Dass die Energiereserven weltweit abnehmen ist durchaus kein neues Phänomen. Der Gedanke, der Ressourcenknappheit mit internationalen Regelwerken entgegenzuwirken und dadurch eine kalkulierbare Verteilung zu ermöglichen, manifestierte sich jedoch erst in den 1990er Jahren.
Das ist vor allem dadurch begründet, dass es erst mit dem Zusammenbruch des Ostblockes möglich wurde, weltweit verbindliche Regelwerke zu forcieren. Besonders die Öffnung Russlands spielte für den Energieweltmarkt eine herausragende Rolle, da dort die größten Erdgasreserven der Erde lagern. Der Zerfall der Sowjetunion war jedoch auch eine Phase unkalkulierbarer wirtschaftlicher und politischer Instabilitäten. Deshalb war es gerade für die Europäische Gemeinschaft von besonderem Interesse, die Länder aus dem Einflussbereich der UDSSR zu unterstützen und in ihre Regelwerke einzubinden.
Ein solches Vertragswerk ist der 1994 unterzeichnete Energiechartavertrag, das erste internationale und völkerrechtlich verbindliche Vertragswerk für den Energiesektor. Zunächst wurde es als großer Erfolg gefeiert, da erstmals die Sowjetunion beziehungsweise Russland tatsächlich in ein derartiges Vertragswerk eingebunden war. Auf die Euphorie folgte jedoch bald Ernüchterung: Russland hat den Energiechartavertrag zwar unterzeichnet, jedoch bis heute nicht ratifiziert. Im Jahre 2003 hat Russland obendrein die Verhandlungen zur Ratifizierung abgebrochen. Unüberbrückbare Differenzen bezüglich der Vertragsinhalte, wie zum Beispiel der geplante Abschluss eines Transitprotokolls, das das Monopol der Russen über die Leitungsnetze einschränken könnte und die mit dem Vertrag verbundene Übernahme der WTO-Standards für den Handel mit Energieerzeugnissen, werden von russischer Seite als Gründe dafür angeführt. In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, welche Rolle Russland beim Energiechartavertrag tatsächlich einnimmt beziehungsweise welchen Stellenwert der Vertrag für Russland hat. Russlands Position gegenüber dem Vertrag möchte werden abschließend aus neorealistischer Perspektive politikwissenschaftlich bewertet.
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Einleitung
1. Der Energiechartavertrag
1.1. Entstehungsprozess
1.2. Ziele und ausgewählte Vertragsinhalte
2. Akteurskonstellationen im Energiechartavertrag
2.1. Die Ausgangssituation und Interessen der Europäischen Union
2.2. Die energiepolitische Bedeutung der Russischen Föderation
3. Russische Positionen im Ratifizierungsverfahren
3.1. Streitpunkt: Transitprotokoll
3.2. Fehlende Anreizstruktur nach Kyoto und die Debatte um Russlands WTO-Beitritt
4. Aktuelle Situation und Perspektiven
5. Politikwissenschaftliche Einordnung und Bewertung
Fazit
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Länderstruktur im Energiechartavertrag
Abbildung 2: Energieabhängigkeit der Europäischen Union
Abbildung 3: Rohstofflieferung in die Europäische Union
Einführung
Dass die Energiereserven weltweit abnehmen ist durchaus kein neues Phänomen. Der Gedanke, der Ressourcenknappheit mit internationalen Regelwerken entgegenzuwirken und dadurch eine kalkulierbare Verteilung zu ermöglichen, manifestierte sich jedoch erst in den 1990er Jahren.
Das ist vor allem dadurch begründet, dass es erst mit dem Zusammenbruch des Ostblockes möglich wurde, weltweit verbindliche Regelwerke zu forcieren. Ein Teil der Welt war nun nicht mehr kategorisch von Vereinbarungen ausgeschlossen. Besonders die Öffnung Russlands spielte für den Energieweltmarkt eine herausragende Rolle, da dort die größten Erdgasreserven der Erde lagern.
