Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern Stifters Novelle Bergkristall ein evolutionäres Gesellschaftskonzept illustriert.
Um diese Frage zu beantworten, bedarf es zunächst einer historischen Einordnung der Novelle.
Bergkristall wurde 1845, also drei Jahre vor der Märzrevolution 1848, unter dem Titel Der heilige Abend das erste Mal in der Zeitschrift Die Gegenwart veröffentlicht.
1853 schließlich erschien Bergkristall als eine unter sechs Novellen in der Erzählungssammlung Bunte Steine. Stifters eigentlicher Plan, diese Sammlung als Kinderschriften herauszugeben – „Kinder müssen auch lesen (selbst wenn Krieg und alles Mögliche ist)“, änderte sich nach der Revolution, als er 1850 verkündete, dass „der Inhalt der Erzählungen doch nicht für Jünglinge passt und ernst genug ist“.
Die Widmung „Ein Festgeschenk“ ist an die Jugend gerichtet, die er damit nachhaltig beeindrucken möchte.
Um einen Eindruck über die damaligen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zu bekommen, richtet sich der Blick vorab auf die Epoche des Biedermeier und die Situation in Österreich, Stifters Heimatland.
Danach wird versucht zu klären, welche Auswirkungen die Epoche auf die Literatur im Allgemeinen hatte und in welcher Beziehung Stifter als Schriftsteller zu der Epoche steht.
Anschließend geht es darum, die Novelle Bergkristall genauer zu untersuchen und mögliche, von Stifter symbolisch implizierte Bezüge zur realen Situation der damaligen Zeit zu ziehen.
Es muss geklärt werden, welches Konzept einer Gesellschaft und ihrer Welt- und Glaubensanschauungen Stifter in Bergkristall konstruiert, welcher Mittel er sich dazu bedient und was er damit bezwecken will. Die Naturwissenschaften, die Zivilisation, die Religion und ihr Zusammenwirken spielen in diesem Zusammenhang eine große Rolle; ob sie jedoch in einer Welt, die Stifters Auffassung nach in allen Bereichen – sei es Natur, Geschichte oder der Mensch – vom Wirken des „sanften Gesetzes“ durchdrungen ist, an der Herausbildung eines evolutionären Gesellschaftskonzeptes erfolgreich mitwirken können, muss näher untersucht werden.
Eine Schlussbetrachtung gibt einen grundsätzlichen Überblick über die gewonnenen Erkenntnisse.
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Die Epoche des Biedermeier
3. Die Situation in Österreich zwischen 1815 und 1848
4. Auswirkungen auf die Literatur
5. Stifter im Biedermeier
6. Stifters Bergkristall
6.1 Die Figuren in Bergkristall
6.2 Das Problem der Freiheit des Menschen
6.3 Die Natur
6.3.1 Der Berg
6.4 Religion und Weihnachtssymbolik
6.5 Das „sanfte Gesetz“
7. Schlussbetrachtung
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern Stifters Novelle Bergkristall ein evolutionäres Gesellschaftskonzept illustriert.
Um diese Frage zu beantworten, bedarf es zunächst einer historischen Einordnung der Novelle.
Bergkristall wurde 1845, also drei Jahre vor der Märzrevolution 1848, unter dem Titel Der heilige Abend das erste Mal in der Zeitschrift Die Gegenwart veröffentlicht.
1853 schließlich erschien Bergkristall als eine unter sechs Novellen in der Erzählungssammlung Bunte Steine. Stifters eigentlicher Plan, diese Sammlung als Kinderschriften herauszugeben - „Kinder müssen auch lesen (selbst wenn Krieg und alles Mögliche ist)“ (zit. nach Requadt 1968, S. 151), änderte sich nach der Revolution, als er 1850 verkündete, dass „der Inhalt der Erzählungen doch nicht für Jünglinge passt und ernst genug ist“ (ebd.).
