Jürgen Habermas erörtert in seinem Aufsatz „Drei normative Modelle der Demokratie“ (1992) Grundprobleme der Demokratie. Er bezieht sich zunächst auf die idealtypischen Verständnisse von Politik – das „liberale“ und „republikanische“ Modell – , um dann daraus seine Konzeption des sog. „deliberativen“ Ansatzes abzuleiten.
Habermas ist ein Vertreter des kritisch-dialektischen Ansatzes in der Politikwissenschaft. Unter Dialektik versteht man einen „fortschrittlichen Dreischritt“ in Form von These, Antithese und Synthese. Erkennt man die Wurzeln des liberalen Demokratiemodells bei John Locke und führt die Wurzeln des republikanischen Modells auf Jean-Jacques Rousseau zurück, so kann man
diesen wissenschaftlichen Ansatz auf die Generierung des deliberativen Modells übertragen. Sieht man entsprechend die Staatstheorie Lockes als These, neben die sich 75 Jahre später die Staatstheorie Rousseaus gesellt, so kann die Entwicklung des neuen Demokratiemodells von Habermas als eine Art Synthese betrachtet werden, die jeweils plausible Aspekte beider Seiten zu einer neuen, besseren, normativen Erkenntnis zusammenfasst.
Im ersten Teil dieser Arbeit sollen zentrale Elemente (Staat und Gesellschaft, demokratischer Prozess, Staatsbürger) in der Staatstheorie von Locke untersucht und auf Parallelen im liberalen Demokratiemodell verwiesen werden. Entsprechend soll im anschließenden zweiten Teil die Staatstheorie von Rousseau mit dem republikanischen Modell in Verbindung gebracht werden. Auf den Stellenwert des deliberativen Modells wird in der Schlussbetrachtung eingegangen.
INHALTSVERZEICHNIS
I. Einleitung
II. Die Staatstheorie von John Locke
1. Die Konzeptionalisierung von Staat und Gesellschaft
2. Der demokratische Prozess
3. Der Staatsbürger bei Locke
4. Die Staatstheorie Lockes und das liberale Demokratiemodell
III. Die Staatstheorie von Jean-Jacques Rousseau
1. Die Konzeptionalisierung von Staat und Gesellschaft
2. Der demokratische Prozess
3. Der Staatsbürger bei Rousseau
4. Das republikanische Modell in der Tradition Rousseaus?
IV. Schlussbetrachtung
1. Das deliberative Demokratiemodell nach Habermas
2. Ausblick
Literaturverzeichnis
I. EINLEITUNG UND VORGEHENSWEISE
Jürgen Habermas erörtert in seinem Aufsatz „Drei normative Modelle der Demokratie“1 Grundprobleme der Demokratie. Er bezieht sich zunächst auf die idealtypischen Verständnisse von Politik - das „liberale“ und „republikanische“ Modell - , um dann daraus seine Konzeption des sog. „deliberativen“ Ansatzes abzuleiten. Habermas ist ein Vertreter des kritisch-dialektischen Ansatzes in der Politikwissenschaft.2 Unter Dialektik versteht man einen „fortschrittlichen Dreischritt“ in Form von These, Antithese und Synthese.3
Erkennt man die Wurzeln des liberalen Demokratiemodells bei John Locke und führt die Wurzeln des republikanischen Modells auf Jean-Jacques Rousseau zurück, so kann man diesen wissenschaftlichen Ansatz auf die Generierung des deliberativen Modells übertragen. Sieht man entsprechend die Staatstheorie Lockes als These, neben die sich 75 Jahre später die Staatstheorie Rousseaus gesellt4, so kann die Entwicklung des neuen Demokratiemodells von Habermas als eine Art Synthese betrachtet werden, „die jeweils plausible Aspekte beider Seiten zu einer neuen, besseren, normativen Erkenntnis zusammenfasst“.5
Im ersten Teil dieser Arbeit sollen zentrale Elemente (Staat und Gesellschaft, demokratischer Prozess, Staatsbürger) in der Staatstheorie von Locke untersucht und auf Parallelen im liberalen Demokratiemodell verwiesen werden. Entsprechend soll im anschließenden zweiten Teil die Staatstheorie von Rousseau mit dem republikanischen Modell in Verbindung gebracht werden.
