Das vorliegende Werk beschäftigt sich eingehend mit der polnischen sicherheitspolitischen Kultur, also den wesentlichen Faktoren, welche die Wahrnehmungen äußerer Bedrohungen und das Verständnis nationaler Sicherheit der polnischen Entscheidungsträger bestimmen. Anlaß hierzu bieten das wiederholte Auftreten Polens als schwieriger Verhandlungspartner im Bereich der europäischen Integration, vor allem die ausgeprägte tansatlantische und nationalstaatliche Orientierung. Diese äußert sich etwa in der beharrlichen Weigerung, eine Minderung des polnischen Stimmengewichtes im Rat der EU hinzunehmen, oder im Veto gegen einen neuen Grundlagenvertrag mit Rußland.
Hierzu wird der noch recht junge Ansatz der sicherheitspolitischen Kultur mit einer konstruktivistischen Außenpolitiktheorie und der Methode der Diskursanalyse kombiniert. Anhand von polnischen Parlamentsdebatten und Pressematerial werden die wesentlichen Elemente der polnischen sicherheitspolitischen Kultur herausgearbeitet, zu denen insbesondere die Angst vor Deutschland und Rußland, das Primat der NATO und der polnisch-amerikanischen Beziehungen, Demokratieförderung in Osteuropa und ein ausgeprägtes Souveränitäts- und Statusdenken gehören. Anschließend wird Polens Rolle in der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik einer genaueren Betrachtung unterzogen, um die gewonnenen Ergebnisse auf ihre praktische Relevanz hin zu überprüfen. Hierbei zeigt sich, daß Polen einer weiteren Integration in diesem Bereich grundsätzlich positiver gegenübersteht, als allgemein angenommen wird.
Am Schluß steht die Erkenntnis, daß der Ansatz der sicherheitspolitischen Kultur ein wertvolles Instrument zur Erklärung und Prognose der polnischen Außen- und Europapolitik ist. Angesichts der Tatsache, daß dieses Instrument bisher noch recht unausgereift ist und zudem auf Polen kaum angewendet wurde, werden zudem mögliche Ansatzpunkte zur theoretischen Weiterentwicklung und weiteren Anwendung diskutiert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
Zur Fragestellung
Forschungsstand und Literaturbericht
Zur Vorgehensweise
2. Theoretischer Hintergrund
2.1. Konstruktivismus in den Internationalen Beziehungen
2.2. Konstruktivismus und Außenpolitik
2.3. Sicherheitspolitik und sicherheitspolitische Kultur
2.3.1. Sicherheitspolitik als Bestandteil der Außenpolitik
2.3.2. Die Rolle von Kultur in der Sicherheitspolitik
2.3.2.1. Die strategische Kultur
2.3.2.2. Sicherheitspolitische Kultur – Eine Synthese
2.3.2.3. Die Operationalisierung sicherheitspolitischer Kultur
2.4. Zur Methode
2.4.1. Zur Diskursanalyse
2.4.2. Die Vorgehensweise
3. Die Entwicklung von GASP und ESVP
3.1. Das Scheitern der EVG und die Schaffung der EPZ
3.2. Die Verträge von Maastricht und Amsterdam
3.3. Die britische Kehrtwende und die Schaffung der ESVP
3.4. Der Nizza-Vertrag und die Verfassung für Europa
3.5. Weitere Entwicklungen
4. Die sicherheitspolitische Kultur der Dritten Republik Polen
4.1. Die Literatur zur sicherheitspolitischen Kultur Polens
4.2. Der sicherheitspolitische Diskurs in der Dritten Republik
4.2.1. Der sicherheitspolitische Diskurs Ende 1992/Anfang 1993
4.2.2. Der sicherheitspolitische Diskurs im Jahre 2006
4.3. Zusammenfassung und Prognose für die GASP-/ESVP-Politik Polens
5. Polens GASP-/ESVP-Politik
5.1. Polens Einflußnahme auf GASP und ESVP vor dem Beitritt
5.2. Polen als GASP- und ESVP-Akteur seit dem Beitritt
5.3. Polens nationale Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik im EU-Kontext
6. Diskussion der Ergebnisse
7. Schluß
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Drei Jahre sind bald vergangen, seit Polen Mitglied der Europäischen Union wurde. In diesen drei Jahren – zum Teil bereits vorher – hat sich Polen mit viel Engagement den Ruf wenn nicht eines Querulanten, dann zumindest eines nicht besonders pflegeleichten Mitglieds erarbeitet. Das mit mehr als 38 Millionen Einwohnern mit Abstand größte Beitrittsland der EU-Osterweiterung von 2004 hat sich nicht nur in Fragen der Geschichtsbewertung immer wieder vor allem mit Deutschland angelegt; man denke an die andauernde Kontroverse um das deutsche Zentrum gegen Vertreibungen oder den Beschluß des polnischen Sejms, die Regierung solle von Deutschland Kriegsreparationen verlangen, nachdem die Preußische Treuhand Entschädigungsklagen Vertriebener angekündigt hatte. Auch in „harten“ politischen Angelegenheiten hat sich Polen in der Vergangenheit nicht gescheut, seinen eigenen Standpunkt gegenüber den Altmitgliedern zu vertreten und zur Not sogar Gipfelver-handlungen platzen zu lassen. Die monatelange Weigerung, im Rahmen des EU-Verfassungsvertrages eine Minderung seines Stimmgewichts im Rat der Europäischen Union hinzunehmen („Nizza oder der Tod!“) hat ebensoviel Aufsehen erregt wie die Reaktionen auf die geplante deutsch-russische Gasleitung durch die Ostsee und damit um Polen herum, die der polnische Verteidigungsminister Radosław Sikorski mit dem Hitler-Stalin-Pakt verglich. Kürzlich blockierte Polen die Verhandlungen über ein neues Grundsatzabkommen zwischen der EU und Rußland aufgrund eines russischen Einfuhrverbots für polnische landwirtschaftliche Produkte. Höhepunkt der Differenzen bleibt sicherlich der Irakkrieg von 2003, in dem Polen sich in die erste Reihe des „neuen Europa“ stellte und sich mit der Unterzeichnung des „Briefes der Acht“ den Kommentar Jacques Chiracs einfing, es habe „eine großartige Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten.“ Polens Solidarität mit der Bush-Regierung und seine Teilnahme am Irak-Krieg brachten dem Land sogar den Vorwurf ein, der „trojanische Esel“ der USA in Europa zu sein.
Auffällig ist, daß sich westeuropäische Politiker gerade in Deutschland und Frankreich und auch die Medien nur selten die Frage zu stellen scheinen,warum Polen sich so verhält. Eher noch wird immer wieder beklagt, wie sehr das Land übertreibe, wiederholt die Karten ausreize, die Solidarität der Partner verspiele und daß sein Verhalten schlicht nicht nachvollziehbar sei. Dabei ist das grundsätzliche Problem eher, daß die Äußerungen polnischer Politiker und die Politik des Landes nur oberflächlich wahrgenommen und auf der Grundlage der eigenen kulturellen Bewertungsmuster interpretiert werden. Auf diese Weise muß einem Deutschen zwangsläufig unverständlich bleiben, wieso Polen wichtige Verhandlungen mit Rußland wegen Lebensmittellieferungen blockiert und wieso die Ostsee-Gasleitung so schrille Töne aus Warschau provoziert. Darauf, daß es keine Frage des Einkommens polnischer Bauern oder der entgangenen Durchleitegebühren für Gas ist, wie in deutschen Medien oft zu hören und zu lesen war, deutet folgende Äußerung des polnischen Premierministers Jarosław Kaczyński in der polnischen Tageszeitung Dziennik hin, in der er das polnische Veto in den Verhandlungen mit Rußland erklärte:
„Würde Rußland das Signal erhalten, daß Polen sich grundsätzlich mit dem Status eines Nicht-Unions-Staates in den Beziehungen zu Rußland einverstanden erklärt, dann stünde die ganze Palette an Druckmitteln uns gegenüber zur Verfügung. Nur jemand, der extrem naiv ist, könnte annehmen, daß Rußland diese Gelegenheit nicht nutzen würde. […] Vor einem Vierteljahrhundert fragten wir uns „Kommen sie rein oder nicht“, und jetzt sollen wir uns fragen: „Drehen sie zu oder nicht“ – eine solche Politik können wir nicht verfolgen. Wir müssen möglichst ein gewisses System von Garantien schaffen, damit Rußland nicht mit solchen Methoden Druck auf uns ausüben kann.“[1]
Wer mit der polnischen Geschichte vertraut ist, weiß, daß „vor einem Vierteljahrhundert“ in Polen das Kriegsrecht verhängt wurde und die Führung dies mit einer drohenden sowjetischen Invasion rechtfertigte. Daß mit dem „Zudrehen“ jenes des Gashahns gemeint ist, ist ebenfalls offensichtlich. Die Äußerungen Kaczyńskis deuten darauf hin, daß es hier im Grunde nicht um Lebensmittellieferungen geht, sondern um die Sicherheit[2] des Landes, und daß bestimmte Verhaltensweisen und Ereignisse, die deutschen Politikern nicht wesentlich erscheinen mögen, in Polen aufgrund historischer Erfahrungen als Bedrohung wahrgenommen werden.
Zur Fragestellung
Daß historische Erfahrungen und kulturelle Besonderheiten sich in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich auf die Sicherheitspolitik auswirken, ist schon seit einiger Zeit ein Thema in der politikwissenschaftlichen Disziplin der Internationalen Beziehungen (IB). Vor rund dreißig Jahren wurde das Konzept der „strategischen Kultur“ aus der Taufe gehoben, mit dem Jack Snyder zu erkären versuchte, daß sich die Sowjetunion im Falle eines begrenzten Atomkrieges nicht gemäß spieltheoretischer Modelle „rational“ verhalten würde. Man müsse eben diese strategische Kultur der Sowjets kennen, um ihr Verhalten in solch einem Fall voraussagen zu können. Mit dem Ende des Kalten Krieges hat das Konzept weiteren Schwung erhalten; insbesondere Deutschland war hier Forschungsobjekt, nachdem sich das wiedervereinigte, souveräne und erstarkte Land nicht jenen Großmachtambitionen hingeben wollte, wie führende IB-Forscher vorausgesagt hatten, sondern sich weiterhin um zivile Kontliktregelung, Integration und Multilateralismus bemühte. Die Ansicht, daß diese auf die Sicherheitspolitik bezogene Kultur – ich nenne sie „sicherheitspolitische Kultur“[3] – einen Einfluß auf die Sicherheitspolitik von Staaten hat und sich von Staat zu Staat erheblich unterscheiden kann, findet innerhalb der IB immer mehr Anhänger.
Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag zur Ermittlung der sicherheitspolitischen Kultur Polens leisten und damit helfen, das vielen oft unverständliche Verhalten Polens auf internationalem Parkett besser zu verstehen. Dabei soll die sicherheitspolitische Kultur Polens als unabhängige Variable ermittelt und dann überprüft werden, ob ein Einfluß auf die abhängige Variable „Sicherheitspolitik“ feststellbar ist. Da seit einigen Jahren die außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Integration der EU an Fahrt gewinnt und zu einem der kontroversesten Themen innerhalb der Union gehört, gerade auch weil sie klassische Zuständigkeitsbereiche und Souveränitätsrechte der Nationalstaaten im Bereich der nationalen Sicherheit berührt, soll die sicherheitspolitische Kultur Polens exemplarisch anhand seiner Politik bezüglich der GASP/ESVP überprüft werden. Somit sind folgende Fragen zu klären:
Wie ist die sicherheitspolitische Kultur der Dritten Republik Polen beschaffen? Welche Folgen hat dies für die Position und konkrete Politik Polens hinsichtlich der GASP/ESVP?
