Das Konzept der Multiperspektivität, das ursprünglich als Forderung an die Geschichtsdarstellung formuliert worden war, wurde, anscheinend unreflektiert, wie Hilpert kritisiert, bald als Unterrichtsprinzip in der Geschichtsdidaktik etabliert. Vor allem Klaus Bergmann betonte 1972 die Korrektivfunktion gegenüber der traditionell dominierenden Politikgeschichte im Unterricht und wollte in der Darstellung gleicher Sachverhalte besonders die Standpunkte der so genannten „stummen Gruppen“ berücksichtigt wissen.
Im Rahmen dieser Arbeit werden, neben der geschichtsdidaktischen Begründung multiperspektivischen, historischen Lernens, die Ziele und die Methoden von Multiperspektivität im Geschichtsunterricht dargestellt. Anschließend werden diese Aspekte zur Analyse des Schulbuches „mitmischen in Geschichte und Politik“ herangezogen, um vor allem folgende Fragen zu beantworten: Wo im Buch gibt es Multiperspektivität, wie wird sie methodisch umgesetzt und welche Wirkung kann bzw. soll damit bei Schülern und Schülerinnen erreicht werden? Dabei wird zwischen narrativer Darstellung, Arbeitsaufträgen, sowie zwischen Text- und Bildquellen unterschieden. Hierbei wird die These verfolgt, dass Ansätze von Multiperspektivität durchaus vorhanden sind, dass dabei jedoch weitestgehend die Standpunkte der „stummen Gruppen“, der illitterati 6, übernommen werden, wodurch eine einseitige Bewertung historischer Ereignisse, die Einteilung in „gut und böse“ durch die Schüler und Schülerinnen riskiert wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Multiperspektivität im Geschichtsunterricht
2.1. Geschichtsdidaktische Begründung und Ziele multiperspektivischen historischen Lernens
2.2. Methoden multiperspektivischen Geschichtsunterrichts
3. Multiperspektivität im Schulbuch „mitmischen in Geschichte und Poilitik“
3.1. Multiperspektivität in der narrativen Darstellung und in Arbeitsaufträgen
3.2. Multiperspektivische Text- und Bildquellen
4. Resümee
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Konzept der Multiperspektivität, das ursprünglich als Forderung an die Geschichtsdarstellung formuliert worden war, wurde, anscheinend unreflektiert, wie Hilpert kritisiert, bald als Unterrichtsprinzip in der Geschichtsdidaktik etabliert.1Vor allem Klaus Bergmann betonte 1972 die Korrektivfunktion gegenüber der traditionell dominierenden Politikgeschichte im Unterricht2und wollte in der Darstellung gleicher Sachverhalte besonders die Standpunkte der so genannten „stummen Gruppen“3 berücksichtigt wissen.4
Im Rahmen dieser Arbeit werden, neben der geschichtsdidaktischen Begründung multiperspektivischen, historischen Lernens, die Ziele und die Methoden von Multiperspektivität im Geschichtsunterricht dargestellt. Anschließend werden diese Aspekte zur Analyse des Schulbuches „mitmischen in Geschichte und Politik“5 herangezogen, um vor allem folgende Fragen zu beantworten: Wo im Buch gibt es Multiperspektivität, wie wird sie methodisch umgesetzt und welche Wirkung kann bzw. soll damit bei Schülern und Schülerinnen erreicht werden? Dabei wird zwischen narrativer Darstellung, Arbeitsaufträgen, sowie zwischen Text- und Bildquellen unterschieden. Hierbei wird die These verfolgt, dass Ansätze von Multiperspektivität durchaus vorhanden sind, dass dabei jedoch weitestgehend die Standpunkte der „stummen Gruppen“, der illitterati6, übernommen werden, wodurch eine einseitige Bewertung historischer Ereignisse, die Einteilung in „gut und böse“ durch die Schüler und Schülerinnen riskiert wird.
