„Gesellschaft ist ein menschliches Produkt. Gesellschaft ist eine objektivierte Wirklichkeit. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Produkt.“ – So lauten gewissermaßen die (General-)Thesen aus Peter Bergers und Thomas Luckmanns Publikation über die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Beide Autoren legen in ihren Ausführungen aus ihrem soziologischen Verständnis heraus dar, auf welchen Grundlagen das basiert, was gemeinhin als Gesellschaft bezeichnet wird, welche Voraussetzungen dieselbe hat und welchen genetischen Hintergrund. Freilich drängt sich – so vermutlich auch die Intention der beiden Verfasser – eine rein soziologische Lesart förmlich auf. Jedoch kann und muss die thematische Substanz auch unter anderen, wissenschaftlich differenzierteren Gesichtspunkten rezipiert werden. Gerade in Bezug auf die Frage nach dem politischen Bewusstsein und der Herausbildung desselben bei Kindern und Jugendlichen erscheint es sinnvoll, eine politikwissenschaftlich-didaktische Maske über den Text zu legen, um zu analysieren, welchen Erkenntniswert die beiden Autoren mit ihrer Arbeit für das Verständnis und die Genese politischen Bewusstseins sowie für die daraus folgenden fachdidaktischen Konsequenzen liefern können (...) Vor diesem Hintergrund ist bereits impliziert die Antwort auf die Frage gegeben, wie methodisch in dieser Hausarbeit vorgegangen werden soll. Im ersten Teil der Arbeit möchte ich mich explizit Berger/ Luckmann widmen und hier insbesondere dem Kapitel „Institutionalisierung“. Zum einen, weil nicht das gesamte Buch Gegenstand meiner Ausführungen werden soll. Zum anderen, da sich das genannte Kapitel dezidiert mit der Entstehung von Institutionen befasst, wodurch wiederum in einem sich daran anschließenden Schritt Konsequenzen für die Herausbildung des politischen Bewusstseins ableitbar sind (...) Es soll der Versuch unternommen werden, den Text unter einer „exegetischen Analyse“ zu betrachten und an einigen Stellen sowohl inhaltlich als auch definitorisch zu erweitern. Der zweite Teil der Arbeit soll sich dann mit den oben genannten Konsequenzen befassen und mit der Frage verknüpft werden, welche Resultate und – vor allem – welche Anforderungen dadurch für den Sozialkundeunterricht am expliziten Beispiel der politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland entstehen. Insofern soll die fachdidaktische Expertise keinen eigenständigen dritten Teil einnehmen, da mir das beschriebene Verfahren an dieser Stelle sinnvoller erscheint.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Institutionalisierung
2.1 Voraussetzungen von Institutionalisierung/Institutionen ersten Grades
2.1.1 Habitualisierung
2.1.2 Historizität
2.1.3 Legitimierung
2.1.3.1 Vortheoretische Ebene
2.1.3.2 Theoretische Postulate
2.1.3.3 Explizite Legitimationstheorien
2.1.3.4 Symbolische Sinnwelten
2.2 Voraussetzungen von Institutionalisierung/Institutionen zweiten Grades
2.2.1 Sprache
2.2.2 Wissen
2.2.3 Rollen
2.3 Teilfazit
3 Konsequenzen des wissenssoziologischen Ansatzes für die politische Bildung (in Bezug auf die Institutionalisierung) insbesondere in Hinblick auf das politischen Bewusstsein von Schülerinnen und Schülern
3.1 Politisches Bewusstsein
3.2 Didaktischer Katalog zum Thema Gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (Institutionalisierung)
3.3 Planung einer Unterrichtsequenz zur gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (Kapitel Institutionalisierung) am Beispiel der politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland und in Hinblick auf das politische Bewusstsein von Schülerinnen und Schülern
3.3.1 Didaktische Analyse
3.3.2 Planungsdurchführung
a) Habitualisierung
b) Historizität
c) Legitimierung
4 Vom Exemplarischen zum Allgemeinen – Intendierte Schülereinsichten
5 Verwendete und weiterführende Literatur
6 Anhang
1 Einleitung
„Gesellschaft ist ein menschliches Produkt. Gesellschaft ist eine objektivierte Wirklichkeit. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Produkt.“[1] – So lauten gewissermaßen die (General-) Thesen aus Peter Bergers und Thomas Luckmanns Publikation über die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Beide Autoren legen in ihren Ausführungen aus ihrem soziologischen Verständnis heraus dar, auf welchen Grundlagen das basiert, was gemeinhin als Gesellschaft bezeichnet wird, welche Voraussetzungen dieselbe hat und welchen genetischen Hintergrund. Freilich drängt sich – so vermutlich auch die Intention der beiden Verfasser – eine rein soziologische Lesart förmlich auf. Jedoch kann und muss die thematische Substanz auch unter anderen, wissenschaftlich differenzierteren Gesichtspunkten rezipiert werden. Gerade in Bezug auf die Frage nach dem politischen Bewusstsein und der Herausbildung desselben bei Kindern und Jugendlichen erscheint es sinnvoll, eine politikwissenschaftlich-didaktische Maske über den Text zu legen, um zu analysieren, welchen Erkenntniswert die beiden Autoren mit ihrer Arbeit für das Verständnis und die Genese politischen Bewusstseins sowie für die daraus folgenden fachdidaktischen Konsequenzen liefern können.
