Diese Arbeit befasst sich mit dem Führungsstil in Deutschland tätiger Führungskräfte mit und ohne Migrationshintergrund. Bisherige Befunde der kulturvergleichenden Führungsstilforschung bestätigen den dominierenden Einfluss der Nationalkultur auf das Führungsverhalten von Vorgesetzten. Bislang unberücksichtigt
blieb die Frage, inwieweit diese Ergebnisse auf Führungskräfte mit
Migrationshintergrund übertragen werden können, die sich mit zwei Kulturen (der Herkunftskultur und der Kultur des Aufnahmelandes) auseinandersetzen müssen. Untersucht wurde, ob sich Unterschiede im Führungsstil von deutschen Führungskräften ohne und Führungskräften mit Migrationshintergrund feststellen lassen. Dazu wurde 2006 eine Analyse des präferierten Führungsstils an 33 Führungskräften (26 ohne und sieben Führungskräfte mit Migrationshintergrund) mit Hilfe des Führungsstilfragebogens von Schaper & Lieberei vorgenommen. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede im Führungsstil. Beide Gruppen bevorzugen gleichermaßen den patriarchalischen und den kooperativen Führungsstil. Inwieweit neben der Integration in die deutsche Kultur auch das Gefühl der Zugehörigkeit zur deutschen Volksgruppe und die Organisationskultur zu diesem Ergebnis beigetragen haben, bedarf weiterer Forschungen.
Inhaltsverzeichnis
I EINLEITUNG
1.1 Situation und Problemstellung
1.2 Zielsetzung
1.3 Aufbau der Arbeit
II EINFÜHRUNG IN DIE THEMATIK
2 KULTUR
2.1 Bestimmung des Kulturbegriffes
2.2 Konstrukte der Ermittlung und Vermittlung von Kultur
2.2.1 Etische Perspektive
2.2.1.1 Konzept der Kulturdimensionen nach Hofstede
2.2.1.2 Weitere etische Kulturerfassungsansätze
2.2.1.3 Bewertung der etischen Ansätze
2.2.2 Emische Perspektive
2.2.2.1 Konzept der Kulturstandards nach Thomas
2.2.2.2 Bewertung der emischen Ansätze
2.3 Kulturelle Transmission
2.3.1 Sozialisation
2.3.2 Enkulturation
2.3.3 Akkulturation
3 FÜHRUNG
3.1 Bestimmung des Führungsbegriffes
3.2 Trait-Theorien der Führung
3.3 Verhaltenstheorien der Führung
3.3.1 Führungsverhalten und Führungsstile
3.3.2 Führungsstilkonzepte
3.3.2.1 Eindimensionale Führungsstilkonzepte
3.3.2.2 Mehrdimensionale Führungsstilkonzepte
3.3.3 Führungstypologien nach v. Rosenstiel
3.4 Symbolische Führung
4 KULTUR UND FÜHRUNG
4.1 Verhältnis von National- und Organisationskultur
4.1.1 Bestimmung der Begriffe Nationalkultur, Organisation und Organisationskultur
4.1.2 Einfluss der Nationalkultur auf die Organisationskultur
4.2 Kulturelle Einflussfaktoren auf das Führungsverhalten
4.2.1 Grundlagen interkulturellen Führens
4.2.2 Aspekte des Führungsverhaltens im Kulturvergleich
5 HYPOTHESEN
5.1 Hypothese 1 - Ethnischer Hintergrund und Führungsstil
5.2 Hypothese 2 - Seminarbesuch und Führungsstil
5.3 Hypothese 3 - Alter und Führungsstil
5.4 Hypothese 4 - Führungsspanne und Führungsstil
III EMPIRISCHER TEIL
6 METHODIK UND VERSUCHSDURCHFÜHRUNG
6.1 Begründung des methodischen Zugangs
6.2 Forschungsdesign
6.3 Erhebungsinstrument
6.4 Vorbereitungsphase
6.5 Auswahl der Stichprobe
6.6 Datenerhebung
IV ERGEBNISSE
7.1 Beschreibung der Stichprobe
7.2 Ergebnisse zu den Fragestellungen und Hypothesen
7.2.1 Ergebnisse zur Hypothese 1
7.2.2 Ergebnisse zur Hypothese 2
7.2.3 Ergebnisse zur Hypothese 3
7.2.4 Ergebnisse zur Hypothese 4
V DISKUSSION UND AUSBLICK
VI LITERATURVERZEICHNIS
VII Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Unterschiede im Führungsverhalten europäischer Führungskräfte
Abbildung 2: Drei Ebenen der Einzigartigkeit in der mentalen Programmierung des Menschen nach Hofstede
Abbildung 3: „Zwiebeldiagramm“: Manifestation von Kultur auf verschiedenen Tiefenebenen
Abbildung 4: Kultur als Eisberg
Abbildung 5: Etisches und emisches Vorgehen im Vergleich
Abbildung 6: Kulturdimensionen nach Hofstede
Abbildung 7: Ergebnisse der Untersuchung von Hofstede
Abbildung 8: Ergebnisse der Untersuchung von Hofstede (Fortsetzung)
Abbildung 9: Vertikale, horizontale und diagonale Transmission
Abbildung 10: Kultur, Gesellschaft und Indiviuum als dreistellige Relation
Abbildung 11: Vier Akkulturationssstrategien je nach Entscheidung in zwei wichtigen Aspekten der Migrantensituation
Abbildung 12: Faktoren, die den Führungsprozess beeinflussen
Abbildung 13: Auswirkungen autoritärer vs. demokratischer Führung
Abbildung 14: Führungsstilkontinuum nach Tannenbaum/Schmidt
Abbildung 15: Dimensionen des Führungsverhaltens
Abbildung 16: Typen des Führungsverhaltens in einem dreidimensionalen Modell
Abbildung 17: Der unsichtbare Kern und der sichtbare Ausdruck der Unternehmenskultur
Abbildung 18: Rahmenmodell der Führung
Abbildung 19: Mittelwerte auf den Führungsstilskalen der beiden Gruppen
Abbildung 20: Mittelwerte auf den Führungsstildimensionen der beiden Gruppen
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Zusammenhang zwischen Intelligenz und Führungserfolg
Tabelle 2: Die Überlegenheit autoritärer und kooperativer Führung in experimentellen Studien
Tabelle 3: Formale Darstellung der hypothetischen Beziehungen zu Hypothese 1
Tabelle 4: Formale Darstellung der hypothetischen Beziehungen zu Hypothese 2 67/
Tabelle 5: Formale Darstellung der hypothetischen Beziehungen zu Hypothese 3 69/
Tabelle 6: Formale Darstellung der hypothetischen Beziehungen zu Hypothese 4 71/
Tabelle 7: Itemanalyse hinsichtlich der Führungsstildimensionen
Tabelle 8: Herkunft der Führungskräfte
Tabelle 9: Aufsplitterung nach der Art des Migrationshintergrundes
Tabelle 10: Alter der Probanden bei Migration
Tabelle 11: Gefühlte ethnische Zugehörigkeit der Teilnehmer
Tabelle 12: Charakteristik der Stichprobe 93/
Tabelle 13: Chi-Quadrat-Test bezüglich der Verteilung des Geschlechts
Tabelle 14: Mann-Whitney-Test bezüglich der Charakteristika der Gesamtstichprobe
Tabelle 15: Vergleich der Mittelwerte für die Skalen des Führungsstil- fragebogens zwischen Führungskräften mit und ohne Migrationshintergrund mittels t-Test
Tabelle 16: Korrelation zwischen Anzahl Seminare und Führungsstil/- dimensionen nach Pearson
Tabelle 17 Korrelation zwischen Alter und Führungsstil/-dimensionen nach Pearson
Tabelle 18: Korrelation zwischen Führungsspanne und Führungsstil/- dimensionen nach Spearman
I Einleitung
1.1 Situation und Problemstellung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Unterschiede im Führungsverhalten europäischer Führungskräfte. - Quelle: Webers, 2006, S. 12.