2. Multiperspektivität im Geschichtsunterricht
2.1. Geshichtsdidaktische Begründung und Ziele multiperspektivischen historischen Lernens
Der Kompetenzerwerb im modernen Geschichtsunterricht geht weit über die Aneinanderreihung von vorgeordnetem Wissen hinaus.7 Lernende müssten, so Bergmann, befähigt werden, sich in der Zeit zu orientieren, sich adäquat zu informieren und sich kritisch mit verschiedenen Quellen, aber auch mit unterschiedlichen Urteilen der Geschichtswissenschaft oder der darüber hinaus gehenden Geschichtskultur auseinanderzusetzen, um einen individuellen Erkenntnisprozess zu absolvieren, um „zu einer argumentativ vertretbaren eigenständigen Rekonstruktion“8zu kommen, an deren Ende der Erwerb von fundiertem, eigenem historischen Wissen steht.9
Im multiperspektivischen Geschichtsunterricht durchlaufen die Schüler und Schülerinnen die Phasen der Heuristik, der Quellenkritik und der Interpretation anhand von Materialien, die auf mindestens zwei10 unterschiedlichen, zum Teil auch gegensätzlichen Blickwinkeln, auf ein und demselben historischen Ereignis beruhen.11 Dabei wenden sie zwei geistige Operationen, das „Erklären“ und das „Verstehen“, an, die aufgrund ihres Beitrags zum Erwerb der Sozialkompetenz didaktisch bedeutend sind.12 Die Lernenden müssen sich anhand von äußeren und inneren Umständen in eine ihnen fremde, frühere Welt einarbeiten und versuchen, sich in die damals Lebenden hineinzudenken und zu fühlen13, um die Bedingungen menschlichen Handelns zu ergründen.14
Das übergeordnete Ziel multiperspektivischen Unterrichts ist die Einsicht, dass man selbst, durch verschiedenste Einflüsse geprägt15, einer perspektivischen Sicht unterliegt, neben der andere Standpunkte gleichberechtigt existieren. Dies sollte im besten Fall zur eigenen Standpunktreflexion führen16und die Toleranzbereitschaft gegenüber dem Fremden fördern.17
2.2. Methoden multiperspektivischen Geschichtsunterrichts
Die multiperspektivische Geschichtsdarstellung gewinnt besonders in Schulbüchern an Bedeutung, da Schüler und Schülerinnen in der Regel nicht die Möglichkeit zur Überprüfung von Quellen haben und auch nicht suchen.18Für den Umgang mit perspektivischen Zeugnissen und Darstellungen benötigen Lernende bereits Hintergrundwissen, aus dem die Beweggründe des Denkens und Handelns der Beteiligten hervorgehen.19
Im Geschichtsunterricht können zahlreiche Methoden angewandt werden, um Multiperspektivität zu fördern. So können beispielsweise Rollenspiele durchgeführt, Bilder von verschiedenen Standpunkten aus analysiert und interpretiert, oder eigene Texte in der Ich-Form20angefertigt werden, so etwa Briefe, Zeitungsartikel oder Tagebucheinträge.21Die Bereitschaft zur gewagten Fiktion22gehört ebenso zu den Grundvorrausetzungen, wie eine anschließende Auswertung des Erschaffenen, zum Beispiel im Rahmen einer Diskussion.23
[...]
1Hilpert, Hans-Eberhardt: Geschichtsdidaktische Innovation in der Bundesrepublik Deutschland.
Stuttgart 1989. S. 176.( Die Forderung nach multiperspektivischer Geschichtsdarstellung entstammt der Baseler Antrittsvorlesung Christian Meiers aus dem Jahre 1968 und richtete sich ursprünglich an Historiker.)
2Ebd.
3Bergmann, Klaus: Multiperspektivität: Geschichte selber denken. Schwalbach/Ts. 2000. S. 59-60.
4Zur Problematik der mangelnden Quellenlage vergleiche Hilpert: S. 178-179.
5„mitmischen in Geschichte und Politik“, Ausgabe für Nordrhein-Westfahlen, Hauptschule, Klassenstufe 7/8, Klett, 2000. Untersucht werden exemplarisch die Kapitel 4 und 6, da sie den tendenziellen Umgang mit Multiperspektivität im Buch erkennen lassen.
6Hilpert: S. 179.
7Bergmann: Multiperspektivität: Geschichte selber denken. S. 31.
8Bergmann: Multiperspektivität. In Handbuch der Geschichtsdidaktik. Seelze-Velber 1997. S. 301.
9Bergmann: Multiperspektivität: Geschichte selber denken. S. 31-32.
10Hilpert: S. 178.
11Bergmann: Multiperspektivität: Geschichte selber denken. S. 33.
12Ebd.
13Zum rationalen und emotionalen Zugang ausführlich bei Bergmann: Multiperspektivität. Geschichte selber denken. S. 33.
14Ebd.
15Ausführlich bei Hilpert: S. 177.
16Bergmann: Multiperspektivität: Geschichte selber denken. S.35.
17Fritzsche, Peter K.: Vorurteile und verborgene Vorannahmen. In: Schulbücher auf dem Prüfstand. Frankfurt/Main 1992. S.115-116.
18Hilpert: S. 181.
19Bergmann, Klaus; Rohrbach, Rita: Perspektivisches Denken und Schreiben - Kinder denken, wie
Menschen früher gedacht haben. In: Bergmann, Klaus u.a: Kinder entdecken Geschichte. Schwalbach/Ts. 2001. S. 126.
20Bergmann: Multiperspektivität: Geschichte selber denken. .S. 83.
21Ebd.
22Bergmann: Multiperspektivität: Geschichte selber denken. .S. 83..
23Bergmann, Klaus; Rohrbach, Rita: Perspektivisches Denken und Schreiben - Kinder denken, wie
Menschen früher gedacht haben. In: Bergmann, Klaus u.a: Kinder entdecken Geschichte. Schwalbach/Ts. 2001.S 126.
- Citation du texte
- Mandy Schleer (Auteur), 2006, Eine Schulbuchanalyse unter dem Gesichtspunkt der Multiperspektivität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72604
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