Forschungsstand und Literaturbericht
Der Ansatz der sicherheitspolitischen Kultur ist noch nicht sehr alt und war bis vor kurzem konzeptionell noch eher unterentwickelt. Erst durch die konstruktivistische Wende in den 1990er Jahren erhielt er einen konzeptionellen Schub und genießt seitdem zunehmende Anwendung und stetige Weiterentwicklung. Noch sind gründliche Falluntersuchungen allerdings nicht besonders zahlreich und meist auf „Schwergewichte“ der internationalen Politik bezogen. Zu Polen gab es hierzu bis vor kurzem noch gar keine Untersuchungen.
Erste Ergebnisse lieferten 2003 das Arbeitspapier Polnische Sicherheitspolitik von Cornelia Frank sowie der Sammelband Kultura bezpiecze ństwa narodowego w Polsce i Niemczech („Nationale Sicherheitspolitik in Polen und Deutschland“), herausgegeben von Krzysztof Malinowski. 2004 widmete Marcin Zaborowski in seinem Arbeitspapier From America´s Protégé to Constructive European der „strategischen Kultur“ Polens einige Zeilen. 2006 erschien mit Polnische Sicherheitspolitik in der Transformation eine aktualisierte Fassung von Franks Untersuchung. Damit erschöpft sich allerdings bereits die Literatur zur sicherheitspolitischen Kultur Polens, wobei sich nur Malinowski und Zaborowski auch tatsächlich auf das genannte theoretische Konzept stützen.
Hiervon ausgehend wurde aufgrund seiner Aktualität das Buch Germany and the Use of Force von Kerry Longhurst herangezogen. Es enthält eine detaillierte Darstellung der konzep-tionellen Entwicklung, anhand derer Literatur zu diesem Thema ausgewählt wurden, um den Ansatz und seine Entwicklung darzustellen. Hierbei waren besonders die Werke von Snyder, Johnston, Duffield und Berger von Bedeutung. Für die Bestimmung des Begriffes „Kultur“ und „sicherheitspolitische Kultur“ waren auch die Sammelbände Culture and Foreign Policy von Hudson und The Culture of National Security von Katzenstein sehr hilfreich.
Aufgrund der spärlichen Literatur wurde eine eigene Analyse von Primärdaten durchgeführt. Hierzu zählen insbesondere Plenardebatten im polnischen Sejm und Äußerungen von Politikern in den Medien. Die Politik Polens bezüglich GASP und ESVP wurde anhand von Medienberichten, vor allem aber anhand von Arbeitspapieren und Zeitschriftenaufsätzen analysiert. Sekundärliteratur hierzu wurde vor allem in Polen selbst gesichtet. Material fand sich insbesondere in den online publizierten Arbeitspapieren des Polski Instytut Spraw Międzynarodowych (Polnisches Institut für Internationale Angelegenheiten) und im jährlich erscheinenden Rocznik Polskiej Polityki Zagranicznej („Jahrbuch der polnischen Außenpolitik“) . In der Zeitschrift Sprawy Międzynarodowe („Internationale Angelegenheiten“) fanden sich einige interessante Aufsätze, vereinzelt auch in anderen polnischen Fachzeitschriften. Hilfreich bezüglich der polnischen Außen- und Sicherheitspolitik allgemein waren Roman Kuźniars Poland´s Security Policy und sein zusammen mit Krzysztof Szczepanik herausgegebener Sammelband Polityka zagraniczny RP 1989-2002 („Die Außenpolitik der Republik Polen 1989-2002“). Von großem Nutzen waren auch die Arbeitspapiere der European Union Institute for Security Studies.
Für den konstruktivistischen Unterbau wurden insbesondere die Arbeiten von Berger und Luckmann, Alexander Wendt und der Sammelband International Relations in a Constructed World von Kubalková et al. sowie die konstruktivistische Außenpolitiktheorie von Boekle, Rittberger und Wagner verwendet. Für einen Überblick über den aktuellen Entwicklungsstand der konstruktivistischen Perspektive in den IB wurden außerdem aktuelle Zeitschriftenaufsätze gesichtet (v.a. von Risse oder Checkel).
In methodischer Hinsicht war der Sammelband „Methoden der sicherheitspolitischen Analyse“ von Alexander Siedschlag sehr hilfreich, der einen Überblick über den aktuellen Entwicklungsstand sicherheitspolitischer Analyseinstrumente gibt. Auf dieser Grundlage wurde die Entscheidung für eine Diskursanalyse getroffen. Mit Hilfe des Handbuchs sozialwissenschaftliche Diskursanalyse von Keller et al. sowie insbesondere den Publikationen von Schwab-Trapp wurde die verwendete Herangehensweise entwickelt.
Zur Vorgehensweise
Ausgangspunkt ist eine konstruktivistische Analyseperspektive – nicht nur, weil diese zumeist als Grundlage für das Konzept der sicherheitspolitischen Kultur herangezogen wird, sondern auch, weil die rationalistischen Theorien in den Internationalen Beziehungen für viele Phänomene der internationalen Politik, insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges, keine angemessenen Erklärungen anbieten. Auch im Falle Polens führen diese Theorien oft nicht zu befriedigenden Antworten, etwa auf die Frage, wieso ein mittelgroßes Land mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten Soldaten für die Lösung von Konflikten auf anderen Kontinenten bereitstellt, die für dieses Land gar keine direkte Bedrohung darstellen.[4]
Ausgehend von einer Darstellung der konstruktivistischen Perspektive in den IB und der Außenpolitiktheorie wird ein Bogen zur Analyse von Kultur in der Außen- und Sicherheitspolitik geschlagen. Nach der Vorstellung des Konzeptes der sicherheitspolitischen Kultur wird dieses gemeinsam mit einer konstruktivistischen Außenpolitiktheorie als theoretische Grundlage für die Untersuchung der sicherheitspolitischen Kultur Polens herangezogen. Dabei konzentriert sich die Analyse auf Normen als direkt handlungsleitende Elemente der sicherheitspolitischen Kultur sowie sekundär auf die zugrunde liegenden Werte, Identitäten und Weltbilder. Zur Erfassung wird eine Diskursanalyse durchgeführt, welche die Konstruktion von Bedrohungswahrnehmungen und den Handlungsnormen, die zur Abwehr dieser Bedrohungen postuliert werden, durch sprachliche Kommunikation herausarbeiten soll. Dies geschieht anhand von Plenardebatten im polnischen Sejm sowie von Aussagen von Politikern in Zeitungsartikeln, Essays und weiteren Fragmenten, welche dem sicherheitspolitischen Diskurs in Polen zuzuordnen sind. Um herauszufinden, welche Elemente der polnischen sicherheitspolitischen Kultur als besonders stabil gelten können, wird die Analyse für den Diskurs Ende 1992/Anfang 1993 und für 2006 durchgeführt. Um zu überprüfen, ob die ermittelte sicherheitspolitische Kultur einen Prognosewert für die „reale“ Politik Polens hat, wird exemplarisch die polnische Politik hinsichtlich von GASP und ESVP der Europäischen Union einer genaueren Betrachtung unterzogen und zur ermittelten sicherheitspolitischen Kultur in Bezug gesetzt. Informationen wurden v.a. Arbeitspapieren von Forschungseinrichtungen, Fachzeitschriften und Medienberichten entnommen.
In sprachlicher Hinsicht wurden englischsprachige Werke durchgehend im Original zitiert, um Sinnverfälschungen durch etwaige Übersetzungsfehler zu vermeiden. Aufgrund der weniger großen Verbreitung der polnischen Sprache wurden zitierte Passagen aus polnischen Publikationen und Dokumenten hingegen durchgehend ins Deutsche übersetzt.
2. Theoretischer Hintergrund
2.1. Konstruktivismus in den Internationalen Beziehungen
„Constructivism is not only trendy; it is fun. Scholars grouped under this rubric have many disagreements and fights.“
- Jeffrey T. Checkel[5]
Beschäftigt man sich mit den Diskussionen um die Rolle des Konstruktivismus[6] innerhalb der Disziplin der Internationalen Beziehungen, so scheint es auf den ersten Blick etwa so viele unterschiedliche Wahrnehmungen des Streitgegenstandes zu geben wie Beiträge zur Debatte. Einzug in die Disziplin hielt der Ansatz Mitte der 1980er Jahre. Dabei ging es zunächst um eine Auseinandersetzung innerhalb des neoinstitutionalistischen „Lagers“, die sich aber schnell zu einer ganz grundsätzlichen und teilweise auf hoch abstrakter Ebene geführten Auseinandersetzung zwischen realistischen und regimetheoretischen Ansätzen auf der einen und konstruktivistischen auf der anderen Seite auswuchs.[7] Diese Debatte wird seit nunmehr zwei Jahrzehnten geführt. Trotzdem besteht noch immer zum Teil „erhebliche Verwirrung, darüber, worum es eigentlich bei der Kontroverse [...] geht.“[8] Schon die Benennung der Streitpositionen fällt schwer: rational choice gegen Konstruktivismus[9], Rationalismus gegen Konstruktivismus[10], Rationalismus gegen „interpretative“[11] oder „reflexive“[12] Ansätze oder Positivismus gegen Post-Positivismus.[13] Dichotomien werden von Forschern mit eben jener Selbstverständlichkeit aufgebaut, mit der sie von anderen wieder eingerissen werden.[14] Und während Wendt in seiner Social Theory of International Politics gleichsam bei Adam und Eva mit der Unterscheidung zwischen wissenschaftlichem Realismus und Anti-Realismus beginnt,[15] bestreitet etwa Risse die Unterscheidbarkeit von Rationalismus und Konstruktivismus anhand verschiedener wissenschaftstheoretischer Positionen, ebenso jene anhand des Gebrauchs quantitativer und qualitativer Methoden.[16]
Weiterhin wird die Verwirrung dadurch größer, daß ständig zwischen der ontologischen (die Beschaffenheit des Untersuchungsgegenstands betreffenden) und der epistemologischen (der erkenntnistheoretischen) Ebene hin- und hergewechselt wird.[17] Dies scheint zum Teil an Meinungsverschiedenheiten darüber zu liegen, was genau die entscheidenden Charakteristika des Konstruktivismus sind. Es ist leicht, sich in einer Debatte zu verlieren, die auf mehreren Ebenen geführt wird und in der sich die Teilnehmer anscheinend nicht immer darüber einig sind, worüber sie sich gerade genau streiten. Hinzu kommt, daß der Konstruktivismus selbst mittlerweile so ausdifferenziert ist, daß es teilweise erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Vertretern unterschiedlicher Spielarten dieses Ansatzes gibt.[18]