Was passiert nun, wenn ein Franzose als Kind mit seinen Eltern oder als Erwachsener selbst nach Deutschland migriert? Oder als Kind französischer Eltern in Deutschland geboren wird und aufwächst? Wird er als Führungskraft anstehende Entscheidungen alleine treffen oder wird er seine Mitarbeiter in die Entscheidungsfindung mit einbeziehen, wie diese es, nach den obigen Ausführungen, von deutschen Führungskräften gewohnt sein dürften?
Warum man sich mit dieser Frage auseinandersetzen sollte? Weil es im nächsten Jahrzehnt aufgrund der demographischen Entwicklung besonders an jungen und qualifizierten Arbeitskräften mangeln wird. Diese Bevölkerungsentwicklung macht einen deutlichen Beschäftigungsanstieg von ausländischen Mitarbeitern als Führungskräfte und Spezialisten in den Unternehmen erforderlich, um weiter wettbewerbsfähig zu bleiben (Wunderer, 2006).
Parallel dazu ist bereits jetzt eine „Wanderbewegung in Gang gekommen, die in ihrem Ausmaß in der Menschheitsgeschichte bisher einmalig ist“ (Thomas, 1989, S. 174).
Die Rede ist hier nicht von Expatriates. Diese genießen eine Sonderstellung, da sie auch weiterhin für dasselbe Unternehmen tätig bleiben und nur innerhalb des Konzerns wechseln. Die Organisationskultur bleibt (weitestgehend) gleich, lediglich die Nationalkultur ändert sich. Auch ist der Auslandsaufenthalt von Expatriates zeitlich begrenzt und in der Regel werden sie hierauf im Rahmen von Personalentwicklungsmaßnahmen entsprechend vorbereitet.
Stattdessen wird hier von den Millionen Menschen gesprochen, die ihre angestammte Heimat verlassen, „um in einem fremden Land unter ihnen fremden kulturellen Bedingungen Arbeit zu finden und ihr Überleben zu sichern“ (Thomas, 1989, S.174).
Nach einer Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 06.07.06 (online im Internet) sind im Jahr 2005 144 800 Deutsche, vorzugsweise aus dem früheren Bundesgebiet und aus Berlin (134 000), aus Deutschland ausgewandert. Dem stand die Einwanderung von 579 300 Ausländern gegenüber. Da allerdings auch 483 600 ausländische Personen wieder ausgewandert sind, ist lediglich ein Verbleib von 95 700 ausländischen Personen in der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen.
Der Anteil der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung Deutschlands beträgt 8,8 %, das sind insgesamt 7.289.149 Menschen (Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 07.09.06, online im Internet).
„Für immer mehr Menschen wird das Eingewöhnen und das Leben in einem anderen Land, in einer anderen Kultur, zur Selbstverständlichkeit. Damit ist heute für viele Menschen das Problem der Akkulturation als das allmähliche Hineinwachsen und Anpassen in eine fremde Kultur ein zentrales Lebensthema“ (Thomas, 1989, S. 174).
Dem wird durch die Forschung noch nicht genügend Rechnung getragen, da es noch immer an eingehenden Untersuchungen mangelt, welche die Entwick- lungsbedingungen für Migranten über die gesamte Lebensspanne hinweg be- rücksichtigen.
1.2 Zielsetzung
Die bisherigen Ergebnisse der kulturvergleichenden Führungsstilforschung zeigen Unterschiede im Führungsverhalten bzw. -stil von Führungskräften aus unterschiedlichen Nationen auf und bestätigen damit den dominierenden Ein- fluss der Nationalkultur auf das Führungsverhalten von Vorgesetzten. Unbe- rücksichtigt blieb dabei bislang die Frage, ob die beobachteten Unterschiede noch bestehen bleiben, nachdem eine Führungsperson in ein anderes Land migrierte. Orientiert sich ihr Führungsverhalten weiter an der Kultur des Her- kunftslandes oder richtet sie es an die Kultur des Aufnahmelandes (hier Deutschland) aus? Welche Faktoren sind hier vermittelnd tätig?
Ziel dieser Diplomarbeit ist es daher, einen Beitrag zur Beantwortung dieser Fragen zu leisten und die Auseinandersetzung mit diesem Thema und weitere Forschungen anzuregen.
1.3 Aufbau der Arbeit
Diese Arbeit gliedert sich in acht Teile:
Kapitel 2 bis 4 bilden den theoretischen Rahmen dieser Arbeit. In Kapitel 2 werden neben der Definition des Begriffes „Kultur“ verschiedene Ansätze zur Erfassung von kulturspezifischen Charakteristiken vorgestellt und der Frage nachgegangen, auf welche Weise kulturelle Inhalte von einen Individuum zum anderen übertragen werden.
Kapitel 3 befasst sich mit dem Thema Führung. Nach der Bestimmung des Führungsbegriffes folgen Ausführungen zu drei ausgewählten Führungstheorien (Trait-Theorien, Verhaltenstheorien, symbolische Führung).
Kapitel 4 stellt die Verknüpfung zwischen den Kapiteln 2 und 3 dar. Hier wird erläutert, welchen Einfluss Kultur auf die Führung von Mitarbeitern hat. Neben dem Verhältnis von National- und Organisationskultur werden die Grundlagen interkulturellen Führens aufgezeigt und Ergebnisse der interkulturellen Führungs- forschung berichtet.
Kapitel 5 stellt neben der Operationalisierung der unabhängigen und abhängi- gen Variablen die für die vorliegende Untersuchung relevanten Hypothesen vor.
