Demographische Katastrophen im Ausmaße der Pest des 14. Jahrhunderts stellen aus wissenschaftlicher Perspektive betrachtet ein historisches „Experiment“ dar. Die gewaltsame Vernichtung eines Großteils der Menschen in relativ kurzer Zeit, durch eine von außen auf die menschliche Gesellschaft einwirkende Katastrophe, erschüttert nicht nur die sozialökonomischen und politischen Strukturen, sondern hinterlässt eine weitgehend veränderte Situation. Wie sehen diese Veränderungen aus? Wie passt sich die Gesellschaft den wirtschaftlichen und sozialen Hinterlassenschaften der Katastrophe an? Lassen sich markante und ideologische Veränderungen registrieren?
Im Gegensatz zu der eher spärlich ausfallenden Pestliteratur zur „Justinianischen Pest“, stellt das Angebot zur Pest im 14. Jahrhundert ein kaum überschaubares Angebot bereit.
Aus der wirtschaftlichen- und gesellschaftlichen Perspektive ist die Pest des 14. Jahrhundert insofern interessant, als sie Europa nach der technischen Fortschrittsperiode des Mittelalters heimsuchte. Sie traf somit eine Gesellschaft, die über weit größere technische und wirtschaftliche Potentiale verfügte als die frühmittelalterliche Gesellschaft. Im folgende Text wird die gesellschaftliche Veränderung in der Hauptsache für Italien, nach dem Pesteinzug im 14. Jahrhundert näher durchleuchtet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Europa in den Jahren 1348/49
3. Die Pest, der Schwarze Tod: Ein kleiner medizinischer Exkurs
3.1. Die Infektionskette
3.2. Pestarten
4. Die Pest im 14. Jahrhundert und die Veränderung der sozialen Ordnung
4.1. Die Pest erreicht Italien
4.1.1. Die Pest veränderte Venedig
4.1.2. Florenz
4.2. Psychopathologie des Schwarzen Todes- Die Pest als Gottesstrafe?
5. Gesellschaftliche, soziale und ökonomische Verwüstung in ganz Europa
5.1. Die Geißlerzüge und Judenpogrome- Eine Verwüstung der europäischen Gesellschaft
5.2. Sozial-ökonomische Effekte der Pest
5.2.1. Die Umschichtung der Vermögensschichten und der Elitenwandel
5.2.2. Die Ursachen der Agrarkrise
5.2.3. Strukturelle Fehlanpassungen
5.3. Die Krise wirkte fort
6. Nachwort
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Demographische Katastrophen im Ausmaß der Pest des 14. Jahrhunderts stellen aus wissenschaftlicher Perspektive betrachtet ein historisches „Experiment“ dar. Die gewaltsame Vernichtung eines großen Teils der Menschen in relativ kurzer Zeit, durch eine von außen auf die menschliche Gesellschaft einwirkende Katastrophe, erschüttert nicht nur die sozialökonomischen und politischen Strukturen, sondern hinterlässt eine weitgehend veränderte Situation. Wie sehen die Reaktionen aus? Wie passt sich die Gesellschaft den wirtschaftlichen und sozialen Hinterlassenschaften der Katastrophe an? Lassen sich markante und ideologische Veränderungen registrieren? Im Gegensatz zu der eher spärlich ausfallenden Pestliteratur zur justinianischen Pest, stellt das Angebot zur Pest im 14. Jahrhundert ein kaum überschaubares Angebot bereit.
Aus der wirtschaftlichen- und gesellschaftlichen Perspektive ist die Pest des 14. Jahrhunderts insofern interessant, als sie Europa nach der technischen Fortschrittsperiode des Mittelalters heimsuchte und somit eine Gesellschaft traf, die über weit größere technisch- wirtschaftliche Potentiale verfügte als die frühmittelalterliche justinianische Gesellschaft.
In der folgenden Arbeit sollen diese und weitere Aspekte näher durchleuchtet werden.