Wenn als eines der Hauptziele des Sozialkundeunterrichts die Forderung formuliert wird, einen politisch interventionsfähigen Bürger zu erziehen, so bezieht sich dies auch – wenn nicht sogar per se – auf die Sensibilisierung des Schülers in Bezug auf sein eigenes politisches Bewusstsein. Das (didaktische) Schüler-/ Bürgerleitbild ist dadurch gekennzeichnet, dass der betreffende Schüler Kenntnisse über die tatsächlichen Einflusschancen und Beteiligungsmöglichkeiten am politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess hat und über die Fähigkeit zu einer rationalen politischen Urteilsbildung verfügt. Auch eine prinzipielle Handlungsbereitschaft aufgrund von kommunikativen, aber auch strategischen und taktischen Fähigkeiten, Selbstvertrauen und Selbstachtung sowie der Glauben an den eigenen Einfluss sollte der Schüler besitzen. Und das alles, um die mit politischer Aktivität verbundenen Belastungen auf sich zu nehmen.[2] Dies kann aber nur dann ernsthaft gefordert und didaktisch umgesetzt werden, wenn sich der Schüler darüber im Klaren ist, was politisches Bewusstsein an sich bedeutet und – vielleicht noch viel wichtiger – wie sich politisches Bewusstsein, insbesondere im konkreten Einzelfall, generiert.
Vor diesem Hintergrund ist bereits impliziert die Antwort auf die Frage gegeben, wie methodisch in dieser Hausarbeit vorgegangen werden soll. Im ersten Teil der Arbeit möchte ich mich explizit Berger/ Luckmann widmen und hier insbesondere dem Kapitel „Institutionalisierung“. Zum einen, weil nicht das gesamte Buch Gegenstand meiner Ausführungen werden soll. Zum anderen, da sich das genannte Kapitel dezidiert mit der Entstehung von Institutionen befasst, wodurch wiederum in einem sich daran anschließenden Schritt Konsequenzen für die Herausbildung des politischen Bewusstseins ableitbar sind. Falsch wäre es allerdings, eine reine Rekonstruktion des Inhalts zu erwarten. Vielmehr soll der Versuch unternommen werden, den Text unter einer „exegetischen Analyse“ zu betrachten und an einigen Stellen sowohl inhaltlich als auch definitorisch zu erweitern. Der zweite Teil der Arbeit soll sich dann mit den oben genannten Konsequenzen befassen und mit der Frage verknüpft werden, welche Resultate und – vor allem – welche Anforderungen dadurch für den Sozialkundeunterricht am expliziten Beispiel der politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland entstehen. Insofern soll die fachdidaktische Expertise keinen eigenständigen dritten Teil einnehmen, da mir das beschriebene Verfahren an dieser Stelle sinnvoller erscheint.