In Kapitel 6 wird die Methodik und Versuchsdurchführung ausführlich erläutert. Zunächst wird der methodische Zugang begründet und das Forschungsdesign vorgestellt. Nach Beschreibung des Erhebungsinstrumentes werden Vorbe- reitungsphase, Auswahl der Stichprobe und die Erhebung der Daten skizziert.
Kapitel 7 beschäftigt sich mit der Beschreibung der Stichprobe sowie der Auswertung und Darstellung der Ergebnisse.
In Kapitel 8 werden neben den Ergebnissen dieser Arbeit mit Blick auf Problemdarstellung und Zielsetzung auch das eingesetzte Messinstrument diskutiert. Den Abschluss bilden Handlungsempfehlungen für die Praxis sowie der Ausblick für weitere Forschungen.
II Einführung in die Thematik 2 Kultur
Dieser Abschnitt geht der Fragestellung nach, was Kultur eigentlich ist. Wie können Merkmale einer Kultur erhoben werden? Auf welchem Wege werden die kulturellen Inhalte von einem Individuum zum nächsten, von einer Generation auf die andere, übertragen?
2.1 Bestimmung des Kulturbegriffes
Es gibt bis heute keine einheitliche, allumfassende begriffliche Definition von Kultur. So haben Kroeber und Kluckhohn bereits 1952 über 160 inhaltlich ver- schiedene Definitionen des Begriffes „Kultur“ gezählt und miteinander ver- glichen (Perlitz, 2004). Einig sind sich die Forscher darüber, dass Kultur ein sehr weites Spektrum umfasst, das „von vom Menschen hergestellten Gegen- ständen, Werkzeugen und so weiter, über Werte, Ideen, Weltbilder, Sprache und Philosophien bis hin zur Art und Weise des Umgangs mit belebten und un- belebten Dingen, Subjekten wie Objekten, reicht“ (Thomas, 2003c, S. 21).
Nach Thomas (2003c) ist Kultur
ein universelles Phänomen. Alle Menschen leben in einer spezifi- schen Kultur und entwickeln sie weiter. Kultur strukturiert ein für die Bevölkerung spezifisches Handlungsfeld, das von geschaffenen und genutzten Objekten bis hin zu Institutionen, Ideen und Werten reicht. Kultur manifestiert sich immer in einem für eine Nation, Gesellschaft, Organisation oder Gruppe typischen Orientierungssystem. Dieses Orientierungssystem wird aus spezifischen Symbolen (z. B. Sprache, Gestik, Mimik, Kleidung, Begrüßungsritualen) gebildet und in der je- weiligen Gesellschaft, Organisation oder Gruppe tradiert, das heißt an die nachfolgende Generation weitergegeben.
Das Orientierungssystem definiert für alle Mitglieder ihre Zugehörig- keit zur Gesellschaft oder Gruppe und ermöglicht ihnen ihre ganz ei- gene Umweltbewältigung. Kultur beeinflusst das Wahrnehmen, Den- ken, Werten und Handeln aller Mitglieder der jeweiligen Gesellschaft. Das kulturspezifische Orientierungssystem schafft einerseits Hand- lungsmöglichkeiten und Handlungsanreize, andererseits aber auch Handlungsbedingungen und setzt Handlungsgrenzen fest. (S. 22)
Nach dieser Definition bietet Kultur ein im Allgemeinen recht verlässliches In- strument, das dem menschlichen Bedürfnis nach Orientierung und Sicherheit nachkommt. Kultur ermöglicht es uns, „den uns umgebenden Dingen, Personen, Gegenständen, aber auch Ereignisfolgen und komplexen Prozess- abläufen sowie Verhaltenskonsequenzen Bedeutung und Sinn zu verleihen“ (Thomas, 2003c, S 22).
Hofstede (2006) vergleicht Kultur mit einer mentalen Software („software of the mind“), in welcher Denk-, Fühl- und Handlungsmuster einer Gruppe von Menschen im einzelnen Gruppenmitglied gespeichert sind. Kultur ist demnach ein kollektives Phänomen, da zum einen die Mitglieder einer Gruppe von Menschen über dieselbe mentale Programmierung verfügen und sich so wiederum von anderen Gruppen von Menschen unterscheiden. Zum anderen liegt der Ursprung dieser mentalen Software in dem jeweiligen sozialen Umfeld, in dem ein Mensch aufgewachsen ist und die jeweiligen gruppenspezifischen Denk-, Fühlund Handlungsmuster über Lernprozesse erworben hat. Kultur ist dem Menschen also nicht angeboren, sondern wird erlernt.
In Abbildung 2 werden die drei Ebenen, auf der menschliche Programmierung stattfinden kann, dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Ebene der menschlichen Natur repräsentiert das menschliche „Betriebssystem“. Hier finden wir all das, was alle Menschen aufgrund ihrer Gene gemeinsam haben, z. B. die Fähigkeit, Angst oder Freude zu empfinden. Wie allerdings diese Gefühle ausgedrückt werden, ist von Kultur zu Kultur unterschiedlich (Hofstede, 2006).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Drei Ebenen der Einzigartigkeit in der mentalen Programmierung des Menschen nach Hofstede. - Quelle: Hofstede, 2006, S. 4.
Die Persönlichkeit eines Individuums ist die einzigartige Kombination von ge- netisch und damit ererbten Charakterzügen und Charakterzügen, die durch den kulturellen Einfluss sowie eigener persönlicher Erfahrungen erlernt werden.
Hofstede (2006) unterscheidet vier Manifestationen, mit denen kulturelle Unterschiede beschrieben werden können und bedient sich hierbei der Symbolik einer Zwiebel (Abbildung 3).
Die äußerste Schale einer Zwiebel umfasst, als die oberflächlichste Mani- festation, den Bereich der Symbole. Dazu zählen Worte, Gesten, Bilder oder Objekte.
Sie werden nur von derjenigen Person als solche erkannt, die der gleichen Kul- tur angehört (z. B. die Farb- und Musterkombination der eigenen National- flagge).
Helden - erfundene oder reale Personen, lebend oder tot - haben innerhalb einer Kultur eine Vorbildfunktion inne.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: „Zwiebeldiagramm“: Manifestation von Kultur auf verschiedenen Tiefenebenen. – Quelle: Hofstede, 2006, S. 8.
Rituale erfüllen eigentlich keine wesentliche (technische) Funktion, sind also zur Zielerreichung nicht notwendig. Rituale werden um ihrer selbst willen aus- geübt und gelten innerhalb einer Kultur als sozial notwendig (z. B. Be- grüßungsrituale).
Symbole, Helden und Rituale fasst Hofstede (2006) unter dem Begriff „Praktiken“ zusammen.
Die kulturelle Bedeutung von Symbolen, Helden und Ritualen ist für einen au- ßenstehenden Beobachter nicht sichtbar. Die entsprechende Bedeutung erlan- gen diese Praktiken erst durch die Interpretation der Mitglieder dieser Kultur.
