Peter Singer gehört zu denjenigen, die sich dem Thema Recht auf Leben intensiv widmen. In seinen bekanntesten Werken Animal Liberation (1975) und Praktische Ethik (1979) behandelt er u. a. die Fragen, wann Leben als lebenswert gelten kann, wann die Vernichtung eines Lebens kein Unrecht oder sogar moralisch geboten ist und wer sich überhaupt auf ein Recht auf Leben berufen kann. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei der Begriff der Person, an dem Singer das Lebensrecht eines Wesens festmacht und der daher auch hier besonders berücksichtigt werden soll.
Ziel dieser Arbeit ist es, Singers Ethik in Grundzügen vorzustellen und dabei besonders auf problematische Prämissen und Begriffsdefinitionen einzugehen, die, einmal abgelehnt, Teile seiner Argumentation in sich zusammenfallen lassen.
Inhalt
I. Die Notwendigkeit Fragen zu stellen
II. Grundzüge der Ethik Peter Singers
1. Interessen
2. Die "Heiligkeit" des (menschlichen) Lebens
3. Das Recht auf Leben: der Personstatus
4. Der Lebenswert
5. Ersetzbarkeit
III. Kritik an Singers Ethik
1. Problematische Begriffe
2. Mangelhafte Logik
3. Kritik der Wertehierarchie
4. Kritik der Ersetzbarkeitsthese
5. Kritik der Parteilichkeit
IV. Die Notwendigkeit Antworten zu diskutieren
Literaturhinweise
I. Die Notwendigkeit Fragen zu stellen
In einer Zeit und Gesellschaft, in der im Vorfeld einer künstlichen Befruchtung Erbkrankheiten am Embryo festgestellt werden können und in der die Entscheidung, ob er eingepflanzt oder zerstört werden soll, heftige Debatten auslöst; in der gleichzeitig, teilweise von denselben "Lebensschützern" gerechtfertigt, die eben noch gegen die Abtreibung eines behinderten Fötus argumentierten, jährlich Millionen Tiere (damit sind im Folgenden nichtmenschliche Tiere gemeint) zu Nahrungs-, Forschungs- und anderen Zwecken gezüchtet und getötet werden – in einer solchen Zeit und Gesellschaft scheint eine Diskussion über die Frage nach dem Wert des (Über-)Lebens und die angebliche "Heiligkeit des menschlichen Lebens" dringend notwendig.
Peter Singer gehört zu denjenigen, die sich diesem Thema intensiv widmen. In seinen bekanntesten Werken Animal Liberation (1975) und Praktische Ethik (1979) behandelt er u. a. die Fragen, wann Leben als lebenswert gelten kann, wann die Vernichtung eines Lebens kein Unrecht oder sogar moralisch geboten ist und wer sich überhaupt auf ein Recht auf Leben berufen kann. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei der Begriff der Person, an dem Singer das Lebensrecht eines Wesens festmacht und der daher auch hier besonders berücksichtigt werden soll. Auf Bereiche, die mit der Frage nach dem Personsein nur wenig oder nichts zu tun haben, z. B. die Umweltproblematik, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. Auch die Frage nach der Rechtmäßigkeit freiwilliger Euthanasie muss hier unberücksichtigt bleiben.
Sinn und Zweck einer Auseinandersetzung mit Peter Singers Thesen darf keine Demontage sein, wie sie oft versucht wurde, häufig in dem Willen, die mit seiner Ethik einhergehende Aufwertung der Tiere ins Lächerliche zu ziehen, um damit – vermeintlich – Menschenrechte zu schützen. Es gibt genügend andere Ansatzpunkte für Kritik, von denen im Folgenden einige aufgezeigt und weitergedacht werden sollen. Ziel dieser Arbeit ist es, Singers Ethik in Grundzügen vorzustellen und dabei besonders auf problematische Prämissen und Begriffsdefinitionen einzugehen, die, einmal abgelehnt, Teile seiner Argumentation in sich zusammenfallen lassen.
