Schlägt man ein Buch zum Thema Denken und Entscheiden auf, so kann man damit rechnen, dass einem folgender Leitsatz begegnet: „Vernünftiges Denken basiert auf den Gesetzen der Logik, der Wahrscheinlichkeitsrechnung oder der Maximierung des erwarteten Nutzens“.
Aus mathematischer Sicht sind Wahrscheinlichkeit und Logik elegante Systeme, sie beschreiben jedoch nicht, wie Menschen wirklich urteilen.
Dazu ein kleines Beispiel: Ein Entscheidungstheoretiker einer Universität überlegte hin und her, ob er den Ruf einer anderen Universität annehmen sollte oder nicht. Sein Kollege nahm ihn zur Seite und empfahl ihm, seinen erwarteten Nutzen zu maximieren. Daraufhin entgegnete der Professor, er solle doch damit aufhören, denn diesmal sei es ernst!
Heuristiken beschäftigen sich mit der Frage wie Menschen im Alltag tatsächlich urteilen und entscheiden, meist ohne Wahrscheinlichkeiten und Nutzen zu berechnen.
Traditionell herrscht die Annahme der Mensch sei ein Homo Oeconomicus.
Nach dieser Definition müsste er mit unbegrenzter Zeit, Wissen und rechnerischen Kapazitäten ausgestattet sein. Entscheidungen im Alltag sind jedoch unter Unsicherheit und begrenzter Zeit zu treffen und das Gehirn eines Menschen ist, entgegen der traditionellen Vision, kein Laplacescher Dämon.
Aber auch wenn keine optimale Lösung zu erkennen ist, ist der Mensch nicht zur Untätigkeit verdammt oder zum Scheitern verurteilt. Mit Hilfe von Heuristiken kann er gute Lösungen finden.
Die traditionelle Interpretation von Rationalität wirft nun folgende Fragen auf, die wir uns mit Hilfe von Heuristiken beantworten wollen.
Wie kann eine Person vernünftige Entscheidungen unter begrenzter Zeit und begrenztem Wissen treffen?
Inhaltsverzeichnis
1. Grundlagen der Heuristiken
1.1. Einleitung
1.2. Begrenzte Rationalität
1.3. Definition der Heuristiken
1.3.1. Adaptive Toolbox
1.3.2. Eigenschaften
1.3.3. Vorstellung der Heuristiken
1.3.3.1. Gaze-Heuristik (Blickheuristik)
1.3.3.2. Rekognitionsheuristik (Wiedererkennungsheuristik)
1.3.3.3. Heuristiken mit Cues
1.3.4. Wie arbeiten diese Heuristiken?
1.4. Heuristik vs. Statistik
1.5. Fazit
2. Elterliches Investment bei einfachen Entscheidungsregeln
2.1. Einleitung
2.2. Elterliches Investment
2.3. Simulation
2.3.1. Durchführung der Simulation
2.3.2. Interaktion
2.3.3. Diskussion nach der Interaktion
2.3.4. Simulationsergebnisse
2.3.5. Optimales Investment
2.3.6. Vergleiche der Simulationsergebnisse mit der Realität
2.4. Fazit
3. „Satisficing“ bei der Partnersuche
3.1. Einleitung
3.2. Interaktion
3.3. Wichtige Vertreter
3.3.1. Johannes Kepler
3.3.2. Peter M. Todd
3.4. Einseitige Partnersuche
3.4.1. Die Dutzend-Regel („Try a dozen rule“)
3.4.2. Die 37% - Regel
3.4.2.1 „Sekretärinnenproblem“ – Secretary Problem
3.4.2.2. Die 37% - Regel anhand des „dowry problem“ (Mitgiftproblem)
3.4.2.3. Die 37%-Regel in der Realität
3.4.3. Take the next best (TNB)
3.5. Zweiseitige Partnersuche
3.5.1. Pairing-Offering-Mating-Cycle
3.5.2. Ergebnisse einzelner Regeln und deren Probleme
3.5.3. Die „beste“ Strategie
3.6. Fazit
Literaturverzeichnis
Online-Verzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Grundlagen der Heuristiken
1.1. Einleitung
Schlägt man ein Buch zum Thema Denken und Entscheiden auf, so kann man damit rechnen, dass einem folgender Leitsatz begegnet: „Vernünftiges Denken basiert auf den Gesetzen der Logik, der Wahrscheinlichkeitsrechnung oder der Maximierung des erwarteten Nutzens“[1].
