Diesen Handlungsrahmen hat Muschg nicht nur aus dem Parzival übernommen, er hat ihn auch stark erweitert und ausgebaut, sowie zum Teil verändert. Intertextualität spielt in diesen Kapiteln eine sehr große Rolle. So beginnt Muschgs Roman nicht etwa wie in seiner Vorlage mit der Ritterfahrt des Gahmuret zum Baruc, sondern mit der Liebesgeschichte zwischen Sigune und Schionatulander. Diese ist zwar in die Gahmuret - Handlung eingebettet, geht jedoch auch über sie hinaus und nimmt so insgesamt relativ viel Platz in Muschgs Erzählung ein. Die Abenteuer Gahmurets hingegen werden erst später und nur am Rande erwähnt.
Die entscheidenste Veränderung der Rahmenhandlung ist jedoch die Charakterisierung Gahmurets, denn er erscheint bei Muschg in einem gänzlich anderen Licht als bei Wolfram.
1. Der Gahmuret-Feirefiz-Rahmen
2. Der Artushof
3. Die Nichthöfische Gesellschaft
4. Trevrizent
5. Der Gral und die Gralsgesellschaft
Literaturverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1. Der Gahmuret-Feirefiz-Rahmen
2. Der Artushof
3. Die Nichthöfische Gesellschaft
4. Trevrizent
5. Der Gral und die Gralsgesellschaft
Literaturverzeichnis
1. Der Gahmuret – Feirefiz – Rahmen
Diesen Handlungsrahmen hat Muschg nicht nur aus dem Parzival übernommen, er hat ihn auch stark erweitert und ausgebaut, sowie zum Teil verändert. Intertextualität spielt in diesen Kapiteln eine sehr große Rolle. So beginnt Muschgs Roman nicht etwa wie in seiner Vorlage mit der Ritterfahrt des Gahmuret zum Baruc, sondern mit der Liebesgeschichte zwischen Sigune und Schionatulander. Diese ist zwar in die Gahmuret - Handlung eingebettet, geht jedoch auch über sie hinaus und nimmt so insgesamt relativ viel Platz in Muschgs Erzählung ein. Die Abenteuer Gahmurets hingegen werden erst später und nur am Rande erwähnt.
Die entscheidenste Veränderung der Rahmenhandlung ist jedoch die Charakterisierung Gahmurets, denn er erscheint bei Muschg in einem gänzlich anderen Licht als bei Wolfram. Dies lässt schon die Beschreibung seines Äußeren erkennen:
„Aschblondes Haar deckt die Schultern, von denen ein Soldatenmantel fällt und sich im Geröll ausbreitet wie die Schleppe einer Braut. Das Gesicht der Figur ist nicht einmal im Ansatz zu erkennen, doch scheint sie das Kinn auf die Hand gestützt zu haben und den Ellbogen auf das übergeschlagene Knie.“ (S. 42)
Das Gesicht Gahmurets weist ebenfalls Besonderheiten auf:
„Er war nicht groß und ohne Bart. Sie sah seine Lippen geöffnet mit hängenden Winkeln, die Nase dünn und gebogen, die Ohren sonderbar klein. Seine Augen waren schief geschnitten, das eine unter hohen Brauen weiter geöffnet als das andere, das er zukniff, als blende ihn die Sonne auch hier. Sein Gesicht hatte zwei Hälften, eine wache und ein starre.“ (S. 49)
Dieser Verweis auf die zwei Gesichtshälften ist unterschiedlich interpretierbar. Nahe liegend wäre ein Spiel Muschgs mit der Einheit von Gegensätzen, ein Thema, welches später noch häufig vorkommt. Parallelen lassen sich jedoch auch auf das berühmte Portrait aus der Innsbrucker Liederhandschrift B des Jahres 1432 des Lyrikers Oswalds von Wolkenstein ziehen, jenem Südtiroler Ritter, der zumeist als einer der letzten Vertreter des Minnesanges gesehen wird. Ob oder in wie fern Muschg sich vom Lebenslauf oder der literarischen Bedeutung des streitbaren spätmittelalterlichen Lyrikers bei der Charakterisierung des Helden-Vaters Gahmuret inspirieren ließ, ist Spekulation und bedürfte wohl einer eingehenderen Untersuchung, die in diesem Rahmen aber natürlich nicht durchgeführt werden kann.
