selbst, wie man gesehen hat, von den eine jede soziale Kategorie charakterisierenden objektiven Chancen auf einen Schulerfolg abhängt“ (Bourdieu, 2001, S. 35).
2.2 Die PISA-Studie
Neben der vorangegangen Fundierung von Bourdieu, wo die Abhängigkeit des Bildungserfolgs vom kulturellen Kapital thematisiert worden ist, soll im Folgenden eine empirische Untersuchung, die ebenfalls an dieser Thematik anknüpft und die Ungleichbehandlung sowie „Überlebenschancen“ von Jugendlichen mit Migrationshintergrund im deutschen Schulsystem aufzeigt, herangezogen werden. Hierbei handelt es sich um eine international vergleichende Schulleistungsstudie, nämlich dem Programme for International Student Assessment (kurz: PISA), wo 15 jährige Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I im Hinblick auf ihre lese, naturwissenschaftlichen und mathematischen Fähigkeiten und Kompetenzen befragt worden sind.[9] Insgesamt wurde die Studie in 32 Staaten durchgeführt, wobei in Deutschland alle 16 Länder der Bundesrepublik vertreten sind. PISA ist „ein Programm der zyklischen Erfassung basaler Kompetenzen der nachwachsenden Generation, das von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durchgeführt und von allen Mitgliedsstaaten gemeinschaftlich getragen und verantwortet wird. […] Die allgemeinen Zielsetzungen von PISA [sind] […], den Regierungen der teilnehmenden Staaten […] Prozess- und Ertragsindikatoren zur Verfügung zu stellen, die […] zur Verbesserung der nationalen Bildungssysteme brauchbar sind. […] Die PISA zu Grunde liegende Philosophie richtet sich also auf die Funktionalität der bis zum Ende der Pflichtschulzeit erworbenen Kompetenzen für die Lebensbewältigung im jungen Erwachsenenalter und deren Anschlussfähigkeit für kontinuierliches Weiterlernen in der Lebensspanne“ (Baumert/Artelt, 2003, S.12).
Ausgehend von der PISA-Studie, die erstmals im Jahre 2000 erhoben worden ist,[10] ist zu sehen, dass diese ein besorgniserregendes Ergebnis im Hinblick auf das Kompetenzniveau von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu Tage gebracht hat. Vor allem am Standort Deutschland ist offensichtlich geworden, dass hinsichtlich der Bildungsbeteiligung und dem Bildungserfolg zwischen deutschen und ausländischen Schülerinnen und Schülern[11] erhebliche Disparitäten bestehen und, das dass deutsche Schulsystem, aufgrund seiner herkunftsbezogenen Selektivität, nicht jedem Einzelnen gerecht werden kann. In den PISA-Erhebungen wird der Unterschied zwischen den privilegierten und erfolglosen Kindern und Jugendlichen deutlich ersichtlich, wobei auch Unterschiede hinsichtlich derer zugrunde liegt, die sowohl aufgrund der vorhandenen niedrigen sozio-ökonomischen Ressourcen ihrer Familien aus bildungsferneren Schichten kommen als auch von denen, die einen Migrationshintergrund aufweisen.
Im Laufe dieser Arbeit wird der Vergleich zwischen diesen beiden Gruppen, nämlich der Gruppe der deutschen Schülerinnen und Schüler, die aus bildungsferneren Arbeitermilieus kommen und der Gruppe der Migrantenjugendlichen genauer thematisiert, daher soll hier nicht weiter darauf eingegangen werden. Im Interessen- und Forschungsfeld der PISA-Studie steht demnach hauptsächlich die soziale Herkunft der Schülerinnen und Schüler, wobei diese wiederum in einem engen Zusammenhang mit den schulischen Leistungen einhergehen. Insofern „sind in Deutschland Bildungsbeteiligung und Kompetenzerwerb eng mit Merkmalen der sozialen Herkunft gekoppelt“ (Ramm et al., 2004, S. 254). Demzufolge hängt der Besuch einer bestimmten Schulform, die den Kindern und Jugendlichen beim Übergang von der Grundschule auf die Sekundarstufe I zugesprochen wird, von den herkunftsbezogenen Aspekten ab. Laut PISA ist mit der sozialen Herkunft „eine Vielzahl von Merkmalen, die aus dem sozialen und ökonomischen Status sowie der kulturellen Praxis einer Familie herrühren und mit der Teilhabe an Bildungsangeboten zusammenhängen“ (Ramm et al., 2004, S. 225) verbunden.
Im Folgenden soll auf wichtige PISA-spezifische Befunde eingegangen werden, die die bedauerliche Situation der Migrantenjugendlichen im deutschen Bildungssystem aufzeigen. Daraufhin sollen anhand der Ableitung von diesen Misserfolgsgeschehnissen Erklärungsversuche unternommen werden, die den Bildungserfolg dieser Jugendlichen explizieren. Zunächst einmal ist tragischerweise zu erwähnen, dass die Ergebnisse der PISA-Untersuchungen in erster Linie darauf aufmerksam machen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund geringere Kompetenzwerte in den Fächern Lesen, Naturwissenschaften und Mathematik aufweisen als die gleichaltrige deutsche Schülerschaft.[12] Demnach überschreiten fast 50% der Jugendlichen aus Migrantenfamilien noch nicht einmal die Kompetenzstufe I im Lesen (vgl. Pommerin-Götze, 2005, S. 146; Gogolin et al., 2003, S. 19; Artelt et al., 2001, S. 39). Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, „dass nur etwa 2% der Jugendlichen, deren beide Eltern nach Deutschland zugewandert sind, zu den „exzellenten Lesern“ gehören, etwa 20% von ihnen hingegen zu den „extrem schwachen Lesern“ (Gogolin et al., 2003, S. 19), wobei hier anzumerken ist, dass die leserische Fähigkeit als Grundvoraussetzung für das Verstehen von Unterrichtsinhalten in den anderen Schulfächern angesehen werden kann.