Die Widmung „Ein Festgeschenk“ ist an die Jugend gerichtet, die er damit nachhaltig beeindrucken möchte.
Um einen Eindruck über die damaligen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zu bekommen, richtet sich der Blick vorab auf die Epoche des Biedermeier und die Situation in Österreich, Stifters Heimatland. Danach wird versucht zu klären, welche Auswirkungen die Epoche auf die Literatur im Allgemeinen hatte und in welcher Beziehung Stifter als Schriftsteller zu der Epoche steht.
Anschließend geht es darum, die Novelle Bergkristall genauer zu untersuchen und mögliche, von Stifter symbolisch implizierte Bezüge zur realen Situation der damaligen Zeit zu ziehen.
Es muss geklärt werden, welches Konzept einer Gesellschaft und ihrer Welt- und Glaubensanschauungen Stifter in Bergkristall konstruiert, welcher Mittel er sich dazu bedient und was er damit bezwecken will. Die Naturwissenschaften, die Zivilisation, die Religion und ihr Zusammenwirken spielen in diesem Zusammenhang eine große Rolle; ob sie jedoch in einer Welt, die Stifters Auffassung nach in allen Bereichen - sei es Natur, Geschichte oder der Mensch - vom Wirken des „sanften Gesetzes“ durchdrungen ist, an der Herausbildung eines evolutionären Gesellschaftskonzeptes erfolgreich mitwirken können, muss näher untersucht werden.
Eine Schlussbetrachtung gibt einen grundsätzlichen Überblick über die gewonnenen Erkenntnisse.
2. Die Epoche des Biedermeier
Der Begriff Biedermeier als Epochenbezeichnung entstand erst um 1900. Er basiert auf der vom Juristen und Schriftsteller Ludwig Eichrodt und dem Arzt Adolf Kussmaul erfundenen Figur Gottlieb Biedermaier. Unter diesem Synonym wurden in den Jahren ab 1855 in den Münchener Fliegenden Blättern diverse Gedichte veröffentlicht. Diese Gedichte waren oftmals Parodien auf die poetischen Gefühlsergüsse des realen Dorfschullehrers Samuel Friedrich Sauter. Seine Entstehung verdankt der Name zwei Gedichten mit den Titeln Biedermanns Abendgemütlichkeit und Bummelmaiers Klage, die Joseph Victor von Scheffel ebenfalls in den Münchener Fliegenden Blättern veröffentlicht hatte. Bis 1869 schrieb man „Biedermaier“, erst danach kam die Schreibweise mit „ei“ auf. Dem fiktiven Herrn Biedermeier, einem dichtenden schwäbischen Dorflehrer mit einfachem Gemüt, reichte laut Eichrodt „seine kleine Stube, sein enger Garten, sein unansehnlicher Flecken und das dürftige Los eines verachteten Dorfschulmeisters zu irdischer Glückseligkeit […]“ (Biedermeier 2007). Die Gedichte verhöhnten die Biederkeit, den Kleingeist und die unpolitische Haltung großer Teile des Bürgertums.
Nach 1900 kam dem Begriff Biedermeier eher eine wertneutrale Bedeutung „[…] als Synonym für die neue bürgerliche Kultur der Häuslichkeit und der Betonung des Privaten, als gesellschaftliche Ruhephase vor der Umwälzung“ (ebd.) zu. Er fand nun auch in Kunst, Literatur und Mode dieser Zeit seine Verwendung. Der Begriff Biedermeier ist für Böhmer kein karikaturistischer mehr; er verkörpert viel mehr den Wunsch nach „einer Welt absoluter Lauterkeit und einfacher, stiller Freuden“ (Böhmer 1968, S. 8).