Zur verwendeten Literatur ist zu bemerken, dass sich im ersten Teil der Arbeit weitgehend auf Berger/ Luckmann beschränkt wird und nur da andere (soziologische) Beiträge verwendet werden, wo es für die Klärung/ Erweiterung von Definitionen, Begriffen usw. unerlässlich scheint. Verschuldet ist dies freilich der übergeordneten Fragestellung dieser Hausarbeit. Für den zweiten Teil seien hier insbesondere die im Literaturverzeichnis angegebenen fachdidaktischen Beiträge hervorgehoben, die sich im Wesentlichen mit den oben angesprochenen Konsequenzen und Anforderungen aus Berger/ Luckmann für den Sozialkundeunterricht befassen.
2 Institutionalisierung
Auch wenn Peter Berger und Thomas Luckmann davon ausgehen, dass obgleich „keine bestehende Gesellschaftsordnung biologisch abgeleitet werden kann (…) die Notwendigkeit gesellschaftlicher Ordnung überhaupt in der biologischen Verfassung des Menschen angelegt [ist]“,[3] präzisieren sie ihre Ausführung in Bezug auf die darüber hinausgehenden nicht-biologischen Gründe sogleich und verweisen auf eine Theorie der Institutionalisierung. – Dieser Theorie soll im Folgenden nachgegangen werden. Bevor jedoch der innere Mitvollzug Bergers/ Luckmanns begonnen wird, muss vorerst erläutert werden, von welchem Institutionenbegriff beide Autoren ausgehen und wie selbiger zu verstehen ist.
Gemeinhin kann zwischen einem engen und einem weiten Institutionenbegriff unterschieden werden. Der enge begreift Institutionen aus einem politischen Verständnis heraus vornehmlich als Staatsorgane, Vermittler im politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess sowie als Rahmenbedingungen für gesellschaftliches und wirtschaftliches Handeln. Ebenso die Organisationsnetzwerke gesellschaftlicher Interessenvermittlung fallen unter diese Begriffsbildung.[4] Bemüht man sich nun, diesen Definitionsversuch auf den Text Bergers/ Luckmanns zu beziehen, wird rasch seine Unzulänglichkeit deutlich, da Beide auch bei Begriffen wie Ehe, Familie, Jagd, Medizin, Recht usw. von Institutionen sprechen. Diese können aber nicht unter dem engen Begriff subsumiert werden. Demnach liegt hier ein weiter Institutionenbegriff zu Grunde, der Institutionen als „auf Dauer gestellte Regelmäßigkeiten sozialen Handelns [bezeichnet], die als gesellschaftlicher Instinkt-Ersatz zur Stabilisierung menschlichen Verhaltens dienen und die Bewältigung fundamentaler gesellschaftlicher Reproduktionsprobleme vorstrukturieren.“[5] Insofern begründen sie sich im weitesten Sinne aus (historisch und reziprok) habitualisierten Interaktionen. Dabei haben alle Institutionen gewisse Voraussetzungen/ Bedingungen, die sie als solche kennzeichnen und denen im Folgenden nachgegangen werden soll. Zu bemerken ist, dass dabei zwischen Voraussetzungen ersten und solchen zweiten Grades unterschieden werden kann. Ersten Grades sind „Habitualisierung“, „Historizität“ und „Legitimierung“. Zweiten Grades „Sprache“, „Wissen“ und „Rollen“.
