Der vierte Kreuzzug wurde 1198 von Papst Innocenz III. ausgerufen und „galt der Verbesserung der desolaten Verhältnisse im Heiligen Land“ . Als Ziel wurde Ägypten propagiert. Die Kreuzfahrer aber eroberten weder Ägypten, noch das Heilige Land, sondern Konstantinopel. Warum der Kreuzzug nach Konstantinopel abgelenkt wurde, beschäftigt die Forschung seit langem, „ohne dass ein Ergebnis erzielt worden wäre“ .
Die vorliegende Arbeit wird sich mit der Ablenkung des vierten Kreuzzuges aus byzantinischer Sicht beschäftigen und zwar anhand der „Chronik“ des Georgios Akropolites sowie des Geschichtswerkes „Die Kreuzfahrer erobern Konstantinopel“ von Niketas Choniates. Sicher wird auch diese Arbeit das Problem der Ablenkung nicht lösen, aber vielleicht neue Gesichtspunkte aufzeigen.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Georgios Akropolites
1. Leben und Werk
2. Die Ablenkung des vierten Kreuzzugs in Akropolites’ Chronik
a) Die Quelle
b) Die Interpretation der Quelle
III. Niketas Choniates
1. Leben und Werk
2. Die Ablenkung des vierten Kreuzzugs in Choniates’ Geschichtswerk
a) Die Quelle
b) Die Rolle der Venezianer
c) Die Rolle des Alexios
d) Die innere Schwäche des byzantinischen Reiches
IV. Schluss
V. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Der vierte Kreuzzug wurde 1198 von Papst Innocenz III. ausgerufen und „galt der Verbesserung der desolaten Verhältnisse im Heiligen Land“[1]. Als Ziel wurde Ägypten propagiert. Die Kreuzfahrer aber eroberten weder Ägypten, noch das Heilige Land, sondern Konstantinopel. Warum der Kreuzzug nach Konstantinopel abgelenkt wurde, beschäftigt die Forschung seit langem, „ohne dass ein Ergebnis erzielt worden wäre“[2].
Die vorliegende Arbeit wird sich mit der Ablenkung des vierten Kreuzzuges aus byzantinischer Sicht beschäftigen und zwar anhand der „Chronik“ des Georgios Akropolites sowie des Geschichtswerkes „Die Kreuzfahrer erobern Konstantinopel“ von Niketas Choniates. Sicher wird auch diese Arbeit das Problem der Ablenkung nicht lösen, aber vielleicht neue Gesichtspunkte aufzeigen.
II. Georgios Akropolites
1. Leben und Werk
Georgios Akropolites wurde 1217 in Konstantinopel geboren und 1233 von seinem Vater zur Ausbildung nach Nikaia geschickt, wo er mit Kaiser Johannes III.Vatatzes zusammentraf, der anscheinend Gefallen an Akropolites fand und sich um dessen weitere Förderung kümmerte[3]. Akropolites wurde von Theodor Hexapterygos und Nikephoros Blemmydes unterrichtet und dürfte 1240 mit Theodor, dem Sohn des Kaisers, zusammengetroffen sein, eine Beziehung, die im Laufe der Jahre von Höhen und Tiefen geprägt war[4].
Die politische Laufbahn von Georgios Akropolites begann 1246, er erhielt das Hofamt des Logothétes toû genikoû[5]. Später wurde Akropolites der Erzieher des Kaisersohns Theodor in Philosophie, der Beginn einer Freundschaft, die durchaus ambivalent war[6].
Kaiser Theodor II. Laskaris ernannte Akropolites zum Groß-Logotheten, einem der höchsten Beamten des Reichs, machte seinem Freund aber genau dieses Amt zum Vorwurf und misstraute seiner Loyalität, weshalb es 1256 zu den 24, vielleicht sogar 48 Schlägen auf die Fußsohlen des fast 40-jährigen Akropolites kam[7]. Kaum zwei Monate später wurde Akropolites wieder in Gnaden aufgenommen und zum Prätor für den Westteil des Reiches ernannt[8]. 1257 wurde Akropolites mit anderen Repräsentanten in der Stadt Prilep von den Soldaten Michaels II. von Epiros eingeschlossen, er blieb zwei Jahre lang in Gefangenschaft[9]. Währenddessen starb Kaiser Theodor, der Usurpator Michael Komnenos Palaiologos bestieg als Michael VIII. Palaiologos den Thron und engagierte sich 1259 für die Freilassung der Gefangenen, die im Herbst gewaltsam befreit wurden[10]. Von Michael wurde Akropolites mit diplomatischen Aufgaben betraut und erlebte 1261 die Zurückeroberung Konstantinopels für die Griechen und den feierlichen Einzug dort selbst mit[11]. Akropolites blieb Groß-Logothet, Diplomat und war als akademischer Lehrer für Philosophie in Konstantinopel tätig, wo er seine Chronik schrieb[12]. Im Laufe des Jahres 1282 starb Akropolites[13]. Das Hauptwerk des Georgios Akropolites ist seine Chronikè Syngraphé, in der er die Ereignisse der Jahre 1203 bis 1261 beschreibt und die er höchstwahrscheinlich zwischen 1261 und 1267 verfasst hat[14].