2. Europa in den Jahren 1348/49
In der Mitte des 14. Jahrhunderts befand sich Europa nicht nur in einer politischen, sondern auch geistigen Krise. Neben den mittelalterlichen Weltanschauungen, die besonders in Italien und Frankreich in Frage gestellt wurden, befand man auch das Feudalrecht als reformbedürftig. Italienische Humanisten waren auf dem Vormarsch und beraubten durch Spott und Ironie der mittelalterlichen Geisteswelt ihre spirituellen Grundlagen, um es durch ihr humanistisches Weltbild zu ersetzen. Neben gesellschaftlichen Veränderungen kam es zu Innovationen im technischen und militärischen Bereich. Die Entwicklung der Pulverwaffen setzte eine Rüstungsspirale in Gang, die den mittelalterlichen Ritteridealen ein Ende setzte. Die Konstruktion der mechanischen Uhr und Klimaveränderungen führten der mittelalterlichen Gesellschaft die Vergänglichkeit alles Irdischen vor Augen. Mit dem Einzug der Pest erlitt Europa den größten demographischen Einbruch, den es bis dato gegeben hatte.[1]
3. Die Pest, der Schwarze Tod: Ein kleiner medizinischer Exkurs
Der so genannte Schwarze Tod zur Mitte des 14. Jahrhunderts bildete den Auftakt zu einer langen Reihe verheerender Pestepedemien. Er verursachte ein Massensterben, dass die spätmittelalterliche Gesellschaftsordnung gravierend veränderte. Der Begriff des Schwarzen Todes wird in der heutigen historischen Forschung zur Bezeichnung der größten Seuchenkatastrophe in der mittelalterlichen Lebenswelt genutzt. Erstmals taucht er im 16. Jahrhundert auf und manifestierte sich seit dem 17. Jahrhundert in der Literatur zu diesem Thema. Schwarz gilt als etwas Furchtbares, etwas Schreckliches. Zugleich lässt sich ein direkter Bezug zu dem Erscheinungsbild der Krankheit herstellen, denn die Pest führte zu blau- schwarzen Blutungen unter der Haut.
Justus Friederich Karl Hecker, ein deutscher Arzt, verfasste unter den Eindrücken der Cholera eine Abhandlung mit dem Namen „Der schwarze Tod im vierzehnten Jahrhundert.“ Durch Hecker verbreitete sich der Begriff in der Forschung.[2]
Die Ursachen und Infektionswege der Pest sind erst seit dem letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts bekannt. Zuerst entdeckte der französische Tropenmediziner Alexandre John Emile Yersin und später der japanische Arzt Shibasaburo Kitasato das Pestbakterium. (Daher der Name Yersinia pestis). Vier Jahre später, 1898, erkannte P.S. Simond auch den Übertragungsverlauf der Pest von der Ratte auf den Menschen durch einen Flohbiss.[3]
3.1. Die Infektionskette
Die meisten historischen Pestwellen, die über die Menschheit kamen, verliefen von der Ratte über den Rattenfloh zum Menschen. In der historischen Pestliteratur lässt sich keine Ausführungen darüber finden, dass den Menschen im 14. Jahrhundert der Zusammenhang zwischen Ratten, Flöhen und der Pest bekannt war.
Die ursprüngliche Annahme, dass die Übertragung der Pest nur durch Rattenflöhe in Frage kommt muss revidiert werden, denn auch Menschenflöhe können Pestbazillen aufnehmen ohne daran zu erkranken. Die Bazillen vermehren sich im Magen des Flohs außerordentlich schnell und stark, daher wird der Magen des Flohs verstopft und er muss vor dem Stich zuerst den Mageninhalt erbrechen, bevor er Blut saugen kann. Der Floh bringt auf diese Weise die Bazillen direkt in die Blutbahn seines Wirtes.[4] Ein wichtiger Faktor für die Pestausbreitung ist die Umgebungstemperatur, denn Flöhe verfallen unterhalb von 10 Grad Celsius in eine Starre. Daher ist eine Übertragung der Pest in den kälteren Jahreszeiten nur langsamer oder gar nicht möglich. Beim Tod des Wirts suchen sich die Flöhe ein neues Opfer, dies erklärt, warum die Ausbreitung der Pest in Abständen zu einander liegenden Erkrankungswellen liegt.[5]
Die historischen Pesten traten in der Regel pandemisch und endemisch auf. Unter einer Pandemie ist eine Ausbreitung der Seuchen über mehrere Länder, sogar Kontinente zu verstehenn. Bei der Endemie hat das Wiederkehren der Erkrankung einen periodischen Charakter. Eine Erklärung für die Endemie ist die, dass in der Regel nicht alle infizierten Tiere sterben und so ein gewisses Bazillenreservoir hinterlassen.
