I. Einleitung
„Saget mir ieman, waz ist minne?“ : Auch heute ist diese Frage, die Walther von der Vogelweide in seinem Lied 69,1 (nach Karl Lachmannscher Zählung) aufwirft, nicht leicht zu beantworten. In der vorliegenden Hausarbeit werde ich mich damit auseinandersetzen, wie Walther diese Frage beantwortet hat. Im Mittelpunkt wird vor allem die Frage stehen, wie die Schlusszeilen des Liedes, die Revocatio, zu deuten sind.
II. Das Lied „Saget mir ieman, waz ist minne“ und seine Interpretation
1. Die Bedeutung der Mehrfachüberlieferung für die Interpretation
Das Lied „Saget mir ieman, waz ist minne?“ ist in sechs Handschriften überliefert , wobei ich Handschrift s, die Haager Liederhandschrift, gleich ausklammern möchte, da dort nur die Eingangsstrophe überliefert ist. In den verbleibenden fünf Handschriften werden zweimal je vier Strophen in unterschiedlicher Reihung präsentiert, nämlich in A (Kleine Heidelberger Liederhandschrift) und C (Manessische Liederhandschrift), sowie zweimal je fünf Strophen in paralleler Reihung, nämlich in E (Würzburger Liederhandschrift) und F (Weimarer Liederhandschrift). Die Handschrift O enthält prinzipiell dieselbe Reihung wie die Handschriften E und F, nur ging hier durch Blattverlust die erste Strophe verloren.
Nun stützen sich die Editionen, die die Lieder Walthers enthalten, auf verschiedene Überlieferungen. Der bisher einzige, der den Handschriften E und F folgt, ist Christoph Cormeau , dessen Version ich in dieser Hausarbeit in der Interpretation folgen werde. Denn so spitzfindig das Abwägen der Reihungen gegeneinander erscheinen mag, so wichtig ist es für die Interpretation des Liedes. Nicht entscheidend ist sicherlich die Frage, ob die Zusatzstrophe IV (nach Cormeauscher Zählung) in die Reihung aufgenommen wird oder nicht, da sie nur eine Verstärkung des zuvor Gesagten darstellt. Entscheidend aber ist die Stellung der Strophe, die mit der Frage „Kan min vrouwe süeze siuren?“ beginnt und die berühmte Revocatio enthält.
Denn in den Handschriften E, F und O, denen die Editionen Lachmanns – ohne Zusatzstrophe – und Cormeaus folgen, steht diese Strophe am Ende, in der Handschrift A hingegen als zweite Strophe, in der Handschrift C als erste.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Das Lied „Saget mir ieman, waz ist minne“ und seine Interpretation
1. Die Bedeutung der Mehrfachüberlieferung für die Interpretation
2. Erste Strophe
3. Zweite Strophe
4. Dritte Strophe
5. Vierte Strophe
6. Fünfte Strophe
7. Die Revocatio der fünften Strophe
III. Schluss
IV. Literaturverzeichnis
1. Primärliteratur
2. Sekundärliteratur
I. Einleitung
„Saget mir ieman, waz ist minne?“[1]: Auch heute ist diese Frage, die Walther von der Vogelweide in seinem Lied 69,1 (nach Karl Lachmannscher Zählung) aufwirft, nicht leicht zu beantworten. In der vorliegenden Hausarbeit werde ich mich damit auseinandersetzen, wie Walther diese Frage beantwortet hat. Im Mittelpunkt wird vor allem die Frage stehen, wie die Schlusszeilen des Liedes, die Revocatio, zu deuten sind.
II. Das Lied „Saget mir ieman, waz ist minne“ und seine Interpretation
1. Die Bedeutung der Mehrfachüberlieferung für die Interpretation
Das Lied „Saget mir ieman, waz ist minne?“ ist in sechs Handschriften überliefert[2], wobei ich Handschrift s, die Haager Liederhandschrift, gleich ausklammern möchte, da dort nur die Eingangsstrophe überliefert ist. In den verbleibenden fünf Handschriften werden zweimal je vier Strophen in unterschiedlicher Reihung präsentiert, nämlich in A (Kleine Heidelberger Liederhandschrift) und C (Manessische Liederhandschrift), sowie zweimal je fünf Strophen in paralleler Reihung, nämlich in E (Würzburger Liederhandschrift) und F (Weimarer Liederhandschrift). Die Handschrift O enthält prinzipiell dieselbe Reihung wie die Handschriften E und F, nur ging hier durch Blattverlust die erste Strophe verloren.