Deren Stellenwert in der „Synthese“, im deliberativen Modell, würde sich unmittelbar anschließen, kann aber im Rahmen dieser Arbeit in der Schlussbetrachtung nur kurz angerissen werden.
II. DIE STAATSTHEORIE VON JOHN LOCKE
1. Die Konzeptionalisierung von Staat und Gesellschaft
Die politische Gesellschaft wird bei Locke durch einen Vertrag hergestellt: „Jeder Mensch also, der mit anderen übereinkommt, einen einzigen politischen Körper unter einer Regierung zu bilden, verpflichtet sich gegenüber jedem einzelnen dieser Gesellschaft, sich dem Beschluss der Mehrheit zu unterwerfen und sich ihm zu fügen.“6 Die Gesellschaft entsteht also aus einer gegenseitigen Verpflichtung. Im Gegensatz zu Hobbes, bei dem der Vertrag zur Staatsgründung die erste und letzte politische Handlung war, eröffnet der Vertrag bei Locke erst das politische Feld.
„Das große und hauptsächliche Ziel, zu dem sich Menschen im Staatswesen zusammenschließen [...], ist die Erhaltung ihres Eigentums.“7 Der Einzelne verlässt den Naturzustand und überträgt seine natürlichen Rechte den politischen Organen der Schutzgemeinschaft mit dem Ziel, dadurch eine größere Sicherheit für sein Leben und sein Eigentum zu erlangen. Die aus dem Vertrag resultierende politische Gewalt ist also nichts anderes als die Gewalt der zum politischen Körper zusammengetretenen Staatsbürger selbst, die sie den politischen Organen der Gemeinschaft anvertraut haben.8
Folglich ist es die primäre Aufgabe der Staatsgewalt, Leben und Eigentum der Bürger gegen Übergriffe von Rechtsbrechern im Innern und gegen Angriffe von außen durch positive Gesetze zu schützen. Die politischen Prinzipien Lockes wollen den politischen Raum schaffen, in dem der bürgerliche Mensch seine Interessen ungestört verfolgen kann.9 Diese Forderung entspricht der liberalen Auffassung: Der Staat sollte sich auf diese Aufgaben beschränken und die Stellung des Nachtwächterstaates einnehmen, um die Rahmenbedingungen zu sichern und die ungehinderte Realisierung von Einzelinteressen zu ermöglichen. Hier gründet der Kerngedanke des Liberalismus, indem dem Staat Beschränkungen auferlegt werden, die dem Einzelnen weitgehende Unabhängigkeit zusichern.10
Zu Lockes Zeiten war dies für die puritanischen Kaufleute und Unternehmer wichtig, da sie für ihren Handel und ihr Gewerbe unerlässliche Sekurität von der Politik erwarteten.11
Über die Gesellschaft schreibt Locke, dass Gott den Menschen „die Vernunft verliehen (hat), sie zum größtmöglichen Vorteil und zur Annehmlichkeit ihres Lebens zu nutzen“12. Dies kann als Maximierungsgebot interpretiert werden. Verbunden mit der Möglichkeit des Tauschhandels und der Existenz des Geldes13, kann man nach Steinvorth Begriffe wie „Recht des Markts“14 und „Marktprinzip“15 auf die Gesellschaft übertragen. Die Gesellschaft bei Locke kann somit im Sinne der liberalen Demokratietheorie als „Marktgesellschaft“ verstanden werden. Unter Marktgesellschaft versteht man ein System des marktwirtschaftlich strukturierten Verkehrs zwischen Privatpersonen.16
Nach Habermas äußern sich im liberalen Modell Präferenzen von Staatsbürgern in ihrer quantifizierter Zustimmung zu Personen und Programmen im Wahlakt. „Der Stimmen- Input und der Macht-Output entspricht demselben Muster strategischen Handelns.“17
2. Der Demokratische Prozess
Locke bestimmt die vollkommene Freiheit des Menschen als Recht, „innerhalb der Grenzen des Naturgesetzes seine Handlungen zu lenken und über seinen Besitz und seine Person zu verfügen, wie es einem am besten erscheint - [...] ohne vom Willen eines anderen abhängig zu sein.“18 Somit liegt die Freiheit in der Berechtigung zum Handeln nach eigenem Willen, das heißt, ohne äußeren Zwang durch andere Menschen und damit negativ im Recht auf Unabhängigkeit von äußeren Befehlen und Weisungen. Dieses Recht steht allen zu, da alle „von gleicher Art und gleichem Rang“19 geboren sind.