Werte bzw. Wertvorstellungen „spiegeln die tiefste Ebene einer Kultur wider“ (Hofstede, 1993a, S. 128). Werte sind (oft unbewusste) Gefühle, die bestimmen, was gut oder schlecht, normal oder unnormal etc. ist.
Oft wird der abstrakte Begriff Kultur auch, in Anlehnung an Freud, mit einem Eisberg verglichen (Abbildung 4). Der sichtbare, kleinere Teil des Eisberges repräsentiert die sichtbaren, unmittelbar zugänglichen Aspekte der Kultur wie beispielsweise Sprache, Kleidung, Architektur und Kunst. Der weit größere An- teil des Eisberges und damit der Kultur liegt jedoch unterhalb der Wasserober- fläche verborgen.
Abbildung 4: Kultur als Eisberg. - Quelle: Perlitz, 2004, S. 251.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Hier finden sich die den sichtbaren Aspekten der Kultur zugrunde liegenden unsichtbaren und damit meist unbewussten Denkweisen und Einstellungen, Wertvorstellungen und Normen (Trompenaars, F. 1993, S. 22 ff. Kutschker, M./Schmid, S. 2004, S 667; zitiert nach Perlitz, 2004).
2.2 Konstrukte der Ermittlung und Vermittlung von Kultur
Für ein besseres Verständnis der anderen, fremden Kultur ist es hilfreich, „Kultur“ in verschiedene Teilbereiche aufzugliedern, die spezifischen Besonderheiten durch den Vergleich mit anderen Kulturen zu ermitteln, die jeweiligen Unterschiede zu beschreiben und die kulturspezifischen Inhalte an die jeweils anderen Kulturen zu vermitteln (Honold, 2000; Perlitz, 2004).
Die Auswahl der Methode, mit der Inhalte einer Kultur ermittelt bzw. vermittelt werden, hängt vom jeweiligen Standpunkt des Forschers ab.
In der Literatur werden zwei Vorgehensweisen unterschieden: die etische Vorgehensweise, geprägt durch Hofstede und seinem Konzept der Kulturdi- mensionen sowie die emische Perspektive, geprägt von Thomas und seinem Konzept der Kulturstandards. Abbildung 5 stellt beide Vorgehensweisen gegen- über.
Bei der etischen Sichtweise nimmt der Forscher eine Außensicht ein: hier wird der Versuch unternommen, universelle, über alle Kulturen hinweg gültige Werte zu finden, um dann eine vergleichende Untersuchung mehrerer Kulturen vorzu- nehmen. Dies setzt die Annahme der Universalität von Kulturdimensionen vor- aus.
Bei der emischen Sichtweise dagegen untersucht der Forscher nur eine Kultur aus der Perspektive (= Innensicht) dieser Kultur. Ziel ist es, die bereits beste- henden Kulturmerkmale und -strukturen aufzudecken und so ein besseres Ver- ständnis für diese Kultur zu erlangen. Dieser Sichtweise liegt die Annahme zugrunde, dass jede Kultur in ihrer Einzigartigkeit zu erfassen sei (Helfrich, 2003).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Etisches und emisches Vorgehen im Vergleich. - Quelle und Darstellung: Berry, 1980, S. 11 - 12; zitiert nach Helfrich, 2003, S. 116.
Besonders einflussreich auf die weitere kulturvergleichende Forschung ist das Modell der Kulturdimensionen nach Hofstede. Dieses wird im Folgenden darge- stellt werden. Im Anschluss daran werden die Modelle von Hall & Hall (2001) sowie Trompenaars (1993) als weitere Vertreter des etischen Ansatzes kurz skizziert.
2.2.1 Etische Perspektive
Hier wird nach psychischen Merkmalen gesucht, die allen Menschen in allen Kulturen gemeinsam sind, um daraus universell gültige Theorien und Modelle ableiten zu können. Erst kulturfreie Dimensionen erlauben kulturelle Vergleiche (Weinert, 2004).
2.2.1.1 Konzept der Kulturdimensionen nach Hofstede
Hofstede führte zu zwei Messzeitpunkten, um 1968 und um 1972, eine schrift- liche (Fragebogen-)Befragung an IBM-Mitarbeiter mit 38 verschiedenen Berufen und 20 verschiedenen Sprachen in 72 nationalen Tochtergesellschaften von IBM durch. Eingesetzt wurden 116.000 Fragebögen, die jeweils aus mehr als 100 einheitlichen Fragen bestanden, die sich vor allem auf die arbeitsbezoge- nen Wertvorstellungen der Mitarbeiter richteten (Hofstede, 1993b).
Nach Durchführung einer Faktorenanalyse ermittelte er zunächst vier (später mit Hilfe des „Chinese Value Survey“ fünf) verschiedene Dimensionen, die die Kultur eines Landes prägen (Hofstede, 1993b): Machtdistanz, Individualismus/ Kollektivismus, Maskulinität/Femininität, Ungewissheitsvermeidung sowie Lang- frist-/Kurzfristorientierung. Die Kulturdimensionen nach Hofstede sind in Abbil- dung 6 dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Kulturdimensionen nach Hofstede. - Quelle: Hofstede, 1993a, S. 129 - 134.
Den Abbildungen 7 und 8 lassen sich die Ergebnisse der Untersuchungen Hofstede´s entnehmen.
Die Punktwerte auf den ersten vier Dimensionen konnten für 50 Länder und drei Regionen aus der IBM-Studie gewonnen werden. Für die 5. Dimension gelang dies auf Basis des von Bond an Studenten durchgeführten „Chinese Value Survey“ für 23 Länder (Hofstede, o. A., online im Internet).
Zu beachten ist, dass die Punktwerte nur die relative, aber nicht die absolute Position angeben (Hofstede, 2006)!
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Ergebnisse der Untersuchung von Hofstede. Punktwerte von 50 Ländern und 3 Regionen auf 5 Dimensionen der nationalen Kultur; Rang 1 = höchster, Rang 53 = niedrigster Rang (für die langfristige Orientierung ist der niedrigste Rang 23). Deutschland = Westdeutschland. - Quelle: Hofstede, 1993a, S. 135.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8: Ergebnisse der Untersuchung von Hofstede (Fortsetzung). - Quelle: Hofstede, 1993a, S. 136.
Für Westdeutschland lassen sich demnach folgende Aussagen ableiten:
Bezüglich des Machtabstandes und der Ungewissheitsvermeidung nimmt West- deutschland einen Mittelplatz ein. Gruppenziele werden stärker betont als indi- viduelle Ziele, männliche Eigenschaften wie Durchsetzungsfähigkeit und Erfolg dominieren. Hinsichtlich der Langfristorientierung lässt sich Westdeutschland ebenfalls in eine mittlere bis leicht erhöhte Position einstufen. Strategische, langfristige Planung ist also wichtiger als taktische und kurzfristige.
