Die anhaltende Tendenz zu mehr Markt, Wettbewerb u. überprüfbaren Leistungen auch im Non-Profit-Sektor hat in den letzten Jahren eine heftige Diskussion über die “Ökonomisierung der Sozialen Arbeit“ ausgelöst. Die Soziale Arbeit steht heute mehr als je zuvor unter Legitimations- u. Rechtfertigungsdruck bezüglich der Wirksamkeit u. Wirtschaftlichkeit ihrer Handlungsweise. Bedarfswirtschaftliche Unternehmen im intermediären Bereich sind gefordert, nicht nur Daten zu verarbeiten, die sich auf wirtschaftliche Effizienz u. Ertrag beziehen, sondern auch Datenmaterial zu berücksichtigen u. aufzubereiten, das Auskunft über Konzeptionen, Klientenverläufe, Diagnose, Anamnese, sozialpädagogische Interventionen, Pflege oder Outcome gibt. Das Verstehen wirtschaftspolitischer Zusammenhänge u. Kenntnisse über wirtschaftliches Denken sowie ökonomisch-unternehmerisches Handeln erhalten neben fachlichen Standards einen immer höherer Stellenwert.
In einem kurzen Exkurs über die geschichtliche Entwicklung der Pädagogik / Erziehungswissenschaft (EW) wird der Leser sensibilisiert für die Vielschichtigkeit der heutigen EW, deren wissenschaftliche Bandbreite sich von der „klassischen Erziehungstätigkeit“ bis in Bereiche der Erwachsenenbildung, betrieblichen Organisationsentwicklung, Personalcoaching u. Projektmanagement etc. erstreckt.
Um an den aktuellen Diskussionsstand in der Fachwelt heranzuführen, werden anschließend die themenrelevanten Begrifflichkeiten aus den unterschiedlich definierenden Fachterminologien herausgelöst, um diese auf im Non-Profit-Bereich verwertbare Definitionen zu dekodieren. Im zweiten Teil liegt der Analyseschwerpunkt der Arbeit auf dem Erkennen, Kennzeichnen, Definieren, Darstellen u. Beschreiben ökonomischer Ansätze u. Theorien in Verbindung mit den entsprechenden Management- u. insbesondere Qualitätsmanagementansätzen aus der Betriebs- u. Volkswirtschaftslehre sowie Messkonzepten zur Erfolgsmessung u. deren Übertragbarkeit auf den Bereich der Non-Profit-Organisationen. Dazu erörtert der Autor sowohl die Besonderheiten der Produktion personenbezogener sozialer Dienstleistungen als auch Fragen zur Effektivität, Effizienz u. Qualität in der Sozialen Arbeit. Die beiden einleitenden, theoretischen Teile bilden die Grundlage für die folgende Untersuchung zur Übertragbarkeit u. Wirkung verschiedener Ökonomisierungsansätze u. -konzepte auf die Praxis Sozialer Arbeit.
Experteninterviews u. eine kritische Bewertung runden die Arbeit ab.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einführende Darstellung der Thematik
1.1 Relevanz der Thematik
1.2 Erziehungswissenschaftlicher Bezug
1.2.1 Die Geschichte der Pädagogik als Entwicklungsgeschichte der Erziehungswissenschaft
1.2.2 Erziehungswissenschaftliche Schwerpunkte
1.2.3 Methoden der Erziehungswissenschaft
1.2.3.1 Hermeneutisches Verstehen
1.2.3.2 Empirische Methoden
1.2.3.3 Qualitative Forschungsmethoden
1.3 Themen- und Problembereiche einer Ökonomik für die Soziale Arbeit
2 Methodische Überlegungen
2.1 Methode der Arbeit
2.1.1 Formal-methodische Vorgehensweise
2.1.2 Recherche des zu analysierenden Datenmaterials
2.1.3 Analyse des Datenmaterials
2.2 Zielsetzung der Arbeit
2.3 Aufbau der Arbeit
3 Begriffliche und theoretische Grundlagen
3.1 Ökonomisch-wirtschaftliche Grundbegriffe
3.1.1 Ökonomie bzw. Ökonomik
3.1.2 Wirtschaft(en)
3.1.3 Ökonomisierung
3.1.4 Bedürfnisse, Bedürfnisbefriedigung und Bedarf
3.1.4.1 Bedürfnisse und Bedarf
3.1.4.2 Klassifikation von Bedürfnissen
3.1.5 Der Markt als Treffpunkt von Angebot und Nachfrage
3.1.5.1 Angebot und Nachfrage
3.1.5.2 Markt- oder Preismechanismus
3.1.5.3 Käufer- und Verkäufermarkt
3.1.6 Güter und Dienstleistungen
3.1.6.1 Freie Güter und Wirtschaftsgüter
3.1.6.2 Sachgüter und Dienstleistungen
3.1.6.3 Private, öffentliche und meritorische Güter und Dienstleistungen
3.1.6.4 Allokations- und Distributionssysteme von Gütern und Dienstleistungen
3.2 Grundprinzipien des Wirtschaftens
3.2.1 Rationalitätsprinzip und die Verwendung knapper Ressourcen
3.2.2 Organisation des Wirtschaftsgeschehens
3.2.2.1 Planwirtschaft
3.2.2.2 Freie Marktwirtschaft
3.2.2.3 Soziale Marktwirtschaft als „dritter“ Weg
3.3 Grundbegriffe der Sozialen Arbeit
3.3.1 Geschichte und Gegenwart der Sozialen Arbeit
3.3.1.1 Inhalte und Funktion der Sozialen Arbeit
3.3.1.2 Gesellschaftlicher Auftrag der Sozialen Arbeit
3.3.2 Professionalisierungsdebatte und Diskurs um eine eigenständige Sozialarbeitswissenschaft
3.3.2.1 Soziale Arbeit als Profession
3.3.2.2 Bestrebungen um eine eigenständige Sozialarbeitswissenschaft
3.3.3 Herausforderungen für die Soziale Arbeit
3.3.4 Soziale Arbeit als personenbezogene professionelle Dienstleistung
3.4 Wirtschaftliches Denken und Soziale Arbeit
3.4.1 Sozialökonomie
3.4.2 Sozialmanagement
3.4.3 Sozialwirtschaft
3.4.4 Profit-Organisationen versus Non-Profit-Organisationen
3.4.4.1 Profit-Organisationen
3.4.4.2 Non-Profit-Organisationen
3.4.5 Non-Profit-Organisationen aus ökonomischer Perspektive
3.4.5.1 Non-Profit-Organisationen – eine Reaktion auf Marktversagen
3.4.5.2 Non-Profit-Organisationen – eine Reaktion auf Staatsversagen
3.4.5.3 Non-Profit-Organisationen und Stakteholder-Ansatz
3.4.5.4 Non-Profit-Organisationen und sozio-ökonomische Rationalität
3.4.6 Besonderheiten sozialwirtschaftlicher Dienstleistungsunternehmen im Non-Profit-Bereich
3.5 Schlüsselbegriffe und Module der Ökonomik in der Sozialen Arbeit
3.5.1 Ausgewählte Managementansätze für Non-Profit-Organisationen
3.5.1.1 Das Freiburger Management-Modell
3.5.1.2 Lean Management
3.5.1.3 Kosten-, Leistungsrechnung und Controlling
3.5.1.4 Organisations- und Personalentwicklung
3.5.1.5 Qualitätsmanagement
3.5.1.6 Kontraktmanagement
3.5.1.7 Risikomanagement
3.5.1.8 Balanced Scorecard
4 Indikatoren und Kennziffern zur Erfolgsmessung in der Sozialen Arbeit
4.1 Effizienz und Effektivität in der Sozialen Arbeit
4.1.1 Effizienz
4.1.2 Effektivität
4.1.3 Zusammenhang zwischen Effizienz, Effektivität, Input, Output und Outcome
4.2 Probleme bei der Beurteilung von Effizienz, Effektivität und Qualität der Sozialen Arbeit
4.2.1 Outputdefinition und -messung
4.2.2 Qualitätsdimensionierung und –sicherung
4.3 Soziale Arbeit und Wohlfahrtsproduktion
4.3.1 Volkswirtschaftliche Erfassung der Güter- und Dienstleistungsproduktion
4.3.1.1 Modell des Wirtschaftskreislaufes
4.3.1.2 Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
4.3.2 Sozialprodukt und Volkseinkommen
4.3.2.1 Sozialprodukt
4.3.2.2 Volkseinkommen
4.3.2.3 Sozialprodukt bzw. Volkseinkommen als Indikator für Wohlstand und Verteilung?
4.3.3 Aktueller Forschungsstand: das Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Projekt
4.3.4 Allokative Effizienz Sozialer Arbeit
4.4 Wirtschaftlichkeit versus Qualität
4.5 Messkonzepte in der Sozialen Arbeit – ökonomische Legitimation des Ressourceneinsatzes
4.5.1 Kosten-Nutzen-Analyse
4.5.2 Kosten-Effektivitäts-Analyse
4.5.3 Praxisbeispiel zur Kosten-Nutzen- und Kosten-Effektivitäts-Analyse im Bereich der kommunalen Beschäftigungsförderung der Stadt Düsseldorf
4.5.4 Nutzwert-Analyse
4.5.5 Soziale Rechenschaftslegung
5 Veränderte gesellschaftliche, sozialpolitische und gesetzliche Rahmenbedingungen
5.1 Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen
5.2 Demographische Situation
5.3 Soziale Dienstleistungen, Freie Wohlfahrtspflege und politische Entwicklungen in Europa
5.4 Sonderstellung der Freien Wohlfahrtspflege und ihre Veränderung
5.5 Sozialpolitische Entwicklungen in Deutschland
5.6 Politischen Entwicklungen in Europa und ihre Auswirkungen
6 Implementierungsversuche ökonomischer Ansätze in der Praxis an ausgewählten Beispielen
6.1 Die Trägerstruktur der Sozialen Arbeit
6.2 Freie Träger der Wohlfahrtspflege
6.2.1 Die Finanzierung
6.2.2 Wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung der Freien Träger
6.2.3 Strategisches Management in Freien Trägern der Wohlfahrtspflege auf der Grundlage des Balanced Scorecard Ansatzes
6.2.3.1 Modifikation der Balanced Scorecard für Non-Profit-Organisationen
6.2.3.2 Praktische Umsetzung der Balanced Scorecard exemplarisch dargestellt am Beispiel einer Werkstatt für behinderte Menschen
6.2.4 Experteninterview zum strategischen Management
6.3 Qualitätsmanagement
6.3.1 Das EFQM-Modell für Excellence – ein TQM-Ansatz für die Soziale Arbeit
6.3.1.1 Grundstruktur des EFQM-Modells für Excellence
6.3.1.2 Die einzelnen Elemente des Modells im Überblick
6.3.1.3 Selbstbewertung als Beobachtungsinstrumentarium
6.3.2 Qualitätsmanagement nach DIN ISO 9000:2000 ff.
6.3.3 Praktische Erfahrungen mit der Anwendung des EFQM-Modells für Excellence bei einem Träger des Beschäftigungs- und Qualifizierungsförderung
6.3.3.1 Entscheidung für die Implementierung des EFQM-Modells
6.3.3.2 Anwendung des EFQM-Modells
6.3.3.3 Erste Ergebnisse
6.3.4 Die BSC und das EFQM-Modell für Excellence
6.3.5 Die BSC und ISO 9000:2000
6.3.6 Gemeinsamer Einsatz des EFQM-Modells für Excellence als Bewertungsinstrument, ISO 9000: 2000 und Balanced Scorecard
6.3.7 Experteninterview zum Qualitätsmanagement
6.4 Kommunale Träger: Neues Steuerungsmodell
6.4.1 Reformbedarf in der öffentlichen Verwaltung
6.4.1.1 Veränderte Rahmenbedingungen und Steuerungsmängel
6.4.1.2 Finanzkrise der Kommunen: die Reform kommt in Bewegung
6.4.2 Kernziel der Restrukturierungsmaßnahmen
6.4.3 Das Neue Steuerungsmodell (NSM)
6.4.3.1 Entstehung und Einordnung
6.4.3.2 Elemente des Neuen Steuerungsmodells
6.4.3.2.1 Definition und Beschreibung von Produkten als outputorientierte Steuerung
6.4.3.2.2 Budgetierung als haushaltstechnisches Steuerungsinstrument
6.4.3.2.3 Kontraktmanagement: Steuerung über Leistungsvereinbarungen und Verträge
6.4.3.2.4 Controlling und Berichtswesen
6.4.3.2.5 Dezentralisierung und Delegation von Verantwortung
6.4.3.3 Aktivierung durch Wettbewerb
6.4.4 Experteninterview zum Neuen Steuerungsmodell
7 Problemanalyse und Praxisbeurteilung
7.1 Kommunale Träger: Neues Steuerungsmodell
7.1.1 Umsetzungsstand und kritische Betrachtung
7.1.1.1 Schwierigkeiten bei der Umsetzung institutioneller Veränderungen
7.1.1.2 Veränderungen im Verwaltungshandeln
7.1.1.3 Nicht-intendierte Effekte
7.2 Freie Träger der Wohlfahrtspflege
7.3 Qualitätsmanagement
7.4 Allgemeines und Zusammenfassung
8 Persönliche Stellungnahme - Vision
Anhang
Anhangverzeichnis
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Struktur der Pädagogik (Quelle: in Anlehnung an LENZEN 1989, S. 114 f.).
Abbildung 2: Hermeneutischer Zirkel (Quelle: ROTH 1991, S. 38).
Abbildung 3: Maslowsche Bedürfnispyramide (Quelle: in Anlehnung an MASLOW 1954, S. 100)
Abbildung 4: Markt-Preis-Mechanismus (Quelle: in Anlehnung an SCHIERENBECK 1989, S. 19)
Abbildung 5: Der Dienstleistungsbegriff (Quelle: in Anlehnung an BIEGER 2000)
Abbildung 6: Der Non-Profit-Sektor als intermediärer Bereich (Quelle: ARNOLD 2003, S. 196, EFFINGER 1996)
Abbildung 7: Merkmale der Sektoren der Wohlfahrtsproduktion (Quelle: in Anlehnung an EVERS/OLK 1996)
Abbildung 8: Signifikante Unterscheidungsmerkmale von Wirtschaftsgütern und personenbezogenen sozialen Dienstleistungen (eigene Darstellung)
Abbildung 9: Soziale Arbeit als personenbezogene soziale Dienstleistung (Quelle: FINIS SIEGLER 1997, S. 107)
Abbildung 10: Gegenstand der Sozialökonomie (Quelle: Scheibe-Jaeger 2002, S. 27)
Abbildung 11: Organisationssoziologische Handlungsebenen (vgl. WENDT 2000, S. 34)
Abbildung 12: Ebenen und Instrumente der Sozialwirtschaft (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 13: Unterschiede in wichtigen Strukturmerkmalen von Unternehmung und NPO (Quelle: FINIS SIEGLER 1997, S. 45 f.)
Abbildung 14: Sozio-ökonomische Rationalität in Non-Profit-Organisationen (Quelle: FINIS SIEGLER 1997, S. 141)
Abbildung 15: Bezugssysteme sozialwirtschaftlicher Dienstleistungsunternehmen (Quelle: PUCH/WESTERMEYER 1996, S. 26)
Abbildung 16: Mögliche Managementansätze in sozialwirtschaftlichen Organisationen
Abbildung 17: Der standardisierte KVP-Ablauf (Quelle: in Anlehnung an WITT)
Abbildung 18: Die Aufgaben des Controlling (eigene Darstellung)
Abbildung 19: Elemente des Risikomanagementsystems (Quelle: EISENREICH et al 2005, S. 111)
Abbildung 20: Die Balanced Scorecard (Quelle: KAPLAN/NORTON 1997, S. 9)
Abbildung 21: Die interne Wertkette (Quelle: KAPLAN/NORTON 1997, 93)
Abbildung 22: Das DuPont-Schema (Quelle: nach SCHIERENBECK 2000, S. 68)
Abbildung 23: Systematisierung nach „harten“ und „weichen“ Kennzahlen (Quelle: in Anlehnung an EISENREICH 2005, S. 26)
Abbildung 24: Gegenüberstellung von Effizienz und Effektivität (eigene Darstellung)
Abbildung 25: Zusammenhang zwischen input, output, outcome, Effizienz und Effektivität (Quelle: in Anlehnung an TIPPELT 1998, S. 110)
Abbildung 26: Produktionstheoretische Betrachtung von Dienstleistungen in Verbindung mit Qualitätsdimensionen (Quelle: in Anlehnung an MALERI 1994, S. 80)
Abbildung 27: Trägerstruktur der Sozialen Arbeit (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 28: Die Finanzierungsstruktur der Freien Wohlfahrtspflege (eigene Darstellung)
Abbildung 29: Die Freie Wohlfahrtspflege im Überblick (Quelle: BAGFW 2002)
Abbildung 30: Die Balanced Scorecard des May Institutes, USA (Tätigkeitsbereiche: Psychologische Betreuung, Bildung und Rehabilitation für Erwachsene und Kinder (Quelle: KAPLAN/NORTON 2001, S. 133)
Abbildung 31: Externe Einflussfaktoren auf die WfbM (eigene Darstellung)
Abbildung 32: SWOT-Analyse einer WfbM (eigene Darstellung)
Abbildung 33: BSC einer WfbM (vgl. LEIMENSTOLL et al 2004, S. 45 f.)
Die BSC weist für NPO´s die Chance auf, dass individuelle Wirkungsketten entwickelt werden können, wodurch die Berücksichtigung der Sachzielorientierung und Vielfalt von Anspruchsgruppen möglich ist. In verallgemeinerter Form sollte die BSC wie folgt aufgebaut sein (
Abbildung 34: Sinnvoller Aufbau einer Wirkungskette einer NPO
Abbildung 35: Das EFQM-Modell für Excellence (Quelle: EFQM 1999a, S. 8)
Abbildung 36: Systematik der Bewertung mit der RADAR-Card für Befähiger- und Ergebniskriterien (Quelle: EFQM 1999b, S. 33)
Abbildung 37: Das Prozessmodell der ISO 9000:2000 (Quelle: in Anlehnung an VOMBERG 20004, S. 120).
Abbildung 38: Reformelemente des NSM (Quelle: in Anlehnung an BOGUMIL/KUHLMANN 2004, S. 52)
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einführende Darstellung der Thematik
1.1 Relevanz der Thematik
Tiefgreifende Veränderungen ökonomischer, struktureller, technologischer und gesellschaftlicher Art charakterisieren die gegenwärtige Zeit. Angefangen bei der Globalisierung und Internationalisierung der Märkte können beispielhaft die steigende Innovationsdynamik, Ausgliederungen, Privatisierungen, das Entstehen von Käufermärkten und Änderungen im Werte- und Anspruchsverhalten der Menschen genannt werden (vgl. KOLB 1992, S. 38, SCHULZ 2000, S. 1). Unternehmen, die unter den verschärften Wettbewerbsbedingungen erfolgreich am Markt agieren wollen, müssen durch Geschwindigkeit, Anpassungs- und Innovationsfähigkeit den gewandelten und durch „neue Unübersichtlichkeiten“ (HABERMAS 1985) gekennzeichneten Anforderungen gerecht werden. Hierbei ist es ebenso wichtig wie notwendig das intellektuelle Kapital ihrer Mitarbeiter[1] als so genannte Humanressourcen zu erkennen, zu nutzen und zielorientiert einzusetzen. Mit diesen ungewissheitsbelasteten Rahmenbedingungen und vorhandenen sozialen Problemen sehen sich sowohl erwerbswirtschaftliche Unternehmen als auch zunehmend Non-Profit-Organisationen (NPO) der Freien Wohlfahrtspflege[2] sowie öffentliche Träger von Bund, Ländern und Kommunen konfrontiert.