Nach der Auflösung des Ostblockes waren plötzlich zahlreiche Staaten von den Herausforderungen der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Transformation betroffen. Auch und vor allem die russische Energieindustrie stand vor dem Niedergang, Investitionen in Milliardenhöhe waren (und sind) nötig, um dem Boden die wertvollen Ressourcen und Reserven zu entziehen. Der Zerfall der Sowjetunion war auch eine Phase unkalkulierbarer wirtschaftlicher und politischer Instabilitäten. Deshalb war es gerade für die Europäische Gemeinschaft von besonderem Interesse, die Länder aus dem Einflussbereich der UDSSR zu unterstützen und in ihre Regelwerke einzubinden.
Als der niederländische Ministerpräsident Rudolphus Lubbers 1990 ein internationales Abkommen zur Bildung einer gesamteuropäischen Energiegemeinschaft vorschlug, in das explizit die Ostblock-Staaten mit einbezogen werden sollten, wurde das auch von der sowjetischen Seite begrüßt. Aus den ersten Ansätzen, die in der Europäischen Energiecharta umgesetzt wurden, entstand vier Jahre später der Energiechartavertrag, das erste internationale und völkerrechtlich verbindliche Vertragswerk für den Energiesektor. Zunächst wurde es als großer Erfolg gefeiert, da erstmals die Sowjetunion beziehungsweise Russland tatsächlich in ein derartiges Vertragswerk eingebunden war. Auf die Euphorie folgte jedoch bald Ernüchterung: Russland hat den Energiechartavertrag zwar unterzeichnet, jedoch bis heute nicht ratifiziert. Im Jahre 2003 hat Russland obendrein die Verhandlungen zur Ratifizierung abgebrochen. Unüberbrückbare Differenzen bezüglich der Vertragsinhalte, wie zum Beispiel der geplante Abschluss eines Transitprotokolls, das das Monopol der Russen über die Leitungsnetze einschränken könnte und die mit dem Vertrag verbundene Übernahme der WTO-Standards für den Handel mit Energieerzeugnissen, werden von russischer Seite als Gründe dafür angeführt. Der Verhandlungsstopp fällt zudem auch mit den russischen WTO-Beitrittsverhandlungen zusammen, die zu diesem Zeitpunkt mit der Europäischen Union geführt wurden.
In der vorliegenden Arbeit möchte ich untersuchen, welche Rolle Russland beim Energiechartavertrag tatsächlich einnimmt beziehungsweise welchen Stellenwert der Vertrag für Russland hat. Russlands Position gegenüber dem Vertrag möchte ich abschließend unter neorealistischer Perspektive politikwissenschaftlich bewerten. Ich gehe dabei von folgenden Annahmen aus:
1. Russland tritt in der Staatengemeinschaft als rationaler Nutzenmaximierer auf. Je geringer die Anreizstruktur eines Vertragswerkes ist, desto unwahrscheinlicher ist die Ratifizierung durch Russland. Nach der Ratifizierung des Kyoto-Protokolls gibt es keine derartige Anreizstruktur mehr, die relative Gewinne verspricht.
2. Die bisherigen Ratifizierungsverhandlungen wurden von den WTO-Beitrittsverhandlungen direkt beeinflusst und verliefen deshalb bisher ergebnislos. Je länger die russischen WTO-Verhandlungen dauern, desto mehr verzögert sich auch die russische Ratifizierung des Energiechartavertrages.
3. Je weniger die Europäische Union den Energiechartavertrag auf die Agenda bilateraler Verhandlungen setzt, desto mehr fehlt der Druck gegenüber Russland den Vertrag zu ratifizieren. Denn Russland agiert laut neorealistischer Perspektive in einem anarchischen Staatssystem, Macht ist das einzig wirksame Mittel zur Interessendurchsetzung, demzufolge ist man grundsätzlich skeptisch gegenüber internationaler Kooperation und setzt eher auf bilaterale Abkommen.