Aus mathematischer Sicht sind Wahrscheinlichkeit und Logik elegante Systeme, sie beschreiben jedoch nicht, wie Menschen wirklich urteilen.
Dazu ein kleines Beispiel: Ein Entscheidungstheoretiker einer Universität überlegte hin und her, ob er den Ruf einer anderen Universität annehmen sollte oder nicht. Sein Kollege nahm ihn zur Seite und empfahl ihm, seinen erwarteten Nutzen zu maximieren. Daraufhin entgegnete der Professor, er solle doch damit aufhören, denn diesmal sei es ernst![2]
Heuristiken beschäftigen sich mit der Frage wie Menschen im Alltag tatsächlich urteilen und entscheiden, meist ohne Wahrscheinlichkeiten und Nutzen zu berechnen.
Traditionell herrscht die Annahme der Mensch sei ein Homo Oeconomicus.
Nach dieser Definition müsste er mit unbegrenzter Zeit, Wissen und rechnerischen Kapazitäten ausgestattet sein. Entscheidungen im Alltag sind jedoch unter Unsicherheit und begrenzter Zeit zu treffen und das Gehirn eines Menschen ist, entgegen der traditionellen Vision, kein Laplacescher Dämon[3].
Aber auch wenn keine optimale Lösung zu erkennen ist, ist der Mensch nicht zur Untätigkeit verdammt oder zum Scheitern verurteilt. Mit Hilfe von Heuristiken kann er gute Lösungen finden.
Die traditionelle Interpretation von Rationalität wirft nun folgende Fragen auf, die wir uns mit Hilfe von Heuristiken beantworten wollen.
Wie kann eine Person vernünftige Entscheidungen unter begrenzter Zeit und begrenztem Wissen treffen?
Wie lange soll man nach Lösungen suchen, bevor man eine Vorhersage oder Entscheidung trifft?
1.2. Begrenzte Rationalität
Niemand kann sich in seinem Leben alltäglich auftauchenden Entscheidungssituationen entziehen. Entscheidungen gehören ebenso zu den elementaren Bestandteilen des Lebens, wie die Grundbedürfnisse eines jeden Menschen nach Schlaf oder Nahrungsaufnahme. Jedoch sind die Anforderungen der Alternativenauswahl nicht bei allen Entscheidungen gleich. Die morgendliche Wahl zwischen Kaffee und Tee fällt niemandem sehr schwer. Dies liegt vor allem daran, dass dies eine routinisierte Entscheidung ist, mit wenigen Alternativen und nicht schwerwiegenden Folgen. Es gibt jedoch auch eine Vielzahl von Gegebenheiten unter denen das Treffen von Entscheidungen erhebliche Anforderungen stellt. Hierzu zählen vor allem neuartige Entscheidungssituationen ohne Erfahrungswerte und die Entscheidung unter Unsicherheit, bei denen die Auswirkungen von Entscheidungen unüberschaubar und komplex sind oder nur auf Basis von Wahrscheinlichkeiten antizipiert werden können[4]. Erklärt werden soll nun zunächst, in welchem Maße rationales Handeln in den uns Tag täglich begegnenden Entscheidungssituationen nach Herbert Simons Auffassung tatsächlich möglich ist. Weiterhin wird auf die verschiedenen Heuristiken und ihre Merkmale eingegangen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Herbert Simon (1916-2001)[5]
Herbert Simon interessierte sich schon immer für das Forschungsgebiet der Entscheidungsfindung (innerhalb von Organisationen) und prägte entgegen der traditionellen Annahme des Homo Oeconimicus, im Jahre 1957, die im folgenden erläuterten Begriffe, die die Grundlage der von uns verwendeten Werke „Simple heuristics that make us smart“ und „Bounded Rationality: The Adaptive Toolbox“ werden sollten und den Beginn der Theorie der Begrenzten Rationalität darstellen.
„Boundedly rational decision making necessarily involves nonoptimizing procedures“[6].
