Krankheiten bilden seit jeher einen unumgänglichen Bestandteil des menschlichen Lebens.Ob Seuchen, Verletzungen oder die Folgen eines strapaziösen Alltags, kaum jemand vermag sich der unangenehmen Erfahrung des Krankseins zu entziehen. Es ist daher wohl kaum verwunderlich, dass die Beschäftigung mit dem auserordentlich komplexen menschlichen Organismus und seinen immer wieder auftretenden Defekten zu jeder Zeit im Mittelpunkt des menschlichen Interesses lag.
Die Wahrnehmung von Krankheit und Kranken unterlag jedoch einem starken Wandel. Vor dem Aufkommen des Mikroskops und der dadurch möglich gewordenen Mikrobiologie im 19. Jahrhundert konnten nur Vermutungen über die Ursachen vieler Erkrankungen angestellt werden. Diese Ungewissheit führte bei der gerade im Mittelalter stark von Religiosität durchdrungenen Gesellschaft vielerseits zu einem Verhältnis zur Krankheit, welches sich von dem unsrigen deutlich unterscheidet.
Trotz der begrenzten Erkenntnismöglicheiten war man auch in Mittelalter und früher Neuzeit bemüht, dem menschlichen Körper seine Geheimnisse zu entlocken und den von Krankheit geplagten Linderung zu verschaffen. Die dabei angewandten Methoden mögen heute zuweilen auf Unverständnis stoßen, zeigten jedoch auch erstaunlich oft die gewünschte Wirkung.
Bei der Erforschung von Krankheit und Heilkunde in Mittelalter und früher Neuzeit ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen sowohl Historikern, als auch Medizinern, Chemikern, Theologen und Kunsthistorikern, um nur einige zu nennen, von großer Bedeutung. Auch die Archöologie leistet einen nicht unerheblichen Beitrag zur Erschließung dieses breiten Themenkomplexes. Allerdings ist die archäologische Nachweisbarkeit von Krankheit und Heilkunde auch Beschränkungen unterworfen. Welche Erkentnisse dennoch gewonnen werden können, soll Thema dieser Arbeit sein. Zugleich wird eine kurze Einführung in die Grundlagen mittelalterlicher und früh neuzeitlicher Heilkunde und Krankenversorgung gegeben, da dies zur
Interpretation archäologischer Funde unerlässlich ist.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Kurze Einführung in die Medizingeschichte
2. Konzepte mittelalterlicher Medizin
3. Heilberufe
4. Hospitäler, Leprosorien und Klöster: Medizinische Einrichtungen im Mittelalter
4.1. Hospitäler
4.2. Leprosorien
4.3. Klöster
5. Pest und Lepra: Die Geißeln der mittelalterlichen Gesellschaft
5.1. Pest
5.2. Lepra
6. Zahnerkrankungen
7. Zwei frühmittelalterliche Prothesen. Beispiele medizinischer Selbstversorgung?
8. Die Bedeutung der Archäologie zur Erforschung von Krankheit und Heilkunde in Mittelalter und früher Neuzeit
9. Literaturverzeichnis
Einleitung
Denn aus drei Ursachen wird der Leib von Krankheit befallen: Aus einer Sünde, aus einer Bewährungsprobe und aus einer Leidensanfälligkeit. Nur dieser letzteren kann menschliche Heilkunst abhelfen, jenen aber einzig und allein die Liebe der göttlichen Barmherigkeit.
(Rechtfertigung der Heilkunde im Lorscher Arzneibuch.
K. P. Jankrift, Krankheit und Heilkunde im Mittelalter, S. 15)
Krankheiten bilden seit jeher einen unumgänglichen Bestandteil des menschlichen Lebens. Ob
Seuchen, Verletzungen oder die Folgen eines strapaziösen Alltags, kaum jemand vermag sich der
unangenehmen Erfahrung des Krankseins zu entziehen. Es ist daher wohl kaum verwunderlich, dass die Beschäftigung mit dem auserordentlich komplexen menschlichen Organismus und seinen immer wieder auftretenden Defekten zu jeder Zeit im Mittelpunkt des menschlichen Interesses lag. Die Wahrnehmung von Krankheit und Kranken unterlag jedoch einem starken Wandel. Vor dem Aufkommen des Mikroskops und der dadurch möglich gewordenen Mikrobiologie im 19. Jahrhundert konnten nur Vermutungen über die Ursachen vieler Erkrankungen angestellt werden. Diese Ungewissheit führte bei der gerade im Mittelalter stark von Religiosität durchdrungenen Gesellschaft vielerseits zu einem Verhältnis zur Krankheit, welches sich von dem unsrigen deutlich unterscheidet.