Zu untersuchende Indikatoren für diese Annahmen sind die Abhängigkeit der EU von russischen Energieimporten, die russische Energiepolitik, die in den vergangenen Jahren vor allem von bilateralen Verhandlungen geprägt war, die Problemstrukturen im Energiechartavertrag und die Rolle der WTO-Beitrittsverhandlungen.
Quellen stehen in erster Linie im Internet und in Energie- und Wirtschaftsfachzeitschriften zur Verfügung. Ausreichende politikwissenschaftliche Literatur speziell zur Bewertung des Energiechartavertrages gibt es bisher kaum. Vereinzelt sind Artikel in Sammelbänden oder als Diplom- beziehungsweise Magisterarbeit oder Dissertation erschienen.
Ein deutlicher Analyseschwerpunkt ist dabei die Auseinandersetzung um das geplante Transitprotokoll. Daran lassen sich die unterschiedlichen Akteurspositionen sehr gut herausarbeiten. Der Fokus meiner Arbeit liegt auf der Rolle Russlands im Vertrag. Andere Gegenstände des im Zusammenhang mit dem Energiechartavertrag lassen sich hingegen schwerer analysieren, da viele Bestimmungen und Vertragsprozesse noch nicht ausgereift sind, um sie mit politikwissenschaftlichen Kriterien auf Wirksamkeit zu prüfen. Das Thema hat in der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte aufgrund langwieriger, oft ergebnisloser Prozesse momentan an Aufmerksamkeit verloren, weshalb es nur unzureichend aktuelle Dokumente gibt. Die folgende Arbeit versucht demnach die bisherigen Ergebnisse zu sammeln, auszuwerten und zu ergänzen.
1. Der Energiechartavertrag
1.1. Entstehungsprozess
Der Energiechartavertrag (ECV) ist aus den Verhandlungen um die Europäische Energiecharta entstanden. Der niederländische Ministerpräsident Rudolphus (Ruud) Lubbers[1] initiierte 1990 auf einer Sitzung des Europarates in Dublin die Gestaltung einer gesamteuropäischen Energiegemeinschaft unter Einbeziehung der ost- und mitteleuropäischen Staaten sowie der damaligen UdSSR. Laut Lubbers „könnte sich die Wirtschaftsentwicklung Osteuropas und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken durch die Zusammenarbeit im Energiebereich katalysieren und beschleunigen lassen.“[2]
Auf der Basis des so genannten Lubbers- Planes entwarf die Europäische Kommission[3] die Europäische Energiecharta, die am 17.12.1991 von insgesamt 47 Staaten und der Europäischen Gemeinschaft[4] in Den Haag unterzeichnet wurde. Eine völkerrechtlich unverbindliche Erklärung, die den westlichen Zugang zu den osteuropäischen und russischen Energiereserven sichern und im Gegenzug die benötigten Investitionen in den östlichen Energiesektor bereitstellen sollte. Erklärtes Ziel war es außerdem, in den Staaten aus dem Machtbereich der ehemaligen Sowjetunion Standards nach dem Vorbild des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT)[5] zu schaffen.