In Anbetracht dessen kann fast „ein Viertel der 15-Jährigen […] aus einfachen Zeitungstexten die wesentlichen Informationen nicht zuverlässig entnehmen“ (Kiper/Kattmann, 2003, S. 21), sodass aufgrund dieser Tatsache wiederum die Kompetenzen und Leistungen der Migrantenjugendlichen im mathematischen sowie im naturwissenschaftlichen Bereich auch deutlich unter dem Durchschnitt liegen dürften. Insofern liegt in PISA 2003 „die durchschnittliche mathematische Kompetenz der Jugendlichen türkischer Herkunft mit einem Wert von 411 Punkten (S.E. = 11,0) deutlich unter dem Gesamtdurchschnitt (503)“ (Ramm et al., 2004, S. 264). Hier sei jedoch anzumerken, dass die genauen Daten je nach Bundesland und Familienstruktur bzw. -lage der Jugendlichen variieren können, wobei sich jedoch die schlechten Leistungen dadurch auch nicht beheben lassen. Trotz alldem ist „alarmierend […], dass über 50 Prozent der Jugendlichen türkischer Herkunft, obwohl sie in Deutschland geboren sind, nur marginale Kompetenzen erreichen, die nicht über die Stufe 1 hinausgehen“ (Ramm et al., 2004, S. 264 f.). [13] Somit haben diese „Fünfzehnjährigen […] bereits schulische Misserfolge erfahren, die auch für die Prognose ihrer zukünftigen Beschulung und Ausbildung entscheidend sein werden“ (Ramm et al., 2004, S. 264 f.).
Nun liegt dieser Erkenntnis die Frage Nahe, wie dieser desolate Zustand, der durch schlechtere Schulleistungen, geringere Bildungsabschlüsse und somit durch eine defizitäre Schulintegration gekennzeichnet ist, zustande kommt. Zu bedenken ist, dass die Vielzahl der türkischen Kinder und Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland geboren ist und somit eine langjährige Verweildauer in diesem Land aufweist, sodass letztendlich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von einer gelungenen Eingliederung in die gesellschaftlichen Systeme, insbesondere in das Bildungssystem, zu rechnen wäre. Demnach soll hier die Verantwortung für diese Tatbestände nicht den Jugendlichen selbst zugeschrieben werden, sondern wie bereits schon erwähnt sind auch nach PISA die ausschlaggebenden Aspekte hierfür die Faktoren hinsichtlich der herkunftsbezogenen, milieuspezifischen wie auch migrationsgeschichtlichen Merkmale der familiären Umwelt, die in der Institution Schule im Rahmen von Übergangsentscheidungen, Benotungen und Urteilsverkündungen stark zur Geltung kommen, sodass die Erfolgsaussichten für Migrantenjugendliche sowie für deutsche Jugendliche aus bildungsärmeren Verhältnissen deutlich erschwert werden können.
In der PISA-Studie wird zur Erfassung der sozialen Herkunft der Mädchen und Jungen hauptsächlich der berufliche Status der Eltern herangezogen, wobei hier zusätzlich die sozialen und kulturellen Ressourcen bzw. Kapitalien der Herkunftsfamilie berücksichtigt werden. Hierbei sind unter den kulturellen Aspekten die Nationalität, Kulturgebundenheit sowie die schulische und berufliche Ausbildung der Eltern gemeint, wobei die sozialen Aspekte wiederum sowohl den Zugang zu den sozialen Netzwerken und Beziehungen als auch die Struktur der Familie und den Erwerbsstatus der Eltern in Betracht ziehen (vgl. Loeber/Scholz, 2003, S. 243). Aufgrund dessen sind erhebliche Unterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund bezüglich ihrer schulischen Leistungen in den untersuchten Kompetenzbereichen festzustellen, sodass anhand der sozialen wie kulturellen Gegebenheiten die Erklärungen für Bildungsunterschiede und Bildungsmisserfolge von Jugendlichen mit Migrationshintergrund dargelegt werden können. Insofern zeigt sich bei weniger erfolgreichen Migrantenjugendlichen zum einen, dass zum größten Teil beide Elternteile im Herkunftsland geboren sind und somit keine längerfristige bzw. verwurzelte Verweildauer in der Bundesrepublik aufweisen, was zusätzlich durch die Betonung von PISA die bildungsspezifischen Differenzen zwischen deutschen und nicht deutschen Jugendlichen erklärt. In Bezug hierauf kann nochmals bestätigt werden, dass sich „ 15-Jährige mit einem im Ausland geborenen Elternteil […] in der Bildungsbeteiligung kaum von Jugendlichen [unterscheiden], deren Eltern beide in Deutschland geboren sind. Sind jedoch beide Eltern zugewandert, so ist die Situation erheblich ungünstiger. Von den Kindern mit in Deutschland geborenen Eltern besuchen mehr als 30 Prozent das Gymnasium; in der Gruppe der Kinder, deren Eltern im Ausland geboren sind, beträgt der Anteil nur knapp 15 Prozent. Für den Hauptschulbesuch liegen die entsprechenden Quoten bei etwa 25 und fast 50 Prozent“ (Stanat et al., 2002, S. 13). Hierbei ist festzustellen, dass der Aufenthalt der ausländischen Eltern in der Bundesrepublik Deutschland eines der Faktoren darstellt, der die schulischen Leistungen der Schülerinnen und Schüler sowohl begünstigen als auch hemmen kann, da beide Faktoren, nämlich die Verweildauer bzw. Geburtsort der Eltern sowie die Schulleistungen der Kinder und Jugendlichen, miteinander in Korrelation stehen.[14] Zum anderen wird im Rahmen der PISA-Studie auch aufgezeigt, dass unter anderem für den Schulerfolg von Jugendlichen mit Migrationshintergrund neben dem Vorangegangenen unmittelbar auch andere elterliche bzw. häusliche Effekte verantwortlich sind, auf die im Laufe der Arbeit im Detail eingegangen werden soll.
