Die beiden großen Kriege des 20. Jahrhunderts stürzten die Welt in eine Krisen- und Umbruchphase. Der Mensch sah sich inmitten eines Trümmerhaufens, sowohl materiell als auch geistig, sämtliche Regeln, Konventionen und Wertvorstellungen waren, vor allem nach dem 2. Weltkrieg, instabil geworden. In den Nachkriegszeiten sah sich das menschliche Individuum Elend, Inflationen und weltpolitischen Umschichtungen konfrontiert, die bestehende Ordnung wurde gestürzt und stellte den Menschen vor ein Nichts und somit vor die Gefahr des Existenzverlustes.
Mit dem Voranschreiten der Zeit hielt auch der Fortschritt der Industriegesellschaft an, die immer neuere technische Entwicklungen hervorbrachten. Die Industrie- entwickelte sich zur Konsumgesellschaft. Unter diesen Einflüssen entwickelte der einzelne Mensch ein Gefühl der Entfremdung und Anonymität in einer solchen Massengesellschaft. Das Individuum ging unter, die Zeit machte aus Zwischenmenschlichkeit unpersönliche oder gar nicht existierende Beziehungen. Die Gefahr des Identitätsverlustes in einer solchen alltäglichen mechanischen Routine ist offensichtlich.
Dem Problem, wie und wodurch sich diese menschliche Identität und seine Existenz definieren, wie der individuelle Mensch überhaupt zu ihnen finden kann, stellen sich die Philosophen des Existentialismus. Sie betrachten den Menschen in seinen Beziehungen zur Umwelt und leiten daraus eine Grundidee ab, in der die menschliche Existenz mit dem Nichts gleichzusetzen ist. Solange er sich diesem Gedanken und dem damit verbundenen Leiden nicht stellt, wird er zur Wirklich- und Wahrhaftigkeit seines Lebens nicht vorstoßen.
Inhalt
1 Einleitung
2 Die Darstellung der menschlichen Existenz in En attendant Godot
2.1 Indizien des Schauplatzes
3 Figurencharakterisation
3.1 Estragon und Vladimir
3.2 Pozzo und Lucky
3.3 Zusammenfassung: Wie ist ihre Existenz charakterisiert?
3.4 Godots Bote: Der kleine Junge
3.5 Godot
3.6 Die Gegenstände der Figuren
3.7 Die Gegenüberstellung zweier unterschiedlicher Zeitsysteme
3.8 Die Entwertung der Sprache
4 Zusammenfassung
5 Quellenverzeichnis
1 Einleitung
Die beiden großen Kriege des 20. Jahrhunderts stürzten die Welt in eine Krisen- und Umbruchphase. Der Mensch sah sich inmitten eines Trümmerhaufens, sowohl materiell als auch geistig, sämtliche Regeln, Konventionen und Wertvorstellungen waren, vor allem nach dem 2. Weltkrieg, instabil geworden. In den Nachkriegszeiten sah sich das menschliche Individuum Elend, Inflationen und weltpolitischen Umschichtungen konfrontiert, die bestehende Ordnung wurde gestürzt und stellte den Menschen vor ein Nichts und somit vor die Gefahr des Existenzverlustes.[1]
Mit dem Voranschreiten der Zeit hielt auch der Fortschritt der Industriegesellschaft an, die immer neuere technische Entwicklungen hervorbrachten. Die Industrie- entwickelte sich zur Konsumgesellschaft. Unter diesen Einflüssen entwickelte der einzelne Mensch ein Gefühl der Entfremdung und Anonymität in einer solchen Massengesellschaft. Das Individuum ging unter, die Zeit machte aus Zwischenmenschlichkeit unpersönliche oder gar nicht existierende Beziehungen. Die Gefahr des Identitätsverlustes in einer solchen alltäglichen mechanischen Routine ist offensichtlich.[2]
Dem Problem, wie und wodurch sich diese menschliche Identität und seine Existenz definieren, wie der individuelle Mensch überhaupt zu ihnen finden kann, stellen sich die Philosophen des Existentialismus. Sie betrachten den Menschen in seinen Beziehungen zur Umwelt und leiten daraus eine Grundidee ab, in der die menschliche Existenz mit dem Nichts gleichzusetzen ist. Solange er sich diesem Gedanken und dem damit verbundenen Leiden nicht stellt, wird er zur Wirklich- und Wahrhaftigkeit seines Lebens nicht vorstoßen.
Beckett thematisiert dieses Problem in seinem Stück En attendant Godot. Wie genau er die existentialistischen Ideen zum Inhalt seines Werkes macht, soll die vorliegende Arbeit untersuchen.