2.1 Voraussetzungen von Institutionalisierung/Institutionen ersten Grades
2.1.1 Habitualisierung
Auch wenn Berger/ Luckmann als erste Voraussetzung von Institutionalisierung die Habitualisierung nennen, möchte ich einen Schritt davor ansetzen. Sicher verfestigt sich manches menschliche Tun – aber eben nur ganz bestimmtes und das wiederum aus ganz expliziten Intentionen heraus. Der Präzision halber müsste man daher vorerst eine Unterscheidung menschlichen Tuns in Verhalten und Handeln vornehmen. Dadurch wird klar, dass nicht jedes menschliche Verhalten gleich menschlichem Handeln ist. Wenn man Handeln als eine ausgezeichnete, zielgerichtete, planvolle und intentionale Form des menschlichen Verhaltens definiert,[6] so wird wohl kaum jemand das Ablegen der eigenen Hand auf einer heißen Herdplatte als Handeln bezeichnen, Masochismus einmal ausgeschlossen. Nun wäre die nächste sinnvolle Frage, die, warum man überhaupt handelt. Die Antwort darauf kann und soll an dieser Stelle freilich nicht umfassend gegeben werden, jedoch lassen sich zwei zentrale interdependente Bedingungen anführen – Bedürfnisse und deren Befriedigungen. Warum jagt man – weil man Hunger hat. Warum macht man Feuer – weil einem kalt ist. Warum pflanzt man sich fort – weil man z. B. die eigene Existenz im Alter sicher will. Die Liste der anzuführenden Beispiele ließe sich beliebig verlängern. Das heißt also, dass vor jedem menschlichen Handeln und damit auch vor jedem Institutionalisierungsprozess an sich (wie im Folgenden noch gezeigt werden soll) Bedürfnisse und das Verlangen nach deren Befriedigung stehen. Wiederholt man nun jene bedürfnisbefriedigenden Handlungen, die in der Vergangenheit als positiv bewertet wurden, häufig, so verfestigen sich diese „zu einem Model, welches unter Einsparung von Kraft reproduziert werden kann und dabei vom Handelnden als Model aufgefasst wird.“[7] Kräfteersparnis ist in diesem Falle kognitiv gemeint und bedeutet nichts anderes, als dass durch mentale Verfestigung qua Wiederholung bestimmte Areale des Hirns entlastet werden, da Informationen vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis transferiert werden, wodurch – bildlich gesprochen – wieder Platz für Ideen, Einfälle und somit Innovationen geschaffen wird. Aber auch eine zweite Eigenschaft ist Habitualisierungen immanent. Macht man etwas genau so, wie man es, salopp gesagt, schon immer gemacht hat, dann besteht auch nicht die „Qual der Wahl“, zwischen unzählig verschiedenen Optionen wählen zu müssen. Insofern generieren habitualisierte Tätigkeiten auch beständig begrenzte Auswahlmöglichkeiten und das „befreit den Einzelnen (wiederum – Anm. d. Verf.) von der »Bürde der Entscheidung« und sorgt für psychologische Entlastung, deren anthropologische Voraussetzung der ungerichtete Instinktapparat der Menschen ist.“[8] Zudem liefern Habitualisierungen auch die Grundlagen sozialer Kontrolle, denn wenn gewissermaßen vorgegeben ist, wie man in bestimmten Situationen handelt, dann ist dieses Handeln schlichtweg voraussagbar.
Die eigentliche „Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden (Hervorheb. d. Verf.) .“[9]
Was habitualisierte Handlungen sind, wurde bereits oben erläutert. „Typen von Handelnden“ werden deshalb erwähnt, weil Institutionen aus subjektiven Akteuren und individuellen Aktionen Typen machen. Wenn menschliche Zusammenschlüsse als Institutionen bestehen, dann unter anderem dadurch, weil „Handlungen des Typus X von Handelnden des Typus X ausgeführt werden.“[10] Ein Beispiel soll die bisherigen Ausführungen verdeutlichen. Nehmen wir an, wir hätten zwei Individuen A (Frau) und B (Mann), die wir als Personen bezeichnen. Personen deshalb, weil wir ihnen einen (unterschiedlichen) gesellschaftlichen Formungsprozess unterstellen, sie also keine mehr Kinder sind. Treffen nun A und B aufeinander, so kann man davon ausgehen, dass sie sehr bald damit beginnen, zu interagieren. Durch diese Interaktion entstehen per se Typisierungen. A beobachtet die Handlungen von B, unterstellt diesem gewisse Beweggründe für sein Handeln und typisiert diese. Für B gilt das vice versa. Insofern beginnt schon hier die Reziprozität der Typisierungen. Die eigentlich wechselseitige Reziprozität fängt an, wenn beide die gleichen Handlungen vollziehen wollen. B’s Art und Weise Essen zuzubereiten wird hiernach nicht nur von A typisiert, sondern in das eigene Handeln A’s beim Essenzubereiten integriert „und zwar als ein grundlegendes Element gewohnheitsmäßigen Verfahrens. So entsteht allmählich eine ganze Kollektion wechselseitig typisierter Handlungen, (…), die zwar noch keine Institutionalisierung [ist]“,[11] aber zumindest als deren Vorstufe bezeichnet werden kann. Dass dabei Institutionalisierung nicht unabhängig von ihren anderen zentralen Bedingung „Historizität“ und „Legitimierung“ betrachtet werden kann, soll hier nicht negiert werden, sondern findet nur der Praktikabilität halber eine thematische Abtrennung.
