Die beiden gescheiterten Attentate auf Friedrich Wilhelm IV. wurden nicht aus politischen Motiven verübt. Es handelte sich um die Taten von Menschen, die fast sinnbildlich in das damalige Klischee eines Attentäters passten, auf das in der Einleitung verwiesen wurde. Sie dienten daher der Untermauerung dieser Auffassung. Ihre Bedeutung ist außerdem auf folgenden Gebieten zu suchen: Der König nutzte sie als Beleg zur Realisierung seiner politischen Vorstellungen. Diese beinhalteten, dass das Volk eine starke Führung benötige und das Zugeständnis von Freiheiten ein großes Gefahrenpotential bedeute. Das Scheitern der Attentate war für ihn außerdem der Beweis, dass Gott seine Ziele unterstützte und ihm daher seinen Schutz und seine Gnade gewährte. Die Verschiedenartigkeit der Wirkung der beiden Anschläge auf das Ansehen des Monarchen in seiner Bevölkerung konnte nicht unterschiedlicher sein.
Das 1. Attentat führte zu einem öffentlichen Aufschrei. Es war der erste Anschlag auf einen deutschen Monarchen seit Generationen. Die Befürchtungen des preußischen Könighauses, die Attentate seien eventuelle Vorboten einer Revolution, schienen nicht abwegig. In Frankreich hatte sich die politische Lage noch immer nicht vollständig beruhigt. Die europäischen Monarchien betrachteten die Entwicklungen in Frankreich skeptisch. Das Attentat Tschechs erweckte daher ebenfalls ähnliche Befürchtungen in der preußischen Gesellschaft. Diese befand sich in einer Zeit der sozialen und politischen Umbrüche. Sie war nicht gewillt, den bestehenden Staat mit den dazugehörigen Regierungs- und Verwaltungssystemen revolutionär zu verändern. Einer evolutionären Entwicklung stand man dennoch aufgeschlossen gegenüber. Deshalb wurde der Anschlag auf den preußischen König mit Bestürzung betrachtet.
Friedrich Wilhelm IV. verstand es jedoch nicht, die neu erworbenen Sympathien zu nutzen. Der preußische König verlor im Zusammenhang mit den Revolutionen von 1848 wieder an Ansehen. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass das 2. Attentat nicht die gleichen Unmutsbezeugungen auslöste wie der Anschlag Tschechs. Beide Seiten, die Liberalen und die Monarchisten, nutzten das 2. Attentat, um den politischen Kontrahenten zu verleumden. Der König und seine Berater konnten mit Hilfe des Anschlages die Verschärfung der Pressegesetze, das Verbot von Parteien und die Verhaftung führender Vertreter von Medien und Organisationen begründen. Sie zogen den politischen Nutzen aus den Mordanschlägen gegenüber dem König.
Gliederung
1. Einleitung
2. Quellenstand und Forschungslage
3. Biographien
3.1. Biographie – Friedrich Wilhelm IV.
3.1.1. Die Kindheits- und Jugenderfahrungen des Prinzen
3.1.2. Die Persönlichkeit Friedrich Wilhelm IV.
3.1.3. Die politische Einstellungen Friedrich Wilhelm IV. und die zeitgeschichtlichen Entwicklungen
3.2. Biographie - Heinrich Ludwig Tschech
3.3. Biographie – Maximilian Joseph Sefeloge
4. Die Attentate auf Friedrich Wilhelm IV.
4.1. Der Attentatsversuch von Heinrich Ludwig Tschech
4.2. Der Attentatsversuch von Maximilian Joseph Sefeloge
5. Folgen und Konsequenzen der Attentate
6. Schlußbetrachtung
7. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Du sollst nicht töten.“, sprach Gott zu Moses, als er ihm auf dem Berg Sinai die zehn Gebote in die zwei Steintafeln brannte.[1] Dieses Gebot hat den Status von überpositivem Recht. Man findet es in allen menschlichen Kulturen und Zivilisationen.