Dabei soll der erste Abschnitt als Grundlage dienen, indem untersucht wird, wie Beckett die menschliche Existenz allgemein ohne Hinblick auf irgendeine Philosophie im Stück darstellt. Zur Analyse werden der Schauplatz, die sechs Figuren, ihre Gegenstände und die von ihnen verwendete Sprache, sowie die Darstellung der Zeit herangezogen, an Hand derer das Dasein der Menschen in diesem Theaterstück Ausdruck findet. Die Ergebnisse werden im zweiten Abschnitt dann mit den prinzipiellen Gedanken des Existentialismus verglichen, um Schlussfolgerungen zu ziehen, in wie weit Beckett diese Philosophie zum Ausdruck bringt.
Bei meiner Betrachtung werde ich mich auf das Theaterstück als Text beziehen, daher werde ich auch nur vom Leser und nicht vom Zuschauer sprechen. Weiterhin werde ich keine zusätzliche, gesonderte Definition des Existentialismus geben, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
2 Die Darstellung der menschlichen Existenz in En attendant Godot
2.1 Indizien des Schauplatzes
Route à la campagne, avec arbre.[3] Als Schauplatz wird dem Publikum eine leere, offene Landstraße inmitten einer wüstenähnlichen Landschaft präsentiert. Eine einzige im ersten Akt noch blattlose Trauerweise befindet sich an dieser Straße. Die Kahlheit der Szenerie leitet den Zuschauer bereits in eine Richtung, die später durch die Figuren und ihr Handeln noch verstärkt wird: Die Tristesse der Umgebung gibt bereits einen ersten Eindruck der Leere des Daseins der Figuren sowie ihres Weltverlustes (Neis: 48). Durch die Streichung von allem Überflüssigen und durch die Reduzierung auf das Essentielle, kann der Ort nicht näher bestimmt werden und könnte demnach überall sein. Die Figuren erfahren dadurch ein gewisses Verlorensein in der Welt durch das scheinbar endlose Nichts um sie herum, das ihnen keinerlei Schutz bietet (Drechsler: 119). Auf der anderen Seite erfährt ihr Handeln eine gewisse Gleichgültigkeit, da das Schauspiel nicht auf einen bestimmten Ort festgelegt ist. Diese Leere wird die spätere Langeweile Estragons und Vladimirs noch mehr verstärken, da ihnen diese Umgebung keine Beschäftigung bietet (Drechsler: 120).
Die Landstraße trägt zweierlei Bedeutung: Zum einen symbolisiert sie das Fortschreiten und Fortschritt, aber auch ziellose Rastlosigkeit, da wir nicht wissen, wohin diese Straße führt[4]. Estragon und Vladimir stehen in starkem Kontrast zu dieser symbolischen Aussage, da sie an der Straße verharren und ihre Möglichkeit, den Ort jederzeit verlassen zu können, nicht nutzen. Die Straße bietet die einzige Möglichkeit, der Leere ihres Daseins am Straßenrand zu entkommen, die sie jedoch nicht nutzen, sondern trotz aller Frustrationen und Leiden stagnieren[5].
Auf der anderen Seite sind sie in ihrer Stagnation der Straße vollkommen ausgeliefert, da sie Menschen und deren Abenteuer zu den beiden transportiert, wie es Pozzo und Lucky zeigen. Hier wird die Machtlosigkeit des Menschen in der Welt ausgedrückt, wobei dies Teil meiner Untersuchung in einem späteren Abschnitt dieser Arbeit sein soll.
Zum Schluss trägt auch der Baum eine Bedeutung. Während er im ersten Akt kahl bleibt, treibt er im zweiten Akt Blätter und beweist damit, dass er lebt. Entgegen einer Interpretation, dass dieser Vorgang eine Art Neuanfang, Hoffnung oder Einsicht darstellt und damit zum „Baum der Erkenntnis“ oder „Baum des Lebens“ wird, drückt sich darin eher die simple Tatsache des Vergehens der Zeit um Estragon und Vladimir herum aus[6]. Der Zuschauer glaubt, die beiden zwei Tage lang zu begleiten, der Jahreszeitenwechsel, zu erkennen am Baum, zeigt jedoch, dass sich die beiden Landstreicher weitaus länger in ihrer Situation befinden und drückt gleichzeitig die Monotonie ihrer Existenz aus, da sich ihre Handlungen nicht nur an zwei Tagen hintereinander, sondern ständig und seit einer Ewigkeit zu wiederholen scheinen.