Konstruktivismus als Perspektive in den Sozialwissenschaften
Grundsätzlicher Konsens besteht immerhin darüber, was der Konstruktivismus nicht ist: Er ist keine substantielle Theorie der Internationalen Beziehungen, da er keine konkreten Aussagen über bestimmte Phänomene der internationalen Politik macht.[19] Eher kann man ihn als „Analyseperspektive“[20] bezeichnen, auf der dann konstruktivistische IB-Theorien aufbauen können. Auch wenn bereits lange vor seinem Einzug in die Internationalen Beziehungen entsprechende Ansätze in der Disziplin vorhanden waren (z.B. bei Karl Deutsch, Ernst Haas oder Hedley Bull)[21] und sich eine grundsätzlich konstruktivistische Weltsicht bereits in klassischen internationalen Theorien von Hugo Grotius, Immanuel Kant oder Georg Wilhelm Friedrich Hegel erkennen läßt,[22] kommt der „moderne“ Konstruktivismus aus der Soziologie. Als ein grundlegendes Standardwerk kann sicherlich das Buch The Social Construction of Reality von Peter Berger und Thomas Luckmann betrachtet werden.[23]
Berger und Luckmann beschreiben den Prozeß der Herstellung sozialer Strukturen anhand des Beispiels eines Erstkontaktes zweier Individuen. Durch die gewohnheitsmäßige Wiederholung (Habitualisierung) von Handlungen und die gegenseitige Zuschreibung dieser Handlungen durch die sozialen Akteure (Typisierung) werden diese Handlungsweisen institutionalisiert. Die Institutionen haben eine Kanalisierungs- und Kontrollfunktion und stabilisieren damit Aktion und Interaktion der Akteure – sie schaffen so Verläßlichkeit und Vorhersehbarkeit. Von nachfolgenden Generationen, die von Geburt an mit den vorhandenen Institutionen konfrontiert sind, und zunehmend auch von den ursprünglichen Erschaffern derselben, werden diese sozialen Institutionen schließlich als objektiv gegeben betrachtet: „An institutional world, then, is expierienced as objective reality.“[24] Die Akteure handeln also nicht mehr institutionenkonform, weil sie sich darauf bewußt geeinigt haben, sondern weil es eine Selbstverständlichkeit ist. Im Extremfall werden Institutionen verdinglicht („reifiziert“), also nicht einmal mehr als Menschenwerk betrachtet, sondern als „things [...] in non-human or possibly supra-human terms.“[25]
Daraus folgt, daß die Beziehung zwischen dem Menschen als Produzenten und der sozialen Welt als seinem Produkt eine dialektische ist, letztere also wiederum auf den Menschen zurückwirkt. Die soziale Struktur bzw. Institutionen bestimmen Verhalten und Identität der Akteure, werden jedoch letzten Endes von diesen erschaffen und aufrecht erhalten. Nicholas Onuf faßt dies treffend in dem Satz zusammen: „[P]eople make society, and society makes people.“[26] Da die Institutionen intersubjektiv geteiltes Wissen darstellen, das in sozialen Wissensbeständen abgelegt ist, wird der Ansatz auch als „Wissenssoziologie“ bezeichnet: „Knowledge, in this sense, is at the heart of the fundamental dialectic of society.“[27]
Daß die soziale Welt mit ihren „objektiven Fakten“ durch die Interaktion von Menschen und ihr gemeinsam geteiltes, durch Sprache vermitteltes Wissen konstruiert, objektiviert, weitergegeben und verändert wird, kann man als kleinsten gemeinsamen Nenner konstruktivistischer Ansätze bezeichnen. John Searle faßt dies wie folgt zusammen: „[T]here are portions of the real world, objective facts in the world, that are only facts by human agreement.“[28] Zentrales Instrument hierzu ist die Sprache: „Indeed, saying ist doing: talking is undoubtedly the most important way that we go about making the world what it is.“[29]
„States are people, too“
Die konstruktivistische Wende in den Internationalen Beziehungen wurde Mitte der 1980er durch eine Auseinandersetzung innerhalb des Neoinstitutionalismus eingeleitet. Dieser basiert auf dem rationalistischen Paradigma des homo oeconomicus : die entscheidenden Akteure im internationalen System sind demnach rationale, eigennützig handelnde Staaten, deren Interessen und Identitäten exogen vorgegeben sind, also von vornherein feststehen.[30] In einem 1986 erschienenen Aufsatz kritisierten Friedrich Krachtowil und John Ruggie diese Herangehensweise und wiesen darauf hin, daß man internationale Institutionen nicht untersuchen könne, ohne der intersubjektiven Qualität internationaler Normen Beachtung zu schenken.[31] Robert O. Keohanes Replik[32] eröffnete eine Debatte, die sich von einer innertheoretischen schnell zu einer grundsätzlichen Diskussion zwischen rationalistischen Ansätzen einerseits und den später als konstruktivistisch bezeichneten andererseits wandelte.
Der Neoinstitutionalismus (oder neoliberale Institutionalismus) war ursprünglich aus einer Auseinandersetzung mit der damals dominanten Theorie des Waltz´schen Neorealismus[33] entstanden. Auch wenn die zwei Ansätze grundlegende Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Frage internationaler Kooperation haben,[34] ist beiden gemeinsam, daß sie dem Rationalismus zuzurechnen sind. Dabei betont der Neorealismus die entscheidende Rolle der anarchischen Struktur des internationalen Systems, welche die Staaten zu einer Politik der „Selbsthilfe“ zwinge, um ihr Hauptziel - Sicherheit - zu erreichen. Während die Staaten exogen vorgegebene und grundsätzlich identische Interessen haben, lassen sie sich anhand ihrer (materiellen) Machtmittel unterscheiden. Da nur die Verteilung dieser Machtmittel die Gestalt der anarchischen Struktur bestimmt, ist der Neorealismus entschieden materialistisch. Diese rationalistischen und materialistischen Kernthesen bestimmten viele Jahre die Sicht der Disziplin auf das internationale System – so stark, daß IB-Theorie an sich oft mit dem Neorealismus gleichgesetzt wurde.[35]
Konstruktivistische Ansätze widersprechen dieser Sichtweise. Es wird zwar nicht bestritten, daß es materielle Phänomene gibt, die kausale Wirkungen ausüben können (abgesehen von radikalen postmodernen Ansätzen), jedoch wird die rein materialistische Sichtweise rationalistischer Theorien abgelehnt und die Bedeutung von Weltbildern (auch: Ideen) betont. Weltbilder sind dabei grundsätzliche Ansichten darüber, wie die Welt funktioniert, und bilden die Grundlage für das Denken und Handeln der Akteure.[36] Zudem wird das internationale System als soziales System im Sinne einer Gesellschaft sozialer Akteure verstanden.[37] Der Staat als Akteur wird nicht als homo oeconomicus, sondern als homo sociologicus oder auch role player gesehen. Damit fließen soziologische Konzepte ein, vor allem das skizzierte Modell der wechselseitigen Konstitution von Akteuren und Struktur.
Dies ändert die Sichtweise auf die internationale Politik grundlegend, da Struktur des Systems sowie Interessen und Identitäten der Akteure nicht mehr als exogen vorgegeben betrachtet werden. Rationalistische Theorien können nach konstruktivistischer Sichtweise internationale Politik, insbesondere strukturellen Wandel, nur unzureichend erklären – eine Ansicht, die durch das Ende des Ost-West-Konfliktes nachhaltig bestätigt wurde, da dieser rationalistische Theoretiker vor große Erklärungsprobleme stellt. Auch wenn versucht wurde, die bestehenden Theorien zu modifizieren oder sie einfach auf andere Gegenden der Welt anzuwenden (z.B. Asien),[38] ist es schlicht so, daß sie bei der Prognose und Erklärung einer der wichtigsten weltpolitischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte versagt haben.
In der Auseinandersetzung mit dem Rationalismus hat vor allem Alexander Wendt immer wieder entscheidend zur Entwicklung des Konstruktivismus in den IB-Theorien beigetragen. Seine über mehr als ein Jahrzehnt in verschiedenen Aufsätzen entwickelten Gedanken[39] führte er 1999 in dem Buch Social Theory of International Politics zusammen, das – wie schon im Titel, einer Anspielung auf Kenneth Waltz´ Theory of International Politics, angedeutet – den Versuch einer Theoriebildung über die internationalen Beziehungen insbesondere in Abgrenzung zum Neorealismus darstellt. Wendt ist bei weitem nicht der einzige konstruktivistische IB-Theoretiker, und sein „Mittelweg“ zwischen Rationalismus und radikaleren konstruktivistischen Ansätzen hat ihm auch seitens konstruktivistischer Forscher substanzielle Kritik eingebracht.[40] Da hier keine umfassende Darstellung sehr grundsätzlicher Debatten erfolgen kann und der Konstruktivismus Wendt´scher Prägung mittlerweile breite Akzeptanz gefunden hat, stütze ich mich hier dennoch teilweise auf seine Ausführungen.
In seinem Aufsatz The Agent-Structure-Problem in International Relations Theory führte Wendt bereits 1987 aus, was Risse zufolge der „ontologische Kern“[41] der Rationalismus-Konstruktivismus-Debatte ist: die Kodetermination von Akteuren und Struktur. Wie auch in der sozialen Welt einzelner Akteure innerhalb einer Gesellschaft ist im internationalen System die Beziehung zwischen den Akteuren (hier sind dies Staaten als „korporative Akteure“[42]) und der sozialen Struktur des Systems von gegenseitiger Abhängigkeit geprägt. Die Strukturen konstituieren die Akteure, werden jedoch selbst von den Interaktionen und Praktiken der Akteure geschaffen und fortwährend reproduziert. Das bedeutet auch, daß die Akteure die Strukturen prinzipiell verändern können.