Der Themenbereich Ökonomie gewinnt in der Sozialen Arbeit und der Sozialpolitik immer mehr an Bedeutung. Forciert durch die neoliberal gekennzeichnete Entwicklung zu mehr Markt und Wettbewerb in Europa steigt die Notwendigkeit, dass sich NPO´s verstärkt als „Partner der Wirtschaft“ verstehen und dementsprechend „marktorientiert“ agieren[3]. Dies setzt Verständnis wirtschaftspolitischer Zusammenhänge und Kenntnisse über Grundlagen wirtschaftlichen Denkens und ökonomisch-unternehmerischen Handelns voraus, welche zunehmend auch von den Mitarbeitern sozialer Dienstleister eingefordert werden. Wissen über Aspekte der Wirksamkeit, der Messbarkeit, der kausalen Wirkungszusammenhänge, der Prognose von Wahrscheinlichkeiten von Fallverläufen und des sozialpädagogischen Grenznutzens sind demnach unverzichtbar für sozialwirtschaftlich agierende Organisationen. „Das Ökonomische darf keine Tabuzone für die Sozialarbeit sein oder bleiben.“ (GRÜNDGER 1988) Nur durch den kontinuierlichen Dialog zwischen Wirtschaft und Sozialer Arbeit wird es möglich sein, sich dem zunehmenden Konflikt zwischen ökonomischer Notwendigkeit und sozialstaatlicher Verantwortung zu stellen (vgl. SCHWARZ 2001, S. 60). Die Diskussion über Effektivität, Effizienz und diesbezüglich über Sozialmanagement muss offensiv durch Vertreter der Sozialarbeit diskutiert werden, um nicht von falsch geführten Kosten-Argumenten überfahren werden zu können (vgl. GEHRMANN/MÜLLER 1999, S. 16). Der wirtschaftliche Ressourceneinsatz in der Sozialen Arbeit bedeutet formal rational zu handeln, das heißt das Ökonomische Prinzip auf den zu erfüllenden sozialen Auftrag anzuwenden. Es geht also nicht darum, Gewinnmaximierung im Sinne der Erreichung von Rentabilitätszielen zu betreiben. Auch das Interesse sozialer Dienstleistungsanbieter muss notwendigerweise dahin gehen, ihren sozialen Auftrag ressourcenschonend umzusetzen. Thema von Effizienz in der Sozialen Arbeit kann daher weder Gewinnmaximierung noch Rentabilität sein, vielmehr geht es um Wirtschaftlichkeit. „Eine soziale Ökonomie (vgl. ETZIONI/LAWRENCE 1991; BÜRGERMEIER 1994) ist auf ein unreduziert breites Verständnis von Wirtschaften in allen Lebensbereichen angewiesen. Danach schließt auch die Sozialarbeitswissenschaft von vornherein die Erörterung ökonomischer Fragen ein, denn ihr Thema ist das individuelle und gemeinsame Zurechtkommen im Leben heutzutage.“ (WENDT 2000, S. 60)
Die Ökonomik der Sozialen Arbeit hat demnach einen anderen Charakter als die 1:1 Ökonomisierung Sozialer Arbeit durch Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre. Vielmehr will die Ökonomik die Effizienz (Wirtschaftlichkeit) mit der Effektivität (Wirksamkeit) Sozialer Arbeit verbinden, z. B. durch die Verbesserung der Sozialen Arbeit mit Managementmethoden oder den verstärkten Einbezug von Nutzerinteressen. Gelingt es der Sozialen Arbeit nämlich, ihre Wohlfahrtsproduktion[4] ökonomisch darzulegen, könnte darin eine Gegenstrategie zu einer fremdbestimmten Ökonomisierung Sozialer Arbeit bestehen.
In diesem Sinne plädieren auch STAIBER und KUHN für mehr Menschlichkeit durch Soziales Unternehmertum. Je mehr und je besser sich die Soziale Arbeit auf eine rationelle, nachfrageorientierte und qualitätskontrollierte Leistungserbringung versteht, desto mehr und besser wird sie ihrem humanen bzw. sozialen Auftrag gerecht (vgl. STAIBER/KUHN 2000, S. 68 ff.).
Neue Steuerung, New Public Management, Effizienz, Effektivität, Kundenorientierung, dezentrale Ressourcenverantwortung, outputorientierte Steuerung, Controlling und Budgetierung sind Schlagworte, welche die aktuelle Diskussion über die Bedeutung betriebswirtschaftlichen Denkens und Handelns in der Sozialen Arbeit, in sozialen Unternehmen und in öffentlichen Verwaltungen charakterisieren.
Soziale Einrichtungen und Kommunen sind gezwungen wirtschaftlich, das heißt ökonomisch mit den knappen zur Verfügung stehenden Ressourcen umzugehen, um den ihnen übertragenen sozialen Auftrag erfüllen zu können.
Kritisch zu sehen sind die häufig vorgenommene Gleichstellung und der reduzierte Einsatz der Begrifflichkeiten “Ökonomik” und “Ökonomisierung” in diesem Zusammenhang. Entgegen der eigentlichen Intention der Anwendung ökonomischer Denk- und Entscheidungsprinzipien im sozialen Bereich, wird deren Inhalt fälschlicherweise auf ein einseitig verstandenes Kosten-Nutzen-Denken zu Lasten fachlicher Gesichtspunkte herunter gebrochen. Dabei wird häufig ausgeblendet, dass es einer Ökonomik Sozialer Arbeit vorrangig um Verbesserung durch Restrukturierung und die Aufforderung zur Auseinandersetzung mit Zielen und Wirksamkeit Sozialer Arbeit geht. (vgl. FINIS SIEGLER 1997, S. 9). Kurz gesagt: ökonomische Entscheidungsregeln und Terminologie werden in der praktischen Anwendung als Deckmantel für Mittelkürzungen und Ausgabendeckelung missbraucht.
Unbestritten haben Bund, Länder und Kommunen einen hohen Bedarf, ihre Haushalte zu konsolidieren. Vor diesem Hintergrund desolater Staatsfinanzen, Diskussionen um den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Erkenntnis, dass die öffentliche Verwaltung einen Wettbewerbsfaktor darstellt, wird seit mehr als zehn Jahren die Debatte um die Modernisierung und Umgestaltung der Kommunalverwaltung mittels Einführung des Neuen Steuerungsmodells (NSM) geführt (vgl. HILL 1997, S. 67 f.).
Die öffentliche Verwaltung steht der Forderung, der unausweichlichen Notwendigkeit gegenüber, ihr Image, ihre Kundenorientierung und vor allem ihre Effizienz (wirtschaftliche Rationalität) und Effektivität (technische Rationalität) zu verbessern. Aber nicht nur von außerhalb, sondern auch aus den eigenen Reihen wird der Modernisierungsdruck zunehmend stärker (vgl. RICKARDS 1997, S. 184 f.).
Einen konkreten Vorschlag hat die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung mit dem NSM erarbeitet, das zur Zeit noch auf kommunaler Ebene erprobt wird und hier für sehr viel Unruhe gesorgt hat. Die Zielstellung des Steuerungsmodells besteht vor allem darin, die lokalen Verwaltungen in Dienstleistungsanbieter mit unternehmensähnlichen Strukturen umzuwandeln, wobei bereits Zweifel an der Übertragbarkeit von Managementkonzepten aus der Privatwirtschaft auf den öffentlichen Sektor bestehen (vgl. OTTING 1997, S. 237 ff.; PALANDT 2004, S. 145).
Neben der langfristigen Konstruktion der öffentlichen Verwaltung geht es hierbei außerdem um den Rahmen der praktizierten kommunalen Sozialpolitik (und zeitversetzt den der freien Wohlfahrtsverbände), die die Praxis der Sozialen Arbeit insgesamt grundlegend verändern wird. Angestrebt ist eine flächendeckende Anwendung der neuen Steuerung auf alle Bereiche der Kommunalverwaltung, wobei auch die Sozial- und Jugendhilfe in diese umfassenden und grundlegenden Veränderungen einbezogen ist. Die sich abzeichnende Tendenz zu mehr Markt, Wettbewerb und überprüfbaren Leistungen[5] auch im Non-Profit-Sektor hat in den letzten Jahren bereits eine heftige Diskussion der “Ökonomisierung Sozialer Arbeit ausgelöst. Die Reaktionen der Fachvertreter der Sozialen Arbeit reichen dabei von konsequenter Ablehnung bis hin zu kritischer Prüfung (vgl. FINIS SIEGLER 1997, S. 145 ff.). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass ökonomisches Denken häufig in Gegensatz zu sozialem Handeln gesetzt wird. Aber „nicht die Ökonomie verunmöglicht Identität, sondern mangelnde Einbeziehung ökonomischer Rahmenbedingungen sabotiert die Möglichkeiten, identitätsstiftend zu arbeiten, indem auf diese Weise die Möglichkeiten der Organisation ruiniert werden“ (KLUG 2000, S. 65).
1.2 Erziehungswissenschaftlicher Bezug
Um den Bezug der bearbeiteten Thematik zur Erziehungswissenschaft angemessen darstellen zu können, ist eine kurze Exkursion zu den Definitionen, Entwicklungen und Methoden der Erziehungswissenschaft erforderlich.
Die vom Brockhaus Lexikon angebotene Definition von Erziehungswissenschaft reicht in diesem Zusammenhang auf Grund der Kürze lediglich zum Einstieg in die Thematik: “Erziehungswissenschaft, Teilbereich der Pädagogik, der sich mit der Erforschung der mit Erziehung und Bildung zusammenhängenden Prozesse, Institutionen und deren historisch-gesellschaftlichen Kontext beschäftigt.“
Doch sie gibt auch das Stichwort der Verbindung zwischen der Erziehungswissenschaft und der Pädagogik. Um die Entwicklung der Erziehungswissenschaft im weiteren Verlauf des Abschnittes besser erfassen zu können, ist der zunächst folgende Umweg über die geschichtliche Entwicklung der Pädagogik hilfreich.
1.2.1 Die Geschichte der Pädagogik als Entwicklungsgeschichte der Erziehungswissenschaft
Die Bildung und damit verbundene theoretische Entwicklung und Bildungspolitik war durchgängig eine der elementarsten Grundbestandteile und Entwicklungspunkte der Pädagogik.
Die Geschichte der Pädagogik geht wie die meisten Wissenschaften auf Wurzeln in der griechischen Antike zurück. Dort entstand die Idee der Bildung als Vorbereitung für das gesellschaftliche Leben in den Stadtstaaten. Bildung war in diesem Zusammenhang immer gleichzusetzen mit politischer Bildung und gesellschaftsrelevanten philosophischen Ansätzen. Ihre Fortsetzung fand die geschichtliche Entwicklung der Pädagogik in der römischen Verschmelzung des griechischen Erbes mit den Idealen des virtus (= Tugend) durch Cicero. In der römischen Gesellschaft wurde die Pädagogik zur Vermittlung elementarer Schreib- und Lesekenntnisse, Grammatik und Rhetorikkünste in Verbindung mit gesellschaftlichen Primärtugenden für Kinder der Oberschicht genutzt.
Der nächste größere Entwicklungsschritt vollzog sich in der Entstehung des mittelalterlichen Bildungssystems, in dem vorrangig neben den adeligen Kindern der kirchliche Nachwuchs in den sieben freien Künsten (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie) unterrichtet wurde.
Betrachtet man das Mittelalter jedoch genauer, so gab es dort keine pädagogischen Einrichtungen im eigentlichen Sinne. Die Jugend der Landbevölkerung wuchs durch „mit-tun“ in ihre Gesellschaft, während die Handwerker durch ihre Zunftzugehörigkeit in der jeweiligen Handwerkskunst ausgebildet wurden. Ein erster wirklicher pädagogischer Umbruch wurde erst durch den zunehmenden Handel der Kaufleute des 13.Jahrhunderts ausgelöst, der überwiegend schriftlich abgewickelt wurde. Doch diese Entwicklung erfolgte in vergleichsweise langsamen Schritten. Erst im 15. – 16. Jahrhundert wurden die von Martin Luther (1483 - 1546) geforderten „Volksschulen“ gegründet, zu denen jeder Zugang haben sollte (vgl. GUDJONS 2003, S. 76).
GUDJONS betrachtet den weiteren Weg der Pädagogik epochal, so ergeben sich folgende Weiterentwicklungsschritte:
1. Epoche: „Umbruch vom Mittelalter zur Moderne“
Dieser Umbruch vollzog sich im 17. Jahrhundert durch die fortschreitende Entwicklung zur Aufklärung. Comenius entwirft die Pansophie und stellt damit den Gesamtzusammenhang der Wissenschaften her, die zugleich Gottes- und Welterkenntnis vereinen und allen Menschen durch „gründliche Lehren“ zugänglich gemacht werden sollen. In diesem Rahmen entsteht Comenius Programm für ein gestaffeltes Schulsystem, mit einer Mutterschule, einer Grundschule, einer Lateinschule und der Universität.
2. Epoche: Die Aufklärung und das „pädagogische Jahrhundert“
Der Zeittraum zwischen dem 17. und dem 18. Jahrhundert sind geprägt durch die Folgen der Aufklärung beginnend im 17. Jahrhundert und werden auch als pädagogisches Jahrhundert bezeichnet. Wie in vielen geisteswissenschaftlichen Bereichen entwickelte sich auch in der Pädagogik eine Vielzahl von Strömungen von denen hier nur einige stellvertretend und kurz erwähnt werden können.
Vordenker wie John Locke und Immanuel Kant versuchen die Menschen an der Aufklärung des Verstandes teilhaben zu lassen. Beide verfolgen jeweils in ihren Utopien und ihrer Zeit das Ziel den Menschen über die Verstandes- und die sittliche Bildung in ein „paradiesisches Reich der Glückseligkeit und Freiheit“ zu führen.
John Locke (1632 - 1704) will den menschlichen Geist nach einem Zustand des tabula rasa von außen mit Wissen, Verstand und sittlichen Normen füllen. Er will in diesem Sinne alle Stände in gleicher Weise erziehen.
Immanuel Kant (1724 - 1804) sieht in der Aufklärung den Ausgang des Menschen aus „seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (KANT 1968, S. 53 in GUDJONS 2003, S. 80). Kant ist einer der überzeugtesten Vertreter des Wahlspruches der Aufklärung: „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, dessen Berücksichtigung das Vertrauen in die Kraft der menschlichen Vernunft und deren Sieg über das Bedürfnis nach Anleitung durch Traditionen und Autoritäten bewirken soll. Mit dieser Betonung des eigenen Denkens ist Kant einer der bedeutendsten Vertreter einer der beiden großen Linien der Aufklärung. Auf die durch die Philantropen vertretene zweite Linie der Vermittlung von Wissen und Belehrung wird im Folgenden noch eingegangen.
Gemäß Max Weber brachte die Aufklärung drei grundlegende Systeme als Innovationen hervor:
1. Das kulturelle System moderner Wissenschaften, der Erziehung und der Bildung
2. Das politisch- administrative System mit den zentralisierten politischen Institutionen des modernen Verfassungsstaates
3. Das ökonomische System mit der beginnenden kapitalistischen Marktwirtschaft
Nach Webers Einschätzung entwickelte sich die Gesellschaft zu einer Lerngemeinschaft, in der die Erziehung einen unwiderruflichen Bestandteil der Moderne bildet. Die Industriealisierung mit ihren Nebenwirkungen sieht Weber hierbei zunehmend als negative Auswirkung. Wie Weber später, beschäftigen sich in den folgenden Jahrzehnten viele bekannte Vordenker auf unterschiedliche Weise mit diesem gesellschaftlichen Phänomen und verbinden oder vermeiden es in ihren pädagogischen Theorien, Umsetzungen oder den zugrundeliegenden Menschenbildern. Auch in diesem Zusammenhang seien nur einige kurz erwähnt:
Jean-Jaques Rousseau (1712 - 1778) gilt zugleich als Repräsentant und Überwinder der Aufklärung. Seine Grundthese: „Der Mensch ist von Natur aus gut, allein die Institutionen machen ihn böse“ (ROUSSEAU 1762 in GUDJONS 2003, S. 83) bilden die Grundlage für seine Forderung nach einer Erziehung, die der natürlichen Entwicklung und dem Gang der Natur folgt. Der Erzieher ist in diesem Zusammenhang der Stellvertreter der Natur und des „allgemeinen Willens“.
Die Philantropen wurden gebildet von einer Gruppe Pädagogen, die zwischen 1750 und 1800 großen Einfluss auf die Entwicklung der pädagogischen Theorie und das Schulwesen hatten. Ihre führenden Vertreter waren u. a. Y. B. Basedow (1724 – 170), J. H. Campe (1746 – 1818), C. G. Salzmann (1744 – 1811) , F. E. Rochow (1734 – 1805). Sie galten lange Zeit als besonders menschenfreundlich und erstrebten, beeinflusst durch Rousseau, den religiös aufgeklärten, sittlichen, wirtschaftlichen und vernünftigen Menschen. Kritisch betrachtet muss jedoch die Frage gestellt werden, ob bei dieser Pädagogik der „aufgeklärte“ Mensch und das Ziel der Ausbildung aller menschlichen Kräfte nicht doch nur auf seine wirtschaftliche Brauchbarkeit und damit auf den „homo oeconomicus“ zusammenschrumpft.
Die Industrieschulen lassen sich dieser Zweckausrichtung noch eindeutiger zuordnen. Die Gründung der Industrieschulen erfolgte zu dem Zweck, die Kinderarbeit mit einer Form von Elementarschulunterricht zu verbinden. Dominierendes Bildungsideal war die Erreichung der „Industriosität“ mit Eigenschaften wie Emsigkeit, Produktivsein, Fleiß, Erfindungsgabe, Geschichte und Sparsamkeit. Diese Eigenschaften entsprachen den Fähigkeiten die als Ideal für das Bürgertum, die Bauern und landlose „Arme“ galten.
Aus dieser Zeit entwickelte sich aber auch eine Form der Pädagogik die das Merkmal „menschenfreundlich“ tatsächlich verdient.
Johann Heinrich Pestalozzi (1746 - 1827) entwickelte sich zu einem Volkspädagogen und Philosophen. Er gründete eine Schule in der er arme Kinder aufnahm und unterrichtete. Sein zentrales Anliegen war es die allgemeine Menschenbildung über alle Berufs- und Standesbildung zu stellen. Seinem Menschenbild entsprechend, durchlaufen Menschen drei Zustände der Menschseinsentwicklung, die zugleich die drei Schichten jedes Menschen darstellen.
Den tierischen Zustand
Den gesellschaftlichen Zustand
Den sittlichen Zustand
Seine Ideologie fußte auf der persönlichen Erkenntnis, dass menschliches Leben sich ohne Erziehung nicht vollenden kann.
3. Epoche: Die deutsche Klassik – Erziehung und Bildung in der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft (1800 - 1900)
Die dritte Epoche der Pädagogikentwicklung ist geprägt durch die zunehmenden, kulturellen Einflüsse des entstehenden Bürgertums und ihrer bekannten Pädagogen.
Schleiermacher mit der Betonung des Denkens in Gegensätzen sieht Erziehung als individuelle und universelle Aufgabe mit der Aufgabe der Kulturerhaltung und –verbesserung.
Fröbels (1826) sieht das Kind als unverstelltes Wesen und entwickelt auf dieser Basis die Vorschulpädagogik.
Herder entwickelt seinen anthropologischen Entwurf des Menschen als erstem „Freigelassenen der Natur“ verbunden mit der Freiheit und Verantwortung des Menschen.
Condorcet entwirft ein erstes Gesamtschulkonzept.