Dabei dürfe man jedoch nicht vergessen, dass der Begriff Biedermeier nicht den geschichtlichen Entwicklungen der Zeit von 1815 bis 1848 Rechnung trage. Böhmer hält den Begriff deshalb für „irreführend“, da er nicht den gärenden Prozess der aufkommenden Industrialisierung repräsentiere (vgl. ebd., S. 9). Andererseits habe es das träge und ignorante Bürgertum des Vormärz aber auch nicht vermocht, die sich bietenden emanzipatorischen Möglichkeiten auszunutzen (vgl. ebd., S. 13).
Es zog sich stattdessen zurück ins Private und genoss die häusliche Geborgenheit.Nach Wilpert bezeichnet der Begriff „[…] die genügsame, unheroische und konservativ-unpolitisch bürgerliche Dichtung zwischen der patriotischen Bewegung der […] Befreiungskriege und dem Beginn des […] Realismus, neben der Romantik und dem politisch engagierten Jungen Deutschland.
3. Die Situation in Österreich zwischen 1815 und 1848
Das erste große Problem, dem sich Österreich nach dem Wiener Kongress stellen musste, war die Bestimmung des Verhältnisses von Gesamtösterreich und den einzelnen Ländern. Der Wiener Kongress von 1815 stellte den territorialen Umfang des ab 1804 bestehenden Kaisertums wieder her, sodass sich das Reich über weite Teile Italiens, das heutige Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Kroatien und große Flächen des heutigen Polens erstreckte (vgl. Kaisertum Österreich 2006).
In diesem Vielnationenstaat begannen die Völker, sich zu konstituieren und Forderungen zu stellen. Metternich sah seine zentralistischen Bestrebungen und den Wunsch nach einer stabilen absoluten Monarchie in Gefahr. Doch auch sein Vorhaben, zumindest die Verwaltungen zu dezentralisieren, besänftigte die aufgebrachten Völker nicht. So blieb es beim obrigkeitlichen und zentralistischen Beamtenstaat.
Nipperdey spricht sogar davon, dass das „ […] Nationalitätenproblem […] das Jahrhundertproblem der Monarchie [wurde], bis an ihren Untergang“ (Nipperdey 1993, S. 337).
Denn das Nationalitätenproblem ließ sich nicht mit der „Jahrhundertbewegung des Liberalismus“ vereinbaren: Volkssouveränität konnte keine Antwort auf dieses Problem sein, da in Österreich kein geeintes Volk existierte, das sie hätte tragen können (vgl. ebd., S. 337).
Um Ruhe und Ordnung herzustellen und zu erhalten, sollte jede politische Bewegung und die Möglichkeit dazu verhindert werden.
Die französische Februarrevolution 1848 schließlich, bei der der zusehends vom Liberalismus abgekommene Bürgerkönig Louis Philippe abgesetzt und die Zweite Republik ausgerufen wurde, erregte große Aufmerksamkeit in den deutschen Staaten.
Denn der reine Regierungswechsel genügte dem französischen Volk, das von wirtschaftlichen Unsicherheiten bedroht war und keine politische Macht hatte, nicht mehr.
Demonstranten organisierten Reform-Proteste, die vom Militär blutig niedergeschlagen wurden.
Das Volk reagierte: Einfache Arbeiter und wohlhabende Bürger errichteten gemeinsam in kurzer Zeit über 1500 Barrikaden, die den Willen nach Veränderung symbolisierten (vgl. Rehm 2002, S. 1).
Die Ausgangslagen in Frankreich und Deutschland glichen sich in vielerlei Hinsicht, obwohl die ökonomische Situation - vor allem aufgrund des 30jährigen Krieges - und die politischen Gegebenheiten in Deutschland viel komplizierter waren.
Auch in Deutschland waren die Bürger enttäuscht und verbittert: Weder Freiheitsrechte, die im bereits 1792 fertig gestellten Allgemeinen Preußischen Landrecht vorhanden waren, unter dem Eindruck der Wirren der Französischen Revolution jedoch großteils wieder verworfen wurden, noch die „landständischen Verfassungen“ waren in allen Ländern des Deutschen Bundes verwirklicht worden.