Jedoch wird im Rahmen der PISA-Studien für die Aneignung von fächerspezifischen Kompetenzen und schulischen Erfolgen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund beispielsweise auch auf die Verkehrssprache innerhalb der Herkunftsfamilie hingedeutet (vgl. Stanat, 2003, S. 244). In den Schulen werden „ab einem 20-prozentigen Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die zu Hause nicht Deutsch sprechen, im Durchschnitt etwa 20 Punkte weniger im Lesetest erreicht als in Schulen, in denen maximal 5% der Schülerinnen und Schüler in der Familie überwiegend die Sprache ihres Herkunftslandes verwenden“ (Stanat, 2003, S. 256). Demnach stellt die erworbene bzw. verwendete Verkehrssprache im Rahmen von PISA die entscheidende Hürde für den Schulerfolg von Jugendlichen mit Migrationshintergrund dar, sodass „die Förderung des Zweitsprachenerwerbs in nur unbefriedigendem Maße gelingt“ (Stanat, 2003, S. 260).
An dieser Stelle ist es dennoch angebracht danach zu fragen, warum diese bildungsspezifischen Unterschiede zwischen deutschen und nicht deutschen Schülerinnen und Schülern bzw. zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem weiterhin bestehen. Denn die Vielzahl der Jugendlichen mit einer Migrationsgeschichte ist in der Bundesrepublik Deutschland geboren und aufgewachsen und hat dementsprechend auch einen deutschen Bildungsweg durchlaufen, was letztendlich die Wahrscheinlichkeit erhöhen müsste, dass diese Jugendlichen zum größten Teil mit der deutschen Kultur (insbesondere der Bildungskultur) vertraut sein dürften. Dies wiederum wird auch von Nauck (2004) bestätigt, indem er aufzeigt, dass „Jugendliche der zweiten Zuwanderungsgeneration […] im Vergleich zu ihren Eltern deutlich stärker assimiliert [sind], nehmen diskriminierende Handlungen seltener wahr als ihre Eltern, haben eine geringere soziale Distanz zu Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft, spüren gleichzeitig eine größere Entfremdung zur Herkunftsgesellschaft und haben seltener konkrete Rückwanderungsabsichten“ (Nauck, 2004, S. 99). Vor allem dürften demnach auch keine großartigen sprachlichen Probleme bei diesen jugendlichen Migranten festzustellen sein, was bei PISA als grundlegender Beitrag zum Bildungserfolg angesehen wird. In diesem Zusammenhang könnten demnach in vielen Vergleichsstudien diese Jugendlichen zumindest teilweise auf dem gleichen Bildungslevel stehen und ansatzweise gleiche Erfolgsquoten aufweisen wie ihre deutschen Altersgenossen, was bislang auch nach den Ergebnissen von PISA nicht der Fall gewesen ist.
Diese kritische Betrachtungsweise stellt zwar zu den vorangegangenen PISA-Daten einen Widerspruch dar, wobei die Ergebnisse von PISA hier nicht angezweifelt werden sollen, sondern vielmehr deutet hier die Kritik „auf einen Schwachpunkt des deutschen Schulsystems hin, denn ca. 70% der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der PISA-Stichprobe haben ihre gesamte Schulzeit in Deutschland absolviert. Insbesondere rückt es die Bedeutung, die der Schule bei der Vermittlung der schulspezifischen Sprache zukommt, in den Blick […]. Die 15-Jährigen Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die in der PISA-Studie untersucht wurden, wurden offenbar in ihrem Bildungsgang mit der speziellen Spielart von Sprache, die nur die Schule selbst an die breite Schülerschaft vermitteln kann, nicht hinreichend vertraut gemacht […] die hochgradige soziale Selektivität […] im Bildungssystem […] in Deutschland ist enger als in allen anderen beteiligten Staaten. Von diesem Merkmal des deutschen Schulsystems sind die Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund besonders betroffen“ (Gogolin et al., 2003, S. 20).