Anschließende Fragen könnten sein, welche Handlungen reziprok typisiert werden und warum. Generell gelten nur solche Handlungen als institutionalisierungssinnvoll, welche in der gemeinsamen Situation für A und B entscheidend sind und den gemeinsamen Relevanzstrukturen unterliegen. Folglich könnten das u.a. sein: Kommunikation, Arbeit, Territorialität und/ oder Sexualität. Die Beweggründe dafür sind z.T. die gleichen, wie die für die Habitualisierungen bei der jeweiligen Einzelperson: Kraft- und Zeitersparnis, Abbau von Spannungsverhältnissen und/ oder seelische Ökonomie. Es wird also eine „gesellschaftliche Welt (…) allmählich konstruiert, in der die Fundamente einer expansiven Ordnung schon vorhanden sind.“[12]
2.1.2 Historizität
Weil die oben vollzogene Trennung zwischen „Habitualisierung“, „Historizität“ und „Legitimierung“ als den fundamentalen Bedingungen für das Entstehen von Institutionen eine rein artifizielle ist, wird der Leser gebeten, die weiteren Ausführungen immer im Zusammenhang mit dem bereits Genannten und dem noch zu Nennenden zu sehen. – Freilich kann von einer Typologie der Akteure bei lediglich zwei mit einander agierenden Einzelpersonen noch keine Rede sein, weil – obgleich Beide Handlungen wechselseitig typisieren – die Instanz fehlt, die aus ihrem rein subjektiven respektive intersubjektiven Verhältnis ein objektives macht. Deshalb kann auch in diesem Status noch nicht von Institutionen die Rede sein, sondern höchstens von dem Prozess ihrer Genese. Dies ändert sich mit dem Auftreten Dritter. Um bei unserem o.g. Beispiel zu bleiben, unterstellen wir nun, A und B würden ein Kind (C) zeugen. Damit würde das, was bis dahin als ad-hoc-Konzeption zwischen A und B bestand, an eine nächste Generation weitergereicht. „Mit diesem Vorgang vollendet sich die Institutionalisierung von selbst“,[13] weil jene Konzeption zwischen A und B nun zu einer historischen Institution transformiert wird. Dem Kind steht die Welt der Eltern als etwas Objektives gegenüber, das „über und jenseits der Personen, welche sie »zufällig« im Augenblick verkörpern, [als] daseiend erlebt [wird].“[14] Institutionen erlangen demnach ihre eigene Wirklichkeit, weil sie „dem Menschen als äußeres, zwingendes Faktum“[15] gegenüberstehen. Im Übrigen gilt das nicht nur für das Kind, sondern von da an auch im selben Maße für die Eltern. War der status nascendi ihrer ursprünglich kinderlosen Situation trotz gewisser Objektivationstendenzen einer behutsamen Veränderbarkeit oder gar völligen Revidierung nicht gänzlich verschlossen, ändert sich dies mit der Geburt des Kindes grundlegend, da die (gemeinsame) Welt von A, B und C zu einer produzierten bzw. konstruierten Welt wird und insofern an „Festigkeit im Bewusstsein [gewinnt]. Sie wird auf massivere Weise wirklich und kann nicht mehr so einfach verändert werden. Für die Kinder in der Frühphase ihrer Sozialisation wird sie »die Welt«. Für die Eltern verliert sie ihre spielerische Qualität und wird »ernst«.“[16] Das lässt sich relativ gut am Beispiel der Sprache erläutern, auf die in einem anderen Zusammenhang später noch einmal Bezug genommen werden soll. Alle Personen einer Sprachgemeinschaft handeln indem sie sprechen nach gewissen Konventionen, die irgendwann einmal als solche festgelegt worden sind. Nehmen wir an, A und B sind jene Personen, die sich während ihrer reziproken Typisierung von habitualisierten Handlungen auf solche Sprachstandards geeinigt haben. Dann heißt das für das Kind, dass ihm Sprache per se als etwas Unveränderliches und Selbstverständliches erscheinen muss. Im konkreten Fall wäre das die Tatsache, dass jedem sprachlichen Zeichen eine