Im Energiesektor gäbe es, so Lubbers, „eine natürliche Ergänzung zwischen großen Energieressourcen (…) im Osten und Ressourcen industrieller Stärke, Technologie und Investitionskapital im Westen.“[6] Die UdSSR unterstützte den Prozess von Anbeginn und sprach oft von einer angestrebten „politischen und wirtschaftlichen Vereinigung des europäischen Kontinents“.[7]
Obwohl die Sowjetunion und die neuen unabhängigen Staaten in dieser Zeit noch Aufgaben wie
„die Schaffung ihres Rechtssystems, der Vertrags- und Abkommensbestimmungen für ihren in hohem Maße integrierten Handel, der bis dahin zentralstaatlichen Regeln unterlag und die Schaffung und Aufnahme der Infrastruktur für Vertragsrecht, Eigentumsvorschriften und Rechnungslegungsgrundsätze als Grundgerüst der Marktwirtschaft“ zu bewältigen hatten.[8]
Dass diese Länder nachhaltig in den Charta-Prozess eingebunden werden konnten, wurde zunächst als wichtiger Erfolg in Richtung einer gemeinsamen Energiepolitik gesehen. Gemeinsame Grundsätze und Ziele der Charta beinhalteten unter anderem die Energiekooperation im marktwirtschaftlichen Rahmen auf Basis der Gleichbehandlung, die Sicherung industrieller Anlagen (insbesondere Nuklearanlagen) sowie die Steigerung der Energieeffizienz zur Versorgungssicherung und zum Schutz der Umwelt.
Diese Punkte wurden im Wesentlichen beibehalten, als drei Jahre später – am 17.12.1994 – die Weiterführung der Verhandlungen im Energiechartaprozess zu einem völkerrechtlich verbindlichen Vertragswerk – dem Energiechartavertrag (ECV) – führte. Der von damals zunächst nur 41 Staaten unterzeichnete Vertrag sollte das Rahmenabkommen für die zukünftige West-Ost-Kooperation im Energiebereich darstellen. Jedoch hat sich das Akteursverhalten im Laufe der Jahre stark ausdifferenziert, abhängig von den jeweiligen politischen Präferenzen in den Mitglieds- und/oder Beobachterländern. Während Russland zum Beispiel anfangs vor allem unter Gorbatschow und Jelzin starke Zustimmung zum Vertrag erkennen ließ, hat sich die Haltung seit dem Machtantritt Wladimir Putins im Jahr 2000 deutlich verändert, hin zu einer wenn nicht ablehnenden doch stark abwartenden Haltung.
Am 16.4. 1998 ist der Energiechartavertrag in Kraft getreten. Bis heute haben ihn 51 Länder unterzeichnet, jedoch nicht alle haben den Vertrag rechtsverbindlich ratifiziert. Unter anderem Russland, Norwegen und Australien behalten sich die Ratifizierung bisher vor. Zusammen mit den USA und Kanada, die den ECV bis heute ebenfalls nicht ratifiziert haben, sind demnach die Länder mit den größten Energiereserven weltweit vom Vertrag nicht erfasst.[9]
Abbildung 1: Länderstruktur im Energiechartavertrag
(grün: Unterzeichner, blau: Beobachterstatus)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: www.encharter.org
Die Länder des Nahen und Mittleren Osten genießen momentan einen Beobachterstatus (Vgl. Abb. 1), haben den Vertrag bisher jedoch weder unterzeichnet noch ratifiziert. Internationale Organisationen und Freihandelsgemeinschaften wie die ASEAN, WTO, OECD und andere sind ebenfalls als Beobachter vermerkt. Dennoch ist der ECV eines der wenigen Vertragswerke in denen Russland und die EU gemeinsam involviert sind. Es ist zudem der einzige Teil des acquis communautaire – des gesetzlichen Regelwerkes der EU – den Russland ebenso wie die osteuropäischen und zentralasiatischen Staaten unterzeichnet hat.[10]
Die erste Schlussfolgerung ist, dass der Energiechartavertrag vor allem ein Regelwerk für den europäischen Kontinent mit Ausdehnung auf die zentralasiatischen Republiken darstellt, jedoch bisher nicht als international verbindliches Abkommen gesehen werden kann.
1.2. Ziele und ausgewählte Vertragsinhalte
Die wesentlichen Ziele des Energiechartavertrages sind die Schaffung eines rechtsverbindlichen Rahmens für die Förderung langfristiger Zusammenarbeit im Energiebereich und die Übertragung der WTO-Regeln auf den Energiehandel. Neben der juristischen Dimension werden im politischen Bereich vor allem die Entwicklung eines offenen und wettbewerbsfähigen Energiemarktes, die Diversifizierung und Versorgungssicherheit angestrebt. Damit ist der Vertrag nicht nur ein Rechtsabkommen sondern auch ein multilaterales Politikforum, das von unterschiedlichen Präferenzen und Akteursinteressen gekennzeichnet ist.