In Anbetracht der prekären Ergebnisse, die die PISA-Studien offen dargelegt haben, ist die hauptsächliche Begründung von Misserfolgsquoten bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund vor allem auf die schicht- bzw. herkunftsspezifischen Aspekte und auf die unzureichende Beherrschung der deutschen Sprache zurückzuführen, was letztendlich eine bereichsübergreifende Förderung notwendig macht. Dennoch stellt sich die Frage, wie die Migrantenjugendlichen, die im Rahmen von PISA deutlich besser abgeschnitten haben als ihre gleichaltrigen Genossinnen und Genossen und nicht schwerpunktartig auf ihre Erfolge hin öffentlich thematisiert werden, unter gleichen Voraussetzungen und Ausgangsbedingungen wie im Vergleich zu ihren durch Misserfolg gekennzeichneten Landskameraden trotzdem in der Lage sind deutlich bessere Schulleistungen und Schulabschlüsse zu erzielen. Ohne, dass hier versucht werden soll auf diese Frage eine eindeutig schlüssige Antwort zu finden, da diese mit Sicherheit auf Vielseitigkeit beruht, kann hier in Anlehnung an die PISA-Einflussindikatoren die Vermutung aufgestellt werden, dass diejenigen Jugendlichen, die aus Migrantenfamilien kommen und trotzdem im deutschen Bildungswesen erfolgreich sind, zum einen die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrschen und mindestens eines ihrer Elterteile hier in Deutschland geboren ist und zum anderen ihre Eltern qualifizierte Berufe ausüben, sodass diese berufliche Positionierung den monetären Aspekt unterstreicht, was unmittelbar die schulische Laufbahn der Kinder und Jugendlichen begünstigen kann. Ausgehend hiervon kann bei erfolgreichen Migrantenjugendlichen unter Berücksichtigung dieser Faktoren von einer gelungenen Integration der Migrantenfamilien bzw. Eltern die Rede sein, die sich im Laufe der Zeit zum einen der deutschen Gesellschaft angepasst haben und zum anderen das Weiterkommen und Förderung der Schulerfolge ihrer Töchter und Söhne in Erwägung ziehen. Um die Erfolgsquoten von jugendlichen Migrantinnen und Migranten im bundesdeutschen Schulsystem anzukurbeln bzw. die Anzahl der Bildungsmisserfolge zu mildern, Bedarf es an bildungsspezifischen Fördermaßnahmen wie beispielsweise die gesetzliche Absicherung der Alphabetisierung in der jeweiligen Muttersprache und die Erteilung des Sachunterrichts in der erwünschten Sprache der Kinder (entweder nur muttersprachlich, zweisprachig oder auch die Sprache des Aufnahmelandes). Aufgrund dieser Maßnahamen gehören z.B. Norwegen und Schweden zu den Ländern, die im Rahmen der PISA-Studien vorbildhafte Bildungsergebnisse bezüglich ihrer Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund vorgelegt haben und somit zum größten Teil makellose Bildungssysteme aufweisen (vgl. Djojoatmodjo-Zwahlen, 2003, S. 59).
3. Jugendliche mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem
Laut der statistischen Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz aus dem Jahre 2002, wo über ausländische Schülerinnen und Schüler[15] und Schulabsolventen mit einem migrationsgeschichtlichen Hintergrund während der Zeitspanne 1991 bis 2000 Bericht erstattet worden ist, lag der Anteil der ausländischen Schülerschaft, die eine allgemein bildende und eine berufliche Schule in der Bundesrepublik Deutschland besucht haben bei 1,16 Millionen Schülerinnen und Schülern für das Jahr 2000. Dies entspricht einem Prozentsatz von 9,1% der gesamten Schülerschaft. Ausgehend von dieser obigen Zeitspanne von 1991 bis 2000 konnte eine interpretierbare Ermittlung bezüglich der Bildungsbeteiligung und dem Schulabschluss ausländischer Schülerinnen und Schüler statistisch erfasst werden, sodass ersichtlich wird, dass sich der Anteil der Schülerinnen und Schüler anderer Nationalitäten ab dem Jahr 1991 drastisch erhöht hat und einen Höhepunkt im Jahre 1997 mit knapp 1,18 Millionen Kindern anderer Nationalitäten erreichte (vgl. Kultusministerkonferenz, 2002, S. 11). Allerdings war der ausländische Schüleranteil in den letzten Jahren nicht mehr so hoch und eher ein Rückgang zu verzeichnen es (1997: 9,3%, 2000, 9,1%) (vgl. Kultusministerkonferenz, 2002, S. 11). Die Ergebnisse des Mikrozensus 2005[16] des statistischen Bundesamtes verweisen darauf, dass der Anteil der ausländischen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland, bei Erfassung und Berücksichtigung des Migrationshintergrunds, deutlich höher liegt, wie die bislang bekannten demographiespezifischen Bevölkerungsdaten, sodass auch im Bildungsbereich der Anteil von Kindern und Jugendlichen aus ausländischen Familien, die unter dem migrationsspezifischen Merkmal erfasst werden würden, wesentlich höher liegen dürfte. Demnach leben gegenwärtig 67,1 Millionen Deutsche ohne Migrationshintergrund in der Bundesrepublik, was gut 81% der Gesamtbevölkerung ausmacht. Hingegen stellen Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund einen Bevölkerungsanteil von 15,3 Millionen dar und somit ungefähr 19%. „Damit sind sowohl die Zahl aller Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland wie auch ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung mehr als doppelt so hoch wie die bislang bekannten Ausländerzahlen“ (Statistisches Bundesamt, Juni 2006, S. 74).
Trotz alldem gibt der Mikrozensus des statistischen Bundesamtes bislang keine nähere Auskunft darüber, wie die schulspezifischen Daten zu Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem aussehen, lediglich werden nur Ergebnisse ohne die Berücksichtigung des Migrationshintergrundes der Schülerinnen und Schüler repräsentiert. Insofern ist die statistische Erfassung dieser Bevölkerungsdaten mit dem Schwerpunkt auf dem Migrationshintergrund ein Zeichen dafür, dass auch in Zukunft detaillierte Befunde hinsichtlich des Bildungssektors gemacht werden. Im Hinblick auf das deutsche Bildungssystem zeigt sich, dass Kinder anderer Nationalitäten an allgemein bildenden Schulen eine beachtliche Gruppe darstellen, sodass sie keineswegs als eine Minorität angesehen werden dürfen, sondern vielmehr als eine große Gruppe, die eine problematische Schülerschaft darstellt, sodass ihnen wiederum bezüglich ihrer Benachteiligungen mehr Beachtung und Förderbedarf geschenkt werden sollte. Diese kritische Darstellung der Schülerschaft macht sich dadurch kenntlich, dass sie im Vergleich zu deutschen Schülerinnen und Schülern niedrigere Schulabschlüsse erlangt, schlechtere Schulleistungen aufweist und seitens der Schule, aufgrund verschiedenartiger Faktoren, Diskriminierungen verspürt, sodass letztendlich der Bildungserfolg in der Ferne liegen kann.
