Eingerahmt durch Zitate von Ernst Jünger und seinem jüngeren Bruder Friedrich Georg Jünger untersucht die vorliegende Arbeit die Triebkraft und Definitionsmacht des Militärs für und über die Entstehung, Weiterentwicklung und Verwendung von Technik. Es wird geklärt, was die historische Teildisziplin der Technikgeschichte in ihren Ansätzen methodisch, theoretisch, analytisch leisten kann, um das als symbiotisch bezeichnete Verhältnis von Militär und Technik im Rahmen einer sich neu formierenden ‚modernen Militärgeschichte’ aufzudecken. Letztendlich mündet dies in der Frage nach den Möglichkeiten einer technikzentrierten Militärgeschichte, den Krieg, wenn nicht eliminieren zu können, so doch zumindest zu kanalisieren.
Ausgehend von dem Versuch einer Begriffsklärung: Was ist eigentlich Technik? soll dabei auf die Bestrebungen sowohl von Technik- als auch von Militärhistorikern eingegangen werden, ihrer Teildisziplin das Potential zuzusprechen, zu einer alle Zeiten und Kulturen umfassenden histoire totale zu werden. Diesem Ansinnen soll das Konzept der Interdisziplinwissenschaften entgegengestellt werden. Um zu einer Antwort auf die einleitende Fragestellung vorzustoßen, ist es unerlässlich, sich mit den beiden Konzepten der Techniksoziologie – Technikgenese (sozialevolutionärer, sozialkonstruktivistischer, technikgenetische Ansatz) und Technikfolgenabschätzung – und ihrer Rezeption in der modernen Militärgeschichte auseinanderzusetzen. In diesem Zusammenhang wird nicht nur das symbiotische Verhältnis von Militär und Technik hervortreten, sondern auch die Verflechtungen von militärischen Techniken mit der Wirtschaft, der Politik und dem Sozialgefüge einer Gesellschaft. Ebenso wird den Wechselwirkungen zwischen militärischer und ziviler Technik nachgegangen. Innerhalb der Technikfolgenabschätzung richtet sich der Blick auch auf die Veränderungen des Erscheinungsbildes von Kriegen, indem eine Verbindung zwischen der Kriegsführung des Partisanen und dem transnationalem Terrorismus hergestellt wird. Forcierung der technischen Entwicklung und auf ihr beruhende Rüstung haben maßgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen.
Bei allen phantastischen Seiten der Technik, aber vor allem aufgrund der von Waffen ausgehenden Faszination, sollte uns bewusst bleiben, dass in Kriegen mit ihrer Hilfe bewusst und kalkuliert getötet wird. Wie seine todbringenden künstlichen Artefakte wurde, ist und wird dieser Tod von Menschen gemacht – ist er ein rein menschliches Artefakt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung
2 Begriffe – Bestrebungen – Alternativen
2.1 Was ist Technik? – Versuch einer Klärung
2.2 Technik- und Militärgeschichte – das Streben nach einer histoire totale?
2.3 Interdisziplinwissenschaften als Schlüssel?
3 Ansätze einer technikzentrierten Forschung in der Militärgeschichte
3.1 Technikgenese
3.1.1 Sozialevolutionärer Ansatz
3.1.2 Sozialkonstruktivistischer Ansatz
3.1.3 Technikgenetischer Ansatz
3.2 Technikfolgenabschätzung
4 Schlussbetrachtung
5 Quellenverzeichnis
6 Literaturverzeichnis
1 Einführung
„Der Kampf der Maschinen ist so gewaltig, dass der Mensch fast ganz davor verschwindet.“[1], so umriss Ernst Jünger die Schlacht im Ersten Weltkrieg, den ersten Zivilisationsbruch des 20. Jahrhunderts in Europa. Es war das Duell gegeneinander gerichteter Tötungsmaschinen, vor deren vernichtenden Schlägen sich das Individuum förmlich auflöste. Entglitt dem Konstrukteur der technischen Welt die Kontrolle über seine Schöpfung?