Der Vertrag besteht neben der Präambel aus acht Abschnitten, die sich unter anderem auf den Handel, den Investitionsschutz, Maßnahmen zur Souveränität über die Energievorkommen, Transparenz, Umweltaspekte und Streitbeilegungsmechanismen beziehen. Außerdem werden die Kontroll- und Arbeitsgremien sowie die Verfahrensweisen im Vertrag festgelegt. Das wichtigste Organ ist die Energy Charter Conference, in der alle Unterzeichnerstaaten vertreten sind. Die Konferenz findet regelmäßig in Brüssel statt und ist für die Überwachung und Umsetzung des Vertrages verantwortlich. Die Ausgestaltung der einzelnen Maßnahmen obliegt verschiedenen thematischen Arbeitseinheiten (Investitionen, Energieeffizienz, Handel und Transit). Unterstützt wird die Arbeit vom Sekretariat und einem Rechtsberatungskomitee.[11] Vorsitzender der Konferenz ist der Däne Henning Christophersen. Stellvertreter sind der Russische Staatssekretär und Vizeminister für Industrie und Energie der Russischen Förderation, Ivan Materov und der Direktor der Abteilung wirtschaftliche Sicherheit des japanischen Außenministeriums, Manabu Miyagawa.
Daran lässt sich erkennen, dass Russland – obwohl es den Vertrag bisher nicht ratifiziert hat –personell eine verantwortungsvolle Rolle bei der Umsetzung spielt. Mit Andrei Konoplyanik als stellvertretendem Sekretariatsleiter hat Russland eine weitere wichtige Position im Vertragsprozess inne. Neuer Sekretariatsleiter ist seit Ende 2005 André Mernier aus Belgien.
Die Vertragsbestimmungen beinhalten „harte“ (rechtsverbindliche) und „weiche“ (völkerrechtlich nicht bindende) Kriterien. Meist befinden sich diese „harten“ und „weichen“ Bestimmungen jedoch direkt in einem Artikel, so dass es auf den ersten Blick schwierig ist die Verbindlichkeit festzustellen.[12] Die wichtigsten Bestimmungen des Vertrags betreffen den Schutz von Investitionen, den Handel mit Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen, den Transit und die Streitbeilegung. Im Folgenden eine kurze Skizze der bedeutendsten Inhalte. Die Bestimmungen zum Transit werden in Abschnitt 3 näher erläutert.
a) Schutz von Investitionen:
Ein ausländischer Investor kann laut Vertrag am besten geschützt werden, indem „er mindestens gleich gut wie ein inländischer Investor behandelt wird“. Im Energiecharta-Vertrag ist festgelegt, dass Investitionen, die ein Investor einer anderen Vertragspartei vornimmt, nicht weniger günstig behandelt werden dürfen als Investitionen inländischer Investoren oder Investoren eines dritten Staates. Dabei gilt das Prinzip des „besten Bemühens“. Das heißt, formal muss jedem ausländischen Investor die gleiche Behandlung zuteil werden, wie dem „am besten behandelten“ inländischen Investor.[13]
b) Handel mit Primärenergieträgern:
Für den Handel mit Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen zwischen den Vertragsparteien gelten die GATT- Bestimmungen. Die Unterzeichnerländer des Vertrags müssen auf den Handel mit Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen die GATT-Bestimmungen selbst dann anwenden, wenn sie dem GATT bzw. der WTO nicht angehören. Vor allem mit dieser Tatsache begründet Russland seine abwartende Position gegenüber dem ECV. Seit mehreren Jahren laufen die Verhandlungen zum russischen WTO-Beitritt. Dieser Prozess ist bisher noch nicht abgeschlossen und der Beitritt verzögerte sich bereits mehrere Male wegen Uneinigkeit über Bestimmungen für Russland.