Der Schauplatz ist das erste Element im Stück En attendant Godot, mit dem der Zuschauer konfrontiert wird. Er leitet ihn bereits zu den Thematiken der Leere, Tristesse, Sinn- und Hilflosigkeit des Menschen hin und wird das spätere Geschehen im Stück entscheidend unterstützen.
3 Figurencharakterisation
3.1 Estragon und Vladimir
Im ersten Abschnitt sollen die beiden Protagonisten Vladimir und Estragon betrachtet werden, zwei vermutlich um die 60 Jahre alten Männer in altmodischer Bekleidung (Melone, Anzug), die sozial nicht eingeordnet (Neis: 34), aber als Landstreicher erkannt werden können. Zunächst sollen beide Figuren kurz charakterisiert werden.
Estragon ist der primitivere und langsamere der beiden. Er vergisst viel, träumt gerne, ist faul und schläfrig und fällt auf durch seine Labilität. (Neis: 27) Estragon ist derjenige, der schneller resigniert (er will z.B. ständig den Ort verlassen) und zweifelt (z.B. an der Figur des Godot). Ein Problem mit seinen schlecht riechenden Füßen durchzieht das ganze Stück und der physische Verfall macht sich durch sein immer schlechter gehen Können bemerkbar.
Im Vergleich dazu ist Vladimir gewandter und ausdauernder. Er erinnert sich an Vergangenes, besticht durch Sachlichkeit, Ernsthaftigkeit und Nüchternheit, zeigt aber auch mehr Optimismus. (Neis: 27) Auf der einen Seite übernimmt er die Führungsrolle, auf der anderen Seite erscheint er ängstlich und sensibel, als er sich z.B. dagegen wehrt, Estragons Alpträume anzuhören (Beckett: 18). Auch Vladimir leidet unter körperlichen Mängeln, so kämpft er mit einem Prostataleiden und Mundgeruch (Neis: 27). Von dem von Godot entsandten Jungen lässt er sich mit M. Albert ansprechen, was ein erster Hinweis einer Identitätsschwäche sein könnte (Drechsler: 138).
Die beiden verharren scheinbar seit einer unbestimmbaren Ewigkeit am Rande der Landstraße und warten auf M. Godot. Um der Frustration des Wartens zu entgehen, schaffen sie sich Ersatzhandlungen, spielen und führen sinnlose Dialoge über selbst geschaffene Problemchen.
Der Tagesablauf eines Tages gleicht dem des nächsten, angefangen beim ersten gemeinsamen Treffen über das gemeinsame Warten auf Godot bis hin zur kurzweiligen Unterbrechung der Langeweile durch Pozzo und Lucky und der Verabredung für den nächsten Tag. Die Dinge wiederholen sich Tag für Tag und enden schließlich in absoluter Eintönigkeit.
VLADIMIR. – Nous reviendrons demain.
ESTRAGON. – Et puis après-demain.
[…]
ESTRAGON. – Et ainsi de suite. (Beckett: 17)
In einer solchen Eintönigkeit verliert die Zeit ihre Funktion, sodass auch Vladimir und Estragon kein Zeitgefühl mehr haben.
ESTRAGON. – Mais quel samedi? Et sommes-nou ssamedi? Ne serait-on pas plutôt dimanche? Ou lundi?
Ou vendredi? (Beckett: 17)
Stagnation ist die Folge: VLADIMIR. - Le temps s’est arrêté. (Beckett: 47)). Vladimir und Estragon sind bewegungslos geworden, ihre Lebensform hat sich auf eine reine Erwartungshaltung reduziert (Breuer: 122). Stagnation schließt ein Voranschreiten der Zeit aus, sodass die Figuren nicht enden können[7], selbst wenn sie es wollten. Gleichzeitig wirkt die Monotonie fast schon zerstörerisch auf die beiden, da mit dem Fortschreiten, die Hoffnung auf eine Erlösung durch Godot sinkt, die beiden immer fester in ihrer Situation stecken und Ausweg- und Hoffnungslosigkeit stetig steigen. Die Repliken Allons-nous-en. – On ne peut pas. – Pouquoi? – On attend Godot. erscheinen immer wieder als Leitsätze im Stück. Selber merken sie jedoch nicht, wie hoffnungslos ihre Situation ist, da Godot höchstwahrscheinlich nie kommen wird und sie verschreiben sich weiter dem Warten auf ihn. Hier klingt heraus, dass sie eigentlich nicht mehr selbst über ihr Leben entscheiden können, sondern dass sie sich selbst in die Hände eines anderen, einer „höheren Macht“ gegeben haben, der die beiden von sich abhängig gemacht hat. Die Aufgabe ihrer Individualität geht soweit, dass sie nicht einmal mehr das Entscheidungsrecht über den eigenen Tod haben (Andonian: 91), da ihnen jegliche Hilfsmittel fehlen und sie somit zum Warten und Nichtstun verurteilt sind[8].