2.2.1.2 Weitere etische Kulturerfassungsansätze
Nach Trompenaars (1993) unterscheiden sich Kulturen durch die Wahl ihrer Problemlösestrategien. Seine Kulturdimensionen sollen drei Problemfelder er- fassen:
(1) Umgang zwischen Menschen
- Universalismus/Partikularismus
-Individualismus/Kollektivismus
-neutral/emotional
- spezifisch/diffus
- Persönliche Leistung/Zuschreibung
(2) Umgang mit Zeit
- Orientierung an Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
(3) Umgang mit Natur/Umwelt
-selbstbestimmt/fremdgeleitet
Hall & Hall (2001) dagegen beschäftigten sich mit den Unterschieden in der zwischenmenschlichen Kommunikation in Zusammenhang mit Kontext, Raum, Zeit und Geschwindigkeit der Informationen:
(1) Kontextorientierung
- hoch/niedrig
(2) Raumorientierung
-Privatsphäre/Territorium
(3) Zeitorientierung
- Monochrome/polychrome Zeitauffassung
(4) Informationsgeschwindigkeit
2.2.1.3 Bewertung der etischen Ansätze
Der wesentlichste Vorteil des Dimensionskonzeptes liegt - und das erklärt auch seine große Beliebtheit - in der Möglichkeit, viele unterschiedliche Länder auf verschiedenen, aber überschaubaren Dimensionen zu vergleichen (Honold, 2000).
Gravierendster Nachteil der Methode ist allerdings, dass die Kulturdimensionen bereits im Voraus definiert und damit vom jeweiligen kulturellen Hintergrund des Forschers abhängig sind (Fink und Meierewert, 2001).
Allein anhand der Kulturdimensionen ist kein tieferes Verständnis einer Kultur möglich, da sie nicht erklären, wie man in einer konkreten Situation auf die kulturellen Unterschiede reagieren soll (Honold, 2000). Hier setzt das Kulturstandardkonzept von Thomas an.
2.2.2 Emische Perspektive
Diese Ansätze untersuchen, basierend auf einer bestimmten Theorie, das interessierende Verhalten für jede Kultur gesondert.
Hierunter lassen sich der Großteil der im verhaltenswissenschaftlichen Bereich vorhandenen Publikationen subsumieren, wenngleich die Ergebnisse als „generalisiert“ dargestellt werden (Weinert, 2004).
2.2.2.1 Konzept der Kulturstandards nach Thomas
Ende der 80er Jahre entwickelte Thomas, angeregt durch die Arbeiten von Adler und Triandis, das Kulturstandardkonzept, welches eine Alternative zum anthropologisch beeinflussten Kulturdimensionskonzept von Hofstede, Trompenaars, Hall & Hall u. a. darstellt (Fink & Meierewert, 2001).
Basierend auf seinem Verständnis von Kultur können nach Thomas (2003c) Kulturstandards durch fünf Merkmale definiert werden:
(1) Kulturstandards sind Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich und andere als normal, typisch und verbindlich angesehen wer- den.
(2) Eigenes und fremdes Verhalten wird aufgrund dieser Kulturstandards gesteuert, reguliert und beurteilt.
(3) Kulturstandards besitzen Regulationsfunktion in einem weiten Bereich der Situationsbewältigung und des Umgangs mit Personen.
(4) Die individuelle und gruppenspezifische Art und Weise des Umgangs mit Kulturstandards zur Verhaltensregulation kann innerhalb eines gewissen Toleranzbereichs variieren.
(5) Verhaltensweisen, die sich außerhalb der bereichsspezifischen Grenzen bewegen, werden von der sozialen Umwelt abgelehnt und sanktioniert. (S. 25)
Die eigene Kultur haben Mitglieder eines Systems meist so internalisiert, dass sie ihnen erst bewusst wird, wenn sie auf Mitglieder fremder Kulturen stoßen (Thomas, 2003c).
Daher werden Kulturstandards aus denjenigen Situationen ermittelt, aus der für den jeweiligen Akteur der fremden Kultur „unerwartete Handlungen“ resultieren (Fink & Meierewert, 2001). Thomas bezeichnet derartige Situationen - in Anlehnung an Flanagan´s Methode der kritischen Ereignisse - als “kritische Interaktionssituationen“ (2003c, S. 25).
Vergleicht man die kritischen Interaktionssituationen über verschiedene Natio- nen hinweg und unterzieht sie einer Auswertung und Ursachenanalyse, zeigt sich „eine hohe Übereinstimmung in einer ganzen Reihe von verhaltensrelevan- ten Merkmalen“ (Thomas, 2003c, S. 25), die als Kulturstandards bezeichnet werden können.
Unterschiedliche Kulturstandards machen sich beispielsweise bei der Lösung komplexer Probleme bemerkbar, da unterschiedliche Problemlösestrategien angewendet werden: So werden amerikanischen Mitarbeitern bei der Ent- wicklung neuer Produkte eher Nutzer-/Kundenorientierung, deutschen Mitarbei- tern dagegen eher Sach-/Technikorientierung zugesprochen (Thomas, 2003c).
Aus einer Sammlung nationaler Kulturstandards lässt sich aber keineswegs die Gesamtheit einer Kultur erfassen! Kulturstandards lassen sich aber als Orientie- rungshilfen verwenden, um das überraschend andere Verhalten des Inter- aktionspartners verstehen und um auf dieser Basis das eigene kulturelle Orientierungssystem reflektieren zu können (Thomas, 2003c).
Fink und Meierewert haben das Konzept von Thomas weitergeführt. So wurde die Hypothese des „naiven Probanden“ (2001, S. 8) aufgegeben. Die Teilneh- mer werden nun nicht erst vor Beginn des Interviews mit der Fragestellung überrascht, sondern bereits bei der Kontaktaufnahme darüber informiert.
2.2.2.2 Bewertung der emischen Ansätze
Ein wesentlicher Vorteil der emischen Ansätze liegt darin, dass sie wesentlich feinere Nuancen einer Kultur erfassen. Dies liegt u. a. daran, dass die Beurtei- lungsdimensionen nicht vom Forscher vor der Untersuchung festgelegt wer- den. Stattdessen werden konkrete, kulturbedingte Verhaltensweisen während des Gesprächs mit den Teilnehmern erfasst (Fink & Meierewert, 2001).
Auch beschränken sie sich nicht auf die bloße Beschreibung von Beobachtungen, sondern versuchen auch, die einem bestimmten Verhalten zugrunde liegenden Motive zu ergründen.
Die Kulturstandards verdeutlichen, dass man eine Kultur immer nur im Ver- gleich zu einer anderen Kultur verstehen kann. Darin liegt aber gleichzeitig auch die Schwäche dieses Konzeptes: Für eine Kultur werden sich widersprüchliche Kulturstandards bzw. unterschiedliche Grade der Ausprägung erfassen lassen - je nach dem, mit welcher anderen Kultur man sie in Relation setzt (Honold, 2000).
