In dieser Arbeit wird die Symbolkraft der Erzählung von Mankurt in seinem Roman „Ein Tag länger als ein Leben“ untersucht. Zuerst werden die Grundlagen, wie die häufige Verwendung der Legende in Ajtmatows Werken, die Herkunft der Mankurt-Erzählung und die Geschichte des Volkes der Rouran, beleuchtet. Im Hauptteil wird die Erzählung von Mankurt, ursprünglich eine kasachische Überlieferung, unter verschiedenen Aspekten, samt geschichtlichem/ zeitgeschichtlichem und kulturellem Hintergrundwissen, untersucht. Solch eine Aufspaltung der Untersuchung war deshalb nötig, weil die Erzählung im Fortlauf des Romans ergänzt, weiterentwickelt (so zum Beispiel „Mankurt der Zukuft“) und so gemeinsam mit anderen Erzählungen im Roman kumuliert und zu der Gesamtaussage des Werkes beiträgt. Es wird des Weiteren über die mögliche Kritik an dem sowjetischen Staat diskutiert, was in der Sekundärliteratur, die bisher zu dem Werk geschrieben wurde, unbeachtet bleibt. Letztendlich wird auch die Intention des Autors für diesen Roman untersucht und festgestellt, dass diese im Widerspruch zu seinem geäußerten Weltbild steht.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Čingiz Ajtmatov und der Mythos
1. Der Mythos in Čingiz Ajtmatov Werken
2. Das Volk/ die Gruppe der Rouran/„Жуань жуань“
3. Der Ursprung der Mankurt- Erzählung
III. Die Legende von Najman-Ana/ die Mankurt-Erzählung
1. Die kurze Vorgeschichte der Legende von Najman-Ana/ die Mankurt-Erzählung
2. Die Legende von Najman-ana/ die Mankurt-Erzählung
3. „Der Mankurt der Zukunft“
4. Parallelen in der Handlung mit der Legende von Najman-ana/ die Mankurt-Erzählung
5. Die Symbolerklärung der Legende von Najman-Ana/ die Mankurt-Erzählung
6. Die Erzählung von Mankurt in Verbindung mit anderen Romanerzählungen
7. Die Integration der Legende von Najman-Ana/ der Erzählung von Mankurt in die Gesamtaussage des Romans „Ein Tag länger als ein Leben“
IV. Zusammenfassung
V. Quellen- und Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Ajtmatov (geb. 1928) ist Kirgise und schreibt deshalb seine Werke teilweise zweitsprachig. Er wurde neben anderen Schriftstellern nichtrussischer Herkunft zu einem Aushängeschild der multinationalen Sowjetunion. In dieser Arbeit wird die Symbolkraft der Erzählung von Mankurt in seinem Roman „Ein Tag länger als ein Leben“ untersucht.
Zuerst werden die Grundlagen, wie die häufige Verwendung der Legende in Ajtmatows Werken, die Herkunft der Mankurt-Erzählung und die Geschichte des Volkes der Rouran, beleuchtet. Bei der Untersuchung bezüglich des Volkes Rouran aus der Mankurt-Erzählung gab es Schwierigkeiten, wobei mir Herr Dr. Sören Stark von der Universität Halle enorm weiterhalf (Die Schwierigkeit bestand bei der Zuordnung des Ethnonyms der Rouran – in der russischsprachigen Literatur jedoch als Juan-Juan/„Жуань жуань“ geführt).
Im Hauptteil wird diese Erzählung, ursprünglich eine kasachische Überlieferung, unter vielen verschiedenen Aspekten untersucht. Solch eine Aufspaltung der Untersuchung war deshalb nötig, weil die Erzählung im Fortlauf des Romans ergänzt, weiterentwickelt (so zum Beispiel „Mankurt der Zukuft“) und so gemeinsam mit anderen Erzählungen im Roman kumuliert und zu der Gesamtaussage des Werkes beiträgt. Es wird des Weiteren über die mögliche Kritik an dem sowjetischen Staat diskutiert, was in der Sekundärliteratur, die bisher zu dem Werk geschrieben wurde, unbeachtet bleibt.
