Botho Strauß, Jahrgang 1944, zählt zu den meistbeachteten Schriftstellern der Gegenwart - und zu ihren meistgespielten Theaterautoren. Den Menschen Botho Strauß aber umgibt die Aura des Unberührbaren, die des einsamen Gelehrten in seinem Elfenbeinturm, der - mal milde lächelnd, mal wütend Blitze schleudernd - auf die Erde hinuntersieht. Den Begehrlichkeiten des Kulturbetriebs nämlich bleibt der Autor verschlossen: Keinen einzigen Fernsehauftritt gab er in nun beinahe 30-jährigem Schriftstellerdasein, bis heute meidet er Symposien und Preisverleihungen, selbst Interviews sind spärlich gesät. Diese mediale Ruhe um den Autor, Essayisten und Dramaturgen Botho Strauß fand im Frühling 1993 mit der Publikation des Essays vom "Anschwellenden Bocksgesang" im Wochenblatt "Der Spiegel" ein jähes Ende. Am 07. Februar des Jahres holte der Denker aus zum Rundumschlag gegen die "Totalherrschaft der Gegenwart", und das Land erbebte im Donner. Vom "Rechten" schrieb Strauß, der als Vertreter der Gegenaufklärung Widerpart sei der eiligen Zeit, Hüter des Tabus und der Scheu, der Anschluss suche an das Hergebrachte und Unbewegte im Bewusstsein, dass "der Mensch nicht einfach nur von heute ist" und die alten Dinge nicht fort und überlebt wären.
Es erscheint beinahe müßig, heute noch etwas zum "Anschwellenden Bocksgesang" sagen zu wollen - die ihn behandelnden Publikationen zählen kaum mehr nach Dutzenden. Der Essay - so dröhnten die Exegeten - liefere die intellektuelle Legitimation für "rechte" Tendenzen in der deutschen Gesellschaft, mache gar den rechten Terror hoffähig und leiste so letztlich einem neuen Faschismus Vorschub. Brigitta Huhnke glaubte, im gesamten Werk des Autors "faschistoide Phantasmen" ausmachen zu können und noch im Theater-Fachblatt "theater heute" nahm Peter von Becker die in seinen Augen nicht ausreichend deutliche Distanzierung Botho Strauß´ von den "ordinären und manchmal obszönen", in jedem Falle aber "schändlichen [...] Auslassungen seiner Bewunderer und Benutzer" zum Anlass, dem Essay mittels handwerklich fragwürdiger Zitatmontage den Aufruf zu "Lynchmord" und "Blutopfer" zu unterstellen.
Inhaltsverzeichnis
- Der Dichter vor der „Totalherrschaft der Gegenwart"
- Das „Rechte" und das „Linke"
- Im Zentrum der deutschen Polis: Auschwitz...
- Mit der Geschichte gegen die Geschichte
- Das Konzept des Tragischen
- Die „Verbrecher-Dialektik des linken Terrors"
- Das Gleichgewicht
- Mediale und außer-mediale Wirklichkeit
- Das Gleichgewicht und die Ökonomie der Gewalt
- Das Große Ganze
- Bibliographie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Essay „Anschwellender Bocksgesang" von Botho Strauß analysiert die Entwicklungen der deutschen Nachkriegsgesellschaft und versucht, die Ursachen für aktuelle gesellschaftliche Verwerfungen zu ergründen. Der Text stellt eine Argumentation dar, die von der Annahme ausgeht, dass die deutsche Gesellschaft in einem ständigen „Lock- und Abwehrkampf" gegen die Gespenster der Vergangenheit gefangen ist.
- Das Verhältnis der deutschen Gesellschaft zur Geschichte der Shoah
- Die Rolle des „linken Terrors" in der deutschen Nachkriegsgeschichte
- Die Bedeutung der Medien für die deutsche Gesellschaft
- Das Konzept des „Gleichgewichts" und seine Bedeutung für die deutsche Gesellschaft
- Die Rolle von Gewalt und Opfertheorien in der deutschen Gesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Der Essay beginnt mit einer Beschreibung des Autors und seiner medialen Abgeschiedenheit, die durch die Veröffentlichung des „Anschwellenden Bocksgesangs" ein jähes Ende fand. Strauß kritisiert die „Totalherrschaft der Gegenwart" und den Umgang mit dem „Rechten" in der deutschen Gesellschaft. Er argumentiert, dass das Wort „rechts" in seiner ursprünglichen Bedeutung nicht mit den heutigen politischen Konnotationen gleichzusetzen ist und betont die Bedeutung der Sprachgeschichte für die Deutung des Textes.
Im Zentrum des Essays steht die deutsche Geschichte und die Shoah. Strauß argumentiert, dass die Deutschen die Tragödie der Shoah nicht wirklich angenommen haben und dass diese Verdrängung zu neuen Verwerfungen in der Gesellschaft führt. Der linke Terror der 70er Jahre wird als eine Folge dieser Verdrängung interpretiert, die in einer pervertierten Form die „Verbrecher-Dialektik" der R.A.F. wiedergibt. Strauß kritisiert die „unmenschliche Abmäßlgung" der Tragödie durch die Medien und die „telekratische Öffentlichkeit", die eine „unblutigste Gewaltherrschaft" darstellt.
Im letzten Abschnitt des Essays führt Strauß das Konzept des „Gleichgewichts" ein, das sowohl auf sein gleichnamiges Drama als auch auf die Opfertheorien Rene Girards verweist. Strauß beschreibt die deutsche Gesellschaft als eine Gesellschaft, die in einem differenzlosen Zustand gefangen ist, in dem die Unterscheidung zwischen „Fremdheit" und „Eigenheit" verloren gegangen ist. Er argumentiert, dass die Medien eine wichtige Rolle bei der Konstruktion dieses „Gleichgewichts" spielen und dass die „Ökonomie der Gewalt" in der deutschen Gesellschaft auf einem „deutschen Selbsthass" beruht.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die deutsche Nachkriegsgeschichte, die Shoah, den „linken Terror", die Medienkritik, das „Gleichgewicht", die Opfertheorie, der „deutsche Selbsthass" und die „Totalherrschaft der Gegenwart". Der Essay befasst sich mit der Entwicklung der deutschen Gesellschaft und versucht, die Ursachen für aktuelle gesellschaftliche Verwerfungen zu ergründen.
- Citation du texte
- Thorsten Mundi (Auteur), 2001, Bockiger Schwellgesang oder Beitrag zu einer deutschen Debatte? Bemerkungen zur Argumentation in Botho Strauß' Essay "Anschwellender Bocksgesang", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7342
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