Wie auch zahlreiche Untersuchungen zur migrationsspezifischen Bildungsforschung aufzeigen, sind Kinder und Jugendliche mit einer Migrationsgeschichte an deutschen Haupt- und Sonderschulen überrepräsentiert, wobei sie an Gymnasien und Realschulen eine Minderheit darstellen und kaum ermittelt werden können. Auch Kristen (2002) stellt fest, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund „an den Hauptschulen überrepräsentiert [sind und demnach] […] entsprechend niedrigere Anteile an den Realschulen und Gymnasien“ (Kristen, 2002, S. 534) aufweisen. Diese Feststellung bzw. dieses Problem wird unter anderem auch durch die Herkunftsfamilien der Jugendlichen verschärft auf die später im Detail eingegangen werden soll, sodass die Jugendlichen neben den schulischen Schwierigkeiten zusätzlich noch durch ihre sozial benachteiligten Familien eine doppelte Belastung verspüren. Im Nachfolgenden soll es speziell darum gehen, wie sich Jugendliche mit Migrationshintergrund im deutschen Schulsystem (fort)bewegen und den Übergang vom Primärbereich auf die Sekundarstufe realisieren. Vor allem ist in diesem Zusammenhang die Position und Funktion der deutschen Schule, insbesondere der Gesamtschule und des Gymnasiums sehr wichtig, da sie bei der Gestaltung der Bildungswege dieser Jugendlichen mitwirken bzw. in Bezug auf den Schulerfolg fördernd oder eher hemmend wirken können.
3.1 Die allgemein gegenwärtige Bildungs- bzw. Schulsituation von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund
Nach Angaben des statistischen Bundesamtes (2006) haben im Schuljahr 2005/2006 ca. 929.500 Schülerinnen und Schüler anderer Nationalitäten eine allgemein bildende Schule in Deutschland besucht, das waren knapp 21.800 Schülerinnen und Schüler weniger als im vorangegangenen Schuljahr 2004/2005 (vgl. Tab. 1). Auch für die Zukunft werden niedrigere ausländische Bildungsbeteiligte an deutschen Schulen prognostiziert, sodass aufgrund des ständigen Rückgangs die Anzahl der Schülerinnen und Schüler nicht mehr der Norm entsprechen und der Bildungswert zunehmend an Bedeutung verlieren könnte. Laut einer Pressemitteilung des statistischen Bundesamtes vom 23. Februar 2006 ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler sowohl deutscher als auch ausländischer Herkunft insgesamt an allgemein bildenden Schulen in der Bundesrepublik zurückgegangen. In diesem Kontext wird die Vermutung aufgestellt, dass dieser Trend anhalten wird (vgl. Statistisches Bundesamtes, Februar 2006).
Tabelle 1: Allgemein bildende Schulen, ausländische Schüler/innen nach Schularten und Ausländeranteilen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland, Oktober 2006a.
Tabelle 1 zeigt die allgemein bildenden Schulen in der Bundesrepublik auf, wo alle Schulformen berücksichtigt werden. Man erkennt zwar, dass sich ab dem Schuljahr 2003/2004 bis 2005/2006 die Zahl der Schülerinnen und Schüler anderer Nationalitäten in Bezug auf die entsprechenden Schulformen Gesamtschule und Gymnasium zum Teil erhöht hat und zum Teil konstant geblieben ist. Jedoch treten neben diesem Befund auch die zurückgehenden Besucherzahlen im Elementar- und Primarbereich in den Vordergrund, wobei dies mit demographischen Aspekten zusammenhängen könnte. Auch an den Realschulen ist ein drastischer Anstieg ausländischer Jugendlicher zu beobachten. Während am Gymnasium der Anteil im Schuljahr 2003/2004 noch bei 92.800 Jugendlichen lag, sind für das Schuljahr 2005/2006 101.700 Schülerinnen und Schüler ausländischer Herkunft zu verzeichnen. Hingegen hat sich bei dem ausländischen Gesamtschulanteil nichts Großartiges verändert, sodass ein geringfügiger Rückgang von -0,1% ersichtlich wird. Demnach zeigt sich ein steigender Trend für den Besuch einer höheren Schulform bei ausländischen Jugendlichen, was auch zukünftig andauern könnte.
3.2 Die Selektions- und Inklusionsfunktion des deutschen Bildungssystems
Im Rahmen dieses Kapitels soll aufgezeigt werden, dass die Ursachen sozialer Benachteiligungen und Ungleichheiten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf das deutsche Schulsystem zurückzuführen sind. Somit ist die „Ursache für die sozialen Disparitäten […] das differenzierte Schulsystem, das Kindern und Jugendlichen aus einfachen sozialen Schichten ungünstigere Lerngelegenheiten anbiete als sozial privilegierten Schülerinnen und Schülern“ (Baumert/Köller, 2005, S. 9).