Ein weiterer Nachteil des Kulturstandardkonzeptes ist es, dass damit nur eine Momentaufnahme einer Kultur erfolgt. Ein Wandel in den Werten und Ein- stellungen, wie es bei (beispielsweise aufgrund der EU-Osterweiterung) im Um- bruch befindlichen Gesellschaften zu erwarten ist, kann damit nicht erfasst wer- den. Hierzu müssten weitere Untersuchungen zu späteren Zeitpunkten vorge- nommen und miteinander verglichen werden (Fink & Meierewert, 2001).
Für beide Ansätze aber gilt es, folgendes zu beachten: Allein der Umstand, dass für Gruppen von Menschen gruppenspezifische Merkmale erhoben wer- den konnten, bedeutet nicht, dass zwangsläufig jedes Individuum aus dieser Gruppe über diese Merkmale per se verfügen muss: Nicht alle Deutschen haben individualistische und nicht alle Japaner kollektivistische Wertvor- stellungen!
2.3 Kulturelle Transmission
Wie wird ein Mensch Mitglied einer Gesellschaft? Wie wird das kulturelle Wissen von einer Generation auf die nächstfolgende Generation übertragen?
Nach Berry et al. (1992; zitiert nach Oerter, 2002) gibt es drei Möglichkeiten, wie die kulturelle Transmission erfolgen kann (siehe Abbildung 9):
Die generelle Enkulturation bzw. spezifische Sozialisation erfolgt durch die El- tern, während spätestens zum Schuleintritt diagonale und horizontale Trans- mission an Bedeutung erlangen. Sofern diese durch Mitglieder der eigenen Kul- tur erfolgen, spricht man weiter von Enkulturation bzw. Sozialisation. Erfolgen diese Prozesse allerdings durch Mitglieder anderer Kulturkreise, die ihre eige- nen kulturellen Inhalte vermitteln, handelt es sich um Akkulturation.
Im Folgenden werden Sozialisation, Enkulturation und Akkulturation näher er- läutert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9: Vertikale, horizontale und diagonale Transmission, leicht abgewandelt nach Berry & Cacall-Sforza, 1986: zitiert nach Oerter, 2002, S. 79.
2.3.1 Sozialisation
Nach Fuchs-Heinritz et al. (1994) bezeichnet Sozialisation den Prozess,
durch den ein Individuum in eine soziale Gesellschaft eingegliedert wird, indem es die in dieser Gruppe geltenden sozialen Normen, insbesondere die an das Individuum als Inhaber bestimmter Positionen gerichteten Rollenerwartungen, die zur Erfüllung dieser Normen und Erwartungen erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie die zur Kultur der Gruppe gehörenden Werte, Überzeugungen usw. erlernt und in sich aufnimmt. (S. 615)
Im Rahmen dieses Sozialisationsprozesses erwirbt ein Individuum eine eigene Persönlichkeit (Scherr, 2006). Die Persönlichkeitsentwicklung vollzieht sich in der Auseinandersetzung mit den körperlichen und psychischen Vorgaben und den sozialen und physikalischen Gegebenheiten der Umwelt (Hurrelmann, 2002).
Sozialisation ist ein lebenslanger Prozess, während dessen ein Individuum die Phasen der primären, der sekundären und der tertiären Sozialisation durchläuft. Die Familie gilt als primäre Sozialisationsinstanz vor allem für die „ersten und besonders prägenden Lebensjahre eines Menschen….da sie gezielt auf die Art und Weise der Aneignung und Verarbeitung der Realität einwirken“ (Hurrel- mann, 2002, S. 30). Noch zur primären Sozialisationsinstanz zählen Verwandte und Freunde.
Die sekundären Sozialisationsinstanzen, beispielsweise Kindertagesstätten und Schulen, übernehmen „bestimmte Aufgaben der Betreuung, Bildung und Erziehung“ (Hurrelmann, 2002, S. 33).
Die tertiären Sozialisationsinstanzen haben eigentlich „keine auf Sozialisation zugeschnittene Aufgabe, können aber in der Regel ihre jeweiligen Ziele nur dann erfüllen, wenn sich ihre Mitglieder und Nutzer so intensiv auf sie einlassen, dass sich dabei bedeutsame Konsequenzen für deren Persönlichkeitsentwicklung ergeben“ (Hurrelmann, 2002, S. 33). Hierzu zählen beispielsweise die Gleichaltrigengruppe und Massenmedien, aber auch Betriebe und öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser und Freizeiteinrichtungen.
In jedem Lebensalter gibt es Entwicklungsaufgaben, die das Individuum bewäl- tigen muss (Hurrelmann, 2002). Dabei nimmt ein Individuum nicht nur passiv Umwelteinflüsse auf. Durch aktive Auseinandersetzung mit den einwirkenden Sozialisationseinflüssen werden diese interpretiert, ggf. neu bewertet und der Umwelt wieder rückgekoppelt. Hierdurch „wirkt das Individuum selbst aktiv auf seine Umwelt ein. Die komplexen wechselseitigen Beeinflussungen von Indivi- duum und Umwelt im Sozialisationsprozess beeinflussen wiederum Bedingun- gen der Sozialisation, die sich auf den weiteren Sozialisationsverlauf und die Persönlichkeitsentwicklung des Individuums auswirken“ (Trommsdorff, 1989, S. 7).
Neben Familie und Schule zählt auch der Arbeitsplatz zu einer der wichtigsten Sozialisationsinstanzen. Nachdem die Vorsozialisation bereits durch die Familie und den Besuch mindestens einer Schule erfolgte, beginnt mit der Teilhabe am Arbeitsprozess die Sozialisation am Arbeitsplatz (Hofstede, 1989). Die „Selektions- und Selbstselektionsprozesse, die der Plazierung an einem ersten Arbeitsplatz vorausgehen….und sich auch weiter auf die nachfolgende berufliche Laufbahn“ (Hofstede, 1989, S. 156) auswirken, wird maßgeblich durch die Sozialisation durch Familie und Schule beeinflusst.
Während der Sozialisation am Arbeitsplatz passt sich eine Person an die herr- schende Arbeitskultur an, indem es die dort geltenden Regeln und Praktiken erlernt. „Einige Elemente der Kultur sind eher oberflächlich und deshalb ein- facher zu erlernen als andere“ (Hofstede, 1989, S. 158). Im Vergleich zur fami- liären und schulischen Sozialisation findet die berufliche Sozialisation „auf ei- nem relativ oberflächlichen Niveau geistiger Anpassung statt“ (Hofstede, 1989,
S. 160). Da auch die Werte der Arbeitnehmer bereits in der Familie und Schule entwickelt worden sind, können diese durch die berufliche Sozialisation nur bedingt verändert werden (Hofstede, 1989).