Modelle begrenzter Rationalität verwandeln uns in normale Menschen zurück, denn sie versuchen zu erklären, wie Menschen sich verhalten, wenn sie nur begrenzte Zeit und begrenztes Wissen haben. Begrenzte Rationalität ist jedoch nicht gleich zu setzen mit Irrationalität. Menschen handeln vielmehr rational unter den jeweiligen Entscheidungsbedingungen.
Decision making is a search process guided by aspiration levels. An aspiration level is a value of a goal to be reached or surpassed by decision alternatives. The process of searching this goal is called satisficing[7]. Satisficing ist eine Wortschöpfung aus satisfy und suffice.
Nach Herbert Simons Auffassung müssen Denkprozesse nicht perfekt, sondern nur satisficing sein, d.h. zufriedenstellend für das Anspruchsniveau eines Menschen. Aspiration levels sind dynamisch, d.h. sie sind hoch, wenn es einfach ist zufrieden stellende Alternativen zu finden und niedrig, wenn es schwer ist solche zu erlangen (aspiration adaptation) .
1.3. Definition der Heuristiken
Als Heuristik (abgeleitet von [alt]griechisch ευρίσκω, heurísko, zu deutsch ich finde ) bezeichnet man Strategien, die das Finden von Lösungen ermöglichen sollen, zu denen kein Algorithmus bekannt ist, der mit Sicherheit zum Erfolg führt[8].
Daher bezeichnet man sie auch als Daumenregeln die uns im Alltag zur Problemlösung dienen sollen.
Heuristiken vereinen zwei scheinbar widersprüchliche Eigenschaften: Einfachheit und hohe Genauigkeit und erklären wie Menschen gelernte Fähigkeiten benutzen.
Heuristiken sind bereichsspezifisch. Also darauf ausgerichtet, eine bestimmte Klasse von Problemen zu lösen.
Heuristiken nutzen Umweltstrukturen. Ökologische Rationalität besagt, dass Heuristiken sehr schlicht aber effektiv sein können, wenn sie gut an ihre Umwelt angepasst sind. Heuristiken sind somit schnell, einfach und gut zu nutzen.
Bei der sozialen Rationalität kommt zusätzlich zu den Zielen der ökologischen Rationalität hinzu, bestimmte Entscheidungen moralisch zu rechtfertigen oder einen sozialen Konsens zu erreichen[9].
Man kann den Menschen demnach als einen Nischen-Besetzer bezeichnen, der sich an seine jeweiligen Umweltstrukturen anpasst und nicht konsequent Kosten- Nutzen-Analysen als Homo Oeconomicus durchführt.
1.3.1. Adaptive Toolbox
“The adaptive Toolbox contains a number of this middle-ranged tools, not a single hammer for all purposes”[10]. Eine Sammlung von Heuristiken ähnelt einer adaptiven Werkzeugkiste und erlaubt gute Entscheidungen in vielen Situationen. Die Bezeichnung middle-ranged drückt aus, dass eine Heuristik nicht auf jede Situation anwendbar ist. Die Wiedererkennungsheuristik ist z.B. nicht anwendbar, wenn man beide Objekte schon gut kennt, darum muss man in diesem Fall auf andere Heuristiken zurückgreifen. Das Konzept der adaptive toolbox hat die folgenden Charakteristiken.
Erstens bezieht sie sich auf eine Sammlung von Regeln oder Heuristiken und nicht auf einen allgemeinen Algorithmus, der auf jede Entscheidungssituation angewendet werden kann.
Zweitens sind die Heuristiken schnell, einfach und nicht durchgängig, einheitlich und allgemein gültig.
Drittens sind die Heuristiken an eine bestimmte Umweltsituation anpassbar[11].
1.3.2. Eigenschaften
Wie bereits erwähnt, zeichnen sich Heuristiken durch die zwei scheinbar widersprüchlichen Eigenschaften Einfachheit und Genauigkeit und folgende Qualitäten aus.
Transparenz: Jeder Schritt einer Heuristik ist nachvollziehbar beschrieben und einfach zu merken (faf-tree).
Fast and frugal: Sie sind schnell, weil sie das Problem innerhalb weniger Minuten lösen können. Somit sind die einzelnen Schritte schnell und sparsam, da nicht alle Informationen benötigt werden.