Vor allem ist nach den Ergebnissen von PISA offensichtlich geworden, dass das Schulsystem in Deutschland, neben dem österreichischen Bildungssystem, seine Schülerinnen und Schüler in punkto Schulleistungen und Kompetenzen nach der sozialen Herkunft und sozio-ökonomischen Stellung der Familie selegiert (vgl. Pommerin-Götze, 2005, S. 147; Sacher, 2005, S. 42) und insofern eine stark ausgeprägte sozialschichtabhängige Ungleichverteilung von Bildungschancen erzeugt. Auch viele Studien und Ergebnisse verweisen darauf, „dass das deutsche Schulwesen in besonderer Weise sozial selektiv wirkt und damit nicht nur die Begabungsreserven einer Gesellschaft nur unzureichend ausgeschöpft werden, sondern zudem soziale Ungerechtigkeit produziert wird“ (Frederking et al., 2005, S. 7). Denn wenn „ein Kind türkische Eltern hat, wenn seine Mutter oder sein Vater erwerbslos ist oder wenn seine Familie mit wenigen finanziellen Mitteln auskommen muss und in einem so genannten Ausländerghetto wohnt, muss sich das Kind mit Migrationshintergrund im Vergleich zu seinem deutschen Klassenkameraden, dessen Eltern der sozialen Mittelschicht angehören, um ein Zehnfaches mehr anstrengen, den Übergang ins Gymnasium zu schaffen “ (Pommerin-Götze, 2005, S. 147). Hingegen wird bei einem hohen Schulabschluss der Eltern auch bei den eigenen Kindern ein häufiger Besuch eines Gymnasiums aufgezeichnet (vgl. Statistisches Bundesamt, 2003, S. 37).
Es soll daher in diesem Kontext hauptsächlich der Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule dokumentiert werden, weil hierbei der Institution Schule sowohl bei der Wahl und Einweisung als auch bei der Empfehlung für eine bestimmte Schulform der Migrantenjugendlichen eine Rolle und Verantwortung zugesprochen wird, da vor allem hier soziale Ungleichheiten anfangen,[17] wobei Benachteiligungen und Ungleichheiten wiederum „im bundesdeutschen Schulsystem nicht aber innerhalb des Sekundarschulsystems, in dem in der jeweiligen Schulform Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer sozialen Herkunft gleichermaßen gefördert werden“ (Baumert/Köller, 2005, S. 9) entstehen.
Zunächst soll auf die Begriffe Selektion[18] und Inklusion kurz eingegangen werden. Laut Abels (1983), die bei ihrer Forschung von dem Selektionsbegriff nach Parsons ausgeht, orientiert sich die Selektion an den Schulleistungen einer Schülerin und eines Schülers. Es wird zwischen zwei Kategorien differenziert: Zum einen das „spezifisch kognitive Lernen“, das mit den Fähigkeiten wie Wahrnehmung, Vorstellung sowie mit der Informationsaufnahme aus dem eigenen Umfeld verbunden ist und unmittelbar auf die Verarbeitung und das Speichern dieser Informationsquellen abzielt (vgl. Abels, 1983, S. 16; Albert, 2006, S. 6) und zum anderen die „moralische Kategorie“, die auf die Kooperationsbereitschaft zwischen Schülerinnen und Schülern sowie zwischen Mitschüler/innen sowie auf Respekt und Prestige zurückzuführen ist (vgl. Abels, 1983, S. 16). Somit kann die Selektion sowohl mit positiven als auch mit negativen Konsequenzen im schulischen Alltag verbunden sein. Zum einen bewirkt die Selektionsfunktion im Rahmen der Institution Schule, bei Übergangsentscheidungen am Ende der vierten Grundschulklasse, dass Kinder und Jugendliche gesondert gefiltert werden. Demnach geht die Schule von den migrationsspezifischen Identifikationsmerkmalen der Kinder und Jugendlichen aus, was die soziale Herkunft und den Migrationsstatus betrifft, wobei hier wiederum die Inklusionsfunktion der Schule einsetzt. „Die Schule legt Inklusionsregeln fest, und wer […] Mitgliedschaftsbedingungen wie beispielsweise […] Muttersprache Deutsch nicht erfüllt, wird nicht zugelassen bzw. ist von vornherein benachteiligt“ (Djojoatmodjo-Zwahlen, 2003, S. 66), wobei jedoch ausschließlich die Entscheidung der Institution Schule über die erfüllten bzw. nicht erfüllten Bedingungen ausschlaggebend ist. Hierbei kann eine deutliche Beziehung zwischen der Selektionsfunktion und der Inklusionsfunktion[19] offen dargelegt werden, da die Inklusionsregeln, die bestimmte Bedingungen und Regeln voraussetzt, eine so genannte Selektion vorprogrammieren kann.
Angesichts dieser Tatsache können die Entscheidungen und Empfehlungen der Schule bzw. der Lehrerschaft, die auf Inklusionsvorstellungen beruhen so ausfallen, dass Kinder und Jugendliche anderer Nationalitäten häufiger auf eine Hauptschule oder Sonderschule verwiesen werden als gleichaltrige deutsche Schülerinnen und Schüler. „Vor allem türkische und italienische Jugendliche sind überproportional häufig an Hauptschulen und erheblich seltener an Gymnasien zu finden“ (Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, August 2005, S. 51 f.), sodass für diese Jugendlichen schließlich das Erreichen eines höheren Schulabschlusses und die Integration in die Gesellschaft sowie in die Arbeitswelt als unrealistisch erscheinen und nicht gewährt werden. Demnach erlangen die „aus den kulturell am stärksten benachteiligten Familien stammenden Schüler oder Studenten […] am Ende einer häufig mit schweren Opfern bezahlten langen Schulzeit aller Wahrscheinlichkeit nach nur einen entwerteten Titel, und wenn sie scheitern, was für sie noch das wahrscheinlichste Schicksal darstellt, dann sind sie zu einer zweifelsfrei stigmatisierenden und noch totaleren Ausgrenzung verurteilt“ (Bourdieu, 1997, S. 529).