Letztendlich wird auch die Intention des Autors für diesen Roman untersucht und festgestellt, dass diese im Widerspruch zu seinem geäußerten Weltbild steht.
In der Zusammenfassung werden die Ergebnisse schließlich unter einer verallgemeinerten Perspektive zusammengetragen.
II. Čingiz Ajtmatov und der Mythos
1. Der Mythos in Čingiz Ajtmatov Werken
In den Werken von Ajtmatow, besonders in „Der erste Lehrer“ (1963), „Abschied von Gülsary“ (1967), „Der weiße Dampfer“ (1970) und „Die frühen Kraniche“ (1975), finden sich beständig Mythen, Anlehnungen und Gleichnisse, nicht nur, aber vor allem, aus dem kirgisischen Heldenepos „Manas“. Neben dem „Manas“ jedoch lassen sich auch Verarbeitungen von Geschichten aus anderen, den Kirgisen verwandten[1] und nicht verwandten[2] Völkern der ehemaligen Sowjetunion finden.
Ajtmatov räumt selbst ein: „[...] in all meinen literarischen Plänen und Vorhaben nehmen die Mythen und Legenden einen sehr großen Raum ein. Ich fürchte, dass ich sie in meinem Kunstverständnis bis ans Ende meiner Tage in Anspruch nehmen werde“[3]. Und weiter spricht er: „Wenn ich mich Mythen, Legenden und Gleichnissen zuwende, ist das ein Versuch, für das Vergangene eine zeitgemäße Anwendung (Hervorhebung durch A. G.) zu finden. Diese Vergangenheit in ein künstlerisches Gewebe einzubeziehen und damit in unser künstlerisches Denken“[4]. Ajtmatow belebt durch seine Werke den jeweiligen Mythos neu, und bringt dabei dennoch etwas Eigenes ein; denn die Poetik des Mythos, im Gegensatz zu derjenigen der Fantastik[5] „..ist uns nah und verständlich“[6]. In den Legenden und Mythen finden wir - neben der Handlung - in der Darstellung von Gestalten, Leidenschaft und Charakteren uns bereits vertraute Motive wieder[7].
Wenn also die oben aufgeführte Stellungsnahmen Ajtmatows berücksichtigt werden können, dann erscheint für diese Untersuchung unter den zahlreichen Deutungen des Begriffes „Mythos“, diejenige Deutung am passendsten, der Mythos sei die Quintessenz eines Geschehens, die zu einem Bild geronnene menschliche Lebenserfahrung[8].
Ajtmatov verwendet, wie später ersichtlich wird, diese überlieferte menschliche Erfahrung nicht nur um der Darstellung selbst willen, sondern um dem eigenen Anliegen (dies ist vor allem die Suche nach dem „Urgrund des Lebens“)[9], sowie der Aussage seines jeweiligen Werkes Gewicht zu verleihen, ja, ihr mit Hilfe des Mythos einen Beleg zu liefern. Die universellen Erkenntnisse eines jeden Mythos, einer jeden Legende werden durch Ajtmatovs Werke in die heutige Welt übertragen, und somit dem zeitgenössischen Leser präsentiert. Des Weiteren kann man in der häufigen Verwendung der Mythen die Absicht erkennen, dadurch das Selbstverständnis des jeweils dargestellten Volkes und ihre Tradition dem Leser zu vermitteln, und damit eine gewisse Darstellungstiefe des eigenen Literaturwerkes zu erreichen.
2. Das Volk/ die Gruppe der Rouran/„Жуань жуань“
Das Ethnonym des Volkes Rouran/„Жуань жуань“, welches eine entscheidende Rolle in der Najman.Ana-Legende/ Mankurt-Erzählung spielt, kommt in den chinesischen Quellen (welche hauptsächlich Informationen zu diesem Volk liefern) in mehreren Varianten vor, u.a. „Rouruan“, „Ruirui“, „Ruru“ und sehr häufig „Ruanruan“. Die letzte Transkription („Ruanruan“) gilt als ein bezeichnendes Beispiel für „pejorative Transkription“, mit der die Chinesen die benachbarten Nomadenvölker im Norden bedachten, und bedeutet wörtlich „Gewürm“. Nach dem Wade-Giles-System wird „Ruanruan“ zu „Juan-Juan“ transkripiert (In der älteren Forschungsliteratur ist das auch die Standardbezeichnung). In der russischen Literatur zum Thema werden die Rouran bis heute als „Жуань жуань“ bezeichnet[10].