Die Ermordung eines Menschen erfolgt aus den unterschiedlichsten Motiven: Neid, Haß, Eifersucht, Habgier oder politischen Motiven. Die vorliegende Arbeit wird den Mord bzw. den Mordversuch an einem Menschen aus politischen Gründen untersuchen. Diese Tat wird als Attentat bezeichnet. Dennoch stellt sich die Frage, was ist ein Attentat?
Es ist schwierig, den Begriff ’Attentat’ auf Grund seiner Vielschichtigkeit und zahlreichen Betrachtungsmöglichkeiten zu definieren. Diese Darlegung erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll lediglich einen Überblick über die verschiedenen Aspekte und Gesichtspunkte geben.
Im Zuge der Entstehung komplexer Zivilisationen und Gesellschaften ergeben sich auch soziale und gesellschaftliche Konflikte. Nicht immer wollen und können die Menschheit und ihre Führer die Probleme auf Konsensbasis lösen. In diesem Zusammenhang entstand der politische Mord, den Harry Wilde zynisch als das „bequemste […] Mittel, Probleme zu lösen“, beschreibt.[2]
Die ersten sprachlichen Hinweise auf den Begriff bzw. die Definition des Attentates stammen aus dem Lateinischen (attemptare; attentatum).[3] Sie bedeuten übersetzt „versuchen, anpacken, angreifen“.[4] Das Wort wurde mit einem „Unterton des Überraschenden, des Gewagten, vielfach des Ungesetzlichen“ verwandt.[5] Auch attentatum wird mit der Bezeichnung „versuchtes Verbrechen“ übersetzt.[6] Beide Begriffe bzw. ihre Übersetzungen verdeutlichen bereits wichtige Eigenschaften, die man mit einem Attentat assoziiert. Am eindeutigsten läßt sich diese These mit folgender Beschreibung eines Attentates belegen. „Das Attentat ist formlos, widerrechtlich und hinterhältig, anders als die konventionalisierten Konflikte des vereinbarten Duells oder des erklärten Kriegs.“[7] Hinzu kommt der Fakt, daß sich der Attentäter als Vertreter eines „höheren“ Rechts versteht. Er stellt sich in den Dienst einer Idee oder Vorstellung und ist bereit, für die Umsetzung dieser Vorstellungen sein Leben zu opfern.
Die Opfer der Attentäter sind in der Regel „führende Persönlichkeit[en]: ein weltlicher oder geistlicher Herrscher […], eine Schlüsselfigur in dem verhaßten System […] oder auch nur eine Symbolgestalt“.[8] Sie personifizieren die gesellschaftlichen Mißstände bzw. deren Ursachen und liefern somit die Rechtfertigung für das Attentat. Der Attentäter bemüht sich daher, mit einem erfolgreichen Handeln die jeweiligen Probleme zu beseitigen. Er sieht den Mord als eine Lösungsvariante.
Aufgrund des Versuches einer plausiblen Begründung seiner Tat bildete sich unter Einbeziehung der Beobachtung von Attentaten in der Öffentlichkeit folgendes Bild eines Attentäters heraus. Die Gesellschaft stellte ihn sich wie folgt vor: Der Attentäter ist ein junger Mann, der eine unglückliche Jugend hatte. Ihm ist der Erfolg in der Gesellschaft, d. h. Beruf und Liebe, versagt geblieben. Er führt ein Leben abseits der Gesellschaft und findet auch nicht ihre Beachtung. Deshalb flüchtet sich der Attentäter in eine fiktive Welt, um dort Schutz und Trost zu finden. Mit dem Ziel einmal die gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf sich gerichtet zu sehen, begeht er das Attentat.[9] Der Attentäter strebt, so Alexander Demandt, in den Vorstellungen der Bevölkerung nach Beachtung.[10] In dieser klischeehaften Darstellung verfolgt er keine politischen Motive. Dennoch muß darauf verwiesen werden, daß nicht alle Attentäter nur nach der Beachtung der Gesellschaft streben, viele verfolgen bei der Umsetzung ihrer Pläne politische Motive.