Wilhelm von Humboldt (1767 - 1835) entwickelt als Vertreter des Neuhumanismus eine Strukturreform des preußischen Schul- und Universitätswesens, dass Deutschland lange Zeit einen Vorsprung als Kulturnation vor seinen Nachbarländern schenkte. Seine Auseinandersetzung mit dem Bildungssystem basierte auf einer kritischen Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Situation und damit den Rahmenbedingungen von Bildung und Erziehung.
4. Epoche Der Protest – Die Reformpädagogik (1900 - 1933)
Die Epoche der Reformpädagogik stellt ein nationales und internationales Phänomen der theoretischen Uneinheitlichkeit dar. Sie ist gekennzeichnet von sehr heterogenen pädagogischen und politischen Strömungen, u. a. ausgelöst durch die Kriegserfahrungen und die damit verbundene tiefe Erschütterung und Ernüchterung des (Kultur-) Bürgertums. In ihrem Rahmen entwickelten sich Strömungen bekannter Kulturkritiker wie J. Langbehn mit seiner Kritik am Verfall von Bildung, Kunst und Kultur und F. Nietzsche dessen Kritik am Historismus der Bildung in eine destruktive Moralkritik mündete. Parallel erstarkten soziale, sozialpolitische und sozialpädagogische Strömungen, in deren Feld u. a. die Frauenbewegung mit H. Lange und G. Bäumer für das aktive und passive Wahlrecht der Frauen kämpften, in dem sie für das Thema sensibilisierten und mobilisierten. Neben dieser sehr politischen Bewegung entwickelten sich aber auch sehr „unpolitische“ Jugendbewegungen mit Inhalten wie Naturverbundenheit.
Ohne damit eine Gewichtung oder Bewertung vornehmen zu wollen, wurden stellvertretend für die Vielzahl der pädagogischen Richtungen dieser Epoche folgende Vertreter stichwortartig erwähnt:
Ellen Key mit ihrer Forderung umfassend und radikal aus der Sicht des Kindes zu denken und damit ein „Jahrhundert des Kindes“ zu beginnen.
B. Otto dem die Einführung der Hauslehrerschule zugerechnet wird.
P. Oestreicher mit seiner Idee der „Elastischen Einheitsschule“.
G. Kerschensteiner entwarf mit seiner Idee der Schule der Selbsttätigkeit und Arbeitsschule, die das Ziel der Charakterformung durch Selbstüberwindung und Ausdauer bei der Arbeit proklamierte, die Grundlage für die ersten Berufsschulen.
5. Epoche: Nationalsozialismus (1933 - 1945)
Die sachliche Beschreibung der Pädagogik im Nationalsozialismus, muss eigentlich jedem demokratischen Pädagogen schwer fallen. Es drängt sich sofort die Frage auf: Kann man Grundsätze des Nationalsozialismus als „pädagogisch“ bezeichnen? Dennoch haben auch in dieser Epoche „nazifizierte“ Pädagogen ebenso wie die Gruppe der „schweigenden Anderen“ ihre pädagogischen Fähigkeiten eingebracht in die bildungspolitischen Anforderungen der sie umgebenden gesellschaftlichen und politischen Struktur.
„In der bildungspolitischen Praxis konzentrierte sich der vor allem auf vier Schwerpunkte.
1. Das Schulwesen wurde inhaltlich und organisatorisch vereinheitlicht.
2. Eingliederung der Jugend in Parteiverbände, um deren Bindung an den Führerstaat und deren politische Erziehung unabhängig von Schule und Elternhaus zu betreiben.
3. Negative Selektion „rassistisch minderwertiger“ und positive Selektion befähigter deutscher Kinder.
4. Aufbau eines Systems von außerschulischen Fort- und Ausbildungsstätten für Partei- und Beamtennachwuchs.“ (GUDJONS 2003, S. 104)
Nachvollziehbarerweise entstanden in dieser Zeit keine innovativen pädagogischen Konzepte, Theorien und Strömungen.
Nach 1945 wurde die Möglichkeit einer grundsätzlichen Neuorientierung und Aufarbeitung des Faschismus nur sehr zögerlich genutzt.
„Die Chance einer grundlegenden Neugestaltung des Schul- und Bildungswesens (selbst angesichts des massiven Drucks der Amerikaner in Richtung eines Einheitsschulwesens) wurde verpasst. Stattdessen wurde punktuell und ohne Konzept an Einzelheiten der Reformpädagogik angeknüpft.“ (GUDJONS 2003 S 105)
Die weitere geschichtliche Entwicklung fasst GUDJONS im Folgenden kurz und prägnant zusammen:
„Die 50er Jahre gelten allgemein als Epoche einer generellen Restauration (Arbeitsgruppe …1994), d. h. der Wiederherstellung traditioneller Bildungsstrukturen auf ganzer Linie.
Erst in den 60er und vor allem 70er Jahren kommt es zu einem erheblichen „Modernisierungsschub“: Kritik herkömmlicher Bildungseinrichtungen von der Schule bis zur Hochschule setzt ein (bei der feierlichen Immatrikulation von Studierenden durch die in Roben einmarschierenden Professoren wurde 1968 in Hamburg das berühmte Schock-Transparent enthüllt: „Unter den Talaren – Muff von tausend Jahren“) Die allgemeine Reformwelle erfasst auch die Schulen, den Lehrplan und die Unterrichtsgestaltung.
Die 80er Jahre bringen aufgrund der Finanzsituation („Diktat leerer Kassen“) u. a. den totalen Einstellungsstopp von Pädagogen, ein weiteres Abebben der Berufsverbote wegen der Zugehörigkeit zu verfassungsfeindlichen Organisationen (z. B. der heute längst vergessenen DKP), den Kampf um die Erhaltung der wenigen bildungspolitischen Reformen.
Die 90er Jahre schließlich kann man als „Ökonomisierung“ des Bildungswesens bezeichnen: Effizienz, Standort Deutschland, Exzellenz, Kosten-Nutzen-Rechnungen u. a. m. sind Schlagworte, die „Bezahlbarkeit“ und „maximale Optimierung“ zu verbinden suchen.“ (GUDJONS 2003, S. 106)
An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass dem Verfasser bewusst ist, das der Exkurs in die Geschichte der Pädagogik sehr fragmentarisch dargestellt wurde.
Der Sinn der Ausführung zur pädagogischen Entwicklungsgeschichte wird von Seiten des Verfassers in der Verdeutlichung der seit der Entwicklung der Pädagogik durchgängigen, grundsätzlichen Vielschichtigkeit und Verknüpfung von didaktisch pädagogischen Kompetenzen mit den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gesehen. Neben den gesellschaftsstabilisierenden, auf die gesellschaftlichen Anforderungen vorbereitenden und Herrschaftsinteressen exekutierenden Funktionen der Pädagogik, war sie immer auch mit der Berücksichtigung, Unterstützung und Optimierung der jeweiligen beruflichen und wirtschaftlichen Fortentwicklung befasst. Diese intensive Nähe zu den gerade aktuellen gesellschaftlichen Problemen und Anforderungen im Rahmen der konzeptionellen, theoretischen Entwicklung von Lösungen in Verbindung mit der besonderen Kenntnis der Adressaten pädagogischer Konzepte, machte die Pädagogik auch zu einer Schnittstelle mit gesellschaftskritischer Warnmelderfunktion und eine Entwicklungsstätte gesellschaftlicher Reformideen.
Um die eigentliche Zielsetzung der Arbeit nicht unbotmäßig zu überfrachten, endet diese geschichtliche Pädagogikdarstellung nach der 5.Epoche. Die Entwicklung der Nachkriegspädagogik wird im Rahmen der folgenden Abgrenzung zwischen Pädagogik und Erziehungswissenschaften gemeinsam behandelt und zu den Methoden erziehungswissenschaftlicher Analysen weiterführen.
1.2.2 Erziehungswissenschaftliche Schwerpunkte
Einen guten Einstieg in diesen Abschnitt ermöglicht H. GUGJONS „Pädagogisches Grundwissen“, das mit folgendem Zitat die Einführung in die Vielschichtigkeit der Erziehungswissenschaft beginnt:
„Ein bekannter Professor hat vor nicht sehr langer Zeit folgende Meinung über die Erziehungswissenschaft geäußert; er habe festgestellt: „Was sich heute wissenschaftliche Pädagogik nennt und auf pädagogischen Lehrstühlen gelehrt und verkündet wird …, sei keineswegs die systematische Klärung der Wissensbestände über Erziehung; es sei eher ein buntscheckiges Gemisch von Moden, persönlichen Steckenpferden, humanitären Idealen und manchmal einem etwas blauäugigen politischen Engagement.“ (BITTNER 1989, S. 215 f. in GUDJONS 2003, S.19)
Die Erziehungswissenschaft besteht heute aus einer Vielzahl von Einzeldisziplinen, die durch den gemeinsamen Namen verbunden sind. Es existiert ebenso wenig eine einheitliche Sicht über fundamentale Begriffe und Methoden der Erziehungswissenschaft wie ein daraus resultierendes Kernstudium (vgl. LENZEN 1989 in GUDJONS). Diese Multiplizität der Erziehungswissenschaft lässt sich mit verschiedenen Entwicklungsaspekten erklären.
Einerseits ist die Erziehungswissenschaft eine vergleichsweise junge Wissenschaft, die seit den 70er Jahren eine extreme Expansion erlebte. Von ihr erwartete die Gesellschaft die (Um-)Gestaltung des Bildungsbereiches auf Grund des gestiegenen Ausbildungsbedarfes und die Lösung der neuen pädagogischen Probleme ebenso, wie Antworten auf Fragen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen. In der erziehungswissenschaftlichen Theorie spricht man daher zunehmend von dem Problem der „Zersplittung“ oder auch „Entgrenzung der Pädagogik“ auf welches an späterer Stelle der Arbeit noch Bezug genommen wird.
„Pluralität, ja „Zersplittung“ kann aber auch gelesen werden als Anzeichen dafür, dass die Erziehungswissenschaft gleichsam seismographisch auf sich ständig wandelnde gesellschaftliche Problemlagen reagiert.“ (GUDJONS 2003, S. 20)
Will man es positiv ausdrücken, so hat die Erziehungswissenschaft sich entsprechend der Komplexität ihres Gegenstandes entfaltet und als „normale Wissenschaft“ etabliert.
„Bereits „Ende der 80er Jahre ist die Pädagogik eine stabile, ausdifferenzierte Disziplin, die alle äußeren Merkmale einer normalen Wissenschaft – wie spezialisierte Subdisziplinen, Wissenschaftsvereinigungen, Fachkommissionen, Zeitschriften und Tagungen – besitzt.“ (BAUMERT/ROEDER 1990, S.76 in GUDJONS 2003, S.21)
Die folgende Differenzierung zwischen Pädagogik und Erziehungswissenschaft gibt hier eine, das Verständnis der Entwicklung fördernde Information über die unterschiedliche Herkunft zweier Begriffe, die heute in der Praxis nahezu identisch verwendet werden.
„Allerdings muss man wissen, dass der Begriff Erziehungswissenschaft seit dem ersten Weltkrieg, verstärkt aber in den 60er und 70er Jahren dieses Jahrhunderts, ein „offensiver“ Begriff war, der zugespitzt den Wissenschaftscharakter dieser Disziplin betonen wollte – gegenüber dem bis dahin vorwiegend gebrauchten Begriff der Pädagogik, der oftmals mit der Erziehungspraxis (bzw. einer „Ausbildung“ für dieselbe) gleichgesetzt wurde. Mit dem Terminus Erziehungswissenschaft sollte ferner vor allem ihre eigene erfahrungswissenschaftliche Komponente betont werden, ebenso die enge Beziehung zu den empirischen Nachbarwissenschaften und auch die Pluralität wissenschaftlicher Konzeptionen, Forschungsmethoden und Denkansätze. – Freilich sieht man bereits an dieser Stelle, dass unter dem scheinbar harmlosen Begriffsgeplänkel eine Tretmine verborgen liegt, auf die man sehr schnell stößt, sobald man etwas tiefer gräbt: die Frage nach dem Verhältnis von wissenschaftlicher Theorie und pädagogischem Handeln, von Wissenschaft und Praxis – und damit die Frage nach dem Wissenschaftscharakter dieses Faches.“ (GUDJONS 2003, S.21)
Eine Übersicht über die strukturelle Vielschichtigkeit der Erziehungswissenschaft mit ihren Ebenen und Subdisziplinen bietet die folgende Abbildung 1.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Struktur der Pädagogik (Quelle: in Anlehnung an LENZEN 1989, S. 114 f.).
LENZEN beschreibt mit seiner Abbildung sehr anschaulich die umfangreiche Anzahl theoretischer Ansätze der Pädagogik ebenso wie die unterschiedliche Entwicklung und praktische Festigung von Subdisziplinen.
Er differenziert hierbei drei Strukturebenen:
Die erste Ebene nennt die wichtigsten Teilgebiete der Pädagogik beginnend mit der „Allgemeinen/Systematischen Pädagogik“ die sich mit dem Grundsätzlichen „…jedes pädagogischen Denkens, …“ den „philosophischen und anthropologischen Voraussetzungen, also…“ mit der generellen „Theorie der Erziehung und Bildung und ihrer Institutionen“ befasst. Trotz der besonderen Relevanz dieser Ebene, durch die Entwicklung des „pädagogischen Grundgedankens“ der für die erziehungswissenschaftliche Theorieentwicklung und Forschung in allen Handlungsfeldern pädagogischer Praxis die Basis darstellt, wird sie dennoch als Subdisziplin neben andere, gleichberechtigte Subdisziplinen dieser Ebene gestellt. Zu diesen Subdisziplinen zählen Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Historische und (Länder-)Vergleichende Pädagogik, Schulpädagogik, Erwachsenenpädagogik sowie Sonderpädagogik und Vorschulpädagogik. Jede dieser Subdisziplinen schafft sich oder hat eine eigene Binnendifferenzierung ihrer Arbeitsbereiche geschaffen.
In der zweiten Ebene finden sich Fachrichtungen, die sich durch den Versuch einer Spezialisierung auszeichnen jedoch noch nicht den Stand einer eigenständigen Subdisziplin erreicht haben. An der unterschiedlichen gesellschaftlichen Relevanz und Bedeutung der verschiedenen Fachrichtungen, dass ihre Wichtigkeit und Bedeutung teilweise erheblichen konjunkturellen oder auch „Mode“-Schwankungen unterworfen sind.
Die dritte Ebene umfasst Praxisfelder wie zum Beispiel die Friedenserziehung, Gesundheitserziehung und Umwelterziehung, die ohne eine eigene Fachrichtung zu bilden zum Gegenstand erziehungswissenschaftlicher Forschung wurden.
Von diesen drei Ebenen grenzt Lenzen einerseits die so genannten „pädagogischen Lehren“ (Beispiel: Montessori-Pädagogik, Waldorf-Pädagogik etc.) „die durch eine meist Gründerbezogene Doktrin zusammengehalten wird und dadurch verschiedene Praxisfelder beeinflussen, ab. Andererseits die wissenschaftlichen Ansätze, Konzepte und Positionen der Erziehungswissenschaft wie z. B. die drei Hauptrichtungen, die geisteswissenschaftliche, die empirische und die kritische Erziehungswissenschaft.
Als kritische Anmerkung zu der Darstellung Lenzens merkt GUDJONS den fehlenden Verweis auf die so genannten Nachbarwissenschaften und die verwandten Disziplinen an.
„Schließlich gibt es noch verwandte Disziplinen wie die Pädagogische Psychologie oder pädagogische Soziologie, die teilweise bei den ursprünglichen Fächern, teilweise in der Erziehungswissenschaft angesiedelt sind.- Worauf diese Skizze nicht ausdrücklich hinweist, ist die übliche Rede von den „Nachbarwissenschaften“ der Pädagogik (also z. B. Philosophie, Soziologie und Psychologie, aber auch Biologie, Medizin u. a. m.), die früher arrogant als „Hilfswissenschaften“ für die Pädagogik bezeichnet wurden. Erziehungswissenschaftliche Forschung und Theoriebildung sind heute ohne diese interdisziplinären Perspektiven nicht mehr denkbar.“ (GUDJONS 2003, S. 24)
Zusammenfassend stellt GUDJONS fest: „ Es gibt keine „verbindliche“ Gliederung und Systematik der Erziehungswissenschaft, ...“ „Insgesamt wird die Erziehungswissenschaft heute als integrierende Sozialwissenschaft verstanden, die auf Interdisziplinarität angelegt ist, auch wenn die Erziehungswissenschaft die Komplexität, Kontingenz (um nicht zu sagen Beliebigkeit) und die Vielfältigkeit ihres „Gegenstandes Erziehung“ in der gesellschaftlichen Entwicklung betont – ja betonen muss“ (KRÜGER/RAUSCHENBACH 1994 in GUDJONS 2003, S. 25).
„Angesichts dieser Differenzierung und Vielfalt der Teilgebiete taucht heute verstärkt die Frage auf, was denn nun eigentlich der Gegenstand einer Wissenschaft sei, die sich „Erziehungs“wissenschaft nennt: Erziehung? Bildung? Sozialisation? Lernen? Lebensbegleitung? Unterstützung in verschiedenen Altersphasen? Das Generationsverhältnis? Oder alles zusammen?“ (GUDJONS 2003, S.25)
Durch die stetige Ausweitung der pädagogischen Berufsfelder in Bereiche von der Altenbildung über betriebliches Personalwesen, vom Redakteur im Kinderfernsehen über die Erwachsenenbildung zur betrieblichen Organisationsentwickler, Managementberater, Personalcoach bis hin zum Konzeptentwickler und Projektmanager im Non-Profit-Bereich drängt sich die Frage nach der Existenz „einer pädagogischen Identität“ auf (vgl. GUDJONS 2003).
„Es scheint eher so, dass pädagogische Berufe sich heute „entgrenzen“, d. h. an ihren Rändern zahlreiche Überschneidungen mit anderen Berufen und Bezugswissenschaften aufweisen. Als mögliche Konsequenz für die Erziehungswissenschaft hat darum D. Lenzen (1997) vorgeschlagen, als Gegenstand und Aufgabe der Erziehungswissenschaft die „professionelle Lebensbegleitung“ zu verstehen. Sie wird damit zur „Wissenschaft des Lebenslaufs und der Humanontogenese“. Einerseits liegt in dieser umfassenden Neudefinition ihres Gegenstandbereiches eine sinnvolle Erweiterung, die der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung trägt.“ (GUDJONS 2003, S. 26)
1.2.3 Methoden der Erziehungswissenschaft
1.2.3.1 Hermeneutisches Verstehen
Die hermeneutische Methode des Verstehens geht in ihren Ursprüngen zurück auf Schleiermacher 1768 - 1834). Hierbei stellt die Hermeneutik keine ausgefeilte Methode sondern eine Auslegungskunst des Verstehens dar.
„Ursprünglich an sprachliche Dokumente gebunden, insbesondere an historisch-literarische Texte, bezieht die Hermeneutik (vor allem in der Pädagogik) „dann aber auch die Erziehungswirklichkeit mit ihren aktuellen Problemen“ (Wulf 1983, S. 27) ein. Doch bis in die Gegenwart hinein gilt leider: Diese Hermeneutik „war meist zu einem intuitiven feinschmeckerischen Wiederkäuen von Klassikertexten heruntergekommen“(HURRELMANN, zit. LENZEN 1984, S. 18). Doch das Verstehen ist derzeit nicht nur wieder hochaktuell, sondern auch eine so grundlegende Methode, dass sich ein kurzer Blick auf ihre wesentlichen Merkmale in jedem Fall lohnt (KÖNIG/ZEDLER 1983, S. 75 ff., TERHARD 1987; RITTELMEYER/PARMENTIER 2001 – mit zahlreichen Beispielen).“ (GUDJONS 2003, S.57)
Den wesentlichen Unterschied zum naturwissenschaftlichen Erklären stellt der Bezug des Verstehens zum Erkennen und Erfassen der Bedeutung, sowohl im Sinne von psychologischem Sich-Einfühlen als auch des Sinn-Verstehens von menschlichen Lebensäußerungen in allen möglichen Ausformungen.