Robustheit: Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ein Teil der Informationen ignoriert werden muss, um den Teil zu finden, der sich verallgemeinern und auf andere Situationen übertragen lässt. Somit wird ein overfitting vermieden und die Heuristiken werden robuster gegenüber Umweltschwankungen.
Bei Entscheidungen unter Unsicherheit muss man Informationen außer Acht lassen, um gute Vorhersagen treffen zu können. Die Kunst besteht darin die richtigen Informationen zu ignorieren[12].
Ein Beispiel hierzu sei der Entscheidungsbaum von Green und Mehr, dessen Bedeutung im Folgenden erläutert wird.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Entscheidungsbaum in der Medizin[13]
Green und Mehr entwickelten diesen Entscheidungsbaum der Medizin (faf-tree) mit dem Ziel, die wichtigsten diagnostischen Cues herauszufinden, die auf einen Herzinfarkt hinweisen. Dieser einfache Entscheidungsbaum ermöglicht durch eine der zwei Cue Ausprägungen eine Entscheidung hinsichtlich des Kriteriums, ob der Patient in einem normalen Krankenbett oder auf der Intensivstation untergebracht werden soll, zu treffen. Green und Mehr reduzierten sieben Cues (erhöhtes ST-Segment im EKG, Schmerzen in der Brust, vergangene Herzinfarkte, Einnahme von Nitroglycerin, Schmerzen im linken Arm, ST-Segment mit Balken im EKG,
T-Wellen) auf drei Fragen. Es stellte sich heraus, daß der einfache Entscheidungsbaum genauso effektiv ist, wie eine Regression, die auf den gleichen drei Cues beruht. Nur das Regressionsmodell mit den sieben Cues zeigte leicht besserer Resultate[14].
Somit sind einfache Heuristiken plausible Modelle für menschliche Entscheidungen, die unter begrenzter Zeit, Wissen und Verarbeitungskapazität getroffen werden.
1.3.3. Vorstellung der Heuristiken
Heuristiken basieren auf dem one- reason- decision making, d.h. sie verlassen sich auf nur einen guten Grund (Variable), anstatt alle verfügbaren Informationen zu kombinieren, um eine Entscheidung zu treffen.
1.3.3.1. Gaze-Heuristik (Blickheuristik)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Blickwinkel[15]
Wir stellen uns nun die Frage, wie sollte man einen Roboter konstruieren sollte, der Bälle fangen kann. Der Roboter müsste mit dem vollkommenen Wissen über seine Umwelt ausgestattet werden. Zunächst braucht er Parabelgleichungen. Diese reichen jedoch allein nicht aus, da auch Windgeschwindigkeit, Drall und Luftwiderstand etc. berücksichtigt werden müssen, durch die ein Ball in Wirklichkeit keine Parabelform fliegen kann. Erst dann könnte der Roboter die Flugbahn und den Landepunkt des Balls berechnen und an die richtige Stelle laufen. Diese ganzen komplexen Berechnungen müssten innerhalb von Sekunden geschehen, während der Ball sich noch in der Luft befindet.
[...]
[1] forum.mpg.de (2006).
[2] Vgl. forum.mpg.de (2006).
[3] Vgl. mpib-berlin.de (2006a).
[4] Vgl. hausarbeiten.de (2006).
[5] nobelprize.org (2006).
[6] Selten (2001), S. 16.
[7] Vgl. Selten (2001), S. 13 f.
[8] Vgl. wikipedia.de (2006a).
[9] Vgl. forum.mpg.de (2006).
[10] Vgl. Gigerenzer/Selten (2001), S. 7.
[11] Vgl. Gigerenzer (2001), S.40 ff.; aerztekammer-berlin.de (2006).
[12] Vgl. forum.mpg.de (2006).
[13] aekb.arzt.de (2006).
[14] Vgl. hierzu und im Folgenden aerztekammer-berlin.de (2006).
[15] aerztekammer-berlin.de (2006).
- Citar trabajo
- Sven Bartelmei (Autor), Johanna Katris (Autor), 2006, Heuristiken. Urteilsvermögen des Menschen im Alltag, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73145
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