Als bekannte Beispiele sind die Attentate auf Julius Caesar (44 vor Chr.); Jean Paul Marat (13. 7. 1773) oder Alexander II. anzuführen. Die Untersuchungsergebnisse beweisen, daß die gesellschaftlichen Vorstellungen des Täterbildes wichtige Aspekte beinhalten, die man bei der Betrachtung der Arbeit berücksichtigen sollte.
Die vorliegende Arbeit untersucht die Attentate auf den preußischen König Friedrich Wil- helm IV. Eines der Ziele der Arbeit stellte die Untersuchung der Umstände und Abläufe der Attentate dar. Es erfolgte eine Analyse der Biographien von Friedrich Wilhelm IV. und seiner Attentäter Heinrich Ludwig Tschech und Maximilian Joseph Sefeloge s. Außerdem ging es darum, aufzeigen, aus welchen Motiven heraus die Attentate auf Friedrich Wilhelm IV. verübt wurden. Die juristischen Konsequenzen und politischen Folgen bzw. die gesellschaftlichen Reaktionen wurden ebenfalls in die Untersuchungen einbezogen.
2. Quellenlage und Forschungsstand
Die Quellenlage und der Forschungsstand für die vorliegende Arbeit müssen als dürftig bezeichnet werden. In den Recherchen für diese Arbeit konnte keine Monographie gefunden werden, die das Thema umfassend und erschöpfend behandelt. Die Anschläge auf Friedrich Wilhelm IV. haben nur in wenigen seiner Biographien Eingang gefunden. Die Forschung beschränkte sich bei den Untersuchungen auf eine Analyse seiner romantischen Staatsvorstellungen, seines Interesses für Kunst und Kultur sowie seines Verhaltens während der Revolution von 1848/49 bzw. seiner Außenpolitik. Es entsteht z. T. der Eindruck, daß die Attentate bewußt verschwiegen wurden, da bereits zeitgenössische Historiker sie nicht in ihren Schriften erwähnten oder die Vorgänge nicht näher untersuchten.
Unter Berücksichtigung dieses Aspektes müssen die Recherchen von David E. Barclay und Sven Felix Kellerhoff genannt werden. Die von ihnen verfaßten Bücher bilden eine solide Grundlage für tiefgreifende Untersuchungen. Sie ermöglichen es dem Betrachter, Vorstellungen über den Verlauf der Attentate und ihre politischen, gesellschaftlichen und sozialen Folgen zu bilden. David E. Barclay und Sven Felix Kellerhoff bemühen sich, die Taten in das zeitgenössische Empfinden einzubinden, um somit die Komplexität und Vielschichtigkeit bzw. die daraus resultierenden Meinungsumschwünge verständlich machen zu können.
Ein weiteres Hindernis der Untersuchungen stellte oftmals das Fehlen eines der Attentate in den Betrachtungen der Analysen dar. Repräsentativ hierfür ist Walter Henry Nelson. Er geht auf das Attentat Tschechs und die zeitgeschichtlichen Hintergründe ein. In seinen weiteren Untersuchungen des Lebens Friedrich Wilhelm IV. findet der Anschlag Sefeloges keine Beachtung. Diese Tatsache erschwerte den Vergleich der beiden Attentate, ihrer Motive besonders der Folgen.
Das Leben und das Attentat von Heinrich Ludwig Tschech wurden von dessen Tochter in einer Biographie ihres Vaters um wertvolle Tatsachen und Fakten ergänzt. Diesem Buch kann eine neutrale Betrachtung des Sachverhaltes jedoch nicht zugesprochen werden. Es ist eindeutig das Ziel von Elisabeth Tschech erkennbar, die Tat ihres Vaters zu entschuldigen bzw. sein Ansehen weitgehenst wieder herzustellen. Sie ist intensivst darum bemüht, das Attentat als eine politische Handlung darzustellen, und ihrem Vater den Status eines Märtyrers zu verschaffen. Die zeitgenössischen und spätere Untersuchungen kamen alle zu dem Ergebnis, daß der Angriff Tschechs auf den preußischen König ein Racheakt war.