Schon dieses zugespitzte Zitat verweist auf die Relevanz der technischen Mittel für jede kriegerische Handlung, für jedes Militär. Auf was es jedoch nicht aufmerksam macht, ist die Triebkraft und Definitionsmacht des Militärs für und über die Entstehung, Weiterentwicklung und Verwendung von Technik. Im folgenden ist also zu klären, was die historische Teildisziplin der Technikgeschichte in ihren Ansätzen methodisch, theoretisch, analytisch leisten kann, um das als symbiotisch bezeichnete Verhältnis von Militär und Technik im Rahmen einer sich neu formierenden ‚modernen Militärgeschichte’ aufzudecken.[2] Letztendlich mündet dies in der erkenntnisleitenden Frage nach den Möglichkeiten einer modernen, technikzentrierten Militärgeschichte, den Krieg, ihren zentralen Untersuchungsgegenstand, wenn nicht eliminieren zu können, so doch zumindest zu kanalisieren, zu begrenzen und einzuhegen.
Ausgehend von dem Versuch einer Begriffsklärung: Was ist eigentlich Technik? soll dabei auf die Bestrebungen sowohl von Technik- als auch von Militärhistorikern eingegangen werden, ihrer jeweiligen historischen Teildisziplin das Potential zuzusprechen, zu einer „alle Zeiten und Kulturen umfassenden histoire totale zu werden“[3]. Diesem Ansinnen soll das Konzept der Interdisziplinwissenschaften entgegengestellt werden. Um zu einer Antwort auf die einleitende Fragestellung vorzustoßen, ist es in meinen Augen unerlässlich, sich mit den beiden Konzepten der Techniksoziologie – Technikgenese und Technikfolgenabschätzung – und ihrer Rezeption in der modernen Militärgeschichte auseinanderzusetzen. In diesem Zusammenhang wird nicht nur das symbiotische Verhältnis von Militär und Technik deutlich hervortreten, sondern auch die Verflechtungen von militärischen Techniken mit der Wirtschaft, der Politik und dem Sozialgefüge einer Gesellschaft. Ebenso wird den angeblichen Wechselwirkungen zwischen militärischer und ziviler Technik nachgegangen. Innerhalb der Technikfolgenabschätzung wird diese Hausarbeit schließlich durch einen Blick auf die Veränderungen des Erscheinungsbildes von Kriegen abgerundet, indem sie eine Verbindung zwischen der Kriegsführung des Partisanen und dem transnationalem Terrorismus herstellt. Forcierung der technischen Entwicklung und auf ihr beruhende Rüstung haben maßgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen.
Bei allen phantastischen und wunderbaren Seiten der Technik, aber vor allem aufgrund der von Waffen ausgehenden Faszination, ihrem Fetischcharakter – Distanz, Kälte, Macht – sollte uns bewusst bleiben, dass in Kriegen mit ihrer Hilfe bewusst und kalkuliert getötet wird. Wie seine todbringenden künstlichen Artefakte wurde, ist und wird dieser Tod von Menschen gemacht – ist er ein rein „menschliches Artefakt“[4].
2 Begriffe – Bestrebungen – Alternativen
2.1 Was ist Technik? – Versuch einer Klärung
Das aus der Antike auf uns gekommene Wort τεχνη[5], auf das unser heutiger Begriff der Technik etymologisch zurückgeht, bezeichnete die Kunst oder das Können. Inhaltlich wurde damit der Aspekt des Handelns betont und die Fähigkeit des Menschen ausgedrückt, die Natur zu überlisten. Eine Fixierung auf den Gegenstand an sich ist ihm fremd gewesen. Im Mittelalter wandelte sich der Bedeutungsgehalt des Begriffes Technik zum Wissen um die Wunder der Natur – Technik als Magie, der Magister ihr Meister. Erst in der Neuzeit wurden Produkte technischer Handlungen[6] selbst als Technik bezeichnet. Nach Ausdifferenzierung der Technik-, Natur- und Sozialwissenschaften berücksichtigt unser heutiger Technikbegriff ausdrücklich die menschlichen Handlungszusammenhänge der Technik bei der Herstellung und Verwendung von Artefakten.[7] Nur jenes Handeln rückt dabei in das analytische Blickfeld, das mit künstlich gemachten Gegenständen agiert, sei es Gebrauch oder Produktion.[8] Laut Umfangsdefinition des Vereins der Deutschen Ingenieure (VDI), umfasst Technik dann: erstens „die Menge der nutzenorientierten, künstlichen, gegenständlichen Gebilde (Artefakte oder Sachsysteme); [zweitens, M. R.] die Menge menschlicher Handlungen und Einrichtungen, in denen Sachsysteme entstehen; [drittens., M. R.] „die Menge menschlicher Handlungen, in denen Sachsysteme verwendet werden.“[9]. Sie gibt die Bereiche an, die berührt werden, wenn heute von Technik gesprochen wird.