Entgegen der Auffassung von Hobbes ist bei Locke die Freiheit nicht mehr ein Recht auf alles, sondern durch das Vernunftsrecht begrenzt, vom Naturgesetz: „Freiheit nämlich bedeutet frei zu sein von Zwang und Gewalttätigkeit anderer, was nicht sein kann, wo es keine Gesetze gibt.“20 Locke schafft hier die Möglichkeit zur Verfolgung und Realisierung von Einzelinteressen. Der Staat hat nun die Aufgabe eines „für das Naturrecht sorgenden Richters mit Gewaltmonopol“.21 Somit wird das Recht auf freie Verfolgung des Einzelinteresses, ökonomisch als Präferenzen interpretierbar, im Staat gesichert. Locke bekräftigt die Nützlichkeit der Verfolgung individueller Präferenzen durch Aussagen über die Rechtmäßigkeit der „schrankenlosen Anhäufung“22 von Privateigentum. Bei Adam Smith garantiert die individuelle Nutzenmaximierung durch Wirken einer „unsichtbaren Hand“ den höchstmöglichen Wohlstand aller.23 Wenn also die unbeschränkte Verfolgung des Einzelinteresses zu allseitigem Vorteil ist, dann, so schließt Steinvorth, kann man von den Untertanen eine Bereitschaft zur Anerkennung des Staatszwecks erwarten.24
Der Zusammenschluß von Menschen zu einem politischen Körper beinhaltet die Übereinkunft der Mitglieder, „durch den Willen und den Beschluß der Mehrheit“25 das Handeln des Körpers zu legitimieren. Ohne dieses Majoritätsprinzip wäre ein Zerfall des politischen Körpers vorprogrammiert.26
Aufgrund dieser beiden Sachverhalte, Realisierung von Einzelinteressen und Majoritätsprinzip, kann man von einer Programmierung des Staates im Sinne mehrheitsfähiger Sonder- oder Einzelinteressen sprechen.
[...]
1 Habermas, J.: Drei normative Modelle der Demokratie: Zum Begriff der deliberativen Politik, 1992
2 Vgl. Druwe, U.: Politische Theorie, 1995, S. 29
3 Vgl. ebenda, S. 55
4 gemäß dem „Prinzip der Geschichtlichkeit“, siehe hierzu: ebenda, S. 28
5 ebenda, S. 55
6 Locke, J.: Über die Regierung, VIII, 97, 1974, S. 74
7 ebenda, IX, 124, 1974, S. 96
8 Vgl. Euchner, W.: Locke, 1987, S. 19
9 Vgl. ebenda, S. 25
10 Vgl. Fetscher, I.: Politische Ideen in der jüngeren Geschichte, 1985, S. 39
11 Vgl. Euchner, W.: Locke, 1987, S. 23
12 Locke, J.: Über die Regierung, II, 5 , 1974, S. 21
13 Vgl. ebenda, V, 48 und V, 49
14 Steinvorth, U.: Stationen der politischen Theorie, 1983, S. 85
15 ebenda, S. 74
16 Vgl. Habermas, J.: Drei normative Modelle der Demokratie, 1992, S. 12
17 ebenda, S. 16
18 Locke, J.: Über die Regierung, II, 4, 1974, S. 5
19 ebenda, II, 4, S. 5
20 Locke, J.: Über die Regierung, VI, 57, 1974, S. 43
21 Steinvorth, U.: Stationen der politischen Theorie, 1983, S. 85
22 Braun, E.; Heine, F.; Opolka, U.: Politische Philosophie, 1984, S. 144
23 Vgl. Smith, A.: Der Wohlstand der Nationen, 1999
24 Vgl. Steinvorth, U.: Stationen der politischen Theorie, 1983, S. 85 und S. 75; ebenso Locke, J.: Über die Regierung, V, 27, 1974, S. 22
25 Locke, J.: Über die Regierung, VIII, 96, 1974, S. 74
26 Vgl. Euchner, W.: Locke, 1987, S. 20
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- Dr. rer. pol. Michael Ruf (Author), 2000, Die Staatstheorien von John Locke und Jean-Jacques Rousseau im Spiegelbild des liberalen und demokratischen Demokratiemodells, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72924
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