Trotz der begrenzten Erkenntnismöglicheiten war man auch in Mittelalter und früher Neuzeit bemüht, dem menschlichen Körper seine Geheimnisse zu entlocken und den von Krankheit geplagten Linderung zu verschaffen. Die dabei angewandten Methoden mögen heute zuweilen auf Unverständnis stoßen, zeigten jedoch auch erstaunlich oft die gewünschte Wirkung. Bei der Erforschung von Krankheit und Heilkunde in Mittelalter und früher Neuzeit ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen sowohl Historikern, als auch Medizinern, Chemikern, Theologen und Kunsthistorikern, um nur einige zu nennen, von großer Bedeutung. Auch die Archöologie leistet einen nicht unerheblichen Beitrag zur Erschließung dieses breiten Themenkomplexes. Allerdings ist die archäologische Nachweisbarkeit von Krankheit und Heilkunde auch Beschränkungen unterworfen. Welche Erkentnisse dennoch gewonnen werden können, soll Thema dieser Arbeit sein. Zugleich wird eine kurze Einführung in die Grundlagen mittelalterlicher und früh neuzeitlicher Heilkunde und Krankenversorgung gegeben, da dies zur Interpretation archäologischer Funde unerlässlich ist.
1. Kurze Einführung in die Medizingeschichte
Die Grundlagen mittelalterlicher Gesundheitspflege bildeten die Schriften des griechischen Arztes Hippokrates (460-370 v. Chr.), welcher als begründer der wissenschaftlichen Medizin gilt, und die des Galen (129 (?)-199(?)), eines römischen Arztes griechischer Herkunft. Sowohl der „Corpus Hippocraticum“ und die sich auf diesen beziehenden medizinischen Werke Galens wurden in griechischer Sprache verfasst. Da die Ursprünge der wissenschaftlichen Medizin in Griechenland lagen und die Mehrzahl der römischen Gelehrten des Griechischen mächtig waren, sah man sich nicht genötigt, lateinische Überzetzungen anzufertigen. Nach dem Untergang des weströmischen Kaisertums (476/480) und der Zurückdrängung der ehemaligen Besatzer, ging jedoch ein großer Teil des Wissens um die Erkenntnisse der Antike verloren. Kaum jemand war noch des Griechischen mächtig und in der Lage, die in der nun fremden Sprach verfassten Manuskripte zu entziffern. Einzig in den Klöstern wurde das antike Erbe bewahrt. Mönche kopierten und übersetzten die Schriften Galens und anderer antiker Ärzte und brachten das hierdurch gewonnene Wissen zur Anwendung. Die Zeit zwischen dem 5. und dem 12. Jahrhundert war die Zeit der Klostermedizin.1 Eine herausragende Stellung nahm hierbei das 529 von Benedict von Nursia gegründete Kloster von Montecassino in Italien ein. Der Gründer des Benediktinerordens maß in seiner „Regula Monachorum“, der Benediktinerregel, der Pflege Hilfsbedürftiger im Sinne der christlichen Nächstenliebe besondere Bedeutung bei und schuf damit die Grundlage für die mittelalterliche Auffassung des Klosters als Ort der Zuflucht und Heilung.2 Bereits vor 1000 hatte sich in der italienischen Hafenstadt Salerno eine Medizinschule etabliert, deren Absolventen im gesamten christlichen Abendland einen ausgezeichneten Ruf genossen. Die Lehre wurde zumindest in der Frühphase in erster Linie von benediktinischen Mönchen übernommen. Der salertanische Hort der Bildung wirkte jedoch für eine vielzahl Gelehrter, welche den unterschiedlichsten Ländern und Konfessionen entstammten, anziehend und so entstand eine vielschichtige medizinische Erkenntnisgrundlage, welche sich auf das Heilwissen unter anderen jüdischer, griechischer und syrischer Heilkundiger stützte. Die Schule von Salerno hatte einen derart großen Einfluss auf das mittelalterliche Medizinalwesen, dass in der Medizingeschichte die Zeit bis zum 11. Jahrhundert gemeinhin als „vorsalertanische Periode“ bezeichnet wird.3 Erst im 13. Jahrhundert wude es möglich, Medizin auch an den nun vornehmlich in Frankreich (Paris) und Italien (Bologna), aber auch in England (Oxford) entstehenden Universitäten zu studieren.4