2.2 Technik- und Militärgeschichte – das Streben nach einer histoire totale?
Untersuchungsgegenstand der Technikgeschichte ist demzufolge die Beschreibung der historischen Entwicklung von Technik in ihren soziokulturellen Entstehungs- und Verwendungszusammenhängen, einschließlich der Technikgenese und Technikfolgen. Der Mensch tritt in ihr als technisch Handelnder wie auch als Objekt technischer Handlungen auf. Technikgeschichte diskutiert also die Formen und Bedingungen der Veränderbarkeit von Technik und letztlich die Veränderung der Gesellschaft selbst. Damit offenbart sie uns die technische Dimension unseres Lebens, die uns längst zu einer „zweiten Natur“[10] geworden ist – ihre Veränderungspotentiale und Wertschöpfungen, ihre Chancen und Gefahren sowie die Kontingenz in der Genese von Technik. Für den Historiker ist eine gründliche Kenntnis der technischen Sachsysteme selbst als auch der gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Entstehung und Wirkungsweise solcher Systeme notwendig. Nur so kann der technische Wandel und sein Einwirken auf die Gesellschaft umfassend interpretiert werden.[11]
Im Brennpunkt der Militärgeschichte steht das Phänomen Krieg, zentrales Element ihrer Untersuchung ist die Geschichte der Umsetzung und Vorbereitung „organisierter Tötungsgewalt“[12] in all seinen Aspekten. Sie umfasst also die Interaktion zwischen Politik, Militär, Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und nicht zuletzt Technik(!). Hier hat die Anforderung zu gelten, dass der Krieg in der abstrahierenden Betrachtung nicht zu einer steril reinen und präzis sauberen Operation reduziert wird. Thematisiert werden müssen vielmehr die Vernichtung und Verletzung des menschlichen Lebens und der gesellschaftlichen Strukturen[13] mit dem Ziel, den Krieg als Mittel des Konfliktaustrages einzuhegen, zu kanalisieren und vielleicht zu eliminieren. Unentbehrlich sind hierfür die Kenntnis des Krieges in seiner historischen Breite, der Tiefe seiner auf uns gekommenen Quellen und der Kontexte seiner komplexen Bedingungen, seien sie politischer, gesellschaftlicher oder kultureller Dimension.[14]
Werden Selbstverständnis, Inhalte und Aufgaben von Technik- und Militärgeschichte betrachtet, kann ihnen eine inhärente Tendenz zur Ausformulierung der eigenen Disziplin zu einer Totalgeschichte nicht abgesprochen werden.[15] Wie sind entsprechende Verlautbarungen einzuschätzen? Bereits im 19. Jahrhundert deutete Clausewitz den Krieg als einen „nie […] isolierte[n] Akt“[16], er müsse „wie ein organisches Ganzes betrachtet werden [...], von dem sich die einzelnen Glieder nicht absondern lassen, [...]“[17]. Für die Technikgeschichte offerierte 1877 der als Begründer der Technikphilosophie geltende Erwin Kapp das Motto, dass „[d]ie ganze Menschheitsgeschichte genau geprüft, [...] sich zuletzt in der Geschichte der Erfindung besserer Werkzeuge auf[löst, M. R.].“[18]. Trotz ihrer Konkurrenz um den Anspruch einer Totalgeschichte treffen sich die Fachhistoriker, in dem sie einen Bogen von der Kulturgeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu der von ihnen vorgeschlagenen Totalgeschichte aufspannen, in dem Rekurs auf den Kulturhistoriker Karl Lamprecht.[19] Dessen Versuch alle Teilaspekte des nationalen Lebens in historische Einheiten zu gliedern und Interdependenzen zwischen den Epochen deutscher Geschichte auszumachen, scheiterte an ideologischen und methodologischen Schwierigkeiten.[20]
[...]
[1] Jünger, Ernst: Der Kampf als inneres Erlebnis, in: Jünger, Ernst: Sämtliche Werke, Essays I. Betrachtungen zur Zeit, Bd. 7, Stuttgart 1980, S. 9-103 [102].
[2] Zur Konjunktur des Interesses an der Militärgeschichte in Fachwissenschaft und Öffentlichkeit vgl. Kühne, Thomas/Ziemann, Benjamin: Militärgeschichte in der Erweiterung. Konjunkturen, Interpretationen, Konzepte, in: Dies. (Hrsg.): Was ist Militärgeschichte?, Paderborn 2000, S. 9-46 [9f.].