II. Grundzüge der Ethik Peter Singers
1. Interessen
Ethisches Handeln impliziert bei Singer immer Universalität, es muss über die eigenen Neigungen und Abneigungen hinausgehen und die gleichstarke Berücksichtigung von Interessen anderer einschließen. Kennzeichnend für Peter Singer ist, dass er bei der Berücksichtigung von Interessen nicht an der Gattungs- oder Speziesgrenze halt macht, da diese für ihn ebenso wenig eine relevante Zäsur darstellt wie eine angenommene Grenze zwischen Rassen oder Geschlechtern. Denn selbst wenn Unterschiede in den Fähigkeiten z. B. zwischen zwei Rassen bestünden, so bestünde darin für Singer kein Grund, den Interessen der einen Gruppe mehr Aufmerksamkeit zu schenken als denen der anderen Gruppe. "Interesse ist Interesse, wessen Interesse es auch immer sein mag"[1]. Analog dazu gebe es keinen logisch zwingenden Grund für die Annahme, dass ein Unterschied in den Fähigkeiten zweier Wesen unterschiedlicher Spezies einen Unterschied in der Beachtung rechtfertigen soll, die wir ihren Interessen schenken. Wenn man sich dennoch auf die Spezieszugehörigkeit berufe, begebe man sich auf das gleiche Niveau wie Rassisten und Sexisten, die die Relevanz von Interessen paradoxerweise an diesen irrelevanten Punkten festmachen wollen.
Notwendig für die moralische Berücksichtigung ist nach Singer lediglich, dass ein Wesen überhaupt Interessen hat. Die notwendige und hinreichende Eigenschaft hierfür ist die Empfindungsfähigkeit, womit die Fähigkeit gemeint ist Leid und Glück zu empfinden. Wenn ein Wesen diese Fähigkeit nicht besitzt, so Singer, hat es keinen Anspruch auf moralische Berücksichtigung. Eine "moralische" Behandlung könne nur indirekt gerechtfertigt werden, wenn durch eine willkürliche Behandlung die Interessen anderer, empfindender Wesen verletzt würden – und dann käme die moralische Behandlung nicht dem Wesen selbst zu, sondern den anderen Wesen, die entsprechende Interessen hätten. Z. B. könne die Umweltverschmutzung als moralisch verwerflich bezeichnet werden, da sie den Interessen der in ihr lebenden Lebewesen widerspreche, jedoch nicht weil sie dem Interesse der Umwelt entgegenstünde.
2. Die "Heiligkeit" des (menschlichen) Lebens
Die Zufügung von Leid ist moralisch in jedem Fall bedenklich. Doch wie sieht es mit der Vernichtung von Leben aus? Angenommen das Sterben verliefe leidfrei, wäre dann überhaupt etwas gegen das Töten einzuwenden? Ist die Tötung eines Lebewesens an sich wertneutral oder besteht zwischen der Tötung eines Menschen und der eines Tieres ein moralischer Unterschied?
Für Abtreibungsgegner, die ihren Organisationen gerne Namen geben wie Pro-Life, ist Leben eindeutig "heilig", womit nicht nötiger Weise religiöse Anschauungen zum Ausdruck gebracht werden, sondern bloß eine besondere Wertschätzung des Lebens. Nur wird diese Heiligkeit normalerweise lediglich für das menschliche Leben angenommen – das dann allerdings auf jeder Entwicklungsstufe und unabhängig von der Lebensqualität. Dazu ist anzumerken, dass manche "Lebensschützer" die Existenz höherer oder niedrigerer Lebensqualität oder überhaupt eines bestimmten Lebenswertes verneinen. Sie vertreten die Meinung, dass die Tötung eines menschlichen Fötus gleichwertig ist mit der Tötung eines erwachsenen Menschen. Nach Meinung des Theologen Paul Ramsey ist "vor Gott" eine kurze und von Krankheit geprägte Lebensdauer nicht weniger wert als ein Leben, das 70 Jahre ohne schwere Krankheit verläuft.[2] Doch was als Argument gegen Singers Postulat einer u. U. geringen Lebensqualität gedacht ist, kann leicht umgekehrt und für Singers Position verwendet werden; denn wenn Leben in jedem Fall gleichviel wert ist, stellt sich die Frage, was dann moralisch gegen die Tötung eines Säuglings überhaupt einzuwenden ist. Das Leben eines behinderten Menschen wäre nach zwei Monaten ebensoviel wert wie nach 70 Jahren oder anders ausgedrückt: der Tod eines Säuglings wäre "vor Gott" kein größerer Verlust als der Tod eines Erwachsenen und da der Tod alle Bioformen früher oder später ereilt, stünde der Tötung des Säuglings zumindest von dieser Seite nichts entgegen.[3]
Die Frage nach der moralischen Rechtmäßigkeit der Tötung von Tieren hingegen, z. B. zu Nahrungszwecken, wird allgemein nicht nur bejaht, sie wird erst gar nicht gestellt. Will man sich jedoch nicht dem Vorwurf des Speziesismus aussetzen, muss man darlegen, was einen Menschen derartig vom Tier unterscheidet, dass die Tötung des einen moralisch verwerflich sein soll, die Tötung des anderen dagegen nicht.