c) Streitbeilegung:
Für die Streitbeilegung sieht der Vertrag verschiedene Mechanismen vor. Im Vertrag selbst werden sie als „äußerst strenge Bestimmungen“ beschrieben.[14] Entscheidend ist die Möglichkeit neben den nationalen Gerichten eine internationale Schiedsstelle, wie das ICSID (International Centre for Settlement of Investment Disputes) in Washington anrufen zu können. Die Entscheidung des Schiedsgerichtes ist für die am eventuellen Streit beteiligten Regierungen bindend.[15]
Dem Vertrag ist außerdem ein Protokoll über Energieeffizienz angehangen, in dem energiepolitische Grundsätze entworfen werden. Energieeffizienz und Einsparung werden darin als wesentliche Energiequelle für die nächsten Jahre betrachtet.[16] Die Themen gehören derzeit zu den wichtigsten in der energiepolitischen Debatte. Russland bringt Energieeffizienz beim nächsten G-8-Gipfel ganz oben auf die Agenda und auch auf dem deutschen Energiegipfel Anfang April 2006 hatte das Thema Priorität. Wenngleich in der gesamten Europäischen Union vor allem die Versorgungssicherheit im Mittelpunkt steht.[17] Im Rahmen des Energiechartavertrages erarbeitet eine Working Group Studien zur Umsetzung von Energieeffizienzmechanismen oder zu erneuerbaren Energien und unterstützt so den Politikdialog zum Thema.[18] Ein für die Analyse des Energiechartavertrages entscheidendes Vertragskriterium ist die Rücktrittsmöglichkeit. Laut Artikel 47, Absatz 1 kann „eine Vertragspartei jederzeit nach Ablauf von fünf Jahren, nachdem dieser Vertrag für sie in Kraft getreten ist, dem Verwahrer schriftlich notifizieren, daß sie von dem Vertrag zurücktritt.“[19]
Der Vertrag ist damit zwar das beschriebene „erste bindende multilaterale Übereinkommen über Investitionsschutz; das erste multilaterale Übereinkommen, das sich sowohl auf den Investitionsschutz, als auch auf den Handel bezieht; die erste Anwendung der Transitbestimmungen auf Energienetze; der erste multilaterale Vertrag, der generell eine bindende internationale Beilegung von Streitigkeiten vorsieht“[20] ist. Tatsächlich kann sich aber jede Partei von bindenden Verpflichtungen lösen. Der Vertrag erschwert damit eine langfristige und nachhaltige Wirkung schon im Ansatz.
2. Akteurskonstellationen im Energiechartavertrag
2.1. Die Ausgangssituation und Interessen der Europäischen Union
Die Mitgliedsländer der Europäischen Union sind die Initiatoren und wichtigsten Unterstützer des Vertragsprozesses. Zwar ist Energiepolitik in der Europäischen Union eine nationale Angelegenheit. Dennoch hat man sich in den vergangenen Jahren auf einige gemeinsame Strategien geeinigt. Eines der wichtigsten strategischen Dokumente ist das im Jahr 2000 veröffentlichte „Grünbuch über die Versorgungssicherheit.“ „Die Europäische Union verbraucht immer mehr Energie und führt immer mehr Energieträger ein. Die Gemeinschaftsproduktion reicht nicht zur Deckung des Energiebedarfs der Union aus, weshalb die Abhängigkeit von Importen ständig wächst.“[21] So lautet der alarmierende Einleitungssatz. Über die Energieversorgungssicherheit der EU – dem weltweit größten Nettoimporteur – wird darin ausgesagt, dass mehr als 50 Prozent unserer Energieträger derzeit durch Einfuhren von Ländern außerhalb der Union gedeckt werden müssen. Prognosen zufolge könnte die EU im Jahr 2020 zu 90 Prozent an Erdöl- und zu 70 Prozent an Erdgasimporte gebunden sein.[22] Importiert wird vor allem aus den Ländern des Nahen Ostens (knapp 50 Prozent), Afrikas, aus Norwegen und Russland. Bei Erdgas ist die Abhängigkeit zwar auf den ersten Blick geringer. Hier erhöht sich jedoch die Nachfrage jährlich, die Produktion in der Union nimmt aber stetig ab und die Reserven schrumpfen.[23]
[...]