Inhalts- und eine Ausdrucksseite inhärent sind und bei dem Erfassen dieses Zeichens mentale Repräsentationen hervorgerufen werden. Sprache hätte dann für das Kind einen objektiven Charakter, der sich in jedem Falle der individuell-biographischen Kindeserinnerung entziehen würde. Doch auch die Eltern sind dann vor dieses Faktum gestellt, denn sie könnten nicht plötzlich damit beginnen, ein vierbeiniges, aus Holz gefertigtes Möbelstück, auf dem man sitzen kann als „Stift“ denn als „Stuhl“ zu bezeichnen. Dieses konkrete Beispiel lässt sich auf alle anderen Institutionen gleichermaßen übertragen, wobei es keine Rolle spielt, ob die Sinnhaftigkeit der jeweiligen Einzelinstitution begreifbar ist oder nicht, da „Institutionen objektivierte Wirklichkeit sind [und] der Einzelne sie nicht durch einsame Selbstbetrachtung begreifen [kann].“[17] Daraus wird auch der dialektische Charakter der gesellschaftlich-institutionellen Ordnung ersichtlich. Der Mensch entäußert (externalisiert) (s)eine Welt als Produkt seiner eigenen Handlungen, wodurch dieses Produkt wiederum objektiviert wird, jeglichen individuellen Charakter verliert und insofern auf ihn als ehemaligen Produzenten zurückwirkt. Er muss dann die objektivierte Wirklichkeit innerhalb seines eigenen Sozialisationsprozesses (wieder) internalisieren, wodurch „die fundamentale gesellschaftliche Dialektik in ihrer Totalität sichtbar wird.“[18] Das eigentlich dialektische daran ist die Tatsache, dass der Mensch dazu in der Lage ist eine Wirklichkeit zu konstruieren, die seine eigene Existenz verleugnet.
Gerade deshalb ist es für jedes Individuum von fundamentaler Bedeutung, dass es sich vergegenwärtigt, dass „die Gegenständlichkeit der institutionalisierten Welt, so dicht sie sich auch dem Einzelnen darstellen mag, vom Menschen gemachte, konstruierte Objektivität ist.“[19]
2.1.3 Legitimierung
Es wurde bereits dargelegt, dass erst mit dem Auftreten einer neuen Generation legitim von einer institutionalisierten Welt gesprochen werden kann. Ab diesem Zeitpunkt bedarf aber jede Institution ihrer Legitimierung. Zwar rechtfertigt sie sich, wie gezeigt, bereits aus sich selbst heraus, kann aber vor dem fehlenden Erinnerungshorizont der Person der neuen Generation (C) als solche nicht ohne weiteres in deren Lebensweltmodell integriert werden, denn der genuine Sinn der betreffenden Institution ist der eigenen, individuellen Erinnerung C’s unzugänglich. Im Gegensatz dazu haben die „Schöpfer“ – in unserem Fall die Eltern A und B – einen entscheidenden Vorteil, da sie sich zumindest noch rudimentär über den Konstruktionsprozess bewusst sind und wissen, welchen Zweck die jeweilige Institution besitzt. Da eine Gesellschaft im Regelfall jedoch nicht nur über drei, sondern über unzählig viele Mitglieder verfügt, bedürfen Institutionen einem ganzen Konglomerat an Legitimationen, welches über globalen Charakter verfügen muss, denn wenn „die Auslegung von Sinn durch Formen und Rezepte für die neue Generation überzeugend sein soll, so müssen diese übereinstimmen und einen der institutionalen Ordnung entsprechenden Zusammenhang ergeben. Dieselbe Geschichte muss sozusagen allen Kindern erzählt werden können.“[20] Man könnte demnach Legitimierung (Prozess der Legitimation) als eine sekundäre Sinnobjektivierung von Institutionen verstehen, die durch die damit einhergehende Sinnproduktion integrativen Charakter für die bereits von Natur aus heterogenen Institutionen besitzt. Es wird also die institutionelle Ordnung selbst erklärt, da „man ihrem objektivierten Sinn kognitive Gültigkeit zuschreibt.“[21] Dabei gibt es vier Legitimationsebenen, zwischen denen unterschieden werden kann.