Als Quellen zur Untersuchung des zweiten Attentates durch Maximilian Sefeloge wurde auf die zeitgenössische Zeitung, Neue preußische Zeitung, zurückgegriffen. Es muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß eine zu intensive Betrachtung dieser Primärquelle ein einseitiges Bild erzeugt. Der Artikel, Attentat auf Friedrich Wilhelm IV., von Kurt Wernicke und Adolf Streckfuß Beschreibung des Anschlages helfen, das Bild zu vervollständigen. Die Studie von Heinrich Damerow über Sefeloges Geisteszustand ist als unverzichtbare Quelle für den Beleg seiner geistigen Verwirrtheit zu nennen. Seine unglückliche, ihn sehr stark prägende Kindheit und Jugend werden hier eindrucksvoll erläutert.
3. Biographien
3.1. Biographie von Friedrich Wilhelm IV.
3.1.1. Die Kindheits- und Jugenderfahrungen des Prinzen
Friedrich Wilhelm IV. wurde am 15.10.1795 als ältester Sohn von Friedrich Wilhelm III. und Luise von Mecklenburg-Strelitz in Berlin geboren. Er wuchs gut behütet mit seinen Geschwistern in einem bürgerlich geprägten Elternhaus auf. Sein Vater, Friedrich Wilhelm III., war auf Grund der verschwenderischen Hofhaltung seines Großvaters, Friedrich Wilhelm II., in das Berliner Kronprinzenpalais gezogen.
Sein Vater war bemüht, ein „einfache[s], bürgerlich-rechtschaffende[s] Leben“ zu führen.[11] Bei der Betrachtung der Beziehung zwischen Friedrich Wilhelm II und seinem Sohn, wird eine preußische Tradition erkennbar. Der Kronprinz vertrat in der Regel völlig konträre gesellschaftliche Ansichten als sein Vater. Walter Harry Nelson und Thomas Stamm-Kuhlmann sind in ihren Bücher, Die Hohenzollern – Reichsgründer und Soldatenkönige (Nelson) und Die Hohenzollern (Stamm-Kuhlmann), in der Lage, diese mutige These bei einer Untersuchung der Vater-Sohn-Verhältnisse an der gesamten brandenburgischen Linie des Hauses Hohenzollern nachzuweisen.[12] Diese Tradition sollte man in der kommenden Untersuchung der Persönlichkeit Friedrich Wilhelms IV. stets in Erinnerung behalten.
Ein entscheidendes Ereignis, das maßgeblichen Einfluß auf die Persönlichkeit Friedrich Wil- helm IV. und seine späteren politischen Ansichten hatte, war die Niederlage des preußischen Heeres bei Jena und Auerstedt[13]. Der daraus resultierende Umzug des preußischen Königshauses nach Königsberg kam einer Flucht und Vertreibung gleich. Außerdem muß die Demütigung der Hohenzollern durch die Tilsiter Friedensverträge[14] in die Betrachtung einbezogen werden.
Die Jugend des Kronprinzen war durch Kriege (Napoleons Rußlandfeldzug und die anschließenden Befreiungskriege) geprägt. Der Kronprinz nahm als Offizier an den Befreiungskriegen teil. Er war am triumphalen Einzug der Truppen der Heiligen Allianz[15] in Paris beteiligt. Franz Leopold von Ranke beschreibt die Jugendjahre von Friedrich Wilhelm IV. wie folgt: „Als ein Knabe war er gegangen; als ein junger Mann […] kam er zurück.“[16]
Diese Erlebnisse, d. h. der Zusammenbruch der französischen Monarchie und die Flucht der königlichen Familie nach Ostpreußen, hinterließen bei Friedrich Wilhelm IV. eine nachhaltige Furcht vor ähnlichen Zuständen in Preußen. Er stand deshalb liberalen Forderungen mit starker Ablehnung gegenüber. Der Kronprinz befürchtete, daß mögliche liberale Zugeständnisse an die Bevölkerung erneut eine vergleichbare Entwicklung in seiner Regierungszeit in Preußen auslösen könnten.[17]