Über die Rouran/ „Жуань жуань“ weiß man nicht viel. Ihr Nomadenimperium bestand aus einem Verbund vor allem der mongolischen Stämme der Ostmongolei und der westlichen Mandschurei. Sie dominierten die mongolischen und südsibirischen Steppen vom Ende des 4. bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts n. Chr., und wohl auch in Ost-Kasachstan, am Oberen Irtysch und im Altai-Vorland. Der Stammesverbund der Rouran war nicht egalitär strukturiert. Die untergeordneten Stämme wurden ausgebeutet und unterlagen schweren Tributzahlungen. Deshalb ist die gesamte Geschichte der Rouran von Unabhängigkeitskämpfen der beherrschten Stämme geprägt. Dies alles führte zu einer inneren Schwäche der Rouranherrschaft.
Mitte des 6. Jahrhunderts n. Chr. werden sie von den Altaischen Türk durch einen Aufstand als Vormacht in der Mongolei und in Südsibirien abgelöst und verschwinden danach aus den zeitgenössischen Berichten. Es ist wahrscheinlich, dass sie nach dem Aufstand von den Türk systematisch ausgerottet worden sind[11].
3. Der Ursprung der Mankurt- Erzählung
Die Legende von Mankurt, wie sie in dem Roman „Der Tag zieht den Jahrhundertweg“/ „Ein Tag länger als ein Leben“ vorkommt, existiere laut Ajtmatov nicht. Aber es gibt den Prototypen einer solchen Legende im kasachischen Volk. Diese steht, wie im Roman, in enger Beziehung zu den bereits oben genannten Rouran, einem auf erster Sicht solch grausamen Volk[12]. In der Epoche des Imperiums der Rouran und an ihren Grenzen (in diesem Falle Ost-Kasachstan) vollzogen sich stürmische historische Ereignisse. Die Völker und die Stämme lebten in ständiger Feindschaft. Es herrschten grausame Sitten:
„Und einer der unmenschlichsten Gebräuche jener Zeit war, einen in Gefangenschaft geratenen jungen Mann qualvollen Foltern zu unterziehen, die ihm das Gedächtnis raubten, ihn gewaltsam vergessen lassen, wie er heißt, wer sein Vater ist und seine Mutter, welchem Volk er angehört und wo sein Land liegt. Aber ein Mensch, der seiner nationalen und historischen Zugehörigkeit beraubt war, verwandelte sich in einen demütigen Sklaven und folgsamen Roboter. Und so einen Menschen-Idioten nannte man verächtlich - Mankurt.“[13]
Dieser Legende bzw. ihrem Prototyp, die sich wahrscheinlich dank ihrer außergewöhnlichen Grausamkeit seit über 14 Jahrhunderten in dem mündlichen Gedächtnis der Kasachen erhalten hatte, hat sich Ajtmatov nicht zufällig bedient. Die bloße Verschriftlichung hat Ajtmatov jedoch nicht genügt. Er verankerte sie fest in seinem Werk, und umrahmte sie mit einer zeitgenössischen Handlung, die sich wie ein roter Faden von der Vergangenheit (die Legende von Najman-Ana/ die Mankurt-Erzählung) bis in die Gegenwart hinzieht (dazu siehe unten).
„Ich musste diesen kleinen Funken der Vergangenheit zu einem hellen, heißen Feuer anfachen, mit anderen Worten also die Sage auf eine höhere Ebene versetzen, damit sie uns aus dieser Retrospektive den heutigen Tag sehen lässt. Gerade aus Sorge um den Menschen, zur Abwehr gegenüber allem, was ihn daran hindert, eine integre, wertvolle und markante Persönlichkeit zu werden, habe ich mich der Erzählung von Mankurt zugewandt.[14]
Es bleibt jedoch wegen der fehlenden Literatur bzw. der Angaben in dieser ungeklärt, ob und inwieweit die im Roman vorkommende Mankurt-Erzählung vollständig übertragen wurde oder durch Ajtmatovs Dichtung ergänzt bzw. sogar verändert worden ist. Dies bezieht sich auch auf den in der Legende vorkommenden Friedhof Ana-Bejit, sowie auf die Figur Najman-Ana und das Kamel Akmaja.
