Das hohe Ergebnis der NPD bei der sächsischen Landtagswahl 2004 schockierte die Öffentlichkeit: 9,2% der Wähler stimmten für die rechtsextreme Partei und verhalfen ihr damit zu zwölf Sitzen im neuen Landtag. Was war geschehen? Hauptsächlich junge männliche Erstwähler gaben ihre Stimme für rechtsextremes Gedankengut und lassen nun zahlreiche Wissenschaftler über die Ursachen rätseln. Gibt es in Ostdeutschland etwa mehr rechtsextrem eingestellte Menschen als in den alten Bundesländern? Und wenn ja, wie macht sich dies bemerkbar, wie unterscheiden sich ostdeutsche Rechtsextreme in Wahlverhalten und Gewaltbereitschaft von Westdeutschen? Wo liegen die Ursachen für Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern?
Diese Arbeit beschäftigt sich also mit der Frage: Gibt es einen spezifisch ostdeutschen Rechtsextremismus? Am Beispiel der NPD-Wahlergebnisse bei den Bundestagswahlen 2002 und 2005, sowie der Landtagswahl 2004 erstelle ich ein Sozialprofil der rechtsextremen Wähler in Sachsen, um anschließend die Organisation der Sachsen-NPD näher zu beschreiben. Mitgliederzahlen und der Organisationsgrad der NPD in Sachsen stehen stellvertretend für die rechtsextreme Parteienlandschaft im Osten und machen deutlich, wie sich diese Parteien in beiden Landesteilen organisiert haben, worin die Unterschiede des Organisationsgrades liegen. Anschließend untersuche ich die Entwicklung des Rechtsextremismus in Ostdeutschland seit 1945. Die Variablen rechtsextreme Einstellungen, Wahlverhalten und Gewalttaten zeichnen ein umfassendes Bild des ostdeutschen Rechtsextremismus. Im Anschluss sollen vier Erklärungsansätze Aufschluss über seine Ursachen liefern. Als erste These stelle ich Rechtsextremismus als Folge der autoritären DDR vor. Dann erkläre ich ihn durch die mangelnde Erfahrung der Ostdeutschen mit dem Fremden. Anschließend gehe ich auf Rechtsextremismus in Folge der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse und mangelnder Jugendarbeit in Ostdeutschland ein.
Inhaltsverzeichnis
1 Gibt es einen spezifisch ostdeutschen Rechtsextremismus?
2 Wie zeigt sich Rechtsextremismus in Ostdeutschland?
2.1 Wahlergebnisse der NPD in Sachsen
2.1.1 Bundestagswahlen 2002 und 2005
2.1.2 Landtagswahl 2004
2.1.3 Sozialprofil der NPD-Wähler in Sachsen
2.2 Entwicklung und Organisation der NPD in Ostdeutschland
2.2.1 Mitgliederzahlen
2.2.2 Organisationsstruktur
2.3 Entwicklung des Rechtsextremismus in Ostdeutschland
2.3.1 Einstellungen
2.3.2 Wahlverhalten
2.3.3 Gewalttaten
3 Erklärungsansätze für Rechtsextremismus in Ostdeutschland
3.1 Rechtsextremismus als Produkt der autoritären DDR
3.2 Rechtsextremismus aus mangelnder Erfahrung mit Fremden
3.3 Rechtsextremismus als Folge der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse
3.4 Rechtsextremismus als Folge der vernachlässigten Jugendarbeit
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
6 Anhang
1 Gibt es einen spezifisch ostdeutschen Rechtsextremismus?
Das hohe Ergebnis der NPD bei der sächsischen Landtagswahl 2004 schockierte die Öffentlichkeit: 9,2% der Wähler stimmten für die rechtsextreme Partei und verhalfen ihr damit zu zwölf Sitzen im neuen Landtag. Was war geschehen? Hauptsächlich junge männliche Erstwähler gaben ihre Stimme für rechtsextremes Gedankengut und lassen nun zahlreiche Wissenschaftler über die Ursachen rätseln. Gibt es in Ostdeutschland etwa mehr rechtsextrem eingestellte Menschen als in den alten Bundesländern? Und wenn ja, wie macht sich dies bemerkbar, wie unterscheiden sich ostdeutsche Rechtsextreme in Wahlverhalten und Gewaltbereitschaft von Westdeutschen? Wo liegen die Ursachen für Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern?