Dies ist nicht nur ein eleganter Lösungsvorschlag für das Akteur-Struktur-Problem.[43] Es wird auch ein Weg freigemacht für eine Kritik des zentralen neorealistischen Diktums, daß die anarchische Struktur des internationalen Systems die staatlichen Akteure zu einer Politik der Selbsthilfe zwinge. Denn ohne Kenntnis der Akteursidentitäten, welche die Grundlage für die Interessen der Akteure sind, kann nicht vorausgesagt werden, wie sich diese Staaten unter anarchischen Bedingungen verhalten. An sich hat der Begriff „Anarchie“ keine Erklärungskraft: „[I]t tells us what there is not, not what there is.“[44]
Grundlegend ist dabei das konstruktivistische Prinzip, daß Akteure gegenüber Objekten (was andere Akteure einschließt) auf der Grundlage der Bedeutung handeln, welche diese Objekte für sie haben. Mit seiner Geschichte von der ersten Begegnung der beiden Akteure Ego und Alter illustriert Wendt, daß diese Bedeutungen in Bezug auf andere Akteure durch Interaktion mit denselben entstehen. Durch wiederholte Interaktion und gegenseitige Bedeutungszuschreibung erhalten die Akteure relativ stabile Verständnisse der eigenen („Self“) und fremden („Other“) Identität, welche die Grundlage für Interessen bildet. Identitäten und Interessen sind also keine exogen gegebenen Tatsachen, sondern „constituted by collective meanings that are always in process.“[45] Auch materielle Faktoren wie das Machtpotenzial, das ja im Neorealismus per se die Gestalt der anarchischen Struktur des internationalen Systems formt, haben keine „natürliche“ Bedeutung, die mit ihnen untrennbar verbunden wäre. Vielmehr müssen sie erst von den Akteuren mit einer Bedeutung belegt werden, die in der Praxis sehr unterschiedlich sein kann: „U.S. military power has a different significance for Canada than for Cuba, despite their similar ‚structural’ positions, just as British missiles have a different significance for the United States than do Soviet missiles.“[46] Mit anderen Worten: Die Folgen, die sich aus der Verteilung bestimmter materieller Ressourcen ergeben, stehen nicht von vornherein fest, sondern hängen von der Bedeutung ab, welche diesen Ressourcen seitens der einzelnen Akteure zugeschrieben wird.[47] Die soziale Struktur, die durch diese Prozesse geschaffen wird, ist zwar sozial konstruiert, wird aber schnell objektiviert. Dies begünstigt die ständige Reproduktion der Struktur durch entsprechende Praktiken, was eine Veränderung nicht unmöglich macht, aber erschwert.[48]
Institutionalisierte Handlungsweisen und Identitäten von Akteuren sind somit auf Interaktionsprozesse zurückzuführen. Das schließt ein System der Selbsthilfe nicht aus, wenn die Akteure in der Vergangenheit eigennützige Identitäten angenommen und die entsprechenden Handlungsweisen durch anhaltende Interaktion institutionalisiert haben. Aber Selbsthilfe ist nur eine mögliche Institution, die sich unter anarchischen Bedingungen herausbilden kann, keinesfalls jedoch ein grundlegendes Merkmal von Anarchie. Sie ist auch wieder veränderbar, wenn sich Identitäten und damit Interessen der Akteure wandeln. Wendt unterscheidet die als Interaktionsergebnisse möglichen Strukturen anhand dreier Ideal-„Kulturen“: In einer Hobbes´schen Kultur nehmen die Staaten einander als Feinde wahr, das Ergebnis ist in der Tat ein Selbsthilfesystem. In der Locke´schen Kultur nehmen die Staaten sich gegenseitig als Rivalen wahr, die aber grundsätzlich die Existenz des jeweils anderen anerkennen und kooperieren können. Die Kantianische Kultur schließlich ist durch die gegenseitige Wahrnehmung der Staaten als Freunde und eine kollektive Identität gekennzeichnet.[49] Welche der Kulturen besteht, hängt entsprechend der bisherigen Ausführungen von den Akteuren und den von ihnen ausgebildeten sozialen Strukturen ab: „Thus, it is not that anarchic systems have no structure or logic, but rather that these are a function of social structures, not anarchy. Anarchy is a nothing, and nothings cannot be structures. Distributions of ideas are social structures.“[50] Dabei müssen Staaten nicht zwangsläufig „positive“ Verhaltensweisen annehmen. Obwohl Wendt eine geschichtliche Entwicklung hin zur Kantianischen Kultur erkennt,[51] ist diese Entwicklung für ihn alles andere als zwangsläufig; vielmehr betont er das konservative Wesen dieser Kulturen, also die Stabilität von Strukturen, und nicht ihre Progressivität. Wendts Theorie ist demnach alles andere als a priori optimistisch oder progressiv, obwohl sie sich gegen den pessimistischen Determinismus des Neorealismus wendet, demzufolge Staaten immer, selbst in Zeiten guter Beziehungen mit anderen Staaten, auf das schlimmste gefaßt sein und ihre Sicherheit durch Macht gewährleisten müssen – schließlich sei es nicht auszuschließen, daß der Freund von heute der Kriegsgegner von morgen sei.[52]
Konstruktivismus und die Rolle internationaler Normen
Obwohl in Wendts systemischen Konstruktivismus die Kodetermination von Akteuren und Struktur zentral ist, bleibt offen, über welchen Mechanismus diese Beziehung funktioniert. Eine Antwort hierauf bietet der von Hopf als „normativer Konstruktivismus“[53] bezeichnete Ansatz, der intersubjektiv geteilten Normen[54] eine zentrale Rolle zuweist.
Von rationalistischen Theoretikern werden Vorhandensein und Wirkung von Normen nicht verneint, jedoch sind Normen oder Weltbilder hier bestenfalls intervenierende Variablen, die Teil des rationalen Kalküls strategischer Akteure sind – bestimmend für die Handlungen von Staaten bleiben jedoch materielle Faktoren wie Macht und Interessen, die von immateriellen Faktoren unabhängig sind.[55]
Konstruktivisten hingegen betonen, daß Normen konstitutive Effekte auf Akteure haben. Normen sind es, die aus Individuen erst Akteure machen. Sie sind dadurch, daß sie den Akteuren sagen, was sie tun und nicht tun sollen, zwar regulativ, gleichzeitig eröffnen sie ihnen aber auch überhaupt erst Handlungsmöglichkeiten und konstituieren sie als Akteure.[56] Dabei sind Normen zu verstehen als einzelne wertegestützte Verhaltenserwartungen an Akteure, während Institutionen Sätze von Normen und den dazugehörigen Verhaltensmustern bilden; sie begründen damit Verhaltensrollen bzw. Identitäten von Akteuren.[57] Ein vielzitiertes Beispiel ist die Souveränität, die das Verhalten von Staaten durch Handlungsbeschränkungen reguliert, sie aber auch als Akteure konstituiert, da die Institution „Souveränität“ überhaupt erst festlegt, was ein Staat ist. Ein anderes plastisches Beispiel liefern Entwicklungsländer: Eyre und Suchman haben herausgefunden, daß diese häufig sehr ähnliche Waffen kaufen. Die Wahl der Waffen habe oft mit globalen Normen zu tun, die definieren, daß ein „moderner“ Staat eine bestimmte Art der Bewaffnung besitzt. Dies bringe solche Länder dazu, Waffen zu kaufen, die oft wenig mit den individuellen Bedrohungssituationen oder rationalen Kosten-Nutzen-Kalkülen zu tun hätten, dafür aber als Macht- und Statussymbole dienten, die für einen „modernen“ Staat konstitutiv seien.[58]
Entsprechend handeln Staaten aus konstruktivistischer Sicht nicht nach der „Logik zweckrationalen Handelns“ (logic of consequentiality), wie es die strategischen Akteure in den rationalistischen Theorien tun, sondern nach jener der Angemessenheit (logic of appropriateness).[59] Die Akteure orientieren sich an dem, was sozial angemessen und „richtig“ ist, wodurch letzten Endes auch eine Übereinstimmung zwischen dem eigenen Handeln und der eigenen Identität erreicht wird: „Within a logic of appropriateness, a sane person is one who is ‚in touch with identity’ in the sense of maintaining consistency between behavior and a conception of self in a social role.“[60] Sind die Normen klar und verständlich, dann werden sie häufig unbewußt eingehalten, weil das entsprechende Verhalten selbstverständlich ist.[61] Im Zuge der Diskussion über die Frage, was die Akteure tun, wenn sie sich über die richtige Norm unsicher oder uneinig sind, entstand im Zuge der deutschen „ZIB-Debatte“[62] das Konzept einer dritten Logik: jener verständigungsorientierten Handelns. Diese besagt, daß Akteure sich durch kommunikatives Handeln (in der Regel Sprechakte) über Situations-definitionen sowie die jeweils „richtigen“ Normen verständigen können. Da diese Normen wiederum für die Akteure konstitutiv sind, kann eine Verständigung über die Schaffung oder Veränderung einer Norm somit zu einer Neudefinition der Akteursidentitäten führen, wenn sich ein Akteur von der Richtigkeit der Argumentation eines anderen Akteurs überzeugen läßt. Hier wird noch einmal die Rolle von Normen als ontologisches Bindeglied in der Beziehung zwischen Akteuren und Strukturen deutlich.[63]
2.2. Konstruktivismus und Außenpolitik
Bisher ging es um vorrangig um Vorgänge auf der Ebene des internationalen Systems. Abzugrenzen hiervon ist die Außenpolitik. Außenpolitik, also das Handeln einzelner Staaten, und internationale Politik, also die Interaktionen von Staaten auf der Ebene des internationalen Systems, sind natürlich nicht unabhängig voneinander; internationale Politik kann in gewisser Weise als Gesamtheit der Außenpolitiken der beteiligten Staaten beschrieben werden, denn „if actors somehow decided no longer to engage in foreign policy there would be no international politics, either“.[64]
Um die Außen- und Sicherheitspolitik eines Staates erklären zu können, ist es jedoch nötig, den Blick von der Gesamtheit der Interaktionen auf der Systemebene auf den einzelnen Akteur zu verlagern. Außenpolitik ist hierbei in einem sehr allgemeinen Sinne zu verstehen als „Gesamtheit aller Entscheidungen und Handlungen eines Staates, die auf Adressaten im internationalen Umfeld [...] gerichtet sind.“[65] Eine konstruktivistische Außenpolitiktheorie wird dieses Verhalten nicht vorrangig durch materielle Faktoren (wie etwa die Verteilung von Machtressourcen) zu erklären versuchen, sondern über die Bestimmung handlungsleitender immaterieller bzw. ideeller Faktoren, welche die Identität des betreffenden Staates sowie seine Wahrnehmung anderer Akteure und materieller Gegebenheiten im internationalen Umfeld bestimmen.
Einen überzeugenden Entwurf der Ableitung einer konstruktivistischen Außenpolitiktheorie aus entsprechenden systemtheoretischen Ansätzen haben dazu Henning Boekle, Volker Rittberger und Wolfgang Wagner vorgelegt.[66] Dabei konzentrieren sie sich auf Normen als unabhängige Variable zur Erklärung von Außenpolitik. Dies ist vorteilhaft, weil Normen analytisch faßbarer sind als andere ideelle Faktoren wie etwa Werte oder Weltbilder (s.u.), gleichzeitig aber an diese rückgebunden sind, so daß solche Faktoren implizit Berücksichtigung finden.
Boekle, Rittberger und Wagner definieren Normen als „intersubjektiv geteilte, wertegestützte Erwartungen angemessenen Verhaltens“[67] und grenzen sie von anderen ideellen Variablen anhand dreier Kriterien ab: Zum einen sind Normen intersubjektiv und unterscheiden sich damit von individuellen Überzeugungen. Zweitens beinhalten Normen eine unmittelbare Verhaltensorientierung. Sie definieren also nicht allein „richtiges“ und „falsches“ Verhalten, sondern fordern auch zu einem bestimmten „richtigen“ Verhalten explizit auf. Drittens haben Normen stets einen Wertebezug und besitzen daher „kontrafaktische Gültigkeit“. Die Existenz einer Norm wird daher durch Nichteinhalten seitens eines Akteurs nicht grundsätzlich in Frage gestellt.
Wie verbindlich eine Norm ist, bestimmt man anhand ihrer Kommunalität (Wie groß ist der Anteil der Akteure im sozialen System, der die Norm teilt?) und ihrer Spezifizität (Wie präzise werden „falsches“ und „richtiges“ Verhalten abgegrenzt?). Mit steigender Kommunalität und Spezifizität nimmt dabei auch die Verbindlichkeit der Norm zu.
Individuen übernehmen Normen im Zuge von Sozialisationsprozessen. Dabei erkennt der Akteur „die institutionalisierten Denk- und Verhaltensweisen als richtig an, macht sie sich – im Wortsinn – ‚zu eigen’ und richtet seine Interessen und Präferenzen an ihnen aus.“[68] Natürlich ist auch der Sozialisationsprozeß keine Einbahnstraße, da Akteure grundsätzlich auch über internalisierte Normen reflektieren und sie verändern können.