Somit schließt die deutsche Schule die Kinder und Jugendlichen anderer Nationalitäten zum Teil sowohl von der Gesellschaft als auch von der deutschen Schülerschaft aus, da auf diesen genannten Schulformen (Haupt- und Sonderschule) die Förderung nicht als ausreichend erscheint. Demnach können diesen Schülerinnen und Schülern, durch die Einweisung in diese Schulformen, die zukünftigen Pläne, Ziele und Vorstellungen entzogen werden, sodass dadurch letztendlich ihre Motivation und ihr Ehrgeiz hinsichtlich dem Lernen, der Realisierung von Zielen und ihre Erfolgsaussichten entfallen können. Dies verdeutlicht nochmals die selektive Funktion der deutschen Schule, die „als Institution […] in ihrem Wandel durch eine außerordentliche Trägheit gekennzeichnet“ (Bourdieu, 1992b, S. 20) ist und auf Inklusionsbedingungen beruht, wo Migrantenkinder aufgrund ihres Migrant seins ausgeschlossen, nicht beachtet, schlecht behandelt und diskriminiert werden können. Zum anderen könnte jedoch auch die Vermutung Nahe liegen, dass bei der Versetzung von der Grundschule auf die weiterführende Schule aber auch bei der Versetzung in eine höhere Schulklasse die Institution Schule nur die erbrachten und vorgelegten Schulleistungen[20] der Kinder mit Migrationshintergrund berücksichtigt, da „für einen erfolgreichen Besuch der höheren Schule allgemein vor allem gute Grundschulleistungen in Deutsch und Rechnen als ausschlaggebend angesehen werden“ (Schultze, 1964, S. 32). Da die Noten als die zentralen Determinanten beim Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule angesehen werden und die Notenvergabe letztendlich wieder durch die Lehrerbeurteilungen erfolgt, wird die volle Verantwortung bezüglich Schulentscheidungen bzw. Missentscheidungen der Schule zugeschrieben, sodass hier die Rede von institutioneller Diskriminierung sein kann. Hierbei können schließlich Fehlentscheidungen gemacht werden, die die Bildungsbiographien von Schülerinnen und Schülern stark beeinträchtigen können. Infolgedessen würde sich bei der Behandlung von deutschen und ausländischen Kindern und Jugendlichen im Bildungswesen eine Fairness kenntlich machen, da man ausdrücklich nur von den Schulleistungen der Kinder und Jugendlichen ausgeht und nicht von dem sozialen Hintergrund. Wäre dies wirklich der Fall, dass die Schule bzw. Lehrerschaft nicht die detaillierten Faktoren bzw. migrationsgeschichtlichen Aspekte der Migrantenkinder berücksichtigt, sondern vielmehr die Schulleistungen, dann würde das bundesdeutsche Schulsystem demnach nicht mehr durch ihre Selektionsfunktion charakterisiert sein.
[...]
[1] Hier sei angemerkt, dass der Begriff „Auslöser“ nicht falsch aufgefasst werden soll. Lediglich ist damit die mit der Migration verbundene Historik und Verwurzelung der Familien zu verstehen.
[2] Pierre Bourdieu wurde am 01.08.1930 in Denguin geboren. Nach einem erfolgreichen Studium in Paris, arbeitete er in verschiedenen Einrichtungen bis er im Jahre 2002 an Krebs verstarb. Er war einer der bedeutensten französischen Soziologen unserer Zeit, der sich durch zahlreiche Veröffentlichungen und Werke im Hinblick auf die gesellschaftliche Urteilskritik einen Namen machte.
[3] Statt der Kapitaltheorie könnte hier auch synonym der Terminus Ressourcentheorie verwendet werden.
[4] Es gibt bei Bourdieu drei Formen des Kapitals. Zum einen das ökonomische Kapital, das unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar ist und sich besonders zur Institutionalisierung in der Form des Eigentumsrechts eignet; das kulturelle Kapital, das unter bestimmten Voraussetzungen in ökonomisches Kapital konvertierbar ist und sich besonders zur Institutionalisierung in Form von schulischen Titeln eignet und zum anderen das soziale Kapital, das auf sozialen Verpflichtungen und Beziehungen beruht und sich zur Institutionalisierung in Form von Adelstiteln eignet, sodass es auch unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls in ökonomisches Kapital umgewandelt werden kann (vgl. Bourdieu, 1983, S. 185).
[5] Unter dem Ausdruck Theoriekomponenten sind die Klassen-, Feld- und Habitustheorie nach Bourdieu gemeint, die eng mit der Kapitaltheorie in Verbindung stehen und bei der Erklärung von sozialen Ungleichheiten innerhalb einer Gesellschaft „voneinander bedingt“ in Kraft treten.
[6] Unter „Spiel“ meint Bourdieu eine Anzahl von Individuen, die an einer geregelten Tätigkeit teilnehmen und diesbezüglich bestimmten Regelmäßigkeiten gehorchen. Demnach ist für ihn das Spiel der Ort, an dem sich eine „immanente Notwendigkeit“ vollzieht, die mit einer immanenten Logik verbunden ist, sodass nicht gefühlsmäßig gehandelt werden darf, sondern einem so genannten „Spiel-Sinn“ gefolgt werden muss (vgl. Bourdieu, 1992a, S. 85).
[7] „Der Habitus ist gleichzeitig ein System von Schemata der Produktion von Praktiken und ein System von Schemata der Wahrnehmung und Bewertung der Praktiken. Und beide Male kommt in seinen Operationen die soziale Position zum Ausdruck, in denen er sich entwickelt hat“ (Bourdieu, 1992a, S. 144).
[8] Das kulturelle Kapital kann in drei Formen existieren, nämlich in verinnerlichtem, inkorporiertem Zustand auf dauerhaften Dispositionen des Organismus beruhend, in objektiviertem Zustand, „in Form von kulturellen Gütern, Bildern, Büchern, Lexika, Instrumenten oder Maschinen, in denen bestimmte Theorien und deren Kritiken, Problematiken usw. Spuren hinterlassen oder sich verwirklicht haben“ (Bourdieu, 2003, S. 96) und in institutionalisiertem Zustand in Form von Objektivation (vgl. Bourdieu, 2003, S. 96).