Doch nicht nur in der Schilderung des Äußeren Gahmurets variiert Muschg die Wolfram’sche Vorlage. In seiner Hochzeitsnacht lässt der Ritter das Begehren seiner Frau nächtelang über sich ergehen, zeigt also kaum das Verhalten eines jungvermählten Helden. Die Zeugung des Erlösers Parzival wird unter diesen Umständen problematisch, erst der Zauberer Klingschor weiß durch seinen Rat die Einseitigkeit der sexuellen Begierde zu beenden.
Der Geschlechterbeziehung zwischen Gahmuret und Herzeloyde schenkt auch Wangemann besondere Aufmerksamkeit.[1] Denn neben dem sexuellen Desinteresse Gahmurets ist auch „eine widersprüchliche Einstellung zu ihrer [Herzeloydes] eigenen Sexualität“[2] das Problem. Herzeloyde will „kein gewöhnliches Kind, sondern einen Erlöser-Sohn, wie Maria ihn hatte […]. Ihr schon bei Wolfram angedeutetes Selbstverständnis als Mutter Gottes – sie, als Adelige, säugt gleich Maria ihr Kind selbst – arbeitet Muschg stark heraus.“[3]
Die Schilderung Gahmurets ist bei Muschg keinesfalls positiv, weder sein Äußeres noch sein Verhalten Herzeloyde und Belakane gegenüber. Dennoch beherrscht er „bis zur Hochzeitsnacht Herzeloydes Denken und Handeln als Objekt ihrer Begierde.“[4] Daneben ist Gahmuret jedoch immer noch ein erfahrener Ritter und begnadeter Kämpfer, ein „Zauberer mit Helm und Lanze“ (S. 75), und auch wenn er als Landesfürst und Ehemann nicht überzeugt, so bleibt sein Ende auch im Roten Ritter ein ruhmvolles, er selbst ein Held über den Tod hinaus.
Die Schilderung des Feirefiz im Roten Ritter hingegen ist dem Parzival ähnlich, die Begegnung im Zweikampf ist für die beiden Brüder ein höchst positives Erlebnis. Den Kampf selbst jedoch schildert Muschg weit weniger genau als Wolfram, Feirefiz Reichtum und sein strahlendes Wesen werden viel stärker betont. Die Unterschiede der beiden ungleichen Brüder verschwimmen jedoch bei ihrem Eintreffen am Arturhof:
„Das Ahh war so tief verstummt wie das Ohh. Sie hörten nur noch und schauten. Feirefiz und Parzival; Bruder, und noch einer; zwei und Einer; einer und zwei. Frau Herzeloyde und Frau Belakâne; eine Mutter, und noch eine. Ein Vater, zwei Frauen, zwei Söhne; rot und weiß, weiß und schwarz.“ (S. 863)
Die Auflösung der Gegensätze vollzieht sich hier neben der inhaltlichen auch auf der lexikalischen Ebene, was die Unterschiede noch mehr verschwimmen lässt. Dennoch wird die Überlegenheit Feirefiz auch im weiteren Verlauf der Geschichte immer wieder betont, die Lebensfreude des Orientalen zeigt sich dem bitteren Ernst der verbrauchten okzidentalen Gralsgesellschaft als überlegen.
2. Der Artushof
Bereits Wolframs Umgang mit dem Artusstoff war ein eher kritischer. Die dem damaligen Publikum durchaus bekannte Dichtung Hartmanns von Aue nutzte Wolfram, darüber zu reflektieren. So wendet sich Wolfram direkt an Hartmann (Pz, 143, 21-144,4), er „schickt“ seinen Parzival an Hartmanns’s Artushof und warnt ihn, seinen Helden respektvoll zu behandeln, ansonsten würden Hartmanns Figuren durch die „Spottmühle“ gedreht (was er dann an mehreren Stellen auch tut). Artus selbst agiert bei Wolfram nur schematisch, er ist „bloß Schablone für die Handlungen des Protagonisten.“[5]
König Artus und sein Hof sind bei Muschg ein wandelnder Anachronismus. Alles rund um sie herum, die Gesellschaft, die Wirtschaft, das Wertesystem des hohen Mittelalters ist im Wandel begriffen. Artus erkennt diesen Wandel sehr wohl, aber er und die Seinen haben ihm nichts entgegenzusetzen und verharren so in ihrer selbst auferlegten Bestimmung, „die höfische Kultur par excellence zu verkörpern. Fast wäre ihre Ohnmacht und ihr Unvermögen betrüblich und bedauernswert, wenn Muschg in seiner Umsetzung nicht eine übersättigte Kultur vorführte, die sich in ihrer ‚laudatio temporis acti’ gefällt und unfähig ist, ihre Utopie eines friedvollen und Gerechtigkeit verkündenden Artusreiches zu bestätigen.“[6]
Artus selbst wird als dicklicher, hässlicher Mann beschrieben (S. 371), ebenso sein Hofmarschall Keie (S. 373). Der ganze Hof wirkt so, als „wären sie gerade einem Roman entstiegen, seltsam künstlich und kostümiert“[7]:
„Parzival musterte die verzogen dasitzenden Herren und zierlich anwesenden Damen mit der Festigkeit seiner Unschuld. Sie benahmen sich ganz so, als müßte man sie wieder erkennen; […] Denn: wer saß denn nicht da! Lanzelot saß da und Keie, Gawan und Galahad, Erec und Iwein, alle bei ihren Damen, deren Vorzüge erprobt und weltbekannt waren; ihre Abenteuer hatten sie zu Legenden gemacht.“ (S. 372)
Ganz der höfischen Kultur und der Wolfram’schen Vorlage entsprechend[8] zeigt der Hof eine ausgeprägte frankophile Haltung, die sich im häufigen Gebrauch französischer Wörter zeigt[9]. Darüber hinaus legt der Hof großen Wert auf die neueste Mode, ein Umstand, welcher bei Wolfram schon angedeutet wurde und von Muschg nun überspitzt dargestellt wird.