Einen steten Zwiespalt im mittelalterlichen Medizinalwesen bildete die in der christlichen Lehre Vorstellung vom göttlichen Heilsplan. Krankheit war aus der Sicht jener Zeit kein den Organismus unmotiviert treffendes Übel, sondern gottgewollt („Nur wer vor seinem Schöpfer sündigt, wird in des Arztes Hände überliefert“, Sirach, Kapitel 38., V. 15.). Die Heilung Kranker stellte daher nach Auffassung der Kirchenväter und Apologeten ein Eingreifen in die göttliche Bestimmung dar.5 Eine Legitimierung ärztlicher Behandlung sah man jedoch in den Wunderheilungen Christis. Die Darstellung des Gottessohnes als Arzt (Christus Medicus) erfreute sich im Mittelalter großer Beliebtheit.6
2. Konzepte mittelalterlicher Medizin
Bereits Hippokrates hatte in seiner Schrift „Über die Natur des Menschen“ die Viersäftelehre zur theoretischen Grundlage allen ärztlichen Handelns erhoben. Dieser zufolge ergibt sich die Gesundheit eines Menschen aus der Eukrasie, der harmonischen Mischung der Säfte Blut, gelber Galle, schwarzer Galle und Schleim, während ein Missverhältnis im Säfteanteil, der Dyskrasie, zu Krankheit führt. Diese Humoralpathologie ( lat.: humores, Flüssigkeit) griff Galen auf und erweiterte sie um die vier Temperamentstypen, welche sich aus einem Übermaß der jeweiligen Säfte ergäben. Beim heiteren Sanguiniker überwiege demnach das Blut (lat.: sanguis), beim trägen Phlegmatiker der Schleim (griech.: phlegma), beim wechselhaften Choleriker die gelbe Galle (griech.: chole) und beim schwermütigen Melancholiker die schwarze Galle.7 Die Aufgabe des Arztes sei es demnach das Gleichgewicht der Säfte zu bewahren oder wieder herzustellen. Eine Behandlungsmethode war hierbei der Aderlass, welcher der Verfrischng der Säfte dienen sollte.8
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Infolge Galens ließ sich die gesamte sichtbare Welt durch die Primärqualitäten heiß-kalt und trocken-feucht definieren. So sind die Eigenschaften des Schleims heiß und feucht, während die der gelben Galle kalt und trocken sind. Am positivsten wurde das heiß-feuchte Blut angesehen, während das kalt-trockene der schwarzen Galle als ungünstigste Konstellation galt. Auch Monaten, Krankheiten und Speisen wurden diese Qualitäten beigemessen, die jedoch abstrakt aufzufassen waren und sich nicht auf den tatsächlichen Zustand bezogen. Vielmehr ging es um eine Einstufung im humoralpathologischen Sinn, welche der Bekämpfung von Krankheiten und dem Erhalt des allgemeinen Wohlbefindens dienen sollten. So waren infolge der Diätetik, der Lehre von der Ernährung, „warme“ Speisen, wie Honig, Wein und Wildbret, im „kalten“ Monat Mai verboten. Dies galt jedoch nicht für Erkrankte, deren Ernährung nach der Qualität ihrer Erkrankung bemessen wurde. Um ausgleichend („temperierend“) zu wirken, mussten die ihnen gereichten Speisen dieser entgegengesetzt sein. Gegen „feuchtes“ Fieber half, wie auch heute noch, „trockene“ Hühnerbrühe. Ein weiterer Aspekt mittelalterlicher Heilkunde stützte sich auf die Signaturenlehre. Infolge dieser ließ die äußere Erscheinung von Pflanzen und Tieren Rückschlüsse auf deren Arzneiwirkung zu. So wurden die Blätter des Rotkohl als Wundpflaster geschätzt und Diesteln gegen stechende Schmerzen eingesetzt.9
3. Heilberufe
Die Konzilbeschlüsse des 12. und 13. Jahrhunderts bedeuteten eine fortschreitende Verlagerung der medizinischen Versorgung weg von den Klöstern und hin zu säkularen Einrichungen. Die zum Teil sehr negative Haltung welche sich gegenüber der Chirurgie einstellte, führte zu einer scharfen Trennung zwischen dieser und der auf die aus der Antike tradierten Vorstellungen basierenden theoretischen Medizin. Während die Chirurgie zeitweilig von den Lehrplänen der Universitäten verschwandt und zunehmend zu einem Handwerksberuf degradiert wurde, blieb die theoretische Medizin auch weiterhin ein Studienfach.