3. Das Recht auf Leben: der Personstatus
Ob die Tötung eines empfindungsfähigen Lebewesens Unrecht ist, hängt nach Singer damit zusammen, ob das Wesen eine Person ist. Ursprünglich bezeichnete der lateinische Begriff persona die Masken im antiken Theater, mit denen der Schauspieler zeigte, dass er eine Rolle und nicht sich selbst darstellte. In eine ähnliche Richtung gehen heute Begriffe wie "Amtsperson" oder "die Person des Richters", womit ebenfalls nicht die Privat-Person bezeichnet wird, sondern die Funktion, die sie erfüllt. Heutzutage wird "Person" jedoch meist schlicht als Synonym für "Mensch" gebraucht. Singer macht sich in seiner Argumentation die Begriffsdefinition von Locke zueigen, der eine Person definiert als "ein denkendes intelligentes Wesen, das Vernunft und Reflexion besitzt und sich als sich selbst denken kann, als dasselbe denkende Etwas in verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten".[4] Nach dieser Definition sind nicht alle Menschen Personen und nicht alle Personen Menschen. Denn während Menschen unter normalen Umständen erst im Alter von etwa zwei Jahren und bei geistiger Behinderung möglicherweise nie zu Personen werden oder den Personstatus infolge einer Krankheit wie Alzheimer verlieren, gibt es Tiere, die durchaus Selbstbewusstsein und einen Sinn für Vergangenheit und Zukunft besitzen, allen voran die großen Menschenaffen. Peter Singer ist Mitbegründer des Great Ape Project, dessen Ziel es ist, das Recht auf Leben, das Recht der individuellen Freiheit und den Schutz vor Folter, bislang ausschließlich Menschenrechte, auch den großen Menschenaffen zu gewähren. Mit entsprechenden Gesetzen bestünde die Chance der Zoo- und Zirkushaltung, der Jagd nach dem so genannten Buschfleisch und Tierversuchen Einhalt zu gebieten.
Während eine Person sich wünschen kann, in der Zukunft zu existieren und Präferenzen für diese Zukunft haben kann, kann ein lediglich empfindungsfähiges, geistig in der Gegenwart verhaftetes Wesen das nach Singer nicht. Somit werden durch die Tötung einer Person Präferenzen für die Zukunft zerstört, bei der Tötung einer Nichtperson hingegen nicht.
[...]
[1] Singer, Peter, Praktische Ethik, Stuttgart 1994, S. 39.
[2] Vgl. Kuhse, Helga/Singer, Peter, Muß dieses Kind am Leben bleiben? Das Problem schwerstgeschädigter Neugeborener, Erlangen 1993, S. 49.
[3] Etwas weniger polemisch wäre die Frage, was nach Ramseys Logik beispielsweise gegen das Rauchen in der Schwangerschaft einzuwenden wäre. Würden Asthmatiker gefragt, ob sie, hätten sie die Möglichkeit dazu, lieber ein Leben ohne Asthma führen würden, würden vermutlich die meisten mit Ja antworten. Ihnen wäre, mit anderen Worten, ihr Leben mehr wert ohne die Krankheit, unabhängig von der Überlegung, ob es von einer höheren Entität als gleichwertig eingestuft würde.
[4] Zitiert aus Singer, PE, S. 120.
- Citar trabajo
- Susanne Fischer (Autor), 2006, Grundzüge und Kritik der Ethik Peter Singers, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72105
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