MOLLARET gruppiert die historischen Pestwellen seit Beginn des Mittelalters in drei Pandemien. Die erste Pandemie war die Pest Justinians vom 6. bis 8. Jahrhundert, die zweite begann mit dem „Schwarzen Tod“ und endete mit dem letzten großen europäischen Pestausbruch 1720/21 in Marseille und der Provence. Bei der dritten Pandemie handelt es sich um eine Pestwelle, die Hongkong 1894 erreichte und ab dort über die Schiffswege weiter getragen wurde. So blieb die Pest in Indien bis fast zur Mitte unseres Jahrhunderts endemisch und forderte 1948 noch etwa zwölf Millionen Tote.[6]
3.2. Pestarten
Moderne klinische Beobachtungen der Pest unterscheiden drei Formen:
(1) Beulenpest,
(2) (2) Pestsepsis und
(3) (3) Lungenpest.
Die verbreitetste Form ist die Beulenpest. Nach chinesischen und indischen Daten zu urteilen, entfallen drei Viertel und mehr aller Fälle auf die Beulenpest.
Durch den Flohbiss in den menschlichen Wirt durchlaufen die Pestbazillen eine Inkubationszeit von zwei bis acht Tagen. Dann tritt hohes Fieber auf (bis über 40 Grad), begleitet von Krämpfen, Erbrechen, Schwindelgefühlen, Lichtunverträglichkeit und quälenden Gliederschmerzen. Am zweiten oder dritten Tag nach Ausbruch des Fiebers treten eigroße Schwellungen in den Lymphknoten auf, die in der Nähe der Bissstelle liegen. In den meisten Fällen am Hals, in der Achsel- und in der Leistengegend. Es kann in schweren Fällen auch zu einer Bildung von roten und bläulichen Punkten auf der Haut kommen. Nach acht bis zehn Tagen kann eine Genesung eintreten, wenn der Patient nicht bereits vor Erschöpfung verstorben ist.
Die beiden anderen Formen der Pest, die Pestsepsis und die Lungenpest verlaufen in der Regel immer tödlich. Bei der Pestsepsis dringen Bazillen in so massiver Zahl in die Blutbahn ein, dass der Patient an einer Vergiftung stirbt (zwischen 24 und 36 Stunden). Die Lungenpest ist eine Form der Lungenentzündung. Der Patient leidet an rascher Atmung und an wässrigem und blutigem Auswurf und entwickelt ein Lungenödem. Übertragen wird die Lungenpest wie Schnupfen, durch eine Tröpfcheninfektion.[7]
Die im Mittelalter bekannten Bekämpfungsmöglichkeiten waren das Öffnen der Pestbeulen mittels Zugpflaster oder Schnitt. Traditionelle Heilversuche waren auch der Aderlass, ansonsten empfahlen die Ärzte altbewährte Mittel wie den Theriak[8], zwei Wochen lang, dann Pillen aus Aloe, Myrrhe und Safran.
Eigene Hospitäler oder andere Einrichtungen, wo man die Kranken isolieren konnte, gab es nicht.[9]
4. Die Pest im 14. Jahrhundert und die Veränderung der sozialen Ordnung
Der Ursprung der Pandemie, der zwischen 1347 und 1350 wahrscheinlich ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer fiel, lag wahrscheinlich im asiatischen Raum, ob sie jedoch aus dem nordasiatischen- chinesischen oder aus dem mesopotamischen Raum kam, ist umstritten. Es heißt, italienische Seefahrer nahmen auf der Krim den Erreger auf und brachten ihn so in ihre Heimat. Jedoch ist unbestreitbar, dass 1347 im östlichen Mittelmeerraum eine verheerende Seuche aufzutreten begann. Aus Alexandria (Ägypten) wurde von Blutspucken und vielen Toten berichtet.
Besonders hart traf es das Byzantinische Reich, das sich durch jahrelange Bürgerkriege ohnehin schon an Bevölkerungsdichte verringert hatte, vom Einzug der Pest erholte es sich nicht mehr.[10]
Im Folgenden soll auf die italienischen Städte Venedig und Florenz Bezug genommen und die Veränderung der sozialen Ordnung beschrieben werden.