Staatliche Aktion und Interaktion findet über außenpolitische Vertreter bzw. Entscheidungs-träger statt. Die Handlungen dieser Individuen in ihrer Eigenschaft als staatliche Vertreter sind letzten Endes als außenpolitisches Handeln „des Staates“ zu verstehen. Daher ist die außenpolitische Sozialisation „des Staates“ dementsprechend nichts anderes als die Sozialisation seiner Außenpolitiker. Diese sind aufgrund ihrer Position an der Schnittstelle zwischen nationaler (subsystemischer) und internationaler (systemischer) Ebene zweierlei Sozialisationsprozessen ausgesetzt:
Zum einen eignen sie sich internationale Normen durch die Interaktion mit außenpolitischen Vertretern anderer Staaten und als Mitglieder internationaler Institutionen an (s.o.). Dieser Prozeß wird auch als „transnationale Sozialisation“ bezeichnet.[69] Staaten bzw. deren Außenpolitiker sind also gleichzeitig Sozialisatoren (diejenigen, die andere sozialisieren) und Sozialisanden (Adressaten dieser Sozialisierung). Dabei ergibt sich schon aus der Normendefinition eine Operationalisierung für die Außenpolitikanalyse: Die systemische unabhängige Variable „internationale Norm“ kann direkt in die akteursbezogene unabhängige Variable „Verhaltenserwartung an Staat X“ übersetzt werden.[70]
Das internationale System ist allerdings „a society of [...] societies“.[71] Die Konstruktion staatlicher Identitäten durch innerstaatliche Prozesse darf also nicht vernachlässigt werden. Außenpolitische Entscheidungsträger durchlaufen auch „zu Hause“ einen Sozialisations-prozeß bzw. mehrere Sozialisationsprozesse: Erstens werden gesellschaftliche Normen bereits über die „normale“ politische Sozialisation internalisiert, die grundsätzlich alle Bürger eines Staates durchlaufen. Zweitens haben sich Außenpolitiker durch ihre politische Karriere bereits spezifischere Normen angemessenen politischen Verhaltens angeeignet. Und drittens bewirkt in Demokratien die Eigenschaft außenpolitischer Entscheidungsträger als öffentlich legitimierte, aber auch wieder abberufbare Vertreter der Bevölkerung, daß auch gesellschaftliche Normen, die in den ersten beiden Stufen nicht internalisiert wurden, in das Selbstverständnis und Verhalten der Außenpolitiker einfließen. Die Sozialisation der außenpolitischen Entscheidungsträger durch die Gesellschaft ihrer Heimatländer wird auch als „sozietale Sozialisation“ bezeichnet.[72]
Dabei steigt der Einfluß der gesellschaftlichen Normen auf die Außenpolitik vor allem mit steigender Kommunalität. Sind Normen als „gesamtgesellschaftlich“ zu bezeichnen, werden sie per definitionem innerhalb der Gesellschaft nicht nennenswert angezweifelt, und man kann sie als Teil der „nationalen Identität“ oder „politischen Kultur“ des jeweiligen Landes betrachten. Häufig wird dabei auf kollektive historische Erfahrungen verwiesen. Es wird dabei angenommen, daß gesamtgesellschaftliche Normen aufgrund ihrer hohen Kommunalität einen sehr starken Einfluß auf die Außenpolitik haben. Die Verhaltenserwartungen von Expertengruppen („Advocacy-Koalitionen“) werden nur dann als handlungsleitend betrachtet, wenn eine gesamtgesellschaftliche Norm nicht existiert (z.B. in außenpolitischen Fragen, welche das Gros der Gesellschaft nicht als wichtig betrachtet). Weiterhin wird angenommen, daß innenpolitische gesellschaftliche Normen ebenfalls Auswirkungen auf die Außenpolitik haben, insbesondere da, wo es keine spezifischen außenpolitischen Normen gibt.
Boekle, Rittberger und Wagner gehen davon aus, daß keine der beiden Sozialisationsebenen zu bevorzugen ist. Daraus folgt für sie, daß die Prognosefähigkeit einer derart angelegten Außenpolitiktheorie wesentlich nicht nur von Kommunalität und Spezifizität einzelner Normen abhängt, sondern auch davon, ob die Normen auf internationaler und nationaler Ebene gleichgerichtet sind oder in Konflikt stehen. Ist letzteres der Fall, ist die Prognosefähigkeit geringer, als wenn Normen sowohl auf der Ebene der Gesellschaft als auch auf jener des internationalen Systems geteilt werden. Dasselbe gilt, wenn nur auf einer der Ebenen die Norm hohe Kommunalität beanspruchen kann.
2.3. Sicherheitspolitik und sicherheitspolitische Kultur
„[W]e should not take for granted what needs to be explained: the sources and content of national security interests that states and governments pursue.“
- Peter J. Katzenstein[73]
2.3.1. Sicherheitspolitik als Bestandteil der Außenpolitik
Außenpolitik kann die verschiedensten Bereiche umfassen. Die Förderung der eigenen nationalen Kultur durch auswärtige Kulturpolitik ist ebenso Außenpolitik wie die Unterzeichnung eines Doppelbesteuerungsabkommens oder eine Kriegserklärung. Um die äußere Sicherheitspolitik (im Folgenden: Sicherheitspolitik) eines bestimmten Staates zu untersuchen, ist es zunächst nötig, diese von anderen Bereichen der Außenpolitik abzugrenzen.
Sicherheit kann man ganz grundsätzlich betrachten als „Zustand, in dem sich Individuen, Gruppen und Staaten nicht von ernsten Gefahren bedroht fühlen bzw. sich wirksam vor ihnen geschützt sehen“.[74] Die äußere Sicherheit und damit auch die Sicherheitspolitik wurden bis in die 1980er Jahre hinein vor allem territorial und militärisch definiert. Während des Kalten Krieges wurde dieser Rahmen in der Forschung selten verlassen; Sicherheit wurde betrachtet als Abwesenheit einer Bedrohung für territoriale Integrität, Souveränität und politisches System sowie für die Überlebensfähigkeit und Unabhängigkeit seiner Bevölkerung vor äußerer Beherrschung.[75] Sicherheitspolitik war etwas meistens „dann, wenn der militärische Faktor eine Rolle spielt.“[76] Sie bestand also vor allem darin, daß der Staat „mit Hilfe der Aufstellung und Ausstattung und Unterhaltung militärischer Streitkräfte, dem Abschluß von Verträgen und Bündnissen [...] den Schutz seines Territoriums und der politischen und sozialen Interessen seiner Bürger vor Bedrohungen von außen gewährleisten muß.“[77]
Insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges und der erheblichen Verminderung der Gefahr eines großangelegten nuklearen Schlagabtausches von Großmächten und dem gleichzeitigen Auftreten neuer Gefahren hat sich der Sicherheitsbegriff allerdings gewandelt. Im Zuge der Entwicklung eines erweiterten Sicherheitsbegriffes wird Sicherheit zunehmend nicht mehr allein als militärisches Problem wahrgenommen, auch wenn diese Komponente weiterhin ein zentraler Bestandteil des Konzeptes ist.[78] Hinzugekommen sind Probleme wie die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, ethnisch oder religiös bedingte Konflikte und Bürgerkriege, globale Umweltprobleme, Ressourcenknappheit, internationaler Terrorismus oder Destabilisierung von Staaten und Regionen,[79] worauf andere Staaten entsprechend reagieren müssen. Dies kann nicht mehr allein durch das Aufstellen von Streitkräften geschehen, sondern erfordert ein „sicherheitspolitische[s] Gesamtkonzept [...], bei dem Außen-, Wirtschafts-, Finanz-, Umwelt-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik wechselseitig optimiert werden.“[80]
Sicherheit als soziale Konstruktion
Aus den bisherigen Ausführungen geht allerdings hervor, daß man nicht einfach aus dem reichhaltigen Menü möglicher Bedrohungen auswählen und in Kombination mit den materiellen (z.B. geographischen, militärischen) Merkmalen eines bestimmten Staates „objektive“ Sicherheitsprobleme für diesen Staat bestimmen kann – zumindest nicht in der Erwartung, daß das für sein Verhalten nennenswerte Auswirkungen hat.
So wie die Identitäten von Staaten, die soziale Struktur des von ihnen gebildeten internationalen Systems und ihre gegenseitige Wahrnehmung sozial konstruiert und objektiviert sind, so ist es auch die Sicherheit einer staatlich verfaßten Gesellschaft und ihre Wahrnehmung von Bedrohungen. Ob eine Gesellschaft ein Phänomen als Bedrohung seiner Sicherheit wahrnimmt, ja wie es seine Sicherheit überhaupt definiert, „hängt weitgehend vom subjektiven Empfinden, den historischen Erfahrungen, dem Selbstverständnis und dem Verhältnis zur Umwelt ab.“[81] Um die Sicherheitspolitik eines Staates erklären und prognostizieren zu können, ist eine Untersuchung materieller Faktoren und „objektiver“ Bedrohungen unzureichend. Wenn etwa in Deutschland die Aussicht auf einen kernwaffenbewehrten Iran zu großen diplomatischen Anstrengungen führt, um dieses Szenario zu verhindern, gleichzeitig aber die unmittelbare Nachbarschaft zu den beiden Nuklearmächten Großbritannien und Frankreich in keiner Weise als Bedrohung empfunden wird, greift eine materialistische Sicht auf das Problem zu kurz. Vielmehr gilt es, gesellschaftlich konstruierte Sicherheitsverständnisse zu analysieren, da diese den Deutungsrahmen dafür liefern, was eine Gesellschaft überhaupt als Sicherheitsproblem wahrnimmt.[82] Erst dann kann man sinnvolle Prognosen für das sicherheitspolitische Handeln eines Staates erstellen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „Versicherheitlichung“ (engl. securitization). Dieser Begriff bezeichnet die erfolgreiche Darstellung eines Sachverhaltes als Gefahr für ein Kollektiv. Versicherheitlichung findet also nicht statt, wenn eine „objektive“ Bedrohung gegeben ist, sondern „wenn das Thema erfolgreich als eine Bedrohung dargestellt werden kann.“[83]
Es sei an dieser Stelle noch einmal deutlich davor gewarnt, bestimmte „grundlegende“ oder „natürliche“ Bedrohungswahrnehmungen und Sicherheitsbedürfnisse einfach a priori dem „Staat an sich“ zuzuschreiben, wie es selbst einige Konstruktivisten tun.[84] Ted Hopf hat vollkommen Recht mit seiner Bemerkung, oft gebe es in Untersuchungen von Identitäten „too many a priori foundational claims that both hinder the social context from speaking for itself and often put words into its mouth.“[85]
Unter Umständen kann selbst die Aufgabe der eigenen staatlichen Existenz für einen Staat und/oder seine Bürger keine Bedrohung, sondern im Gegenteil sogar ausdrücklich erwünscht sein. Man denke etwa an die Deutsche Wiedervereinigung, die erst durch die freiwillige Selbstaufgabe der Deutschen Demokratischen Republik möglich wurde, oder die Bestre-bungen des weißrussischen Diktators Lukaschenko, Weißrußland wieder an Rußland anzu-schließen. Damit kann aber sogar ein unbedingter Wille zum Selbsterhalt, mag er auch auf noch so viele Staaten zutreffen, nicht einfach als Konstante definiert werden.
Daraus folgt auch, daß es keine konkreten Maßnahmen oder Komponenten der „Sicherheitspolitik an sich“ gibt. Wer etwa behauptet, daß Sicherheitspolitik in jedem Falle die Aufstellung einer Armee beinhaltet, bekommt Probleme bei der Erklärung der Sicherheitspolitik von Staaten wie Island, die über gar kein Militär verfügen. Eine angemessene Definition von Sicherheitspolitik muß diesen Umständen Rechnung tragen und eine Vorbelastung des Begriffes mit bestimmten Bedrohungswahrnehmungen und Praktiken, so „selbstverständlich“ sie auch erscheinen mögen, vermeiden. Wie die Sicherheitspolitik am Ende konkret aussieht, ist eine empirische Frage.
Sicherheitspolitik kann man in diesem Sinne definieren als dasjenige Handeln eines Staates, das dazu dient, die Entstehung ernster Bedrohungen von außerhalb des eigenen Staatsgebietes für den Staat und seine Bürger zu verhindern oder zumindest einen wirksamen Schutz vor solchen Bedrohungen zu schaffen.