Nun stützen sich die Editionen, die die Lieder Walthers enthalten, auf verschiedene Überlieferungen. Der bisher einzige, der den Handschriften E und F folgt, ist Christoph Cormeau[3], dessen Version ich in dieser Hausarbeit in der Interpretation folgen werde. Denn so spitzfindig das Abwägen der Reihungen gegeneinander erscheinen mag, so wichtig ist es für die Interpretation des Liedes. Nicht entscheidend ist sicherlich die Frage, ob die Zusatzstrophe IV (nach Cormeauscher Zählung) in die Reihung aufgenommen wird oder nicht, da sie nur eine Verstärkung des zuvor Gesagten darstellt. Entscheidend aber ist die Stellung der Strophe, die mit der Frage „Kan min vrouwe süeze siuren?“[4] beginnt und die berühmte Revocatio enthält.
Denn in den Handschriften E, F und O, denen die Editionen Lachmanns – ohne Zusatzstrophe – und Cormeaus folgen, steht diese Strophe am Ende, in der Handschrift A hingegen als zweite Strophe, in der Handschrift C als erste.
Das Lied 69,1 kann man nur dann als „höfisches Werbelied“[5] verstehen, wenn man entweder Handschrift A oder C folgt. Sicherlich ist auch die Möglichkeit zu beachten, dass Walther diese Strophe an den Anfang stellte, um sein Publikum gleich mit fünf Fragen geballt auf seine neuen Überlegungen zum Minneleidproblem zu lenken[6]. Trotzdem bin ich der Meinung, dass die mit „Kan min vrouwe süeze siuren?“ beginnende Strophe am Ende stehen muss, da erstens ansonsten die Revocatio – ob es eine echte ist, ist noch zu erörtern – überflüssig wäre und zweitens sich erst so die sprachliche Kunstfertigkeit in seiner Gänze zeigt. Der Fragenkreis schließt sich, denn mit „Saget mir ieman, waz ist minne?“ steht die Frage, um die sich alles in diesem Lied dreht, am Anfang und mit den fünf Fragen am Ende wird das Publikum noch einmal aufgerüttelt, mit einbezogen und zum Nachdenken gefordert. Zwei Strophen dieser Art am Anfang des Liedes wie in Handschrift C aufgeführt, sind verschenkt und der Genialität des Sprachkünstlers Walther nicht angemessen.
Nicht außer Acht lassen darf man allerdings die Möglichkeiten, dass die verschiedenen Überlieferungen eines Liedes dadurch zustande kamen, dass es Varianten für ein jeweils verschiedenes Publikum gab, dass Erst- und Zweitfassungen durch den Autor geschaffen wurden oder dass Schreiber willkürlich oder unachtsam arbeiteten[7].
2. Erste Strophe
Im Minnesang und somit auch in diesem Minnelied gibt es das klassische kommunikative Dreieck von Minneherr - dem lyrischen Ich -, Minnedame und Minnepublikum. „Insgesamt bietet es sich (...) an, (...) von einem Modell-Hof, einer höfischen Modell-Situation auszugehen“[8]. In dieses Grundsystem der Kommunikation steigt das lyrische Ich in Walthers Lied mit der Frage „Saget mir ieman, waz ist minne?“ ein. Damit ist schon die Thematik des Liedes klar, es geht um das Wesen der Minne. Die Frage des lyrischen Ichs ist ans Publikum gerichtet. Es sei dahingestellt, ob die Frage rein rhetorisch gemeint und zum Aufrütteln der Hörer gedacht ist oder ob sie, wie Martin Wenske meint, auch „sokratisch“[9] gemeint ist und Walther eine philosophische Debatte über die Minne eröffnet. Fest steht, dass die Frage „als bekannten Bestandteil das unumstößliche Faktum enthält, dass es die Minne gibt: Offen bleibt, worin sie besteht“[10]. Im Aufgesang heißt es weiter, dass das Ich, das sich immer noch, diesmal auffordernd ans Publikum wendet, zwar schon einiges über die Minne weiß, aber gerne mehr wüsste.
„Der sich baz denne ich versinne“[11] soll dem Ich erklären, warum die Minne weh tut. Ins Zentrum des Liedes rückt nun das „Begreifen des Minneleids“[12]. Sogleich definiert das Ich, das hier mehr Minnesänger, denn Minneherr ist[13], rigoros, was die Minne ist, womit gleichzeitig die Eingangsfrage beantwortet wird: Minne ist nur dann Minne, wenn sie wohl tut, wenn nicht, ist es keine Minne, dann kennt das Ich keinen Namen dafür. Diese Definition Walthers ist eindeutig eine „kritische Distanzierung“[14] von der Minneauffassung aller Sänger zuvor. Denn „Walther bestreitet, dass die Minne Freude und Schmerz zu umfassen habe“[15] im Gegensatz zu seinen Vorsängern, die die Frustration des Minnenden immer als etwas dargestellt hatten, das ertragen werden muss. Reinmars Verzichtliebe ist somit von Walther eindeutig als der Bezeichnung Minne nicht würdig erkannt worden.