3.1.2. Die Persönlichkeit Friedrich Wilhelm IV.
Die Lehrer des Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. stuften ihn als intelligent und „gut herzig“ ein. Es wird seit seiner frühesten Jungend darauf verwiesen, daß er ein sehr emotionaler Mensch sei. Die Gefühle wechselten oftmals zwischen den beiden Extremen, d. h. Wutanfälle und wilde Freudenausbrüche.[18] Eine Folge dieses Charakters war, daß der Kronprinz regelmäßig seinen jüngeren Bruder Wilhelm, den späteren deutschen Kaiser Wilhelm I., verprügelte, um seine Stellung zu beweisen. Die Reaktion seiner Geschwister war eine Isolierung Friedrich Wilhelm IV. Walter Nelson bezeichnet diese Folge als „eine Art Kindergarten-Boykott gegen den Kronprinzen“.[19]
Der Charakter des Prinzen erschwerte seine Erziehung durch Privatlehrer. Die Fachliteratur macht für die Entwicklung der Persönlichkeit und der Interessen des preußischen Monarchen das Scheitern seiner Lehrer verantwortlich. Sie alle schätzten ihn als „aufgeweckt, temperamentvoll und launenhaft, phantasiebegabt, zerstreut und aufmerksam, eitel, lernbegierig dabei auch geneigt, jeder kleinsten seiner Launen und plötzlichen Interessen nachzugeben und nachzugehen.“[20] Diese Charaktereigenschaften, die sich in der frühesten Jugend ausbildeten, beeinflußten das Handeln und die politischen Ziele Friedrich Wilhelm IV. als Kronprinz und späteren preußischen König.
Mit der Erziehung des Kronprinzen und seines Bruders Wilhelm wurde anfangs Friedrich Delbrück beauftragt. Genau wie Königin Luise legte er Wert auf eine gefühlsbetonte und den Neigungen der Kinder gerecht werdende Erziehung. Königin Luise wünschte, daß ihre Kinder zu „wohlwollenden Menschenfreunden“ erzogen werden.[21] Delbrück, der in der Fachliteratur und von Zeitzeugen als Philanthrop bezeichnet wird, konnte sich diesem Erziehungskonzept vollständig anschließen. In wie weit die genannten Charaktereigenschaften des Kronprinzen allein der Erziehung Delbrücks geschuldet sind, bleibt fraglich. Diese kritische Hinterfragung läßt sich auch mit Hilfe Delbrücks Tagebücher, die über die Jahrhunderte erhalten blieben, belegen. Sie ermöglichen eine tiefgründige Analyse der Persönlichkeit des späteren preußischen Königs und sein Verhältnis zu seinem Lehrer. Hier wird deutlich, daß Delbrück den Kronprinzen an den zum Teil schwierigsten Stunden in seiner Jugend als Lehrer und Freund zur Seite stand.[22] Diese These läßt sich zu dem damit belegen, daß der Kronprinz 1810 protestierte und lt. Braclay mit „tränenreichen Flehen[…]“ darum bat, Delbrück nicht zu entlassen.[23] Er unterhielt bis zu Delbrücks Tod 1837 einen regen Briefkontakt zu ihm aufrecht.[24]