Diese Arbeit beschäftigt sich also mit der Frage: Gibt es einen spezifisch ostdeutschen Rechtsextremismus? Am Beispiel der NPD-Wahlergebnisse bei den Bundestagswahlen 2002 und 2005, sowie der Landtagswahl 2004 erstelle ich ein Sozialprofil der rechtsextremen Wähler in Sachsen, um anschließend die Organisation der Sachsen-NPD näher zu beschreiben. Mitgliederzahlen und der Organisationsgrad der NPD in Sachsen stehen stellvertretend für die rechtsextreme Parteienlandschaft im Osten und machen deutlich, wie sich diese Parteien in beiden Landesteilen organisiert haben, worin die Unterschiede des Organisationsgrades liegen. Anschließend untersuche ich die Entwicklung des Rechtsextremismus in Ostdeutschland seit 1945. Die Variablen rechtsextreme Einstellungen, Wahlverhalten und Gewalttaten zeichnen ein umfassendes Bild des ostdeutschen Rechtsextremismus. Im Anschluss sollen vier Erklärungsansätze Aufschluss über seine Ursachen liefern. Als erste These stelle ich Rechtsextremismus als Folge der autoritären DDR vor. Dann erkläre ich ihn durch die mangelnde Erfahrung der Ostdeutschen mit dem Fremden. Anschließend gehe ich auf Rechtsextremismus in Folge der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse und mangelnder Jugendarbeit in Ostdeutschland ein.
2 Wie zeigt sich Rechtsextremismus in Ostdeutschland?
Am Beispiel der NPD in Sachsen zeichne ich in folgendem Kapitel ein Bild der ostdeutschen Rechtextremen. Sachsen ist der stärkste Landesverband der NPD in Deutschland und stellt trotz rückläufiger Mitgliederzahlen im Osten eine Hochburg der Partei. Bei der Kommunalwahl im Juni 2004 trat die sächsische NPD erstmals zusammen mit DVU und Republikanern auf einer gemeinsamen Listen an, um das rechtsextreme Wählerpotential zu bündeln. Dieser für die NPD erfolgreiche Schachzug wurde Vorbild für kommende Wahlen und ermöglichte es der NPD auch, die Landtagswahl 2004 zusammen mit der DVU zu gewinnen (vgl. Stöss 2005, S.135ff.). Da die Sachsen-NPD folglich eine tragende Rolle in der rechtsextremen Parteienlandschaft in Ostdeutschland inne hat, steht sie nun stellvertretend für die dortige rechtsextreme Szene.
Ich verwende den Begriff des Rechtsextremismus in dieser Arbeit nach folgender Definition:
“Rechtsextremismus bezeichnet eine politische Einstellung, die sich gegen die Ordnung des demokratischen Verfassungsstaates stellt und gesellschaftliche Vielfalt sowie freie Wirtschaftssysteme fundamental ablehnt. Charakteristisch für den R. ist die Aufspaltung in Gruppen und Untergruppen, die i.d.R. auf persönlichen Gefolgschaften (Führer und Gefolge) beruhen. R. basiert auf Intoleranz und Vorurteilen (z.B. gegen Ausländer und Minderheiten), fördert autoritäres Verhalten, verherrlicht Macht und Gewalt. Rechtsextreme Ideologien führen alle aktuellen politischen, ökonomischen und sozialen Probleme auf eine einzige Ursache zurück und setzen dagegen ein autoritäres, menschenverachtendes Weltbild, dessen Fundament i.d.R. ein aggressiver, expansionistischer Staat ist.” (Schubert, Klein 2003)
Da rechtsextreme Einstellungen schwer zu messen sind, bietet sich die Beobachtung des Phänomens anhand von Wahlergebnissen an. Auch wenn man zwischen einer generellen Wahlbereitschaft und der konkreten Wahlabsicht unterscheiden muss, sind die Wahlergebnisse rechtsextremer Parteien ein guter Indikator für die politische Einstellung der Bevölkerung.