Ein weiteres Charakteristikum des Muschg’schen Artushofes ist dessen chronische Langeweile, die man durch Jagd, Falknerei und diverse Spielchen, welche auf den Leser teilweise befremdlich wirken, zu zerstreuen versucht. Trotzdem ist die Tafelrunde keineswegs versucht, sich neuen Abenteuern hinzugeben und etwa Schastel Marveile zu befreien:
„Es zieht sie nichts nach Schastelmareile. […] Herr Erec gedenkt mit Frau Enîte eine Zeitlang in wohlverdienter Minne auf seinen Gütern zu leben. […] Herr Iwein bedarf dringend der Packungen aus heißer Moor-Erde. […] Herr Clâmidê […] will Frau Cunnewâre sein Reich und dessen Reize vorstellen in der Hoffnung, auch den ihren näherzukommen. Herr Lanzelôt wird bei Hofe doppelt und dreifach benötigt, nachdem der zweite Hofmarschall geht und der erste immer noch liegt.“ (S. 559.)
Selbst die Gralssuche verkommt am Artushof zum Spiel, ist „auf einen sinnlosen Modegang reduziert und […] zudem obsolet, da die Gralsgesellschaft und der Gral schon nicht mehr existieren. Dieses Nachjagen eines längst nicht mehr vorhandenen, äußeren Ziels ist zugleich Ausdruck für die innere Sinnlosigkeit ihres Unterfangens und führt die Artusgesellschaft vollends ad aburdum.“[10]
Auch Volker Mertens meint, die Gesellschaft rund um den sagenhaften Artus „erscheint disfunktional, [ist] eine Gruppe von Menschen, die Ritter spiele, obwohl das längst ein überlebtes Modell ist.“[11]
[...]
[1] Vgl. Anke Wangemann, Wolframs von Eschenbach ‚Parzival’ im 20. Jahrhundert. Untersuchungen zu Wandel und Funktion in Literatur, Theater und Film, Göppingen: Kümmerle Verlag 1998, S. 202-205 [=Göppinger Arbeiten zur Germanistik 646].
[2] Ebd., S. 203.
[3] Ebd., S. 203.
[4] Anabel Niermann, Das ästhetische Spiel von Text, Leser und Autor. Intertextualität neu gedacht an Adolf Muschgs Parzival-Rezeption Der Rote Ritter. Eine Geschichte von Parzival am Beispiel der Frauenfiguren, Frankfurt a. Main [u.a.]: Peter Lang 2004, S. 230.
[5] Günter Heidinger, Zur Rezeption von Wolframs Parzival. Adolf Muschg: Der Rote Ritter, Dipl. Arbeit, Wien 1998, S. 83.
[6] Wagemann, Parzival, S. 199.
[7] Heidinger, Rezeption, S. 84.
[8] Vgl. Joachim Bumke, Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. Band 1, München: dtv 4. Aufl. 1987, S. 117f.
[9] Vgl. Wagemann, Parzival, S. 199.
[10] Ebd., S. 201.
[11] Volker Mertens, Der Gral. Mythos und Literatur, Stuttgart 2003, S. 252.
- Quote paper
- Andreas Burtscher (Author), 2006, Adolf Muschgs "Der Rote Ritter" und Wolfram von Eschenbachs "Parzival": Vergleich der inhaltlichen Veränderungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73404
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