Schon früh zeigten sich die Vorliebe und das Talent Friedrich Wilhelm IV. für Architektur und Kunst sowie seine Begeisterung für die Literatur der Romantik. Nicht ohne Beunruhigung wurde die Leidenschaft für das Musische von seiner Umgebung wahrgenommen. Der König und der Generalstab betrachteten diese Entwicklung mit Besorgnis. Der Kronprinz sollte als Nachfolger Friedrich Wilhelm III. die preußischen Streitkräfte führen und einen Staat lenken. Fast wehmütig schauten sie auf den zweitgeborenen Sohn Wilhelm, bei dem die Generäle ein militärisches Talent erkannten und förderten.[25]
Friedrich Wilhelm III. sah sich deshalb zum Handeln gezwungen. Es erfolgte die bereits genannte Entlassung Delbrücks und die Einstellung Ancillons. Die Königin hatte Ancillon 1810 eingestellt, da sie hoffte, daß er „anders als Delbrück eine strukturiertere Atmosphäre schaffen würde, die [dem Kronprinzen] das Lernen erleichtern sollte.“[26] Ancillon war ein bekannter Pastor und Verfasser mehrerer historischer und philosophischer Schriften. Es liegt die Schlußfolgerung nahe, daß er den Interessen seines Schülers nicht ablehnend gegenüber stand. Ancillion hatte einen großen Einfluß auf die spätere politische Haltung des Königs. Die Fachwelt ist sich einig, daß er den Charakter und die politischen Einstellungen des Prinzen maßgeblich formte.[27] „Er bestärkte ihn [Friedrich Wilhelm IV.] in seinen romantischen Neigungen zum deutschen Mittelalter, und er lehrte ihn alle revolutionären Neigungen – oder auch liberalen – Ideen hassen.“[28]
Parallel mit der Anstellung Ancillons verband sich der Unterricht mit dem Reformer des preußischen Rechtssystems Savigny. Die politische Bildung des Kronprinzen wurde durch die Kontakte und Gespräche mit den großen preußischen Reformern von Stein, Hardenberg, Gneisenau, Scharnhost und Clausewitz, die er in Königsberg kennen lernte, vervollkommnet. Clausewitz prägte als späterer Lehrer des Kronprinzen seine politischen und gesellschaftlichen Ansichten.[29]
[...]
[1] 2. Mose. Exodus, 20, 13, in: Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart 2004, S. 80, und 5. Mose. Deuteronomium, 5, 17, in: ebenda, S. 192.
[2] Wilde, Harry: Der politische Mord. München 1962, S. 7.
[3] Vgl. Schmidt, Manfred G.: Wörterbuch zur Politik. Stuttgart 2004, S. 52, und vgl. Demandt, Alexander: Das Attentat als Ereignis. in: Demandt, Alexander (Hrsg): Das Attentat in der Geschichte. Köln/Weimar/Wien 1996, S. 449.
[4] Demandt, Alexander, S. 229.
[5] Ebenda.
[6] Schmidt, S. 52.
[7] Demandt, S. 229.
[8] Demandt, S. 452, und vgl. von Uthmann, Jörg: Attentat. Mord mit gutem Gewissen. Berlin 1996. S. 7.
[9] Vgl. Demandt, S. 450.
[10] Vgl. ebenda, S. 450.
[11] Neugebauer, Wolfgang: Die Hohenzollern. Dynastie im säkularen Wandel, Von 1740 bis in das 20. Jahrhundert, Bd. 2, Stuttgart 2003, S. 70.
[12] Vgl. Nelson, Walter Henry: Die Hohenzollern. Reichsgründer und Soldatenkönige, München 1996, und vgl. Stamm-Kuhlmann, Thomas: Die Hohenzollern. Berlin 1995. S. 42 ff.