2. Die Ablenkung des vierten Kreuzzugs in Akropolites’ Chronik
a) Die Quelle
Akropolites geht in seinem Werk nur in Kapitel 2 auf die Ablenkung des vierten Kreuzzugs nach Konstantinopel ein. Nach seinen Worten hatte Alexios III. Komnenos seinen Bruder Isaak II. Angelos „aus der Herrschaft vertrieben“[15], blenden lassen und sich selbst zum Kaiser erhoben.
Wie Akropolites schreibt, gelang Isaaks Sohn, Alexios, die Flucht aus Konstantinopel, dieser sei nach Rom gelangt, wo er sich „dem Erzbischof dieser Stadt zu Füßen“[16] geworfen und ihn um Rache für seinen Vater gebeten habe. „Durch dessen inständiges Bitten, und mehr noch durch seine Versprechungen ließ sich der Papst erweichen“[17], fährt Akropolites fort. Papst Innocenz III. habe Alexios den Heerführern des Kreuzzugs mitgegeben, „damit diese von der eigentlich geplanten Route Abstand nähmen und ihn auf den Thron seines Vaters einsetzten“[18].
Wie aus diesen Zeilen ersichtlich ist, sieht Akropolites den Schuldigen für die Ablenkung des Kreuzzuges in der Person des Papstes, der sich einerseits von der Bitte Alexios’ um Rache und andererseits von den großen Versprechungen Alexios’ habe erweichen lassen. Im ersten Kapitel seiner Chronik, dem so genannten Methodenkapitel, erklärt Akropolites, in seinem Werk die Wahrheit wiedergeben zu wollen[19]. Ferner ist in diesem Methodenkapitel zu lesen, dass Akropolites „das, was in der Öffentlichkeit schon bekannt ist“[20] übernommen hat und dass „noch niemals jemand“[21] über die Ereignisse seiner Chronik geschrieben hatte. Aus diesen Auszügen aus dem Methodenkapitel lassen sich folgende Schlüsse ziehen: Georgios Akropolites, der ja kein Zeitzeuge des vierten Kreuzzugs war, hatte die feste Absicht, in seinem Werk so wahrheitsgetreu wie möglich die Ereignisse zu berichten. Er stützte sich nicht auf schriftliche Quellen – und wenn doch, dann ist uns unbekannt, welche es gewesen
sind -, sondern übernahm das, „was in der Öffentlichkeit schon bekannt ist“[22].
b) Die Interpretation der Quelle
Es ist heute nicht mehr nachvollziehbar, warum Akropolites der Meinung war, dass Papst Innocenz III. ursächlich für die Ablenkung des Kreuzzugs verantwortlich war, beziehungsweise, von wem er diese Ansicht übernahm. Eine Alleinverantwortlichkeit des Papstes für die Ablenkung des Kreuzzuges jedenfalls, kann nach allem, was heute bekannt ist, sicher ausgeschlossen werden.
Der Besuch des byzantinischen Prinzen bei Papst Innocenz ist verbürgt, er fand aller- dings nicht direkt nach der Flucht von Alexios aus Konstantinopel in der zweiten Hälfte des Jahres 1201 statt, sondern Anfang des Jahres 1202. Über den Besuch berichtet Papst Innocenz III. in einem Brief an Kaiser Alexios III. vom 16. November 1202[23]. In die- sem schreibt Innocenz „...quod praedictus Alexius olim ad praesentiam nostram acce- dens...“[24] über das Erscheinen des Prinzen und über die Antwort, die er diesem gab: „Cumque nos eidem dedissemus responsum juxta quod vidimus expedire“[25]. Somit machte Innocenz III. den byzantinischen Kaiser zwar auf die Pläne des Prinzen auf- merksam und wollte ihn „offensichtlich für sich einnehmen“[26], informierte ihn aber nicht über seine Antwort. Dass die Antwort ablehnend war, ist trotzdem sicher, denn im März 1202 kam Markgraf Bonifaz von Montferrat zu Innocenz III. und trug ihm den Plan vor, das Kreuzzugsheer solle nach Konstantinopel fahren und Alexios auf den byzantinischen Thron bringen: „De quo, cum idem marchio ad summum pontificem ac- cessisset, coepit agere a remotis; sed cum intellexisset ipsius animum ad hoc non esse directum, expeditis negotiis ad crucis officium pertinentibus, ad propria remeavit“[27]. Innocenz lehnte ab[28]. Der einzige Grund, aus dem Innocenz einen Kreuzzug nach Kon- stantinopel gebilligt haben könnte, bestünde in der Aufhebung des Schismas. Da sich der Papst aber in regem Briefkontakt mit Alexios III. über die Wiederannäherung der Kirchen befand[29], entfällt auch dieser Grund für eine Ablenkung des Kreuzzugs nach Konstantinopel durch Innocenz. Georgios Akropolites irrt also, wenn er Innocenz die Schuld für die Ablenkung des Kreuzzugs unterstellt. Dass die „Versprechungen“[30] bei Alexios’ Besuch beim Papst zur Sprache kamen, wie Akropolites schreibt, ist nicht er- wiesen, zumindest wird es nirgendwo erwähnt. Es herrscht die Meinung vor, dass Phi- lipp von Schwaben im Herbst 1202 Boten im Namen von Alexios nach Venedig schick- te, die den Führern des Kreuzzugs die Versprechungen des Prinzen offenbarten[31].