Dabei gilt eine Grundvoraussetzung (vgl. Abbildung 2):
„Indem wir von diesem Vorverständnis her einen Text (oder eine Szene) nachvollziehen, erweitert sich unsere (Er-) Kenntnis, mit dieser gehen wir an einen andern Text heran (oder an denselben), wir bewegen uns im Grunde in einer Art Kreis oder Spirale: dem hermeneutischen Zirkel.“ (GUDJONS 2003, S.57)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Hermeneutischer Zirkel (Quelle: ROTH 1991, S. 38).
„Das eine vom andern her zu verstehen, sei es den Text vom Vorverständnis her oder die Einzelheit aus dem Ganzen oder das Ganze von den Einzelelementen her, das meint die Figur des „hermeneutischen Zirkels“. Es gibt sich als Konsequenz: Hermeneutisches Verstehen ist nie abgeschlossen, denn das „Verstehen als Ziel hermeneutischer Bemühung hat nicht Produkt-, sondern Prozesscharakter.“ (ROTH 1991, S. 38)
Die klassische Hermeneutik hat eine Vielzahl von zum Teil akribischen Regeln zur Erfassung und Erarbeitung von Texten hervorgebracht. Interessanter in Zusammenarbeit mit der in dieser Arbeit bearbeiteten Thematik ist jedoch die in neueren Arbeiten zur Hermeneutik ausgeweiteten Bezugspunkten über Texte hinaus zu Dingen, Personen, Handlungen, Organisationen, Strukturen etc. (vgl. GUDJONS 2003, S. 59).
Damit ist und bleibt die Methode des Verstehens eine umfassend einsetzbare, fruchtbare Analysemethode in allen Handlungsfeldern der Erziehungswissenschaft. Sie fließt gewollt oder ungewollt in alle geisteswissenschaftlichen Arbeiten ein. Bei allen positiven Aspekten des „methodischen Verstehens“ ist jedoch wesentlich, das auch die Hermeneutik Grenzen hat, die in wissenschaftlichen Arbeiten nicht unbeachtet bleiben dürfen.
„Das Verstehen sei spekulativ, subjektiv, unexakt, willkürlich, empirisch nicht nachprüfbar. Trotz gewisser Regeln seien völlig unterschiedliche Deutungen möglich. Verstehen sei eine Methode der Intuition (wie man es Dilthey vorgeworfen hat).
Grundsätzlich ist das Verstehen auf etwas Vorgegebenes angewiesen, das ausgelegt werden soll. Daraus hat man der Hermeneutik den Vorwurf gemacht, sie könne von sich aus nicht produktiv werden, sondern sei traditionalistisch bis konservativ, denn sie setze Tradition immer schon als gegeben (und sinnvoll) voraus.
Angesichts der Komplexität moderner Gesellschaften und angesichts der Notwendigkeit, den Makrobereich von Erziehung und Bildung zu analysieren uns zu planen (Schulentwicklung, Bildungsplanung), gerät die Hermeneutik vollends an ihre Grenzen, weil sie schlechterdings keine quantitativen Instrumente dafür bereitstellen kann. Dazu bedarf es weiterer (empirischer Anm. des Verfassers) Methoden.“ (GUDJONS 2003, S. 60)
1.2.3.2 Empirische Methoden
Grundsätzlich
„Die Methoden der empirischen Datenerhebung haben die Funktion, Ausschnitte der Realität, die in einer Untersuchung interessieren, möglichst genau zu beschreiben oder abzubilden. Im Vordergrund bei den so genannten quantitativen Methoden steht die Frage, wie die zu erhebenden Merkmale operationalisiert bzw. quantifiziert werden sollen.“ (BORTZ/DÖRING 2005, S.137)
Generell muss hier bei den empirischen Forschungsmethoden unterschieden werden zwischen Verfahren in denen ein Forschungsarrangement in Form eines Experimentes entwickelt wird (z. B. der Planung einer Längsschnittuntersuchung über mehrere Jahre), Datenerhebungsverfahren (z. B. Beobachtung, Befragung, Test) und Datenanalyseverfahren (z. B. Statistik, Zählen, Urteilen, Auswerten) (vgl. GUDJONS, 2003, S. 60).
Stellvertretend für die Gesamtheit der empirischen Methoden werden die folgenden kurz dargestellt.
Experiment
In der klassischen Form des Experimentes (in der empirischen Sozialforschung heute weniger verwendet) geht es um die planmäßige Veränderung einer oder auch mehrerer Variablen und um deren Wirkungskontrolle.
Betrachtet man Experimentabläufe oberflächlich, so laufen sie grundsätzlich nach dem vergleichbaren Schema der Abfolge von Vortest-Nachtest-Kontrollgruppen-Plan ab und werden sinnvoller Weise ergänzt durch die Ausarbeitung und Vermeidung möglicher Fehlerquellen.
Grundsätzlich lassen sich hier das künstliche Laborexperiment mit der Problematik der Ergebnisübertragbarkeit in die Praxis und das Feldexperiment mit der höheren Praxisrelevanz aber auch der höheren Fehlerquote auf Grund der unüberschaubaren Vielzahl möglicher Fehlerquellen, unterscheiden. (vgl. GUDJONS 2003, S. 61).
Beobachtung
„Die Beobachtung macht gegenwärtig rund zehn Prozent der empirischen Sozialforschung aus (Kuckartz 1994, 555) Unterschieden wird zwischen teilnehmender und nicht-teilnehmender Beobachtung. ... Außerdem kann Beobachtung unter künstlichen Bedingungen stattfinden (z. B. hat man absichtlich einen genau geplanten Konflikt arrangiert) oder in natürlichen Situationen. Beobachtung kann ferner unsystematisch erfolgen (z. B. bei einer Hospitation) oder systematisch mit einem definierten Kategoriensystem.“ (GUDJONS 2003, S.62)
Grundsätzlich ist bei jeder wissenschaftlichen Beobachtung zu beachten, dass Beobachtung immer selektiv geschieht und das Objekt der Beobachtung objektiv beobachtbar und beschreibbar sein muss. Gefühle und Handlungsintentionen sind nur indirekt erschließ- und interpretierbar. Hier wird also in der wissenschaftlichen Beobachtung zwischen deskriptiven und interpretativen Kategorien unterschieden.
Befragung
Der Begriff Befragung steht für eine Vielzahl unterschiedlicher Techniken die nach KUCKARTZ (1994) in rund 50 % der empirischen Untersuchungen umfassen (vgl. GUDJONS 2003, S.63). Die Bandbreite dieses Sammelbegriffes reicht von der mündlichen Befragung in Form von Interviews und Tiefeninterviews über schriftliche Befragungen zumeist durch Fragebögen bis zu Gruppendiskussionen. Alle diese Verfahren haben die primäre Zielsetzung der Meinungsermittlung.
Zu diesem Zweck gliedert sich „die Befragung“ in eine Vielzahl unterschiedlicher Formen und Verfahren, die im folgenden erwähnt aber nicht näher erläutert werden. Zu unterscheiden sind Interviews in ungelenkter Form (z. B. narrative Interviews), in standardisierter Form (mit vorformulierten Fragen), mit geschlossenen Fragen, in Multiple-choise-Verfahren oder Rating-Verfahren um nur einige der vielen Varianten erwähnt zu haben.
Über die grundsätzliche Befragungsform hinaus ist in der Entwicklung und beim Aufbau der Befragung die Zielperson(en) und deren Befinden zu berücksichtigen.
„Beachtet werden muss im Aufbau eines Fragebogens aber auch die Ermüdungstendenz des Beantworters, seine Neigung, Extreme zu vermeiden und die Mittelkategorie anzukreuzen, seine Tendenz zur sozialen Erwünschtheit von Antworten u. v. a. Die Methodologie dieses Verfahrens hat sich inzwischen so ausgeweitet und perfektioniert, dass Sozialwissenschaftler von einer eigenen „Lehre von der Frage“ sprechen (FRIEDRICHS 1973). Im Unterschied zur Beobachtung, die direkt beim Handeln ansetzt, nötigt die Befragung den Befragten notwendigerweise zu einer reflektierenden Distanzierung von der Praxis seines Handelns. Man erhält also Berichte aus der Perspektive der Betroffenen über deren Praxis, ohne die Praxis selbst erfassen zu können.“ (GUDJONS 2003, S. 63)
Test
„Auch die Instrumente, die z.B. in der Pädagogischen Diagnostik unter dem Begriff Test zusammengefasst werden, sind inzwischen in einer kaum noch überschaubaren Fülle von Literatur dargestellt worden (Lienert 1969, Ingenkamp 1972). Der Test liegt nicht selten im Schnittfeld von pädagogischer Intervention und wissenschaftlicher Forschung. ... Tests gelten als wissenschaftliches Routineverfahren, mit dem empirisch abgrenzbare Persönlichkeitsmerkmale untersucht werden mit dem Ziel einer möglichst quantitativen Aussage über den Grad der individuellen Merkmalsausprägung (Lienert 1969).“ (GUDJONS 2003, S. 64)
Tests können entweder normorientiert oder kriteriumorientiert ausgerichtet sein, müssen jedoch grundsätzlich die drei klassischen Gütekriterien Objektivität, Validität (Gültigkeit) und Reliabilität (Zuverlässigkeit) erfüllen.
Zusammenfassung
Trotz der besonderen Relevanz von empirischen Daten zur Untermauerung wissenschaftlicher Erkenntnisse darf in diesem Zusammenhang nicht versäumt werden, auf die Grenzen und Probleme der quantitativen Forschungsmethoden hinzuweisen.
„Der berühmte Soziologe Karl Mannheim (1893 - 1947) soll darauf aufmerksam gemacht haben, dass man die Genauigkeit eines Forschungsergebnisses nicht mit seiner wirklichen Bedeutung verwechseln dürfe. Jede Standardisierung des Umfeldes, die um der Exaktheit und Kontrollierbarkeit willen nötig ist, führt nämlich unweigerlich zu einer Reduktion der Erkenntnismöglichkeiten (Reduktionismusvorwurf).“ (GUDJONS 2003, S.65)
Diese Sichtweise findet sich deutlicher noch bei Erziehungswissenschaftlern wie Habermas 1971 und Lenzen 1989, die jene von H. Roth 1962 eingeläutete „realistische Wende“ der Erziehungswissenschaft mit der folgenden Blütezeit der quantitativen Forschung kritisch betrachteten und deren Unbrauchbarkeit für die Praxis sowie ihr absehbares Ende erklärten.
„Die strenge Empirie erwies sich als „Zwangsjacke“, denn die quantitative Datenauswertung zeigte sich eher als Hemmnis für einen differenzierten Einblick in die Erziehungswirklichkeit, die stark von Wechselwirkungen, Interaktionen und vor allem Widersprüchen bestimmt wird.“ (GUDJONS 2003, S. 65)
Dies führte zu einer Verschiebung der Gewichtung von den klassisch quantitativen Verfahren zu den qualitativen und hermeneutisch-interpretativen Verfahren, die im folgenden Abschnitt näher beschrieben werden.
1.2.3.3 Qualitative Forschungsmethoden
Qualitative Forschungsmethoden stellen in der Praxis heute eher eine integrative Forschungsform mit den Elementen der beiden vorangestellten Methoden dar. Zum Teil bieten sie aber auch durch die Verwendung einer eigenen Fachterminologie und anderer Paradigmen, eine konträr zu diesen alten Elementen eigenständig sich weiterentwickelnde wissenschaftliche Forschungsmethode.
Erste Entwicklungsschritte kündigten sich bereits bei der Entstehung der Handlungsforschung in den 70er Jahren ab, durch die Ziele und Verwertungszusammenhänge ebenso wie die Rolle des Forschers neu definiert wurden. Die Handlungs- (oder auch Aktions-)forschung versteht sich als eine direkt in die Praxis eingreifende Forschungsmethode.
„Das bedeutet vor allem eine veränderte Beziehung zwischen Forschern und Praktikern: Beide sind - idealtypisch gesehen - gleichberechtigt, während des Forschungsprozesses besteht kein Subjekt-Objekt-Verhältnis (zwischen Forschendem und „Erforschtem“), sondern eine Subjekt-Subjekt-Beziehung. Damit soll Forschung für beide zur Selbstaufklärung, Selbstkontrolle und Selbststeuerung dienen. Der Forscher ist also mitsamt seinen Methoden auf völlig andere Weise engagiert und in das Praxisfeld involviert.
Diese Grundtendenz, nämlich Datengewinnung mit pädagogischer Intervention zu verbinden und sich als Mitakteur selbst einzubeziehen, haben sich in den folgenden Jahren bis in die Gegenwart hinein verstärkt.“ (GUDJONS 2003, S. 66)
Das Hauptmerkmal qualitativer Methoden ist der Versuch die Lebenswelten und das soziale Handeln im Alltag der verschiedenen Bereiche von Erziehung und Bildung zu untersuchen (vgl. ROTH 1991, S. 55 ff.).
„Der Begriff qualitativ meint zum einen eine Wiederanknüpfung an hermeneutisches Verstehen und Sinnauslegung, zum andern aber eine stärkere Berücksichtigung der strengeren Maßstäbe der empirischen Methoden auf intersubjektive Nachvollziehbarkeit, Prüfbarkeit und qualitatives Niveau der Aussagen.“ (GUDJONS 2003, S. 66)
Als typisch qualitative Vorgehensweisen unterscheiden HOPF/WEINGARTEN (1984) folgende:
Die unstrukturierte oder wenig strukturierte Beobachtung die von einem Forscher durchgeführt wird, der zugleich Teilnehmer des Forschungsgegenstandes ist. (Beispiel: der Ethnologe, der für die Zeit seiner Forschung mit dem Naturvolk, das von ihm erforscht wird, zusammenlebt, wird selbst zum Einflussfaktor innerhalb des Forschungsgegenstandes)
Das qualitative Interview, (wie z.B. das narrative (erzählende) Interview, das sich in drei Phasen gliedert, oder das Experteninterview) auf das in den folgenden Punkten im Rahmen der Arbeit noch konkreter eingegangen wird.
Die Analyse von Dokumenten aller Art, wie z.B. die qualitative Inhaltsanalyse, die ebenfalls in dieser Arbeit umfangreich zur Anwendung kam und in den folgenden Punkten näher erläutert werden wird.
Die Lebensweltanalyse zur Ausarbeitung von Interaktionsmustern, Statuspassagen, von Legitimations- und Deutungsmustern.
Das psychoanalytisch ausgerichtete Tiefeninterview das in der Praxis genutzt wird um psychologische Phänomene wie z. B. unbewusste Angstreaktionen transparent zu machen und quantitativen Auswertungsmöglichkeiten zu erschließen.
Folgende grundlegende Merkmale qualitativer Methoden fasst GUDJONS zusammen:
„ 1. soziale Tatsachen als „Lebenswelt“ liegen nicht „objektiv“ vor, sondern konstituieren und konstruieren sich wesentlich erst in Verständigungsprozessen – den archimedischen Punkt, von dem aus man die Wirklichkeit objektiv distanziert analysieren kann, gibt es nicht.
2. Zentral ist nicht die Sicht des Forschers, sondern die Weltdeutung der Erforschten. Deshalb müssen die verwendeten Techniken gewährleisten, dass der „Beforschte“ seine eigenen Akzentsetzungen vornehmen und seine Deutung der Ereignisse entwickeln kann. Ein solches Verstehen ist Erkenntnisprinzip.
3. Ein Forschungsprozess ist deshalb prinzipiell offen, auch die Fragestellung kann sich im Laufe der Forschung ändern. Wesentlich sind darum offene Forschungsverfahren; diese Offenheit bezieht sich sowohl auf herkömmliche empirische Techniken als auch auf interpretative Verstehensansätze und auch auf die Entwicklung alternativer Methoden, z. B. der „Heuristik“: Finde-techniken und kreative Problemlösungsstrategien, im Gegensatz zum „Algorithmus“ im Sinne einer festen Abfolge von Lösungsschritten, die den Erfolg „garantieren“ (Kleining 1994). Das entschiedenste Programm haben dazu Glaser und Strauss in der „Grounded Theory“ ausgearbeitet, bei der sich die „Theorie“ erst im Zuge der flexiblen Erweiterung der Datengewinnung (ohne vorheriges Literaturstudium!) ergibt („grounded“) (nach Hoffmann/Riem 1980, 346).
4. Und schließlich ist der Forscher als „social agent“ immer in das Feld und die Interaktion involviert. Forschung ist ein sozialer, ein interaktiver Prozess (und sei es nur das leichte Stirnrunzeln des Interviewers, das den Erzählenden unbewusst beeinflusst), ganz abgesehen von Persönlichkeitsanteilen des Forschers, z.B. seinen unbewussten ‚ Ängsten, denen er bei der Formulierung von Fragen und in der Begegnung mit Menschen und Situationen niemals entgeht (Devereux 1984).“ (GUDJONS, 2003, S. 68)
In wissenschaftlichen Analysen erlauben dementsprechend die qualitativen Verfahren die Verknüpfung unterschiedlichster Methoden zu zweckmäßigen „clustern“, die nicht mehr nach den herkömmlichen Mustern wie z. B. Befragung, Beobachtung, Test etc., sondern zu komplexen Forschungsansätzen oder auch „Designs“ gebildet werden.
„Erziehungswissenschaft ist angewiesen auf eine Fülle unterschiedlicher Forschungsmethoden; methodisches Bewusstsein allerdings bedeutet Aufgeklärtheit über den Zusammenhang von wissenschaftstheoretischer Ebene und methodologischen Entscheidungen. Noch so gut gemeinte Postulate zur Kritik oder Verbesserung der Praxis nützen nichts, wenn sie nicht intersubjektiv rekonstruierbar und überzeugend begründet in ihrem Argumentationszusammenhang sind.“ (GUDJONS 2003, S.69)
Fasst man den pädagogisch/erziehungswissenschaftlichen Geschichtsexkurs unter dem Fokus der Verknüpfung zwischen Pädagogik, Gesellschaftskritik und Ökonomisierung zusammen, zeigt sich über Jahrhunderte immer wieder eine enge Verbindung. Zur Erinnerung nur einige Schlaglichter des vorangestellten Abschnitts:
Im 13. Jahrhundert löste das ökonomische Interesse der Kaufleute einen pädagogischen Umbruch aus.
Der große religiöse und gesellschaftliche Reformer Martin Luther war mit Initiator der ersten Volksschul-Vorläufer und damit einer Form von Allgemeinbildung.
Im Rahmen der Aufklärung war die Pädagogik und Erziehungswissenschaft umfänglich in die kulturelle, gesellschaftliche, politisch-administrative und ökonomische Systemumwandlung involviert.
Mit den Philantropen und den Industrieschulen zeigt sich die direkte Verbindung von pädagogischen Schwerpunktbereichen der Bildung und Erziehung mit den unterschiedlichen ökonomischen Interessen der Epoche.
Eine politische und gesellschaftliche Blütezeit des Einflusses erlebt die Erziehungswissenschaft in der Nachkriegszeit mit der kritischen Geisteswissenschaft.