3. Zweite Strophe
Die Definition der Minne, die das lyrische Ich in der ersten Strophe verkündet hat, wird in der zweiten Strophe näher erklärt und zwar wieder in der Interaktion mit dem Publikum, die natürlich keine „echte“ Interaktion ist, da die Hörer nun einmal naturgemäß nicht in den Dialog mit dem Sänger eintreten. In den ersten beiden Versen - „Ob ich rehte râten kunne, waz die minne sî, sô sprechet denne jâ.“[16] - zeigt sich neben der Ansprache der Hörerschaft auch eine Dopplung des Ichs. Einmal ist das Ich der Minnesänger, der das Publikum auffordert, ihm mit „ja“ zu antworten, falls er „râten“ („einen kompetenten Rat in Sachen Minne erteilen“[17] ) könne. Auf der anderen Seite könnte das Ich auch für den Dichter, also Walther, selbst stehen, der Zustimmung für sein Minnekonzept fordert. „Ironisch“[18] und „ambig“[19] nennt das Martin Wenske, „Polyvalenz des lyrischen Ichs“[20] Joachim Knape.
In jedem Fall wird die Minne nun noch genauer als in der ersten Strophe definiert. „tuot sie wol“[21] hieß es in der ersten Strophe, in der zweiten wird das präzisiert. Minne tut wohl und „ist (...) dâ“[22], wenn sie „zweier herzen wunne“[23] ist und „gelîche“[24] verteilt, das heißt, wenn sie gegenseitig ist.
[...]
[1] Cormeau, Christoph (Hrsg.): Walther von der Vogelweide. Leich, Lieder, Sangsprüche. 14., völlig neu bearbeitete Auflage der Ausgabe Karl Lachmanns. Berlin/New York 1996. S. 151.
[2] Vgl. Cormeau, Walther, S. 151 und Schweikle, Günther (Hrsg.): Walther von der Vogelweide. Werke, Band 2: Liedlyrik. Stuttgart 1998 (RUB 820). S. 731.
[3] Cormeau, Walther, S. 151f.
[4] Cormeau, Walther, S. 152.
[5] Ranawake, Silvia: Gab es eine Reinmar-Fehde? Zu der These von Walthers Wendung gegen die Konventionen der hohen Minne, in: Oxford German Studies 13 (1982), S. 14.
[6] vgl. Knape, Joachim: Zur Liedkohärenz von Walthers „Was ist minne?” (L. 69,1), in: Stephan Füssel, Gert Hübner, Joachim Knape (Hrsg.): Artibus. Festschrift für Dieter Wuttke zum 65. Geburtstag. Wiesbaden 1994, S. 33-46.
[7] vgl. Heinen, Hubert: Mutabilität im Minnesang. Göppingen 1989, Einleitung, S. v.
[8] Knape, Liedkohärenz, S. 37.
[9] Wenske, Martin: „Schwellentexte“ im Minnesang Walthers von der Vogelweide. Frankfurt/Main 1994, S. 56-60.
[10] Knape, Liedkohärenz, S. 39.
[11] L 69,1, 1. Strophe, 3. Vers, in: Cormeau, Walther, S. 151.
[12] Eikelmann, Manfred: Denkformen im Minnesang. Tübingen 1988, S. 291.
[13] vgl. Knape, Liedkohärenz, S. 40.
[14] Borck, Karl Heinz: Wen diu minne blendet, wie mac der gesehen? Zu Walthers Lied 69,1, in: Hartmut Beckers, Hans Schwarz (Hrsg.): Gedenkschrift für Jost Trier. Köln/Wien 1975, S. 315.
[15] vgl. Knape, Liedkohärenz, S. 40.
[16] L. 69,1, 2. Strophe, 1. und 2. Vers, in: Cormeau, Walther, S. 151.
[17] vgl. Knape, Liedkohärenz, S. 41.
[18] Wenske, Schwellentexte, S. 63.
[19] Wenske, Schwellentexte, S. 63.
[20] vgl. Knape, Liedkohärenz, S. 41.
[21] L. 69,1, 1. Strophe, 5. Vers, in: Cormeau, Walther, S. 151.
[22] L. 69,1, 2. Strophe, 4. Vers, in: Cormeau, Walther, S. 151.
[23] L. 69,1, 2. Strophe, 3. Vers, in: Cormeau, Walther, S. 151.
[24] L. 69,1, 2. Strophe, 4. Vers, in: Cormeau, Walther, S. 151.
- Arbeit zitieren
- Ines Hoepfel (Autor:in), 2003, Das Minnelied L 69,1 "Saget mir ieman, waz ist minne?" von Walther von der Vogelweide unter besonderer Berücksichtigung der Revocatio, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73701
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