Hinzu kamen Krisen in der Agrarwirtschaft und virulente Entwicklungen in der Finanzwelt. Das Volk musste erkennen, dass trotz eingebüßter Freiheitsrechte das Überleben nicht gesichert war (vgl. ebd.).
4. Auswirkungen auf die Literatur
Auch die schöne Literatur war immer wieder von Zensur betroffen, obwohl zur damaligen Zeit politische Reflexion nur von einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung betrieben wurde.
Die große Masse war unpolitisch und lebte in patriarchalischer Sitte.
Dennoch waren die Werke großer österreichischer Literaten wie z.B. Stifter kein Produkt der Metternich’schen Politik, aber sie wurden dadurch begünstigt (vgl. Nipperdey 1993, S. 341).
Die Tendenzen der Zeit hatten in vielerlei Hinsicht Einfluss auf die Literatur: Zur Zeit der Restauration stehen sich mit der Klassik und der Romantik zwei große literarische Strömungen gegenüber. Während die Klassik die Spannungen zwischen Ich und Welt durch Harmonie und Ordnung auszugleichen sucht - „ […] alle Extreme, das Übermäßige und Unbegrenzte, das Weltfeindliche und Jenseitige, das Dunkle und Chaotische, das Widervernünftige und das Unbewußte, die schweifende Phantasie und das überwältigende Gefühl, die zerreißenden Kontraste und das Übermaß von Subjektivität werden gebändigt und aufgehoben […]“ (ebd., S. 570) - stellt die Romantik sich gegen die Harmonie und Ordnung der Klassik; verschrien sind biedere Moral und Durchschnittlichkeit.
Der Mensch ist hier nicht das Vernunftwesen; es geht darum, Gefühl und Leidenschaft zur Geltung zu bringen (vgl. ebd., S. 571).
Biedermeier schließlich beschreibt die nachklassische und nachromantische Literatur der Restauration und des Vormärz und erkennt ebenso wie Klassik und Romantik den Konflikt zwischen Ich und Welt, geht aber anders mit ihm um: Das Biedermeier stellt sich gegen den Individualismus und Ästhetizismus der Klassik und die Willkür und Übersteigerung der Subjektivität in der Romantik (vgl. ebd., S. 575f.). An der Klassik schätzten Autoren dieser Epoche jedoch den einfachen und klaren Stil.
Die Literatur des Biedermeier versucht, auf Herausforderungen wie Zerrissenheit, Destabilisierung und Modernisierung mit „[…] Gelassenheit und Beruhigung, […]Stille und Einfalt […] [und] Ordnung“ (ebd., S. 576) zu reagieren. Lässt sich eine Neigung zum Ideal erkennen, so verhindert die Schilderung der gegensätzlichen Wirklichkeit eine gänzliche Harmonisierung (vgl. Wilpert 2001, S. 88f.).
Man wendet sich gegen das Übersteigerte und Selbstbezogene „[…] hin zum Kleinen, Bescheidenen, Nahen, Konkreten, zum Detail, hin zur Empirie des Erfahrbaren […], der Natur […], hin zu den überindividuellen Mächten - zu Heimat und Familie, Volk und Arbeit, zum Sittengesetz, zur Geschichte, zur Religion, hin zur Ehrfurcht vor dem „Sein“ und seinen - göttlichen - Ordnungen […]“ (Nipperdey 1993, S. 89f).
5. Stifter im Biedermeier
Dieses ‚biedermeierliche’ Lebensgefühl lässt sich in der Vorrede zu Stifters „Bunten Steinen“ herauslesen. Stifter spricht hier vom „sanften Gesetz“, das die Menschheit erblicken und von dem sie sich leiten lassen solle. Diese Forderung steht im Gegensatz zum romantischen Trieb und Verlangen nach dem Unbekannten, denn Stifter postulierte Aprents Auffassung nach einen Lebensstil des Rückzugs.
