Im Januar 1921 berichtet Walter Benjamin seinem damals engstem Freund, Gershom Scholem,
von einigen persönlichen Differenzen und Besorgnissen, Habilitationsabsichten, aktuellen
und erwarteten Lektüren wie dem Gewalt-Buch von Sorel und einer besonderen
Entdeckung, nämlich der „ ... Bekanntschaft mit einem Buche ... (,der) bedeutendste(n) Schrift
über Politik aus dieser Zeit... Der Verfasser ist aus dem selben Kreise der Neo-pathetiker, dem
auch David Baumgart (...) angehört hat... “ Vorsichtig kommt Benjamin Scholem gegenüber
auf den Kern seines Berichts. Zuerst muß er sich mehrfach von diesen Leuten distanzieren,
durch seine Erinnerung an Simon Guttmann als „ verrufenste und wirklich verderblichste Seite
zur Zeit der Jugendbewegung“ , durch Oskar Goldbergs „ unreinliche Aura“ , vom Zionismus
der Gruppe durch „völlige Teilnahmslosigkeit“ , bevor er über Erich Ungers und David
Baumgardts „ gänzlich andre Art“ zu sprechen kommt, was sich ihm durch sein „ höchst lebhaftes
Interesse an Ungers Gedanken, die sich z.B. was das psycho-physische Problem angeht
mit den meinigen überraschend berühren“ erweist, um Scholem Ungers Schrift schließlich zu empfehlen. Am 27.10.1921 erwähnt Benjamin in einem Brief an Scholem, daß Unger „ in
nächster Zeit beabsichtigt (...), den 30 Minuten-Doktor von Erlangen zu machen“ . Wie
schnell er auch immer sein, d.i. das Thema der Menschen um Goldberg abhandelte, auch die
schnelle Erledigung gewisser akademischer Formalia, hindert ihn nicht, eine Übersetzungsarbeit
abzuliefern: Übersetzen der „Überlegungen und Theorien Oskar Goldbergs ... in die philosophische
Sprache seiner Zeit.“
Am 27.7.1922 legt Erich Unger die mündliche Prüfung in Erlangen ab; der Titel seiner Dissertation
lautet „Das psychophysiologische Problem und sein Arbeitsgebiet. Eine methodologische
Einleitung“ . Sie liegt als Durchschlag eines handschriftlich korrigierten Typoskriptes
in der dortigen Universitätsbibliothek und besteht aus einer zehnseitigen Vorbemerkung, einer
zweiseitigen Literaturliste, der Erörterung von 32 Seiten und 13 Seiten einer „ paradigmatischen
Gliederung des Literaturstoffes“ . Ich werde mich hier auch mit seiner „ paradigmatischen“
Bibliographie befassen, das heißt, ich will den einen oder anderen Titel und sei es nur
den Titel in die Betrachtung seiner Herangehensweise miteinbeziehen. Wir dürfen davon ausgehen,
daß dieses Bücherverzeichnis auf der Sammeltätigkeit der ganzen Gruppe um Goldberg
beruhte. [...]
Inhaltsverzeichnis
- A. Einleitung
- B. Zur Vorbemerkung
- C. Zum Hauptteil
- Das psychophysiologische Problem und sein Arbeitsgebiet. Versuch einer begrifflichen Klärung
- I. Die Stellung der Psychophysiologie innerhalb der Gesamtwissenschaft
- II. Zu einer vollkommenen Einführung in die Vorkenntnisse einem wissenschaftlichen Studium
- III. Versuch der Ableitung eines Vollständigkeitsschemas
- 1. Wesen und Aufgabe der Disposition
- 2. Aufstellung des Vollständigkeitsschemas
- 3. Kurze Analyse dieser drei Teile
- IV. Die Lagerung der Wissenschaften
- Das psychophysiologische Problem und sein Arbeitsgebiet. Versuch einer begrifflichen Klärung
- D. Die Findung der „erweiterten Psychophysiologie" durch Kanonbildung
- Anhang: Die Gliederung der Bibliographie
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit „Erich Unger — Arbeit am psychophysiologischen Problem: Methoden und Ab-Lagerungen" befasst sich mit der Dissertation von Erich Unger aus dem Jahr 1922, die sich mit der „erweiterten Psychophysiologie" beschäftigt. Sie analysiert Ungers Herangehensweise an das Thema und untersucht, wie er eine neue Wissenschaft mit Hilfe von Kanonbildung und Literaturanalyse etablieren wollte.