Über Jahrhunderte war es Funktion und Aufgabe der Pädagogik / Erziehungswissenschaft theoretisch und praktisch Menschen auf das Leben in der Gemeinschaft und Gesellschaft vorzubereiten und dabei die ökonomischen und damit lebenserhaltenden Aspekte zu berücksichtigen, die menschliche Leistungsfähigkeit zu optimieren und auf unterschiedlichste Weise menschliche Ressourcen von der Mikro- bis zur Makroebene freizusetzen und zu entfalten und an die sich verändernden Rahmenbedingungen anzupassen. In diesem langen Zeitraum war die Pädagogik/Erziehungswissenschaft quasi auf der Metaebene der Beobachter ökonomischer Veränderungen. In den letzten Jahrzehnten drängte sie zunehmend in den aktiven Bereich der Ökonomisierung durch die Eröffnung neuer erziehungswissenschaftlicher Arbeitsfelder in der Organisationsentwicklung, der Managementberatung und der Personalentwicklung. Nun ist Pädagogik / Erziehungswissenschaft seit einigen Jahren selbst verstärkt in den Fokus der durch Kostendruck und leere Kassen im öffentlichen Bereich motivierten Ökonomisierungswelle des Non Profit Bereiches geraten, der mit seinem Einsparungs-, Rationalisierungs- und Optimierungsdruck auch die öffentlichen Bildungsstätten unter Reformzwang setzt.
In der Geschichte war es immer die selbstauferlegte Aufgabe der Pädagogik / Erziehungswissenschaft derart gravierende gesellschaftliche Entwicklungen zu untersuchen, zu analysieren und Lösungen oder Umgangsweisen zu entwickeln.
In dieser Tradition sieht sich die vorliegende Arbeit als konsequente Fortsetzung des erziehungswissenschaftlichen Grund- und Forschungsgedankens. Sie befasst sich mit der Darstellung der aktuellen themenbezogenen Situation in einem Arbeitsbereich der Erziehungswissenschaft, führt unterschiedliche Fachterminologien zusammen, analysiert Lösungsversuche und bietet die im Folgenden dargestellten vielschichtigen Auseinandersetzungen mit der Thematik unter Einsatz verschiedener erziehungswissenschaftlicher Methoden.
1.3 Themen- und Problembereiche einer Ökonomik für die Soziale Arbeit
Leitgedanke einer Ökonomik für die Soziale Arbeit ist die Verbesserung unter anderem durch Restrukturierung. Hierzu setzt sie sich einerseits mit der Fragestellung des wirtschaftlichen Umgangs knapper Ressourcen in der Sozialen Arbeit, das heißt in sozialen Organisationen und bei Kommunen auseinander. Zum anderen befasst sie sich mit gesamtwirtschaftlichen Problemen bei der Verteilung der knappen Ressourcen auf die Soziale Arbeit. Mit Hilfe der Anwendung ökonomischer Denkprinzipien, Betrachtungsweisen, Instrumentarien und Terminologie ist eine Perspektivenerweiterung intendiert. Ökonomik will zur Auseinandersetzung mit Zielen und Wirksamkeiten Sozialer Arbeit auffordern (vgl. FINIS SIEGLER 1997, S. 9). Sie beleuchtet, ob bzw. inwieweit sich Soziale Arbeit an den Bedürfnissen ihrer Klienten als Nutzer der Dienstleistungen orientiert und wer bzw. wie die Qualität Sozialer Arbeit definiert wird. Außerdem befasst sie sich mit den aus der Nicht-Marktökonomik ergebenden Schwierigkeiten der quantitativen und qualitativen Dimensionierung des Dienstleistungsangebotes „Soziale Arbeit“.
Stichwortartig lassen sich folgende Themenbereiche formulieren, die im Rahmen einer ökonomischen Perspektive Sozialer Arbeit betrachtet und analysiert werden:
Möglichkeiten der Zusammenführung der Begriffe Effektivität (Wirksamkeit) und Effizienz (Wirtschaftlichkeit) in der Sozialen Arbeit
die Beziehungsebene im Leistungserstellungsprozess zwischen Sozialarbeiter und Klient, das heißt Soziale Arbeit als personenbezogene soziale Dienstleistung mit meritorischem Charakter und Principal-Agent-Beziehungen
die sozialpolitischen und ökonomischen Rahmenbedingungen für Soziale Arbeit, nicht-schlüssige Tauschbeziehungen zwischen Produzent, Konsument und Finanzträger (Refinanzierungsmodell)
Möglichkeiten und Grenzen einer bedürfnisadäquaten, nutzerorientierten Dienstleistungsproduktion und Qualitätssicherung, Konsumentensouveränität und Informationsasymmetrien
die Voraussetzungen für und die Anforderungen an eine wirksame, rationale und wirtschaftliche Arbeit mit Klienten in sozialen Institutionen
die Bedeutung der Sozialen Arbeit als produktiver Faktor für die gesellschaftliche Wohlfahrt (Makroökonomischer Bezug), die Voraussetzungen für und Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit und Qualität des Versorgungssystems „Soziale Dienste“
die Bedeutung der Sozialwirtschaft (Mesoökonomische Handlungsebene), des Sozialmanagements (Mikroökonomischer Bezug)
wesentliche Merkmale des Wettbewerbs sozialwirtschaftlicher Organisationen untereinander
die Begründung des Ressourcenanspruchs bei der Sozialproduktverteilung (Kosten-Nutzen-Analyse, Kosten-Effektivitätsanalyse als Messkonzepte für die Wirtschaftlichkeit in der Sozialen Arbeit)
Ökonomische Rationalitätsprinzipien für die Soziale Arbeit befassen sich mit der Frage, wie die Soziale Arbeit am ressourcenschonendsten umzusetzen ist, so dass sie ihre eigenen Handlungsspielräume auch produktiv ausschöpfen kann. Der Nachweis von Wirtschaftlichkeitsreserven erlaubt die Realisierung weiterer sozialarbeiterischer bzw. sozialpädagogischer Projekte. Thema der Ökonomik für die Soziale Arbeit ist es daher, vorangetrieben vor dem Hintergrund desolater Staatsfinanzen, die Soziale Arbeit als produktive Leistung darzustellen und den Anspruch auf Teile des Sozialproduktes ökonomisch zu begründen. Es geht ihr darum, die Entscheidungsträger in die Begründungspflicht zu zwingen, um im Verteilungskampf um knappe Ressourcen die Ausgangssituation Sozialer Arbeit und ihrer Akteure zu verbessern. Eine ökonomische Denk- und Betrachtungsweise bietet der Sozialen Arbeit die Chance, aufzuzeigen, welchen Weg sie einzuschlagen hat, um die von ihr angestrebten Ziele, so wirtschaftlich wie möglich zu erreichen. Hierfür ist es allerdings wichtig, dass die Soziale Arbeit weiß, was sie will, was sie für erreichbar einschätzt, wo ihre Möglichkeiten und Grenzen liegen und was die Merkmale einer effektiven Sozialarbeit sind. Das heißt es geht darum, dass die Soziale Arbeit eine „humanwirtschaftliche“ Position aufbaut, welche vertritt, wie auf der Innenseite des Austausches von Gütern und Geld von Menschen gewirtschaftet wird und was sie dabei individuell und gesellschaftlich erstreben und erreichen (können) (vgl. WENDT 1998). Unter Berücksichtigung und Beantwortung dieser Fragen kann der Gefahr entgegen gewirkt werden, dass die Soziale Arbeit von einer Ökonomisierungswelle überrannt wird, bei der sie systematisch entmündigt wird, weil „sie es den Ökonomen überlässt ihre Wirksamkeit nachzuweisen und es dann auch noch versäumt, deren Denken verstehen zu lernen“ (GRÜNDGER 1988, S. 47). In diesem Sinne ist die Übertragung ökonomischer Rationalitätsprinzipien auf die Soziale Arbeit auch für die derzeitig geführte Professionalisierungsdebatte von Bedeutung. Mit der gezielten Nutzung ökonomisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Verbesserung der Qualität Sozialer Arbeit und im Umgang mit knappen Ressourcen trägt sie wesentlich zur wissenschaftlich-theoretischen Fundierung Sozialer Arbeit bei und stellt eine neue Bezugsdisziplin für ein interdisziplinär verstandenes Projekt „Soziale Arbeit“ dar.
2 Methodische Überlegungen
2.1 Methode der Arbeit
Bei der Methode dieser Arbeit handelt es sich schwerpunktmäßig um eine Theoriearbeit in Kombination mit der angewendeten Untersuchungsmethode des Experteninterviews als spezieller Form der qualitativen Forschung[6].
Die Theoriearbeit dient hierbei der Analyse der themenbezogenen Wissensstruktur der klassischen Betriebswirtschaftlehre (BWL), der Volkswirtschaftlehre (VWL) sowie einer Übersicht der Ökonomietheorien die in aktuellen sozialwissenschaftlichen Strömungen zunehmenden Einfluss auf die Entwicklung der sozialen Arbeit bzw. den gesamten Non-Profit-Bereich gewinnen.
Zu diesem Zweck werden zunächst die themenrelevanten Begrifflichkeiten aus den unterschiedlich definierenden Fachterminologien herausgelöst, mit der Zielsetzung diese auf im Non-Profit-Bereich verwertbare Definitionen zu dekodieren. Diese werden ergänzt und erläutert durch beispielhafte Darstellungen aus dem Untersuchungsbereich. Dazu werden in Form einer systematischen Übersicht die Wissensbestände der Fachrichtungen BWL, VWL und Sozialwissenschaft (einschließlich Sozialarbeit und Sozialpädagogik) gesichtet, dargestellt und ausgewertet.
Die Sichtung erfolgte dabei primär mit der Zielsetzung die Theorien und Terminologien der Ökonomen auf ihre Übertragbarkeit und ihren Nutzgewinn für die Ökonomisierung der Sozialen Arbeit bzw. der Non-Profit-Organisationen zu überprüfen.
Die ausgewählte Literatur stellt hierbei eine repräsentative Auswahl des aktuellen Diskussionsstandes der Fachwelt zu der gewählten Thematik, der Ökonomisierung der Sozialen Arbeit dar.
Wissenschaftlich verwertbare Aussagen über die Tragfähigkeit theoretischer Ökonomisierungsmodelle und Ansätze für eine praktische Verwertbarkeit, lassen sich nur aus Praxiserfahrungen treffen. Aus diesem Grund wurden Experten aus drei Non-Profit-Bereichen ausgewählt um im Rahmen eines Experteninterviews eine fundierte Einschätzung zu verschiedenen umgesetzten und/oder geplanten Ökonomisierungselementen in Ihren Praxisfeldern abzugeben.
Die gewählte Form des Experteninterviews ist eine Methode der qualitativen Forschung.
Qualitative Forschung bedeutet: „Empirische Forschung, die mit besonderen Datenerhebungsverfahren in erster Linie qualitative Daten erzeugt und interpretativ verarbeitet, um dadurch neue Effekte zu entdecken (Exploration) und (seltener) auch Hypothesen zu prüfen (Explanation). Inhaltlich ist ein besonderes Anliegen der qualitativen Forschung, soziale und psychologische Phänomene aus Sicht der Akteure zu rekonstruieren“ (BORTZ/DÖRING 2002, S. 687).
Ziel dieser Methode ist es, „in einem relativ unerforschten Untersuchungsbereich neue Hypothesen formulieren zu können“ (BORTZ/DÖRING 2002, S. 54). Charakteristische methodische Ansätze für die qualitative Forschung sind dabei z. B. offene Befragungen, Feldbeobachtungen, nonreaktive Messungen oder qualitative Inhaltsanalysen, wobei begründet in der Thematik dieser Arbeit, Experteninterviews zur qualitativen Datengewinnung durchgeführt wurden, während sich bei der Methode zur Analyse der Literatur und des durch die Interviews ermittelten Datenmaterials an der qualitativen Inhaltsanalyse nach MAYRING orientiert wurde.
DEXTER (1970) definiert das Experteninterview als „ein offenes, leitfadenorientiertes Interview mit einer Person, die bezüglich einer speziellen Fragestellung Experte ist oder diese Rolle vom Forscher zugeschrieben bekommt. Der Gegenstand von Experteninterviews sind Handlungen und Wissensbestände von Experten im Sinne von Erfahrensregeln, die das Funktionieren von sozialen Systemen bestimmen.“ Er grenzt hierbei das Experteninterview gegenüber anderen Interviews dadurch ab, dass „beim E. der Experte nicht als Gesamtperson Gegenstand des Verfahrens“ ist. „Er ist ausschließlich in seiner Funktion im institutionellen Kontext für den Forscher von Interesse.“ (DEXTER 1970, S.11).
Nach MEUSER/NAGEL gilt das Experteninterview verglichen mit den „klassischen“ Methoden der empirischen Sozialforschung wie zum Beispiel der standardisierten Befragung, der Beobachtung und dem Experiment „trotz seiner großen Verbreitung als ein randständiges Verfahren“ (MEUSER/NAGEL 1997, S. 481).
Da es die Möglichkeit der Rekonstruktion komplexer Wissensbestände bietet, wird es zunehmend in der industriesoziologischen Forschung, der soziologischen Verwendungsforschung, der Bildungsforschung und der Implementierungsforschung, die sich mit der Umsetzung politischer und pädagogischer Programme in die Praxis befasst, angewendet (vgl. MEUSER/NAGEL 1997, S. 481).
Im pädagogischen Bereich wird das Experteninterview vorrangig in der Evaluationsforschung eingesetzt.
„Das Interesse richtet sich 1. auf die Entscheidungsmaximen der Programmgestalter, ...“ (MEUSER/NAGEL 1997, S. 481) Gemeint sind in diesem Zusammenhang speziell die Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Verbänden.
„... 2. auf das Erfahrungswissen und die Faustregeln, wie sie sich aus der alltäglichen Handlungsroutine in z. B. Schule, Berufsbildungssystem, Arbeitsförderung, Sozialarbeit, Erwachsenenbildung herauskristallisieren, 3. auf das Wissen, das in innovativen Projekten gewonnen wird und das (noch) nicht in bürokratische Strukturen eingeflossen ist, 4. auf das Wissen über die Bedingungen, die zu systematischen Fehlern und verkrusteten Strukturen führen.“ (MEUSER/NAGEL 1997, S. 481)
Hier werden speziell die Praktiker aus dem Zielbereich zur Datenerhebung ausgewählt, da ihr Wissen in der Regel in keiner anderen Form für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung steht oder gestellt werden kann.
Trotz der zunehmenden Nutzung findet das Experteninterview kaum Beachtung in der methodischen Literatur der empirischen Sozialforschung.
Das Experteninterview gilt im Allgemeinen als ein wenig strukturiertes Erhebungsinstrument, das zu explorativen Zwecken eingesetzt wird (vgl. von ALEMANN 1977; ATTESLANDER 1984; KOOLWIJK 1974; KROMREY 1980; SCHNELL/HILL/ESSER 1989). „Insofern es nicht auf den die VertreterInnen einer „harten“ Sozialforschung zentral interessierenden Begründungszusammenhang des Untersuchungsgegenstandes, sondern auf seinen Entdeckungszusammenhang zielt, wird das ExpertInneninterview hier keiner eigenständigen methodischen Reflexion unterzogen.“ (MEUSER/NAGEL 1997, S. 482)
Diese „stiefkindliche“ Rolle des Experteninterviews in der methodischen Fachliteratur hat zur Folge, dass keine klar definierten Kriterien zur Auswahl der Experten in der empirischen Sozialforschung formuliert wurden. In der Eliteforschung, der Professionssoziologie und der Erziehungswissenschaft wird die Expertenauswahl in der Diskussion über Professionalisierung und Deprofessionalisierung behandelt. Die dort geführten Diskussionen umfassen ein großes Positionsspektrum von einer kritischen Einstellung zur „Expertokratisierung“ (vgl. GIESEKE 1991, S. 1115 ff.) bis zur Einbeziehung „gut informierter Bürger“ (SCHÜTZ 1972 in MEUSER/NAGEL 1997, S. 483) als „Laien- Experten“.
Die für diese Arbeit interviewten Experten wurden alle unter der Expertendefinition nach SPRONDEL ausgewählt, die einen Experten als „Verwalter von Sonderwissen“ welches „sich als institutionalisierte Expertise ...fassen lässt...“ und „... vornehmlich an eine Berufsrolle gebunden ist, definiert. (SPRONDEL 1979 in MEUSER/NAGEL 1997, S. 485)
Als angemessenes Erhebungsinstrument empfiehlt FRIEBERTS-HÄUSER ein leitfadengestütztes offenes Interview das durch einen vorinformierten Interviewer geführt wird, der sich bereits im Vorfeld umfassend über die wesentlichen Grundlagen des Themenbereiches wie z. B. Regeln, Bestimmungen, Rahmenbedingungen und Gesetzesgrundlagen aber auch über das persönliche und berufliche setting des Experten sowie Kenntnis der Organisationsstrukturen, Kompetenzverteilungen, Entscheidungswege des jeweiligen Handlungsfeldes informiert hat (vgl. FRIEBERTS-HÄUSER in MEUSER/NAGEL 1997, S. 486).
Um ein, auch bei Experteninterviews bereits beobachtetes, freies „Flottieren“ (vgl. LÜSSI) des Interviewten in seinen Ausführungen zu vermeiden, wurden die Interviewleitfäden dennoch auf Grundlage von Fragekatalogen an Stelle von thematischen Schlagworten als Richtschnur für den Interviewer gewählt. Die gewählte Interviewtechnik wurde jedoch bewusst flexibel an der Vorlage entlang geführt. Dem Experten wurde bei der Beantwortung ein größerer Spielraum eingeräumt. Hierbei wurde ein Vorschlag nach WALTER (WALTER in MEUSER/NAGEL 1997, S. 487) umgesetzt, der in Anlehnung an die themenzentrierte Interaktion „Störungen (haben) Vorrang“ einräumt und gerade aus diesen Störungen eine besondere Dimension freigelegten Expertenwissens erwartet.
Die Auswertung von Experteninterviews erfolgt idealtypischerweise in sechs Teilschritten:
Transkription - Jede wissenschaftliche Auswertung setzt eine vorausgegangene Transkription der in der Regel aufgezeichneten Interviews und/oder thematisch relevanter Passagen voraus.
Paraphrase - In der Paraphrasierung erfolgt eine Sequenzierung des Textes nach thematischen Einheiten. Die Entscheidung welche Teile des Interviews transkribiert und welche paraphrasiert werden, wird unter besonderer Berücksichtigung der leitenden Forschungsfragen und der Gesamtaussage die der Experte im Verlauf des Interviews entwickelt, getroffen.
Kodieren - Die Kodierung dient der Verdichtung des Materials. Hierbei werden die paraphrasierten Bereiche möglichst textnah und in der Terminologie des Experten thematisch geordnet.
Thematischer Vergleich - Im thematischen Vergleich entspricht die Vorgehensweise der des Kodierens. Als logischer Folgeschritt werden hier thematisch vergleichbare Textpassagen aus verschiedenen Interviews gebündelt. Dies erfolgt jedoch weiterhin textnah unter Vermeidung theoriesprachlicher Abstraktionen.
Soziologische Konzeptualisierung - In der soziologischen Konzeptualisierung erfolgt erstmals eine vollständige Ablösung von den Texten und der Expertenterminologie. Gemeinsamkeiten und Differenzen werden in Verbindung zu theoretischen Wissensbeständen gesetzt und begrifflich gestaltet. Es werden Kategorien gebildet, in denen das gemeinsam geteilte Expertenwissen einerseits subsumiert und andererseits ein gemeinsam geltender Begriff des in den Aussagen vorgefundenen Wirklichkeitsausschnittes der Experten rekonstruiert wird. Vor dem nächsten Schritt empfiehlt sich in groß angelegten Studien dieser Art eine fachtheoretische breitere Diskussion dieser „Verallgemeinerungen“, da sie sonst ausschließlich auf das vorliegende empirische Material begrenzt bleiben.
Theoretische Generalisierung - Bei der theoretischen Generalisierung werden die gebildeten Kategorien „in ihrem internen Zusammenhang theoretisch aufgeordnet. Die Darstellung der Ergebnisse geschieht aus einer theoretisch informierten Perspektive auf die empirisch generalisierten „Tatbestände“. Bei diesem rekonstruktiven Vorgehen werden Sinnzusammenhänge zu Typologien und zu Theorien verknüpft, ..., wo bisher Addition und pragmatisches Nebeneinander geherrscht haben.“ (MEUSER/NAGEL 1991, S. 451ff.)