Was dabei als (potenzielle) Bedrohung wahrgenommen wird und wie die Reaktion des betreffenden Staates auf diese Bedrohung aussieht, muß im Einzelfall erst ermittelt werden. Zu diesem Zwecke ist es möglich, auf dem Konzept der „strategischen Kultur“ aufzubauen, das im Folgenden näher erläutert sei.
2.3.2. Die Rolle von Kultur in der Sicherheitspolitik
Das Konzept der Kultur ist in der Politikwissenschaft vor allem in der Politische-Kultur-Forschung angesiedelt, die sich mit Almonds und Verbas Studie The Civic Culture[86] schon vor über 40 Jahren etabliert hat. Die Disziplin der Internationalen Beziehungen hingegen hat um den Begriff der politischen Kultur bis vor wenigen Jahren eher einen weiten Bogen gemacht. Das mag sicherlich zum großen Teil an den grundsätzlichen Schwierigkeiten gelegen haben, den Begriff zu definieren. Zu einem geflügelten Wort wurde in diesem Zusammenhang Max Kaases Ausspruch, die Definition politischer Kultur komme dem Versuch gleich, einen Pudding an die Wand zu nageln.[87] Eine zu schwammige oder zu weit gefaßte Definition politischer Kultur ist aber nutzlos – irgendwann bedeutet Kultur „almost everything, and therefore nothing.“[88] Die Schwierigkeiten bei der Anwendung eines Instrumentes, von dem noch nicht einmal wirklich klar ist, wie es überhaupt beschaffen ist, dürfte ein nicht unerheblicher Anreiz dafür sein, die Analyse mit anderen Instrumenten anzugehen.
Diese Haltung scheint bis in die 1980er Jahre durch die Struktur des internationalen Systems noch verstärkt worden zu sein, da sich viele Forscher während des Kalten Krieges mit Verweis auf die alles überragenden Auswirkungen der bipolaren Rivalität der Supermächte den Luxus leisteten, kulturelle Faktoren einfach zu ignorieren.[89]
2.3.2.1. Die strategische Kultur
Dabei ist die Erkenntnis, daß man Variationen im außenpolitischen Verhalten von Staaten ohne ein Verständnis eben jener Faktoren nicht begreifen kann, nicht gerade neu. Bereits 1977 wies Jack Snyder darauf hin, daß die gängigen spieltheoretischen Ansätze zur Prognose des Verhaltens der Sowjetunion im Falle eines Krieges unzureichend seien. Sowjetische Führer und Strategen seien keine rationalen Spieler, die nur zufällig für die rote Mannschaft spielten, sondern Politiker und Bürokraten, die in eine spezifische „strategische Kultur“ hineinsozialisiert worden seien.[90] Gerade bei der Entwicklung „flexibler Optionen“ als Alternative zur MAD-Doktrin („Mutually Assured Destruction“), also der Ausarbeitung von Plänen für einen begrenzten Atomkrieg, sei es unbedingt notwendig, sich mit den kulturellen Hintergründen der sowjetischen Entscheidungsträger zu beschäftigen, um deren Verhalten in einem solchen Konflikt prognostizieren zu können. Um im Falle eines nuklearen Schlagabtausches nicht gleich sämtliche beteiligten Länder zu vernichten, sondern den Schaden zu begrenzen, brauche es eine Aufrechterhaltung der gegenseitigen Geiselhaft auch nach Kriegsbeginn. Um dieses Szenario kalkulierbar zu machen – da das Spiel grausam ausgehen könne, wenn sich nur eine Seite zurückhaltend zeige – bedürfe es der Analyse der sowjetischen strategischen Kultur. Diese sei „the sum total of ideas, conditioned emotional responses, and patterns of habitual behavior that members of a national strategic community have acquired through instruction or imitation and share with each other with regard to nuclear strategy.“[91]
Snyders Analyse legte den Grundstein für eine erste Welle an Literatur über strategische Kultur.[92] Abgesehen vom eindeutigen Bezug auf die Nuklearstrategie, der deterministischen Verbindung von strategischer Kultur und Verhalten sowie der Tatsache, daß „the literature as a rule lacks any notion of research design“,[93] fällt die mangelnde Beschäftigung mit dem Konzept der politischen Kultur auf. Dies verwundert, wäre doch eben dieses Konzept ein sinnvoller Ausgangspunkt. Dennoch war diese erste Welle in den 1970ern und 1980ern wichtig, da sie die bisherigen rationalistischen und spieltheoretischen Ausgangsannahmen und Vorgehensweisen in Frage stellte und auf die Relevanz kultureller Faktoren für die militärische Strategie von Staaten hinwies.
Die Weiterentwicklung des Konzeptes in den 1990ern
Das Ende des Kalten Krieges, das schon der Rationalismus-Konstruktivismus-Debatte Aufschwung gab, bedeutete auch einen neuen Impuls für die kulturell orientierte Sicherheitspolitikanalyse. Im Zuge des cultural turn beschäftigten sich IB-Forscher zunehmend mit den kulturellen Einflüssen auf die Außen- und Sicherheitspolitik von Staaten.
1995 veröffentlichte Alistair Ian Johnston mit seiner Analyse der strategischen Kultur Chinas einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung des Konzeptes. Er beklagt die konzeptionelle Unterentwicklung des Ansatzes, insbesondere die mangelnde Falsifizierbarkeit aufgrund der fehlenden Trennung von Denken und Handeln.
Johnston beschreibt strategische Kultur als „ideational milieu that limits behavioral choices“[94] und grenzt sie von ahistorischen, rationalistischen Ansätzen ab, insbesondere vom Neorealismus. Strategische Kultur bestehe aus Grundannahmen über die strategische Umgebung sowie Annahmen über strategische Optionen, die am besten dazu geeignet seien, auf die Bedrohungen zu reagieren, welche durch die Grundannahmen definiert seien. Die essentiellen Bestandteile einer strategischen Kultur seien wahrnehmbar als „a limited, ranked set of grand strategic preferences over actions that are consistent across the objects of analysis and persistent in time.“[95] Johnstons Ansatz zielt insbesondere auf die Schaffung eines falsifizierbaren Konzeptes, indem strategische Kultur analytisch von strategischem Verhalten getrennt wird, um den Einfluß des ersteren auf letzteres zu untersuchen. Auf diese Weise soll jener Zirkelschluß verhindert werden, für den Analysen von Kultur grundsätzlich sehr anfällig sind: Denn diese soll ja als unabhängige Variable zur Erklärung von Verhalten dienen, wird aber oftmals eben aus diesem Verhalten zumindest teilweise abgeleitet. Die Analyse sieben zentraler militärischer Texte aus der Ming-Dynastie veranlaßt Johnston zu dem ironischen Schluß, daß die strategische Kultur Chinas klassische Elemente von Realpolitik beinhaltet.
Ein weiterer bedeutender Beitrag war der von Peter J. Katzenstein herausgegebene Sammelband The Culture of National Security, in dem das Konzept unter Beteiligung einiger namhafter Forscher insbesondere in methodologischer Hinsicht weiterentwickelt wurde.
Deutschland als Testfall
Besonders einladend für kulturelle Analysen war die Sicherheitspolitik Deutschlands und Japans nach Ende des Kalten Krieges. Noch 1993 hatte Kenneth Waltz vorausgesagt, daß „Germany may ultimately find that reunification and the renewed life of a great power are more invigorating than the struggles, complications, and compromises“ multilateraler Einbindung und europäischer Integration.[96] Da diese Prognose nicht eintrat und Deutschland statt Großmachtambitionen weiterhin einen Hang zu Multilateralismus und Integration zeigte, beschäftigten sich viele Forscher mit möglichen kulturellen Ursachen für diese Kontinuität in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.
Eine bedeutende Studie zu kulturellen Einflüssen auf die Sicherheitspolitik Deutschlands und Japans nach dem Zweiten Weltkrieg legte 1998 Thomas Berger vor. Die „anormale“ Kontinuität der Sicherheitspolitik beider Länder liegt Berger zufolge in der anti-militaristischen „politisch-militärischen Kultur“ beider Länder begründet, welche wiederum ein Produkt der traumatischen Niederlage im Zweiten Weltkrieg und der Debatten in der Nachkriegszeit sei. Das Konzept der strategischen Kultur hat Berger zufolge die politische Kulturforschung zu sehr vernachlässigt; daher sein begrifflicher Alternativvorschlag.[97]
Berger zufolge bezieht sich der Begriff „Kultur“ auf „the ideas, beliefs and values that are held by a specific group and transmitted from one generation to the next through mechanisms of socialization.“[98] Der Kern einer Kultur sei „a central set of beliefs about the nature of reality which, in turn, produce various auxiliary hypotheses to explain empirical reality and guide behavior.“[99] Er unterscheidet dabei den anthropologischen Ansatz, nach dem Kultur die tiefer gelegenen sozialen Strukturen beschreibt, und den historisch-kulturellen Ansatz, nach welchem die Kultur ein Produkt historischer Ereignisse und Erfahrungen sei. Für eine Untersuchung von Gruppenidentitäten und Präferenzen hinsichtlich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist Berger zufolge besonders die historische Kultur von Interesse.
Die politisch-militärische Kultur ist ein „subset of the larger historical-political culture that encompasses orientations related to defense, security, the military as an institution, and the use of force in international affairs.“[100] Sie stellt fundamentale Ziele und Normen für die politischen Akteure bereit und bestimmt die Wahrnehmung des politischen Umfeldes sowie die Einschätzung der internationalen Situation durch die Akteure. Sie bestimmt auch die Möglichkeiten zur Mobilisierung nationaler Ressourcen für militärische Zwecke.[101] Einmal geformt, kann eine solche Kultur sehr stabil sein, denn sie besitzt einen beträchtlichen Grad an Autonomie und ist nicht einfach nur eine subjektive Reflexion einer objektiven Realität. Mit Hilfe dieses Modells stellt Berger fest, daß
„[t]he lessons drawn in the immediate postwar period continue to shapen German and Japanese state behavior, encouraging them in the direction of low-key, antimilitaristic approaches to defense and foreign policy. In short, new cultures of antimilitarism have emerged and become constitutive features of the larger political cultures of these two nations.“[102]
Im selben Jahr veröffentlichte John S. Duffield ein Werk, das sich mit demselben Thema auseinandersetzte und im Grunde dem Ansatz Bergers recht ähnlich war.[103] Auch Duffield beklagt methodische Mängel und mangelnde Berücksichtigung von Literatur zur politischen Kultur bei den Ansätzen zur strategischen Kultur. Er setzt dem eine „national security culture“ entgegen, die er in seiner umfassenden Untersuchung der Bestimmungsfaktoren für die deutsche Sicherheitspolitik berücksichtigt. Abgesehen von ihrem Inhalt haben politische Kulturen Duffield zufolge drei wichtige Eigenschaften: Sie sind erstens kollektiv, bestehen also aus Überzeugungen und Werten, die von den meisten, wenn nicht allen Mitgliedern einer Gesellschaft oder ihrer Eliten geteilt werden, sie sind zweitens einzigartig und drittens hochgradig stabil, insbesondere im Vergleich mit materiellen Bedingungen.[104] Deutschlands nationale Sicherheitskultur nach dem Zweiten Weltkrieg „has greatly limited Germany´s potential for unilateral, assertive, and, especially, aggressive behavior, placing instead a premium on continuity, stability, and restraint“.[105]
2004 veröffentlichte Kerry Longhurst eine Untersuchung der Sicherheitspolitik Deutschlands nach 1990, in der sie das Konzept der strategischen Kultur wieder aufgriff und weiterentwickelte. Strategische Kultur ist laut Longhurst „a distinctive body of beliefs, attitudes and practices regarding the use of force, held by a collective and arising [...] through a unique protracted historical process.“[106] Eine solche Kultur besitze drei Elemente: Grundelemente, also grundlegende Vorstellungen über Gewaltanwendung, die schwer zu ändern seien, sowie regulierende Praktiken, also die Manifestation der strategischen Kultur im Akteurshandlen. Diese Praktiken seien wesentlich einfacher zu ändern. Dazwischen stünden die sicherheitspolitischen Standpunkte, weithin akzeptierte Vorstellungen darüber, wie die Grundüberzeugungen am besten in die Praxis umgesetzt werden sollen.