- Die „erweiterte Psychophysiologie" als neue Wissenschaft
- Unger's Methodik der Kanonbildung und Literaturanalyse
- Die Rolle des „psychophysiologischen Problems" in der Wissenschaft
- Der Einfluss des Goldberg-Kreises auf Ungers Arbeit
- Die Bedeutung des indischen Fakirismus und der Suggestionsphänomene
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Kontext von Ungers Dissertation dar, indem sie auf Walter Benjamins Begegnung mit Erich Unger und Oskar Goldberg im Jahr 1921 eingeht. Benjamin beschreibt Ungers Schrift als ein Werk, das sich mit dem „psycho-physische Problem" beschäftigt und mit seinen eigenen Gedanken in Berührung kommt. Unger's Dissertation wird als eine „Gelegenheitsarbeit" vorgestellt, die Gelegenheit schafft und sich mit dem „psychophysiologischen Problem" auseinandersetzt.
In der Vorbemerkung erläutert Unger seine Herangehensweise an das Thema. Er analysiert die Klassifikation der Wissenschaften und stellt fest, dass es keine strikte Trennung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften gibt. Ihm schwebt ein Methodenpluralismus vor, um zu zeigen, wie sich das Allgemeine mit dem Besonderen verknüpft. Unger befasst sich mit dem Begriff des „Weltganzen" und seiner Bedeutung für die Erkenntnis.
Im Hauptteil der Arbeit geht Unger auf das „psychophysiologische Problem" und sein Arbeitsgebiet ein. Er untersucht die Stellung der Psychophysiologie innerhalb der Gesamtwissenschaft und versucht, die verschiedenen Disziplinen, die zum Thema beitragen, zu systematisieren. Er stellt fest, dass die Medizin, die Anthropologie, die Ethnologie, die Orientkunde, die Indologie, die Physiologie, die Biologie, die Psychologie, die Völkerpsychologie und die Religionswissenschaft wichtige Beiträge liefern.
Unger versucht, ein Vollständigkeitsschema für die „erweiterte Psychophysiologie" zu entwickeln. Er stellt fest, dass es drei Sphären gibt, die beachtet werden müssen: Beschreibungen, Systematisierungen und gedankliche Durchdringungen. Er analysiert die verschiedenen Wissenschaften und ordnet sie nach ihrem Beitrag zum Thema.
Im letzten Kapitel der Arbeit geht Unger auf die „Lagerung der Wissenschaften" ein. Er betont den Unterschied zwischen abnormen und pathologischen Zuständen und diskutiert die Bedeutung von Suggestion und Autosuggestion. Er bezieht sich auf Max Dessoirs Konzept des „Doppel-Ich" und untersucht die Wechselwirkungen zwischen Körper und Geist.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die „erweiterte Psychophysiologie", das psychophysiologische Problem, die Kanonbildung, die Literaturanalyse, die Suggestionsphänomene, den Goldberg-Kreis, den indischen Fakirismus, die Anthropologie, die Ethnologie, die Orientkunde, die Indologie, die Medizin, die Psychologie, die Religionswissenschaft und die Philosophie. Die Arbeit analysiert die Dissertation von Erich Unger und untersucht, wie er eine neue Wissenschaft etablieren wollte, indem er sich auf die Literatur und die Geschichte der Wissenschaften stützte.
- Quote paper
- Michael Meyer (Author), 2002, Erich Unger - Arbeit am psychophysiologischen Problem: Methoden und Ab-Lagerungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7284
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