2.1 Wahlergebnisse der NPD in Sachsen
2.1.1 Bundestagswahlen 2002 und 2005
Die 1964 gegründete Nationaldemokratische Partei Deutschlands ging aus der erfolglosen Deutschen Reichspartei hervor. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre erzielte die NPD beträchtliche Erfolge und zog zwischen 1966 und 1968 in sieben Landesparlamente ein. Wirtschaftliche Rezession und Proteste nach den Osterunruhen der außerparlamentari-schen Opposition begünstigten den Wahlerfolg durch die Zustimmung vieler
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Jesse 2005, S.34
Protestwähler, aber auch des ländlichen Mittelstandes (vgl. Jesse 2005, S.32). Doch “dem relativ knappen Scheitern an der Fünfprozentklausel bei der Bundestagswahl 1969 mit 4,3 Prozent der Stimmen folgte ein tiefer Absturz.” (Jesse 2005, S.32) Bis 2005 schaffte es die Partei nicht mehr, bei Bundestagswahlen eine bedeutende Anzahl der Wählerstimmen für sich zu gewinnen. Erst der Zusammenschluss der rechtsextremen Parteien zu einer gemeinsamen Liste ermöglichte das besorgniserregende Ergebnis bei der Bundestagswahl 2005. Zum ersten Mal hatten sich NPD und DVU bei einer bundesweiten Wahl zusammen geschlossen. In Sachsen erzielen sie mit der gemeinsamen Liste ein Spitzenergebnis von 4,8%. Deutschlandweit kam die NPD auf 1,6%. Schon das sächsische Ergebnis der Bundestagswahl 2002 deutete mit 1,4% einen Aufwärtstrend der NPD an. Nur in Berlin-Ost, Brandenburg und Sachsen-Anhalt konnte die Partei mehr als 1% der Stimmen für sich gewinnen. Schon hier zeigt sich der Trend der Ostdeutschen zur Wahl rechtsextremer Parteien. Im deutschlandweiten Vergleich lag die NPD 2002 im Osten mit 0,8 Prozentpunkten vor den alten Bundesländern. Bei der Bundestagswahl 2005 zeigte sich sogar ein Vorsprung der Ost-Stimmen von 2,0%.
2.1.2 Landtagswahl 2004
“Auch bei Landtagswahlen kam [die NPD, Anmerkung JA] niemals in die Nähe der Fünfprozenthürde. Das beste Ergebnis erzielte sie 1988 in Baden-Württemberg mit 2,1 Prozent.” (Jesse 2005, S.33) Doch dann schockierte Sachsen die Deutschen mit 4,9% der Direktstimmen und 9,2% der Listenstimmen für die NPD. Die Landtagswahl 2004 ermöglichte den Nationaldemokraten erstmals seit 1968 den Einzug in ein Landesparlamanent. Mit zwölf Sitzen sind sie nun in Sachsen vertreten (vgl. www.election.de) und erreichen mit den 9,2 Prozentpunkten annähernd das Ergebnis der SPD in Sachsen mit 9,8% (vgl. Jesse 2005, S.34). Der Politologe Eckhard Jesse erklärt den überraschenden Höhenflug der sächsischen NPD mit ihrer “aggressiven Kampagne gegen die Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung” (Jesse 2005, S.34). Statt ausländerfeindliche Parolen zu verbreiten, setzte die NPD diesmal auf die Ängste der Bevölkerung vor der EU-Osterweiterung und vor gesellschaftlicher Ungerechtigkeit. Eine Untersuchung von Infratest-dimap über wahlentscheidende Themen stützt Jesses Beobachtungen mit folgenden Ergebnissen:
Wahlentscheidende Themen bei der Landtagswahl Sachsen 2004
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung nach Infratest-Dimap 2004
Umfrage unter allen Wählern, Mehrfachnennungen möglich, Angaben in Prozent
Die NPD erzielte also unter anderem solch einen Wahlerfolg, weil sie ihren Focus im Wahlkampf auf Themen sozialer Ungerechtigkeit legte und Ausländerpolitik erst an zweiter Stelle behandelte. Ein ungewöhnlicher Entschluss für eine Partei, die sich die Vertreibung von Ausländern aus Deutschland zum wichtigen programmatischen Ziel gesetzt hat. Dies werte ich als Indiz dafür, dass die NPD zunehmend versucht, Themen des gesamten politischen Spektrums aufzugreifen, um enttäuschte Wähler anderer Parteien an sich zu binden.