[1] Von 1982 – 1994 Ministerpräsident der Niederlande.
[2] Der Vertrag über die Energiecharta und dazugehörige Dokumente, deutsche Übersetzung, veröffentlicht auf www.encharter.org, S.16. Dieser Text wird im Folgenden nur noch als „Energiechartavertrag“ zitiert.
[3] zu dem Zeitpunkt noch: „Kommission der Europäischen Gemeinschaften“
[4] Zu den Unterzeichnern gehörten alle Staaten Mittel- und Osteuropas, die Baltischen Republiken und 11 der 12 neuen GUS- Staaten. (Gründung der GUS am 21.12.1991)
[5] GATT (General Agreement on Tariffs and Trade), das 1994 in der WTO (World Trade Organization) aufgegangen ist. Das GATT enthält zahlreiche Bestimmungen zu Zoll- und Außenhandelsangelegenheiten, Vgl. Vertragsinhalte des GATT von 1947: http://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/gatt47_e.pdf
[6] Zit. nach Sennekamp, Peter (1996): Die westeuropäischen energiepolitischen und -wirtschaftlichen Strategien in den Staaten Mittel- und Osteuropas unter besonderer Berücksichtigung Rußlands und der Slowakei, Diplomarbeit, Freie Universität Berlin, S.57
[7] Zit. nach ebd., S.61
[8] Vgl. Energiechartavertrag, S.7
[9] Vgl. Status of Ratification Energy Charter Treaty, 25.11.2005, Homepage des Energiechartavertrages:
http://www.encharter.org//upload/9/287892200117778422317131074031392031293410744871f2990v1.pdf (Zugriff: 13.3.2006)
[10] Konoplynaik, Andrei (2004): Transit Protocol progress, in: Petroleum Economist, Juli 2004, S.34.
[11] Vgl. zur Arbeitsweise: http://www.encharter.org/index.jsp?psk=04&ptp=tDetail.jsp&pci=266&pti=29 (Zugriff:: 12.3.2006)
[12] Vgl. Chalker, James (2004): Der Energiechartavertrag. Normen, Regeln, Implementierung., in: Osteuropa, Jg.54, Heft 9-10, S.56.
[13] Vgl. Energiechartavertrag, S.9
[14] Vgl. Energiechartavertrag, S.12
[15] Zu Beispielen von Schiedsgerichtsverfahren im Rahmen des ECV: Vgl. Chalker, a.a.O., S.57ff
[16] Vgl. Energiechartavertrag, S.123ff
[17] Vgl. Thumann, Michael/Vorholz, Fritz: 80 Millionen Verschwender, in: DIE ZEIT, Nr.13, 23.3.2006, S. 23ff.
[18] Vgl. Präsentation der “Working Group on Energy Efficiency and Environmentally related aspects” auf www.encharter.org (Zugriff: 23.3.2006)
[19] Vgl. Energiechartavertrag, S.72
[20] ebd., S.8
[21] Europäische Kommission (Hrsg.) (2000): Grünbuch. Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit, S.4.
[22] ebd., S.4.
[23] Vgl. BP Statistical Review of World Energy 2005, http://www.bp.com/genericsECVion.do?categoryId=92&contentId=7005893 (Zugriff: 07.03.2006)
- Quote paper
- Katharina Mikulcak (Author), 2006, Russland und der Energiechartavertrag. Positionen, Probleme und Perspektiven, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73471
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