4.1. Die Pest erreicht Italien
1347 hatte die Pest bereits Konstantinopel sowie fast alle Hafenstädte des östlichen Mittelmeeres erreicht. Jede neu angesteuerte Hafenstadt trug zur unweigerlichen Ausbreitung der Pest bei. Man könnte sagen, Italien wurde in dramatischer Weise von der Pest überrollt. Die Pest erreichte Italien zuerst im Süden, das kann durch zeitgenössische Quellen rekonstruiert werden. Die erste betroffene Stadt war Sizilien. Der Franziskaner Mönch Michele de Piazza berichtete in seiner Historia Siculorum von den Ereignissen wie folgt: „Es geschah nun, dass im Jahre der Menschenwerdung des Herrn 1347, ungefähr Anfang Oktober, zwölf genuesische Galeeren vor der göttlichen Rache flohen, die der Herr über sie kommen ließ und den Hafen von Messina erreichten. Sie trugen bereits eine so schlimme Form der Pest mit sich, dass, wer auch immer mit einem Mitglied der Besatzung sprach, vom tödlichen Leiden dahingerafft wurde und dem Tod auf keine Weise mehr entgehen konnte…“.[11]
Die Ausführungen von Piazza fanden sich in ähnlicher Form bei Beschreibungen von De Mussis und Kantakuzenos, Prokop und anderen Augenzeugen der justinianischen Pest[12] wider. Die Schilderung des Krankheitsverlaufes aber auch die Verzweiflung der Betroffenen entsprachen sich. Die Menschen hatten nur noch Angst und Misstrauen gegeneinander. Der Schwarze Tod veränderte in gravierender Weise das Sozialgefüge in den Städten. Dort waren nicht nur der Handel und Lebensmittelversorgung bedroht, sondern auch Freundschaften und familiäre Bindungen, Nächstenliebe und Rücksicht.
[...]
[1] Vgl. dazu: Bergdolt, K.: Der Schwarze Tod in Europa. Die Große Pest und das Ende des Mittelalters. Beck, München 1994, S. 31ff.
[2] Vgl. dazu: Jankrift, K.P.: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter. WBG, Darmstadt 2003, S. 85.
[3] Vgl. dazu: Zinn, K.G.: Kanonen und Pest. Über die Ursprünge der Neuzeit im 14. und 15. Jahrhundert, WD-V, Opladen 1989, S. 159.
[4] Vgl. dazu: Zinn, K.G.: Kanonen und Pest. Über die Ursprünge der Neuzeit im 14. und 15. Jahrhundert, WD-V, Opladen 1989, S. 162 und 164.
[5] Vgl. dazu: Ebenda, S. 164.
[6] Vgl. dazu: Zinn, K.G.: Kanonen und Pest. Über die Ursprünge der Neuzeit im 14. und 15. Jahrhundert, WD-V, Opladen 1989, S. 165.
[7] Vgl. dazu: Herlighy, D.: Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas. Wagenbach-Verlag, Berlin 1998, S. 13f.
[8] Theriak ist ein aus zahlreichen pflanzlichen, tierischen und mineralischen Bestandteilen zusammengesetztes Arzneimittel. Der Theriak bestand aus 66 Bestandteilen u.a. Vipernfleisch. Aus: Jankrift, K.P.: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter. WBG, Darmstadt 2003, S.83.
[9] Vgl. dazu: Vasolt, M.: Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom Mittelalter bis heute, Bechtmünz-Verlag, Augsburg 1999, S.43.
[10] Vgl. dazu: Ebenda, S.39f.
[11] Bergdolt, K.: Der Schwarze Tod in Europa. Die Große Pest und das Ende des Mittelalters. Beck, München 1994, S. 42.
[12] Justinianische Pest: Die erste massivste Seuchenkatastrophe, die über die frühmittelalterliche Gesellschaft hereinbrach. Im Jahre 541, zur Herrschaft des byzantinischen Kaisers Justinian, brach in Ägypten die Pest aus. Vgl. dazu: Jankrift, K.P.: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter. WBG, Darmstadt 2003, S.83.
- Citar trabajo
- Dipl.-Soz.-Wiss. Nicole König (Autor), 2007, Veränderung der sozialen Ordnung zur Zeit der Pest im 14. Jahrhundert, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73617
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