Verändert werde die strategische Kultur auf zweierlei Weise: Bei der Feinabstimmung werden die Grundelemente durch neue sicherheitspolitische Standpunkte an neue Bedingungen angepaßt, die in Konflikt mit der strategischen Kultur stünden. Ein fundamentaler Wandel finde nur statt, wenn die alten Grundüberzeugungen durch traumatische Ereignisse vollkommen kollabierten. Ein Beispiel hierfür sei die Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, die als Stunde Null die alten Kernelemente der deutschen strategischen Kultur vollkommen wertlos gemacht habe.[107] Wie schon die vorangegangenen Untersuchungen kommt Longhursts Dissertation zu dem Schluß, daß sich die strategische Kultur Deutschlands nach der Wiedervereinigung nicht wesentlich geändert habe. Trotz der Entwicklungen nach dem Ende des Kalten Krieges habe die Niederlage von 1945 immer noch einen entscheidenden Einfluß auf die Einstellung Deutschlands zur Anwendung von Gewalt.[108] Problematisch ist an dieser „klassischen“ Herangehensweise die Einbeziehung von „Praktiken“ in den Kulturbegriff; Longhurst optiert, auch explizit, für die deterministische Variante, was zwangsläufig die bereits erwähnten Probleme zur Folge hat.
2.3.2.2. Sicherheitspolitische Kultur – Eine Synthese
Die Literatur zur strategischen Kultur hat wertvolle Erkenntnisse über die Bedeutung kultureller Faktoren für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Staaten erbracht. Dennoch haben Forscher wie Berger und Duffield durchaus Recht, wenn sie etwa konzeptionelle Versäumnisse, oft tautologische Argumentation oder (im Falle Duffields) die Beschränkung des Ansatzes auf Militärstrategie und Gewalteinsatz beklagen. Ihre Abkehr vom Begriff der strategischen Kultur erscheint daher in gewisser Hinsicht sicherlich gerechtfertigt. Kritik an dem Ansatz[109] sowie die Tatsache, daß eine Standarddefinition von strategischer Kultur, ganz zu schweigen von einer Standardmethode für ihre Erfassung, nicht in Sicht ist, macht die Anwendung des Konzeptes nicht gerade einfacher. Zusätzliche Schwierigkeiten verursacht der Begriff der Kultur an sich. Die Vielfalt an Definitionen[110] und ihre tendenzielle Schwammigkeit machen es verständlich, daß Kultur in der maßgeblich vom Behavioralismus beeinflußten Disziplin der Internationalen Beziehungen lange Zeit nur als „residual category for explanation“[111] betrachtet wurde.
Dennoch ist das Konzept vielversprechend. Beispielsweise sind trotz der Unterschiede zwischen Chinas Realpolitik und der antimilitaristischen Haltung Deutschlands und Japans und trotz der teilweise unterschiedlichen Ansätze die in den genannten Untersuchungen angebotenen Erklärungen gleichgerichtet: Chinas strategische Kultur (Johnston) und Deutschlands strategische Kultur (Longhurst)/nationale Sicherheitskultur (Duffield) bzw. die politisch-militärische Kultur der BRD und Japans (Berger) haben einen bedeutsamen, eigenständigen Einfluß auf die Sicherheitspolitik dieser Staaten. Zudem kommen gerade beim „Paradebeispiel“ Deutschland konzeptionell unterschiedliche ausgeformte Ansätze zu sehr ähnlichen Ergebnissen.
Im Folgenden soll versucht werden, aus den Arbeiten der genannten und weiterer Autoren Kernelemente der „sicherheitspolitischen Kultur“ zu destillieren. Ich verwende den Begriff „sicherheitspolitische Kultur“ in Anlehnung an Duffield. Die enge Orientierung des Konzeptes der „strategischen Kultur“ wie auch Bergers „politisch-militärischer Kultur“ an der Frage militärischer Gewaltanwendung läßt keinen Raum für einen umfassenden Blick auf staatliche Sicherheitspolitik, die schließlich auch nicht-militärische Maßnahmen umfassen kann. Gleichzeitig ist der Begriff „nationale Sicherheitskultur“ meines Erachtens zumindest auf Deutsch stilistisch und grammatikalisch etwas unglücklich.[112] Der Begriff „sicherheits-politische Kultur“ macht zudem den Zusammenhang zur Sicherheits politik und der umfassenderen außenpolitischen Kultur und zur allgemeinen politischen Kultur deutlicher.
Der Begriff der politischen Kultur
Trotz teilweise unterschiedlicher Formulierungen, Benennungen und Systematisierungen können in der bisher behandelten Literatur[113] grundsätzlich drei Komponenten von politischer Kultur identifiziert werden:
[...]
[1] Dziennik vom 25.11.2006.
[2] Gemeint ist hier die äußere staatliche Sicherheit. Zum Sicherheitsbegriff siehe Abschnitt 2.3.
[3] Das Konzept wurde in unterschiedlichen Entwicklungsstufen und Ausformungen unterschiedlich benannt, etwa als „strategische Kultur“ oder „politisch-militärische Kultur“. Sofern nicht von diesen speziell die Rede ist, verwende ich in dieser Arbeit den Begriff „sicherheitspolitische Kultur“. Zum Begriff vgl. auch Abschnitt 2.3.2.
[4] Vgl. Osica, Olaf: Polska wobec operacji NATO i polityki bezpieczeństwa i obronnej UE, in: Malinowski, Krzysztof (Hrsg.): Kultura bezpieczeństwa narodowego w Polsce i Niemczech, Posen 2003, S. 95-138.
[5] Checkel, Jeffrey T.: Social constructivisms in global and European Politics: a review essay, in: Review of International Studies 30 (2004), S. 229-244.
[6] Vgl. Onuf, Nicholas Greenwood: World of Our Making, Columbia 1989. Der Begriff wurde von Onuf geprägt und hat mittlerweile weite Verbreitung gefunden.
[7] Vgl. Risse-Kappen, Thomas: Reden ist nicht billig, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 2 (1) 1995, S. 171-184.
[8] Risse, Thomas: Konstruktivismus, Rationalismus und Theorien internationaler Beziehungen – warum empirisch nichts so heiß gegessen wird, wie es theoretisch gekocht wurde, in: Hellmann, Gunther, Klaus-Dieter Wolf und Michael Zürn (Hrsg.): Die neuen Internationalen Beziehungen, Baden-Baden 2003, S. 99-132.
[9] Vgl. ebd.
[10] Vgl. z.B. Wendt, Alexander: Anarchy is What States Make of It, in: International Organization 46 (2) 1992, S. 391-425.
[11] Adler, Emanuel: Seizing the Middle Ground. Constructivism in World Politics, in: European Journal of International Relations 3 (3) 1997, S. 319-363.
[12] Keohane, Robert O.: International Institutions: Two Approaches, in: International Studies Quarterly 32 (4) 1988, S. 379-396. Der Begriff ist auch heute noch verbreitet.
[13] Vgl. Mayer, Peter: Die Epistemologie der Internationalen Beziehungen, in: Hellmann, Gunther, Klaus-Dieter Wolf und Michael Zürn (Hrsg.): Die neuen Internationalen Beziehungen, Baden-Baden 2003, S. 47-97.
[14] Vgl. Risse-Kappen: Reden ist nicht billig; sowie Kubálková, Vendulka, Nicholas Onuf und Paul Kowert: Constructing Constructivism, in: Kubálková, Vendulka, Nicholas Onuf und Paul Kowert (Hrsg.): International Relations in a Constructed World, New York 1998, S. 3-21.
[15] Vgl. Wendt, Alexander: Social Theory of International Politics, Cambridge 1999, S. 47-91.
[16] Vgl. Risse: Konstruktivismus, Rationalismus und Theorien internationaler Beziehungen.
[17] Vgl. Risse-Kappen: Reden ist nicht billig.
[18] Vgl. Checkel: Social Constructivism in Global and European Politics.
[19] Vgl. Ulbert, Cornelia: Sozialkonstruktivismus, in: Schieder, Siegfried und Manuela Spindler (Hrsg.): Theorien der Internationalen Beziehungen, Opladen 2003, S. 391-420 sowie Wendt: Social Theory of International Politics, S. 7 oder auch Risse: Konstruktivismus, Rationalismus und Theorien internationaler Beziehungen.
[20] Siedschlag, Alexander: Einführung – Sicherheitspolitik als Methode, in: Siedschlag, Alexander (Hrsg.): Methoden der sicherheitspolitischen Analyse, Wiesbaden 2006, S. 9-20.
[21] Vgl. z.B. Deutsch, Karl: Political Community at the International Level, Garden City 1954; Haas, Ernst: Beyond the Nation-State, Stanford 1964; Bull, Hedley: The Anarchical Society, New York 1977.
[22] Vgl. Wendt, Alexander: Social Theory of International Politics, S. 38.
[23] Vgl. Berger, Peter L. und Thomas Luckmann: The Social Construction of Reality, New York 1966.
[24] Ebd., S. 77.
[25] Ebd., S. 106.
[26] Onuf, Nicholas: Constructivism: A user´s manual, in: Kubálková, Vendulka, Nicholas Onuf und Paul Kowert (Hrsg.): International Relations in a Constructied World, New York 1998, S. 58-78.
[27] Berger und Luckmann: The Social Construction of Reality, S. 83f.
[28] Searle, John R.: The Construction of Social Reality, London u.a. 1995, S. 1.
[29] Onuf: Constructivism.
[30] Vgl. dazu grundsätzlich Keohane, Robert O. und Joseph S. Nye: Power and Interdependence. World Politics in Transition, Boston 1977 sowie Keohane, Robert O.: After Hegemony. Cooperation and Discord in the World Political Economy, Princeton 1984.
[31] Vgl. Krachtowil, Friedrich und John G. Ruggie: International Organization: A State of the Art on an Art of the State, in: International Organization 40 (4) 1986, S. 753-775.
[32] Vgl. Keohane, Robert O.: International Institutions.
[33] Vgl. dazu grundlegend Waltz, Kenneth: Theory of International Politics, Reading 1979.
[34] Grob vereinfacht ist internationale Kooperation im Neorealismus durch hegemonialen Zwang oder einer gemeinsame Bedrohung erklärbar. Der Neoinstitutionalismus hingegen hält solche Kooperation auch „after Hegemony“ für möglich, da internationale Institutionen den Staaten helfen können, ihre Interessen zu verwirklichen.
[35] Vgl. Wendt, Alexander: Social Theory of International Politics, S. 15.
[36] Vgl. Wisotzki, Simone: Die Nuklearwaffenpolitik Großbritanniens und Frankreichs, Frankfurt/Main 2001, S. 80ff.
[37] Vgl. Adler: Seizing the Middle Ground; Onuf: Constructivism; sowie Wendt: Social Theory of International Politics, S. 20.
[38] Vgl. Katzenstein, Peter J. (Hrsg.): The culture of national security: norms and identities in world politics, New York 1996, S. xii.