2.1.3 Sozialprofil der NPD-Wähler in Sachsen
Wer steht nun hinter den Wahlerfolgen der NPD? Wer gab seine Stimme bei der Landtagswahl 2004 in Sachsen für die Nationaldemokraten? Dr. Markus Klein, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung an der Universität Köln, hat sich mit dem Sozialprofil sowie der Gewerkschafts- und Kirchenmitgliedschaft der NPD-Wähler befasst.
Hier folgen nun die wichtigsten Ergebnisse (vgl. Klein 2005):
- Unter Männern ist der Stimmenanteil für die NPD doppelt so hoch wie unter Frauen. Besonders auffällig ist das Spitzenergebnis von 25% der Männer zwischen 18 und 24 Jahren. Im Mittel wählten 12% der Männer und 6% der Frauen in Sachsen die NPD.
- Die höchsten Stimmenanteile erzielt die NPD bei den Arbeitslosen und Arbeitern (16 bzw. 17%). Unter Auszubildenden wählt der relativ hohe Anteil von 10% rechtsextrem. Selbst unter Angestellten, Beamten und Selbstständigen erreicht die NPD Ergebnisse über der Fünfprozenthürde. Hiermit bestätigt sich, dass die Partei zunehmend Themen der politisch-gesellschaftlichen Mitte besetzen konnte und auch Wähler dieser Schicht an sich bindet.
- Jedoch wählen tendenziell eher Menschen mit niedriger Bildung die NPD. Bei einer “höheren formalen Bildung [sinkt, Anmerkung JA] die Bereitschaft zur Wahl rechtsextremer Parteien” (Klein 2005).
- Die Zugehörigkeit zu einer der christlichen Kirchen senkt die Wahrscheinlichkeit zur NPD-Wahl. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft zeigt aber keinen Einfluss auf die Wahl rechtsextremer Parteien.
Einen Großteil der Wähler eint das Gefühl der “relativen Deprivation”, der sozialen Benachteiligung. Ein Anteil von 54% der NPD-Wähler, jedoch nur 37% aller Wähler ist der Meinung, dass sie “im Leben weniger haben, als ihnen gerechterweise zustehen würde” (Klein 2005). Nicht nur sozial niedrige Schichten sind in Ostdeutschland von diesem Gefühl betroffen. “Ökonomische Benachteiligungsgefühle und Zukunftsängste im Gefolge der Hartz-IV-Reform [erreichen, Anmerkung JA] zunehmend die Mitte der Gesellschaft” (Klein 2005).
2.2 Entwicklung und Organisation der NPD in Ostdeutschland
Am Anfang der 90er Jahre steckte die Nationaldemokratische Partei Deutschland in einer tiefen Krise: organisatorisch, finanziell und ideologisch musste ein Neuanfang, eine Neuausrichtung versucht werden. Nach der Wende wollte die Partei deshalb mit der DDR-Blockpartei Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NDPD) zusammenarbeiten. Dies war jedoch nicht möglich. Noch weniger als den beiden anderen rechtsextremistischen Parteien (DVU und Republikaner) gelang es der NPD, eigene Strukturen in den neuen Bundesländern aufzubauen (vgl. Pfahl-Traughber 2002, S.31). Doch schon 1998 konnte die Partei von der Selbstauflösung des Vereins “Die Nationalen e.V.” profitieren. Das Netzwerk von rechtsextrem eingestellten Kameradschaften ging im Jahr der Auflösung mehrheitlich in die NPD ein und stellte mit dem ehemaligen Vereinsvorsitzenden nun auch ein Mitglied des NPD-Bundesvorstands (vgl. Wagner 2002, S.24f.).
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- Arbeit zitieren
- Julia Amann (Autor:in), 2006, Gibt es einen spezifisch ostdeutschen Rechtsextremismus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72913
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