2.1.1 Formal-methodische Vorgehensweise
Formal-methodisch lässt sich die Vorgehensweise in verschiedene aufeinander aufbauende Phasen unterscheiden. Zunächst erfolgt die Suche und Auswahl der für die Thematik relevanten Literatur sowie die Analyse, Sichtung, Auswertung und Darstellung dieser. Anschließend werden vor dem Hintergrund des dargestellten Datenmaterials Thesen expliziert, die im Rahmen von Experteninterviews näher betrachtet, kommentiert und kritisch bewertet werden sollen.
Die Entwicklung, Durchführung und Auswertung der für diese Arbeit geführten Experteninterviews erfolgt in Anlehnung an die in Abschnitt 2.1 beschriebenen theoretisch, methodischen Empfehlungen für Experteninterviews. Die Schwerpunktsetzung der Gesamtarbeit wird eindeutig auf den theoretischen Teil gelegt. Zu dessen Ergänzung und Verdeutlichung wurde jeweils ein Experteninterview in drei ausgewählten Teilbereichen geführt. Diese Experteninterviews wurden ohne Anspruch auf empirische Aussagekraft in die Arbeit aufgenommen. Dennoch wurde versucht die in Abschnitt 2.1 beschriebene methodische Vorgehensweise einzuhalten, soweit dies möglich war und in Hinsicht auf die Zielsetzung sinnvoll erschien.
Im Einzelnen wurden bei der gezielten Auswertung der Experteninterviews folgende Formen übernommen:
Die Transkription erfolgte in der Form, dass die Aufzeichnung übertragen wurde in gut lesbares Schriftdeutsch. Da für die Zielsetzung der Erfassung faktischen Wissens und professioneller Meinungen die Berücksichtigung des sozialen Umfeldes bzw. des soziokulturellen settings des Experten ohne Relevanz erschien, wurde auf eine Erwähnung und Erfassung derartiger Informationen verzichtet. In diesem Zusammenhang wurde ebenfalls auf die Transkription von Pausen, Um- und Guturallauten sowie Gefühlsausbrüchen o. ä. verzichtet.
Die Kodierung und Paraphrasierung wurden in begrenztem Rahmen, der Anzahl der Interviews und deren Umfang angemessen durchgeführt.
Ein Thematischer Vergleich wurde auf einige wenige Themenbereiche begrenzt durchgeführt, sofern sich eine Vergleichbarkeit in der Auswertung der Experteninterviews aus unterschiedlichen Teilsegmenten praktischer Sozialer Arbeit abzeichnete und/oder anbot.
Eine Soziologische Konzeptualisierung erscheint bei drei Experteninterviews nur begrenzt sinnvoll. Bei der Auswertung wurde der Aspekt der Verknüpfung bzw. Verbindung des Expertenwissens mit theoretischen Wissensbeständen konsequent genutzt. Auf Grundlage der gewonnen Expertenaussagen, wurden diese zu Kategorien zusammengefasst und als erlebter Wirklichkeitsabschnitt des Experten rekonstruiert. Diese Ergebnisse bieten in der vorliegenden Arbeit die Grundlage, die Praxis mit der Zielsetzung bestehender, theoretischer Ansätze zu vergleichen und diese kritisch zu hinterfragen.
Auf die Theoretische Generalisierung wurde auf Grund der Interviewmenge verzichtet, da zu seriöser Entwicklung theoretischer Generalisierungen eine deutlich umfassendere Stichprobe erforderlich ist.
Über die dargestellte Verwendung der aufgeführten theoretischen Grundlagen zur Auswertung der Experteninterviews hinaus, wurde auch bei diesen in enger Anlehnung an die zentralen Aspekte der Inhaltsanalyse nach MAYRING, wie im Folgenden ausführlich erläutert, vorgegangen.
2.1.2 Recherche des zu analysierenden Datenmaterials
Die Recherche der zu untersuchenden Veröffentlichungen konzentrierte sich, wie nachfolgend aufgeführt, auf verschiedene Suchverfahren auf unterschiedlichen Stufen:
Literaturrecherchen u. a. in den Datenbanken WISO, REHADAT, Solis, CareLit, Foris
Aufarbeitung der Literaturangaben und Quellenangaben in der Primär- und Sekundärliteratur
Auswertung relevanter Fachzeitschriften der jeweiligen Gebiete (Online Contents des GBV)
Internetrecherchen (http://vivisimo.com, http://www.vascoda.de, http://www.scirus.com, http://www.kartoo.com, http://www.metager.de, http://www.wikipedia.de)
2.1.3 Analyse des Datenmaterials
Die in der Arbeit benutzte Auswertungsmethodik zur Analyse der Gesamtdaten, der vorhandenen bzw. ausgewählten Fachliteratur und zur Auswertung der geführten Experteninterviews, orientiert sich hauptsächlich an der qualitativen Inhaltsanalyse nach MAYRING (vgl. MAYRING 1995).
„Die Inhaltsanalyse ist eine Technik, die aus den Kommunikationswissenschaften stammt. Sie beansprucht aber heute, der systematischen Auswertung in den unterschiedlichsten Wissenschaftsbereichen dienen zu können.“ (MAYRING 1995, S. 209)
Bei der qualitativen Inhaltsanalyse handelt es sich um ein theorie- und regelgeleitetes, methodisch kontrolliertes Forschungsverfahren, dass gegebenenfalls mit quantitativen Methoden ergänzend kombiniert werden kann und es ermöglicht auch umfangreiches Textmaterial zu analysieren. Dazu wird das Datenmaterial zergliedert und schrittweise bearbeitet.
Als Vorarbeit der Datenerhebung ist eine Theorie bzw. Hypothese zum Forschungsgegenstand notwendig. Dies ermöglicht eine zielgerichtete grob fokussierte Datenerhebung. Im Anschluss an die Datenerhebung werden die im Folgenden näher erläuterten Techniken der Qualitativen Inhaltsanalyse angewandt.
EBERT fasst die Techniken der Qualitativen Inhaltsanalyse folgendermaßen zusammen:
„Die Zusammenfassung kommt durch Auswählen, Bündeln und Abstrahieren von Aussagen dazu Daten zu paraphrasieren. Die Explikation berücksichtigt den Kontext der zu untersuchenden Textstelle mit der Zielsetzung der Erweiterung des Verständnisses von einzelnen Textstellen. Dabei ist der Kontext im engeren Sinne die jeweilig vorausgegangene und nachfolgende Textstelle und im weiteren Sinne Informationen, die über den Text hinausgehen, wie z.B. zeitlicher und örtlicher Rahmen oder die Interviewteilnehmer. Die Strukturierung verwendet ein im Vorfeld gebildetes Kategoriensystem dazu, Textstellen den passenden Kategorien zuzuordnen. Die Modifizierung oder Ergänzung des Kategoriensystems unter Orientierung an den Daten ist möglich.“ (EBERT 1999, S.11)
Durch eine sehr genaue Betrachtung des Materials kann ein differenziertes Kategoriensystem gebildet werden (vgl. BORTZ/DÖRING 2002, S.332). Die Inhaltsanalyse ist dabei in folgende drei Schritte gegliedert:
1. Die Zusammenfassung: Die Zusammenfassung soll eine Kurzversion des Textes herstellen, die nur die wichtigsten Inhalte umfasst. Bei der Zusammenfassung erfolgt durch Auswahl, Bündelung und Abstraktion von Aussagen eine Paraphrasierung der Daten. Die drei wichtigsten Arbeitsschritte sind hierbei die
Paraphrasierung (Streichung der nicht inhaltstragenden Textstellen, z. B.
ausschmückende Redewendungen)
Die Generalisierung (Verallgemeinerung der Paraphrasen)
Die Reduktion (Zusammenfassung der verallgemeinerten Paraphrasen in
Kategorien)
(vgl. MAYRING 1997).
2. Die Explikation: Ziel dieses Schrittes ist es, fragliche Textstellen (Begriffe, Sätze) zu klären und verständlich zu machen. Dazu hat MAYRING verschiedene Arbeitsschritte entwickelt, in denen zusätzliche Materialien herangezogen werden sollen. So soll die Textstelle geklärt werden, indem sie lexikalisch-grammatisch definiert wird, das direkte Textumfeld und Material, das über den Text hinausgeht, hinzugezogen wird. Anliegen der Explikation ist es das Verständnis von einzelnen Textstellen zu erweitern, wozu der Kontext mit einbezogen wird. Mit Kontext im engeren Sinne ist hierbei die jeweilig vorausgegangene und nachgestellte Textstelle gemeint, während im weiteren Sinne über den Text hinausgehende Informationen, wie z. B. zeitlicher und örtlicher Rahmen oder die Interviewteilnehmer, angesprochen sind.
3. Die Strukturierung: Die zusammengefasst und explizierte Kurzversion soll nun auf eine bestimmte Struktur hin untersucht werden. Dazu wird aus den in der Zusammenfassung gewonnen Kategorien in drei Schritten ein Kategoriensystem entwickelt.
Der erste Schritt ist hierbei die Definition der Kategorien. Hier wird genau definiert, welche Textbestandteile unter eine Kategorie fallen.
Den zweiten Schritt bildet die Festlegung so genannter Ankerbeispiele (Anführung von konkreten Textstellen, die beispielhaft für diese Kategorie sind).
Den dritten Schritt bildet die Formulierung von Regeln (Kodierregeln) um bei Abgrenzungsproblemen zwischen Kategorien diese eindeutig zuordnen zu können.
Um nun eine zielgerichtete Struktur in die Kategorien zu bringen untergliedert MAYRING in vier Formen der Strukturierung:
Formale Strukturierung - Die formale Strukturierung dient der Analyse der Textstruktur
Inhaltliche Strukturierung - Die inhaltliche Strukturierung dient dem Herausfiltern und Zusammenfassen von Themen und Inhalten des Materials
Typisierende Strukturierung - Die typisierende Strukturierung dient der Beschreibung typischer Ausprägungen auf einer Typisierungsdimension
Skalierende Strukturierung - die skalierende Strukturierung dient der Einschätzung einzelner Dimensionen auf einer Skala
Bei der Strukturierung geht es darum, die jeweiligen Textstellen den im Vorfeld gebildeten Kategorien zuzuordnen, wobei eine Modifizierung und Ergänzung des Kategoriensystems unter Orientierung an den Daten möglich ist.
Im Anschluss an die durchgeführte Strukturierung der Daten wird die Analyse zusammengefasst und die gewonnen Ergebnisse dargestellt.
Als spezifische Besonderheit der qualitativen Inhaltsanalyse hebt MAYRING hervor, dass die Inhaltsanalyse die Kommunikation in allen ihren Facetten und Ausdrucksformen zum Gegenstand hat. Das heißt, dass sie ebenso mit symbolischem Material wie Texten, Bildern, Noten, und anderen non verbalen Ausdrucksformen arbeitet bzw. diese verarbeiten kann.
Die Inhaltsanalyse grenzt sich hier durch ihr systematisches Vorgehen deutlich gegenüber den meisten heuristischen Verfahren ab. Hierbei läuft beziehungsweise soll die Analyse nach klar definierten Regeln ablaufen um dadurch sicherzustellen, dass auch Dritte die Analyse verstehen, nachvollziehen und somit auch überprüfen können.
„Eine gute Inhaltsanalyse zeichnet sich durch ihr theoriegeleitetes Vorgehen aus – das Material wird unter einer theoretisch ausgewiesenen Fragestellung analysiert. Die Inhaltsanalyse analysiert ihr Material nicht ausschließlich für sich selbst, sondern als Teil eines Kommunikationsprozesses. Schlussendlich ist die Inhaltsanalyse eine schlussfolgernde Methode, die Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte der Kommunikation ziehen will. Zusammenfassend will also Inhaltsanalyse
Kommunikation analysieren,
fixierte Kommunikation analysieren,
dabei systematisch vorgehen,
das heißt regelgeleitet vorgehen,
das heißt auch theoriegeleitet vorgehen,
mit dem Ziel, Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte der Kommunikation zu ziehen.“ (EBERT 1999, S. 12)
Methodische Stärken der qualitativen Inhaltsanalyse
Die qualitative Inhaltsanalyse zeigt ihre Stärken und Vorteile gegenüber anderen Auswertungsformen in ihrer besonderen Systematik. Ihre Abfolge - Theoriebildung – Datenreduktion, Datenkategorisierung und –Analyse und ihre klaren Regeln durch die einzelne Schritte vorgegeben werden, macht sie gut nachvollziehbar. Weitere Stärken sieht EBERT in den von MAYRING beschriebenen, von den klassischen Gütekriterien ausgehenden spezifischen inhaltsanalytischen Kriterien der Validität und Reliabilität, die auf KRIPPENDORFF zurückzuführen sind.
„Als Beispiel hierfür kann die semantische Gültigkeit benannt werden, d. h. die treffende Rekonstruktion der Wortbedeutungen der einzelnen Textstellen. Die kommunikative Validierung ist eine weitere Überprüfungsmethode, die die Zielsetzung verfolgt eine Übereinstimmung über die Ergebnisse der Analyse zwischen Forscher und Beforschtem zu erreichen. Durch die Interreliabilität, dem Maß der Übereinstimmung der Auswerter, kann die korrekte Anwendung der Kategorien und damit die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse überprüft werden.“ (EBERT 1999, S.12)
Darüber hinaus bietet die qualitative Inhaltsanalyse eine weitere Stärke durch die gute Kombinationsmöglichkeit von qualitativen und quantitativen Methoden.
Problematische Aspekte der Inhaltsanalyse
Eine Problematik bei der qualitativen Inhaltsanalyse liegt gerade in einer ihrer Stärken. Die klar vorgegebenen Regeln verleiten dazu ihnen zu folgen, ohne die Methode auf ihre Angemessenheit bezogen auf den Untersuchungsgegenstand zu überprüfen und zu hinterfragen. Diese Schwierigkeit tritt besonders dann auf, wenn unzulängliche Ausgangshypothesen die Grundlage einer Arbeit bilden. Dies erschwert oftmals die Entscheidung in welcher Weise das Material zusammengefasst, welcher Kontext Berücksichtigung finden oder welche Textstellen welcher Kategorie zugeordnet werden sollen.
EBERT weist darauf hin, dass „Diese Probleme ... durch eine eingehende Schulung und Kodierleitfäden abgeschwächt werden“ können.
Eine mögliche Einschränkung der qualitativen Inhaltsanalyse sieht EBERT in dem Eindruck, der entstehen könnte, dass diese nur als eine ausschließlich für die Theorieprüfung geeignete Methode gesehen wird. Er macht in diesem Zusammenhang auf mögliche weitere Einsatzfelder wie z. B. „zur Hypothesen- oder Theoriegenerierung“ (EBERT 1999, S.12) aufmerksam.
Die Inhaltsanalyse als Grundlage der Auswertung und Vorgehensweise bei dieser Arbeit
Die Vorgehensweise dieser Arbeit orientiert sich wie bereits erwähnt am dargestellten Ablaufschema der qualitativen Inhaltsanalyse nach MAYRING.
Hintergrund der Orientierung an diesem qualitativen Verfahren ist die Vielschichtigkeit und Komplexität der zu untersuchenden Thematik die es erforderlich macht eine Analyseform zu wählen, die diese Anforderungen erfüllen kann.
Einerseits ermöglicht diese Form der inhaltsanalytischen Vorgehensweise eine gute Orientierung, um die breite Vielfalt des Untersuchungsgegenstandes angemessen erfassen und interpretieren zu können. Andererseits bietet sie eine logisch aufgebaute und strukturierte Vorgehensweise für die Bearbeitung der Fragestellung dieser Arbeit.
Die Methode der Qualitativen Inhaltsanalyse gliedert sich dabei in 9 Stufen, die im folgenden dargestellt werden.
Den neun Stufen wurde in dieser Arbeit eine explorative Phase vorgeschaltet, in der das Material zunächst grob gesichtet wird, um einen ersten Überblick über mögliche Kategorien und Zuordnungen zu erlangen. Zu diesem Zweck wurden im Rahmen der Arbeit die für das Thema relevante Primär- und Sekundärliteratur, relevante Literaturhinweise, Ergebnisse von Internetrecherchen, die Sichtung von Verlagsprogrammen mit einem betriebswirtschaftlichen, volkswirtschaftlichen oder sozialwissenschaftlichen Buchprogramm sowie Literatur aus angrenzenden Forschungsgebieten und –bereichen, gesichtet und inhaltlich geordnet.
1. Festlegung des auszuwertenden Datenmaterials
In der ersten Stufe wird bestimmt, welches Material verwendet werden soll. „Zunächst muß genau definiert werden, welches Material der Analyse zugrunde liegen soll.“ (MAYRING 1995) Im Rahmen dieser Arbeit werden Publikationen und Experteninterviews ausgewertet, die sich explizit auf den Gegenstandsbereich der Forschungsfrage dieser Arbeit beziehen. Die Publikationen wurden durch entsprechende Literaturrecherchen unter anderem in den Datenbanken WISO, REHADAT, Solis, CareLit, Foris Online, Auswertung relevanter Fachzeitschriften der jeweiligen Gebiete über „Contents des GBV“, Internetrecherchen unter:
http://vivisimo.com, http://www.vascoda.de,
http://www.scirus.com, http://www.kartoo.com,
http://www.metager.de, http://www.wikipedia.de
unter anderem mit den Suchbegriffen „ Ökonomisierung und Soziale Arbeit“, „Non Profit Organisationen und Ökonomisierung“, „NSM“, „Qualitätsmanagement“ sowie diversen weiteren Stichwortkombinationen, die dem gewählten Themenbereich entsprechen, festgelegt. Publikationen die für die Fragestellung der Arbeit nicht von Relevanz waren, wurden aus den Literaturnachweisen aussortiert bzw. gar nicht erst in diese aufgenommen.
2. Analyse der Entstehungssituation und Herkunftswissenschaft der Daten
In der zweiten Stufe geht es um die Vergegenwärtigung und Analyse des Entstehungszusammenhanges, der wissenschaftlichen Fachrichtung des Verfassers und des erkenntnisleitenden Interesses, welches dem Datenmaterial (Publikationen) zugrunde lag.
3. Formale Charakterisierung des Datenmaterials
In dieser Stufe muss nach MAYRING die Form beschrieben werden, in der das Material vorliegt. Für den Gegenstandsbereich dieser Arbeit handelt es sich um die Klassifizierung des Datenmaterials in: Sammelbände, Artikel in Sammelbänden und Zeitschriften, Fachbücher und transkribierte Experteninterviews.
4. Richtung der Analyse
Ist das zugrunde liegende Datenmaterial in den drei ersten beschriebenen Stufen gesichtet und beschrieben, „so ist der nächste Schritt, sich zu fragen, was man eigentlich daraus herausinterpretieren möchte“ (MAYRING 1988, S.45). Die Analyse kann sich auf unterschiedliche Schwerpunkte des Datenmaterials beziehen. Schwerpunkt der Analyse dieser Arbeit ist das Erkennen, Kennzeichnen, Definieren, Darstellen und Beschreiben ökonomischer Ansätze und Theorien in Verbindung mit den entsprechenden Management- und insbesondere Qualitätsmanagementansätzen aus der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, Messkonzepte zur Erfolgsmessung sowie die Herausstellung entsprechender Begriffsdefinitionen und deren Übertragbarkeit auf den Bereich der Non-Profit-Organisationen.
5. Theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung
Die Fragestellung der Forschungsarbeit muss vorab genau geklärt sein und „...theoretisch an die bisherige Forschung über den Gegenstand angebunden und in aller Regel in Unterfragestellungen differenziert werden (...)“ (MAYRING 1988, S.47).