Sie selber zeigen keinerlei Überzeugtheit über ihre Lebenswichtigkeit[9], sodass ihr Leben schließlich zu einer sinnlosen Existenz wird. Die Obdachlosigkeit der beiden drückt ihre Heimatlosigkeit aus, sie scheinen keine Wurzeln zu haben oder sich zu etwas zugehörig zu fühlen. Sie fliehen in banale Gespräche und sinnlose Aktivitäten, die die fehlende Bedeutung des menschlichen Lebens noch einmal unterstützen, und erhoffen sich dadurch Schutz vor dem vollkommenen Verlorensein, da sie ansonsten Zufällen und unverständlichen Gegebenheiten ausgeliefert sind und zum Spielball der Umstände werden (Drechsler: 136). Sie täuschen Alltagsnormalität vor, damit sie ihre schwierige Situation durchstehen, da sie auf unbestimmte Zeit bis zur Erlösung durch Godot überleben müssen (Drechsler: 113). Schutz erfahren sie dadurch jedoch nicht, denn dieses Verhalten ist nur eine Illusion und der Leser bemerkt den inneren Verfall der beiden (Drechsler: 90/91).
Was das Verhältnis der beiden untereinander betrifft, so erlebt der Leser ein Abhängigkeitsverhältnis. Wie die Charakteristika zeigen, sind beide sehr unterschiedlich, ergänzen sich jedoch in ihren unterschiedlichen Charakterzügen. Beiden repräsentieren Teilidentitäten, die nur der jeweils andere komplettieren kann, sei es im körperlichen Bereich oder im geistigen (Angst vor der Einsamkeit). Sie treten demnach nicht aus Freundschaft, sondern aus Eigennutz als Paar auf (Drechsler: 141), was auch die Stimmungsschwankungen zwischen den beiden beweisen, da sie einerseits gedankenlos aggressiv werden, andererseits große Zuneigung beim Versöhnen zeigen. Nimmt man an, die beiden stellen eine Person dar, die nur zum Zwecke des Stückes aufgespalten wurde, so ist das wechselhafte Verhalten der beiden gleichzusetzen mit inneren Kämpfen des Menschen und mit seiner Unsicherheit in seiner Existenz. Mit der Annahme, dass Vladimir den Geist vertritt und Estragon den Körper, könnte dies außerdem auch ein Hinweis auf die Tatsache sein, dass Verstand und Gefühl oft nicht konform gehen, denn schließlich widersprechen die Stimmungen der beiden oft genug ihrer verstandesmäßigen „Aufgabe“ des Wartens.
[...]
[1] Neis, Edgar: Königs Erläuterungen und Materialien. Samuel Beckett Warten auf Godot, Endspiel, Eugène Ionesco Die Nashörner. Hollfeld: Bange, 1974, S. 5.
[2] Drechsler, Ute: Die “absurde Farce” bei Beckett, Pinter und Ionesco. Tübingen: Narr, 1988, S. 89.
[3] Beckett, Samuel: En attendant Godot. Paris: Les Éditions De Minuit, 1952, S. 9.
[4] Breuer, Rolf: Die Kunst der Paradoxie. Kritische Information. München: Wilhelm Fink Verlag, 1976, S. 123.
[5] Andonian, Cathleen Culotta (Ed.): The Critical Response To Samuel Beckett. Westport: Greenwood Press, 1998, S. 122.
[6] Bair, Deirdre: Samuel Beckett. Eine Biographie. Reinbek: Rowohlt, 1994, S. 488.
[7] Gölter, Waltraud: Entfremdung als Konstituens bürgerlicher Literatur, dargestellt am Beispiel Samuel Becketts. Heidelberg: Winter, 1976, S. 125.
[8] Rathjen, Friedhelm: Beckett zur Einführung. Hamburg: Junius, 1995, S. 105.
[9] Winkens, Meinhard: Das Zeitproblem in Samuel Becketts Dramen. Frankfurt am Main: Lang, 1975, S. 145.
- Quote paper
- Ireen Trautmann (Author), 2006, Die Darstellung des Existenzialistischen in Samuel Becketts 'En attendant Godot', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73557
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