2.1.3.1 Vortheoretische Ebene
Dass Sprache an sich eine gesonderte Voraussetzung für Institutionen (zumindest in Gesellschaften, die über solche einer Urgemeinschaft hinausgehen) darstellt, wurde bereits oben angesprochen und soll weiter unten noch einer genaueren Analyse unterzogen werden. In Bezug auf Legitimation sei nur so viel gesagt, dass über die Sprache die erste und im Grunde auch alle weiteren Legitimationsebenen funktionieren. Wird, wie im o.g. Bsp., ein Konglomerat von Objektivationen, die versprachtlicht sind, an die nächste Generation qua Verwandtschaftsverhältnisse weitergegeben, sind die „fundamentalen, legitimierenden Erklärungen (…) sozusagen in das Vokabular eingebaut.“[22] An Sätzen wie „Das ist eben so!“ oder „So macht man das!“ wird dies exemplarisch deutlich. Daher können Verwandtschaftsverhältnisse aller Art als solche vortheoretischen Ebenen begriffen werden.
2.1.3.2 Theoretische Postulate
Zu diesen Postulaten gehören Fabeln, Märchen, Lebens- und Volksweisheiten, Sprichwörter usw., die Legitimation oft durch poetische Be- und Umschreibung vermitteln. Auch wenn sie rudimentären Charakter besitzen, sind sie dennoch in der Lage, objektive Sinngefüge mehr oder weiniger sinnvoll miteinander zu verbinden.
2.1.3.3 Explizite Legitimationstheorien
Bei dieser Ebene bekommen Institutionen ihre Legitimation durch einen ganz spezifischen, differenzierten Wissensbestand. Dadurch werden relativ geschlossene Bezugssysteme für die betreffenden Ausschnitte des institutionalisierten Handelns geboten. Damit einhergehend „beginnt Legitimation über die Verwendbarkeit für die Praxis hinauszugreifen und »reine« Theorie zu werden.[23] Demzufolge erlangen diese Legitimationen relativ autonomen Charakter und können selbst wiederum institutionellen Prozessen unterliegen. Berger/ Luckmann sprechen von „hauptamtlichen Legitimatoren“, die sich um die Herausbildung solcher Theorien bemühen und deren Aufgaben einzig und allein auf die Legitimation bestimmter Institutionen beschränkt bleiben, weil sie keine anderen Tätigkeiten mehr wahrnehmen können. So zum Beispiel weil Männer im Greisenalter physisch nicht mehr dazu in der Lage sind, an der Jagd teilzunehmen.[24]
[...]
[1] Berger, Peter L./ Luckmann, Thomas, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Mit einer Einleitung zur deutschen Ausgabe von Helmuth Plessner. Übersetzt von Monika Plessner, 20. Aufl., Frankfurt a. M. 2004, S. 65.
[2] Vgl. Massing, Peter, Bürgerleitbilder und Medienkompetenz, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Politikunterricht im Informationszeitalter (= Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 374), Bonn 2001, S. 44.
[3] Berger, Peter L./ Luckmann, Thomas, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 20. Aufl., Frankfurt a. M. 2004, S. 56.
[4] Vgl. Schmidt, Manfred (Hrsg.), Wörterbuch zur Politik (= Kröners Taschenausgabe, Bd. 404), Stuttgart 1995, S. 428f.
[5] Ebd., S. 428.
[6] Luckmann, Thomas, Wissen und Gesellschaft, Ausgewählte Aufsätze 1981-2002, Konstanz 2002, S. 69f.
[7] Berger, Peter L./ Luckmann, Thomas, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt a. M. 2004, S. 56.
[8] Ebd., S. 57.
[9] Ebd., S. 58.
[10] Berger/ Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 58.
[11] Ebd., S. 60.
[12] Ebd., S. 61.
[13] Berger/ Luckmann, S. 62.
[14] Ebd.
[15] Ebd.
[16] Ebd., S. 63.
[17] Berger/ Luckmann, S. 64.
[18] Ebd.
[19] Ebd.
[20] Berger/ Luckmann, S. 66.
[21] Ebd., S. 100.
[22] Ebd., S. 100f.
[23] Berger/ Luckmann, S. 102.
[24] Vgl., ebd.
- Citar trabajo
- Marc Partetzke (Autor), 2007, Der wissenssoziologische Ansatz Peter Bergers und Thomas Luckmanns. Einfluss auf das politische Bewusstsein von Schülerinnen und Schülern, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72468
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