Die systematische und ausführliche Darstellung des Forschungsgegenstandes „Ökonomisierung in der Sozialen Arbeit“ mit den im ersten Teil bearbeiteten Entwicklungsschritten aus der Betriebswirtschafts- und Volkswirtschaftslehre über die historische Entwicklung in Verbindung mit Begriffsklärungen und Definitionsdarstellungen, dient der Heranführung an den aktuellen Diskussionsstand in der Fachwelt zu der gewählten Thematik und gleichzeitig der Explizierung und Differenzierung der Fragestellung dieser Arbeit. Im zweiten Teil der Arbeit wird der Versuch unternommen, einen differenzierten Überblick über den aktuellen Stand der Einführung von Messkonzepten des Erfolges Sozialer Arbeit z. B. in Form von Indikatoren und Kennziffern, Produktbeschreibungen, Kosten-Nutzen-Analysen, Controlling und Qualitätsmanagementverfahren etc. zu erstellen. Die beiden vorausgehenden Teile bilden die Grundlage für die im dritten Teil untersuchte Übertragbarkeit und Wirkung verschiedener Ansätze und Konzepte auf die Praxis Sozialer Arbeit. Eine kritische Bewertung schließt sich an diesen Teil an und damit die Arbeit ab.
6. Bestimmung der Analysetechnik
In einem weiteren Schritt wird die Entscheidung über das analytische Vorgehen getroffen. MAYRING unterscheidet verschiedene Typen des inhaltsanalytischen Vorgehens: Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung (vgl. MAYRING 1997, S. 58).
Diese Analysetechnik wurde maßgeblich für die Gesamtarbeit angewandt. Bezogen auf die Experteninterviews wurde die Methodik MAYRING´s um methodische Aspekte nach MEUSER/NAGEL ergänzt (vgl. MEUSER/NAGEL 1991, S.451 ff.).
7. Definition der Analyseeinheit
In dieser Phase werden die entsprechenden Textteile, die ausgewertet werden sollen bestimmt. Im Rahmen dieser Arbeit bezieht sich dieser Punkt auf die Kennzeichnung besonders relevanter Textteile des ausgewählten Datenmaterials.
8. Analyse des Datenmaterials
Zusammenfassung: Ziel der Analyse ist die Reduzierung des vorliegenden Materials durch Abstraktionen auf ein überschaubares Maß ohne wesentliche Inhalte zu verlieren. Durch Auslassungen, Generalisierungen, Konstruktionen, Integrationen, Selektionen und Bündelungen werden abstrakte Aussagen gewonnen, die das ursprüngliche Material paraphrasieren. Da sich zusammenfassende Inhaltsanalysen vor allem dann anbieten, wenn man nur an der inhaltlichen Ebene des Materials interessiert ist und eine Komprimierung zu Textessenzen benötigt, wurde diese Vorgehensweise für die vorliegende Arbeit gewählt.
Explikation als Kontextanalyse: Zu einzelnen interpretationsbedürftigen Textstellen, Begrifflichkeiten oder auch Sachzusammenhängen wurde zusätzliches Material herangezogen um diese zu erklären, verständlich zu machen, zu erläutern und zu explizieren. Als Grundlage der Explikation in dieser Arbeit dienen lexikalisch-grammatikalische Definitionen und Rückgriffe auf die theoretischen Grundlagen der in dieser Arbeit dargestellten Wissenschafts- und Theoriebereiche (BWL, VWL, Sozialwissenschaftliche Ökonomieansätze)
Strukturierung: Die Strukturierung ist die zentralste inhaltsanalytische Technik mit dem Ziel eine bestimmte Struktur aus dem vorliegenden Material herauszufiltern.
Im Rahmen dieser Arbeit erfolgt eine inhaltliche Strukturierung des Materials, das für den Gegenstandsbereich dieser Arbeit von Bedeutung ist, in Form einer Extrahierung, Zusammenfassung und Darstellung. Für die Arbeit wurde folgende Struktur gewählt:
Definitionen und Begrifflichkeiten verschiedener Wissenschaftsbereiche
Konzeptualisierung ökonomischer Prinzipien
Theorieansätze die auf betriebswirtschaftlichen, volkswirtschaftlichen oder sozialwissenschaftlichen Konzepten beruhen
Veränderung gesellschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen
Darstellungen praktischer Implementierungsversuche
Praxiserfahrungen und deren Auswertungen
Experteninterviews
Sonstiges
Das ausgewählte Datenmaterial wird in einem ersten Schritt aus einer Metaperspektive betrachtet, in seiner Gesamtheit wahrgenommen und erfasst, um es anschließend der dargestellten Struktur zuzuordnen.
9. Interpretation
Die Ergebnisse der Arbeit werden im neunten Schritt der Inhaltsanalyse mit Blick auf die Hauptfragestellung der Arbeit interpretiert. In dieser Arbeit wird zunächst das Datenmaterial zur Erläuterung der Begrifflichkeiten dargestellt. Anschließend wird das Material fach- bzw. wissenschaftsübergreifend generalisiert und spezifischen Kernaussagen zugeordnet. Dies ermöglicht eine Darstellung anhand von Stichwortkategorien sowie der historischen Entwicklung in den jeweiligen Wissenschaftsbereichen. Abschließend werden die Publikationen der unterschiedlichen Kategorien bezüglich der Fragestellung dieser Arbeit (die Ökonomisierung Sozialer Arbeit) kritisch betrachtet und bewertet.
Ein Nachteil der gewählten inhaltsanalytischen Vorgehensweise darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Er besteht in der entstehenden Subjektivität, die durch eine selektive Zuwendung, selektive Wahrnehmung und selektive Erinnerung sowie der subjektiven Auseinandersetzung mit dem zu untersuchenden Datenmaterial entsteht.
2.2 Zielsetzung der Arbeit
Diese Arbeit will sich gegen eine fremdbestimmte Ökonomisierung der Sozialen Arbeit wenden. Hierzu erfolgt eine Analyse der themenbezogenen Wissensstruktur der klassischen Betriebswirtschaftlehre (BWL), der Volkswirtschaftlehre (VWL) sowie die Erstellung einer Übersicht ausgewählter ökonomischer Theorien, die in aktuellen sozialwissenschaftlichen Strömungen wachsenden Einfluss auf die Entwicklung der Sozialen Arbeit bzw. den gesamten Non-Profit-Bereich gewinnen.
Sie versucht, themenrelevante Begrifflichkeiten und Entstehungshintergründe aus den unterschiedlich definierenden Fachterminologien auf eine im Non-Profit-Bereich verwertbare Definition zu dekodieren. Zu diesen Begrifflichkeiten gehören unter anderem ökonomisch-wirtschaftliche Grundbegriffe, Grundprinzipien des Wirtschaftens und Managementmodule der Ökonomik in der Sozialen Arbeit. Ziel dieses Vorgehens ist es, ökonomische Begrifflichkeiten und Prinzipien der Ökonomie für die Soziale Arbeit verständlich und nutzbar zu machen und aus der ökonomischen Denktradition Fragen an die Soziale Arbeit zu stellen. Diese Themenstellungen beziehen sich sowohl auf den Umgang mit knappen Ressourcen als auch mit Klienten. Es sollen Fragestellungen behandelt werden, wie zum Beispiel: Welche Anspruchsgruppen werden durch die Soziale Arbeit in ihren Bedürfnissen befriedigt und auf welche Weise können die Klienten das Angebot und seine Qualität beeinflussen? Welche Auswirkungen ergeben sich für die Soziale Arbeit, wenn diese als professionelle soziale Dienstleistung verstanden wird und Klienten die Rolle von Konsumenten oder Kunden zuerkannt wird?
Die Arbeit will Missstände bezüglich des reduziert einseitigen Einsatzes der Begrifflichkeiten „Ökonomik“ und „Ökonomisierung“ als Deckmantel für Kostendeckelungen aufzeigen und für die zunehmende Bedeutung ökonomischer Denk- und Handlungsprinzipien des „Haushaltens“ in der Sozialer Arbeit sensibilisieren. Der Leser soll ermutigt werden, sich mit dem Themengebiet des Wirtschaftens kritisch auseinander zusetzen, da dieser Themenbereich in der Sozialen Arbeit und der Sozialpolitik zunehmend an Bedeutung gewinnt. Forciert durch die neoliberale Entwicklung zu mehr Markt und Wettbewerb in Europa steigt die Notwendigkeit, dass sich sozialwirtschaftliche Organisationen des Non-Profit-Sektors verstärkt als „Partner der Wirtschaft“ verstehen und „marktorientiert“ agieren. Dies setzt Verständnis wirtschaftspolitischer Zusammenhänge und Kenntnisse in Grundlagen ökonomisch-unternehmerischen Denkens und Handelns voraus und stellt zunehmend eine Anforderung an die Mitarbeiter sozialer Dienstleister dar.
Es sollen Chancen als auch Gefahren aufgezeigt werden, die in einer betriebswirtschaftlichen Betrachtungs- und Herangehensweise an die Soziale Arbeit liegen. Hierfür werden Implementierungsversuche ökonomischer Ansätze in der Praxis an ausgewählten Beispielen aufgezeigt. Zu erwähnen sind hierbei die Balanced Scorecard als Konzept des strategischen Managements, die Selbstbewertung nach dem EFQM-Modell für Excellence und das Neue Steuerungsmodell als Versuch der Modernisierung und Umgestaltung der öffentlichen Verwaltung.
Um Aussagen über die Tragfähigkeit theoretischer Ökonomisierungsmodelle und Managementansätze für eine praktische Verwertbarkeit treffen zu können, wurden Interviews mit Experten aus drei Non-Profit-Bereichen geführt. Aufbauend auf deren Praxiserfahrung und fundierten Einschätzung zu umgesetzten und/oder geplanten Ökonomisierungsmodulen sollen Chancen und Probleme herausgearbeitet werden, die bei der Übertragung von Konzepten aus dem Profit-Bereich in den Non-Profit-Bereich auftreten können. In diesem Zusammenhang sollen Anregungen für den Einsatz qualitätssichernder Methoden und strategisch ausgerichteter Managementinstrumente formuliert werden.
2.3 Aufbau der Arbeit
Diese Arbeit dient der Analyse der themenbezogenen Wissensstruktur der klassischen Betriebswirtschaftlehre (BWL), der Volkswirtschaftlehre (VWL) sowie der Erstellung einer Übersicht ausgewählter Ökonomietheorien, die in aktuellen sozialwissenschaftlichen Strömungen zunehmenden Einfluss auf die Entwicklung der Sozialen Arbeit bzw. den gesamten Non-Profit-Bereich gewinnen.
Zu diesem Zweck werden zunächst im Kapitel 3 die themenrelevanten Begrifflichkeiten und Entstehungshintergründe aus den unterschiedlich definierenden Fachterminologien herausgelöst, mit der Zielsetzung diese auf eine im Non-Profit-Bereich verwertbare Definition zu dekodieren. Zu diesen Begrifflichkeiten gehören unter anderem ökonomisch-wirtschaftliche Grundbegriffe, Grundbegriffe des Wirtschaftens und Module der Ökonomik in der Sozialen Arbeit.
Im folgenden Kapitel 4 werden Indikatoren und Kennziffern zur Erfolgsmessung in der Sozialen Arbeit dargestellt und die mit der Beurteilung von Effizienz, Effektivität und Qualität Sozialer Arbeit verbundenen Schwierigkeiten näher betrachtet. Des weiteren wird die Soziale Arbeit hinsichtlich ihres Beitrags zur gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsproduktion betrachtet. Dazu wird ein Überblick über die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung gegeben und auf die Mängel dieser hochaggregierten Daten aufmerksam gemacht.
Kapitel 5 der Arbeit beschäftigt sich mit den veränderten gesellschaftlichen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen und setzt diese in Verbindung zur gewählten Thematik der Arbeit.
In Kapitel 6 werden Implementierungsversuche ökonomischer Ansätze in der Praxis an ausgewählten Beispielen aufgezeigt. Für den Bereich der freien Träger wird die praktische Umsetzung der Balanced Scorecard, als Konzept des strategischen Managements, exemplarisch am Beispiel einer WfbM dargestellt. Als in der Praxis gängige Qualitätsmanagementansätze werden das EFQM-Modell für Excellence und die DIN ISO 9000:2000 ff. eingehender betrachtet. Für den Bereich der kommunalen Träger wird das Neue Steuerungsmodell in seinen Dimensionen und Ökonomisierungselementen detailliert dargestellt. Abgerundet wird das Kapitel durch Interviews mit Experten aus drei unterschiedlichen Non-Profit-Bereichen, die eine fundierte Einschätzung zu verschiedenen umgesetzten und/oder geplanten Ökonomisierungselementen in ihren Praxisfeldern geben.
Kapitel 7 beinhaltet eine Problemanalyse und Praxisbeurteilung der im Rahmen der Arbeit dargestellten theoretischen und/oder praktisch umgesetzten Managementansätze und Ökonomisierungselemente.
Abgerundet wird die Arbeit durch eine persönliche Stellungnahme des Verfassers zur behandelten Thematik.
3 Begriffliche und theoretische Grundlagen
3.1 Ökonomisch-wirtschaftliche Grundbegriffe
3.1.1 Ökonomie bzw. Ökonomik
Der Begriff Ökonomie (oikonomia) wörtlich als die „Gesetze des Hauses und der (Land-)Wirtschaft“ übersetzt, lässt sich zurückführen auf den griechischen Philosophen Aristoteles (3000 v. Chr.), der im Wesentlichen als Inspirator der Wirtschaftswissenschaften als eigenständige Disziplin gilt. Aristoteles begriff die Ökonomie als ganzheitliche Gesellschaftswissenschaft, wobei er das Augenmerk auf den sorgsamen Umgang mit den knappen Gütern „Arbeitskraft der Menschen“ und „fruchtbaren Boden“ legte (vgl. SCHEIBE-JAEGER 2002, S. 11).
Ökonomie bzw. Ökonomik (v. griech.: Oikos = Haushalt und Nomos = Gesetz) bezeichnet somit die Lehre des Wirtschaftens bzw. die Wirtschaftswissenschaften. Diese werden in Deutschland seit 100 Jahren in die Gebiete der Volkswirtschaft und der Betriebswirtschaft unterteilt. Die Volkswirtschaftslehre (VWL) setzt sich primär mit gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen auseinander, wobei je nach Untersuchungsgegenstand zwischen Mikroökonomie (kleinteilige Betrachtungsweise mit Analyse der einzelnen Entscheidungsträger) und Makroökonomie (Untersuchung von Gesamtzusammenhängen bzw. von gesamtwirtschaftlichen Größen) unterschieden werden kann. Das Untersuchungsgebiet der Betriebswirtschaftslehre (BWL) hingegen ist der (Einzel-)Betrieb und seine Probleme im Wirtschaftsprozess. Die BWL gliedert sich traditionell in die Allgemeine BWL und die Spezielle BWL (vgl. SCHIERENBECK 1999, S. 6 ff.).
Die klassische Grundfrage und zugleich zentrales Thema der Wirtschaftswissenschaften ist die Allokation knapper Ressourcen nach möglichst rationalen Kriterien auf unterschiedliche Verwendungszwecke (vgl. SCHIERENBECK 1989, S. 1 ff.; KUHN 2003, S. 275). Voraussetzung hierfür ist, dass die Bedarfe und die Effizienz der eingesetzten Mittel festgestellt und transparent gemacht werden.
Der Untersuchungsgegenstand der Ökonomie bezieht sich heute nicht mehr nur auf das griechische Landgut und das wirtschaftliche Handeln seiner Bewohner sondern umfasst die gesamte arbeitsteilige globalisierte Weltwirtschaft. Es wird von unbegrenzt menschlichen Bedürfnissen ausgegangen, während Ressourcen, wie Arbeit, Kapital, Boden oder Technik nur eingeschränkt verfügbar sind (vgl. SCHEIBE-JAEGER 2002, S. 11 f.; PUCH/WESTERMEYER 1996, S. 24). Als zentrale Aufgabe der Ökonomie kann also die Bedürfnisbefriedigung der Menschen durch Güter- und Dienstleistungsproduktion und damit die Erzeugung gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrt herausgestellt werden.
In einem noch weiter gefassten Verständnis begreift Ökonomie auch die „Lebens-Ordnungslehre“ nach Novalis. Dieser versteht Ökonomie als die praktische Wissenschaft im Ganzen, das heißt das alles Praktische zugleich ökonomisch sei. Ökonomie verdeutlicht demnach, wie Menschen ihr Leben ordnen. Wirtschaften kommt letztlich keine andere zweckdienliche Funktion zu, das Leben und Überleben der Menschen zu sichern, auch wenn sich das moderne Wirtschaften aus der häuslichen Sphäre entfernt hat (vgl. WENDT 1998, S. 221 ff.).
3.1.2 Wirtschaft(en)
„Wirtschaften ist der Inbegriff aller planvollen menschlichen Tätigkeiten, die unter Beachtung des ökonomischen Prinzips (Rationalprinzip) mit dem Zweck erfolgen, die – an den Bedürfnissen der Menschen gemessene – bestehende Knappheit an Gütern zu verringern“ (WÖHE 1996, S. 2)
Wirtschaften bedeutet sinnvoll mit den knappen Ressourcen bzw. Mitteln umzugehen, um die Relation zwischen Aufwand und Ertrag zu optimieren und gleichzeitig möglichst viele Bedürfnisse zu erfüllen. Demnach setzt dies einen Entscheidungsprozess über die Verwendung der als knapp definierten Mittel zur Bedürfnisbefriedigung voraus (vgl. KNORR 2002, S. 120), wobei die Betriebswirtschaftslehre die Prämisse trifft, dass diese Entscheidungen auf dem allgemeinen Vernunftprinzip beruhen, welches unter Punkt 0 noch ausführlicher dargestellt wird.
Erfolgreiches Wirtschaften und gerechte Verteilung sind die Voraussetzung für ein gutes Gemeinwesen, das heißt Ökonomie (oikos) hat sowohl gesellschaftliche, moralische als auch ethische Relevanz, die im Zeichen der Monetarisierung allerdings kaum bewusst ist.
3.1.3 Ökonomisierung
Der Begriff der Ökonomisierung bezeichnet die organisatorische Neuordnung staatlicher Verwaltungen, bei der durch interne Rationalisierung und die Übernahme marktpreissimulierter Kosten-Ertrags-Kalküle angestrebt wird, die Qualität öffentlicher Dienstleistungen zu verbessern und gleichzeitig deren Produktionskosten zu senken. Ökonomisierungsstrategien wie New Public Management u. ä. lehnen sich am Modell des privatwirtschaftlichen Konzerns an und kommen vor allem in den öffentlichen Diensten im engeren Sinne (Bildungs- und Gesundheitswesen, Sozialwesen usw.) sowie in den klassischen "hoheitlichen" Bereichen staatlicher Tätigkeit (Polizei, Steuerwesen, Militär usw.) zur Anwendung. Grundsätzlich gilt dabei das Prinzip der Kostenwahrheit: Gebühren und Entgelte werden grundsätzlich gegenüber allgemeinen Steuern bevorzugt, um den Nutznießern kostengerechte Preise zu verrechnen, welche ihnen den volkswirtschaftlichen Ressourcenverzehr anzeigen und sie zu einer sparsameren Nutzung anregen sollen (vgl. PELIZZARI 2001).