Der universitär gebildete Physikus genoss das höchste gesellschaftliche Ansehen unter den Heilkundigen. Teilweise wurde der 'doctor medicinae' dem Adel gleichgestellt. Bereits im Hochmittelalter begannen viele Städte Ärzte fest einzustellen. Auf Grund der strikten Trennung zwischen praktischer und theoretischer Medizin, waren diese bemüht, eine direkte Berührung der Patienten zu vermeiden. Die wichtigste Form der Diagnosestellung war für sie daher die Harnschau.
Durch die Begutachtung von Farbe und Konsistenz des Urins ihrer Patienten glaubten sie, mit Hilfe der Humoralpathologie, jedwedes Unwohlsein erklären zu können. Das Zeichen der Ärzteschaft war daher bis in die Neuzeit hinein nicht wie heute üblich der Äskulapstab, sondern das Harnglas (siehe Titelbild. Iathromathematisches Hausbuch, 14. Jahrhundert). Der unmittelbare Umgang mit dem menschlichen Körper oblag den Chirurgen und Wundärzten, jedoch war es ihnen nicht gestattet selbstständig, ohne die Anwesenheit eines Physicus zu operieren. Diese Regel griff jedoch nur in der Theorie. Tätsächlich war es um das medizinische Wissen vieler Chirurgen durch ihre empirisch gewonnenen Kenntnisse oft besser bestellt, als um das der Doctores. So mancher Chirurg versorgte allein ganze Städte und deren nähere Umgebung. Der Stand der Wundärzte wurde von den Stadverwaltungen häufig mit dem der Barbiere gleichgestellt und in einer Zunft vereint. Tatsächlich übten beide ein ähnliches Maß an medizinischer Versorgung aus; ließen Patienten zur Ader, versorgten Wunden und zogen Zähne. Die niederste Schicht der anerkannten Heilberufe bildeten die Bader. Eine der von ihnen ausgeführten Praktiken war das Schröpfen, bei welchem man unter Zuhilfenahme von Gläsern in denen durch Erhitzen Unterdruck erzeugt wurde Blut durch die Haut absaugte. Solche Schröpfgläser gehören zu den wenigen medizinischen Geräten, welche archäologisch nachweisbar sind. Auch Henker waren im Stande, Wunden zu versorgen und andere kleinere Eingriffe vorzunehmen. Schließlich war es zuweilen von Nöten, den Delinquenten wieder in einen Vernehmungsfähigen Zustand zu versetzen. Sowohl historisch als auch archäologisch schwer zu fassen ist der Kreis jener, welche als fahrende Heiler ihr Brot verdienten. Diese häufig als Quaksalber (von nl. kwakken, wie eine Ente schnattern und zalver, Salbenverkäufer) und Scharlatane ( von it. ciarlare, schwatzen) Verschrienen stellten ihre Kunst auf Jahrmärkten öffentlich zur Schau. Jedoch wurden sie, ähnlich den Chirurgen, ihrem schlechten Ruf oft nicht gerecht. Auch sie waren häufig in der Lage auch kompliziertere medizinische Eingriffe vorzunehmen.10
[...]
1 Jankrift, 2003, S. 11.
2 Ebda., S. 12
3 Ebda., S. 41f.
4 Ebda., S. 50.
5 Ebda., S. 13.
6 Riha, 2002, S. 48.
7 Jankrift, 2003, S. 8.
8 Bartsch/Bischof, 2006, S. 47.
9 Riha, 2002, S. 52f.
10 Reddig, 2002, S. 54ff.
- Citation du texte
- Svenja Muche (Auteur), 2007, Krankheit und Heilkunde im Mittelalter unter besonderer Berücksichtigung archäologischen Quellenmaterials, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72064
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