2.3.2 Enkulturation
Der Begriff „Enkulturation“ wird in der Literatur unterschiedlich verwendet. Die- se Arbeit folgt dem Modell von v. Keller (1982), wonach Enkulturation und Sozialisation zwei Lernprozesse unterschiedlichen Inhalts sind, wie Abbildung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 10: Kultur, Gesellschaft und Individuum als dreistellige Relation. - Quelle: v. Keller, 1982, S. 143.
Der Prozess der Sozialisation umfasst die Ausformung der sozialen Persönlichkeit eines Individuums.
Es wird durch die Auseinandersetzung mit den in der Gesellschaft geltenden sozialen Rollen und Funktionen zur Übernahme derselben vorbereitet. Ein Indi- viduum kann eine Vielzahl von sozialen Rollen einnehmen (Mutter, Angestellte, Vorgesetzte, Trainerin etc.), aber nur eine kulturelle Grundrolle (v. Keller, 1982).
Enkulturation als Teil des Sozialisationsprozesses (Fuchs-Heinritz, 1994) um- fasst dagegen die Prägung der kulturellen Persönlichkeit (v. Keller, 1982). Durch den Prozess der Enkulturation erlernt „der Mensch von Geburt an die kulturellen Überlieferungen seiner Gruppe“ (Fuchs-Heinritz, 1994, S. 167) und wird so Mitglied dieser Kultur. Die Vermittlung der kulturellen Aspekte erfolgt weitgehend unbewusst: „sind die sozialen Lernprozesse in einem bestimmten Tätigkeitsbereich erfolgreich verlaufen, dann sind Wahrnehmungs- Denk-, Beur- teilungs- und Verhaltensschemata so weit entwickelt und verinnerlicht, dass der Handelnde über ihre Funktionsweise, ihre Dynamik und ihre Folgen nicht mehr gesondert nachzudenken braucht“ (Thomas, 2003c, S. 23).
2.3.3 Akkulturation
Nach Esser (1980) wird Akkulturation im Allgemeinen „als ein Lernvorgang bei Personen (bzw. Mengen von Personen) verstanden, so daß die Personen Ver- haltensweisen und Orientierungen übernehmen, die mit bestimmten kulturellen Standards von (institutionalisierten) Teilen des Aufnahmesystems überein- stimmen“ (S. 21).
Akkulturation ist dabei „weder als automatisch einsetzender noch als in der Richtung und in den Folgen bereits festliegender Vorgang anzusehen“ (Esser, 1980, S. 21).
Akkulturation findet statt, nachdem ein Individuum bereits einen Prozess der Sozialisation in seinem Herkunftsland durchlaufen hat (Thomas, 1989). Oerter (2002) spricht auch von einer Art sekundären Enkulturation. Diese setzt dann ein, nachdem Kinder und Jugendliche „bereits eine kulturelle Identität erworben haben. Dies ist der Fall bei Migrantenkindern, Asylbewerbern, Flüchtlingen etc.“ (Oerter, 2002, S. 80).
„Akkulturation ist wie Sozialisation ein Prozeß der abermaligen Anpassung an neue kulturelle Lebensbedingungen. Da Akkulturation ein Lernprozeß ist, kann davon ausgegangen werden, daß akkulturierende Wirkungen mit steigendem Alter der sich akkulturierenden Person nachlassen werden“ (Schrader, 1979, S. 65).
Die externe Akkulturation findet lediglich auf der „äußeren Verhaltensebene“ (Han, 2000, S. 198) statt. Hier werden die Sprache und die für das Gastland typischen Umgangsformen und geltenden Rollenmuster erlernt. Die Annehm- lichkeiten materieller Güter des Gastlandes wie Auto, TV-Geräte, technische Haushaltsgeräte und vieles mehr wird geschätzt und deren Erwerb angestrebt. Bleibt die Akkulturation auf diese Ebene beschränkt, wird die ethnische Orien- tierung im privaten Lebensbereich weiterhin unverändert auf die Herkunftskultur aufrechterhalten werden (Han, 2000).
Die interne Akkulturation dagegen vollzieht sich durch die Übernahme der Wertvorstellungen der Kultur der Residenzgesellschaft in der Weise, dass die Ausübung der hieraus resultierenden „Haltungen und Verhaltensweisen fast selbstverständlich werden“ (vgl. Charles F. Marden, Gladys Meyer, 1968, 35 - 37; Petrus Han, 1989, 14; zitiert nach Han, 2000, S. 199).
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann keine umfassende Darstellung der Themen Migration und Akkulturation erfolgen. Die Ausführungen bleiben daher auf das, für das Verständnis der Problemstellung dieser Arbeit, Notwendige be- schränkt.
Für die folgenden Ausführungen wird unterstellt, dass es sich bei der Migration um eine mehr oder weniger freiwillige Wanderung von Individuen als Mitglieder einer ethnischen Gruppe in ein fremdes, die Grenzen und den ethnischkulturellen Kontext des Herkunftslandes überschreitendes, Land handelt und der dortige Aufenthalt zumindest dauerhaft geplant ist.
Die Migration bleibt nicht ohne gesundheitliche Folgen für die Migranten: Die Konfrontation mit anderen physischen Gegebenheiten wie beispielsweise ande- re Wohnformen (Landleben vs. Stadtleben) (Schmitt-Rodermund, 1997), andere klimatischen Bedingungen, andere Nahrungsmittel bzw. Ernährungsgewohnhei- ten, die Entwurzelung aus ihrem bisherigen (Lebens-)Kontext, der notwendige Erwerb einer neuen Sprache, evtl. auch Verlust der bisherigen Berufsrolle und Ausübung einer neuen, geringer qualifizierten Berufstätigkeit, soziale und fami- liäre Konflikte, Heimweh und Trauer über die Trennung von Fami- lie/Verwandtschaft und der allgegenwärtige Druck der Akkulturation erzeugen Stress, welcher wiederum psychische bzw. psychosomatische Beschwerden und Erkrankungen wie beispielsweise innere Unruhe, Reizbarkeit, Traurigkeit oder Kopfschmerzen auslöst (Han, 2000).
Nach Berry (1980, 1989; zitiert nach Schönpflug, 2003) lassen sich vier Akkulturationsstrategien unterscheiden (siehe Abbildung 11):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 11: Vier Akkulturationsstrategien je nach Entscheidung in zwei wichtigen Aspekten der Migrantensituation nach Berry, 1980. - Quelle: in Anlehnung an Schönpflug, 2003, S. 520.
(1) Assimilation
Die eigene kulturelle Identität wird völlig zugunsten der Kultur des Gastlandes aufgegeben (Han, 2000). Es erfolgt eine vollkommene Anpassung an die Aufnahmekultur (Schmitt-Rodermund, 1997).
(2) Integration
Die eigene kulturelle Identität wird weiter aufrechterhalten und bildet mit den Elementen der Gastkultur eine Synthese (Han, 2000; Schmitt-Rodermund, 1997).