[9] Die Durchführung bzw. Stichprobe wurde so amplifiziert, dass in Deutschland unter anderem auch die Neuntklässler mit einbezogen worden sind. Somit lag der Anteil bei Einkalkulierung der Neuntklässler insgesamt bei 45.899 Schülerinnen und Schülern für die Bundesrepublik Deutschland (vgl. Baumert/Artelt, 2003, S. 13).
[10] Erstmals wurde die PISA-Studie im Jahre 2000 durchgeführt, wo der Schwerpunkt auf die Lesekompetenz beschränkt worden ist. Die zweite Erhebung für den naturwissenschaftlichen Bereich ist im Jahre 2003 durchgeführt worden, wobei für dieses Jahr (2006) die mathematische Grundbildung erhoben werden soll.
[11] Hier sei unter anderem angemerkt, dass viele dieser Jugendlichen, die bei den PISA-Studien einen migrationsgeschichtlichen Hintergrund aufweisen, in Deutschland geboren und ihre gesamte Bildungslaufbahn hier absolviert haben.
[12] Lesen wird „als universelle Kulturtechnik verstanden, die eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben einer Gesellschaft ermöglicht“ (Kiper/Kattmann, 2003, S. 17). Daher wird auch im Rahmen von PISA die Lesekompetenz (Reading Literacy) der Jugendlichen erhoben, die darüber Auskunft gibt, wie sich diese mit unterschiedlichen Texten auseinandersetzen, wie sie damit umgehen oder ob sie diese verstehen usw. (vgl. Kiper/Kattmann, 2003, S. 17).
Mathematik (Mathematical Literacy) wird im Rahmen der PISA-Studie in fünf Kompetenzstufen unterteilt, in denen letztendlich die Jugendlichen auf ihre mathematischen Fähigkeiten hin untersucht werden, wobei es hier allgemein um das Verstehen, die Umsetzung, die Anwendung, die Aufgabenbewältigung und um die Lösungsfindung geht.
Naturwissenschaftliche Grundbildung (Scientific Literacy) umfasst laut PISA drei Aspekte, die die naturwissenschaftlichen Prozesse, Konzepte sowie die Fähigkeit zum Wissenstransfer auf Situationen meinen (vgl. Pfeifer, 2005, S. 164). Demnach geht es in erster Linie darum das naturwissenschaftliche Wissen anzuwenden bzw. Sachverhalte zu verstehen.
[13] Die Kompetenzen sind in fünf Stufen unterteilt, wobei die Schülerinnen und Schüler, die über die Kompetenzstufe I nicht hinauskommen lediglich über elementare Grundfähigkeiten aufweisen. Je distanzierter und abweichender die Schülerinnen und Schüler von der Kompetenzstufe V sind, desto schwacher und „kompetenzloser“ können sie im Hinblick auf die fächerübergreifenden Inhalte sein (vgl. Artelt et al., 2002, S. 60 f.).
[14] Dieser Befund ist zwar empirisch belegt worden und diesem ist mit großer Wahrscheinlichkeit zuzustimmen, da die Verweildauer auch Auskunft darüber geben kann, ob und inwieweit sich Migrantenfamilien in die gesamtgesellschaftlichen Systeme integriert haben könnten, jedoch bleibt die Tatsache, dass sich die Jugendlichen aus Migrantenfamilien den Geburtsort ihrer Eltern nicht selber aussuchen können.
[15] Hierbei wird der Ausdruck „ausländische Schüler/innen“ benutzt, sodass man davon ausgehen muss, dass die Zahlenangaben nicht aussagekräftig sind, da nicht direkt die Rede von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund ist. Demnach müsste der Anteil ausländischer Schüler/innen im deutschen Bildungssystem höher liegen.
[16] Erstmals wurde im Mikrozensus 2005 des statistischen Bundesamtes der Anteil von Individuen berücksichtigt, um an der Gesamtbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland den Migrationshintergrund dieser zu identifizieren, wobei im Hinblick auf die schulischen Daten noch keine vereinzelten Ergebnisse vorliegen.
[17] Der erste Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule ist wichtig, weil die Schule durch eine falsche Beurteilung und Empfehlung am Ende der 4. Klasse den ganzen Bildungsweg eines Schülers vermiesen kann. Wenn der Schüler einmal auf der empfohlenen Schule ist, ist es nicht einfach wieder rückgängig zu machen d.h. die Bildungskarriere zum Positiven hinzuwenden.
[18] Im Schulwesen versteht man unter der Selektion die Auslese und Filterung von Schülern, die bei wichtigen Entscheidungen wie dem Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schulform zum Ausdruck kommt. Die Selektion ist der Schule zuzuschreiben, da sie verschiedene Merkmale der Schüler mit der Versetzung in Relation setzt.
[19] Mit der Inklusion sind laut der obigen Aussage Vorstellungen der Schule verbunden, wobei demnach das Motto Nahe liegt, dass „Was nicht passt, wird passend gemacht“ oder im Fall der Migrantenjugendlichen „Was passt, wird nicht passend gemacht“. Demnach kann hier auch die Frage gestellt werden, ob diese durch die Schule aufgestellten Inklusionsregeln auf Vorurteile beruhen.
[20] Vor allem sind hier mit Schulleistungen die Schulnoten gemeint, die Auskunft darüber geben für welche Schulform das Kind geeignet bzw. nicht geeignet ist, d.h. die Noten in den Fächern Deutsch und Mathematik sind für die Versetzung von der Grundschule auf die weiterführende Schule von äußerst großer Relevanz.
- Arbeit zitieren
- Feride Ergün (Autor:in), 2006, Faktoren für den Schulerfolg von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der Bundesrepublik Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73752
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