FINIS SIEGLER und SCHEIBE-JAEGER verstehen unter Ökonomisierung der Sozialen Arbeit die Reduzierung der Sozialen Arbeit auf rein ökonomische Aspekte, das heißt beschränkt auf eine rein effizienzorientierte Betrachtungsweise zu Lasten fachlicher Gesichtspunkte. Dieser Versuch die betriebliche Effizienz bei gleichzeitig restriktiver Steuerung der finanziellen Rahmenbedingungen zu steigern, beinhaltet insbesondere für die Strukturqualität sozialer Dienste erhebliche Risiken. Ist eine „übertrieben angewendete Ökonomik“ gemeint, wird auch von Ökonomismus gesprochen (vgl. FINIS SIEGLER 1997, S. 11 und SCHEIBE-JAEGER 2002, S. 12).
KLEVE kritisiert weiter, dass mit der Ökonomisierung eher triviale Mechanismen in die Soziale Arbeit eingeführt würden. Er konstatiert für die solchermaßen ökonomisierte Soziale Arbeit die „Gefahr, ihre gewonnene systemische Autonomie des sozialen Helfens gleich wieder an wirtschaftliche Orientierungen, an die ökonomische Autopoiesis des Zahlens zu verlieren“ (KLEVE 2001, S. 34; vgl. HAUPERT 2002, S. 15).
Ähnlich auch ELSEN, LANGE, WALLIMANN welche die Auffassung vertreten, dass mit Ökonomisierung keine Verschränkung von Ökonomie und Sozialer Arbeit gemeint ist, sondern neuere Anforderungen hinsichtlich einer Marktorientierung Sozialer Arbeit, die durch Einbeziehung betriebswirtschaftlicher Ansätze in sozialen Einrichtungen realisiert werden soll (vgl. ELSEN / LANGE / WALLIMANN 2000, S. 5).
WENDT beschreibt die Notwendigkeit dessen, dass man sich von der viel beklagten Ökonomisierung im Sozial- und Gesundheitswesen nicht abschrecken lassen soll und das Ökonomie nicht gleich Kommerz ist. Gleichzeitig beklagt er, dass auf der Mesoebene der sozialen Organisationen und Betriebe Ökonomisierung oft nur heißt, die Mittel gezielter einzusetzen und gleichzeitig Kosten zu sparen. Fügt aber fordernd hinzu, dass eine lediglich betriebsbezogene und betriebswirtschaftliche Rationalisierung im Fall der Humandienste den sozialpolitischen Versorgungsauftrag nicht unberücksichtigt lassen darf und das der Erfolg des sozialen Dienstes an dessen Erfüllung zu messen sei (vgl. WENDT 2000, S. 31 ff.).
ERATH begründet die Ökonomisierung Sozialer Arbeit nicht nur als eine Folge der Globalisierung, sondern macht darüber hinaus das Scheitern der sozialistischen Gesellschaften mitverantwortlich. „Mit ausgelöst durch das Scheitern der sozialistischen Gesellschaften und den damit verbundenen Transformations- und Globalisierungsprozessen kommt es zu einer Entwicklung, die man durchaus als ´Ökonomisierung der Sozialarbeit´ bezeichnen kann.“ (ERATH 1998, S. 26)
STAUB-BERNASCONI resümiert, dass die Ökonomisierung des Sozialen dazu führt, dass privat gewordene Nöte „nicht an die Gesellschaft zurückgegeben werden können, sondern privat oder reprivatisiert werden“ (STAUB-BERNASCONI 1995, S. 65). Ihre Forderung ist, „dass sich Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession verstehen müsse, dass sie ihr Verständnis daran zu setzen habe, analog zum einsetzenden weltweiten Bewusstseinsbildungsprozess über ökologische Fragen auch einen solchen über soziale Fragen treten zu lassen. Die Sozialarbeit besitzt dabei einen eigenbestimmten, selbstdefinierten Auftrag“ (STAUB-BERNASCONI 1995, S. 68).
VOLZ hingegen schlägt vor, „die Ökonomisierung auch zu verstehen als Folge des als Professionalisierung betriebenen Prozesses der- erfolgreichen! – Selbstbehauptung in einer dominanten wissenschaftlich-technisch-ökonomischen Kultur“ (VOLZ 2000, S. 220). Er deutet Ökonomisierung nicht vorwiegend darin, dass die Soziale Arbeit sich zunehmend wirtschaftlichen Zwecksetzungen untergeordnet sieht, dass sie sich ihnen anpasst oder anpassen muss, sondern vielmehr darin, dass sie längst schon „ökonomische Rationalitätsstandards und Handlungsmodelle übernommen hat (vgl. VOLZ 2000, S. 208).
3.1.4 Bedürfnisse, Bedürfnisbefriedigung und Bedarf
3.1.4.1 Bedürfnisse und Bedarf
Bedürfnisse sind Mangelempfindungen mit dem Wunsch, diesen Mangel zu beseitigen. Sie können aufgrund unterschiedlicher Begebenheiten entstehen und werden unter anderem abhängig von der gesellschaftlichen Entwicklungsstufe, der technischen Entwicklung, Umweltfaktoren, von Lebensstandard, vom gesellschaftlichen Wertesystem sowie weiteren sozio-kulturellen und psychischen Faktoren als Bedürfnisse wahrgenommen (vgl. FINIS SIEGLER 1997, S. 20). Menschen haben eine Vielzahl verschiedenster Bedürfnisse, deren Befriedigung die Transformation in Bedarfe bzw. Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen voraussetzt.
Bedürfnisse werden zu Bedarfen transformiert, wenn diese Bedürfnisse quantifizierbar und qualifizierbar werden und durch den Kauf entsprechender Produkte oder Dienstleistungen befriedigt werden können (vgl. KNORR 2002, S. 121).
Bedarf umfasst demnach die mit Kaufkraft ausgestatteten Bedürfnisse. Dabei wird Bedarf in Form von Nachfrage zur Befriedigung konkret realisierbarer Wünsche vor allem durch Käufe auf anonymen Märkten realisiert.
Die tatsächliche Bereitschaft ein bestimmtes Gut oder Dienstleistung am Markt zu kaufen ist somit als Nachfrage zu verstehen. Diese realisierte Nachfrage aus Perspektive der Verkäufer betrachtet stellt deren Absatz dar (vgl. SCHEIBE-JAEGER 2002, S. 18).
Neben der Bedarfsdeckung in Form von Käufen am Markt, können Individuen durch Eigenherstellung oder die Nutzung staatlicher Leistungen ihren Bedarf befriedigen. Diese realisierte Nachfrage aus Perspektive der Verkäufer betrachtet stellt deren Absatz dar (vgl. SCHEIBE-JAEGER 2002, S. 18).
3.1.4.2 Klassifikation von Bedürfnissen
In der Literatur lassen sich zahlreiche Versuche finden, Bedürfnisse nach unterschiedlichen Kriterien zu klassifizieren. So wird in der ökonomischen Theorie sehr häufig auf die Maslowsche Bedürfnispyramide (vgl. Abbildung 3). Bezug genommen. An dieser Stelle kann allerdings nur sehr verkürzt und überblicksartig auf diese Bedürfnispyramide eingegangen werden. Nach MASLOW können die vielfältigen Motive[7] menschlichen Handelns in fünf hierarchisch angeordnete Motivklassen unterteilt werden, wobei sich die Bedürfnishierarchie aus der unterschiedlichen Dringlichkeit ihrer Befriedigung ergibt. Bedürfnisse der nächst höheren Stufe werden erst dann als Mangel empfunden, wenn die in der Vorstufe formulierten Bedürfnisse weitgehend befriedigt sind. Es besteht demnach eine Wechselbeziehung zwischen Bedürfnisbefriedigung und dem Entstehen neuer Bedürfnisse, wie auch zwischen den Bedürfnissen und den zur Befriedigung eingesetzten Gütern (vgl. SCHIERENBECK 1999, S. 58 ff.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Maslowsche Bedürfnispyramide (Quelle: in Anlehnung an MASLOW 1954, S. 100)
Grundsätzlich gibt es diverse Unterscheidungskriterien nach denen individuell menschliche Bedürfnisse eingeteilt werden können:
Primäre und sekundäre Bedürfnisse
Individual- und Kollektivbedürfnisse
Materielle und immaterielle Bedürfnisse
Bewusste und unbewusste Bedürfnisse
„Die Bedürfnisintensität als Einflussgröße der Nachfrage ist nicht direkt messbar.“ (BARTLING/LUZIUS 2000, S. 62)
Hinter der Bedürfnisstruktur bzw. den Präferenzen[8] verbergen sich individuelle Geschmacksbesonderheiten, Vorlieben und Interessen eines Individuums bzw. Haushaltes (vgl. GRUBER 2000, S. 69).
Daraus ergibt sich, dass der Nutzen, den ein Gut stiftet, sich von Individuum zu Individuum unterscheidet, das heißt eine subjektive Größe darstellt, ebenso wie das erreichbare Nutzenmaximum. Im Grad der Bedürfnisbefriedigung kommt demnach die mögliche „Sättigungsmenge“ zum Ausdruck: Ist ein Erst- oder Ersatz-Kauf dringend erforderlich.
3.1.5 Der Markt als Treffpunkt von Angebot und Nachfrage
3.1.5.1 Angebot und Nachfrage
Wie bereits erwähnt ist der Markt[9] der ökonomische Ort, an dem sich Angebot und Nachfrage treffen (vgl. Abbildung 4).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Markt-Preis-Mechanismus (Quelle: in Anlehnung an SCHIERENBECK 1989, S. 19)
Bei der Nachfrage handelt es sich um die tatsächliche Bereitschaft der Konsumenten Güter oder Dienstleistungen i. w. S. am Markt zu kaufen. Während diese realisierte Nachfrage aus Perspektive der Verkäufer betrachtet den Absatz darstellt bzw. die Menge an Gütern im weiteren Sinne bezeichnet, die zum Verkauf oder Tausch am Markt angeboten wird (vgl. SCHEIBE-JAEGER 2002, S. 18).
3.1.5.2 Markt- oder Preismechanismus
Das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage auf dem Markt unterliegt einer bestimmten Ordnung, nämlich dem Markt- oder Preismechanismus. Danach regulieren sich gemäß dem Nationalökonomen Adam Smith[10] Angebot und Nachfrage idealtypisch wie durch eine „unsichtbare Hand“ gelenkt, so dass sich auf dem Markt eine „spontane Ordnung“ ergibt, bei der alle beteiligten Marktakteure bedient werden bzw. zufrieden sind. Wichtigste Determinante der Regulation von Angebot und Nachfrage privater Güter ist dabei der Preis, der wesentlich vom Knappheitsgrad der Güter abhängt. Bei funktionierendem Marktmechanismus und freier (normaler) Preisbildung, richten sich die Marktpreise somit nach den von den Unternehmen angebotenen und den von den Haushalten nachgefragten Gütermengen. Je knapper also ein Gut ist, desto höher ist sein Preis.[11] Ebenso sind die angebotenen und nachgefragten Mengen wiederum von den Marktpreisen abhängig.
Die Grundidee dieser wettbewerblichen Selbststeuerung ist, dass der Wettbewerb die Anbieter zwingt, ihre Marktleistung im Interesse der Verbraucher jeweils so zu steigern (z. B. über Qualitätssteigerung oder Preisnachlässe), dass diese möglichst zum Zuge kommen.
Markt bedeutet Wettbewerb, was zwangsläufig dazu führt, dass Unternehmen kostengünstig produzieren müssen, um langfristig bestehen zu können. Die Konsumenten wiederum sind zu rationalem (vernünftigem) Nachfragen gezwungen, was bedeutet, dass sie auf der Grundlage des Vergleichs aller Angebote, das für sie günstigste wählen.
Sowohl Verbraucher als auch Unternehmer streben als ökonomisch denkende Akteure nach einer Maximierung ihres Nutzen bzw. ihres Gewinns.
In der Marktwirtschaft erfolgt der Ausgleich von Angebot und Nachfrage im Wesentlichen ohne Eingreifen des Staates. Gerade hier kommt dem Preis eine sozialpolitische Funktion zu, um auf bestehende Schwachstellen aufmerksam zu machen. Kollektive Bedürfnisse, ungleiche Vermögensverhältnisse, soziale Kosten durch unterschiedliche Leistungsfähigkeit würden jedoch bei reiner marktwirtschaftlicher Regulierung nicht oder in zu geringem Umfang berücksichtigt werden (Marktversagen). Die Produktion sozialer Dienstleistungen unterscheidet sich demnach von der Güter- und Warenproduktion u. a. dadurch, dass Angebot und Nachfrage nicht über den Markt reguliert werden sondern über den intermediären Sektor, das heißt über das Handlungsfeld zwischen Markt und Staat. Institutionen in diesem Sektor setzen also da an, wo marktwirtschaftliche Regelungen nicht greifen und wo Menschen nicht über den Markt versorgt werden oder bedarfsgerechte Angebote keine Berücksichtigung finden. In Deutschland besteht die Nachfrageseite nur zu einem sehr geringen Teil aus Selbstzahlern. Dies bedeutet, dass Klient und Kostenträger im überwiegenden Teil der Personen nicht identisch sind. Die Nutzer der sozialen Leistungen sind also keine Kunden im eigentlichen Sinne, so dass sie mit ihrer Kaufentscheidung und Kaufkraft über Angebot und Nachfrage, Qualität und Quantität der Leistungsangebote entscheiden könnten. Der soziale Sektor ist dadurch charakterisiert, dass unter Berücksichtigung der staatlichen Vorgaben eher die Anbieter bzw. Hersteller festlegen, welche sozialen Leistungen angeboten werden, wie groß Auswahl und Qualität sind. Die Bedürfnisbefriedigung im intermediären System ist also von sozio-kultureller Macht und Gruppensolidarität abhängig. Die Leistungsempfänger treten gleichzeitig als Kunden und Mitproduzenten in Erscheinung, so dass nur durch die Mitwirkung und Mitentscheidung der Betroffenen bedürfnisgerechte und dem Problem angemessene Lösungen gefunden werden können (vgl. SCHWARZ 2001, S. 59 ff.). Durch die Festsetzung von „sozialen Preisen“ und dem Angebot meritorischer Güter soll die Teilhabe auch benachteiligter Gruppen der Gesellschaft gewährleistet werden (soziale Gerechtigkeit).
3.1.5.3 Käufer- und Verkäufermarkt
Je nach Marktmacht im Sinne der Einflussmöglichkeiten des Käufers bzw. Anbieters können zwei Situationen differenziert werden.
Ein Käufermarkt liegt vor, wenn das Angebot die Nachfrage wesentlich übersteigt (Angebotsüberschuss), so dass die Preise in der Regel nach unten tendieren. Diese Situation des Verdrängungsmarktes ist kennzeichnend für die (westliche) Überflussgesellschaft und die heutige industrielle Massenproduktion, in der die Haushalte überwiegend mit Gütern gesättigt sind.
Aber auch im sozialen Bereich nimmt der Wettbewerb zwischen Non-Profit-Organisationen untereinander und zu privatwirtschaftlichen Anbietern drastisch zu. So drängen zunehmend privatwirtschaftliche Unternehmen beispielsweise in der ambulanten und stationären Altenhilfe auf den Markt, so dass gemeinnützige Anbieter verstärkt dazu gezwungen sind, sich dem Kunden gegenüber durch ein besonderes Leistungsangebot und Auftreten als einzigartig zu repräsentieren. Sie müssen sich durch kundenorientiertes Verhalten abheben, um zukünftig, in Zeiten rückläufiger Staatsfinanzen, ihre Leistungen noch anbieten zu können und Kunden wie auch private oder gewerbliche Unterstützer dafür zu finden.
Verkäufermärkte (auch Verteiler- oder Mangelmärkte genannt) hingegen sind dadurch gekennzeichnet, dass ein oder mehrere Verkäufer die Preiskonditionen festlegen können, da ein Nachfrageüberschuss existiert, das heißt weil die Nachfrage größer ist als das Angebot. Diese Situation ist in der freien Marktwirtschaft allerdings nur kurzzeitig möglich, da die Mitbewerber schnell nachziehen. Zu den Verkäufermärkten waren lange Zeit die Behindertenhilfe und die Hilfen für psychisch kranke Menschen zu zählen, wobei sich auch diese Bereiche derzeit in Wandel befinden.
[...]
[1] Zur besseren Lesbarkeit wurde auf die Nennung der weiblichen und männlichen Form verzichtet. Es sind immer beide Geschlechter gemeint.
[2] Die Bezeichnungen „soziale Organisationen“, „Wohlfahrtsorganisationen“, „soziale“ oder „sozialwirtschaftliche Unternehmen“ werden im Rahmen dieser Arbeit synonym verwendet.
[3] Der Diskurs zwischen Anhängern Keynes und Monetaristen, Neoliberalen ist derzeit zugunsten der letztgenannten Positionen entschieden worden. Fast alle Staaten als auch die Schwellenländer sowie der IWF folgen den monetaristischen Umbaumodellen der Sozialstaatsreduktion.
[4] Wohlfahrtsproduktion heißt, ein gutes Ergehen von Menschen (Lebensqualität) durch sich selbst sowie durch soziale Unterstützung, durch Dienste und Einrichtungen zustande zu bringen. Unterscheiden lassen sich hierbei gemeinwesenbezogene und personenbezogene Ansätze der Wohlfahrtsproduktion.
[5] Leistung im Sinne bewerteter, sachzielgebundener Güter- und Leistungserstellung in einer Periode (vgl. KLOOCK 1996).
[6] Während in der qualitativen Forschung verbalisierte Daten interpretierend ausgewertet werden, erfolgt im Rahmen der quantitativen Forschung eine numerische Bearbeitung der gewonnenen Daten. Beide Methoden werden allerdings häufig kombiniert, also ergänzend zueinander eingesetzt (vgl. BORTZ/DÖRING 2002, S. 687).
[7] Motive sind die latent vorhandene Bereitschaft eines Individuums, auf bestimmte wahrgenommene und situative Merkmale in unterschiedlicher Weise zu reagieren. Sie stellen ein hypothetisches Konstrukt zur Erklärung menschlichen Verhaltens dar. Die Summe aller aktivierten Motive wird als Motivation bezeichnet. Vgl. HECKHAUSEN 1980, S. 28.
[8] Der „Präferenzbegriff“ wird in der Ökonomie sowohl gebraucht, um (a) die relativen Bewertungen von Handlungsalternativen durch einen Handelnden zu bezeichnen, als auch (b) dasjenige, was diesen Bewertungen zugrunde liegt.
[9] Als Markt wird die Gesamtheit der Beziehungen zwischen Anbietern und Nachfragern von Gütern, Dienstleistungen und Faktoren bezeichnet
[10] Adam Smith (1723-1790) gilt mit seinem Hauptwerk „Wohlstand der Nationen“ als der Begründer der klassisch-liberalen Markttheorie (Magnus Opum), die die wirtschaftliche Konkurrenz als Mittel zur Begrenzung unsozialen Verhaltens durch die Natürliche Ordnung (ökonomisch rationales Handeln) sieht. Die Kritik von Smith richtet sich gegen eine Globalsteuerung durch den Staat, minimale Staatseingriffe sind dort gerechtfertigt, wo der Markt versagt, wie z. B. bei der Bereitstellung öffentlicher Gütern und der Tendenz zur Monopolbildung. Diese Ideen sind bis heute im Diskurs über die richtige Form der Marktwirtschaft (frei und/oder sozial) (wirtschafts-)politisch relevant (vgl. PIPER 1994, S. 29 ff.).
[11] Für die Preisbildung sind neben der Knappheit der Güter allerdings noch viele weitere Faktoren, wie Marktgegebenheiten und Marktkennzeichen, Produktmerkmale, Eigenschaften der Nachfrager und irrationale Einflussfaktoren wie Prestigeeffekte oder Snobverhalten relevant (vgl. SCHIERENBECK 1989, S. 250).
- Arbeit zitieren
- Dipl.Päd. Dipl.Soz.arb. Klaus Bäcker (Autor:in), 2006, Die Bedeutung der Ökonomie für die Soziale Arbeit und die Sozialpolitik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73386
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