(3) Separation
Es werden keine bedeutsamen Kontakte mit Mitgliedern aus der Aufnahme- gesellschaft geknüpft. Die eigene kulturelle Identität wird weiter aufrechter- halten, die traditionellen Lebensweisen gepflegt. Es besteht keine Bereit- schaft, sich den kulturellen Werten der Aufnahmegesellschaft anzunähern oder anzupassen. Es folgt die selbstgewählte Isolation (Han, 2000).
(4) Marginalisierung
Hier wurde der Bezug sowohl zur eigenen kulturellen Bezugsgruppe als auch zur Gesellschaft des Gastlandes verloren. Daraus resultiert das Leben am Rande der Gesellschaft. Es tritt das „ohnmächtige Gefühl von Entfremdung und Identitätsverlust“ (Han, 2000, S. 201) auf.
Diese Einzelstrategien werden während des Akkulturationsprozesses „situativ abwechselnd eingesetzt bzw. diese sogar in Kombination angewendet“ (Han, 2000, S. 203). Es scheint aber so zu sein, dass aus der Anwendung der assimi- lativen und integrativen Strategie weniger Konflikte resultieren und mit weniger physischen und psychischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen gerechnet werden muss (Han, 2000; Schmitt-Rodermund, 1997). Den Akkulturationspro- zess erlebt auch nicht jede Person gleich (Schmitt-Rodermund, 1997).
Bislang wurde noch keine Akkulturationstheorie entwickelt, die es ermöglichen würde, zuverlässige Voraussagen darüber zu machen, „bei welchen Personen unter welchen Bedingungen welche psychischen und sozialen Prozessen [sic] den Akkulturationsvorgang fördern respektive erschweren, [sic] und welche nachhaltigen Folgen für die Persönlichkeit zu erwarten sind“ (Thomas, 1989, S. 175).
Als für den Erfolg der Akkulturation förderliche Faktoren gelten:
vor der Migration
- geringer Unterschied zwischen der Kultur des Herkunftslandes und der Kultur des Gastlandes (Oerter, 2002)
-bereits vorhandene Kenntnisse der Sprache des Gastlandes (Scott & Scott, 1985; zitiert nach Schmitt-Rodermund, 1997)
- Persönlichkeitsmerkmale wie Feldunabhängigkeit und Selbstwirk- samkeit (Moyerman & Foreman, 1992; zitiert nach Schmitt- Rodermund, 1997), Optimismus (Jerusalem, 1992; zitiert nach Schmitt-Rodermund, 1997) sowie Flexibilität, kognitive Stile (Ber- ry & Kim, 1988; zitiert nach Schmitt-Rodermund, 1997) und Co-
Kultur Seite 29
ping (Bewältigungs-)Stile (Taft, 1977; zitiert nach Schmitt-
Rodermund, 1997)
w ä hrend des Akkulturationsprozesses
- schneller Erwerb der Sprache (Jerusalem, 1992; Scott & Scott, 1985; zitiert nach Schmitt-Rodermund, 1997)
- Zahl und Art der Kontakte zur Aufnahmegesellschaft (Scott & Scott, 1985; Eitinger & Schwarz, 1981; zitiert nach Schmitt-Roder- mund, 1997)
- Ausmaß, in dem sich die Erwartungen mit den tatsächlichen Er- fahrungen im Gastland decken (Feather, 1982; Scott & Scott, 1984; Scott & Scott, 1985; zitiert nach Schmitt-Rodermund, 1997)
- der Umstand, inwiefern die Migration freiwillig erfolgte oder je-
mand nur „mitgenommen“ wurde (Cheung & Spears, 1992; zitiert nach Schmitt-Rodermund, 1997)
- das soziale Netz, das Immigranten im Aufnahmeland erwarten
(Sluzki, 1992; Schwarzer, Hahn, Jerusalem, 1993; zitiert nach Schmitt-Rodermund, 1997)
- die Umgebung, in der die Neuankömmlinge leben werden (Stadt
vs. Land) (Taft, 1966; zitiert nach Schmitt-Rodermund, 1997)
- die Attribute jung, männlich, verheiratet, höhere Bildung korrelie- ren positiv mit Akkulturationserfolg (Han, 2000)
- Bereitschaft der Bewohner des Gastlandes, Respekt vor der Kul- tur der Migranten zu zeigen und ihren Zielen und Bedürfnissen entgegenzukommen (Taft, 1966; Thomas, 1989)
- Aufnahmegesellschaft mit pluralistischer Politik statt Assimila- tionspolitik (Han, 2000)
- Förderliche soziale, gesellschaftliche und politische Strukturen im Gastland (Thomas, 1989)
Auch scheint es über die Generationen hinweg unterschiedliche Ergebnisse des Eingliederungsprozesses zu geben:
Das Generationen-Sequenzmodell nach Charles Price (1969; zitiert nach Han, 2000) lässt sich in drei Stufen gliedern:
1. Generation
Die Mehrheit der ersten Generation der Einwanderer paßt sich nur im wirt- schaftlichen und sozialen Bereich des Aufnahmelandes [sic] an und versucht durch ethnische Gruppen- und Institutionsbildungen ihre Herkunftskultur zu be- wahren, um dadurch ihre psychische Sicherheit und Geborgenheit zu erhalten.
2. Generation
Die zweite Generation versucht [sic] in der Familie die Herkunftskultur ihrer El- tern zu bewahren, während sie sich in Schule und Beruf die Kultur des Aufnah- melandes aneignet, so daß sie in zwei Kulturen mit gemischten Wertestandards lebt.
3. Generation
Die dritte Generation gibt die Herkunftskultur ihrer Eltern auf und assimiliert sich gänzlich in die „core culture“ des Aufnahmelandes, so daß interethnische Mischehen normal werden. (S. 42)
Folgt man dagegen Zimmer (1986), ist es keineswegs selbstverständlich, dass sich die dritte Generation gänzlich an die Kultur des Herkunftslandes anpasst. Zimmer geht stattdessen davon aus, dass die zweite Generation der Zuwande- rer zu einer (Über-)Anpassung an die Kultur des Gastlandes neigt und die dritte Generation erstmals „bewusst auf eigene ethische Werte besinnt und für deren Erhalt eintritt“ (Fuhrer & Mayer, 2005, S. 64). Das Ergebnis dieser Rückbesin- nung kann - in Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Aufnahmelandes - von einer vollständigen Rückbesinnung an die Her- kunftskultur bis hin zu der Ausbildung einer multikulturellen Identität, welche beide Kulturen vollumfänglich umfasst, reichen (Fuhrer & Mayer, 2005).
[...]
- Citar trabajo
- Petra Schneider (Autor), 2007, Welchen Einfluss hat der ethnische Hintergrund auf den Führungsstil einer Person?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72422
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