[...]
[1] Im Fall „Der Tag zieht den Jahrhundertweg“ (1981)/ später „Ein Tag länger als ein Leben“ sind dies die Kasachen
[2] In „Scheckiger Hund, der am Meer entlang läuft“ (1977) ist dies das am Ochotskischen Meer lebende, fast ausgestorbene Volk der Niwchen
[3] Ajtmatov, Čingiz: Karawane des Gewissens. Autobiographie, Literatur, Politik. Aus d. Russ. v. Friedrich Hitzer und Charlotte Kossuth, Zürich 1988, S. 202.
[4] Ebenda
[5] so z.B. die Weltraumhandlung im selben Roman „Ein Tag länger als das Leben“
[6] Ebenda, S.203
[7] Ebenda, S.202-203. Dazu: „Вся „космологическая“ история вымышлена мной с одной лишь целью – заострить в парадоксальной, гиперболизованной форме ситуацию, чреватую потенциальными опасностями для людей на земле.“ Aus: Чингиз Айтматов: И дольше века длится день; Плаха; Пегий пес, бегущий краем моря, Фрунзе 1988, S. 8.
[8] Vgl. Zitat von Cassirer, Ernst; In: Wieland, Karin: Čingiz Ajtmatov: Ein Tag länger als ein Leben. Kommunikationsorientierte Textanalyse, S. 86.
[9] Vgl. dazu in: Gespräch mit Čingiz Ajtmatov. In: Kunst und Literatur. 25. Jahrgang, Februar 1977, Heft 2:
„Die Verwendung der mythologischen Struktur ermöglicht es, den Ereignissen einen neuen Sinn zu geben, komplizierte, nicht sogleich sichtbare und mitunter auch widersprüchliche Beziehungen zwischen ihnen zu entdecken, die tatsächlich zum Urgrund des Lebens hinlenken.“ (Hervorhebung durch A.G.)
[10] Die Angaben chinesischer Chronisten über die zentralasiatischen Nomadenvölker vormongolischer Zeit (und viele dieser Gruppen kennt man nur aus dieser Überlieferungstradition – wie eben die Rouran) in russischsprachiger (auch zentralasiatischer) Forschungs- und populärwissenschaftlicher Literatur gehen fast ausnahmslos auf die Übersetzungen N.A. Bichurin’s „Собраниe сведений о народах, обитавших в Средней Азии в древнейшие времена“, Санкт Петербург 1851 zurück, die 1950 in drei Bänden neu herausgegeben wurden und weite Verbreitung erlangten. Die Angaben über die Rouran finden sich in Bd. 1, S. 184-212, unter der Bezeichnung „Жуань жуань“. Persönliche Kommunikation mit Dr. Sören Stark, Altorientalistik, Universität Halle am 8.03.2007.
[11] Ebenda, unter der Ergänzung aus http://historic.ru/books/item/f00/s00/z0000017/st133.shtml, 12.03.2007
[12] Die nomadischen Völker aus Zentralasien, vor allem die späteren Mongolen unter Tschingis Khan, galten schon immer als besonders grausam.
[13] Ajtmatov, Čingiz: Karawane des Gewissens. Autobiographie, Literatur, Politik. aus d. Russ. v. Friedrich Hitzer und Charlotte Kossuth, Zürich 1988, S. 201.
[14] Aitmatow, Tschingis: Karawane des Gewissens. Autobiographie, Literatur, Politik. Aus d. Russ. v. Friedrich Hitzer und Charlotte Kossuth, Zürich 1988, S. 201-202.
- Citation du texte
- Alexander Grenz (Auteur), 2007, Die Symbolkraft der Erzählung von Mankurt in dem Roman von Cingiz Ajtmatov „Ein Tag länger als ein Leben“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73437
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