[39] Als die sicherlich wichtigsten wären hier zu nennen: Wendt, Alexander: The Agent-Structure-Problem in International Relations Theory, in: International Organization 41 (3) 1987, S. 335-370, sowie Wendt, Alexander: Anarchy is What States Make of It.
[40] Insbesondere sind hier normative (z.B. feministische) und radikale (v.a. postmoderne/poststrukturalistiche) Ansätze zu nennen, vgl. Ulbert: Sozialkonstruktivismus.
[41] Risse: Konstruktivismus, Rationalismus und Theorien internationaler Beziehungen.
[42] Vgl. Wendt: Social Theory of International Politics, S. 193-245.
[43] Hier geht es grob gesagt um das Problem, daß sowohl individualistische als auch strukturalistische Theorien „reduktionistisch“ mit vorgefertigten Ausgangsobjekten argumentieren. Das heißt, daß individualistische Theorien durch Akteure, deren Merkmale als gegeben betrachtet werden, die Gestalt der Struktur erklären wollen. Sie sind jedoch nicht fähig, die Merkmale der Akteure zu erklären. Diese werden einfach als exogen gegeben vorausgesetzt. Dies gilt für die strukturalistischen Theorien analog in Bezug auf Strukturen.
[44] Wendt: Social Theory of International Politics, S. 309.
[45] Wendt: Anarchy is what states make of it.
[46] Ebd.
[47] Vgl. Wendt: Social Theory of International Politics, S. 135.
[48] Die Parallelen zu Bergers und Luckmanns Theorie der sozialen Konstruktion von Realität sind hier unverkennbar.
[49] Wendt: Social Theory of International Politics, S. 246-312.
[50] Ebd., S. 309.
[51] Die Hobbes´sche Kultur bestand bis zum Westfälischen Frieden. Mit der Einführung der Institution der Souveränität entstand eine Locke´sche Kultur, die heute in Teilen der Welt (v.a. in Teilen der OECD-Welt) Züge einer Kantianischen zeigt; vgl. ebd., S. 311.
[52] Vgl. Copeland, Dale: The Constructivist Challenge to Structural Realism, in: International Security 25 (2) 2000, S. 187-212.
[53] Hopf, Ted: Social Construction of International Politics: Identity & Foreign Policies, Moscow 1955 & 1999, Ithaca 2002 , S. 278.
[54] Auch: Regeln (eng. „rules“). Die Begriffe sind hier synonym.
[55] Vgl. Goldstein, Judith und Robert O. Keohane (Hrsg.): Ideas and Foreign Policy. Beliefs, Institutions, and Political Change, Ithaca und London 1993.
[56] Vgl. Onuf: Constructivism.
[57] Vgl. ebd. Sowie Boekle, Henning, Volker Rittberger und Wolfgang Wagner: Normen und Außenpolitik. Konstruktivistische Außenpolitiktheorie, Tübingen 1999, abgerufen unter: http://www.uni-tuebingen.de/pol/taps/tap34.html, am 29.10.2006.
[58] Vgl. Eyre, Dana P. und Mark C. Suchman: Status, Norms, and the Proliferation of Conventional Weapons: An Institutional Theory Approach, in: Katzenstein, Peter J. (Hrsg.): The culture of national security: Norms and identity in world politics, New York 1996, S. 79-113.
[59] Diese Unterscheidung wurde von March und Olson eingeführt, vgl. March, James G. und Johan P. Olson: Rediscovering Institutions, New York 1989, S. 23f.
[60] Ebd., S. 161.
[61] Vgl. Risse: Konstruktivismus, Rationalismus und Theorien internationaler Beziehungen.
[62] Vgl. zusammenfassend ebd.
[63] Vgl. Ulbert.
[64] Rittberger, Volker: Approaches to the Study of Foreign Policy Derived from International Relations Theories, Tübingen 2004, abgerufen unter http://www.uni-tuebingen.de/pol/taps/tap46.html am 29.10.2006.
[65] Wilhelm, Andreas: Außenpolitik, München 2006, S. 9, Hervorhebung im Original.
[66] Boekle, Rittberger und Wagner: Normen und Außenpolitik.
[67] Ebd.
[68] Schimmelfennig, Frank: Internationale Sozialisation neuer Staaten. Heuristische Überlegungen zu einem Forschungsdesiderat, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 1 (2) 1994, S. 335-355.
[69] Boekle, Rittberger und Wagner: Normen und Außenpolitik.
[70] Ebd.
[71] Onuf: Constructivism.
[72] Vgl. Boekle, Rittberger und Wagner: Normen und Außenpolitik.
[73] Katzenstein, Peter J.: Introduction: Alternative Perspectives on National Security, in: Katzenstein, Peter J. (Hrsg.): The culture of national security: norms and identities in world politics, New York 1996, S. 1-32.
[74] Meier, Ernst-Christoph, Richard Roßmanith und Heinz-Uwe Schäfer: Wörterbuch zur Sicherheitspolitik, Hamburg 2003, S. 348.
[75] Vgl. Witulski, Alexander: Ist die Europäische Union auf dem Weg zu einer Verteidiungsunion?, Aachen 2002, S. 25; vgl. auch Wilhelm: Außenpolitik, S. 16f. oder Dettke, Dieter: Militärpolitik/Sicherheitspolitik, in: Woyke, Wichard (Hrsg.): Handwörterbuch Internationale Politik, Wiesbaden 2004, S. 334-347.
[76] Siedschlag: Einführung – Sicherheitspolitik als Methode.
[77] Woyke, Wichard: Sicherheitspolitik, in: Mickel, Wolfgang (Hrsg.): Handlexikon zur Politikwissenchaft, München 1986, S. 447-450.
[78] Daß der Sicherheitsbegriff auch heute noch, trotz seiner „Erweiterung“, sehr stark militärisch geprägt ist, zeigt z.B. Woykes Handwörterbuch zur Internationalen Politik. Dem Begriff „Sicherheit“ ist dort kein eigener Artikel gewidmet, vielmehr wird dieses Thema in dem Artikel „Militärpolitik/Sicherheitspolitik“ abgehandelt, vgl. Dettke: Militärpolitik/Sicherheitspolitik.
[79] Vgl. z.B. Wilhelm: Außenpolitik, S. 16 und Meier et al.: Wörterbuch zur Sicherheitspolitik, S. 103.
[80] Varwick, Johannes: Die Reform der Bundeswehr – Konturen und Defizite einer nicht geführten Debatte, in: Gegenwartskunde 3/2000, S. 321-332.
[81] Meier et al.: Wörterbuch zur Sicherheitspolitik, S. 348.
[82] Vgl. Siedschlag: Strategische Kulturanalyse.
[83] Dunn, Myriam und Victor Mauer: Diskursanalyse, in: Siedschlag, Alexander (Hrsg.): Methoden der sicherheitspolitischen Analyse, Wiesbaden 2006, S. 189-217.
[84] Vgl. Wendt: Social Theory of International Politics, S. 130-132.
[85] Hopf: Social Construction of Foreign Policy, S. 2.
[86] Almond, Gabriel und Sidney Verba: The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations, Princeton 1963.
[87] Kaase, Max: Sinn oder Unsinn des Konzepts „Politische Kultur“ für die Vergleichende Politikforschung. Oder auch: Der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln, in: Kaase, Max und Hans-Dieter Klingemann (Hrsg.): Wahlen und politisches System – Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1980, Opladen 1983, S. 144-171.
[88] Copeland: The Constructivist Challenge to Structural Realism.
[89] Vgl. Hudson, Valerie M.: Culture and Foreign Policy: Developing a Research Agenda, in: Hudson, Valerie M. (Hrsg.): Culture and Foreign Policy, Boulder 1997, S. 1-26.
[90] Vgl. Snyder, Jack: The Soviet Strategic Culture: Implications for Limited Nuclear Operations, Santa Monica 1977, S. 4.
[91] Ebd., S. 8.
[92] Für einen Überblick siehe Johnston, Alistair Ian: Cultural Realism. Strategic Culture and Grand Strategy in Chinese History, Princeton 1995.
[93] Johnston: Cultural Realism, S. 13.
[94] Ebd., S. 36.
[95] Ebd.
[96] Waltz, Kenneth: The Emerging Structure of International Politics, International Security 18 (2) 1993, S. 44-79.
[97] Vgl. Berger, Thomas U.: Cultures of Antimilitarism. National Security in Germany and Japan, Baltimore u.a. 1998, S. 15.
[98] Ebd., S. 9.
[99] Ebd., S. 14.
[100] Ebd., S. 15f.
[101] Vgl. ebd.
[102] Ebd., S. 193.
[103] Vgl. Duffield, John S.: World Power Forsaken. Political Culture, International Institutions, and German Security Policy After Unification, Stanford 1998.
[104] Vgl. ebd., S. 23.
[105] Ebd., S. 238.
[106] Longhurst, Kerry: Germany and the Use of Force. The Evolution of German Security Policy 1990-2003, Manchester 2004, S. 17.
[107] Vgl. ebd., S. 25 ff.
[108] Vgl. ebd., S. 137-152.
[109] Vgl. z.B. Haglund, David G.: What good is strategic culture?, in: International Journal 59 (3) 2004, S. 479-502.
[110] So stellten Alfred Louis Kroeber und Clyde Kruckhohn bereits 1952 eine Sammlung von mehr als 150 Definitionen zusammen, vgl. Kroeber, Alfred Louis und Clyde Kruckhohn: Culture: A Critical Review of Concepts and Definitinons, Cambridge 1952.
[111] Vgl. Berger: Cultures of Antimilitarism, S. 8.
[112] Es geht hier nicht um Vorbehalte bezüglich des „Nationalen“ an diesem Begriff, sondern vor allem um die Kombination von Adjektiv und Kompositum, da das Adjektiv sich hierbei eigentlich auf den Wortstamm und nicht auf das Präfix bezieht. Dadurch kommt es streng genommen zu einer Sinnverfälschung. „Kultur der nationalen Sicherheit“ wäre vielleicht ein treffenderer Ausdruck wie auch eine bessere Übersetzung der „national security culture“, ist aber wiederum sprachlich eher umständlich.
[113] Dies betrifft konkret: Berger: Cultures of Antimilitarism; Duffield: World Power Forsaken; Hudson: Culture and Foreign Policy; Johnston: Cultural Realism; Katzenstein: Alternative Perspectives on National Security; Kowert und Legro: Norms, Identities and Their Limits; Longhurst: Germany and the Use of Force; Snyder: The Soviet Strategic Culture; sowie Breuning, Marijke: Culture, History, Role: Belgium and Dutch Axioms and Foreign Assistance Policy, in: Hudson, Valery M. (Hrsg.): Culture and Foreign Policy, Boulder 1997, S. 99-123; Jepperson, Ronald L., Alexander Wendt und Peter J. Katzenstein: Norms, Identity, and Culture in National Security, in: Katzenstein, Peter J. (Hrsg.): The Culture of National Security, New York 1996, S. 33-75; Jetschke, Anja und Andrea Liese: Kultur im Aufwind, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 5 (1) 1998, S. 149-179 und Siedschlag, Alexander: Strategische Kulturanalyse, in: Siedschlag, Alexander (Hrsg.): Methoden der sicherheitspolitischen Analyse, Wiesbaden 2006, S. 21-48. In diesem Abschnitt wird eine Synthese dieser Literatur angestrebt. Im Einzelfall werden die genannten Werke gesondert zitiert.
- Quote paper
- Thomas Winter (Author), 2007, Polnische Sicherheitspolitik zwischen Souveränität und Integration, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73172
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