[3] König, Wolfgang: Technikgeschichte, in: Ropohl, Günter (Hrsg.): Erträge der Interdisziplinären Technikforschung. Eine Bilanz nach 20 Jahren, Berlin 2001, S. 231-243 [238]. [Hervorhebung durch M. R.]. Ähnliche Bestrebungen in der Militärgeschichte bei: Chickering, Roger: Militärgeschichte als Totalgeschichte im Zeitalter des totalen Krieges, in: Kühne, Thomas/Ziemann, Benjamin (Hrsg.): Was ist Militärgeschichte?, Paderborn u. a. 2000, S. 301-312. Dem eher ablehnend gegenüberstehend: Geyer, Michael: Eine Kriegsgeschichte die vom Tode spricht, in: Lindenberger, Thomas/Lüdtke, Alf (Hrsg.): Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit, Frankfurt am Main 1995, S. 136-161 [151].
[4] Geyer, Kriegsgeschichte, (wie Anm. 3), S. 158.
[5] τεχνη (techné) = die Kunst oder das Können (altgriech.).
[6] Menschen handeln technisch, wenn sie etwas erzeugen, dass es in der Natur so nicht gibt.
[7] Ropohl, Günter: Das neue Technikverständnis, in: Ropohl, Günter (Hrsg.): Erträge der Interdisziplinären Technikforschung. Eine Bilanz nach 20 Jahren, Berlin 2001, S. 11-30 [16].
[8] Ebd.
[9] Verein Deutscher Ingenieure (Hrsg.): VDI-Richtlinie 3780. Technikbewertung, Begriffe und Grundlagen, deutsch/englische Ausgabe, Düsseldorf 1991, Neudruck Düsseldorf 2000, S. 2.
[10] Rapp, Friedrich: Technikgeschichte und die Grenzen der Machbarkeit, in: Dierkes, Meinolf u. a. (Hrsg.): Technik und Parlament. Technikfolgen-Abschätzung: Konzepte, Erfahrungen Chancen, Berlin 1986, S. 73-91 [74].
[11] Troitzsch, Ulrich: Technikgeschichte, in: Goertz, Hans-Jürgen (Hrsg.): Geschichte – ein Grundkurs, Reinbek bei Hamburg 1998, S. 379-393 [384].
[12] Geyer, Kriegsgeschichte, S. 136. Vgl. auch Heuser, Beatrice: Kriegswissenschaft, Friedensforschung oder Militärgeschichte? Unterschiedliche kulturelle Einstellungen zum Erforschen des Krieges, in: Nakath, Detlef/Schröter, Lothar (Hrsg.): Militärgeschichte – Erfahrung und Nutzen. Beiträge zum 80. Geburtstag von Reinhard Brühl, Schkeuditz 2005, S. 119-146 [145f.]; Chickering, Militärgeschichte (wie Anm. 3), S. 311 und Kühne, Militärgeschichte, (wie Anm. 2), S. 36.
[13] Geyer, Kriegsgeschichte, S. 138. Vgl. auch Heuser, Kriegswissenschaft, (wie Anm. 12), S. 141f. und S. 145.
[14] Heuser, Kriegswissenschaft, S. 146.
[15] Für die Technikgeschichte vgl. König, Technikgeschichte, (wie Anm. 3), S. 138 und für die Militärgeschichte vgl. Chickering, Militärgeschichte, S. 301-312.
[16] Clausewitz, Carl von: Vom Kriege, hrsg. von Pickert, Wolfgang/Ritter von Schramm, Wilhelm, Reinbek bei Hamburg 1990, S. 15. Vgl. auch S. 211, Clausewitz mahnt hier an, „immer die Verschiedenartigkeit der Verhältnisse im Auge [zu, M. R.] haben, […].“ Ebd.
[17] Ebd., S. 218f.
[18] Kapp, Ernst: Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten, Braunschweig 1877, S. III.
[19] Vgl. König, Technikgeschichte, S. 233f. mit Chickering, Militärgeschichte, S. 302-304.
[20] Chickering, Militärgeschichte, S. 302f.
- Citation du texte
- Matthias Rekow (Auteur), 2006, Militärgeschichte und Technikgeschichte - Ansätze einer technikzentrierten Forschung in der Militärgeschichte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73475
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