Und so wollte er sich den von ihm bereits am 25. April 1834 aufgezeichneten Wunsch nach einer „„[…] Wohnung von zwei großen Zimmern […]““ (vgl. Aprent 1955, S. 65) endlich in Linz verwirklichen. Doch die revolutionären Umbrüche in ganz Europa trieben ihn in Hoffnungslosigkeit und Unmut gegenüber den mit Gewalt erfüllten jungdeutschen Revolutionären. Die ersten vorsichtigen Bewegungen des Bürgertums befürwortete er durchaus, aber er „ […] war nicht der Mann der Gewalt, sondern der ruhigen Einsicht, und als Parteien und Massen mit der Kraft elementarer Mächte zu wirken anfingen, stand er mit seiner Vernunft allein und verlassen dar“ (ebd., S. 57).
Erschwerend kam hinzu, dass der Großbürger Greipl ihn, Stifter, einen Mann aus bäuerlichen Verhältnissen, nicht als Schwiegersohn akzeptierte. Auch deshalb war er nach Abschluss der „juridischen Studien“ nicht wie die meisten seiner Kollegen in ein Amt getreten und sesshaft geworden. Diese Situation, nicht in die gesellschaftliche Ordnung eingereiht zu sein, erschien ihm zunächst wie eine Katastrophe. Seine Unbeständigkeit und seine Leidenschaft für Amalie Mohaupt ängstigten ihn (vgl. Sengle 1980, S. 960). Diese Entwicklungen erklärte sich Stifter dadurch, dass in der Natur und im Menschen etwas zu walten schien, was man nicht bezwingen konnte. Trotzdem verließ Stifter nicht den sittlichen Weg und kam seiner moralischen Verpflichtung nach, Mohaupt zu ehelichen (vgl. ebd., S. 960f.).
Er stellte sich auch als Schriftsteller in den Dienst seiner Zeit und gab 1844 ein publizistisches Werk heraus, indem er sich der Entdeckung seiner nächsten Umwelt, Wien, widmete. Seine vielseitigen Talente, vor allem als Privatlehrer junger Adelskinder in Physik und Mathematik, ließen ihn Anschluss finden an höchste Adelskreise. Diese hohe gesellschaftliche Stellung dankte er dem Adel und zugleich auch dem Staat, indem er das Volk eindringlich belehrte, dass ihm (dem Volk) Freiheit nur in dem Maße zu gewähren sei, wie es seinem sittlichen Verhalten entspreche. Hier lässt sich schon eine gewisse „biedermeierliche“ Haltung erkennen, die dem Liberalismus und seinem Zeitgeist Grenzen setzen wollte (vgl. ebd., S. 962).
Stifters Hoffnung lag darin, dass es dem Volk auf sittliche Weise gelänge, seiner Revolution zum Erfolg zu verhelfen, um so eine demokratischere Ordnung in das Staatsgefüge zu bringen. Nach dem Oktoberaufstand jedoch hatte das Volk seiner Meinung nach seine Unmündigkeit bewiesen.
In der Hoffnung, wenigstens die Jugend auf den richtigen Weg bringen zu können, wendet er sich z.B. mit Bunte Steine direkt an sie (die Jugendlichen) (vgl. Requadt 1968, S. 144).
Diese Novellen mit erzieherischer Funktion bleiben jedoch nicht der einzige Versuch, „ [ …] Volk und Jugend zu heben und zu bilden“. Weiterhin wollte Stifter durch Aufsätze politische Kenntnisse verbessern: „In unserer Zeit, wo selbst die untersten Stände in die Lage kommen können, auf den Staat einzuwirken, z.B. durch Wahlen und Dergleichen, und wo, wie klein auch die Einwirkung des Einzelnen sei, diese doch durch die Menge unabsehlich wichtig wird, ist es eine unausweichliche Nothwendigkeit, dass Jeder jene Kenntnis von Staatsdingen habe, die ihn zum wirkenden oder auch nur zum einsichtsvollen Bürger des Staates mache“ (zit. nach Requadt 1968, S. 144).