[13] Preußen hatte sich nach seiner Neutralitätsverpflichtung im Frieden von Basel (1795) hinter die vereinbarte Neutralitätslinie zurückgezogen. „Es hatte sich die Vorstellung verbreitet, Preußen könne die von Frankreich ausgehenden Stürme der Zeit unbeschadet überstehen.“ (Mast, Peter: Die Hohenzollern in Lebensbildern. Graz/Wien/Köln 2000, S. 175.) In der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt wurde das preußische Heer fast vollständig aufgerieben. Der Generalstab hatte es versäumt, die Streitkräfte den zeitgenössischen Entwicklungen anzupassen. Die militärische Niederlage offenbarte die Defizite des preußischen Heeres. Es wurde versucht, diese durch die preußischen Reformen, die von Hardenberg und von Stein eingeleitet und umgesetzt wurden, zu beheben. Vgl. Vogler, Günter/Vetter, Klaus: Preußen. Von den Anfängen bis zur Reichsgründung. Berlin (Ost) 1975, S. 142 ff., und vgl. Geiss, Imanuel: Geschichte griffbereit. Schauplätze, Die geographische Dimension der Weltgeschichte, Bd. 3, Gütersloh/München 2002, S. 604 f.
[14] Die preußische Königin fuhr nach Tilsit, um für Preußen milde Friedensbedingungen zu erbitten. Dieser Versuch schlug fehl. Dennoch bildete er die Grundlage für eine Anekdote, die die preußische Königin Luise als tapfere, opferbereite Herrscherin präsentierte. (Vgl. Bußmann, Walter: Zwischen Preußen und Deutschland. Friedrich Wilhelm IV. – Eine Biographie, Berlin 1992, S. 32) Preußen verlor im Frieden von Tilsit „etwa die Hälfte seines Gebietes und behielt nur die Kernprovinzen Brandenburg, Preußen, Pommern und Schlesien. Alle linkselbischen, niederrheinischen und westlichen Gebiete sowie die letzten Erwerbungen aus den Polnischen Teilungen“ gingen verloren. (Proske, Rüdiger u.a.: Die deutsche Geschichte. 1756 – 1944, Bd. 3, München 2004, S. 349.)
[15] Nach den Befreiungskriegen und der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongreß sahen sich die europäischen Großmächte mit dem Problem eines künftigen Bündnissystems konfrontiert, um Revolutionen und ihre Konsequenten vorzubeugen. Der russische Zar brachte in diesem Zusammenhang folgenden den Vorschlag in den Diskussionsprozeß ein. Es sollte ein Bündnis geschaffen werden, das den christlichen Glauben als Basis seiner Handlungen legen sollte. Mit Hilfe der christlichen Traditionen und die darausfolgende Begründungen des Königtums sollte die Stellung der Könige wieder gefestigt werden. Fürst von Metternich griff diese Idee auf und schuf die Heilige Allianz, die sich am 26. September 1815 in Paris gründete. Das Handeln der Heiligen Allianz diente der Festigung und dem Erhalt der europäischen Monarchien. Ihr Wirken kann deshalb als Unterstützung der Restaurationspolitik nach dem Wiener Kongreß eingeschätzt werden. Die Heilige Allianz besaß nur eine geringe politische Bedeutung. Sie wurde jedoch zum Symbol der reaktionären Politik Fürst von Metterichs. Vgl. Geiss, Imanuel u.a.: Geschichte griffbereit. Begriffe, Die sachsystematische Dimension der Weltgeschichte, Bd. 4, Gütersloh/München 2002, S. 675 f.
[16] Zit. nach Neugebauer, Wolfgang, S. 121.
[17] Vgl. Mast, S. 194f., und vgl. Neugebauer, S. 120, S. 125ff.
[18] Vgl. Nelson, S. 227.
[19] Ebenda, S. 228.
[20] Ebenda, S. 228.
[21] Bußmann, S. 24.
[22] Vgl. Bußmann, S. 25 ff.
[23] Barclay, David E.: Anarchie und guter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie, Berlin 1995, S. 54.
[24] Vgl. ebenda.
[25] Vgl. Neugebauer, S. 147 f.
[26] Barclay, S. 54.
[27] Vgl. Neugebauer, S. 121, und vgl. Nelson, S. 228 f.
[28] Nelson, Walter S. 228.
[29] Vgl. Neugebauer, S. 120, und vgl. Barclay, S. 35 f.
- Citation du texte
- B. A. Daniel Kötzing (Auteur), 2007, Die Attentate auf Friedrich Wilhelm IV. , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73474
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