Die Versprechungen beinhalteten „200,000 marks of silver, to accompany the crusaders in person to Egypt with an extraordinary force of 10,000 men to be supported at his expense, and to return the Church of Constantinople to Roman obedience“[32]. Außerdem sollten 500 Mann an ständigen Truppen im Heiligen Land bleiben, solange Alexios am Leben war[33], ferner wurde reichlich Verpflegung für das Heer in Aussicht gestellt[34].
Auch in diesem Punkt ist ersichtlich, dass Georgios Akropolites nicht völlig falsch liegt, da sowohl die Versprechungen, wie auch der Besuch des Alexios beim Papst erwiesen sind, aber er gibt einerseits eine falschen Chronologie und andererseits falsche Tatsachen wieder. Zusammenfassend lässt sich bemerken, dass Akropolites’ Darstellung der Ablenkung des Kreuzzuges nicht der von ihm propagierten historischen Wahrheit entspricht.
[...]
[1] Lilie, Ralph-Johannes: Byzanz. Das zweite Rom, Berlin 2003, 436.
[2] Lilie, Byzanz, 435.
[3] vgl. Akropolites, Georgios: Die Chronik. Übersetzt und eingeleitet von W. Blum (Bibliothek der griechischen Literatur 28), Stuttgart 1989, Einleitung, 1.
[4] vgl. Akropolites, Chronik, Einleitung, 1f.
[5] vgl. Akropolites, Chronik, Einleitung, 4.
[6] vgl. Akropolites, Chronik, Einleitung, 5f.
[7] vgl. Akropolites, Chronik, Einleitung, 6f.
[8] vgl. Akropolites, Chronik, Einleitung, 7.
[9] vgl. Akropolites, Chronik, Einleitung, 7f.
[10] vgl. Akropolites, Chronik, Einleitung, 8f.
[11] vgl. Akropolites, Chronik, Einleitung, 9.
[12] vgl. Akropolites, Chronik, Einleitung, 10.
[13] vgl. Akropolites, Chronik, Einleitung, 13.
[14] vgl. Akropolites, Chronik, Einleitung, 17.
[15] Akropolites, Chronik, Kapitel 2, 68.
[16] Akropolites, Chronik, Kapitel 2, 68.
[17] Ebd.
[18] Ebd.
[19] Akropolites, Chronik, Kapitel 1, 67.
[20] Ebd.
[21] Ebd.
[22] Ebd.
[23] Registrum Innocentii Papae III, V/122, Patrologia Latina 214, 1124 A,ed. J.-P. Migne, Paris 1890.
[24] Ebd.
[25] Ebd.
[26] Maleczek, Werner: Petrus Capuanus, Wien 1988, 132.
[27] Gesta Innocentii Papae III., c.83, Patrologia Latina 214, CXXXII,ed. J.-P. Migne, Paris 1890.
[28] vgl. Maleczek, Petrus Capuanus, 132.
[29] vgl. Godfrey, John: 1204. The Unholy Crusade, Oxford 1980, 69; Nicol, Douglas M.: Byzantium and Venice, Cambridge 1988, 130; Angold, Michael: The Fourth Crusade, London 2003, 77.
[30] Akropolites, Chronik, Kapitel 2, 68.
[31] vgl. Angold, Fourth Crusade, 86; Nicol, Byzantium, 133; Maleczek, Petrus, 149.
[32] Angold, Fourth Crusade, 86; vgl. Nicol, Byzantium, 133; Maleczek, Petrus, 149.
[33] vgl. Nicol, Byzantium, 133; Maleczek, Petrus, 149.
[34] vgl. Maleczek, Petrus, 149.
- Arbeit zitieren
- Ines Hoepfel (Autor:in), 2004, Die Ablenkung des vierten Kreuzzuges aus byzantinischer Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73705
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