Während der Revolutionsjahre hatte Stifter aber wegen seiner Ernennung zum Schulrat wenig Zeit für seine dichterische Tätigkeit. Bunte Steine kann man zusammen mit den Studien „[…] als die Zusammenfassung seiner vormärzlichen Arbeit […]“ bezeichnen (Sengle 1980, S. 977f.).
„Was für die Deutlichkeit und Einprägsamkeit wesentlich ist, wird erweitert, was unwesentlich ist oder den gleichmäßig abgedämpften Ton der Erzählung stört, wird gestrichen“ (Sengle 1980, S. 978).
Für Stifter waren die Weltgeschichte und Teile von ihr, in Dichtung überführt am wirkungsvollsten und „[…] schönsten, wenn sie in Einfalt hervorgehoben und aus dem Munde des mitlebenden Volkes erzählt werden“ (vgl. ebd., S. 80). Zugunsten des klassizistischen Ideals der Einfachheit und Klarheit kürzte Stifter viele Elemente in rhetorisch ausschweifendem Stil - vor allem Metaphern - weg. Die Revolutionsjahre hatten in ihm das Bedürfnis geweckt, zu einem bereinigten Abschluss seiner Arbeit zu kommen, um neu anfangen zu können.
In der Forschung ist noch heute umstritten, ob man Stifter gänzlich in die
Kulturepoche Biedermeier einordnen kann. Wilpert ist der Auffassung, dass die literarische Größe Stifters weit über diese Epoche hinausreicht (vgl. Wilpert 2001, S. 88). Die Aufnahme realistischer Elemente in seine Dichtung ist nicht von der Hand zu weisen. Des Weiteren ist in Autobiographien über Stifter zwar eine Neigung zum Leben in zurückgezogener Häuslichkeit zu erkennen, in seiner Dichtung liest man jedoch immer wieder heraus, dass er nicht so konservativunpolitisch war, wie es ihm oft nachgesagt wurde.
6. Stifters Bergkristall
Die Novelle Bergkristall, die Stifter als Kindergeschichte konzipierte, gilt unter den Forschern auch häufig als Weihnachtserzählung oder moderne Dorfgeschichte. Zu Beginn regt Stifter den Leser an, sich mit der Tradition des Weihnachtsfestes und seinen Bräuchen auseinanderzusetzen. Im weiteren Verlauf der Geschichte scheint das Motiv der Weihnacht zunächst keine Rolle mehr zu spielen, da der Leser aufgeklärt wird über die Topographie der beiden Dörfer Gschaid und Millsdorf und des sie trennenden Gebirges und die herrschenden Unterschiede der beiden Orte.
Während die Bewohner von Gschaid größtenteils immer noch von der Landwirtschaft und dem Handwerk leben, findet man im wohlhabenden Millsdorf schon städtisches Gewerbe und einen stattlichen Marktflecken. Kommunikation zwischen den Dörfern findet kaum statt, der Weg über den Hals des Berges, der die beiden Dörfer verbindet und auf dessen höchstem Punkt eine Unglückssäule zum Gedenken an einen verunglückten Bäcker steht, wird selten passiert.
Der Unglückssäule gegenüber verläuft der Weg auf den Gars, den hohen Gletscherberg, den die Bewohner täglich sehen und der ihnen großen Nutzen bringt. Z.B. liefert die Schneeschmelze Wasser für die Viehtränke, die Felder und den menschlichen Bedarf und die Wälder des Berges stellen genügend Holz für die Handwerke und die Beheizung der Häuser zur Verfügung (vgl. Stifter 1994, S. 178).
Der Berg liefert auch den Stoff für unzählige Geschichten der Dorfbewohner.
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- Quote paper
- Johanna Jansen (Author), 2006, Adalbert Stifters "Bergkristall": Illustration eines evolutionären Gesellschaftskonzeptes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73683
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